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Zwei Seelen der Tiombe van R.: Spreewald-Trilogie Teil 3: Roman über "Wiedergeburt"
Zwei Seelen der Tiombe van R.: Spreewald-Trilogie Teil 3: Roman über "Wiedergeburt"
Zwei Seelen der Tiombe van R.: Spreewald-Trilogie Teil 3: Roman über "Wiedergeburt"
eBook323 Seiten4 Stunden

Zwei Seelen der Tiombe van R.: Spreewald-Trilogie Teil 3: Roman über "Wiedergeburt"

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Über dieses E-Book

Die Journalistin und Buchautorin Rita Georgi macht in ihrer Wahlheimat – einem kleinen Dorf im Spreewald – kuriose, ernsthafte aber auch erschreckend beispiellose Erfahrungen. Stoff genug für eine Trilogie, deren autarke Teile so verschieden sind wie das Leben.
Dieses Mal steht Rita vor einem seltenen Rätsel: Erlebt ein junges Mädchen tatsächlich ihre Wiedergeburt?
Seit Susan Hellmann aus dem Koma erwacht und ins diesseitige Leben zurückgekehrt ist, spricht die aufgeklärte und weltoffene Journalistin und Buchautorin Rita Georgi trotz besseren Wissens bisweilen von Susans Wiedergeburt.
Eine ganz andere Dimension bekommt dieses Wort in dem Moment, als Rita die junge Volontärin Tiombe zu betreuen hat – eine dunkelhäutige Schönheit Tiombe. , die Glänzende, die Strahlende, so heißt es in der Sprache ihrer Vorfahren. Und ebenso ist Tiombes Wesen, bis sie mit Rita einen Ausflug zum Schloss und Park des Fürsten Pückler unternimmt. Die schöne junge Frau mit der kupferbraunen Haut trägt ein Wissen in sich, wie es nur Machbuba, die blutjunge, abessinische Sklavin und Kinds-Geliebte des Fürsten vor 170 Jahren mit in ihr Grab in Muskau genommen haben kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum27. März 2019
ISBN9783748589266
Zwei Seelen der Tiombe van R.: Spreewald-Trilogie Teil 3: Roman über "Wiedergeburt"

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    Buchvorschau

    Zwei Seelen der Tiombe van R. - Maxi Hill

    Prolog

    Die junge Journalistin Rita Georgi macht in ihrer Wahlheimat – einem kleinen Dorf im Spreewald – kuriose, ernsthafte, aber auch erschreckend beispiellose Erfahrungen.

    Dieses Mal steht sie vor einem seltenen Rätsel:

    Erlebt ein junges Mädchen tatsächlich ihre Wiedergeburt?

    Teil 3 der Trilogie: Zwei Seelen der Tiombe van R.

    Seit Susan Hellmann aus dem Koma erwacht und ins diesseitige Leben zurückgekehrt ist, spricht die aufgeklärte und weltoffene Journalistin und Buchautorin Rita Georgi trotz besseren Wissens bisweilen von Susans Wiedergeburt.

    Eine ganz andere Dimension bekommt dieses Wort in dem Moment, als Rita die junge Volontärin Tiombe zu betreuen hat – eine dunkelhäutige Schönheit. Tiombe, die Glänzende, die Strahlende, so heißt es in der Sprache ihrer Vorfahren. Und ebenso ist Tiombes Wesen, bis sie mit Rita einen Ausflug zum Schloss und Park des Fürsten Pückler unternimmt. Die schöne junge Frau mit der kupferbraunen Haut trägt ein Wissen in sich, wie es nur Machbuba, die blutjunge, abessinische Sklavin und Kinds-Geliebte des Fürsten vor 170 Jahren mit in ihr Grab in Muskau genommen haben kann.

    Die Rückführung

    Im kleinen Spreewaldhaus ist es still. Duftschwaden von Bergamotte wälzen sich durch die Räume der kleinen Frau, mischen den Geruch ölgetränkter Bohlen, die die Wände des uralten Fachwerks zusammenhalten. Durch die Butzenscheiben sieht man die Kante vom wulstigen Schilfdach. Feuchtigkeit perlt heraus, glitzert im Licht des Tages.

    Drinnen das Abbild göttlicher Ungerechtigkeit: Das Mädchen Tiombe, vom Schöpfer üppig mit Schönheit bedacht. Ein Wesen wie Milch und Muskat, mit Lippen wie Orchideen und Wimpern so dicht, dass keine Träne den Weg über die Wange findet.

    Und Miriam. Sie ist alt und klein. In ihrer scheinbaren Unscheinbarkeit von großem Wert für das Mädchen.

    Miriam spricht leise, nachdrücklich, mit langen Pausen.

    »Du gehst nun zurück in die Zeit, an die du dich erinnern willst. …

    Du fühlst dich wohl und gehst den Weg von Anfang an. …Fange jetzt deine Reise an und erzähle mir laut und deutlich was du siehst und was du fühlst.«

    Die Lider des Mädchens sind geschlossen, darunter rollen die Augäpfel hin und her. Der Körper des Mädchens glänzt kupfern. Es scheint zu schweben.

    Langes Schweigen. Dann kommen die Worte schwer über die jungen Lippen.

    »Ich trete in das Zimmer und sehe das Bild an der Wand. Ein Gefühl kommt über mich … ich sehe mich ... im Spiegel …

    Dieser Spiegel …! Er hat ihn anbringen lassen. In meiner Badestube. Der Fürst erwartet mich gut gepflegt und wohlriechend…«

    Zwischen schwerem Atem rollen an diesem Nachmittag viele unglaubliche Worte aus dem jungen Mund...

    Die Journalistin Rita Georgi beobachtet still, was da vor sich geht. Sie hadert mit sich: Ist es Zufall? Oder hat Bestimmung dieses fremde Mädchen Tiombe hier her in die Lausitz gezogen?

    Ausgerechnet Machbuba? Rita kennt die Geschichte der dunkelhäutigen Sklavin des Fürsten Pückler. Der Geliebten. Der Kindsfrau. Aber sie weiß nicht, was Wahrheit und was Dichtung ist.

    Als die junge Stimme versagt, quillt Feuchte unter den dichten Wimpern heraus.

    Zutiefst beeindruckt von dem, was sie gesehen und gehört hat, ist Rita gezwungen, sich Fragen zu stellen: Herrscht in dem Mädchen eine Mischung zwischen erinnern und vorstellen?

    Ist es Wahn?

    Ist es geniale Kreativität?

    Kann die Trance zu Irrtümern führen?

    Ein Abgleich mit der Realität ist ausgeschlossen. Das Bewusstsein ist wehrlos gemacht; das hat sie gelesen.

    Gibt es unbewusste Erinnerungen tief in der Psyche des Menschen verborgen? Erinnerungen an ein früheres Leben? Wie schafft es Miriam, dass Tiombe in eine Zeit hineinschaut, die weit vor ihrer liegt?

    In den letzten Wochen war Rita dem Mädchen zugetan, hat sich fast liebevoll in sie eingelebt. Nur ihr wacher Verstand versucht unaufhörlich zu erklären: Das Erlebte kann nach menschlichem Ermessen gar nicht sein.

    Ist menschliches Ermessen der Weisheit letzter Schluss? Versucht nicht die Metaphysik seit Jahrhunderten zu entdecken, was unerkannt in uns liegt? Wenn Zugvögel auf geheimnisvolle Weise ihre Wanderrouten von Geburt an erkennen, warum sollte der Mensch nicht ähnliche Fähigkeiten in sich tragen?

    Doch dann kommt Rita ein schlimmer Satz in den Sinn, den Tiombe zuweilen auf den Lippen trägt und in dem das uralte Wort Bastard zu hören ist. Rührt dieser Satz aus einem früheren Leben?

    Die Vorladung zum Chef – Monate zuvor

    Dieser Morgen kurz vor Ostern ist nicht gemacht für dolce far niente, fürs süße Nichtstun. Das Thermometer steht bei acht Grad über Null, doch es fühlt sich eisig an. Die Hoffnung auf einen lauen Frühlingstag erstarrt. Auf den Wiesen westlich vom Körber-Hof tragen die Jungen eifrig Holz und Gestrüpp heran. Das Osterfeuer soll hier lodern, weil am Hafen noch Land unter ist.

    Gut, dass Timi schon für ein paar Stunden in die Kita gebracht werden kann. Lubina Kieschnick geht mit den Kindern täglich spazieren.

    Wie ihr der Wind so entgegen bläst, kommt Rita der kühle Märztag in den Sinn, an dem Susan Hellmann ins Koma fiel. Es waren zwei aufregende Jahre. Und auch fruchtbringende. Ihren Roman: «2 Leben der Susan H.» hätte sie ohne diese Erfahrung niemals schreiben können. Das letzte Jahr war dann das wirklich gute für alle. In Rita ist Zuversicht, dass es so bleiben wird.

    In ihrem Job hat sie ihr Auskommen und reichlich zu tun. Das Bücherschreiben leistet sie sich dennoch. Ihre Arbeit befruchtet das Hobby. »Hoffnung«, hat eine Leserin gesagt, »Hoffnung gibt mir Ihr Roman über die komatöse Susan, die – wiedergeboren - eine Wendung ihres Wesens genommen hat, zu sich selbst, zu einem sinnerfüllten Leben.«

    Jens belächelt die Sache mit der Wiedergeburt bei Susans Schicksal, weil Wiedergeburt immer den Tod voraussetzt und zudem nicht vernünftig definiert sei.

    Warum sollte sie die Rückkehr aus einer anderen Dimension des Lebens nicht als Wiedergeburt bezeichnen? Susans Horizont ist jetzt weiter als je zuvor, ihr Wesen sanfter, logischer, konsequenter.

    Wer sagt gewiss, ob es noch ihr altes Wesen ist?

    Im Haus ist es gemütlich warm. Jens arbeitet im oberen Stock am neuen Konzept für die touristische Vermarktung, und auf ihrem Laptop erscheint die Mail mit der Einladung zum Redaktions-Chef. Im Duktus eine Vorladung.

    Der Tag hat so gut angefangen ... Sie weiß nicht, ob es Groll ist, was sie spürt.

    Den Absprung vom Journalismus will sie nicht – noch nicht - obwohl ihr der herrische Ton wieder mal heftig an die Nieren geht.

    Sie scrollt die Sätze der E-Mail nach oben und liest weiter. Eine junge Volontärin durchlaufe diverse Bereiche und soll nun auch das operative Geschäft im Umland kennen lernen.

    Ich wette - ein Anhängsel des Chefs, mitgebracht aus den Hochburgen des Westadels, der Hautevolee, der Hautefinance, der Haute Couture? Hätte er sich für eine von hier persönlich ins Zeug gelegt?

    Ungewöhnlich gereizt schließt sie die Datei und geht auf logout.

    Für Volontärsbetreuung hat er schließlich gut bezahlte Festangestellte.

    Schon hält sie den Hörer in der Hand, legt aber rasch wieder auf.

    Mit einer Menge guten Willens und nach einer Phase des Nachdenkens kann sie sich zu dem Gespräch durchringen. Vielleicht sieht sie Mark dann wieder einmal. Inzwischen kann sie freier mit ihm umgehen, schließlich waren sie bis zum Zerwürfnis während Susans Koma einmal gute Kollegen.

    Auch wenn es ihr widerstrebt, vor dem Westfalen die Befehlsempfängerin zu spielen, es gibt einen alten Grundsatz: Sage nie alles, was du weißt, aber zeige allen, was du kannst.

    Vor der «Audienz» geht sie zur Kantine in der Hoffnung, dort auf ein paar Kollegen zu treffen. Freilich weiß sie, wie wenig Zeit für Pausen bleibt. Wie gewöhnlich wechselt man allgemeine Worte, wünscht sich nur Gutes und tut sich nicht weh. Mark sieht sie nicht. Später, als er im Mehrzweck-Büro aufkreuzt, das sie sich mit anderen Pauschalisten teilt, redet er beinahe wie früher. Das meiste weiß sie:

    Mark wohnt inzwischen mit seiner Geliebten Inny im Haus In Lücke in Alt Zechau. Sie sehen einander kaum, einer geht wohl dem anderen aus dem Wege. Nach inneren Kämpfen brachte sie es irgendwann fertig, Mark nachzusehen, dass er Susans Zustand zwischen Leben und Tod beenden wollte. Verstehen kann sie es bis heute nicht. Marks Verhalten als Zwangslage zu begreifen, gelingt ihr besser. Irgendwann wollte sie mit ihm darüber reden. Beim bloßen Vorsatz ist es geblieben. Vielleicht, weil sie spürt, dass er mit Inny glücklicher ist. Seither haben zwei Menschen ihre Wiedergeburt in einem glücklicheren Leben erlebt. Auch in Susans Leben ist endlich echtes Glück gekommen..

    Mark sitzt bei ihr. Sein ebenes Gesicht mit den hellblauen Augen unter exakt geschnittenem Haar lässt Rita die kleinen Scharmützel vergessen. Für menschliches Urteil ist der Ausgang entscheidend, nichts sonst.

    »Audienz beim Chef also.« Marks Stimme klingt fremd, beinahe warnend. Einen Moment lang kann sie aus seinem Gesicht nichts erkennen. Selbst wenn das Lauern seiner Augen nur ihrer Einbildung geschuldet ist, muss sie jedem weiteren Wort zuvorkommen.

    »Es ist eine dienstliche Vorladung. Marquardt ist nicht Hellmann.«

    Es gibt viele Tage, an denen ihr zum Scherzen zumute ist. Heute ist es nur der Versuch, Mark das Gefühl von Vergeben erkennen zu lassen. In ihrem Inneren aber hat sie nie vergessen, wie Mark ihr damals deutliche Avancen gemacht hat. Irgendwie schaut er sie sofort um einiges verwegener an und genau so klingen seine Worte:

    »Du kleines Miststück! Das ist so lange her …«

    Für diesen Moment ist Rita froh, als kleines Miststück zu gelten. Das lenkt ihre Gedanken von dem Mann ab, den sie – zugegeben - einmal sehr mochte. Womöglich wäre es noch immer so, hätte sie nicht sein Bild des Erbarmungslosen überrannt. Ein Ausnahmezustand? Sie möchte es glauben. Susan war in ihrer Hinfälligkeit nicht mehr das, was er sich erträumt hatte.

    Sie kann sehen, wie seine Nasenflügel aufblähen, wie seine Lippen ein Zittern unterdrücken und seine Fingerknöchel gegeneinander reiben. Würde sie ihn provozierten, käme es nicht zu jener Normalität, die sie anstrebt. Ihre Abreibung als Miststück hat sie weg. Was soll jetzt noch kommen?

    »Wenn es um junge Frauen geht, weißt du doch bestens Bescheid. Was ist das für eine Volontärin, die der Chef…?«

    »Ach, die kleine Randhal!« Sein überraschter Blick ist nicht zu übersehen. »Du verpasst da draußen eine Menge.« Seine alte Spielregel, den Tausendsassa zu mimen, funktioniert noch immer, das merkte sie jetzt. »Über die Randhal hält der Alte die Hände. Aber irgendetwas ist da am Laufen…«

    In Marks Augen sieht sie kleine Funken, die sie nicht deuten kann. Begeisterung oder Warnung. Besser, wenn er schweigt. Die Begeisterung für junge Frauen sollte dem Schwerenöter endlich abhanden kommen, Inny zuliebe. Zudem soll es ja Mädchen geben, die die Chance ihrer Karriere mehr bedeuten als die Chance auf ein kurzes Abenteuer mit dem Schönling Mark Hellmann. Es wird sich zeigen, aus welchem Holz diese Tiombe ist.

    Eines aber zeigt sich schon jetzt. Sie hat eine sensible Stelle berührt, das spürt sie, sobald sie Mark ansieht.

    Eine halbe Stunde später wird ihr klar, was Mark gemeint haben könnte.

    »Ich übertrage Ihnen die fachliche Anleitung«, sagt der Westfale.

    »Wie soll das gehen? Mein Gebiet ist nicht diese Stadt.«

    »Ihnen fällt schon etwas ein. Tiombe ist außerdem motorisiert. Sie ist eine gute Fahrerin. Großstadterprobt.«

    Lapidare Argumente aus dem profanen Leben haben keine Chance bei Marquardt. Die Aufgabe ist ebenso schnell abgesteckt, dennoch wittert Rita, dass sie die Erwartung des Chefs überfordern könnte.

    Interviewtechnik. Storytelling. Überschrift – Bildunterschrift – Vorspann. Auch - das Feature – Themen anschaulich zu machen, kann sie bei ihr lernen. Aber Nachrichtenauswahl oder das Redigieren und vieles andere wird im Verlagshaus gelehrt. Zuerst wird sie dem Mädchen die Grundlagen eines Porträts beibringen. Das gibt ihre momentane Arbeit her.

    Als alles besprochen ist, bittet Marquardt die Sekretärin, das Mädchen zu rufen.

    Tiombe Randhal ist eine exotische junge Frau, bei deren Anblick einem der Atem stockt. Sie ist das Abbild göttlicher Ungerechtigkeit, die der Schöpfer dem Rest der Frauen zumutet. Dieses Mädchen ist mit Schönheit überworfen. Ihre Haut glänzt kupfern und ihr Haar sieht nach Meisterschnitt aus. Rita schaut genau hin und muss zugeben: pure Anmut. Über alles andere kann sie sich noch kein Urteil erlauben.

    Ist das Gesicht so starr vor Schönheit? Gewiss nicht. Froh über den Wechsel ist das junge Ding ganz bestimmt nicht.

    Später im Wagen sieht sie die Sache wieder anders: Waren auch Marquardts Worte eine Warnung? Tiombe sei nicht nur reizvoll, sie sei auch sehr klug, mit großer Auffassungsgabe ausgestattet und sehr selbstsicher. Nur bisweilen verliere sie sich im Zorn, den man ihrer negriden Abstammung zuschreibe und deshalb auch hier wohlwollend übersehe. Zu alldem geselle sich aber eine ungewöhnliche Demut, sobald Tiombe spüre, einen guten Menschen enttäuscht oder gar verletzt zu haben.

    Warnung oder Rechtfertigung?

    C´est la vie: Rita hebt die Schultern und startet den Wagen. Wenigstens der Nachmittag braucht jetzt etwas Erfreuliches, wenn schon soviel Zeit unnütz dahin geflossen ist. Sie atmet tief durch und überträgt den Schub auf ihr rechtes Bein. Timi und Jens werden sie wieder aufmuntern.

    Tiombe van Randhal

    »Du solltest jetzt fahren«, sagt Jens. Leicht haben sie sich ihre Entscheidung nicht gemacht. Ein solcher Schritt ist gut zu überlegen. Beider gehören sie zu der Sorte Menschen, die ihre Arbeit quasi im Hause erledigen, nie wirklich Abstand finden. Mit einer Fremden wird das alles nicht leichter. Zum Glück ist Tiombe Randhal eine vom Fach.

    Es ist kurz vor zwei Uhr am Mittag und Rita hat versprochen, gegen zwei Uhr dazusein.

    Das Osterfest hat sein Tribut gefordert. Zum ersten Mal waren sie mit Timi auf die Insel Rügen gefahren, um die Eltern von Jens zu besuchen. Jetzt, wo das alte Schilfdach-Haus inmitten des Dorfes zum Museum geworden ist, mögen die beiden Alten nicht mehr in Alt Zechau übernachten. Nicht einmal die Gästezimmer im Körberhof lassen sie gelten.

    Jens hat Timi aus der Kita geholt und nun schläft der Kleine. Es gibt keinen Grund mehr für Rita, noch länger zu zögern. Er zwinkert ihr zu. Ein unbekümmerter, fröhlicher Mensch, denkt sie und zieht die Wagentür zu. Auffallend gut aussehend, dazu sportlich und vielseitig wie kaum jemand in diesem Dorf, wie keiner unter ihren besten Freunden. Was hatte sie bloß für ein Glück. Er hätte auch sagen können: Mit der kleinen Mara war ihr Leben schon ein anderes geworden. Was soll ein erwachsener Mensch ihnen an Einschränkungen aufbürden.

    Rita und Jens hatten es sich vor Jahren gegenseitig schwer gemacht, bis sie dahinter kamen, einander zu achten und zu lieben. Danach hatten sie eine unheimlich verliebte Zeit. Beide dachten, es könne nicht ewig so weiter gehen.

    Ihre Verliebtheit ist noch immer Programm, obgleich ihre Stunden höchster körperlicher Lust langsam abnehmen; diametral zum ansteigen Lebensalter ihres Söhnchens Timi. Das liegt vielleicht an den offenen Türen im ganzen Haus. Feischliche Liebe ist nicht lautlos.

    Die offenen Türen hatte keiner von beiden anzusprechen gewagt, als ihre Entscheidung für einen jungen Hausgast auf Zeit fiel. Ihre kleinen Zweifel verbot sie sich. Diese Tiombe ist sehr reizvoll für die Augen eines Mannes, da kann sie selbst für Jens nicht die Hand ins Feuer legen.

    Die Atmosphäre ist noch immer gespannt, als Tiombe mit ihrem Koffer in den Wagen gestiegen ist. Nicht einmal Ritas wohlmeinende Geste, sie möge vorn Platz nehmen, weil es sich so angenehmer plaudern lässt, löst die Züge in Tiombes Gesicht. Man könnte meinen, sie fühlt sich auf dem Wege zum Schafott.

    »Du hast richtig Glück«, sagt Rita. Der Blick des Mädchens ist unklar. Ablehnend? Staunend? Respektlos, wie ihre Worte:

    »Ich glaube nicht daran, dass sich Menschen verbünden, um einen Bastard wie mich glücklich zu machen.«

    Sie hat die Schrecklichkeit wohl gehört, geht aber nicht darauf ein. Die Jugend ist heute unberechenbar. Provokant und wenig dankbar. Der Unterschied zwischen Dankbarkeit und Undank ist, dass sich Dankbarkeit in Grenzen hält, denkt Rita. Aber das wird sie dem halben Kind nicht sagen. Was sie betrifft, erwartet sie keine Dankbarkeit. Sie hat einen pragmatischen Grund, die Bürde eines Untermieters auf sich zu nehmen. Und der ist legitim. Aber sie wird einen Teufel tun, über diesen Grund zu reden.

    »Ich meine, eine wesentliche Voraussetzung für ein Volontariat ist - zumeist jedenfalls - ein abgeschlossenes Studium. Du kommst vom Gymnasium. Das ist schon ein Glücksfall. Wo willst du denn danach studieren?«

    »Berlin.«

    »Die freie Journalistenschule?«

    »Egal. Hauptsache studieren.«

    »Weder Journalist noch Redakteur sind geschützte Berufsbezeichnungen. Und es gibt auch keine geregelte Berufsausbildung. Die einen machen es so, und die anderen so. Du hast eben das Glück, es so zu machen, wie du es offenbar willst. Aber stell dir das Volontariat nicht als Ausbildung vor. De facto bist du jetzt Jungredakteur …«, Rita lächelt, um die Schärfe, die in ihr steckt und gegen die sie nicht ankommt, aus der Stimme zu nehmen, »…mit ein bisschen Narrenfreiheit vielleicht, mit größerer Fehlertoleranz. Aber Jungredakteur.«

    »Und warum bin ich dann … ich meine, warum musst du mich ausbilden.«

    »Ich bilde dich nicht aus. Du bist von Anfang an in das Netzwerk des Verlages eingebunden. Du wirst weiterhin alle Bereiche durchlaufen. Lass dir diese Chance nicht entgehen. Du wirst so viel leichter entscheiden können, in welcher Richtung du studieren willst. Allerdings kommen auf einen Studienplatz bis zu eintausend Bewerber.«

    Tiombe zuckt mit der Schulter, als schnippe sie das Problem leichtfertig hinweg, bis sie ihren Irrtum erkennt.

    »Was heißt denn: in welcher Richtung? Ich will Journalismus studieren. Nichts weiter.«

    »Heute ist eine spezielle Ausbildung von großem Vorteil. Ein fachlich versierter Journalist wird den Anforderungen besser gerecht. Er hat auch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Keine Frage. In den meisten Verlagen gibt es `ne Menge Freie - aus der Wirtschaft, der Politik, sogar der Medizin - die auf Journalismus umsattelten. Deren Fachkompetenz ist unschlagbar. Mark Hellmann zum Beispiel ist ausgebildeter Fotograf. Er hat im dualen System seinen Abschluss gemacht, um nebenbei Geld zu verdienen. Jetzt arbeitet er wie jeder andere Redakteur auch. Das richtige Schreiben gehört ohnehin zum Allgemeinwissen. Es muss nur geschliffen werden und auf das Medium abgestimmt. Aber das lernt man von denen die es können besser als in jeder Schule.«

    Tiombe lehnt sich demonstrativ nach hinten: »Aha. Nun weiß ich `s ja.«

    Die Pause fällt unmerklich länger aus als normal, bis Rita weiter spricht: »Die Zeit im Verlag wird dir helfen herauszufinden, welcher Neigung du entsprichst. Du hast noch Zeit, über deine Spezialisierung nachzudenken. Das ist der Vorteil, den ich Glück nannte.«

    Normalerweise hätte Rita jeden anderen Menschen seine Grillen ausleben lassen, bei Tiombe geht es nicht. Entweder sie finden sich so zusammen, dass sie eine Zeit lang unter einem Dach leben können, oder einer von ihnen muss täglich zwei Stunden mehr Arbeitszeit opfern. Sie, um zum Verlag zu fahren, Tiombe, um zu Ritas Haupteinsatzgebiet hier im Spreewald zu kommen. Ein Mehr an Zeit wird sie ihrer Familie nicht zumuten.

    Bei ihrem ersten gemeinsamen Arbeitstag im Verlag hat sie dummerweise eine Regel gebrochen, was ihr von Minute zu Minute immer bewusster wird. Sie hat dem Mädchen das Du angeboten, weil sie doch für einige Zeit in ihrem Hause wohnen wird. Es siezt sich so schlecht am Küchentisch.

    Vielleicht aber war gerade das der Anlass für Tiombe gewesen, über ihre familiären Dinge zu reden. Nicht gerade ausführlich; es war auch so schon bedrückend genug. Rita weiß jetzt, dass Tiombe über Ostern zu Hause bei ihrem Vater war, und sie weiß, dass sie nur noch den Vater hat. Zwischen den Worten und in ihren Gesten konnte Rita erkennen, dass sie ihren Vater nicht sonderlich liebt.

    Die Stadt liegt schon lange hinter ihnen und Rita denkt über das Gespräch nach, das sie mit Tiombe geführt hat. Es war ihr vorgekommen, als sei es kein so angespanntes gewesen wie dieses.

    »Hast du zu deiner Mutter noch regelmäßig Kontakt?«, fragt sie irgendwann.

    »Er lässt es nicht zu«, kommt kurz. Zu kurz.

    Rita wirft ihren Kopf herum, muss sich disziplinieren und auf den fließenden Verkehr achten. Dennoch wird ihr sofort klar, warum das Mädchen seine Fröhlichkeit hinter dieser griesgrämigen Maske verbirgt. Und sie kann sehr fröhlich sein, das hat Rita schon im Verlag kennen gelernt. Wahrscheinlich war es kein schönes Osterfest für das Mädchen. Falls sie ihren Vater wirklich nicht liebt, dann gewiss nicht. Wenn Rita doch nur einen Schimmer davon gehabt hätte.

    »Wenn du reden willst, wir haben vierzig Minuten Fahrzeit vor uns.«

    »Ich habe nicht das Bedürfnis über meinen Vater zu reden, falls du das meinst.« Endlich lächelt sie so engelsgleich, dass Rita alle Bedenken über Bord werfen könnte, lägen nicht Tiombes Hände verkrampft in ihrem Schoß, färbten sich nicht die Knöchel hell und nehme der Stoff ihrer Jacke nicht schon tiefe Knitterfalten an.

    »Darf ich?« Tiombe greift nach dem Knopf des Radios und Rita weiß, dass damit jede Unterhaltung stirbt. Wenn überhaupt, dann sprechen sie ab jetzt über irgendein Lied, das man dort abspielt, oder über einen dieser hirnlosen Straßen-Kommentare, wie sie von den letzten Tagen vor Ostern noch in ihrer Erinnerung sind:

    »Was halten Sie vom Fasten?«

    »Was gefällt Ihnen am Frühling?«

    »Glauben Sie an die Wiedergeburt von Jesus Christus?«

    Ohne ihre Stimme zu heben, beginnt sie zu erzählen, was ihr gerade einfällt. Zuerst dreht das Mädchen das Radio leiser, dann ganz aus. Auf geheimnisvolle Weise bessert sich Tiombes Laune. Sie lachen und scherzen über die komische Sage, die Rita über den Spreewald eingefallen ist, über die Ochsen des Teufels, die ihm nicht gehorchten und das Land mit dem Pflug schrecklich zerfurchten, dass fortan das Wasser der Spree in Tausenden Fließen verzweigt durch die Wälder und Auen floss. Ab Burg zählt Rita die kleinen Brücken, unter denen fast unbemerkt Wasseradern verlaufen. Achtzehn allein zwischen Burg und Byhleguhre.

    Nie zuvor ist ein Mensch so rasant aus bitterer Griesgrämigkeit zu einem liebevollen, freundlichen Wesen mutiert, das sehr rücksichtsvoll nach diesem und jenem fragt, dessen Augen funkeln und dessen schneeweiße Zähne blitzen, so oft es sie anschaut.

    Als sie den Körberhof erreichen wechselt der Film. Rita und Jens haben ein Ritual vorbereitet. Sie begrüßen ihren Gast mit Brot und Salz, wie es üblich ist. Dann zeigen sie Tiombe das Gästezimmer im oberen Stock. Aus dem strahlenden Gesicht flieht nach und nach jeder Glanz.

    Rita erinnert sich wie es war, als sie für drei Jahre in ein Internat musste. Nicht, dass sie allzu sehr an ihren Eltern gehangen hätte. Nein. Es war die ungewohnte Fremde, die sie für ein paar Stunden depressiv machte.

    Sie nimmt Tiombe bei den Schultern und schiebt sie behutsam vor sich her:

    »Na komm. Mach dich frisch. Gegen achtzehn Uhr essen wir«, Rita hebt die Schultern, »Timi muss früh zu Bett.«

    »Mach ich«, flötet Tiombe, als sei sie noch immer gut gelaunt. Aber Rita sieht das verzerrte Gesicht und sie spürt genau, wie missmutig das Mädchen alles macht, was es sieht. Sie sagt nichts, ihre Augen spiegeln etwas Abneigung und etwas von Wut. Wogegen, das erkennt Rita nicht. Für eine verwirrende Minute ist sie davon überzeugt, Tiombe könnte nicht die sein, die ihr beschrieben wurde. Was, wenn sie eine von denen ist, die aus dem Verlag abgeschoben wurde, weil sie unbequem ist. Aufsässig. Reaktionär? Ist es ein Fehler, das junge Ding mit in ihr Haus zu holen? Es ist vielleicht nicht logisch, wie sie denkt, aber seit ein paar Tagen ist ihre viel gepriesene Logik Stück für Stück abhanden gekommen. Irgendwie hat alles mit Tiombe zu tun und irgendwie auch nicht. Tiombe ist schon seit einiger Zeit im Verlag, und manch einer lobt ihre Offenheit, ihre klaren

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