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Pretty Flamingo: Roman nach der Geschichte des Polizeiopfers Kurt von Allmen
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eBook243 Seiten3 Stunden

Pretty Flamingo: Roman nach der Geschichte des Polizeiopfers Kurt von Allmen

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Über dieses E-Book

Kurt von Allmen wollte als Dragqueen berühmt werden. Bekannt wurde er jedoch, weil ihn ein Polizeifahrzeug auf der Jagd nach einem Dieb rammte und er dabei sein linkes Bein verlor. Der 14. März 2002 veränderte sein Leben - und das seiner Kunstfigur Beverly Stardust.

In der Presse wurde er zum "Polizeiopfer" gestempelt. Der junge Mann startete jedoch mit grenzenlosem Optimismus in sein neues Leben. Aber würde seine Energie auch für Beverly reichen? In den Jahren vor dem Unfall feierte er erste Erfolge. Seine schwulen Freunde wollten ihn wieder auf der Bühne sehen und schrieben ihm dafür eine Revue!

Rund um die wahren Begebenheiten vor zwanzig Jahren erzählt dieser Roman in einem Seiltanz aus Fiktion und Wirklichkeit von einem Mann, der kein Opfer sein wollte. Trotz jahrelanger Streitereien mit Behörden und schmerzhaften Niederlagen dachte er nicht ans Aufgeben.

Gespickt mit lebhaften Anekdoten aus der Gay-Szene erzählt Thomy Schallenberger in seinem Debütroman ein kleines Stück Zürcher Geschichte.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Feb. 2022
ISBN9783347546813
Pretty Flamingo: Roman nach der Geschichte des Polizeiopfers Kurt von Allmen

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    Buchvorschau

    Pretty Flamingo - Thomy Schallenberger

    Kapitel 1 – 13. März 2002

    Daniel wartete ungeduldig auf Kurt, der in ein paar Tagen als Beverly Stardust bei ihm auftreten sollte. Ihm lief die Zeit davon, denn die Pigalle sollte pünktlich öffnen.

    Er wischte im Innern der kleinen Bar den Tresen ab, als Kurt endlich an die Glastür klopfte und ihm ein schrilles »Füüütz!« zurief. Lachend öffnete Daniel die Türe und ließ den quirligen Sonnyboy eintreten. Der trat ab und zu in seiner Bar als Travestiekünstler im Fummel auf. Nächste Woche wollte er die große Katja Ebstein mit einer Showeinlage ehren, die seine Paraderolle war.

    Daniel fiel wieder Kurts ausgefallener Kleidungsstil auf. Eine Uniformjacke zu perfekt sitzenden Reiterhosen und Sneakern, alles ganz in Weiß. Er liebte es, wenn die Leute sich nach ihm umdrehten und tuschelten.

    »Ich habe ein paar neue Ide-en«, sagte Kurt und zog das letzte Wort künstlich in die Länge. Das war typisch für ihn. Wenn er etwas betonen wollte, unterlegte er es noch zusätzlich mit einer Melodie, begleitet einer theatralischen Armbewegung. Überhaupt war er immer in Bewegung.

    »Drei Nummern habe ich vorbereitet! Verträgt das deine Riesenbühne?«

    »Wie groß ist denn dein Ensemble?«, fragte Daniel ernst. Dann prusteten beide los, denn die Riesenbühne bestand aus einem halbrunden Brett, auf dem die Attraktion gerade mal alleine Platz hatte. Beverly stand knapp ein halber Quadratmeter zur Verfügung. Das gab ihr im besten Fall genug Platz für einen halben Tanzschritt, aber ganz sicher nicht genug Platz für ganz großes Theater.

    Auf der Bühne wurde Kurt zum Perfektionisten. Er war stolz auf seine Bühnengarderobe und seine langen, perfekten Beine, die er durch High Heels optimal in Szene setzen konnte. Die Playbacks probte er stundenlang zu Hause vor dem Spiegel, bis er ganz mit sich zufrieden war. In der dämmrigen Pigalle war das zwar nicht so wichtig, doch Daniel wusste, dass er sich auf Kurt verlassen konnte. Beverlys Show war immer erstklassig und professionell. Damit konnte er sich ganz auf seine Gäste und den Umsatz konzentrieren.

    Die Pigalle war eines der kleinsten Lokale in Zürich. Die Bar war stadtbekannt und gehörte zu Zürich wie das Großmünster, das nur ein paar Gehminuten entfernt lag. Sie war das Zuhause einer illustren Schar aus Schwulen und Lesben, Studenten, Prominenten und anderen Niederdorf-Originalen. Meist herrschte bis in die frühen Morgenstunden Hochbetrieb und die Leute grölten im Nebel der Zigarettenschwaden und stinkenden Bierfahnen bekannte Schlager.

    »Natürlich darf Theater nicht fehlen«, verkündete Kurt und Daniel forderte dazu seine Lieblingsnummer Der Jäger.

    »Klar, den muss ich nicht mehr proben. Im letzten Monat habe ich den jeden Abend im T&M auf der Bühne gemacht. Und das Lied heißt im Übrigen Es war einmal ein Jäger, nicht Der Jäger. Das habe ich dir schon x-mal gesagt!«, foppte Kurt ihn und hüpfte auf die Bühne, um sich über deren Größe lustig zu machen.

    Das T&M war eine Disco im selben Gebäude, über der Pigalle. Dort trat Kurt auch ab und zu als Dragqueen auf und spielte die Beverly in einer gemeinsamen Show mit anderen Drags. Im Anschluss an die Besprechung in der Pigalle wollte er noch hoch ins T&M, um mit dem DJ den Ablauf der neuen Show zu besprechen.

    »Du kommst dann morgen zum Hintereingang rein. Schminken kannst du dich oben in der Künstlergarderobe!«, sagte Daniel, doch Kurt meinte frech:

    »Was ist denn nun mit meinem Hotelzimmer im Dolder Hotel? Das hast du mir als Gage versprochen und eine Stretchlimo dazu!« Er wedelte mit den Armen und tat fürchterlich entsetzt.

    Daniel imitierte das schrille Getue von Beverly. »Die Stretch steck ich dir gleich hinten rein und eine Limo ist der ganze Lohn, den du verdienst!«

    In der Tat bezahlte Daniel den Künstlern eine jämmerliche Gage, doch die Atmosphäre in diesem kleinen Raum, voll mit begeisterten Schlagerfans, war einzigartig. Die Künstler blieben immer auf Tuchfühlung mit den Gästen, von denen die meisten zu fortgeschrittener Stunde einen über den Durst getrunken hatten und alle Lieder textsicher mitsingen konnten.

    »Komm dann pünktlich um zehn Uhr dreißig! – Und bitte, lass die Türe gleich offen, da warten schon die ersten Gäste!«, rief Daniel Kurt nach, der hastig die Bar verließ, um eine Etage höher den DJ zu treffen.

    Daniel hörte noch das Beverly-typische »Ja-ha!« und schon war Kurt verschwunden.

    »Ist schon offen?«, fragte der erste Gast, als er den Kopf durch die Türe steckte. Daniel verteilte die Aschenbecher auf dem frisch geputzten Tresen und fragte den Jungen, was er trinken möchte.

    »Wir sitzen draußen. Ich weiß noch nicht, ich muss mal meinen Mann fragen.«

    Die Pigalle wurde zu früher Stunde fast ausschließlich von schwuler Kundschaft besucht. Aber später am Abend mischten sich die Gäste zu einem bunten Haufen. Fast nie herrschte eine aggressive Stimmung in dieser Bar, die eine u-förmige Theke hatte und Wände mit alten Mosaiken von einer Straßenszene im Pariser Stadtteil Pigalle.

    Daniel ging mit einem leeren Serviertablett nach draußen, doch die beiden Herren wussten immer noch nicht, was sie trinken wollten, studierten aber den Flyer, der den großen Katja-Ebstein-Abend in der Pigalle ankündigte.

    »Beverly tritt an dem Abend auf?«, fragte der Gast.

    »Ja. Aber wenn ihr kommen wollt, müsst ihr unbedingt reservieren«, sagte Daniel. »Es wird übervoll werden an dem Abend.«

    »Arbeitet Urslä heute hinter der Bar?«, fragte der Gast weiter.

    Urslä, auch ein Mann, der eigentlich Urs hieß, war der beliebte Mittelpunkt dieser Bar und schmiss den Laden Abend für Abend. Daniel hielt sich bewusst etwas im Hintergrund und ließ seiner Perle freie Hand. In beißendem St. Galler Dialekt hielt Urs die Gäste bei Laune. Nicht selten beleidigte er sie und zickte rum, doch diese liebten genau das und bestellten daraufhin gleich noch eine Runde. Urs sagte immer, dass seine Gäste das bräuchten. Alles Masochisten!

    »Ja, heute arbeitet Urslä, aber erst etwas später!«, antwortete Daniel kurz, »und wenn nun die Damen ihre Bestellung vor Feierabend abgeben könnten, wäre das Personal sehr glücklich.«

    »Wir kommen wieder, wenn sie da ist«, entschied der Eine und beide schoben lärmend die Eisenstühle zurück und standen auf. »Bis später«, sagten sie noch und schon waren sie um die Ecke.

    Daniel drehte sich um und murmelte: »Weiber!«

    Kurt hatte inzwischen mit Reto, dem Geschäftsführer und Show-Verantwortlichen und dem DJ die Nummern besprochen, die Beverly nächsten Monat aufführen sollte. Ihre inzwischen berühmte Puppennummer durfte auch diesmal nicht fehlen. Eine herzzerreißende Nummer zu Nobody loves me like you do von Whitney Houston und Jermaine Jackson. Das Publikum liebte sie über alles.

    Stefan oder Steff, wie sie ihn nannten, war bei einigen Auftritten Beverlys Bühnenpartner, aber hauptsächlich bei Komik-Nummern. Dann radelten beide auf Dreirädern über die Bühne und bewegten die Lippen zu Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen.

    Kurt wollte noch eine neue Nummer einstudieren und ging deshalb kurz zu Steff, der eben eine der Bars in der großen Diskothek vorbereitete. Steff war an diesem Abend aber nicht sehr empfänglich für Showbesprechungen und wies ihn schroff ab. Es war schon gegen einundzwanzig Uhr und die Türen des Lokals wurden in wenigen Augenblicken geöffnet. Es gab immer Gäste, die sich früh ins T&M verirrten. Gegen dreiundzwanzig Uhr war täglich die große Travestieshow angesagt, bei der sich drei bis vier Künstler auf der Bühne abwechselten und um die Gunst des Publikums buhlten. Einige der Paradiesvögel traten seit Jahren mit den ewig gleichen Sprüchen und Nummern auf, was das Publikum aber nicht störte. Beverly hatte jedoch einen anderen Anspruch. Sie versuchte, sich immer wieder neu zu erfinden und nahm seit einiger Zeit sogar Gesangsunterricht.

    Das T&M, das nach den Besitzern Tamara und Marisa benannt war, aber von vielen entweder Tüll&Müll oder noch böser Teuer&Mies genannt wurde, war eine Disco, die bis spät in der Nacht geöffnet hatte. Einer der ältesten schwulen Tanzschuppen in der Stadt und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

    Kurt beschloss, noch etwas zu bleiben, weil sich das Lokal ungewöhnlich schnell füllte und rief seinen Freund João auf dem Handy an. »Du, ich bin noch im T&M und komme etwas später. Wahrscheinlich schaue ich mir noch die Show an.

    Wider Erwarten klang João begeistert. »Dann warte auf mich, ich komme auch in ein bis zwei Stunden. Wir können dann zusammen nach Hause gehen.« Kurt freute sich, denn sein brasilianischer Freund begleitete ihn nicht oft ins schwule Nachtleben. Er war eher scheu und introvertiert, also genau das Gegenteil von Kurt.

    An diesem Mittwochabend kamen mehr Besucher als sonst üblich. Meistens war die Diskothek nur am Wochenende gerammelt voll. Trotzdem spielte man täglich eine große Show mit mehreren Travestiestars, die aus ganz Europa anreisten, um in Zürich zu performen. Heute trat neben der Hausherrin Grande Dame Tamara auch die großgewachsene und bei den Gästen beliebte Sissi aus Wien auf.

    Kurt saß in der ersten Reihe und genoss die Show. Er erlaubte sich zwei Wodka-Eistee, obwohl er mit dem Auto unterwegs war.

    Kurz nach der Show traf João im T&M ein. Sie blieben noch etwa eine Stunde und vergnügten sich mit einigen anderen Nachtschwärmern. Jeder kannte Kurt, und alle wollten mit ihm noch ein paar Worte plaudern. Meist war er es aber, der immer etwas zu erzählen hatte und sein Gegenüber wie ein Wasserfall zuquatschte. Tamara huschte an ihnen vorbei und grüßte knapp. In der Hand hielt sie wie immer ein Cüpli, aus dem sie in großen Schlucken trank, um schnell ein neues Glas Champagner von einem Gast offeriert zu bekommen.

    »Gehen wir? Ich muss morgen arbeiten«, fragte João und wusste, dass man Kurt immer fast zwingen musste, das T&M zu verlassen.

    »Ja, gleich!«, sagte Kurt zögernd, doch als er João ansah, wusste er, dass sein Freund jetzt nach Hause wollte und das mit seinem Partner.

    Also verabschiedeten sie sich und Kurt rief beim Hinausgehen noch einem anderen Gast zu: »Morgen dann in der Pigalle! Ich trete als Katja Schüttstein auf!« Kurt lachte gackernd und rannte die große Treppe hinunter, raus auf die hell erleuchtete Niederdorfstraße.

    »Wollen wir ein Rennen machen?«, schlug Kurt seinem Freund vor. »Wer als Erster Zuhause ist? Du mit dem Velo, ich mit dem Auto?«

    Sofort schwang João sich auf sein Rad, denn er kannte dieses Spiel bereits. Meistens gewann er, der Fahrradfahrer, doch zu so später Stunde waren nicht mehr viele Autos unterwegs.

    Kurt spurtete um die Ecke, die kleine Gasse hoch zum Parkplatz. Dort stand sein neues Auto, direkt hinter der Disco, beim Gericht im Seilergraben.

    Kapitel 2 – 14. März 2002

    In der Polizeihauptwache Urania ging ein Notruf ein.

    »Grüezi. Im Elektrogeschäft, hier im Niederdorf, wird gerade eingebrochen. Ich wohne gegenüber und kann alles sehen. Was, was soll ich tun?«, fragte eine aufgeregte Frauenstimme.

    Der Beamte beruhigte die Dame. »Können sie den Einbrecher beschreiben?«

    »Na, ich weiß nicht, das ging so schnell. Relativ groß, dunkelhaarig, schlank und dunkel gekleidet. Mehr weiß ich leider auch nicht. Jetzt ist der Mann im Laden!«

    Im Hintergrund heulte eine Alarmanlage auf.

    Der Polizist schickte erst eine Streife los und nahm dann die Daten der Frau auf. Der Elektroshop im Niederdorf war immer wieder das Ziel von Einbrechern, die leichte Beute suchten, um sie auf dem Drogenmarkt zu Geld zu machen. Wegen der Alarmanlage beeilten sich die Diebe und die Chance, dass die Polizei rechtzeitig beim Tatort ankommen würde, war gering.

    Dies wusste auch der junge Polizist, der am Steuer eines Einsatzbusses saß. Er schaltete die Sirene und das Blaulicht ein und beschleunigte den Wagen.

    Zwei Kollegen saßen mit ihm im Bus und einer sagte: »Wenn wir den erwischen, haben wir Glück. Wahrscheinlich ist er längst wieder über alle Berge!«

    Die Zentrale gab ihnen die Täterbeschreibung durch und der Fahrer raste zum Tatort, denn diesmal wollte er den Täter unbedingt erwischen. Er stand kurz vor seiner Beförderung und wollte noch ein paar Punkte gutmachen. Dies hier schien ihm die Gelegenheit und er spürte, wie Adrenalin durch seine Adern schoss. Kurz vor dem Ziel stellte er Sirene und Blaulicht ab, um den Dieb nicht zu warnen.

    Zur gleichen Zeit rannte Kurt die kleinen Gassen hoch zu seinem Auto. Er hatte die Autoschlüssel bereits in der Hand.

    »Da vorne ist er!«, rief einer der Polizisten im Bus und der Fahrer beschleunigte den Wagen weiter.

    »Den schnappen wir uns! Der haut nicht mehr ab! Den kriege ich!«

    Der Fahrer steuerte den Einsatzbus direkt auf den vermeintlichen Dieb zu und bremste erst im letzten Augenblick.

    Kurt hörte hinter sich ein schnell lauter werdendes Motorengeräusch und drehte sich um. Ein Polizeiwagen schoss frontal auf ihn zu und drückte ihn mit voller Wucht gegen eine Hauswand. Ein kurzer Stoß, Splitter, Lärm. Kurt blieb die Luft weg und seine Hände berührten die Frontscheibe des Polizeiwagens, als hätte er ihn damit aufhalten können. Ein kurzer Moment der Stille legte sich über die Szenerie.

    Dann setzte der Fahrer den Einsatzwagen ganz langsam und vorsichtig zurück.

    Hat der noch alle Tassen im Schrank, so ein Fahrmanöver hinzulegen? Der hätte mich umbringen können, dachte Kurt. Bulle hin oder her, dem werde ich jetzt so was von die Meinung geigen!

    Doch so weit kam er nicht, denn als er zum ersten Schritt ansetzen wollte, drehte sich alles und er schlug auf dem Kopfsteinpflaster auf.

    Himmel! Was ist denn jetzt los, schoss es ihm durch den Kopf.

    Gefühlt dauerte es endlose Minuten, bis Kurt dämmerte, was geschehen war. Er spürte, wie sich eine immer größer werdende Blutlache unter ihm ausbreitete und blickte an sich herunter. Das linke Hosenbein seiner schneeweißen Jeans hatte sich knallrot gefärbt.

    Gott, wo ist mein Fuß? Dann sah er die Misere. Seine Schuhspitze zeigte verdreht nach hinten. Nein! Oh Gott! What the fuck …

    Bevor er eine Chance hatte, das Ganze irgendwie einzuordnen, waren bereits zwei Polizisten bei ihm, um Erste Hilfe zu leisten.

    Der Fahrer setzte derweil den Wagen noch ein Stück weiter zurück, drehte den Zündschlüssel und stieg völlig benommen aus dem Bus. Wie in Zeitlupe wiederholte sich die von ihm provozierte Szene vor seinen Augen. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er Mist gebaut hatte.

    »Es tut mir leid, das wollte ich nicht«, stotterte er hilflos, nachdem er sich neben Kurt niedergekniet hatte. Er zog seinen Gürtel aus den Hosenschlaufen und half dem Kollegen beim Abbinden des Oberschenkels. Dieser kniete ihm gegenüber und hatte bereits seine Faust in Kurts Leiste gedrückt, um die starke Blutung zu stillen.

    »Ich hab das Gas- mit dem Bremspedal verwechselt«, versuchte der Fahrer sich zu verteidigen.

    Der dritte Polizist hob Kurts Tasche auf und schob sie dem Verletzten unter den Kopf, damit dieser es ein bisschen bequemer hatte. »Kann ich sonst noch irgendwas für dich tun?«, fragte er ihn besorgt.

    Kurt antwortete ohne nachzudenken: »Ja, wenn du mich so direkt fragst … Ich nähme dann gerne noch einen Drink!« Gleichzeitig griff er in seine rechte Hosentasche, fischte in aller Seelenruhe sein kleines Nokia heraus und wählte die Nummer von João per Kurzwahltaste. Als wäre nichts passiert.

    João machte sich bereits Sorgen, denn Kurt hätte schon seit Langem zu Hause sein müssen. Es musste etwas geschehen sein. Selbst wenn Kurt noch jemanden getroffen, sich wieder einmal verplaudert hätte. So lange wegzubleiben, ohne sich bei ihm zu melden, das würde er niemals tun. In diesem Moment klingelte das Handy und João wurde aus seinen Gedanken gerissen.

    »Kurt! Wo bleibst du?«

    »Tja, unser Rennen habe ich wohl definitiv verloren, João. Ich werde auch nicht nach Hause kommen. Ich hatte einen Unfall. Ich kann dir im Moment nicht alles im Detail erklären, João, aber mach dir bitte keine Sorgen. Es kommt alles gut. Mir gehts den Umständen entsprechend ganz ordentlich. Gleich werde ich in den Sanitätswagen verladen und ins Unispital gebracht. Im Laufe des Tages werde ich mich wieder bei dir melden, oder versuch du, ins Unispital zu kommen. Hab dich lieb.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Kurt auf. João starrte fassungslos auf den Telefonhörer in seiner Hand.

    Kurze Zeit später klingelte das Telefon bei Kurts Mama Manu, die er als seinen Notfallkontakt angegeben hatte. Es meldete sich die Polizeiwache Urania und eine neutrale Frauenstimme setzte Manu von dem Unglück in Kenntnis. Sie hörte beinahe apathisch zu. »Ich, … ich danke ihnen, dass sie mich informiert haben.« Manu legte auf, ohne sich zu verabschieden.

    Dann kam wieder Leben in sie. Ich muss zu Kurt. So schnell wie möglich!

    Nach rund zwanzig Minuten kam endlich die Ambulanz. Kurt war während der gesamten Zeit voll ansprechbar und tröstete sogar die Polizisten, die doch nur ihre Arbeit getan hätten, wie er betonte.

    Im Krankenwagen leiteten die medizinischen Einsatzkräfte weitere lebensrettende Maßnahmen ein. Kurt beschloss ihnen dabei helfen. Also richtete er sich auf der Trage auf und begann seine Jacke und sein T-Shirt auszuziehen. Auch seine Ohrstecker und Kontaktlinsen entfernte er, bis die Sanitäter ihn auf die Liege zurückdrängten und fragten, was er da eigentlich mache.

    »Ich bereite mich auf die OP vor,« sagte Kurt. »Schmuck und Sehhilfen sind doch nicht erlaubt, richtig?«

    Die beiden Sanitäter schauten sich verdutzt an und dachten, das wäre ihnen auch noch nie

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