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Machtlos: Thriller
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eBook514 Seiten6 Stunden

Machtlos: Thriller

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Über dieses E-Book

Die Deutsche Ulrike Bauer wird in Kolumbien des Mordes an ihren beiden Kindern und ihrem Mann angeklagt. Obwohl sie unschuldig ist, scheinen die Beweise gegen sie erdrückend zu sein. Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein Albtraum wird wahr...
Nach fünf Jahren, in denen sie immer wieder mit dem Tod bedroht wird, gelingt Ulrike Bauer die Flucht aus dem Gefängnis. Nun versucht sie, ihre Unschuld zu beweisen und die wahren Mörder ihrer Familie zu finden. Auf ihrer Mission ist sie nicht allein: ihre Helfer und sie müssen auf ihrer Suche zu drastischen Maßnahmen greifen. Nur gut, dass diejenigen, die Ulrike unterstützen, viel Erfahrung mit ungewöhnlichen und höchst gefährlichen Fällen haben...

Foxfire sind zurück – und begeben sich auf eine atemlose Jagd nach den Drahtziehern dieser Intrige, die im Dschungel von Kolumbien beginnt und sich über Kontinente erstreckt. Heidrun Bücker ist mit „Machtlos“ wieder ein spannender Thriller gelungen, in dem starke Frauen ihre eigenen Wege finden, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

SpracheDeutsch
HerausgeberSchardt Verlag
Erscheinungsdatum20. Dez. 2020
ISBN9783961522392
Machtlos: Thriller

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    Buchvorschau

    Machtlos - Heidrun Bücker

    Kapitel 1

    Robert Mellerd genoss den Flug von Frankfurt nach Miami in der Businessclass der Airline. Freundliche Stewardessen, nette Mitreisende, was wollte man mehr?

    Robert, von seinen Freunden kurz Bobby genannt, hätte schon vor Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen können, aber immer nur Golf spielen, Fahrradtouren unternehmen oder sich eine andere, langweilige Beschäftigung suchen, das war nicht seine Vorstellung, den Lebensabend zu genießen.

    Bobby fühlte sich fit. Das lag sicherlich daran, dass er Sport trieb, immer noch arbeitete, trotz seiner mittlerweile sechsundsechzig Jahre, und sich gesund ernährte. Seine Leidenschaft galt Büchern. Nicht die Fachliteratur hatte es ihm angetan, sondern Thriller und Krimis. Sein Geist war stets hellwach. Komplizierte Zusammenhänge konnte er schnell erkennen und geistig noch rascher verarbeiten.

    Sein gepflegtes Äußeres, seine lässig moderne Kleidung, all das ließ ihn um Jahre jünger aussehen. Seine mittlerweile ergrauten Haare trug er akkurat kurz geschnitten. Die Farbe störte ihn nicht, ließ ihn aber interessanter aussehen.

    Über Deutschland hinaus war er mittlerweile eine Berühmtheit. Man hatte ihn mehr als einmal zu Funden im Ausland hinzugezogen, wenn es um die zweifelsfreie Identifizierung von Leichen ging, die man irgendwo zufällig entdeckt hatte. Vor fünf Jahren half er, die Entführung zweier Kinder aufzuklären. Letztendlich konnten sie dank Bobbys Hilfe lebend gerettet werden.

    Bobby Mellerd besaß acht Doktortitel, was er allerdings wenigen Leuten bislang gesagt hatte. Im Laufe der Jahre hatte er sich einen Namen als Experte für Tötungsdelikte gemacht.

    Aber nun wurde es Zeit, das Ruder Jüngeren zu überlassen. Seit Jahren hatte er auf Urlaub verzichtet. Immer wieder zog es ihn an seinen Arbeitsplatz, in die Gerichtsmedizin, zurück.

    Der letzte Fall, den er gemeinsam mit dem Team des Außenministeriums bearbeitet hatte, lag erst wenige Tage, man konnte fast sagen, wenige Stunden zurück. Es waren seine Erkenntnisse, es war seine Spürnase, die es schaffte, anhand von wenigen Unterlagen ein Mittel herzustellen, um Probanden, die leider in die Fänge eines Pharmakonzerns gelangt waren, zu heilen.

    Es machte ihm immer wieder Freude, mit dem Team von Foxfire und der Clique zusammenzuarbeiten.

    Müde lehnte er sich zurück. Acht Stunden Flug lagen noch vor ihm, dann endlich würde seine langersehnte Reise beginnen. Mit dem Schiff sollte es von Miami aus nach Südamerika gehen.

    Lange Zeit hatte er gehofft, seine Nachbarin würde ihn begleiten. Lena Hartfort wohnte mit ihrer Familie im Nachbarhaus. Schon vor Jahren freundeten sich die Hartforts mit Bobby an. Man feierte die Geburtstage zusammen, man goss gegenseitig die Blumen, wenn der Nachbar geschäftlich oder privat verreiste, und man hatte so viel Vertrauen gefasst, dass sie sogar jeweils den Haustürschlüssel für Notfälle beim Nachbarn deponierte.

    Als Lenas Mann starb, war Bobby zur Stelle, half der Witwe und unterstützte sie bei den Behördengängen. Sie duzten sich seit über dreißig Jahren, aber leider reagierte Lena nicht auf vorsichtige Annäherungsversuche von Bobby.

    Nicht dass sie ihm gegenüber ablehnend war, nein, Lena verkroch sich seit Monaten in ihre eigenen vier Wände.

    Als Bobby versuchte, sie zu der Reise zu bewegen, schaute sie ihn merkwürdig an. „Von Miami nach Südamerika? Mit einem Schiff? Lena lächelte versonnen. „Ein Traum von mir.

    Leider blieb es bei der einen Äußerung. Bobby wartete drei Wochen darauf, dass Lena zu ihm kam, um zu sagen, dass sie mitkommen würde. Leider, sie kam nicht.

    Bobby buchte also für sich alleine eine wunderschöne Suite mit einem herrlichen Balkon auf dem höchsten Deck des Kreuzfahrtschiffes.

    Er konnte es sich leisten. Durch seine Arbeit verdiente er genug, um sich diesen Luxus leisten zu können. Ihm fehlte lediglich die Zeit, Geld auszugeben. Den einzigen Wohlstand, den er sich vor über dreißig Jahren gönnte, war das behagliche, fast feudale Einfamilienhaus, das neben dem der Hartforts stand.

    Bobby träumte …

    Er wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen, als die Flugbegleiterin mit Getränken und der Speisekarte vorbeikam.

    Noch drei Stunden bis Miami.

    Er gönnte sich eine hervorragende Mahlzeit, genoss den Wein, den man ihm reichte und der gar nicht so schlecht schmeckte, wie er zunächst befürchtete.

    Der Urlaub fängt gut an, dachte er. Besser wäre es natürlich, wenn Lena an seiner Seite sitzen würde.

    Nach der Landung auf dem Airport in Miami kristallisierte sich schnell heraus, wer zu seiner Reisegruppe gehören würde. Sie alle wurden in ein nahe gelegenes Hotel untergebracht. Erst am folgenden Mittag begann die Einschiffung.

    Erste Kontakte wurden geknüpft. Eine bunt gemischte Gruppe traf sich am Schalter, um die Zimmerschlüssel in Empfang zu nehmen. Es handelte sich vorwiegend um ältere Urlauber.

    Am folgenden Mittag beförderte sie ein Bus direkt zum Anlegesteg des Kreuzfahrtschiffes. Die Kabinenschlüssel wurden verteilt, und Bobby beeilte sich, seine Kabine in Augenschein nehmen zu können.

    Die atemberaubende Sicht ging nach vorn raus, der gleiche Blick, den auch der Kapitän auf dem Deck unter ihm haben musste. Die Suite war groß und bot viel Platz. Auch die Terrasse mit den Liegestühlen war nicht zu verachten.

    Er lächelte, als sein Blick auf eine Kaffeemaschine fiel. Sofort dachte er an Corinna, Julia und die anderen kaffeesüchtigen Frauen, mit denen er immer wieder berufsbedingt zusammenarbeitete. Die Maschine würde hier auf der Kabine sicherlich heiß laufen. Er nahm sich vor, den kampferprobten Damen ein Foto zu schicken.

    Eine halbe Stunde später klopfte es, und sein Koffer wurde ihm gebracht. Das Auspacken konnte warten, zunächst wollte er das Ablegen im Hafen von seiner Terrasse aus beobachten.

    Der kabineneigene Butler brachte eine Flasche Sekt zur Begrüßung. Bobby genehmigte sich ein erstes Glas, das er auf der Terrasse vor seiner Kabine sitzend, in aller Ruhe genoss.

    Welch ein Luxus, dachte Bobby, der meist nur einen Zwanzigstundentag kannte.

    Die Ausfahrt aus dem Hafen in Miami war ein Schauspiel sondergleichen.

    Das Einzige, was ihn an dieser Reise störte, war, dass er all diese Annehmlichkeiten alleine genießen musste. Gerne wäre er in Begleitung gewesen, und seine Gedanken schweiften zu einer bestimmten Person: Lena.

    Kapitel 2

    Kolumbien

    Die Flucht war geglückt, aber ob es hier in dem Versteck wirklich sicher war, konnte sie nur hoffen. Ihre Helfer hatten ganze Arbeit geleistet. Aus dem Hochsicherheitstrakt des Staatsgefängnisses zu entkommen, grenzte an ein Wunder.

    Am liebsten wäre sie sofort aus diesem verdammten Land geflohen, wäre nach Hause zurückgekehrt, nach Deutschland. Aber leider ging das nicht. Sobald sie deutschen Boden betreten hätte, wäre sie verhaftet und vermutlich wieder nach Kolumbien ausgeliefert worden. Es nützte ihr nichts, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Das Gesetz war in diesem Punkt unnachgiebig. Bei Mord kannte man kein Pardon.

    Ulrike Bauer saß seit fünf Jahren in einem Gefängnis in Kolumbien. Das Urteil war schnell gesprochen und lautete auf vorsätzlichen dreifachen Mord. Das bedeutete lebenslange Haft.

    Ulrike Bauer war erst achtunddreißig Jahre alt, als man sie anhand von eindeutigen Beweisen verhaftete. Fünf qualvolle Jahre hatte sie abgesessen, bis ihr mithilfe guter Freunde, die alle an ihre Unschuld glaubten, die Flucht aus dem Hochsicherheitstrakt gelang.

    Der erste, leichtere Teil war geschafft. Nun galt es, die wahren Mörder ihres Mannes und ihrer beiden Kinder zu finden.

    Das Versteck wäre sicher, sagten ihre Freunde, dennoch sollte sie besser nicht die Unterkunft verlassen. Versorgt mit den wichtigsten Lebensmitteln, konnte sie nicht verhungern. Ihre Gesamtsituation hatte sich eigentlich nicht verbessert. Das Haus befand sich inmitten einer unwegsamen Gegend. Hierher verirrte sich niemand, und niemand vermutete, dass in der halb verfallenen Hütte jemand lebte.

    Ulrike Bauer schaute vorsichtig aus dem maroden Holzfenster ihrer Unterkunft, konnte keine Bewegung außerhalb feststellen und setzte sich beruhigt auf einen der alten Holzstühle.

    Immer wieder zuckte sie bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen. Die fünf brutalen Jahre, die sie in Haft verbringen musste, waren grausam gewesen. Nicht nur innerliche, auch äußerlich Narben hatte sie davongetragen.

    Ihre einzige Freundin in Kolumbien, Kerstin Gärtner, ebenfalls eine Deutsche, hatte es geschafft, sie hin und wieder im Gefängnis besuchen zu können, und ging damit ein hohes Risiko ein. Sie wohnte damals im Nachbarhaus und hatte die Entführung ihrer Kinder beobachtet. Sie sagte auch vor Gericht zu Ulrikes Gunsten aus. Leider glaubte man ihr nicht.

    Kerstin wusste genau, dass sie unter Beobachtung stand, man verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Sie befürchtete, das gleiche Schicksal wie Ulrike zu erleiden, sollte sie weiterhin versuchen, ihre Freundin im Gefängnis zu besuchen. Deshalb nahm sie Kontakt zu Ulrikes Anwalt, Frederico Solano, auf.

    Ulrike vertraute ihm. Kerstin blieb skeptisch. Leider waren die Beweise vor Gericht so massiv, dass auch er hilflos mit ansehen musste, wie seine Mandantin zu einer dreifachen lebenslangen Haftstraße verurteilt wurde.

    Deshalb war die einzige Möglichkeit, Ulrike zu helfen, die Rettungsaktion von Deutschland aus zu steuern.

    Frederico Solano kopierte sämtliche Akten des Prozesses und schickte sie zu Kerstin. Leider war es strikt verboten, den Häftlingen diese Dokumente zukommen zu lassen. Da auch Besuche untersagt waren, musste sich Kerstin zunächst in Deutschland selbst in die Unterlagen einlesen. Eine sehr lange Liste mit noch mehr Fragen lag neben dem Aktenstapel. Per Mail nahm sie Kontakt zu Solano auf. Er hatte als Einziger die Möglichkeit, seine Mandantin alle drei Monate im Gefängnis zu besuchen. Da der Prozess abgeschlossen war, eine Wiederaufnahme als aussichtslos abgeschmettert wurde, konnte er nicht von seinem Recht Gebrauch machen, seine ehemalige Mandantin mehr als einmal vierteljährlich aufzusuchen.

    Kerstin sandte ihm die Fragen zu, die ihr auf der Seele brannten. Die Unterlagen, die der Anwalt ihr zuschickte, vermittelten ihr den Eindruck, nicht vollständig zu sein. Dass ihre Freundin, die sie jahrelang kannte, ihren Ehemann und die beiden Kinder grundlos ermordet haben sollte, war eins der Rätsel, die sich niemand erklären konnte. Kerstin hatte die Verhandlung als Zuschauerin verfolgt. Meist waren keine Sitzplätze im Verhandlungssaal zu ergattern, denn der Prozess wirbelte eine Menge Staub auf.

    Schon während der Verhandlung fielen ihr immer wieder Ungereimtheiten auf. Ulrike Bauer hatte die Leichen ihres Mannes und die der Kinder nie persönlich identifizieren dürfen. Der Zeuge, der ihr Alibi für die Tatzeit bestätigen könnte, wurde nicht befragt.

    „Völlig belanglos", urteilte der Richter, ein älterer, kahlköpfiger Mann, Mitte sechzig, klein und rundlich. Ein dicker Siegelring protzte an seinem rechten Ringfinger.

    Ein Dolmetscher übersetzte zwar ihre Antworten während der Verhandlung, aber Kerstin vermutete, dass er es mit den Fragen des Staatsanwaltes nicht so genau nahm. Frederico Solano versuchte einzugreifen, aber der Richter ließ ihn nicht zu Wort kommen.

    Ein abgekartetes Spiel? Die Vermutung lag nahe, konnte aber weder bewiesen werden noch hatte Ulrike die Möglichkeit, sich Notizen während des Prozesses zu machen. Ihre Hände blieben in Handschellen und waren seitlich an ihrem Stuhl fixiert. Selbst wenn sie ein Blatt Papier und einen Stift gehabt hätte, wäre schreiben nicht möglich gewesen. Es grenzte an Folter, stundenlang in dieser starren Haltung sitzen zu müssen.

    Fünf Jahre lang hatte Ulrike Bauer Zeit, sich Gedanken über die Geschehnisse zu machen, kam aber zu keinem einleuchtenden Resultat. Die Zeit im Gefängnis hatte sie hart werden lassen, die einzige Möglichkeit, um hinter diesen Mauern zu überleben. Ihre Mitgefangenen gingen nicht gerade wohlwollend mit ihr um, und da sie über keinerlei Barmittel verfügte, konnte sie sich keine Freunde kaufen.

    Sie lernte sich zu verteidigen, sich zu wehren, wurde selbst zu einer dieser gewalttätigen Frauen, die sie normalerweise verachtete. Hier ging es ums reine Überleben, egal wie. Nachdem sie endlich begriffen hatte, wie die Hierarchie in einem Staatsgefängnis von Kolumbien funktionierte und sie keine Skrupel mehr hatte, zurückzuschlagen, konzentrierte sie sich auf ihre Flucht.

    Ein Unterfangen, von dem ihre Mitgefangenen ihr abrieten: „Aus diesen Mauern hat es noch nie jemand geschafft, zu fliehen. Vergiss es."

    Vergessen wollte und konnte sie es nicht.

    Nach einem Jahr erhielt sie eine neue Zellengenossin. Sie war nicht so brutal, gewissenlos und gewalttätig wie ihre Mitbewohnerinnen zuvor. Ulrike freundete sich mit ihr an. Conztanza war erst dreiundzwanzig, klein, zierlich und musste erst noch die harte Schule des Gefängnisses kennenlernen. Sie wurde mit einem blauen Auge und zwei Platzwunden im Gesicht zu Ulrike in die Zelle gebracht.

    Ulrike versorgte die Wunden. Ärztliche Behandlung war in diesem Fall nicht üblich. Zumindest erhielt sie Pflaster und ein Desinfizierungsmittel, so konnte Ulrike die Wunden zumindest säubern.

    Conztanza zuckte zurück, als Ulrike sich der ersten Platzwunde annahm. Mittlerweile war ihr Spanisch perfekt, aber das wusste niemand. Mit dem Wachpersonal sprach sie nicht, mit ihren Mitgefangenen nur ein gebrochenes, stümperhaftes Kauderwelsch.

    In ihrer Zelle übte sie fleißig, sobald sie alleine war, was nicht häufig vorkam. Nach einem Jahr verstand sie jedes Wort, nur mit der Aussprache meinte sie, würde es noch hapern.

    Conztanza dachte, Ulrike wäre genauso unmenschlich wie die anderen Häftlinge. Ulrike flüsterte ihr auf Spanisch zu: „Keine Angst, ich tue dir nichts. Halt einfach nur still, damit ich deine Wunden versorgen kann."

    Conztanza hob verwundert den Kopf: „Du sprichst meine Sprache? Man hat mir gesagt, ich käme in deine Zelle, weil du mich nicht verstehen würdest."

    „Dann posaune dein Wissen nicht gleich aus. Belassen wir es dabei, dass die anderen glauben, ich würde sie nicht verstehen und wir würden uns nicht verständigen können."

    Conztanza versprach es.

    „Wir werden den anderen noch eine bühnenreife Showeinlage bieten, damit sie meinen, wir würden uns hassen. Wenn du mitspielst, werden sie ihre Genugtuung dabei haben, uns zusammenzulassen."

    Erleichtert atmete Conztanza auf. Ulrike hoffte, in der nächsten Zeit nicht mehr von den Mithäftlingen belästigt zu werden, obwohl sie mittlerweile genau wusste, wie sie sich gezielt gegen diese Angriffe zur Wehr setzten konnte.

    Nach zwei Wochen waren Conztanzas Wunden verheilt. Die beiden trainierten in ihrer engen Zelle, um fit zu bleiben. Es war nicht einfach, aber die Enge hinderte sie nicht, tatkräftig zu üben. Gewichte besaßen sie nicht, also begnügten sie sich mit den Dingen, die in der Zelle vorhanden waren: sie selbst. Ulrike stemmte Conztanza, und die schmächtige dunkelhaarige Kolumbianerin probierte immer wieder Ulrike hochzuheben. Eine Beschäftigung, die gut gegen ihre Langeweile war, denn es wurde ihnen noch nicht einmal ein Buch oder ein Hofrundgang gestattet.

    In ihren Trainingspausen unterhielten sie sich über ihren jeweiligen Prozess, über die Taten, die sie angeblich begangen haben sollten, und wieder kristallisierte sich heraus, dass man hier die Menschen wahllos beschuldigte, verurteilte und für Jahre hinter Gitter steckte.

    Conztanza wurde des Diebstahls beschuldigt und sollte die nächsten zehn Jahre im Hochsicherheitstrakt des Staatsgefängnisses absitzen. „Ich habe nichts gestohlen, aber es gab komischerweise einen Zeugen, der mich dabei beobachtet haben wollte. Seltsam ist nur, dass ich zu dem angegebenen Zeitpunkt gar nicht in der Nähe des Hauses war, wo ich angeblich eingebrochen sein soll. Ich konnte das sogar anhand einer Bekannten belegen, rund zehn Kilometer weit entfernt bei ihr gewesen zu sein. Aber es half nichts. Meine Bekannte wurde so massiv unter Druck gesetzt, dass sie später aussagte, vermutlich das Datum verwechselt zu haben. Ich habe leider nichts mehr von ihr gehört. Während des Prozesses kam dann der leitende Ermittlungsbeamte plötzlich an und präsentierte eine Tüte mit harten Drogen, die er angeblich in meinem Zimmer unter dem Bett gefunden haben will."

    „Und? Ulrike wurde neugierig. „Waren es deine?

    „Nein, es waren weder meine Drogen, noch bin ich irgendwo eingebrochen und habe etwas geklaut."

    „Warum wollte man dich denn dann hinter Gitter sehen?"

    Conztanza zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung."

    „Überlege …, was ist in den Tagen zuvor passiert? Wo warst du da? Wem bist du begegnet? Was hast du gemacht?"

    „Du stellst merkwürdige Fragen …"

    „Ich denke, wir beide sind irgendjemandem auf die Füße getreten. Wir haben etwas gesehen, was wir nicht sehen durften."

    „Aber wir beiden kannten uns doch vorher gar nicht. Du bist doch schon länger hier drin als ich."

    „Stimmt, wenn wir den gemeinsamen Nenner finden, wissen wir vermutlich auch, warum man uns aus dem Weg schaffen will."

    „Pah, kam es von Conztanza, „dann wäre es doch vorteilhafter gewesen, man hätte uns umgebracht. Dann wäre das leidige Thema ein für alle Mal erledigt.

    „Stimmt, aber bei mir würde man Fragen stellen, ich komme aus Deutschland. Die deutsche Botschaft hatte sich zwar kurz eingeschaltet, wollte aber nichts unternehmen."

    „Lass uns weiter trainieren und dabei überlegen, welchen gemeinsamen lieben Freund wir vergrault haben könnten."

    Nach weiteren drei Monaten harter Übung schaffte Conztanza es, Ulrike hochzuwuchten. Ihre Freude war groß, sie jubelte laut. Ulrike zuckte zurück und fing lauthals an zu fluchen.

    „Verdammt, du blödes Miststück, dir werde ich es zeigen, sie schlug hart auf das Kopfkissen ein und schrie zeitgleich, „Aua …!

    Conztanza wusste im ersten Moment nicht, was los war. Ulrike flüsterte ihr zu: „Du kannst nicht einfach freudig jubeln, denk daran, wir sind verfeindet. Schrei einfach laut."

    Conztanza begriff und klatschte ebenfalls gegen ihre eigene Hand. Sie schrien, sie kreischten, es hörte sich nach einem harten Kampf an.

    Den Streit konnte man noch einige Kerker weiter hören. Niemand würde ihre Zelle betreten, niemand würde nachschauen, was dort passierte. Vor neugierigen Blicken waren sie sicher.

    Später lachten sie leise.

    „Hat geklappt, sagte Ulrike, „Glück gehabt. Die sollen weiter der Meinung sein, wir erschlagen uns demnächst gegenseitig.

    Sie sollten recht behalten.

    In den nächsten Wochen erzählte Ulrike ihrer Zellengenossin, wie sie in diesem menschenunwürdigen Gefängnis gelandet war.

    Kapitel 3

    In der Höhe von Kuba

    Bobby Mellerd wanderte über das Deck und schaute Richtung Kuba. Der Landstreifen war schwach am Horizont zu erkennen. Nach dem Frühstück, er suchte sich jeden Morgen ein anderes Restaurant aus, genoss er die Aussicht auf Deck 12. Über ihm der Himmel, unter ihm die Poollandschaft und die Kabinen. Das Sonnendeck war so früh am Morgen noch leer.

    Ruhe.

    Normalerweise liebte er die Hektik im Labor oder im Autopsiesaal. Im Augenblick vermisste er nicht den Wecker morgens um sechs Uhr.

    Ausschlafen!

    Er atmete tief durch, schnappte sich seinen E-Book Reader und nahm sich vor, während der Reise mindestens zehn Bücher zu lesen. Genügend Thriller hatte er sich zuvor heruntergeladen. Kaum lag er auf der Sonnenliege, eilte schon die Bedienung herbei und fragte nach seinen Wünschen.

    Er stellte sich seinen Handywecker. In zwei Stunden war es so weit, und er konnte seine Landausflüge buchen. Bereits in Deutschland hatte er sich für den Ausflug zum Machu Picchu angemeldet. Ein langjähriger Traum von ihm, genauso die Fahrt durch den Panamakanal. Da seine Suite so einen atemberaubenden Ausblick hatte, würde er während der Durchfahrt seine Balkonterrasse sicherlich keine Minute verlassen.

    Zuvor bot man aber in Kolumbien noch einige Tagesausflüge an, die er sich nicht entgehen lassen wollte.

    Er sah träumend von seiner Liege hoch, legte seinen Reader zur Seite und schaute erneut auf das Meer hinaus. Hier in der Karibik wehte trotz der Fahrtgeschwindigkeit ein warmer Wind. Bobby trug eine kurze Cargohose und eins seiner Lieblingspolohemden. Eine Baseballkappe verhinderte, dass die Sonne ihn blendete.

    Drei Tage war er nun unterwegs, aber Langeweile war noch nicht aufgekommen. Mit einigen Passagieren hatte er sich schon unterhalten. Die meisten seiner Mitreisenden kamen aus den USA, wenige aus Österreich oder den Niederlanden. Die wenigen Deutschen an Bord zogen es vor, unter sich zu bleiben, und mieden den Kontakt mit dem Alleinreisenden.

    Daher war er mehr als verwundert, als sich eine Frau neben ihn setzte.

    „Ist der Platz hier noch frei?"

    „Natürlich", antwortete Bobby.

    „Danke."

    Er war verwundert. Mehr als die Hälfte der Liegestühle war noch leer. Warum setzte sie sich ausgerechnet zu ihm?

    Die Frau nahm ein Buch zur Hand und vertiefte sich in ihren Krimi.

    Bobby lehnte sich zurück und schloss die Augen. Seine Gedanken schweiften zu seiner Nachbarin Lena. Warum wollte sie ihn nicht begleiten? Hätte er Lena vielleicht direkt fragen sollen? Hatte sie eventuell gar nicht verstanden, dass er sich gefreut hätte, wenn sie mitgekommen wäre? Hatte sie nicht begriffen, dass er sich in sie verliebt hatte?

    Ich werde, sobald ich zurück bin, mit ihr darüber sprechen, dachte er.

    Nachdem er sich darüber Gedanken gemacht hatte, fühlte er sich erleichtert, schloss die Augen und schlief ein.

    Eine Stunde später erwachte er und stellte fest, dass der Liegestuhl neben ihm wieder frei war. Er stand auf und wollte sich etwas zu trinken holen. Drei Restaurants in unmittelbarer Nähe auf Deck 12 hatten ständig geöffnet, und die Passagiere hatten die Möglichkeit, sich jederzeit Getränke oder auch andere Kleinigkeiten wie Kuchen, Eis oder andere Nachspeisen zu holen.

    Die Kaffeeautomaten befanden sich im ständigen Online-Modus, wie er unschwer feststellen konnte. Bei den Kaffeetassen entdeckte er seine Liegestuhlnachbarin, die sich am Kuchenbüfett bediente. Die junge Dame ignorierte ihn. Aus der Ferne konnte er sie nun genauer ansehen. Mit einer Größe von ca. 1,75 Meter begegneten sie sich fast auf Augenhöhe. Sie schien Ende dreißig oder Anfang vierzig zu sein. Ihre dunklen, halblangen Haare hatte der Wind zerzaust. Wie auch die anderen Mitreisenden trug sie ein dünnes Shirt und eine kurze, helle Cargohose. Mit ihren Flipflops bewegte sie sich sicher übers Deck. Wie bei den Damen so üblich, schleppte sie eine ziemlich große Handtasche mit sich herum.

    Während beinahe sämtliche Passagiere ihre Zimmerkarten in einem extra dafür angefertigten Plastiktäschchen um den Hals trugen, konnte Bobby die Karte bei ihr nicht sehen.

    Durch Bobbys jahrelange Zusammenarbeit mit Foxfire war seine Beobachtungsgabe geschärft und ließen ihn diese winzigen Ungereimtheiten sofort erkennen.

    Noch maß er dem allerdings keine große Bedeutung zu.

    Als sie sich aber mit einer Tasse Kaffee an den direkt neben ihm stehenden Tisch auf dem Achterdeck setzte, obwohl rundherum genügend Plätze frei waren, waren plötzlich seine Sinne geschärft.

    In den nächsten drei Stunden sah er sie nicht mehr. Erst als es Zeit wurde, zu Abend zu essen und Bobby sich auf den Weg in sein Lieblingsrestaurant machte, sah er sie an der Reling stehen. Von hier aus ging es in zwei Restaurants. Bobbys ungutes Gefühl machte sich wieder breit.

    Er betrat das Restaurant und sah im Glas der Eingangstür, dass ihm die Frau folgte. Nun war er sich sicher, dass sie ihn verfolgte. Aber aus welchem Grund? Er war nur auf Urlaubsreise. Ob er sie ansprechen sollte?

    Schade, dass er nicht permanent Internet zur Verfügung hatte, ansonsten hätte er ein Foto der Dame zu Foxfire geschickt, damit sie herausfinden könnten, um wen es sich bei dieser Frau handeln könnte. Schnell verwarf er die Idee wieder. Sie würden ihn zwar nicht auslachen, aber doch einige Scherze über seinen angeblichen Verfolgungswahn machen.

    Nach einem ausgiebigen Essen ging er zurück in seine Kabine. Der Balkon mit seinem einzigartigen Ausblick lockte. Mit einem Kaffee in der Hand setzte er sich in den bequemen Liegestuhl und genoss den Fernblick auf Haiti.

    Bis es dämmerte, blieb er auf seiner Terrasse sitzen, zog sich dann um, da er die Aufführung nicht verpassen wollte.

    Das Theater befand sich auf Deck sieben. Er benutzte den Fahrstuhl und fuhr herunter. Kaum öffnete sich die Fahrstuhltür, sah er sie wieder. Sie stand aus einem der eleganten Sessel auf, die vor dem Eingang des Theaters standen, und ging vor ihm her Richtung Theatereingang.

    Verdammt, dachte er, das ist mittlerweile keine Einbildung mehr. Sie verfolgt mich. Wenn ich doch nur den Grund wüsste.

    Morgen, so nahm sich Bobby vor, würde er sich den W-LAN Zugang für die nächsten vierzehn Tage buchen. Eigentlich teuer, eigentlich wollte er Urlaub machen, eigentlich gemeinsam mit Lena …

    Aber diese Frau ließ ihn unruhig werden. Er versuchte unauffällig, ein Foto der Unbekannten zu machen, um es morgen zu Foxfire zu schicken. Die würden sicherlich herausfinden, ob etwas mit ihr nicht stimmte, oder ob seine Fantasie mit ihm durchging.

    Kapitel 4

    Kolumbien sieben Jahre zuvor

    Ulrike betrachtete es als ein Abenteuer, als ihr Ehemann Konrad von dem Jobangebot erzählte, das er von seiner Firma erhalten hatte, bei der er seit fünf Jahren angestellt war. Als Ingenieur arbeitete er für eine große Firma, die vorwiegend im Brücken- und Talsperrenbau tätig war. Europaweite Aufträge waren nicht ungewöhnlich, aber als dann die Anfrage aus Kolumbien kam und als man ausgerechnet Konrad bat, für zwei oder drei Jahre dorthin zu gehen, um einen Damm in einem abgelegenen Gebiet, in der Nähe von Barranquilla zu bauen, dachten sie, es wäre ein Glücksgriff. Der Verdienst war höher als erwartet. Da Ulrike ihren Job in Deutschland aufgeben musste, wenn sie mit beiden Kindern ihren Ehemann nach Kolumbien begleitete, war das zumindest ein Ausgleich.

    Konrad war schon einige Male zuvor in Kolumbien gewesen, aber immer nur für wenige Wochen, um vor Ort größere Baumaßnahme für seine Firma abzuschließen. Meist blieb er vier oder sechs Wochen dort, um dann nach Deutschland zurückzukehren. Nun aber sollte es für länger sein.

    Ulrike und die Kinder freuten sich, denn die stets wiederkehrenden Trennungen von ihrem Vater, ließen Ina und Felix immer wieder einige Tage traurig herumlaufen.

    In der Nähe von Santa Marta wurde ihnen ein kleines Häuschen inmitten einer Bananenplantage zugewiesen. Das Klima dort war warm und feucht.

    Sofort nach ihrer Ankunft erhielt Konrad einen Anruf.

    „Mein neuer Chef, erklärte er seiner Frau, „er will mich unverzüglich sehen. Er machte sich sofort auf den Weg in sein Büro, das gut sechzig Kilometer entfernt lag. Ohne seine Koffer auszupacken, verschwand er.

    Kurze Zeit später meldete er sich: Er würde in den nächsten Tagen nicht nach Hause kommen. Ulrike und die Kinder waren auf sich alleine gestellt, sie mussten sich ohne Konrad zurechtfinden.

    Sie war wütend. Konrad war nicht das erste Mal in Kolumbien. Er hätte sich um eine bessere Unterkunft kümmern können. Bislang wohnte er bei seinen Aufenthalten in komfortablen Hotels. Er kannte das Land, er kannte die abgelegene Gegend, in der sie gelandet waren. Warum hatte er nicht vorher etwas unternommen?

    Diese Hütte, die man ihnen hier überlassen hatte, war in einem desolaten Zustand. Abgewetzte Möbel, muffig riechende Bettwäsche, eine mit Schimmel übersäte Dusche und eine Toilette, die seit Jahren nicht sauber gemacht worden war. Ulrike war entsetzt. Die Kinder wollten lieber draußen schlafen. Das Haus war heruntergekommen und eine Katastrophe, das Türschloss ein Witz. Sie riss sich zusammen und fing an zu putzen.

    Drei Tage später hatte sie sich so weit orientiert, dass sie die nähere Umgebung auskundschaftete.

    Mehr als einmal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Mehr als einmal meinte sie, jemand sei während ihrer Abwesenheit im Haus gewesen, konnte aber zunächst nichts Auffälliges erkennen. Es war eher ein Gefühl. Als die Kinder eine Woche später einige ihrer Spielsachen suchten, die scheinbar spurlos verschwunden waren, kaufte sie im nächsten Ort ein Vorhängeschloss und brachte es an der Haustür an. Obwohl man ihr fünf Tage nach der Ankunft einen firmeneigenen, alten, klapprigen Wagen überließ, war Ulrike unglücklich. Sie packte die Koffer erst gar nicht aus, sondern begab sich sofort auf Wohnungssuche.

    Es war schwieriger als gedacht. Für die Kinder gab es keinen Kindergartenplatz. Sie musste sie ständig mitnehmen. Ina und Felix, vier und sechs Jahre alt, waren unzufrieden, mürrisch und übel gelaunt, als sie mal wieder mit ihrer Mutter mitfahren mussten. Alleine konnte sie die Kinder nicht lassen, da sie kein Kindermädchen oder eine andere, vertrauenswürdig Person kannte, die auf die Kinder aufpassen konnte.

    Sogar um die notwendigen Lebensmittel einkaufen zu können, musste sie eine längere Autofahrt in Kauf nehmen.

    Nach drei Wochen hätte sie am liebsten die Koffer gepackt, die Kinder geschnappt, um schnellstmöglich wieder nach Deutschland zurückzukehren.

    Konrad kam nur selten nach Hause. Die Arbeit hielt ihn oft mehrere Tage an der Baustelle fest. Wenn er dann müde zu ihnen kam, wollte er von den Beschwerden seiner Frau nichts hören.

    „Kannst du das nicht alleine machen? Ich bin erledigt, du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Arbeit es auf der Baustelle gibt. Ich bin der leitende Ingenieur, knurrte er. „Ich kann nicht pünktlich Feierabend machen. Such doch in der Nähe von Cartagena eine Wohnung oder ein Haus für uns. Ich habe gehört, dort soll es sehr schön sein.

    „Das würde ich ja, wenn ich nicht immer die Kinder mitnehmen müsste. Sie sind noch zu klein, um stundenlang im Auto zu sitzen, während ich durch die Gegend fahre. Könntest du denn nicht in der Firma nachfragen, ob jemand uns eine Wohnung vermitteln kann?"

    Konrad wollte damit nicht belästigt werden. Immer häufiger blieb er länger als nur eine Woche weg.

    Für ihn sah es so aus, als ob seine Frau den ganzen Tag nichts zu tun hatte. Sie musste sich nur um die Kinder kümmern. Mehr nicht. In dem kleinen Häuschen inmitten der verträumten Bananenplantage war es einsam und langweilig. Die Einwände Ulrikes, jemand wäre mehrmals während ihrer Abwesenheit im Haus gewesen, tat er mit einer unwirschen Handbewegung ab. „Blödsinn", war sein einziger unfreundlicher Kommentar.

    Konrad hatte viel zu tun, dachte aber doch daran, seine Kollegen nach einer passablen Unterkunft zu fragen. Er hatte Glück. Einer seiner Bauleiter kannte einen Hauseigentümer, dessen Häuschen in der Nähe von Barranquilla im Augenblick leer stand. Er gab Konrad die Handynummer.

    Von da an ging es schnell. Sie konnten das Haus mieten. Ihre wenigen Sachen waren schnell zusammengesucht.

    Hier gefiel es ihr. Eine Art Kindergarten befand sich in der Nähe. Beide Kinder konnte sie dort zumindest morgens unterbringen, was ihr Zeit verschaffte, das Haus wohnlich zu gestalten. Ihre Nachbarin, Kerstin Gärtner, die auch aus Deutschland stammte, half ihr. Sie freundete sich schnell mit Kerstin an, die in Barranquilla arbeitete.

    Als Konrad nach einer harten Arbeitswoche freitags am späten Nachmittag zu ihnen kam, konnte er in die strahlenden Augen seiner Frau und Kinder schauen. Es gefiel ihnen hier. Nach über sechs Wochen in diesem Land, fern der Heimat, fand Ulrike endlich, dass sie sich doch daran gewöhnen könnte, die nächsten zwei oder drei Jahre hier zu leben.

    Sie fand auch für Felix eine Schule, nicht weit von ihrem gemieteten Haus entfernt, und meldete ihn für das kommende Schuljahr dort an. Ina würde noch zwei Jahre im Kindergarten verbringen. Ulrike hoffte, dass sie bis dahin wieder nach Deutschland zurückgekehrt waren und das Bauobjekt bis dahin abgeschlossen sein würde.

    Obwohl sie nun umgezogen waren, hatte Ulrike immer noch das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, wenn sie einkaufen ging oder die Kinder zum Kindergarten brachte. Obwohl sie sich immer wieder suchend umschaute, konnte sie niemanden erkennen, der sich auffällig verhielt.

    Nachdem sie die wichtigsten Dinge wie den Umzug und die Anmeldung von Ina und Felix im Kindergarten geregelt hatte, überlegte sie, sich einen Job zu suchen. Mittlerweile hatte Ulrike sich mit zwei Frauen aus der Nachbarschaft angefreundet. Zunächst unterhielten sie sich in Englisch, aber Ulrike wollte unbedingt die Landessprache lernen.

    Vier Wochen lebten sie schon in ihrem neuen Haus, als Konrad freitags spätabends erschien und einen abgekämpften Eindruck auf seine Frau machte.

    „Was ist los? Hast du Schwierigkeiten auf der Baustelle?" Ulrike hatte gekocht und sie saßen mit den Kindern am Tisch. Ina und Felix freuten sich, ihren Vater zu sehen.

    „Papa, bleibst du nur wieder bis Sonntag?" Felix war immer traurig, wenn sein Vater zurück ins Camp der Baustelle fuhr.

    „Leider, mein Großer. Aber ich komme garantiert nächsten Freitag früher nach Hause, dann können wir noch etwas unternehmen."

    „Versprich den Kindern nicht immer Dinge, die du nicht einhalten kannst", flüsterte Ulrike leise. Sie zählte schon nicht mehr die Versprechungen Konrads, die er nie einhielt.

    „Nein, nein, nächstes Wochenende klappt es garantiert. Wir hatten nur in den letzten drei Wochen Ärger mit einer der Zulieferfirmen. Nun ist alles geklärt und ich kann pünktlich Feierabend machen."

    Natürlich klappte es nicht. Freitagmorgen rief Konrad seine Frau an. „Schatz, kannst du mich bei den Kindern entschuldigen? Sie werden es verstehen, genau wie du auch. Aber ich kann dieses Wochenende hier nicht weg. Es ist zu viel zu tun und der Boss hat Überstunden angeordnet."

    Die Kinder waren enttäuscht. Natürlich verstanden sie es nicht.

    Als Felix einige Monate später eingeschult wurde, konnte sein Vater nicht an der Feier teilnehmen. Ulrike versuchte, ihren Mann auf dem Handy zu erreichen. Niemand nahm den Anruf entgegen.

    Die Mailbox sprang an. Ulrike hinterließ eine Nachricht. Als sich Konrad eine Stunde später endlich meldete, war er wütend.

    Kapitel 5

    Gegenwart – Karibik auf der Höhe von Jamaika

    Sie passierten Jamaika. Dort legten sie aber keinen Zwischenstopp ein. Der nächste Hafen, den sie ansteuerten, war Santa Marta in Kolumbien. Bobby hatte sich für einen Landausflug angemeldet. Die Busse parkten bereits an der Anlegestelle und warteten auf die Leute, die an den verschiedenen Ausflügen teilnehmen wollten.

    Die Gruppe für den Ausflug in Santa Martas Hinterland war groß. Drei Busse wurden benötigt, die sich, sobald die Teilnehmer eingestiegen waren, unverzüglich auf den Weg machten.

    Wasserflaschen wurden verteilt. Das Klima war feucht, schwül, und es wurde allen geraten, nicht das Trinken zu vergessen. Bobby hatte vorgesorgt und trug eine Baseballkappe gegen die Sonne, die trotz der frühen Morgenstunde schon auf der Haut brannte.

    Seine mysteriöse Verfolgerin schlüpfte als letzte Teilnehmerin kurz vor der Abfahrt in den Bus und setzte sich auf den letzten freien Platz, hinten im Bus.

    Bobby hob sein Handy und tat so, als ob er die Gegend aus dem Bus heraus fotografierte, hatte aber die Kamera so gestellt, dass sie das Innere des Busses aufnahm. Er kontrollierte seine Fotos und war zufrieden. Zumindest auf einem der Bilder war sie zu erkennen. Sobald er Internetempfang hatte, wollte er das Foto zu Foxfire schicken.

    Als sie den Ausgangspunkt ihrer Wanderung erreicht hatten, verließen sie den Bus. Einige Touristenbuden standen hier, wo man Erinnerungen kaufen konnte: Baseballkappen, Sonnenhüte, Sonnenbrillen, Flipflops, Badeschlappen und Getränke …

    Bevor die Wanderung durch die Bananenplantage begann, wurden erneut Wasserflaschen verteilt.

    Später wusste Bobby, warum Badeschuhe in allen Größen der Renner am Stand waren. Das Ziel sollte ein Wasserfall sein.

    Während des Ausfluges gelang es ihm, noch einige Bilder von der Unbekannten zu knipsen.

    Sie wanderten durch ein blühendes Paradies. Bobby kam es vor, als sei das hier die Kulisse für den Film „Die Schatzinsel" gewesen. Immer wieder überquerten sie einen Bachlauf, mal gingen sie linksseitig, dann wieder rechtsseitig den Bach entlang. Brücken gab es nicht, große Steine, die man als Weg nutzen konnte, um trockenen Fußes das Wasser zu überqueren, nur selten. Bobby landete im Wasser. Die Flipflops fielen ihm ein. Nun wusste er, warum sie dort zu kaufen waren.

    Kurze Zeit später nahm er die Sandalen in die Hand und lief barfuß weiter. Der Führer ihrer Gruppe erklärte ihnen die Blumen, die am Wegesrand oder inmitten

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