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Zehn gute Jahre Teil3: Privilegiert
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Zehn gute Jahre Teil3: Privilegiert
eBook441 Seiten5 Stunden

Zehn gute Jahre Teil3: Privilegiert

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Über dieses E-Book

Vor kurzer Zeit, als Ihre Eltern jung waren (oder Ihre Großeltern), galt Fliegen noch als Menschheitstraum für Wagemutige. Niemand wusste, dass der größte Technologiesprung der Geschichte bevorstand. Er wurde von einer Wissenschafts- und Ingenieurelite geschaffen, vielfach verstärkt für die Zwecke eines verbrecherischen Krieges. Alles, was wir heute so selbstverständlich nutzen hat da seinen Ursprung.

Fritz Kleins Alltag ist wie der seit Generationen. Aber Auto, Telefon, Radio, Kühlschrank, Kino, bald sogar vom Sofa aus, und vor allem Flugzeuge lassen eine völlig neue Lebensweise ahnen. Gemeinsam mit Eva, seiner ersten und wahren Liebe genießt er ein Deutschland, in dem es nach der Not und der unfähigen Demokratie steil aufwärts geht. Jeder hat Arbeit, alle sind gleich und ziehen an einem Strang. Nie war die Zukunft besser.

Teil 3: Privilegiert Fritz Klein genießt das privilegierte Leben der Piloten in einem der wichtigsten Standorte der Luftwaffe: Wiener Neustadt
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Aug. 2020
ISBN9783752987348
Zehn gute Jahre Teil3: Privilegiert

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    Buchvorschau

    Zehn gute Jahre Teil3 - Friedrich Haugg

    Kap.13 München - Oberwiesenfeld

    Diesmal würde er den Fehler von Braunschweig nicht machen, sich zu früh in der Kaserne zu melden. Die im Marschbefehl angegebene Zeit war erst übermorgen. Was die Zwischenzeit offiziell war, wusste er nicht. Es war keine Dienstzeit, aber ein Urlaub war es auch nicht, denn das würde sonst irgendwo stehen. So sehr er das Fliegen auch vermisst hatte, es wurde ihm klar, dass die völlige Bewegungsfreiheit ohne ständige Handlungsanweisungen durch Pläne oder Vorgesetzte für immer vorbei war. Ein Anflug von Panik überfiel ihn und er zwang sich, an die große Freiheit Fliegen zu denken. Aquila non captat muscas. Es gelang, einigermaßen.

    Beim Informationsschalter am Hauptbahnhof erkundigte er sich nach dem Hotel Adler. Er hielt das für einen netten, kleinen Scherz, der die vorschriftsmäßig lächelnde Bahnbeamtin hinter der Glasscheibe mit dem ovalen, zellophanbespannten Sprechloch ein wenig in Verlegenheit bringen würde oder zumindest zu aufwändigem Suchen in ihren Unterlagen.

    „Für wie viele Nächte wollen sie ein Zimmer?"

    „Das gibt es wirklich?"

    „Was? Dass sie den Wunsch haben zu übernachten?"

    „Nein, das Hotel Adler."

    „Danach haben sie gefragt. Ich nehme an, sie wissen nicht, wo das ist?"

    „Stimmt."

    „Ledererstrasse 8. Und jetzt wollen sie wissen, wo die Ledererstrasse ist?"

    „Stimmt."

    „Sie fahren mit der Straßenbahn, Linie acht, bis ins Tal. Tal ist der Name eines Platzes, der nach dem Marienplatz kommt. Da gehen sie nach Norden in die Hochbrückenstrasse. Die erste links ist die Ledererstrasse. Soll ich für sie reservieren. Eine Nacht?"

    Fritz nickte, beeindruckt von der perfekten Organisation. „Halt. Zwei Nächte. Das wäre großartig."

    Sie telefonierte, fragte zwischendurch nach seinem Namen und legte wieder auf.

    „Das Hofbräuhaus ist ganz in der Nähe. Falls sie touristische Interessen haben, Herr Soldat."

    „Vielen herzlichen Dank. Sie waren sehr freundlich."

    „Das ist mein Beruf. Der Nächste bitte."

    Außer dem Namen hatte das Hotel wenig Gemeinsamkeiten mit dem stolzen Herren der Lüfte. Doch, im Flur hing der goldgerahmte Druck eines mäßig gelungenen Öladlers auf einem Ast sitzend und wie alle unsere Heroen, heldenhaft in die Ferne blickend. Das Zimmer war ordentlich und sauber, hauptsächlich lindgrün lud es aber nicht zum Verweilen. Er hatte sich vorgenommen, die freie Zeit mit dem Besuch der Großen Kunstausstellung im Haus der deutschen Kunst zu nutzen.

    Beim Umherstreifen in der Stadt zog ihn eine spontane Idee in ein Antiquariat. Der Mann im Raum erfüllte das erwartete Erscheinungsbild eines Antiquars, umrahmt von den Tausenden alter Büchern, die sich in Regalen bis zur Decke stapelten.

    „Ich weiß, das ist eine schwierige Sache, begann Fritz und meinte die Außergewöhnlichkeit seines Wunsches. „Haben sie von Kandinsky 'Über das Geistige in der Kunst'?

    Der Mann sah ihn aus schmalen Schlitzen an, die eingeschnitten waren in die papierfarbene, faltige Gesichtshaut. Seine Miene verfinsterte sich. „Wollen sie mich testen, Soldat, oder was soll diese Frage?"

    „Wie meinen sie das?"

    „Sie wissen doch, dass Kandinsky nicht erwünscht ist. Aber das brauche ich ihnen ja wohl nicht zu sagen. Habe ich den Test bestanden?"

    „Ach du meine Güte. Ich will sie doch nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich dachte nur, dass in ihrem Geschäft vielleicht noch ein paar Bücher sein könnten, die rechtzeitig der Verbrennung entkommen sind."

    „Wissen sie, was ein Agent Provocateur ist?"

    „Ja, eigentlich schon."

    „Na also. Ich für meinen Teil halte mich strikt an die bestehenden Gesetze, wie sie ihre Leute gemacht haben."

    „Das tue ich selbstverständlich auch."

    „Also dann, guten Tag, Herr Soldat."

    „Nein, nein. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet."

    „Ich werde die Polizei rufen, wenn sie nicht gleich den Laden verlassen."

    „Meine Güte, was haben sie denn für Vorstellungen, wer ich bin?" Fritz war das Getue lästig.

    „Das weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht."

    „Ich bin Lehrer auf der Adolf Hitler – Schule in Sonthofen." Das war ein glänzender Einfall.

    „Na und?"

    „Wir dürfen, ja, wir sollen sogar verbotene Autoren lesen. Damit die Schüler lernen, warum sie verboten sind."

    „Wie außergewöhnlich fortschrittlich. Dann tun sie das."

    „Woher sollen wir denn verbotene Bücher bekommen, wenn nicht über so gut sortierte Geschäfte, wie sie es haben?"

    „Zeigen sie mir ihren Ausweis."

    „Hmmm. Ich habe nur die Ergebnisliste von unserem Skirennen dabei. Da stehe ich drauf. Fritz Klein ist mein Name." Fritz zeigte sie ihm.

    „Fritz Klein, so so. Und wer ist das?"

    „Na ich."

    „Können sie sich ausweisen?"

    „Kann ich." Fritz zeigte ihm seinen Fluglehrerschein.

    „Was sind sie jetzt wirklich? Skirennfahrer, Schullehrer oder Fluglehrer? Bitte verstehen sie, dass mir das ziemlich merkwürdig vorkommt."

    Fritz lachte. „Sie haben wirklich recht. Meine Güte, ist das alles kompliziert heutzutage. Ich versuche es jetzt mit Offenheit. Ich schätze die Bilder von Kandinsky, sie berühren mich und die Bilder, wie sie auch in der deutschen Kunstausstellung hängen, berühren mich nicht. Und ich will wissen, warum das so ist. Vielleicht hat Kandinsky dazu etwas aufgeschrieben. Das würde mir sehr helfen."

    Wieder schaute der Mann ihn lange an. Dann verschwand er durch eine Hintertür und schlurfte wenig später wieder hervor.

    „Das war sehr, sehr mutig, junger Mann. Außerdem haben sie eine Luftwaffenuniform. So sind Geheimpolizisten im Allgemeinen nicht verkleidet. Ich hoffe, dass sie diesen Mut niemals verlieren und ihn auch nie bereuen müssen. Hier, ich schenke ihnen das Büchlein. Aber erzählen sie niemandem, von wem sie es haben. Alles Gute."

    „Ihnen auch. Herzlichen Dank. Es hat mich sehr gefreut, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben."

    Er kaufte sich als Erstes den Katalog zur 'Großen deutschen Kunstausstellung' und entdeckte zwei Seiten nach dem heroischen Foto des ubiquitären Schirmherren, abgelichtet von Foto Hoffmann, München, der alle exklusiven Rechte an den Führerfotos besaß, die Raumpläne mit der Führungslinie. Das war praktisch. Er ging zum Start. Als erstes fixierte ihn Goebbels, sitzend im grauen Zweireiher und modisch schräg gestreifter Krawatte, eine stark geäderte, große Hand auf den Unterarm der Linken gelegt und mit einem Blick, der einen unbändigen Willen, aber auch eine gehörige Portion Verbitterung und Menschenverachtung ahnen ließ. Der Maler, Wilhelm Otto Pitthahn, hatte Goebbels durchschaut. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit Deutscher. Goebbels war ein Beweis, dass man alleine durch Willen und Fokussierung nahezu alles erreichen kann. Das mit dem arischen Aussehen und der Rasse war einfach nur Quatsch. Auch bei uns funktioniert es so, wie es überall und seit undenklichen Zeiten immer funktioniert hat.

    Es folgten unzählige, langweilige Portraits, von alten Haudegen, die wohl irgendwann Bedeutung hatten und von Menschen aus dem Volk, hart arbeitend, teilweise ausgezehrt, aber stolz auf das Erreichte. Vergnügte, freudige Menschen waren eher nicht dabei, sieht man von ein paar Darstellungen bierseliger, bayrischer Gebirgsbewohner im Malstil des vorigen Jahrhunderts ab. Dann kamen gemalte Illustrationen der Land- und Industriearbeit im gleichen Stil und eine Menge Landschaftsbilder, wie er sie schon aus vielen vergangenen Epochen seit der Renaissance und der Erfindung der Perspektive gesehen hatte. Sie waren nicht schlechter gemalt als viele der alten Werke und sie dokumentierten einen Zustand. Immerhin. Aber Fotos hätten das heute auch weniger mühevoll gekonnt.

    Ein Bild von Hermann Gradl fiel ihm angenehm auf. Es hieß 'Mosellandschaft bei Mesenich'. Es war eine ganz ordentliche Komposition, gemalt mit einem lockeren, fast impressionistischen Pinselstrich. Das war doch eigentlich hart an der Grenze des Erlaubten, wo doch Manet, Monet, Turner und vor allem Cezanne mit ihrem Gedankengut nicht in den vorgegebenen Kunstbegriff passten. Andererseits war das Bild brav und korrekt in der Farbwahl, der lockere Strich diente mehr dem Effekt, die Gegebenheit möglichst naturnah darzustellen. Das Bild erinnerte ihn sehr an das Hitlerbild, das ihm beim Besuch in Murnau gezeigt wurde. Vielleicht war diese Ähnlichkeit der wahre Grund, dass der Führer Gradl so schätzte. Vielleicht war es sogar so, dass der Führer all diese hier ausgestellten Werke nur deshalb mochte, weil sie auch nicht besser als seine eigenen waren.

    Das Bild berührte ihn nicht. Er holte aus dem Gedächtnis das Landschaftsbild von Kandinsky hervor. Und er wusste wieder nicht, warum es mit diesem Bild anders war. Auch die damaligen Erläuterungen der alten Dame halfen ihm nicht weiter. Moment mal, es war gar nicht die Dame, es war Eva. Keine gute Erinnerung, um seine Stimmung zu verbessern.

    Er wusste nicht, warum er Kandinsky's Bild gut fand. Fritz war davon überzeugt, dass es einen allgemeingültigen Grund dafür geben musste. Und dass dahinter auch die Erklärung steckte, warum solche Kunst vom Regime nicht geschätzt, ja sogar verboten wurde. Die landläufige Begründung, dass solche Kunst primitiv sei und von minderwertigen Menschen stamme, konnte nicht die Vehemenz und Aggressivität der Ablehnung erklären. Man hätte sie ja auch einfach nur ignorieren können. Wie immer, wenn ein Verbot erlassen und fanatisch durchgesetzt wurde, steckte etwas ganz anderes dahinter.

    In den Sälen wurden die Plastiken immer präsenter. Die unzähligen nackten Figuren, die Thorak, Breker, Kolbe oder Klimsch aus Ton geformt und in Bronze gegossen oder gleich aus dem Marmor gehauen hatten, mussten ihnen ein lang anhaltendes Vergnügen beschert haben. Und das Vergnügen war auch ganz auf der Seite der männlichen Betrachter, wie die Haufenbildung bewies. Sie hatten ausnahmslos ernste und beflissene Gesichter, die mit großem künstlerischen Verstand die Qualität der Werke in Augenschein nahmen. Sie umrundeten die Figuren gründlich und ließen sich viel Zeit, um nur ja kein künstlerisches Detail zu verpassen. Fritz fiel auf, dass die meisten der Werke so auf einem Podest standen, dass deren Genitalien praktisch auf Augenhöhe der Betrachter lagen. Das war natürlich keine Absicht, sondern ein zufälliges Resultat der Präsentation, die die lebensgroßen Vorbilder über dem gemeinen Volk stehend zeigen sollten. Diese Bildhauer und auch der Maler Gradl standen unter Absegnung des Führers in der Liste der 'gottbegnadeten Künstler'. Ob Gott das auch so sah? Aber der äußert sich ja recht individuell den Menschen gegenüber. Als er vor einem der großen Gemälde Zieglers stand, der übrigens nicht gottbegnadet war, dessen nackte, weibliche Figuren aber dennoch hinter dem Schreibtischstuhl des Führers Platz gefunden hatten, wusste er gleich, warum der unter vorgehaltener Hand 'Meister des deutschen Schamhaars' genannt wurde.

    Die unbekleideten Frauen in allen, außer rein sexuellen Posen, schienen ihm auf eine gewisse Verlogenheit hinzudeuten, in einem Land, in dem Pornografie verboten war. Aber nicht so schlimm verlogen wie die sadistischen Gewaltfantasien vieler alter Meister, deren Grausamkeiten an weiblichen und natürlich ebenfalls nahezu unbekleideten, heiligen Märtyrerinnen auch noch die Kirchen schmückten. Diese Ausstellung zeigte stolze, ihrer Würde nicht beraubte Frauen. Ein Fortschritt. Aber beeindruckt oder gar erregt war er von den Darstellungen nicht. Bis auf ein einziges Bild. Es zeigte ein ansehnliches, sehr junges und nacktes Mädchen, das unter dem Schutz eines Busches dabei war, in einem See schwimmen zu gehen. Dann fiel ihm auf, dass nicht das Bild gut war, sondern seine Erinnerung an Susi.

    Er kam zu einem Kupferstich, der aussah wie eine Illustration aus einem mittelalterlichen Buch. Er passte irgendwie nicht zur Ausstellung. Abgebildet war der Kopf König Heinrichs des Ersten. Darunter war ein Text, gestochen in gotischer Schrift. 'Er war der Erste unter Gleichen, und es wurde ihm eine größere und wahre menschliche Ehrfurcht entgegengebracht, als später Kaisern, Königen und Fürsten, die sie nach volksfremdem byzantinischen Zeremoniell forderten, je zuteil wurde – er hieß Herzog und König und war ein Führer vor tausend Jahren.' Darunter stand, ebenfalls in gotischer Schrift, der Name des Autors dieser Zeilen: 'Reichsführer SS – Heinrich Himmler'.

    Heinrich und Heinrich. Deutscher hatte einmal von einem Gerücht berichtet, Himmler halte sich für die Reinkarnation Heinrichs des Ersten. Und Himmler nannte Heinrich den Ersten einen Führer. Ob das dem derzeitigen Führer gefällt, wenn er den Text aufmerksam liest? Andererseits war König Heinrich der, der Deutschland vor den heranstürmenden Ungarn und weiteren, niederen Ostmenschen beschützt hat. Die hießen jetzt russische Bolschewiken. Hoffentlich kommt da niemand auf dumme Ideen.

    Als er vom feisten, in bayrische Tracht gekleideten Reichsjägermeister Göring angeschaut wurde, die Unterschrift hieß wirklich so, ohne feist, hatte er genug und er beschloss, den Rundgang im Katalog fortzusetzen.

    Die erste Seite nach dem Bildteil war eine ganzseitige Werbung der Allianz. Mit Kunst hatte das nichts zu tun, aber Versicherungen hatten viel Geld für die Werbung und waren deshalb bei allen Medien sehr willkommen. Die Allianz verkündete Erfolgszahlen: 6.316.660 Versicherungsverträge, 390.683.230 Reichsmark Prämieneinnahmen, 521.102 Schadensmeldungen, 146.268.909 Reichsmark Schadenzahlungen und 55.416.043 Reichsmark Reserven für schwebende Schäden. Zwischen Einnahmen und Zahlungen klaffte eine Lücke von sage und schreibe 244 Millionen Reichsmark. Hat wohl keiner gemerkt. Der Gesamtbestand an Lebensversicherungen hat 4,25 Milliarden Reichsmark überschritten. So, so, dachte Fritz. Das war also das Geschäftsjahr 1937. Dann standen da noch kleingedruckt die einzelnen 'Sicherheitsmittel und Reserven' für die Gesellschaften Allianz Versicherungs - AG, Allianz Lebensversicherungsbank AG, Badische Pferdeversicherungs – Anstalt AG, Bayerische Versicherungsbank AG, Globus Versicherungs - AG, Hammonia Allgemeine Versicherungs - AG, Kraft Versicherungs - AG, Neue Frankfurter Allg. Versicherungs – AG und Union Allgemeine Deutsche Hagel – Versicherungs – AG.

    Je länger er die Anzeige betrachtete, desto merkwürdiger fand er sie. Wer sich für die Geschäftszahlen wirklich interessierte, also ein Aktionär zum Beispiel oder ein Bankier, der wird sich den Bericht besorgen. Diese Anzeige lasen aber größtenteils 'normale' Bürger. Bürger, die sich allenfalls gegen ein Risiko versichern wollten. Dazu fanden sie aber hier nichts. Nicht einmal eine Adresse oder eine Telefonnummer.

    Versicherungen waren ihm eigentlich egal, weil sie so furchtbar langweilig waren. Aber er begann zu ahnen, was die Schöpfer der Werbung beabsichtigten. Was im Gedächtnis bleibt, ist das Staunen vor der Größe der Summen. So erscheint die Allianz als mächtige und erfolgreiche Institution. Eine Institution, der man sich getrost anvertrauen kann. Das war es. Wann immer der Mensch ein Türschild sieht, auf dem 'Allianz – Vertreter' steht, erinnert er sich an den großartigen Eindruck und er geht dahin und nicht zu einem Namenlosen. (Fritz kannte damals noch nicht den Begriff Image – Werbung.) Wie gut die Versicherungen mit ihren Kunden umgehen, davon steht hier nichts. Nur die schiere Größe zählt und zieht den Menschen an. Unterlag er nicht demselben Mechanismus? Wohin war er gegangen? In eine unabhängige, kleine, nette Flugschule mit ein paar klapprigen Maschinchen oder zur unbändigen, mitreißenden Stärke der deutschen Wehrmacht, in der sich die Besten der Besten, Entwickler, Techniker und Flieger zusammengefunden hatten? Schon klar. Da kann man ein paar Unannehmlichkeiten schon in Kauf nehmen.

    Bedenklich fand er, dass Größe alles anzog und sie immer nur noch stärker machte. Nur einer würde übrig bleiben. Einen Konkurrenten als Korrektiv gäbe es am Ende nicht mehr. Ach so, so war das ja jetzt schon.

    Er verließ sehr nachdenklich die Ausstellung. Sie hatte einiges in ihm aufgerührt. Das eben war der Sinn der Kunst.

    Eigentlich wollte er ja nur wissen, warum ihm Kandinsky besser gefällt als die anerkannten Maler. Vielleicht war es ja nur Eva und die Atmosphäre in Murnau, die er mit diesen Bildern assoziierte. Vielleicht hätte er jeden Schund, jedes Geschmier gut gefunden, nur weil er es mit wunderbaren Augenblicken verband. Könnte ja so sein. So, wie man die Musik gut findet, die man in den Tagen der ersten Liebe gehört hatte. Ein Geschmack, der sich niemals mehr im Leben verändern wird. (Beim Autor waren das die Beatles, die Kinks und die Rolling Stones. Aber die waren ja auch wirklich gut und nicht der Scheiß, den die Jugend heute als Musik bezeichnet.) Also alles nur Lug und Selbsttäuschung? Kandinsky selbst musste helfen. Er schlug das Büchlein auf.

    'Nur die gewohnten Gegenstände wirken bei einem mittelmäßig empfindlichen Menschen ganz oberflächlich. Die aber, die uns zum ersten Mal begegnen, üben sofort einen seelischen Eindruck auf uns aus. So empfindet das Kind die Welt, in der jeder Gegenstand neu ist. Allmählich wird auf diesem Wege die Welt entzaubert. Man weiß, dass Bäume Schatten geben, dass Pferde schnell laufen können, dass Hunde beißen, dass der Mond weit weg ist, dass der Mensch im Spiegel kein echter ist.'

    Etwas weiter: 'Mit kalten Augen und gleichgültigem Gemüt bewundern Kenner die 'Mache'. Die große Menge schlendert durch die Säle und findet die Leinwänder 'nett' und 'großartig'. Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt.'

    Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt! Das brachte Fritz auf den Punkt. Neugierde und Wissensdurst gehen zunehmend verloren. Die erwachsenen Menschen erstarren in ihrer gewohnten Welt im sicheren Glauben, alles Lebensnotwendige bereits zu wissen. So verschließen sie sich dem Neuen, weil es anders ist, unbequem, möglicherweise nutzlos und potentiell gefährlich. Fortschritt gibt es aber nur, wenn man aufgeschlossen und neugierig bleibt. Das ist der eigentliche Sinn echter Bildung. In diesem Sinne werden die Menschen immer ungebildeter. Und das war vom Regime offensichtlich so beabsichtigt. Er dachte dabei an seine arroganten Eliteschüler, die durch kein noch so großes Wunderwerk aus der überlegenen Ruhe zu bringen waren. Über etwas staunen, seine Bewunderung zugeben oder etwas darüber wissen wollen, würde ja bedeuten, dass man von gestern wäre (uncool wäre das im derzeit aktuellen Sprachgebrauch).

    Diese Menschen glauben, etwas von Kunst zu verstehen. Sie reduzieren die Kunst auf die Maltechnik und nehmen die Dimensionen darüber gar nicht wahr. Sie leben wie eine Made, für die der Speck die ganze Welt ist. Dass da noch außerhalb etwas vorzufinden ist, interessiert die Made nicht. 'Kunst kommt von Können', ein berüchtigter Satz, der alles zunichtemacht, der alles zertrampelt und keinen Raum für andere Sichtweisen lässt, die den Blick öffnen für das Andere, das Überraschende, das Neue. Ja, sie lehnen es sogar als primitiv und dilettantisch ab, weil der Schmierer nicht einmal fähig zu einer korrekten Darstellung wäre.

    Kunst muss nicht 'gut' sein, sie muss nicht einmal gefallen. Es reicht, wenn sie den Menschen zum Denken anregt. Eine weiße, unbemalte Leinwand aufhängen ist eine Provokation und schon beginnt man zu reflektieren, zu kritisieren, vielleicht zu verstehen. Das mit der weißen Leinwand geht nur einmal, aber sie wäre in einer 'normalen' Kunstausstellung sicher der Hauptanziehungspunkt.

    Die politische Gefahr der Kunst liegt darin, dass sie den Menschen herausreißen kann aus dem gewohnten Trott. Die Bevormundung durch undiskutierbare Vorgaben engt das eigene Denken und damit den Fortschritt in diesem Land ein. Jeder Fortschritt in der Welt war aber ausnahmslos durch Andersdenkende entstanden, die sich über geltende Regeln und Denkgewohnheiten hinwegsetzten. Das hat der Führer nicht anders gemacht. Nach einiger Zeit hat sich dann jeweils das Neue durchgesetzt und wurde zur Norm. Und die legitimierte wiederum die Verfolgung der nächsten Andersdenkenden. Es war grotesk. Die Menschen sind dumm, einfach nur dumm und engstirnig. Wie viel stärker wären wir doch, wenn wir uns diesen Gedanken öffnen würden.

    'Unter Spott und Hass zieht er die sich sträubende, schwere Karre der Menschheit mit sich immer vor- und aufwärts.' Das las er bei Kandinsky. Der hatte es gewusst. Und es war nicht auf die Kunst beschränkt.

    Und er sagte zu der augenblicklichen Kunstrichtung auch tröstliches: 'Diese Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, ist eine kastrierte Kunst. Sie ist von kurzer Dauer und stirbt in dem Augenblicke, wo die Atmosphäre sich ändert.'

    „Ab jetzt seid ihr richtige Soldaten. Als Erstes lest ihr jetzt die Regeln für uns, die wir in Zukunft die wichtigste Waffengattung sind. Vorbei die Zeiten, wo uns die Infanterie belächelte als Salonhelden. Die wahren Helden seid ihr. Allein und ohne Hilfe der Etappe gegen den Feind. Stolz und ungebrochen kämpft ihr für den großen und ruhmreichen Sieg. In der Walhalla werden dereinst nur die Helden der Lüfte ihren Platz finden."

    Aha. Fritz nahm das ausgehändigte Blatt entgegen und las:

    'Regeln für die Luftwaffe:

    1. Der deutsche Soldat kämpft ritterlich für den Sieg seines Volkes. Grausamkeiten und nutzlose Zerstörung sind seiner unwürdig.

    2. Der Kämpfer muss uniformiert sein oder mit einem besonders eingeführten, weithin erkennbaren Abzeichen versehen sein. Kämpfen in Zivilkleidung ohne ein solches Abzeichen ist verboten.

    3. Es darf kein Gegner getötet werden, der sich ergibt, auch nicht der Freischärler und der Spion. Diebe erhalten ihr gerechte Strafe durch die Gerichte.

    4. Kriegsgefangene dürfen nicht misshandelt oder beleidigt werden. Waffen, Pläne und Aufzeichnungen sind abzunehmen. Von ihrer Habe darf sonst nichts abgenommen werden.

    5. Dum-Dum-Geschosse sind verboten. Geschosse dürfen auch nicht in solche umgewandelt werden.

    6. Das rote Kreuz ist unverletzlich. Verwundete Gegner sind menschlich zu behandeln. Sanitätspersonal und Feldgeistliche dürfen in ihrer ärztlichen bzw. seelsorgerischen Tätigkeit nicht behindert werden.

    7. Die Zivilbevölkerung ist unverletzlich. Der Soldat darf nicht plündern oder mutwillig zerstören. Geschichtliche Denkmäler und Gebäude, die dem Gottesdienst, der Kunst, Wissenschaft oder Wohltätigkeit dienen, sind besonders zu achten. Natural- und Dienstleistungen von der Bevölkerung dürfen nur auf Befehl von Vorgesetzten gegen Entschädigung beansprucht werden.

    8. Neutrales Gebiet darf weder durch Betreten oder Überfliegen noch durch Beschießen in die Kriegshandlungen einbezogen werden.

    9. Gerät ein deutscher Soldat in Gefangenschaft, so muss er auf Befragen seinen Namen und Dienstgrad angeben. Unter keinen Umständen darf er über Zugehörigkeit zu seinem Truppenteil und über militärische, politische und wirtschaftliche Verhältnisse auf der deutschen Seite aussagen. Weder durch Versprechen noch durch Drohungen darf er sich dazu verleiten lassen.

    10. Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Befehle in Dienstsachen sind strafbar. Verstöße des Feindes gegen die unter 1 – 8 aufgeführten Grundsätze sind zu melden. Vergeltungsmaßregeln sind nur auf Befehl der höheren Truppenführung zulässig.'

    So richtig fliegerspezifisch schien das nicht zu sein. Da hat sich einer nicht viel Mühe gemacht und von irgendwo abgeschrieben. Doch, im Punkt acht steht das Wort 'Überfliegen'. Der Zettel war also kein Versehen. Ansonsten konnte er sich mit den Regeln gut identifizieren. Hoffentlich fällt Kandinsky unter die Denkmäler, die der Kunst dienen, fiel ihm ein. Die Chancen standen nicht gut.

    Nur der letzte Satz von Punkt 10 machte ihn stutzig. Wer ist die höhere Truppenführung, die Vergeltungsmaßregeln anordnen kann? Und was könnten diese sein? Da fehlten wichtige Ausführungsbestimmungen. Und wie sehen solche Maßregeln aus, damit die anderen Punkte nicht verletzt werden. Da war eindeutig ein Hintertürchen. Oder war es nur juristische Schlamperei?

    Formalausbildung war in den nächsten Tagen neben dem Unterricht das Thema schlechthin. Die absolute Gleichschaltung der Körper und der Geister schien den Militärs besonders wichtig zu sein. Dabei sind Flieger doch Individualisten. Oder täuschte sich Fritz in diesem Punkt? Gottlob hatten alle schon Gehen gelernt und das Grüßen nicht verlernt. Flugzeuge waren vom Exerzierplatz aus nicht zu sehen. Wie in Braunschweig, dachte Fritz. Nur dort waren wirklich keine Flugzeuge.

    „Wir sind eine Schulstaffel. Das ist in etwa vergleichbar mit einer Kompanie, nur kleiner. Bei uns nennt man das sinnvollerweise anders: Die fliegenden Einheiten der Luftwaffe sind in Geschwader, Gruppen und Staffeln organisiert: Ein Geschwader besteht in der Regel aus einem kleinen Stab mit vier bis sechs Maschinen und zwei bis vier Gruppen mit 30 bis 40 Flugzeugen. Die Gruppe ist in der Regel in drei bis vier Staffeln von üblicherweise zwölf Flugzeugen unterteilt. Ungefähr 150 Mann arbeiten im Hintergrund dafür, dass die Staffel auch wirklich fliegen kann. Kleinere taktische Verbände sind die Kette mit drei, der Schwarm mit vier und die Rotte mit zwei Flugzeugen, vor allem bei den Jagdfliegern."

    Fritz merkte sich nur, dass er jetzt in einer Staffel war. Und er war sich nicht sicher, ob die Ausführungen Organisation und Flugfiguren vermischten.

    „Der oberste Anführer der Luftwaffe ist unser Fliegerheld Hermann Göring. Der auch noch Reichsjägermeister ist. Fritz grinste möglichst unsichtbar. „Ihm ist das Reichsluftfahrtministerium unterstellt. Dazu gehört auch das OKL, das Oberkommando der Luftwaffe, das ist zur Zeit der Reichsminister der Luftwaffe. Darunter befinden sich die operativen Luftflotten und die geografisch organisierten Luftgaue. Wir sind der Gau römisch sieben. Dazu gehört die gesamte Flieger – Boden – Organisation, die leichten Jagdverbände, die Flugabwehr, der Flugmeldedienst, der Luftschutz und der Nachschub mit den Fliegerschulen und den Flieger – Ersatz – Abteilungen.

    Über den letzten Begriff musste Fritz nachdenken. Das klang auch wie Nachschub, aber Nachschub von Menschen. Kein gutes Gefühl, dass es so etwas gab. Das sind wohl die, die nachrücken, wenn vorne einer ausfällt. Gemeint kann doch aber nur ein Ausfall durch Krankheit, Unfall oder Versetzung sein. Wir machen ja keinen Krieg. Dafür eigene Abteilungen zu haben, merkwürdig.

    „Ein Fliegerkorps wird zusammengestellt aus verschiedenen Einheiten für spezielle Aufgaben."

    Spezielle Aufgaben konnte sich Fritz jetzt gerade nicht vorstellen. Er würde da einmal jemanden fragen müssen.

    Bergfürst legte nach, weil er eine gewisse Verwirrung spürte. „Unsere Organisation ist sehr flexibel und wird laufend an neue Anforderungen angepasst. Außerdem entscheidet das im Detail nicht nur einer."

    Aha, dachte Fritz, das Streben nach Macht und Einfluss ist allerorten und auf jeder Ebene sichtbar. So funktioniert Evolution. Aber die kann sich schlechte Ergebnisse leisten, weil sie unendlich viel Zeit hat. Niemand drängt sie. Sie hat keinen Anführer, der alles zu Lebzeiten erledigt haben will.

    „Unser Geschwaderkommandeur ist General Ortwig, ihr Staffelführer ist Oberleutnant Hans – Joachim Bergfürst, also ich, ich bin gleichzeitig ihr Fluglehrer."

    Es folgte eine Einweisung in die Unterrichtsfächer. Die Themen hießen Formalausbildung, natürlich stand das auf der Liste an erster Stelle, dann Waldlauf, das auch noch, dann Leichtathletik, Turnen, Geländeübung, Schießen, politische Bildung, Menschenführung, Persönlichkeitsbildung... Fritz schien auf der falschen Veranstaltung zu sein, doch dann kamen wenigstens Dinge, die mit dem Fliegen im weitesten Sinne zu tun hatten: Luftrecht, Organisation, Logistik, Flugabwehr, Service und Notfallverhalten... Wo war das Fliegen? Es kam näher: Funkverkehr, Flugplatzordnung, Instrumente, Meteorologie, Aerodynamik, Flugzeugtypen, Kampfaufträge, Navigation und Blindflug sowie eine regelmäßige medizinische Überprüfung. Flugbetrieb stand da auch, irgendwo. Vielleicht war das ja das eigentliche Fliegen.

    Es war wieder einmal so, dass Fritz so gut wie kein Flugzeug sah und vollgestopft wurde mit allem, was die hohen Herren wichtig fanden. Die Leidenschaft zum Fliegen war nirgends zu spüren. Bemerkenswert fand er, dass auch hier, in dieser höchst professionellen Umgebung die Aerodynamik nicht besser hinterfragt wurde. Also war sie tatsächlich ein schwieriges Thema.

    „Findest du nicht, dass keiner die Aerodynamik richtig erklärt?", sagte er leise zu seinem Nachbarn, der eifrig mitschrieb.

    „Aber es fliegt doch", sagte der nur, ohne den Blick zu heben.

    „Aber man will doch wissen, warum?"

    „Wieso?"

    „Jeder will wissen, warum."

    „Ich nicht. Aber sprich mich in der Pause an. Dann können wir weiter reden."

    „Ich bin Toni. Toni Bauer. Und du?"

    „Fritz Klein, freut mich."

    „Schon mal geflogen?"

    „Ich bin sogar Segelfluglehrer." Fritz hoffte, dass das nicht arrogant wirkte. Das 'sogar' hätte er weglassen sollen.

    „Ich hab's in einer HJ – Gruppe gelernt, das Segelfliegen. Das wird uns bestimmt helfen."

    „Denke ich auch."

    „Was war das mit der Aerodynamik? Was willst du wissen?"

    „Wie sie funktioniert."

    „Hast du doch gehört. Bernoulli und so."

    „Ist nicht befriedigend."

    „Wieso denn das?"

    „So einfach ist es nicht."

    „Aber sie bauen damit ganz ordentliche Flugzeuge."

    „Ja schon. Hoffentlich wissen die, wie es wirklich ist."

    „Es funktioniert doch. Was willst du mehr?"

    „Wissen."

    „Wir betreiben hier doch keine Grundlagenforschung. Wir brauchen eine Berechnungsmethode, um Flugzeuge zu bauen. So lange die tut, ist es doch egal, ob sie grundsätzlich und in allen Aspekten richtig ist."

    „Das ist unbefriedigend."

    „Mag sein. Aber diese Frage stellt sich doch gar nicht."

    So siehst du das? Kein Drang, hinter die Dinge zu schauen?"

    „Mir reicht schon zu wissen, wie man den Vogel in der Luft hält und wie man heil wieder auf den Boden kommt. Ob die Aerodynamik von Bernoulli oder von Meier erklärt wurde, ist mir völlig wurscht. Nimm einmal die Schwerkraft. Sie funktioniert und du hast auch keine Ahnung warum."

    „Da stimmt allerdings. Gut, dass die Schwerkraft keine Ausnahmen macht. Obwohl, dein Beispiel hinkt, weil..."

    „Einhalb Getequadrat tut immer. Was für ein Glück. Aber komm jetzt, sie wollen uns tatsächlich ein Flugzeug zeigen. Zeit wird’s."

    Taten sie nicht. Sie mussten etwas anderes lernen, nämlich singen. Es war ein großartiges Lied, extra gedichtet für die neue Elite der Lüfte:

    'Wir jagen durch die Lüfte wie Wotan's wildes Heer,

    Wir schau'n in Wolkenklüfte und brausen übers Meer.

    Hoch tragen uns die Schwingen wohl über Berg und Tal,

    Wenn die Propeller singen im ersten Morgenstrahl.

    Flieger sind Sieger, sind allezeit bereit,

    Flieger sind Sieger für Deutschland's Herrlichkeit.

    Uns kümmert kein Gewitter, uns schert nicht Tag und Nacht,

    Wir sind des Reiches Ritter und halten treue Wacht.

    Es singen die Propeller ein stolzes, starkes Lied,

    Sie singen hell und heller vom Sieg, der mit uns zieht.

    Flieger sind Sieger...'

    Donnerwetter. Was für ein Werk. Voll in der Tradition der Dichter und Denker. Fritz Stimmbänder sträubten sich, solche Worte in Hörbares umzusetzen. Da war die Panzerplatte ja noch künstlerisch wertvoller. Er bewegte immer nur die Lippen, um in der stramm marschierenden Truppe nicht aufzufallen. Er entwickelte eine ganz überzeugende Technik darin. Nur Toni, der neben ihm marschierte, schaute manchmal verstohlen und zweifelnd zu ihm. Er traute sich aber nicht deutlicher zu werden. Das wäre in der Formation aufgefallen.

    Einmal, im Fach politische Bildung wurde die aktuelle Lage dargestellt. Das fand Fritz ziemlich interessant. Bestätigte es ihm doch den Willen des Führers, friedlich mit allen zusammenzuleben. Kriegerisch und misstrauisch erschienen ihm die Westmächte und die Russen. Aber die hatten vielleicht noch mit ihren schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit zu kämpfen. Obwohl wir ja auch damals den Krieg nicht wirklich begonnen hatten. Nun ja, begonnen irgendwie schon, aber wir konnten ja gar nicht anders.

    Der Lehrer, ein älterer Hauptmann in Heeresuniform erklärte ihnen die Situation. Die Westmächte würden Polen aus zwei Gründen unterstützen. Zum einen bildet es ein Bollwerk gegen den schrecklichen russischen Bolschewismus, in diesem Punkt wären wir uns einig, und zum anderen wäre Polen ein cordon sanitaire wie die Ausländer sagen, eine Pufferzone gegen die deutsche Expansion nach Osten und verhinderte einen Zusammenschluss Deutschlands mit Russland. Das erschien Fritz nicht ganz stimmig, aber es war in diesem Raum nicht angebracht, kritische Fragen zu stellen. Im Krieg 1919 bis 1921 gegen Russland hatte sich Polen bis in die Ukraine erweitert. Kiew war unter polnische Kontrolle gekommen. 1934 hatte unsere Regierung einen Nichtangriffspakt mit Polen abgeschlossen, in dem die augenblickliche polnische Westgrenze anerkannt wurde. Am 24. Oktober letzten Jahres gab es von uns Verhandlungen mit Polen wegen einer Reihe strittiger Fragen, die sich aus dem Versailler Vertrag ergeben hatten, hier insbesondere wegen der Freien Stadt Danzig. Es ging um eine neutrale Autobahn vom deutschen Reichsgebiet, um den Status der Stadt und um die polnische Militärpräsenz auf der Westerplatte. Dabei hatten die Polen deutlich gemacht, dass sie die Absicht haben, eine dritte große Macht im mittleren Europa zu werden. Polen hatte jedem, der einseitige territoriale Veränderungen im Sinne hatte, mit Krieg gedroht. Sie haben auch gleichzeitig eine Teilmobilmachung angeordnet. Trotz des friedlichen Verhältnisses zu den Staaten, wie es unser Führer will, muss das doch als eine feindliche Maßnahme betrachtet werden, die sich nur gegen Russland oder Deutschland als den einzigen großen Nachbarn richten konnte. Brisant wäre das, weil es eine britisch – französische Garantieerklärung für Polen gab. Gerade jetzt haben die Westmächte und Russland verhandelt wegen des Schutzes für

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