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Zehn gute Jahre Teil2: Der Rausch des Fliegens
Zehn gute Jahre Teil2: Der Rausch des Fliegens
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eBook444 Seiten6 Stunden

Zehn gute Jahre Teil2: Der Rausch des Fliegens

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Über dieses E-Book

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung.

Fritz Kleins Alltag ist wie der seit Generationen. Aber Auto, Telefon, Radio, Kühlschrank, Kino, bald sogar vom Sofa aus, und vor allem Flugzeuge lassen eine völlig neue Lebensweise ahnen. Gemeinsam mit Eva, seiner ersten und wahren Liebe genießt er ein Deutschland, in dem es nach der Not und der unfähigen Demokratie steil aufwärts geht. Jeder hat Arbeit, alle sind gleich und ziehen an einem Strang. Nie war die Zukunft besser.

Teil 2 Der Rausch des Fliegens: Das Fliegen beginnt für Fritz Klein auf dem hölzernen Gestell im luftigen Sitz des Schulgleiters 38, einem Meisterstück aktueller Technik. Das sollte sich sehr schnell ändern.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Aug. 2020
ISBN9783752986976
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    Buchvorschau

    Zehn gute Jahre Teil2 - Friedrich Haugg

    Kap.8 Hornberg

    Es war Weihnachten und der erste Urlaub als Soldat. Seine Eltern bestaunten den erwachsenen Sohn und die blaugraue Uniform, an deren Ärmel ein V-förmiger Winkel angenäht war. Sein Vater sagte, er wäre jetzt genau so viel wie er, obwohl er dafür zwei Jahre und die Teilnahme an einem Weltkrieg benötigt hatte. Und dass seine Uniform grau gewesen war, die Farbe richtiger Soldaten. Fritz war trotzdem stolz, jetzt schon Gefreiter zu sein. Mandi war auch da, er hatte noch kein V, er war Gebirgspionier und da ging es nach alter Tradition. Mandi störte das nicht. Fritz war in seinen Augen ohnehin kein echter Soldat, aber er war sein Zwillingsbruder. Seinen Schwestern sagte das alles nichts, sie lebten in einer anderen Welt. Walter war bei seiner Zukünftigen in Essen geblieben und Hans würde etwas später zu ihnen stoßen. Seine Einheit benötigte ihn noch wegen irgendwelcher Verwaltungsangelegenheiten.

    Was Fritz bekümmerte, war die Art, wie seine Grundausbildung und vor allem ihre Kameradschaft geendet hatte. Die Abschlussfeier mit der Verleihung der Dienstgrade war steif und stinklangweilig gewesen. Alle Vorgesetzten bis einschließlich der Kompaniechefs und noch einige andere Dienstgrade, die niemand kannte, wollten sich das großartige Fest nicht entgehen lassen. Der Weihnachtspunsch war das einzige Getränk und damit für alle Dienstgrade gleich. Fritz vermutete, dass sich der Alkoholgehalt erst später im Gedärm mit Hilfe der Gärung des übermäßig beigefügten Zuckers entwickeln würde. Es leistete jedenfalls keinen Stimmungsbeitrag. Die unvermeidlichen Plätzchen, Kekse hießen die in Norddeutschland, waren militärisch einförmig und stammten wohl aus Beständen des Heeres, weil sie neutralgrau waren. Dafür waren sie nicht besonders süß, was aber durch kein anderes Aroma substituiert wurde. Pappe schmeckt vermutlich ähnlich, fanden sie, probierten aber so lange herum, bis nichts mehr da war. Unterfeldwebel Schön sagte jedem, ob er es hören wollte oder nicht, dass er noch nie eine so schlappe Truppe von Weicheiern entlassen habe und es war klar, dass dies zu seinem jämmerlichen Standardrepertoire gehörte. Die Verabschiedung von den Kameraden war kurz, jeder dachte schon an den Heimaturlaub und sie zerstreuten sich in alle Winde, denn jeder hatte nichts Eiligeres zu tun, als diesen Ort der Qualen zu verlassen. Das war's. Alle gemeinsamen Höhen und Tiefen, die sie zu einer echten Männergemeinschaft zusammengeschweißt hatten, in einem Augenblick vergessen, weggewischt, nur noch ein Teil persönlicher Erzählungen. Übrig blieben ein paar komische Fotos, eher peinlich als heroisch und höchstens geeignet, die eigene Erinnerung aufzufrischen. Die Kinder und Enkel würde man später einmal nicht damit begeistern können. Das Schlimmste für Fritz war, dass alle fröhlich und ohne Bedauern auseinandergingen. Nicht einmal die Adressen wurden ausgetauscht, was wenigstens einen Schein von Dauerhaftigkeit erzeugt hätte.

    Hier lernte Fritz etwas fürs Leben, fürs Soldatenleben. Kameradschaft war etwas Universelles. Die Personen waren austauschbar. In einer neuen Einheit würden sie ebenso zufällig zusammenkommen wie hier bei der Grundausbildung. Und sofort wären sie wieder alle Kameraden. Jeder von ihnen war es so gewohnt und, nicht zu vernachlässigen, alle waren irgendwie gleich und somit austauschbar. So stellte sich die Führung echte Soldaten vor. Nun denn.

    Die plötzliche Freiheit war für Fritz wie ein Fall in den luftleeren Raum. Niemand hatte ihm gesagt, wie es weiterging. Er hatte lediglich einen Urlaubsschein erhalten, der ihm erlaubte, zwei Wochen zu machen, was er wollte.

    „Keine Sorge, hatte Wolfrum am Schluss auf seine diesbezügliche Frage gesagt. „Die vergessen sie schon nicht. Machen sie sich keine falschen Hoffnungen. Ich weiß aber auch nicht, was mit ihnen weiter passiert. Auf jeden Fall, alles Gute und halten sie die Ohren steif..

    „Was werden sie machen?".

    „Na, was wohl. Die nächsten Wickelkinder warten schon.".

    „Ach so. Machen sie das bis zum Ende ihre Dienstzeit?"

    „Machen sie sich darüber keinen Kopf. Es wird sich schon ergeben." Wolfrum hatte die richtige Einstellung.

    „Mandi, unternehmen wir was? Zu Hause ist es unerträglich." Das Fest war in der Tat nur noch ein schaler Abgesang früherer Zeiten. Natürlich gab es einen Weihnachtsbaum, natürlich wurde 'Stille Nacht' gesungen und 'O Tannenbaum' und 'Kommet ihr Hirten' und 'Ihr Kinderlein kommet' und Gretl, Trudl und Hans hatten diese Lieder auch kunstvoll mehrstimmig aufgeführt, und sehr zum Wohlgefallen ihrer Eltern auch noch unbekannte Lieder von nach Fritz' Ansicht zu recht unbekannten Komponisten. Fritz und Mandi sahen sich besonders dann, wenn Gretl ihre Tremolosopranstimme in nie erreichte Höhen schraubte, vielsagend an und waren froh, dass diese Art der Kunstausübung von endlicher Dauer war. Es gab auch Geschenke. Keine überraschenden Spielsachen, die den Abend für die Kinder immer so besonders gemacht hatten, sondern Selbstgestricktes, das sich hauptsächlich dadurch auszeichnete, dass es nicht gut passte und auf der Haut kratzte. Dazu kam, dass ihr Vater sehr wortkarg war und die meiste Zeit nur auf die Kerzen stierte und sehr weit weg schien. Fritz wollte sich nicht mit Nachfragen und schwierigen, verschlüsselten Gesprächen belasten. Er hatte das Gefühl, dass er seinem Vater nicht wirklich helfen konnte, weil er nicht einmal wusste, was die Ursache seiner Abwesenheit war. Auch seine Mutter hielt sich offensichtlich bedeckt und konnte nichts oder wollte nichts sagen. Die Schwestern waren ihm auch fremd geworden. Zu ihrer Welt aus Häuslichkeit und Musizieren hatte er keinen Zugang.

    „Tut mir leid, Bruder, sagte Hermann. Wir haben schon etwas vor. Meine Gruppe und die achte Gruppe der Gebirgsjägerkompanie in Garmisch machen einen Wettkampf. Wir starten am Eibsee und machen ein Rennen über den Jubiläumsgrat bis wieder hinunter zum Skistadion. Wir wollen den Bergsteigern einmal zeigen, was deutsche Pioniere in der Lage sind zu leisten.

    „Es ist Winter, Mandi."

    „Ja eben. Das macht doch den Reiz."

    „Es wird früh dunkel und es liegt viel Schnee dieses Jahr."

    „Du redest wie ein Schreibstubenheini. Komm doch mit."

    „Nein, Mandi. Ich würde euch nur aufhalten."

    „Versteh' schon. Hätte mich auch gewundert. Du warst schon immer ein Hedoniker, vulgo stinkfaul. Gut, dass du Flieger werden willst. Ist nicht so anstrengend. Mir wäre das eindeutig zu langweilig, immer alleine in so einer kleinen Kiste hocken und nichts tun als ein paar Hebel bewegen. Keine echten Kameraden, auf die man sich verlassen muss und mit denen man durch dick und dünn gehen kann."

    „So kann man das auch sehen", sagte Fritz ein wenig abwesend und fand schon, dass da etwas dran war. Vor allem dann, wenn man das berauschende Gefühl nicht teilte, sich im dreidimensionalen Raum völlig frei zu bewegen. Wir Menschen sind in Wirklichkeit nur Oberflächenwesen, Grenzflächenwesen um genau zu sein. Wir gehen auf dem Land, wir schwimmen auf dem Wasser und am besten finden wir es, wenn drei Flächen aufeinander treffen: Land – Luft, Land – Wasser und Wasser – Luft. Das heißt nämlich am Strand in der Sonne liegen mit Susi. Er sehnte sich nach ihrer Nähe, in diesem Falle vor allem nach der körperlichen Nähe.

    Echtes dreidimensionales Bewegen erfahren nur die Taucher und die Flieger. Die Taucher müssen aber mit lästigen Geräten für die Atemluft sorgen. Da war eine Kiste, wie Mandi es nannte, schon wesentlich erfreulicher. Vor allem, wenn sie auch noch offen war und die Luft einem ins Gesicht geblasen wurde. Ach ja, dachte er, hoffentlich erlebe ich das bald. 'Es gibt eben Flieger und Fußgänger', hatte er einmal gehört, aber er sagte es nicht, weil er selbst zur zweiten Gruppe gehörte. Noch.

    Der Weihnachtsgedächtnismarsch hatte Fritz gereicht. Jetzt auch noch freiwillig etwas Ähnliches zu unternehmen und dabei 2000 Höhenmeter bei Frost und Schnee zu überwinden, gehörte nicht zu seiner Favoritenliste für ein erfülltes Leben. Er beschloss, nach Riegsee zu fahren. Dort hatte er ja noch seine Wohnung und dorthin würden die neuen Anweisungen zu seinem weiteren Tun gesandt werden.

    Er zog bewusst seine luftwaffenblaue Ausgehuniform an mit dem aufgenähten Gefreitenwinkel. Ansonsten gab es leider noch keinen Schmuck an Brust und Kragen. Doch, das Sportabzeichen in Bronze. Er hatte einen Wortfetzen aufgeschnappt, der besagte, dass man das auf der Uniform tragen durfte. Ob das stimmte und ob er damit Vorschriften verletzte, war ihm eigentlich egal. Es schmückte die kahle Uniform wenigstens ein bisschen. Vielleicht würden Außenstehende gar nicht wissen, was es bedeutete. Das machte die Sache noch besser.

    Der erste Bekannte, den er traf, war der Bauer Pulver, sein Vermieter. „Und, wie is'n des mit'm Fliagn? Is ganz sche gfährlich, stimmt's? Warst besser Lehrer bliem, oder?"

    Fritz wollte ihm nicht erklären, warum er bisher noch kein Flugzeug aus der Nähe gesehen hatte und wich aus. „Ja, Lehrer ist schon schön. Aber ich hätte ja doch nicht hier bleiben können. Habt ihr schon einen neuen Lehrer?"

    „Ja, die kimmt nachn Ferien. Is a Lehrerin. So was gibt’s heid. Is aber so a Vatrocknete, a übrig bliems Freilein, wennd vastehst. Hoaßt a no Maria. Maria Dolorosa, woaßt scho und so schaugd die a aus."

    „Ach so. Die braucht ja eine Wohnung, oder?"

    „Ja scho. Deine hoid. Du muasst dei Zeug dann wegschaffn. Hast aber no a bisserl Zeit."

    Fritz bekam einen gehörigen Schreck. Aber eigentlich hätte es ihm ja klar sein müssen. Er hatte sich bloß mit dem Gedanken noch nicht auseinandergesetzt. Er war in letzter Zeit so behütet und mit allem versorgt gewesen. Das war schon ein unbestreitbarer Vorteil des Soldatenlebens. Sich nicht um die vielen kleinen zeit- und energieraubenden Dinge kümmern zu müssen, die der normale Alltag mit sich brachte. Planen, die ständige Sorge, etwas Wichtiges zu vergessen, Saubermachen, Einkaufen, Essen bereiten, die vielen bürokratischen Akte, all das wurde von anderen im Hintergrund professionell und vollständig erledigt.

    Dass das übrig gebliebene Fräulein mit seinen Kindern ordentlich Sport machen und Flugzeugmodelle bauen oder sie mit dem Orff'schen Schulwerk weiterbilden würde, konnte er sich nicht vorstellen und er bedauerte seine Zöglinge, die ihm auch ans Herz gewachsen waren. Überall nur und immer wieder Abschied vom schönen Leben, das man sich aufgebaut hatte. Die Welt war nicht lieb zu ihren Menschen. Fritz war weit davon entfernt, an eine göttliche Fügung zu glauben, schon gar nicht an eine Belohnung und Bestrafung. Er fand aber, dass die Erkenntnis, ein Spielball der Zufälle und des undurchsichtigen, komplexen Netzes menschlicher Interessen zu sein, sehr ernüchternd war. Die Aussichten, erfolgreich sein Schicksal selbst zu gestalten, waren im Grunde sehr gering. Andererseits: Er wollte Flieger werden und er war eindeutig auf dem Weg dazu. Dieser Gedanke hielt ihn davon ab, augenblicklich in eine tiefe Depression zu fallen. Wenn wenigstens Susi Mader da wäre.

    Als er gut sichtbar durchs Dorf flanierte, kamen ihm Gerti und Trudi händchenhaltend entgegen.

    „Herr Lehrer, Herr Lehrer, riefen sie auf ihn zurennend. „Du siehst aber toll aus. Bist du jetzt ein General?

    „Nein, sagte Fritz lachend. „Noch nicht ganz. Aber das wird schon noch. Was macht ihr so und wie geht es euch und den anderen?.

    „Wir gehen auf eine Feier von, ach was, wissen wir nicht. Aber es ist lustig da und es gibt jede Menge Plätzchen und Kinderpunsch. Wiedersehen, Herr Lehrer." Die Feier war im Augenblick das Wichtigste in ihrem Leben.

    Mehr Bekannte traf er nicht. Auch zum Stammtisch am nächsten Abend wollte er nicht gehen. Er versuchte, Werner Hildebrand aufzusuchen. Auf dem Türschild stand ein anderer Name. Er fand niemand, den er fragen wollte. Und eigentlich sollte es ihm doch gleichgültig sein, welche Neuigkeiten in Riegsee zu berichten waren. Riegsee war abgeschlossen. Für immer. Er musste nur noch seine wenigen Habseligkeiten packen. Aber wohin sollte er? Er beschloss, erst einmal wieder die Adresse seiner Eltern anzugeben. Das Weitere würde sich finden.

    .

    Die Tage waren lang und dunkel. Außer ein paar kurzen Spaziergängen am winterlichen See, der dieses Jahr noch nicht einmal zugefroren war, ging er nicht mehr nach draußen, sondern las und hörte Radio, was ihn beides zunehmend langweilte. Draußen war er ein Niemand, ohne Uniform wurde er nicht einmal bemerkt. Er fragte sich manchmal, ob er vielleicht tatsächlich unsichtbar war. Nein, denn dann wären ihm Entgegenkommende nicht ausgewichen, wenn er sinnierend zu Boden schaute und sich entgegen seiner gewohnten Höflichkeit nicht vom Weg abbringen ließ. .

    .

    Der Brief war eine wahre Erlösung. Der Gefreite Fritz Klein habe sich am 11. Januar auf dem Flugplatz des NSFK am Hornberg einzufinden und beim Obersturmführer Hoffmann zu melden. Flugplatz war gut. Wo Hornberg war, wusste er nicht. Ein Freifahrtschein der Reichsbahn war beigelegt. Er gab aber keine Auskunft darüber, welche Züge er in welcher Reihenfolge zu nehmen hatte. Befremdlich waren die beiden Worte NSFK und Obersturmführer. Diesen Dienstgrad hatte er nicht gelernt und er konnte ihn auch nicht einordnen. Und NSFK hieß seines Wissens nach Nationalsozialistisches Fliegerkorps. Gehörte das überhaupt zur Luftwaffe? Nun, die werden es schon wissen. .

    .

    Die nächsten Tage waren ausgefüllt von lästigen und ermüdenden Tätigkeiten. Er kaufte sich in Murnau zwei große Reisesäcke, in die er sein Hab und Gut verstauen konnte. Er musste sich abmelden, dem Bauern Pulver die Schlüssel übergeben, der wenigstens keine Renovierung einklagte, sondern nur 'Pfiad di' sagte. Dann schleppte er seine Sachen zum Bahnhof und gab das Gepäck auf. Dafür konnte er die Freifahrt nicht nutzen. Eine Umwandlung von Personenverkehr in Güterverkehr war nicht vorgesehen. Es gab kein Formular dafür. Aber er fand seine freie Entfaltung wichtiger als eine freie Fahrt. Mit einem kleinen Rucksack knatterte er dann auf seinem Pony, das freudig angesprungen war, in gemütlicher Fahrt nach Hause, zumindest dahin, wo ursprünglich sein Zuhause war. Es war saukalt, trotz der dicken Kleidung und er träumte von der spätsommerlichen Fahrt zum Chiemsee und von Susis Knien. 'Mach dir ein paar warme Gedanken', hatte Mandi ungewohnt ordinär immer gesagt, wenn Fritz zu sagen wagte, es wäre ihm kalt und die Kleidung nicht ausreichend. Mandi plapperte den Spruch wohl nur nach, ohne zu wissen, was er bedeutete. Frieren vertrug Fritz nicht gut. Er hatte immer das Gefühl, seine Stoffwechselvorgänge wären verlangsamt und sein Blut würde eindicken bis es gar nicht mehr fließen konnte. Nach dem unangenehmen Gefühl auf der Fahrt nach München entschloss er sich schweren Herzens, nicht mit seinem geliebten Pony zum Hornberg zu fahren. Er würde es im Frühjahr nachholen. Wenn er überhaupt so lange da bleiben musste.

    Schwäbisch-Gmünd war ein belangloser Ort mit Menschen, die ernst und geschäftig umhergingen, wie sie es sicher auch schon vor der Aufbruchstimmung taten, die alle erfasst haben sollte. Außerdem war ihr Dialekt deprimierend kleinbürgerlich. Ein Dialekt spiegelt den Charakter einer Volksgemeinschaft wider, befand er und sehnte sich jetzt schon nach der Härte des bayrischen Klangs und seiner Direktheit. Hier war alles nur nett und lieblich, ein Haus hieß Häusle, eine Semmel Brötle und sogar ein Baum wurde zu einem Bäumle. Das konnte doch nicht alles ehrlich gemeint sein. Die Menschen waren hier sicher genauso gut gelaunt oder grantig wie anderswo. Aber der Stimmungsunterschied war nicht erkennbar. Für grantig oder fad hatten die sicher kein eigenes Wort.

    Ein Bus, der täglich einmal fuhr, lange nicht so schön wie der von Hansis Vater, aber innen und außen blitzsauber, natürlich, brachte ihn zum Hornberg. 'Berg' schien ihm deutlich übertrieben, das war eher ein Bergle, ein Hornbergle, dachte er amüsiert. Eine Art Plateau war bestückt mit einer Reihe von grauen einstöckigen Gebäuden, der Blick fiel auf eine längere Spur im Gras und eine zweite Bahn im Winkel von etwa 60 Grad dazu. Links ging es auf ein paar waldige Höhen, rechts fiel das ebenfalls bewaldete Gelände ab zu einer Ebene, die im grauen Wolkendunst im Nirgendwo verschwand.

    Das also war eine der berühmten Flugschulen des NSFK, der sich die privaten Schulen und Clubs einverleibt hatte. Na prima, dachte er und ob dies das wirkliche Ziel seiner Träume sei. Er betrat das erstbeste Gebäude, weil er kein Unterscheidungskriterium fand. Es roch, das musste er zugeben, ausgesprochen verlockend hier. Der Duft von Braten schwebte im Raum und half seine Stimmung ein wenig zu verbessern. Ein Mensch in einer ihm unbekannten, grauen Uniform kam ihm in den Weg und Fritz fragte ihn im besten hochdeutsch, weil er die Landessprache nicht beherrschte.

    „Der Obersturmführer Hoffman? Ja der, der isch ned do, der kommt nur zum Fressa her. Da muaschd im neggschde Heisle aglopfn. Weisch, des graue do."

    Alle Häuser waren grau. Aber das nächste Gebäude war vielleicht mit gutem Willen ein wenig mehr grau.

    An einer Tür stand schon mal der Name seiner Zielperson und nach höflichem Klopfen hörte Fritz ein deutliches 'Herein'.

    Der Obersturmführer hatte die gleiche Uniform unbestimmter Farbe und Fritz dämmerte es, dass das die Kleidung der NSFK - Leute sein könnte. Hoffmann war ein Mann in den späten Fünfzigern. Er hatte zumindest in letzter Zeit nicht hungern müssen und sein Gesicht bewies, dass auch alkoholische Getränke auf dem Hornberg zu finden waren.

    „Willkommen bei uns, Gefreiter. Ich bin schon informiert. Hatten Sie eine gute Fahrt?" Das klang schon einmal ganz nett.

    „Danke, Herr äh."

    „Obersturmführer. Bei ihnen ist das so etwas wie Oberfeldwebel, sie verstehen?"

    „Aha. Aber warum.."

    „Wir sind hier kein Militär. Wir sind eine eigene Organisation. Versuchen sie nicht, das zu verstehen. Wir verstehen es selber nicht." Obersturmführer Hoffmann wurde ihm sympathisch.

    „Was soll ich als Nächstes machen?"

    „Ach so, ja. Setzen sie sich erst einmal. Wollen sie einen Kaffee?"

    „Gerne. Danke, Herr Obersturmführer."

    „Immer die korrekte Ausdrucksweise, Herr Gefreiter, oder? Ja, gelernt ist gelernt. Eine gute Grundausbildung ist eben von Vorteil. Das trifft man nicht bei allen an, die hier anfangen. Aber die meisten sind ja noch so jung. Das wird schon werden, oder?" Fritz nickte, wusste aber nicht genau, was gemeint war.

    „Sie wohnen erst einmal mit fünf anderen in einer Stube. Wenn sie ein bisschen länger hier sind, könnte ich mir vorstellen, dass sie auch ein eigenes Zimmer bekommen. Hängt von ihren Leistungen ab. Sie verstehen? Fritz nickte wieder. „Ich selbst bin kein Flieger und war Gott bewahre, Gott sei Dank auch noch nie in so einem Ding gesessen. Ich kümmere mich um alles andere.

    „Wie ein Kompaniefeldwebel."

    „So könnte man das nennen. Also, ich zeige ihnen dann die Stube, die anderen sind noch unterwegs. Sie werden sie schnell kennen lernen. Essen gibt’s um sechs. Die Kantine ist.."

    „Ah, ich weiß. Da war ich schon, hat gut gerochen."

    „Ja, ja. Unser Koch ist gut. War früher bei der Marine. Handelsmarine, zivil, sie verstehen."

    „Und wann beginnt ein neuer Kurs?"

    „Hat schon lange begonnen. Sie kommen da aber schon mit. Die Schüler haben bisher etwas über Aerodynamik gelernt, aber ich denke, das wissen sie schon. Sie haben doch selbst ein Modellflugzeug konstruiert."

    „Was sie alles wissen. Aber es stimmt schon."

    „Auch wenn wir nur der NSFK sind, wissen wir alles. Hoffmann grinste. „Die Bürokratie in unserem Staat funktioniert prächtig. Wenn nur alles andere auch so gut funktionieren würde. Fritz ersparte sich eine Nachfrage, um Hoffmann nicht in Verlegenheit zu bringen.

    „Wie geht es morgen weiter?"

    „Sie werden von unserem Fluglehrer erst einmal herumgeführt, damit sie wissen, wo alles ist. Das ist um acht Uhr nach dem Frühstück und Morgenappell. Und dann geht es ab in die Werkstatt. Alles Weitere wird ihnen dann gesagt werden."

    „Was ist mit dem Waldlauf?"

    „Was für ein Waldlauf? Sie können laufen, so oft sie wollen, auch im Wald, aber in ihrer Freizeit." Das war gut, sehr gut sogar. Fritz fühlte sich bei dem Gedanken, in ein festes Zeitschema eingeordnet zu werden, nicht unwohl. Und was das Beste war, der Waldlauf gehörte nicht dazu.

    Die Stube glich der in Braunschweig. Nur gab es keine Stockbetten, sondern sechs einzelne Schlafstätten. Das war eindeutig ein Fortschritt.

    Und dann stürmten wild und laut seine Mitbewohner herein.

    „Hallo, Heil Hitler. Sind sie unser neuer Fluglehrer, Herr Gefreiter?" Es war der Größte unter ihnen, zehn Zentimeter höher als Fritz, atemlos wie die anderen auch und offensichtlich ihr informeller Anführer.

    „Grüß Gott, alle miteinander. Nein, ich bin ganz und gar nicht euer Fluglehrer. Ich bin Lehrer, das schon, aber in einer normalen Schule."

    „Ja, sollen sie uns dann Unterricht geben in Deutsch und Rechnen und so? Das hatten wir aber schon vor Jahren", sagte ein blonder Junge, der so arisch aussah, wie man nur arisch aussehen konnte. Der war nicht echt, dachte Fritz, den haben sie in irgendeiner Firma zusammengebaut als Modell für die zukünftige Rasse.

    „Nein, nein. Fritz lachte. „Ich bin genauso Anfänger wie ihr. Vielleicht noch etwas mehr als ihr, weil ich jetzt erst dazustoße.

    „Versteh' ich nicht. Sie sind doch viel zu alt."

    „Danke. Vielen Dank. Aber so ist das nun mal. Ich verstehe auch nicht alles, was so läuft."

    „Haben sie schon Freundinnen gehabt?" Der das fragte, erinnerte Fritz an Franz Schurer und dessen Karriere im Bordell. Aber dieser Knabe hier war noch viel zu jung dafür. Lediglich das Interesse machte sich schon bemerkbar. Gleich würde er ihn fragen, ob er schon mit vielen Mädchen geschlafen habe und wie das geht und wie es war.

    „Also, jetzt stellen wir uns erst einmal vor. Mein Name ist Fritz Klein und duzen sollten wir uns auch. Alles andere wäre komisch."

    Sie hießen Hans, Franz, Karl, Otto und Heinz. Alles gute deutsche Namen, zu denen seiner auch passte. Nur, sie waren zwischen 15 und 18 Jahre alt, eine Altersgruppe, mit der Fritz noch nichts zu tun hatte. Die Erinnerung an seine eigene Pubertät verblasste schon ein wenig. Über was konnte man mit denen reden? Für Sex war es zu früh, für Politik vermutlich auch, fürs Essen interessierten sie sich nicht und es war noch nicht das Zeitalter angebrochen, in dem Klamottenmarken, Autos und elektronische Spielereien ein Thema gewesen wären. Vielleicht über Sport?.

    „Du hast schon die Grundausbildung gemacht. Erzähl mal. Habt ihr da auch geschossen?" Aha. Militär war ein Thema.

    Sie hingen an seinen Lippen, bis Fritz bemerkte, dass es Zeit zum Essen war. Sie gingen in die Kantine und Fritz musste weiter erzählen. Schießen, Nachtübungen und Märsche fanden sie am interessantesten und Fritz versuchte, schlicht und realistisch zu bleiben und die unangenehmen und peinlichen Dinge wegzulassen.

    'Das will ich auch bald machen', war die einhellige Meinung und damit wusste Fritz, dass er es falsch erzählt hätte. Ein guter Nebeneffekt war aber, dass sie gehörig Respekt vor ihm bekommen hatten. Nicht dass ich studiert und Kinder zu guten Menschen erzogen habe, hatte das bewirkt, sondern dass ich nachts im Dreck gerobbt bin und auf Pappkameraden geschossen habe, dachte er ein wenig bitter.

    Sie gingen gemeinsam in den Waschraum, die großen Kinder putzten sich nur die Zähne und spritzten sich Wasser ins Gesicht. Fritz hatte das Bedürfnis zu duschen und genoss ausgiebig das warme Wasser. Dann zog er sich noch einmal an und ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Als er wieder hereinkam, blieb er neugierig vor der Tür stehen, weil er Stimmen hörte.

    „Also, der hat ja viele Haare am Sack. Vielleicht wächst das bei mir ja gar nicht so."

    „Aber meiner ist viel größer."

    „Dafür kann der bestimmt länger als du. Der sieht ganz schön trainiert aus." Fritz wusste jetzt nicht, ob seine Gesamtfigur gemeint war oder nur sein bestes Stück. Das also waren die heimlichen Themen der völkischen und rassischen Jugendelite. Die Libido hatte sich bereits gemeldet. Mädchen, mit denen man sie ausleben konnte, waren hier nicht. Sie waren auch noch viel zu jung dafür. Ebenso wie für Bordelle, die es außerdem in diesem Ländle bestimmt nicht gab. Also Selbstbefriedigung, wenn das Verlangen zu heftig wurde. Richtig alleine damit war man hier aber auch nicht. Erst würde man heimlich beobachtet, dann erhöhte sich der Reiz, indem man die Beobachtung erkennbar macht. Dann… Der Weg zum Schwulsein dürfte hier sehr kurz und gerade sein. Als Schwuler konnte man, sexuell gesehen, den ganzen Tag aus dem Vollen schöpfen. Vor allem das Duschen mit ausführlichem Einseifen aller Teile in unmittelbarer Körper- und Sichtnähe zum anderen, wäre doch eine ständige Quelle lustvoller Gedanken. Aber eine Kampftruppe, deren Lieblingsbeschäftigung Duschen und Schlafen ist, wäre doch relativ ungeeignet. Von den Beziehungsproblemen, die unweigerlich auftreten würden, weil alte Vorstellungen von Treue und Liebe ja auch bei Schwulen vorhanden wären, einmal abgesehen. .

    Nein, die Vordenker tun gut daran, es streng zu verbieten. Noch ein Aspekt: Schon die Katholiken haben die Qualen verbotenen Tuns als eine ergiebige Quelle der Lust erkannt. Das war schon alles in Ordnung so. Durch Vorschriften eindämmen war richtig, denn den sexuellen Trieb zum Beispiel chemisch abzuschalten wäre nämlich auch keine Lösung. Dann wäre der Kampfgeist auch abgeschaltet. Eine gewisse Bewunderung musste man den Vordenkern schon zugestehen. Sie konnten den größten Feind ihrer Macht nicht besiegen, also nutzten sie ihn, indem sie eine kleine Kurskorrektur vornahmen. Er dachte an Susi und fand, dass sie mit ihrer reinen Lust am Spielen nicht ins System passte. Sie war der Prototyp des freien, zufriedenen und friedfertigen Menschen und sie war damit völkisch unbrauchbar. Er hoffte nur, dass es niemand bemerkte und in ihr Leben gewaltsam eingriff.

    Beim morgendlichen Duschen fiel ihm einer der Jungen auf, er meinte, dass er Otto hieß. Sein Körper glich dem von Susi in einem Maße, dass es ihm den Atem verschlug. Die braune, makellose Haut, die feinen, aber muskulösen Oberschenkel, der feste Knabenpo, die breiten, aber nicht zu maskulinen Schultern, einfach unglaublich. Natürlich fehlte jeder Ansatz eines weiblichen Busens, obwohl, auch Susis Brüste waren ungewöhnlich klein, und natürlich hatte er einen gut sichtbaren und ausgesprochen wohlgeformten Penis. Sein Gesicht war männlich hübsch, aber völlig anders und es deutete nichts auf eine enge Verwandtschaft hin. Ob er ein ähnliches, experimentierfreudiges Wesen hatte, wollte Fritz lieber nicht wissen. Susi fehlte ihm wieder einmal sehr.

    Der Morgenappell war ein schwacher Abglanz militärischer Präzision, aber es wäre nicht Fritz gewesen, wenn ihn der Mangel gestört hätte. Der Fluglehrer, er stellte sich doch tatsächlich als Hans Albers vor, war vermutlich um die Vierzig und erzählte ihnen, dass er im Weltkrieg Jagdflieger war, seine letzte Maschine ein Fokker – Dreidecker, wie ihn Richthofen geflogen habe. Außerdem führte er noch irgend etwas aus, was wie Ritterlichkeit und nach edlem Kampf von Mann zu Mann klang und was mit den heutigen Maschinen zunehmend verloren ging, weil die Flieger dem Gegner nicht mehr Auge in Auge gegenüber traten. Die zunehmende Entfernung mache den Kampf abstrakt und mehr zu einem Spiel gegen Maschinen. Sie bewunderten ihn sehr, obwohl sie nicht genau verstanden, was er ihnen sagen wollte.

    Er führte sie vorbei am Verwaltungsgebäude, an der Kantine, an den Schulungsräumen und an einer Halle, in der die Werkstatt untergebracht wäre, in den nächsten Wochen ihr Hauptaufenthaltsort. Fritz hatte begründete Sorge, dass noch viele Tage ins Ländle gehen würden, bis sein Traum vom Fliegen erfüllt würde.

    Abschließend führte Albers sie zum Hangar. Sein Gang wurde langsamer und majestätischer und man spürte, dass ein großer Augenblick nahte. Sie gingen um die Halle herum und Hans Albers, der etwas voraus war, deutete mit großer Geste in eine Richtung.

    „Und hier ist es, euer erstes Flugzeug." Fritz fühlte ein Kribbeln und bog ehrfürchtig um die Ecke.

    Was er sah, erinnerte ihn an die Hörnerschlitten vom Schnablerrennen in Gaißach bei Bad Tölz. Eine Kufe war davon übrig geblieben und daran war eine Art Leiter befestigt, aber mit völlig ungeeigneten schiefen Sprossen.

    Hans Albers bat sie näher und erklärte: „Das ist unser Schulgleiter SG 38 'Zögling', das Fortschrittlichste, was es derzeit gibt. SG steht nicht etwa für Schulgleiter, sondern für den Entwickler Schneider in Grunau. In ein paar Wochen werden wir einen Zweiten haben, den werdet ihr selbst fertig bauen. Andere haben schon viel daran gearbeitet."

    Fritz brachte die Bilder in seinem Kopf nicht zusammen. Unter Flugzeug hatte er ganz andere optische Erscheinungsformen abgespeichert. Das hier war doch kein Flugzeug. Er bezweifelte, dass es überhaupt dafür gedacht war. Aber er irrte. Die nächsten Ausführungen deuteten stark darauf hin, dass es Hans Albers damit bitterernst war.

    „Hier seht ihr den Flügel. Das Wichtigste. Was ihr schon daran erkennen könnt, dass Hirth Hochleistungsflugzeuge entwickelt hat, die nur aus Flügeln bestehen." Keiner konnte sich einen Reim darauf machen, was das genau bedeutete oder was das sollte.

    Albers fuhr nach einer Wirkungspause fort. „Dort hinten, der kurze Flügel ist das Höhenleitwerk, dazu senkrecht das Seitenleitwerk. Was das tut, werdet ihr noch lernen. Fritz wusste es schon. „Das Fachwerk heißt Rumpf. Der hält alles zusammen und dient auch noch als Träger für den Pilotensitz. Der nun, fand Fritz, war mehr als abenteuerlich. Es war ein gebogenes Holzbrettchen ohne Armstützen und gerade mal so breit wie der Hintern eines schlanken Menschen. Es war einfach auf dem schmalen Holm vor dem Gerüst für die Flügel festgeschraubt. Sollte man mit diesem Ding wirklich fliegen können, wäre die freie Rundumsicht auch nach unten geradezu optimal. Wenn man schwindelfrei war. Außerdem musste man dauernd befürchten, dass das Gebilde nicht zusammenhält. Das alles waren Gedanken, die ihm den zu erwartenden Spaß ein wenig einschränkten. Andererseits hatte Albers gesagt, dass das Ding das Beste und Modernste wäre. Nun denn, dachte Fritz.

    „Die Drähte, die ihr seht, halten das Flugzeug mechanisch stabil. Bei diesem kommt eine ganz neue Erfindung zum Einsatz: die Spannturmspindel. Damit kann man mit einem Griff alle Drähte gleichzeitig richtig spannen, was vorher eine ziemlich diffizile und zeitraubende Arbeit war. Die Fußstützen, die ihr da seht, dienen zwar zum Abstützen der Füße, aber sie sind auch als Ganzes drehbar. Wozu dient das wohl?"

    Otto meldete sich: „Für Menschen mit unterschiedlich langen Beinen? Oder nein, es ist einfach bequemer zum Ein- und Aussteigen."

    „Wer hat eine bessere Erklärung?" Fritz hätte sie gehabt, weil er die Drähte mit den Umlenkrollen schon entdeckt hatte und er sah, wo sie hinführten. Aber er meldete sich nicht, er wollte als Ältester und Ranghöchster nicht als Besserwisser dastehen.

    „Auch nicht der Herr Gefreite? Nun ja, ihr werdet schon noch vertraut werden mit eurem Gerät. Das hier funktioniert genauso wie bei jedem Flugzeug. Und mit jedem meine ich wirklich alle, auch die ganz Großen mit vielen Motoren. Mit den Pedalen betätigt man das Seitenruder. Wozu dient das? Wer hat eine Idee?"

    „Vielleicht um eine Kurve zu machen?" Es war Heinz, der Große.

    „Ihr werdet lernen, dass Kurven fliegen gar keine so einfache Sache ist. Aber ja, das Seitenruder dient auch dazu. Bei größeren Maschinen mit Motor benötigt man das Seitenruder hauptsächlich, um am Boden Kurven zu fahren und um das Flugzeug in Längsrichtung stabil zu halten. Da hinten am Höhenleitwerk seht ihr Flächen, die beweglich sind. Sie heißen Höhenruder und dienen dazu, die Nase nach oben und unten zu steuern. Wie das geht, lernt ihr auch noch."

    „Welche Nase?", fragte Karl und hatte damit ziemlich recht, was dieses Gebilde betraf.

    „Ja ja. Unser Vogel hier hat keine. Es geht um die Richtung des gesamten Flugzeugs, die sogenannte Längsachse, ob sie nach oben oder nach unten zeigt. Und jetzt kommt noch etwas ganz Wichtiges. Am äußeren Ende des Flügels seht ihr auch Klappen. Sie heißen Querruder und sie drehen das Gerät um die Längsachse, es macht, dass das Flugzeug in Schieflage gerät. Im Moment braucht ihr nur zu wissen, dass ihr damit dafür sorgen könnt, dass es wieder gerade liegt. Bei Windstößen kommt das vor. Und damit ihr nicht abschmiert, müsst ihr damit dauernd arbeiten. Ach ja, arbeiten: Ihr seht den runden Holzstock vor dem Sitz. Das Ding heißt Steuerknüppel, weil es ein Knüppel ist zum Steuern. Er ist so festgemacht, dass ihr ihn in alle Richtungen bewegen könnt. Zieht ihr nach hinten, geht das Höhenruder nach oben und die Nase zeigt mehr in den Himmel. Schiebt ihr ihn nach vorne, ist es genau umgekehrt."

    „Ah, so ist das. Damit kann man also steigen und sinken." Otto strahlte.

    „Grundsätzlich ja. Aber ganz so einfach ist auch das nicht. Ich will jetzt dem Unterricht in Aerodynamik nichts vorwegnehmen. An dieser Stelle nur so viel: Wenn ihr die Nase hochzieht, wird das Flugzeug erst einmal genauso weiter fliegen wie bisher nur mit einer anderen Lage. Aber dann überwiegt der geringere Widerstand in Richtung der Längsachse und der stärkere Auftrieb, weil die Flügel steiler stehen. Das Flugzeug bewegt sich dann mehr und mehr in deren Richtung. Das Resultat ist natürlich, dass

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