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Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten
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Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten
eBook248 Seiten3 Stunden

Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten

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Über dieses E-Book

Üblicherweise beginnen Mördergeschichten mit der Tat, der Leser nimmt an den Ermittlungen teil und am Ende steht der Täter fest. Nicht so in den achtzehn Geschichten mit Mördern und ohne Polizei von Beate Morgenstern in dieser kleinen Sammlung. Hier erleben wir eine Entwicklung; die Tat steht am Ende.
Intelligent, überraschend, nie langweilig.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Feb. 2014
ISBN9783847676041
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    Buchvorschau

    Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten - Beate Morgenstern

    DICKIE UND DAVE

    Dave kam nicht zu früh. Dickie wartete schon. Sein weißer Latz, bis über die Nase zwischen die Augen reichend, die weißen Pfoten leuchteten in der Dunkelheit der Toreinfahrt. Jeden Morgen überfiel Dave auf den letzten Metern zu seinem Haus die Vorstellung, Dickie wäre nicht da und er könne ihn auch nicht herbeirufen, indem er das Häuserkarree umschritt und ihn lockte. Eines Morgens bliebe Dickie aus, habe günstigstenfalls einen anderen Ernährer und Gesellschafter gefunden. Wie Dickie, ein gut genährter Riesenkater, ja eines frühen Morgens, Einlass begehrend, vor seinem Haus aufgetaucht war, konnte er sich wieder einen anderen Menschen erwählen. Er müsste es billigen. Dickie war ein freier Kater. Wenn Dave auch noch nicht wusste, wie er dessen Wegbleiben verkraftete. Die Ungewissheit, ob dem Kater nicht doch ein Unglück zugestoßen sei, würde ihn wahrscheinlich umbringen. Zu Dickies Revier gehörte der große Friedhof. Für ihn war es ein leichtes, sich durch die Stäbe des Eingangstors zu schlängeln. Um zum Friedhof zu gelangen, musste er die und eine weitere Straße überqueren. Auch Rattengift war eine Gefahr. Und Katzenhasser! Dave durfte diese Dinge nicht weiterdenken. Heute war ja wieder alles gut gegangen. Er hockte sich hin, kraulte dem Kater zwischen den Ohren, unter dem Kinn, strich ihm über den Rücken und redete mit ihm. Mehr war es ein Singen als ein Sagen. Dickie schnurrte. Noch nur ein kleines Schnurren. Als Dave auf das Geschenk des Katers sah, ein Tier wie eine Maus mit abstehenden Schnurrbarthaaren, sehr nett, nur eben größer, schüttelte er den Kopf. Was bist du doch für ein Kerl, sagte er, nahm die Ratte am langen Schwanz, öffnete die Tür. Der Kater schlüpfte hindurch. Im Hof hielt Dave bei den Mülltonnen. Noch immer baumelte die Ratte zwischen Zeigefinger und Daumen. Der Kater setzte sich, blickte zu ihm auf. Ein so hübsches Gesicht hatte er, die honigfarbenen Augen schwarz, dann beige umrandet, am weißen Maul im beige-schwarz-gestreiften Fell ein unegaler Farbstups. Und zwei Tage Diät würden aus Dickie einen normal-schlanken Kater machen. Unklar, ob der Kater die Ablage seines Jagderfolgs guthieß. Dave hob einen Deckel an, tat das Tier hinein, zog einen Plastiksack beiseite, bedeckte es.

    Hochparterre im Quergebäude Daves Wohnung: Zimmer, Küche, Innentoilette, Dusche. Dass er auf eine fensterlose Mauer sah, niemals die Sonne in seine Wohnung schien, war ihm gerade recht. Er hatte die Fenster mit Jalousien versehen, die er selten einen Spalt öffnete. Was sich dahinter ereignete, blieb seiner Fantasie überlassen. Oft stellte er sich vor, ein großer Park befände sich hinter seinem Fenster.

    Der Kater strich um seine Beine, riss sein Maul auf. Die Mimik war Aufforderung genug. Er ging in die Küche, öffnete eine Dose. Den gefüllten Teller stellte er auf den Fußboden. Der Kater schlabberte, bis der Teller leer war, sah auf. Ja, ja, Dickie. Er gab eine zweite Portion dazu. Schließlich mussten siebeneinhalb Kilo erhalten werden. Während der Kater fraß, schnurrte er mordsmäßig, ohrenbetäubend geradezu. Dickie sprang auf die Ablage neben der Spüle, vielleicht, um dem großen Menschen näher zu sein. Dave bückte sich, hob den Teller neben die Spüle. Der Kater spazierte auf der zweiten Küchenebene, nahm unterwegs immer ein paar Happen. Dave setzte Wasser auf, brühte Haferflocken, Tee, legte sein Gesicht an den Katerkopf, während er darauf wartete, dass der Tee durchzog, die Haferflocken sich vollsogen. Nach dem Essen in der Küche duschte er sich, wusch seinen Slip, sein Unterhemd, hängte beides auf. Er stellte das Radio an seinem Kopfende ein. Schubert. Auch gut, dachte er. Mal hatte er Klavier gespielt. Mal hatte er auch gezeichnet. Bis er herausgefunden hatte, den Tag, die Nacht zu überleben, war Leistung genug. Dave legte sich im Bett auf den Rücken, die Beine gegrätscht. So liebte es Dickie. Dave betrachtete seine Arme, seine Hände. Die Arme durchtrainiert. Die Hände lang und kräftig. Ein dünner, kleiner Junge war er gewesen. Und als er wuchs, war er eher noch dünner geworden. Von allen seinen Bemühungen als Jugendlicher war einzig eine von sichtbarem Erfolg gekrönt: Er hatte sich einen athletischen Körper antrainiert. Groß war er, doch nicht dünn, sondern schlank. Blond gelockt, ein schlanker, gerade eben noch junger Mann. Endlich kam der Kater, sprang auf sein Bett. Bald legte er sich in die Kuhle zwischen Daves Beinen, drehte sich auf den Rücken, ließ ebenfalls die Schenkel auseinanderklappen, dass nun noch zwei weiße, dreieckige Bauchflecken zum Vorschein kamen. Dave stellte das Radio ab. Wollte das Katerschnurren hören, das Wände zum Erbeben brachte. Als es verstummte, schaltete er das Radio wieder ein, drehte sich zur Seite. Der Kater lagerte sich zwischen Daves ausgestrecktem und angewinkeltem Bein, bis er aufstand und sich neben seinem Kopf niederließ. Dave schlief ein. Mal saß Dickie auf seinen Beinen, dann wieder war Daves Körper unbeschwert. In kurzen Wachphasen schaute er, wo sich der Kater gerade befand, schlief ein, sobald er ihn in seiner Nähe erblickte. Gegen Mittag ging Dave zur Toilette. Ein wenig Tageslicht drang durch die Jalousien. Er dämmerte weiter. Am späten Nachmittag konnte Dave es nicht mehr verhindern: Er hatte ganz und gar ausgeschlafen. Er stellte das Radio lauter, kraulte den Kater. Mit einem Mal sprang der auf seinen Bauch, maunzte. Nur im äußersten Notfall legte er sich eine Stimme zu. Schreien konnte er. Wenn er sich zulange aus seiner Wohnung entfernte, hörte er bei seiner Wiederkehr den Kater schon unten im Hausflur. Ja, ja, Dickie, sagte Dave und gewöhnte sich an den Gebrauch seiner Stimme. Er ging wieder auf Toilette, dann in die Küche. Der Kater folgte ihm, ließ ihn nicht einen Schritt allein tun, so dass Dave immer mal über ihn stolperte, nie fiel. Er war plötzliche Hindernisse gewohnt. Kopfschmerzen hatte er wie immer die ersten Stunden nach dem Aufstehen. Er nahm für den Kater aus dem Plastikbehälter im Kühlschrank, in dem er das übrig gebliebene Dosenfutter aufbewahrte, tat es auf einen sauberen Teller, setzte sich. Denn der Kater, nicht mehr so hungrig, fraß nur noch, beobachtete er ihn dabei. Na, friss, friss, sagte er und wiederholte den Namen des Katers, machte wieder einen kleinen Sprechgesang daraus. Wir wollen doch groß und stark bleiben! Dave holte sich die Hanteln aus dem Schrank, trainierte eine dreiviertel Stunde. Duschte, wusch sich wie jeden Abend gleich die Haare mit, föhnte, rasierte sich, wärmte in der Mikrowelle das Essen vom vergangenen Abend. Mal kochte er für zwei Tage. Nie aß er aus der Büchse. Als er in die Stadt gekommen war, achtzehn war er gewesen und hatte das Abitur nachholen wollen, und Gedanken an eine Zukunft waren in ihm gewesen, da hatte er anfangs nur von Büchsen gelebt, bis ihm das zuwider geworden war. Zudem war Büchsennahrung nicht gesund, und er achtete auf seine Gesundheit. Er schaute auf seine Armbanduhr. Der Kater lag auf dem Sessel, öffnete kaum die Augen, als er ihm mitteilte, er werde nun kurz mal weggehen.

    Gegen Abend gelang es ihm einigermaßen, den Müll auf Höfen und der Straße zu übersehen, den die Menschen fallen ließen wie Tiere, die koteten, wo es ihnen gerade einfiel. Hundehaufen unter den dünnen alten Bäumen, die sich auf schmaler Straße zwischen hohen Häusern dem Licht entgegenstrecken. Er kam auf die sich endlos hinziehende Hauptstraße. Die auch nicht eben breit. Eine Menschenflut an den Rändern, viele Schwarzhaarige darunter und einige Frauen in langen dünnen Mänteln, Haare und Stirn von feinen, ebenfalls langen Kopftüchern bedeckt. Der Supermarkt gleich an der Ecke. Beim Türken in seiner Straße sein letzter Einkauf. Hier wählte er in großer Gelassenheit Obst und Gemüse für sich aus.

    Zu Hause legte er CDs auf. Vielleicht kaufe ich mir doch ein E-Piano!, dachte er. Wenn der Wunsch überhand nähme, würde er ihn sich erfüllen.

    Der Kater saß an der Tür. Dickies Zeit war gekommen. Seine auch. Ja, ja, sagte er, warte noch. Ja, ja.

    Sie gingen durch den Hof. Sein Blick die Kastanie hinauf in das Himmelsgeviert. Der Kater misstrauisch schnuppernd, schlich, als befände er sich in höchster Gefahr, hatte jetzt keine Augen mehr für seinen Quartiergeber, verschwand in Richtung des Friedhofs. Vielleicht reichte sein Revier noch weiter. Der Gedanke machte Dave einen kurzen, spitzen Schmerz in seinem Bauch.

    Er lief lange auf der Hauptstraße. Das Laufen tat ihm gut. Im angrenzenden Stadtbezirk die Kneipen. Die brachten sich mühsam durch, seitdem die Touristen in den Osten gingen, wo sie die Stadt erleben wollten, wie sie angeblich am echtesten war. Was zur Folge hatte, dass dort eine Kneipe nach der anderen öffnete, in der man Speisen aus aller Welt zu kosten bekam. Der Charme eines untergehenden Stadtbezirks verschwand. Die bröckelnden, einstmals prächtigen Gründerhausfassaden wurden saniert, die Wohnungen ebenfalls. Was er nie geglaubt hatte, trat ein: Im Viertel, in dem er gelebt hatte, gewöhnte sich der Osten weitgehend seine schlechten Manieren ab. Für Menschen wie ihn gab es kaum noch Zuflucht. Da hatte er sich aufgemacht, um sich im Westen eine dauerhaft billige Unterkunft zu suchen.

    Das Leben nun in der Phase, die ihm eher behagte. Er schlenderte durch die Straßen, sah auf die Menschen, die es wie ihn nach draußen trieb, bemerkte wie jeden Tag, dass man zur Gründungszeit auch hier nicht gespart hatte, den Quartieren ihr besonderes Gesicht zu geben. Als er auf seinen Türken traf, trat er ein. Die Einrichtung sauber, der Fußboden weiß gefliest, die Wände weiß. Ausnahmslos Landsleute des Wirts kamen hierher. Er bestellte eine Buttermilch und noch eine, beobachtete die Familien, die jungen Männer, die er bisweilen um ihre Robustheit beneidete, die schöne Türkin, die bediente und ihn manchmal mit einem Lächeln bedachte. Er las in einer Tageszeitung, schaute in ein mitgebrachtes Buch. Nach Mitternacht war es Zeit für seine Besuche.

    Er schloss eine Haustür auf, klingelte an der Wohnungstür schloss dann auch diese auf.

    Agnes auf einem Krankenbett in der Wohnstube gebettet. Dort lag sie seit ihrem Sturz vor einem Jahr. Vorher hatte sie sich noch allein versorgt.

    Ach, Herr Dave!, sagte Agnes. Ihre alten, blauen Augen leuchteten. Es ist soweit! Morgen bringen sie mich in ein Heim.

    Er schaute die alte Dame an, schüttelte leise den Kopf.

    Sie haben es mir versprochen, Herr Dave! Ich habe mich auf Sie verlassen!

    Ja, er hatte sich ein Versprechen abnötigen lassen. In Zukunft würde er darauf dringen, dass seine Klientinnen für den Notfall selbst vorsorgten. Zu allem, was er Agnes vorhielt, nickte sie und sagte bloß: Ich kann Ihnen nicht mal was extra geben!

    Ich würde auch nichts haben wollen. Wir, die wir über sind ... Sie sind nicht über, sagte Agnes. Sie am allerwenigsten. Nachher nahm er das Geld, das sie ihm für den Monat hatte bereitlegen lassen, tat einen letzten Blick auf sie. Agnes hatte kämpfen müssen, ehe sie ihr Leben abgeben konnte. Jetzt sah sie aus wie eingeschlafen.

    Auch in dieser Nacht besuchte er Gertrud und Mathilde. Soviel er sich sonst gehen ließ, in seiner kleinen Arbeit war er korrekt und auf die Minute pünktlich. Er nahm für die Stunde 10 Euro. Wenn eine Klientin ihm zusagte und das Geld nicht erübrigen konnte, auch weniger. Beim Vorlesen sagte man ihm schauspielerische Begabung nach. Die Manie, perfekt zu sein, schlug ihm einmal zum Guten aus.

    An diesem Morgen wartete der Kater nicht in der Toreinfahrt.

    Dave ging die Straße zurück. Unentwegt dessen Namen rufend, umlief er das Straßengeviert, das zu Dickies Revier gehörte, ging am Friedhof vorbei. Mit einem Mal nicht imstande, an das Schlimmste zu glauben, war er überzeugt, den Kater bei seiner Rückkehr in der Toreinfahrt zu finden. Dave ging in seine Wohnung, legte sich hin. Eine halbe Stunde später schaute er wieder nach dem Kater. Wie selbstverständlich saß Dickie vor der Haustür und sah ihn mit seinen großen, gelben Augen an. Er nahm den schweren Kater auf den Arm, trug ihn, unablässig seinen Namen aussprechend, in seine Wohnung. Für einen Tag war er wieder ein Mensch, der es mit sich und der Welt aushielt. Wie hatte Agnes gesagt? Sie sind nicht über, Sie am allerwenigsten!

    SEIN TRAUM

    Sie sahen sich in die Augen. Dunkel und schmal seine. Dunkel und schmal ihre.

    Der Abspann mit den Namen der Darsteller und der an der Produktion Beteiligten lief über den Bildschirm. Sie drückte auf die Fernbedienung. Das Bild verschwand. Und jetzt?, fragte sie, lächelte. Es war ein deutliches Angebot.

    Er wendete seinen Blick von ihr ab. Es ist Zeit, sagte er, stand auf, ging ins Bad, begann sich zu rasieren.

    Sie kam ihm nach. Ich möchte das nicht, sagte sie. Bitte. Es ist keine so gute Idee. Ich finde das gar nicht witzig. Eine Weile redete sie auf ihn ein. Aber er kümmerte sich nicht darum, rasierte Bahn um Bahn seines Gesichts. Als er fertig war, hockte er sich auf den Rand der Badewanne und blickte sie auffordernd an. Du musst es wissen, sagte sie, schüttelte seufzend den Kopf, nahm ihre Schminksachen aus dem Spiegelschrank, legte sie sich auf die Waschmaschine. Das Bad in der sonst großen Altbauwohnung eng, aber Platz war für alles Notwendige. Sie zupfte seine Augenbrauen aus, was er hinnahm, ohne eine Miene zu verziehen, cremte sein Gesicht ein, legte Schminke auf, schwärzte seine Lidränder, die Wimpern, färbte seine Lippen. Er lächelte leise. Ihre Gereiztheit wich. Dann setzte sie ihm eine Perücke auf mit langen blonden Haaren, in der Art, wie sie die neuerdings trug.

    Er stellte sich vor den Spiegel, nahm sie am Nacken, zog sie zu sich heran, betrachtete sich, betrachtete sie, die ebenfalls neugierig auf ihr Werk schaute. Im Spiegel trafen sich ihre Augen: schmal, dunkel. Wir gingen glatt als Schwestern durch, sagte er. Die gleiche Größe, die gleichen Augen und nun auch die gleichen Haare. Wenn wir keine Perücke tragen. Selbst unsere Gesichter sind sich ähnlich. Findest du nicht? Absolut der gleiche Typ.

    Wie wir dann aufeinander gekommen sind, meinte sie nachdenklich. Man sagt doch, Gegensätze ziehen sich an.

    Wie Schwestern!, wiederholte er und versuchte, sie zu küssen. Sie wich aus. Es gefällt dir! sagte sie. Oh Gott, es gefällt dir auch noch!

    Es gefällt mir nicht, erwiderte er trocken.

    Nicht viel später trat aus dem Haus, in dem Tanja lebte, eine schmale, große Blondine. Sie ging mit kleinen wie aufgezogen wirkenden festen Schritten und schien es eilig zu haben. Einmal wandte sie ihr Gesicht kurz zur Seite.

    Die Straße menschenleer, was sie noch breiter erscheinen ließ, noch düsterer. Die Fassaden der großen Miethäuser, eines an das andere gebaut, teils dunkelgrau und heruntergekommen, teils herausstaffiert. Die hellen Wände allerdings mit nur für Eingeweihte entzifferbaren breiten Schriftzügen überzogen. Der Gehweg vor Zeiten ausgebessert, in der Mitte große Platten, manche zerbrochen von den vielen Tritten über ein Jahrhundert hin. Die Seiten mit kleinen Steinen gepflastert, einige waren nach diesen und jenen notwendigen wie unnötigen Erdarbeiten verloren gegangen.

    Mit einem Mal war da ein Mann auf der Straße. Groß, dünn und sehr jung. Obwohl er nicht schnell lief, blieb der Abstand zwischen ihm und der Blondine gleich.

    Die Straße querte eine andere Straße, ebenso breit und nachtdüster.

    Sie schien kein Ende zu nehmen, ebenso nicht der Weg der Blondine und der Weg des dünnen Jungen. Die S-Bahn durchschnitt das Viertel. Die Blondine bog auf die Hauptstraße ab, dann wieder in eine Nebenstraße ein und nahm bald die alte Richtung stadtauswärts. Der Junge folgte ihr. Er schien wie magisch angezogen. Eine Allee begrenzte das Viertel. Die Blondine ging über die eine Asphaltfahrbahn, den mit alten Bäumen bestandenen parkähnlichen Mittelstreifen, die andere Fahrbahn, in nun ein eher kleinstädtisches Viertel mit schmalen Straßen, kleineren Häusern, zwischen denen es auch einmal Lücken gab. Auf den Höfen hier und da Werkstätten. Der Junge ließ von seiner sanften Verfolgung nicht ab. Es konnte ihm nun klar geworden sein, sie war nicht zu einer Bekannten, einem Freund unterwegs. Dann hätte sie die Straßenbahn, die S-Bahn genommen. Vielleicht hatte sie kein anderes Ziel, als ihn zu locken. Was wollte sie? Vielleicht machte ihn dieses zielsichere Gehen unsicher. Und noch etwas musste ihm auffallen: dieser Gang, so puppenhaft. War sie es überhaupt?, musste er denken. Doch als er vorhin in einem Hauseingang auf sie gewartet hatte, musste ihm ihr starker Duft in die Nase gedrungen sein. Seine eventuellen Zweifel wären damit zerstreut worden.

    Die Straßen in diesem ehemaligen Vorort hatten willkürliche Verläufe. Die Blondine schien weiter zu wissen, wohin sie wollte. Jetzt musste es auch dem großen, dünnen Jungen klar werden.

    Der Park war nicht sehr groß. Ein See in der Mitte, auf dem Schwäne und Enten schwammen. An Sommerwochenenden war er übervölkert. In dieser kalten Jahreszeit ging da nachts niemand. Selbst die Leute, die ihre Hunde ausführten, mieden ihn.

    Der große Junge brauchte bloß, stehen zu bleiben. Anscheinend war die Verlockung übermächtig. Seit Monaten folgte er ihrer Spur. Rief sie an, schrieb ihr Briefe. Belagerte sie. Er war besessen von ihr. Gleichgültig, was sie wollte, mochte er jetzt denken. Er mochte sich stark fühlen. Sicher war er stark. Was sie auch im Schilde führte, er würde ihr überlegen sein. Und wenn sie endlich nachgab? Das konnte auch ein Gedanke sein, den der große Junge hatte. Ja, wenn er sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hatte, sie zu bekommen, musste er an einen Erfolg glauben.

    Die Bäume im Park alt. Man hatte sie wachsen lassen, anders als die Armen, Dünnen an den Straßenrändern der Stadt. Mächtige Leiber, mächtige Arme hatten sie, nahmen von dem wenigen Licht weg, das der Stadthimmel gab. Ob es dem Jungen unheimlich wurde? Ob er den Gedanken hatte, umzukehren? Ader seine Gier war stärker.

    Die Blondine blieb stehen. Drehte sich um. Sah auf den großen, dünnen Jungen. Nun war er ihr ganz nah, nahm wieder ihren Duft wahr, sah in ihre dunklen, schmalen Augen. Das Gesicht schmal, die Lippen voll und stark geschminkt. Und so blond war sie. So entsetzlich blond. Jetzt kam es auf sie an. Wenn sie ihn wollte, würde er ihr zu Füßen fallen. War sie darauf aus, ihn fertigzumachen, würde er alles mit ihr tun, was ihm einfiel. Und ihm fiele garantiert eine Menge ein. So dachte der Junge wahrscheinlich. Tanja?, sagte er. Seine Stimme heiser. Er hatte lange nicht geredet. Was willst du?

    Die Blondine lächelte.

    Tanja?, wiederholte der Junge, wurde mit einem Mal unsicher.

    Die Augen, ja, die waren es, der Duft, den kannte er. Aber dieses Lächeln. Sie lächelte so eigentümlich. Als würde sie ihn gleich hereinlegen. Oder als hätte sie ihn schon hereingelegt.

    Die Blondine lächelte noch immer. Aber das Lächeln verwandelte sich. Verführerisch wurde es. Sie wollte ihn. Ja, sie wollte ihn! Aber warum hier? Warum um diese Zeit?, ging es dem Jungen durch den Kopf.

    Und dann machte die Blondine mit ihrem Körper, ihren Hüften Bewegungen,

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