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Die Hexenkönigin
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eBook479 Seiten6 Stunden

Die Hexenkönigin

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Über dieses E-Book

Evangeline und Conan finden keine Ruhe. Der Angriff auf Morrigans Herrschaft hat nicht nur die Königin selbst, sondern ganz Ciaora erschüttert. Während sich die Gefährten auf einen weiteren Kampf vorbereiten, wird allerdings klar, dass Morrigan nicht ihre einzige Bedrohung ist. In Evangeline selbst schlummern Kräfte, die die Menschen um sie herum in Lebensgefahr bringen.
Als Morrigan droht, diese Kräfte gegen sie einzusetzen, muss Evangeline handeln. Gemeinsam mit ihren engsten Vertrauten reist sie in den Norden, um die lange verschollenen Feen zu finden. Den Weg dorthin kann ihr jedoch nur einer weisen - Prinz Ethan, Morrigans Sohn.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Okt. 2020
ISBN9783752919110
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    Buchvorschau

    Die Hexenkönigin - Anna Rawe

    Prolog

    Sie haben den Zirkel erreicht. Ihr Sohn hielt den Kopf gesenkt – eine respektvolle Haltung, die er bis zur Perfektion beherrschte. Unsere Männer haben das Dorf umstellt. Wir warten nur auf Euren Befehl, Mutter.

    Sie verzog die Lippen. Der Gestank nach Schimmel und nassem Stein hatte begonnen, sich in ihren Kleidern festzusetzen und sie hätte alles gegeben, um in diesem Moment in ihrem Turmzimmer im Schloss zu sitzen. Stattdessen harrte sie nun seit über einer Woche in dieser gottverdammten Ruine aus und wartete auf den richtigen Zeitpunkt.

    Noch nicht, murmelte sie leise, bevor sie sich aufrichtete und die Bücher, die offen vor ihr auf dem Tisch lagen, mit einem Knall schloss. Ihr Sohn beobachtete jede ihrer Bewegungen.

    Wir haben mehr als doppelt so viele Männer, bemerkte er schließlich. Es wäre ein Leichtes, das Dorf zu überrennen. Die Hexen hätten nicht den Hauch einer Chance.

    Ich weiß. Morrigan erwiderte den Blick ihres Sohnes. Und ich befehle euch, noch zu warten.

    Warum? Edmond straffte die Schultern und sie fragte sich, wann er zuletzt einen ihrer Befehle hinterfragt hatte. Ich könnte euch den Kopf der Verräterin schon morgen auf einem Silbertablett servieren. Wir könnten dieses Versteckspiel ein für alle Mal beenden. Und Ihr könntet den Menschen ein weiteres Mal beweisen, wer ihre wahre Königin ist.

    Ihre wahre Königin. Sie unterdrückte ein Schnauben. Die Chance auf diesen Titel war ihr in dem Moment zwischen den Fingern zerronnen, als Cormac fiel. Ihr Wort wog nichts ohne das seine, das ihre unglaubliche Geschichte bestätigte. Es war dumm zu hoffen, dass Gewalt oder Angst irgendetwas an ihrer Legitimierung ändern könnten. Doch das mussten sie auch nicht. Morrigan musste nur lang genug die Oberhand behalten, bis der wahre Erbe Cormacs seinen Platz auf dem Thron Ciaoras beanspruchen konnte. Und bis dahin durfte sie keine vorschnellen Entscheidungen treffen.

    Sorge dafür, dass man euch nicht entdeckt, befahl sie. Die Hexen und vor allem das Mädchen dürfen nicht den Hauch einer Ahnung davon haben, dass wir sie beobachten. Behaltet sie im Auge und informiert mich über jede Veränderung in ihrem Verhalten.

    Ihr Sohn musterte sie skeptisch. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Er verstand zu wenig von dem, was vorging, um ihre Handlungen nachvollziehen zu können. Dennoch senkte er schließlich den Kopf.

    Wie Ihr befiehlt, Mutter. Er zögerte und war bereits zwei Schritte zurückgetreten, als er schließlich innehielt. Was werden wir tun, falls nicht das Mädchen, sondern Ethan uns entdeckt?

    Sie erkannte den hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sie einen Fehler begangen hatte. Indem sie beide im Glauben gelassen hatte, die Thronfolge würde durch das Alter bestimmt, hatte sie Edmond Hoffnungen gemacht, wo keine waren und Ethan ... Nun, Ethan musste erst noch beweisen, dass er bereit für ein Amt dieser Verantwortung war.

    Entschlossen straffte sie die Schultern. Mein Befehl war klar und deutlich: Sorgt dafür, dass keiner von ihnen weiß, dass ihr da seid.

    Als Edmond noch immer keine Anstalten machte, zu gehen, hob sie das Kinn. Das war alles.

    Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wandte sie sich ab. Wie erwartet hörte sie nur einen Augenblick später seine Schritte und das leise Knarzen der Türangeln, als er den Raum verließ.

    Erleichterung durchströmte sie und sie gestattete sich einen Moment des Innehaltens, bevor sie schließlich hinter den wuchtigen Schreibtisch trat, der neben ein paar Stühlen und den wurmstichigen Betten das einzige Möbelstück in der Ruine war. Götter, wie hatte es nur soweit kommen können? Wie hatte sie zulassen können, dass diese hirnrissige Rebellion das Schloss und nun auch die Macht übernahm?

    Sie schüttelte den Kopf und ermahnte sich, dass das alles nur vorübergehend war. Die Rebellen mochten glauben, sie hätten sie von ihrem Thron vertrieben und das Mädchen konnte gern weiterhin denken, es hätte eine ernsthafte Chance gegen sie. Doch Morrigan war noch lange nicht bereit, aufzugeben. Und sie hatte die Antworten auf die Fragen, die die Welt dieser bemitleidenswerten Menschen auf den Kopf stellen würden.

    Kapitel 1

    Der Feuerball verfehlte meinen Kopf nur um Haaresbreite. Reflexartig wich ich aus und riss meinerseits die Hände nach oben. Magie kribbelte in meinen Fingerspitzen und im Bruchteil eines Augenblickes entflammte die Luft in meiner Handfläche. Ich zögerte nicht.

    Mit atemberaubender Geschwindigkeit jagte ich die Kugeln quer über die Lichtung auf die junge Frau. Feuer erhellte die Stoffbahnen, die den Platz umgrenzten und umriss die Züge der Frau, die mir gegenüber im Ring stand.

    Ich hatte gut gezielt – die Feuerbälle hielten direkt auf ihren Brustkorb zu. Kurz, bevor das Feuer sie jedoch erreichte, hob sie die Hände abwehrend vor den Körper. Die Flammen erloschen noch im selben Moment.

    Du lernst schnell. Auricas Mundwinkel hoben sich und offenbarten ein schmales Lächeln. Wenn du so weitermachst, solltest du bald auf dem Level eines Novizen des dritten Jahres sein.

    Atemlos grinste ich. Das Lob der sonst so wortkargen Hexenmeisterin spornte mich stärker an als erwartet. Nochmal von vorn?

    Aurica nickte. Versuch diesmal, dem Feuer mehr Geschwindigkeit zu verleihen. Idealerweise sollte der Ball den Gegner treffen, bevor dieser überhaupt reagieren kann.

    Ich ging zurück in meine Ausgangsposition, während Aurica einige Schritte nach hinten trat und die Hände erhob. Langsam begannen wir, uns zu umkreisen.

    Fokussiere dich nicht auf Äußeres, wiederholte Aurica, während ihr Blick mich durchbohrte. Konzentriere dich auf den Fluss der Magie. Wenn dein Gegner –

    Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, denn in diesem Moment startete ich den Angriff. Rasend strömte die Magie durch meinen Körper, bis er vibrierte und ich an der Grenze dessen war, was ich kontrollieren konnte. Abwechselnd riss ich meine Handflächen in die Luft und setzte Aurica so einem Kugelhagel aus, den sie zwar abwehren, jedoch nicht entgegnen konnte. Es kostete mich alle meine Kraft, den Rausch der Magie zu bändigen und schon nach kurzer Zeit war ich so atemlos, dass ich die Hände sinken ließ. Diesen Moment nutzte Aurica, um ihrerseits in die Offensive zu gehen. Ein Wall aus Flammen schoss vor mir in die Höhe und hatte mich zu schnell umzingelt, als dass ich hätte fliehen können. Hitze trieb mir Tränen in die Augen und verwandelte die Luft in ein flammendes Inferno. Mit letzter Kraft flüsterte ich meinen Befehl an den Wind.

    Zuerst war die Veränderung kaum spürbar. Einzig die Magie, die zwischen mir und dem Feuerwall flirrte, ließ mich wissen, dass der Wind meine Worte verstanden hatte. Schneller und schneller strömte die Magie durch mich hindurch, bis ich kaum noch stehen konnte. Eine kalte Böe erfasste mich und trieb mir die Gänsehaut über den Rücken. Nach und nach wurde die Luft dünner. Keuchend kauerte ich mich ins Gras und hielt den Atem an.

    Augenblicke später waren die Flammen endlich erloschen.

    Hey. Empört trat Aurica zu mir. Das war gegen die Regeln.

    Tut mir leid. Ich rappelte mich auf.

    Immerhin scheint Amrian dir ja ein paar nützliche Tricks beizubringen. Aurica schmunzelte. Den Sauerstoff aus der Umgebungsluft zu separieren und so das Feuer zu ersticken? Nicht schlecht.

    Ich brachte ein schmales Lächeln zustande. Danke.

    Es war selbst nach den zwei Wochen, die wir nun hier waren, ungewohnt, Komplimente von der sonst so unerbittlichen Hexenmeisterin zu erhalten. Aurica war als Hexe des Feuers eine der jüngsten Meisterinnen des Zirkels und es war nicht besonders schwer zu erraten, dass ihr Ehrgeiz und ihre Disziplin für diese Stellung verantwortlich waren. Während der ersten Unterrichtsstunden hatte ich das Gelände nicht selten mit Brandblasen und angesengten Haarspitzen verlassen, doch Aufgeben war nicht länger eine Option. Der Gedanke an Morrigan und alles, was auf dem Spiel stand, wog zu schwer.

    Während ich einen Schluck aus dem Trinkschlauch nahm, begutachtete Aurica die Brandlöcher in den feuchten Stoffbahnen, die den Trainingsplatz umspannten. Die Lichtung war weit genug vom Dorf entfernt, doch die Gefahr, einen der tief hängenden Äste der umstehenden Bäume zu erwischen und versehentlich einen Waldbrand auszulösen, war Bedrohung genug, um den knapp zwei Meter hohen Schutz aus Stoff zu errichten. Eine Bewegung in meinem Augenwinkel ließ mich den Kopf heben. Ein Vogel schwang sich aus den Wipfeln der Bäume und glitt sanft über die Lichtung, bevor er zwischen den Stämmen verschwand. Über uns färbte sich der Himmel bereits rosa. Ein Blick auf die Taschenuhr, die Raymond mir kurz nach meiner Ankunft in Ciaora geschenkt hatte, bestätigte meine Vermutung.

    Ich muss los, rief ich Aurica über die Lichtung hinweg zu, während ich meinen Umhang überwarf und nach dem Trinkschlauch griff. Meine Mentorin Sidony erwartete mich bereits in einer Viertelstunde am anderen Ende des Dorfes und das Grummeln meines Magens erinnerte mich einmal mehr daran, dass ich in der Zwischenzeit noch irgendwo etwas Essbares auftreiben sollte. Ich war schon halb zwischen den Stoffbahnen verschwunden, als Aurica mir zunickte.

    Wir sehen uns morgen.

    Ich hatte die Tür der Hütte gerade hinter mir zugezogen, als ich den lilafarbenen Nebel bemerkte. Kaum eine Handbreit entfernt von meinen Fußspitzen türmten sich die Schwaden übereinander. Abrupt hielt ich inne.

    Wallace?

    Auf meine Nachfrage tauchte zuerst der Kopf und nur Augenblicke später der Körper des Frosches aus dem Nebel.

    Mylady. Er deutete eine Verbeugung an, bevor er den Kopf hob und ein zufriedenes Grinsen zur Schau stellte. Wie ich sehe, habt Ihr meinen Rat beherzigt.

    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, wovon er sprach.

    Haben die Hexen Euch gut aufgenommen?

    Sie haben uns schon erwartet. Ich erinnerte mich genau daran, wie wir zwei Wochen zuvor ausgehungert und am Ende unserer Kräfte ins Dorf gestolpert waren. Zwei der Hexen hatten uns bereits im Wald abgepasst und uns ohne auch nur eine Frage zu stellen zu Gladys, der Vorsteherin des Zirkels geführt. Nur zwei Tage später hatten Conan und ich mit dem Training begonnen. Calideya – die Hexe der Wahrheit – hatte eine Vision, die unsere Ankunft und die Kräfte offenbarte.

    Wallace nickte, bevor er mich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen musterte. Wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, Ihr steht nicht aus Spaß vor dieser Tür?

    Seiner Geste folgend drehte ich mich um, nur um mir darüber klarzuwerden, warum ich die Hütte eigentlich verlassen hatte.

    Verdammt, murmelte ich, während ich einen Blick auf meine Taschenuhr warf. Es war bereits viertel nach sechs – mein Unterricht bei Sidony startete in diesem Moment. Eilig stopfte ich die Uhr zurück in die kleine Tasche, die an meiner Hüfte befestigt war, bevor ich mich wieder an Wallace wandte.

    Ich muss weiter zum Training, erklärte ich, während ich in einen Laufschritt verfiel. Weshalb seid Ihr hier? Ist bei den Rebellen alles in Ordnung?

    Es dauerte kaum zwei Sekunden, bis Wallace sich wie gewohnt auf meiner Schulter materialisierte.

    Den Rebellen geht es bestens, entgegnete er dann. Wusstet Ihr, dass sie vor ein paar Tagen das Schloss eingenommen haben? Wenn sie sich geschickt anstellen, könnte ihnen schon bald die Führung des Landes unterliegen.

    Was ist mit Morrigan? Nachdem wir fast zwei Wochen von der Außenwelt abgeschnitten gewesen waren, erfüllten Wallace' Worte mich nun mit nervöser Erwartung. Wir waren zwar sichergegangen, dass der Späher der Königin uns nicht bis zum Dorf gefolgt war, doch ich vertraute nicht darauf, dass das genügte. Um ehrlich zu sein, hatte ich jeden einzelnen Tag der letzten beiden Wochen damit gerechnet, dass Morrigans Männer das Dorf überrannten.

    Die Königin ist untergetaucht, nahm Wallace mir nun die Bedenken. Doch ich würde nicht damit rechnen, dass sie lange verschwunden bleibt. Ihr solltet vorbereitet sein.

    Ich zögerte. Ein weiteres Mal stahlen sich die Szenen aus dem Schlosshof in meine Gedanken. Die Schreie der Sterbenden und das Blut, das das Pflaster in einen glatten, purpurfarbenen Teppich kleidete. Noch immer wachte ich nachts schweißgebadet auf – das letzte Bild eines, in dem Ethan den Dolch in meine Brust stieß.

    Schon seit einigen Tagen waren die Bilder und die immerwährende Schuld jedoch nicht mehr das Einzige, das mich verfolgte. Ich hatte es bisher noch niemandem anvertraut, doch je öfter ich die Geschehnisse jener Nacht durchging, desto klarer stand mir ein Schluss vor Augen.

    Morrigan kann Magie wirken. Es ausgesprochen zu wissen, nahm nichts von der Angst, die sich zu einem Knoten in meinem Inneren ballte. Es waren keine Katapulte oder Feuerpfeile im Einsatz. Der Feuerball im Schlosshof – das war Morrigan, nicht wahr? Sie ist eine Hexe.

    Wallace antwortete nicht sofort. Schwere Stille senkte sich über uns und nur das Knacken der Zweige unter meinen Sohlen war noch zu hören. Ich hatte die Abkürzung durch den Wald gewählt – ein von Brombeerranken überwucherter Pfad, den ich nur in Notfällen wie heute benutzte.

    Ihr solltet mit der Hexe des Lichts sprechen, sagte Wallace schließlich. Zu wissen, wofür man kämpft, ist nutzlos, solange man seinen Gegner nicht kennt.

    Was meint Ihr? Ich verhedderte mich in einer der Ranken und stolperte fast, aber Wallace' Worte forderten meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Einmal mehr wünschte ich, mein Trainingsplan würde eine längere Pause zulassen, doch mit einer wütenden Königin im Nacken konnte ich es mir nicht leisten, zu trödeln. Ich beherrschte meine Magie noch nicht ansatzweise gut genug, um Morrigan gegenüberzutreten. Warum soll ich mit Gladys sprechen? Was hat das alles mit Morrigans Magie zu tun?

    Das solltet Ihr selbst herausfinden, Mylady. Wallace' Gewicht verschwand von meiner Schulter und ich dachte bereits, er hätte mich ein weiteres Mal ohne Antwort stehengelassen, als er auf einem tiefhängenden Ast direkt vor meinem Gesicht wieder auftauchte. Ich hielt so abrupt inne, dass ich einen Schritt zurücktaumelte.

    Vielleicht hilft Euch ja auch die Nachricht, wegen der ich eigentlich gekommen bin. Streckt Eure Hand aus.

    Ich zögerte nicht. Was immer er mir übergeben wollte, war wichtig genug, dass er sich nach mehr als zwei Wochen Funkstille wieder zeigte – also musste ich es haben. Nebel umhüllte meine Hand und kurz darauf spürte ich eine leichte Berührung – Papier. Ich wartete nicht, bis der Nebel zerstoben war, sondern hob den Brief so nah an meine Augen, bis ich im Zwielicht der Dämmerung etwas erkennen konnte. Mein Name prangte in säuberlicher Schrift auf dem Umschlag, doch so oft ich ihn auch zwischen den Fingern drehte, ich fand keinen Hinweis darauf, woher er stammte.

    Wer hat –

    Ich unterbrach mich selbst, als mein Blick den Frosch fand. Nebelschwaden zogen sich um ihn zusammen und dieses Mal war ich sicher, dass sie ihn endgültig verschlucken würden.

    Nur eines noch, Mylady. Er erhob einen seiner langen Froschfinger. Nur, weil ich Euch diesen Gefallen getan habe, heißt das nicht, dass ich mich in Zukunft zu Eurem Postboten degradieren lassen werde.

    Nebel verschluckte seinen Körper. Und was diesen Brief betrifft – ich schlage vor, Ihr lest ihn nach Eurer nächsten Lektion. Eure Mentorin wird nicht gerade erfreut sein, wenn Ihr sie noch länger warten lasst.

    Mit diesen Worten verhüllten die violetten Schwaden auch Wallace' Züge. Kaum einen Wimpernschlag später war er verschwunden – einige winzige violette Wölkchen der einzige Hinweis darauf, dass er jemals hier gewesen war.

    Erneut betrachtete ich den Brief zwischen meinen Fingern, doch Wallace' Worte siegten. Eilig schob ich das Papier in meine Hüfttasche, bevor ich loslief. Sidony würde mich in der Luft zerfetzen, wenn ich noch später kam.

    Du bist zu spät. Meine Mentorin bedachte mich mit einem strengen Blick, kaum, dass ich die Hütte betreten hatte. Ist alles in Ordnung?

    Alles bestens. Ich schloss die Tür hinter mir und trat einen Schritt in den Raum. Sidonys Hütte ähnelte eher einem Fuchsbau als einer menschlichen Behausung. Bündel getrockneter Kräuter verwandelten die Luft in ein Sammelsurium schwerer Düfte. An den Wänden hatte sie unzählige Regale angebracht, auf denen sich konservierte Frösche, Insekten oder Früchte in Einmachgläsern tummelten, während jeder kleinste Flecken des restlichen Raumes mit Utensilien übersät war, die sie für ihr Handwerk benötigte. Das einzige Fenster, durch das etwas Tageslicht in die Hütte drang, sah aus, als hätte es schon unter einigen von Sidonys Tränken und Elixieren gelitten. Es bestand aus unzähligen Glasscherben in allen erdenklichen Größen und Farben, die als Kreis angeordnet in die Wand eingelassen waren.

    Als mein Blick zu Sidony zurückkehrte, musterte sie mich noch immer. Du hast Zweige im Haar und deine Gedanken sind ebenso wirr wie deine Frisur. Ist wirklich alles in Ordnung?

    Ich schnappte nach Luft. Du liest meine Gedanken?

    Telepathie war eine der Fähigkeiten, die jede Hexe in der Grundausbildung lernte, die in ihrer Anwendung jedoch verboten war. Zumindest außerhalb des Trainings und ohne Erlaubnis. Allein, dass Sidony versucht hatte, in meine Gedanken zu dringen, ließ Furcht in mir aufsteigen. Hatte sie etwas über Wallace aufgeschnappt? Womöglich wusste sie sogar von dem Brief?

    Beruhige dich. Ich habe keinen Schimmer, was du denkst, entgegnete Sidony in diesem Moment. Aber ich muss deine Gedanken nicht lesen, um zu sehen, dass dich etwas beschäftigt. Also, was ist es?

    Es ... Ich zögerte. Nichts weiter. Ich ... habe die Zeit vergessen.

    Sidony hob eine Braue und ich wusste, dass sie mir diese mehr als lahme Ausrede nicht abnahm. Doch irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, ihr die Wahrheit zu sagen. Nicht, solange ich nicht wusste, was in diesem Brief stand.

    Entschieden straffte ich die Schultern und setzte das beste Lächeln auf, das ich zustande brachte. Also, was steht heute auf dem Plan?

    Sidony wandte sich ab und trat an den schweren Holztisch, der im hinteren Teil des Raumes stand.

    Ich habe einen Entschluss gefasst, verkündete sie von dort aus. Es wird Zeit, dass du eigene Elixiere herstellst. So bekommst du eine tiefere Verbindung zu den Stoffen und kannst die Magie in ihnen fühlen.

    Aber – Zögernd folgte ich ihr. Elixiere allein herzustellen ist Novizen des dritten Jahres vorbehalten.

    Du darfst nicht vergessen, dass es dir schon einmal gelungen ist. In Sidonys haselnussbraunen Augen lag Ermutigung. Warum also keinen zweiten Versuch wagen?

    Ich zögerte. Um welchen Trank geht es?

    Lies selbst. Mit einer Handbewegung hatte sie mir einen ihrer Wälzer zugeschoben. Ich habe ein Gefühl, dass du dieses Elixier noch gebrauchen kannst.

    Angespannt überflog ich das Rezept, während meine Gedanken noch immer um Wallace' Neuigkeiten kreisten. Obwohl Morrigan verschwunden war und die Rebellen eine ernsthafte Chance hatten, Ciaora zu übernehmen, konnte ich die Furcht nicht abschütteln. Die Ungewissheit über einen weiteren Angriff kostete mich mehr Nerven als ich mir eingestehen wollte. Und die Tatsache, dass Morrigan Magie wirken konnte, machte es nicht besser.

    Die Zutatenliste verschwamm vor meinen Augen, während der Name des Elixiers scharf zwischen den Worten hervortrat. Ich hob den Kopf und sah Sidony an. Das Elixier der schlimmsten Ängste?

    Es wird dir Zeit verschaffen, wenn du sie am nötigsten brauchst.

    Es ist gefährlich, erwiderte ich. In den falschen Händen könnte es ...

    Ich unterbrach mich und schüttelte die dunklen Gedanken ab. Angst würde mir nicht helfen, Morrigan zu besiegen. Das Elixier womöglich schon.

    Bist du sicher, dass ich bereit bin?, fragte ich stattdessen.

    Für einen Moment herrschte Stille, doch dann ergriff Sidony meine Hände. Ihre Haut erinnerte mich an Pergament und ihre Handrücken waren von unzähligen Falten überzogen. Wenn Sidony mit mir sprach, vergaß ich oft, wie alt sie war. In ihren Worten lag noch immer die Hoffnung einer jungen Frau, doch ihr Blick erzählte von all den Dingen, die sie gesehen hatte.

    Ob du bereit bist, liegt allein bei dir, sagte sie und sah mich so durchdringend an, dass mir flau im Magen wurde. Das Training – alles hier – ist deine Entscheidung und nur du kannst bestimmen, wie schnell und wie weit du diesen Weg gehen willst.

    Ihre Hände schlossen sich fester um meine und Wärme prickelte meine Arme empor. Sidonys Magie trug das wohlige Gefühl von Kaminfeuer und Kräutern in sich.

    Es ist vernünftig, Angst zu empfinden. Nur, wenn wir wissen, was wir fürchten, können wir beginnen, uns dieser Furcht zu stellen. Und nur, wenn wir uns der Furcht stellen, werden wir wachsen.

    Zögernd erwiderte ich ihren Blick. Was, wenn das alles nicht genug ist? Was, wenn alles, das ich in den letzten Monaten versucht habe, am Ende nicht ausreicht?

    Es wird ausreichen. Sidonys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Du darfst nur nicht aufhören, daran zu glauben. Hoffnung ..."

    "... ist die stärkste Waffe im Krieg gegen die Dunkelheit, beendete ich das Sprichwort des Zirkels. Ich weiß."

    Ich atmete tief und straffte die Schultern. Auch, wenn es schwerfiel, an ein Happy End zu glauben, war Hoffnung das Einzige, das mir blieb. Hoffnung und der Wille, sie irgendwann in Realität zu verwandeln.

    Als hätte Sidony meine Gedanken gelesen, drückte sie mir in diesem Moment ein weiteres Buch in die Hand.

    Am besten beginnst du mit der Triskele. Seite zweihundertfünfzig. Ich suche inzwischen die restlichen Zutaten zusammen.

    Einen Moment lang beobachtete ich Sidony dabei, wie sie zwischen den Regalen herumwirbelte, bevor ich mich dem Buch zuwandte, das in meinen Armen schwer wurde. Mit einer Handbewegung legte ich es auf dem Tisch ab und begann zu blättern. Die Seite, die Sidony genannt hatte, zeigte die Zeichnung dreier Spiralen, die sich im Uhrzeigersinn wanden und in der Mitte zu einer Art Dreieck zusammenwuchsen. Laut dem nebenstehenden Text handelte es sich um ein Symbol der Unendlichkeit. Es stand für die Einheit von Leben, Tod und Geburt beziehungsweise für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

    Bei Tränken und Elixieren garantiert die Verwendung dieses Symbols eine lange Haltbarkeit, hörte ich Sidony rezitieren. In bestimmten Fällen wird außerdem die katalysierende Wirkung genutzt.

    Unwillkürlich schmunzelte ich. Sie würde es auch nie lassen können, sich einzumischen.

    Ich angelte das Säckchen mit Salz von der anderen Ecke des Tisches und machte mich daran, die Zeichnung der Triskele aus dem Buch so exakt wie nur möglich auf den dunklen Holzboden in Sidonys Hütte zu übertragen. Gerade, als ich die letzte Spirale gezogen hatte und zufrieden mein Werk betrachtete, trat Sidony zu mir.

    Wunderbar, murmelte sie, den Arm voller Einmachgläser. Dann können wir ja richtig loslegen.

    Ich verzog die Lippen, doch Sidony ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen arrangierte sie die Gläser auf dem Tisch, bevor sie mir einen dunklen Samtbeutel zuwarf.

    Was ist das?, fragte ich, während ich die grün schimmernden Kristalle in meine Hand schüttete.

    Sidony, die mir gerade den Rücken zuwandte und einen weiteren Wälzer heranzog, ließ sich von meiner Frage nicht im Geringsten stören.

    Fluorit, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. Der Stein der Konzentration. Er wird das Ritual katalysieren und dafür sorgen, dass das Elixier so wirkungsvoll wie möglich ist.

    Vorsichtig berührte ich die Steine auf meiner Handfläche. Ober- und Unterseite waren glattgeschliffen, doch an den Rändern konnte man noch immer das Gestein erkennen, in dem das Mineral ursprünglich gewachsen war.

    Nach und nach verteilte ich die Steine auf die Enden der Triskelspiralen. Ich kam gar nicht erst dazu, mich wieder aufzurichten, denn in diesem Moment trat Sidony zu mir.

    Hier. Sie reichte mir eine breite Kerze. Die gehört in die Mitte der Triskele. Sie muss eine Stunde lang brennen, um den Raum vollends zu reinigen.

    Was ist das für ein Geruch? Forschend zog ich die Brauen zusammen und hob die Kerze näher an mein Gesicht. Rosmarin?

    Weihrauch, entgegnete Sidony, ohne den Blick von den Konserven zu wenden. Ich nickte und ging zwischen den Linien aus Salz auf die Knie. Vorsichtig platzierte ich die Kerze im Herzen der Triskele und fokussierte den Docht. Es erforderte kaum ein Fingerschnippen, um das Feuer erwachen zu lassen.

    In diesem Moment gab Sidony ein Seufzen von sich. Als ich mich umdrehte, schüttelte sie den Kopf.

    Was ist?

    Die Tollkirschen. Sidony streckte mir ein Konservenglas entgegen. Es war leer, bis auf eine einsame dunkle Kugel, die über den Boden rollte. Ich habe völlig vergessen, neue einzulegen.

    Das Rezept basiert auf dem Extrakt. Ich durchquerte den Raum und blätterte durch die Seiten des Rezeptbuches, ohne zu finden, wonach ich suchte. Wie es aussieht, gibt es keine Alternativen.

    Belladonnaextrakt ist eines der wirksamsten Gifte. Es zu ersetzen würde unberechenbare Nebenwirkungen mit sich bringen.

    Dann werde ich besser losgehen und Nachschub besorgen. Ich erinnerte mich an die Lichtung, die Sidony mir während der ersten Tage hier gezeigt hatte. Kurzentschlossen griff ich nach dem groben Leinensack, in dem sich Messer und eine Schnur zum Bündeln befanden. Bin im Handumdrehen wieder da.

    Meine Schritte raschelten im Laub, als ich mich von Sidonys Hütte entfernte. Fast unmerklich war der Sommer dem Herbst gewichen. Der Wald, der das kleine Dorf umgrenzte, war von ersten Gold- und Rottönen gesprenkelt und ein frischer Wind wirbelte die herabgefallenen Blätter in bunten Reigen über den moosigen Boden. Tief atmete ich die frische Luft, bevor ich dem schmalen Pfad ins Unterholz folgte. Mit einer Hand nestelte ich an meinem Mieder und zog den Brief hervor. Nachdem ich mich ein weiteres Mal versichert hatte, dass mir niemand gefolgt war, setzte ich den Sack ab und hob den Brief ins Licht. Das Papier war dünn, doch ein schweres Wachssiegel prangte auf der Vorderseite. Das Wappen war kaum erkennbar und ich hoffte, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag.

    Mit klopfendem Herzen brach ich das Siegel und entfaltete die Nachricht. Worte quollen in krakeliger Handschrift über das Papier und ich überflog die Absätze, bis ich das Ende erreicht hatte. Erst, als ich den Namen erblickte, atmete ich auf. Das flaue Gefühl in meiner Magengegend verschwand so schnell wie es gekommen war und ließ nichts als das freudige Kribbeln der Aufregung zurück. Der Brief stammte von Susan.

    Evangeline,

    In der Hoffnung, der Frosch hat nicht gelogen und meine Worte erreichen dich tatsächlich, schreibe ich dir diese Zeilen.

    Dein Brief hat uns alle in Hochstimmung versetzt. Wir sind so froh, dass es dir und Conan gut geht und ihr in Sicherheit seid. Auch wir haben gute Nachrichten. Morrigans Männer haben sich aus Lasket und Gantyre zurückgezogen und wir haben nun die Oberhand über den Westen des Landes. Überall entstehen Bürgerwehren und die Bauern lehnen sich gegen die Fürsten auf. Raymond hat mich zu seiner Beraterin berufen und gemeinsam mit Ruby arbeiten wir an einer Strategie, mit der wir den Osten und Süden des Landes ebenfalls für uns gewinnen können. Die aufflammenden Proteste sind unsere Chance.

    Nach tagelangem Kampf haben wir gestern außerdem einen Sieg auf dem Schloss feiern können. Morrigan ist mit den letzten verbliebenen Soldaten geflohen und untergetaucht. Unsere Spione gehen bereits den Spuren nach, doch vorerst scheint es, als würde sie uns das Feld überlassen. Wir sollten dennoch vorsichtig bleiben.

    Noch heute Nacht haben wir die Gefangenen, die zu Unrecht eingesperrt waren, freigelassen. Wir haben Richard in der Zelle gefunden, die du beschrieben hast. Allerdings wird es wohl noch einige Tage dauern, seinen Vater ausfindig zu machen. Bis dahin kommt er in Rowans Zimmer im Hauptquartier unter. Die beiden scheinen sich überraschend gut zu verstehen.

    Ich hoffe, dir und Conan geht es gut. Auch, wenn mir das Leben am Schloss nicht im Geringsten fehlt, vermisse ich unsere Gespräche. Aber mit etwas Glück hat das Versteckspiel bald ein Ende und Ciaora wird frei sein. Ich verdanke dir und den Rebellen mehr, als ich in Worte zu fassen vermag.

    Raymond und Ruby senden ihre Grüße. Wir alle glauben an dich.

    In ewiger Freundschaft, Susan

    Noch einen Moment starrte ich auf den Brief in meiner Hand, während die Worte in meinen Gedanken widerhallten. Ein breites Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Susan hatte offenbar nicht nur mich sondern auch Raymond von ihren Fähigkeiten überzeugt. Ihre Worte ließen mich hoffen – auf ein Ende und einen Anfang. Auf eine Zukunft ohne Furcht. Langsam faltete ich das Papier und steckte es zurück in mein Mieder, bevor ich den Sack erneut aufnahm und mich in Bewegung setzte.

    Immer tiefer folgte ich dem Pfad in den Wald. Hohe Bäume umschlossen mich von allen Seiten und außer dem Geräusch meiner Schritte im trockenen Laub herrschte Stille. Goldenes Sonnenlicht brach durch die Wolken und tauchte die Welt um mich herum in einen warmen Schimmer. Mit jedem Atemzug nahm ich den Duft nach Moos und Pilzen wahr und genoss das Gefühl der Luft, die über meine Arme strich. Vielleicht hatte Susan ja Recht und das alles hier hatte bald ein Ende.

    Das Knacken eines brechenden Astes riss mich abrupt zurück in die Wirklichkeit. Sofort hatte ich das Bild eines Soldaten vor Augen. Morrigans rotes Wappen als Emblem auf die Brust der Uniform genäht und das Schwert fest in den Händen. Hatten sie uns gefunden?

    Mit angehaltenem Atem spähte ich in den Wald.

    Wer ist da?, hörte ich mich sagen, während mein Blick die Stämme entlangglitt.

    Ein erneutes Knacken ließ mich herumfahren. Ich brauchte keine drei Sekunden, um die Gestalt auszumachen, die aus dem Unterholz trat.

    Ethan? Meine Stimme glich einem erleichterten Aufkeuchen. Himmel, habt Ihr mich erschreckt. Was macht Ihr hier draußen?

    Wonach sieht es denn aus? Der Prinz presste die Kiefer aufeinander. Wie angewurzelt stand er zwischen den Stämmen, einen Köcher mit Pfeilen über der Schulter und den dazugehörigen Bogen in der Hand. Seit unserer Ankunft in Cathair Dearmad hatte ich ihn kaum zu Gesicht bekommen. Wenn ich abends nach dem Training in die Hütte zurückkehrte, die er, Conan und ich uns teilten, war von ihm nie eine Spur zu sehen und wenn ich am nächsten Morgen vor dem ersten Sonnenstrahl an Conans Seite zum Training aufbrach, war er oft bereits wieder verschwunden. Der einzige Hinweis darauf, dass er die Hütte überhaupt betrat, waren die trockenen Blätter, die am nächsten Morgen den harten Lehmboden zierten wie ein bunter Herbststrauß. Nicht selten fragte ich mich, was er all die Stunden in den Wäldern trieb – und ich konnte die Vorstellungen nicht abschütteln, die sich wie wilde Bestien auf das Misstrauen in meinem Herzen stürzten. Traf er sich womöglich mit einem Spion seiner Mutter? Beobachtete er selbst uns aus den Schatten?

    Müsst Ihr nicht irgendwohin?, fragte er in diesem Moment und deutete auf den Leinensack, der noch immer über meiner Schulter hing. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie lange ich bereits weg war.

    Ich muss tatsächlich gehen, gab ich zu. Und Ihr ... erschreckt weiterhin Mädchen im Wald.

    Er verzog die Lippen und ich wusste, dass mein Versuch, einen Scherz zu machen, auf Granit getroffen war.

    Man nennt es Jagen, zischte er und wandte sich ab. Bevor ich etwas hätte entgegnen können, hatte er sich wieder ins Unterholz geschlagen.

    Heißt es auch Jagen, wenn man nichts fängt?, murmelte ich in die Stille, als er bereits verschwunden war.

    Die Sonne war bereits hinter den höchsten Wipfeln der Bäume verschwunden und der amethystfarbene Schimmer der Dämmerung senkte sich über das Dorf, als ich Calideyas Hütte verließ. Die Lektionen in Telepathie waren immer die letzten auf meiner Tagesordnung – und der Teil des Trainings, für den ich am wenigsten natürliches Talent zeigte. Es kostete mich eine ganze Menge Konzentration, bei Übungen in Calideyas Gedanken zu dringen – selbst, wenn diese sie nicht verbarg. Noch schlimmer wurde es, wenn ich selbst meine Gedanken vor ihr verbergen sollte. Ich versuchte es nun schon seit zwei Wochen und noch immer schien Calideya ohne Mühe alles lesen zu können, was ich dachte. Als wäre ich ein offenes Buch.

    Ich seufzte und ignorierte das Ziehen in meiner Magengegend, das mich daran erinnerte, wie lang meine letzte Mahlzeit zurücklag. Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte. Bis zu unserer Hütte war es nicht besonders weit und ich hatte bereits eine Hand um den Türknauf gelegt, als die Tür von innen aufschwang. Vor Schreck stolperte ich einen Schritt zurück.

    Wer... oh. Conans Miene erhellte sich, als er mich erkannte. Ich wollte gerade nach dir suchen.

    Scheint, als hättest du mich gefunden. Auch auf meine Lippen stahl sich ein Grinsen, während ich an ihm vorbei in die Hütte trat. Ich bin am Verhungern. Du hast hoffentlich noch etwas von dem Brot übriggelassen.

    In einem vertrauten Ablauf zündete ich zuerst die Öllampe in der Mitte des Raumes an, bevor ich aus dem hüfthohen Schrank neben der Tür Teller und Messer holte und dann auf der schmalen Arbeitsplatte begann, ein Abendessen anzurichten.

    Weshalb hast du nach mir gesucht?, fragte ich, ohne den Blick zu heben. Ist irgendetwas passiert?

    Du hast es vergessen. Conans Tonfall war eine Mischung aus Vorwurf und Enttäuschung. Das Ritual wird heute stattfinden. Du weißt schon – zum Schutz des Zirkels. Ich dachte, wir sehen es uns an?

    Siedend heiß erinnerte ich mich. Die Hexen hatten bereits kurz nach unserer Ankunft beschlossen, den Schutzschild zu erneuern, um es Morrigans Männern unmöglich zu machen, uns aufzuspüren. Sidony hatte erwähnt, dass die Vorbereitungen einige Tage dauern würden, doch ich hatte nicht damit gerechnet ...

    Wenn du müde bist und dich lieber ausruhen willst ..., setzte Conan in diesem Moment bereits an. Wir können sicher auch ein anderes Mal zusehen.

    Nein. Eilig fuhr ich herum. Wir werden uns dieses Ritual auf jeden Fall ansehen. Lass mich nur kurz ...

    Erneut wandte ich mich der Arbeitsplatte zu und schnappte mir das Brot, das ich soeben mit Käse belegt hatte. Dann griff ich mir den Umhang von der Lehne des Stuhls, auf die ich ihn vorhin hatte fallen lassen und drehte mich schließlich zurück zu Conan. Alles erledigt. Wir können gehen.

    Ein Lächeln huschte über seine Züge. Ohne zu zögern schnappte er sich seinen Umhang. Nur Augenblicke später waren wir aus der Tür und auf dem Pfad, der in den Wald führte.

    Wie war dein Training?, fragte Conan, während ich den letzten Bissen Brot aß. Ich schluckte.

    Wie immer, antwortete ich dann. Calideya knackt mich wie eine Walnuss und Cybele besteht darauf, dass ich sie so bald wie möglich zu ihren Patienten begleite.

    Mich hat sie auch schon gefragt. Er zuckte die Schultern. Ich schätze, es spricht nichts gegen ein paar echte Fälle, um die richtige Übung zu bekommen.

    Wahrscheinlich hast du Recht. Ich zog den Umhang enger um meine Schultern. Das letzte Licht des Abends war längst zwischen den Wipfeln der Bäume verglommen und ich bereute es, keine Laterne mitgenommen zu haben. Der kalte Nachtwind kündete bereits vom kommenden Winter und auf dem unebenen Pfad grenzte es an ein Wunder, wenn wir uns in der Dunkelheit nicht alle Knochen brachen.

    Ich hatte den Gedanken noch nicht einmal beendet, als Conan neben mir die Hand bewegte. Keinen Augenblick später tanzte auf seiner Handfläche eine Flamme, die den Weg vor uns erhellte. Als ich ihn ansah, zuckte er nur die Schultern. Besser, als durch die Dunkelheit zu tappen.

    Entschlossen stapfte er voran, während das Feuer die Schatten um uns herum tanzen ließ. Perplex folgte ich ihm. Wie machst du das?

    Wie mache ich was? Er hielt inne.

    Du gehst mit diesen Fähigkeiten um, als wären sie das Natürlichste auf der Welt. Ich deutete auf die Flamme. Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, das Feuer zu rufen.

    Alles eine Sache der Gewohnheit, entgegnete er und ein ermutigendes Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn du die Magie in dein Denken einbeziehst, wird sie früher oder später auch in deinen Handlungen auftauchen.

    Sehr weise. Ich verzog die Lippen. Von wem hast du denn diesen Spruch geklaut?

    Wer sagt, dass es nicht meine Worte sind?

    Ich hob eine Braue und Conan seufzte. Calideya, wenn du es unbedingt wissen musst. Aber sie hat Recht. Die Magie muss zuerst hier drin sein ... Er tippte sich an die Stirn. ... bevor sie hier erscheinen kann. Er nickte in Richtung der Flamme auf seiner Handfläche.

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