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Typ 1: Tod am Schrecksee
Typ 1: Tod am Schrecksee
Typ 1: Tod am Schrecksee
eBook627 Seiten8 Stunden

Typ 1: Tod am Schrecksee

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Über dieses E-Book

Eine Forscherin, die den Diabetes mit einem innovativen Mittel heilen will. Ein Informatiker, der nach seinem Tod als Vermächtnis eine Schatzsuche hinterlässt. Ein Attentats-versuch in einer Firma, die Insulinpumpen herstellt. Und Landeskriminalämter, die sich bei der Aufklärung mit ihren Eitelkeiten gegenseitig im Weg stehen.
Julia Lensing von der Polizei in Borken und David Mertens, Freund des Informatikers, begeben sich getrennt auf die Suche nach den Hintergründen. In der Kulisse der Allgäuer Alpen treffen sie aufeinander und müssen zwischen Wahrheit und Lüge sowie zwischen Freund und Feind unterscheiden. Je mehr sie über die Zusammenhänge erfahren, umso bedrohlicher wird es für sie. Auf den Höhenwegen der Allgäuer Alpen kommt es zu einer Verfolgungsjagd nach einem Schatz und nach Gewissheit.

Die Orte in den Allgäuer Alpen – Städte, Hütten und Wege – existieren fast alle in der Realität. Dies gilt insbesondere für das Hotel und Restaurant "Wiesengrund" sowie die Alpenvereinshütten Edmund-Probst-Haus, Prinz-Luitpold-Haus und Schwarzenberghütte.
Die Handlung spielt überwiegend in den Allgäuer Alpen, ist aber kein typischer Heimatroman oder Regionalkrimi.
Die Personen sind frei erfunden.

Aus dem Expose: David Mertens, Ingenieur aus Borken, erfährt durch seinen Freund Kevin Schulte von einem Schatz, der in den Allgäuer Alpen versteckt ist. Kurz darauf ist Kevin Schulte tot. Den Fall übernimmt Julia Lensing, Kommissarin aus Borken. Sie erhält – wie David Mertens – eine E-Mail, deren Versand Kevin Schulte vor seinem Tod ausgelöst hat. Unabhängig voneinander begeben sich die Kommissarin und der Ingenieur in die Bergwelt. Ihre Suche entpuppt sich als zeitraubendes Geocaching.
Julia Lensing wird vor Ort von einer Kollegin der bayerischen Polizei sowie einem Beamten des LKA Nordrhein-Westfalen unterstützt. Sie trifft auf David Mertens, der sie fortan begleitet.
Auf den hoch gelegenen Wanderwegen sind die beiden nicht die einzigen Schatzsucher.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Jan. 2019
ISBN9783748504535
Typ 1: Tod am Schrecksee

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    Buchvorschau

    Typ 1 - Matthias Krügel

    1 Montag – Irgendwann im August

    1.1 Auf einem Hügel im Münsterland

    David Mertens sitzt auf einer der wenigen Anhöhen in der münsterländischen Landschaft. Sein Blick reicht kilometerweit nach Westen und Norden. Bis zu den Niederlanden sind es wenige Kilometer. Hinter ihm schließt sich ein Waldgebiet an. Vor ihm liegt die Kreisstadt Borken, von der von seinem Platz aus fast nichts zu sehen ist. Der Hügel ist nicht hoch und die Bäume des Ortes überragen die meisten Gebäude. Auf einer Freifläche vor ihm unterhalb des Hanges lassen ein paar Hundebesitzer ihren Vierbeinern freien Lauf. Ein paar Mountainbiker fahren über das überwiegend ebene Gelände. Die für heute gemeldeten 20 Grad entsprechen seinem Gefühl nach der örtlichen Realität, und er empfindet sie als angenehm. Die 30 Grad, die zum nächsten Wochenende erreicht werden sollen, sind ihm persönlich dagegen zu viel. Ein seichter, kaum hörbarer Windhauch lässt die Blätter der umliegenden Bäume rascheln. Bis auf dieses Geräusch und vereinzeltes Gebell der unten laufenden Hunde ist es still. Der Verkehrslärm der nicht weit entfernt liegenden Straßen wird durch den Wald gedämmt.

    Vor zwei Stunden hat David einen Anruf von seinem Freund Kevin Schulte erhalten und sich an diesem Ort mit ihm verabredet. Dieser hatte aus einer Telefonzelle angerufen und geheimnisvoll und wichtig getan. Das ist bei ihm nicht unüblich, aber dieses Mal setzte er mit der Art des Anrufes einen bei der Dosierung drauf. Also hat sich David ohne längere Überlegung auf die Verabredung eingelassen. Auch in der Hoffnung, dass sein Freund etwas deutlicher würde und es dieses Mal um etwas wirklich Wichtiges ging.

    Von der linken Seite, über einen Waldweg, kommt Kevin Schulte auf ihn zu. Sein schwankender, schwerfälliger Gang und der schlaksige Körper sind von weitem erkennbar. Er hebt die Hand zum Gruß und setzt sich neben David. Wäre der Himmel nicht bewölkt, hätten sie einen sommerlichen Sonnenuntergang. So bleibt ihnen der Blick auf eine Dämmerung mit rot bis rosa leuchtenden Wolken am Horizont. Zusammen schauen sie sich das ferne Schauspiel der Natur an. David wartet, bis Kevin Schulte von selbst anfängt zu reden.

    „Erinnerst Du Dich noch an die schönen Sonnenuntergänge auf unserer Hüttentour vor drei Jahren?"

    David dreht einen Birkenzweig zwischen den Fingern in den Erdboden. „Hmm, ja. Dieselbe Sonne, aber eine völlig andere Atmosphäre. Inklusive Alpenglühen. Dieses Jahr war ich schon alleine unterwegs."

    Kevin Schulte nimmt wie sein Freund einen kleinen Zweig in die Hand, zerbricht jedoch das Stück Holz. „Was war das noch? Meraner Höhenweg?"

    David blickt unauffällig zur Seite. Ist sein Freund nervös? „Ja. Einmal um die Texelgruppe in Südtirol."

    Kevin Schulte nimmt sich beiläufig einen neuen Zweig. „Ich war jetzt auch unterwegs."

    David ist erstaunt. „Du hast nicht gesagt, dass Du Dich auf den Weg machen wolltest."

    Auch dieser Zweig zerbricht am Widerstand des Erdreichs. „Das hat sich … spontan ergeben. Es war ein Notfall."

    „Eine Hüttentour als Notfall? David mustert seinen Freund. „Du hast ehrlich gesagt wieder Dein Ach-ich-schaff-das-schon-Lächeln drauf. Das Leben seines Freundes ist davon geprägt, dass die Dinge meistens nicht laufen, wie er sich das vorstellt. Er zieht das Unglück nicht an, sondern setzt seine Ansprüche viel zu hoch, als dass er sie erreichen könnte. Es ist nicht so, dass er schlecht aussieht oder sehr negative Eigenschaften hat. Aber seine Vorstellungen hinsichtlich seiner Traumfrau sind äußerst ausgeprägt und daher praktisch nicht realisierbar. Falls doch eine Frau seinen Anforderungen entspricht, stößt sein Interesse nicht auf Gegenliebe. Das daraus resultierende Dauersingle-Dasein führt bei ihm zu einer fortdauernden Grundfrustration – und das obwohl er erst Mitte 30 - und damit zehn Jahre jünger ist als David.

    „Was ist passiert?"

    „Noch nichts. Ich meine, es ist etwas passiert, aber noch nichts schiefgelaufen."

    „Kevin, was ist los?"

    Er presst seine Lippen zusammen, als müsste er seine Worte mit Bedacht wählen. „Ich habe einen Schatz in den Bergen versteckt. Und wenn ich ihn nicht mehr abholen kann, möchte ich, dass Du das für mich machst."

    „Was für einen Schatz?"

    „Etwas Wichtiges und Wertvolles, für viele Menschen."

    David schüttelt den Kopf. „Jetzt weiß ich so viel wie vorher."

    „Es geht im Moment nicht genauer."

    „Und warum kannst Du ihn vielleicht selbst nicht mehr abholen?"

    Kevin lächelt gequält. „Weil es nicht gehen wird. Ich weiß nicht, ob mein Smartphone bereits überwacht wird. Deshalb habe ich Dich von einer Telefonzelle aus angerufen. So führt keine Spur zu Dir. Unser letztes Gespräch ist drei Wochen her, so fällst Du bestimmt aus dem Raster."

    „Aus wessen Raster? Dem der Polizei?"

    „Das lässt sich so genau nicht sagen."

    „Wie jetzt? Muss ich Dir alles aus der Nase ziehen?"

    „Es ist halt besser, wenn Du noch nicht alles weißt."

    „Da, schon wieder. Jede Antwort wirft neue Fragen auf. Du bist Dir sicher, dass Du zu den Guten gehörst?"

    „Ja, das bin ich."

    „Und trotzdem gehst Du nicht zur Polizei?"

    „Das sind natürlich die Guten, aber da gehören nicht alle zu den Guten."

    David atmet einmal tief durch. „Was genau willst Du von mir?"

    „Dass Du mir vertraust."

    „Kevin, Fakten bitte!"

    „Okay, okay. Schau auf Dein Handy. David kramt sein Smartphone aus der Hosentasche. Unter den Benachrichtigungen wird der Eingang einer E-Mail angezeigt. „Ich habe gerade eine E-Mail von Dir bekommen: ‚Hallo David, schöne Grüße, Kevin.‘ Was willst Du mir damit sagen?

    Kevin lächelt. „Zeitgesteuerte Nachricht. Die E-Mail ist gerade bei Dir eingegangen, obwohl ich neben Dir sitze und nichts mache."

    „Dein Job als Systemadministrator bietet Dir offenbar viele technische Möglichkeiten und unendlichen Einfallsreichtum."

    „Na, so einfallsreich ist das nicht. Ich habe E-Mails geschrieben und mit einem späteren Absendedatum versehen. Nichts Besonderes. Ich muss nur regelmäßig das Datum verschieben. Mache ich das nicht, werden nach und nach automatisch E-Mails versendet."

    „Das heißt, falls Du es nicht mehr verschieben kannst."

    „Richtig."

    „Und da steht dann drin, wo ich hin soll und was ich machen soll."

    „Richtig. Immer Stück für Stück, damit ich es weiterhin aufhalten kann, aber Du auf der anderen Seite keine Zeit verlierst."

    David steckt sein Smartphone wieder weg. „Und wenn ich von vornherein keine Zeit für dieses Abenteuer habe?"

    „Deine Freundin wird sicher kein Problem damit haben."

    „Ich habe keine Freundin mehr."

    „Wie, Du hast keine Freundin mehr? Vor drei Wochen hattest Du noch eine."

    „Aber seit zwei Wochen nicht mehr."

    „Wieso?"

    „Sie war es eben nicht, Kevin."

    „Na, egal. Das macht es einfacher. Schnell legt er seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Also, es tut mir ja schon leid, dass Du wieder Single bist, aber so hast Du wegen meiner Sache keine Schwierigkeiten. Da ist nur Dein Chef, der seinem Lieblingsingenieur sicher gern eine Pause gönnt.

    David atmet noch einmal tief durch. Er ist neugierig geworden, keine Frage. Am Fuß des Hügels, wo das Gefälle in die freie Ebene übergeht, kommt von rechts eine Joggerin in sein Sichtfeld. Auch Kevin Schulte wird auf sie aufmerksam. „Schau mal, da unten. Sie hat ein gutes Tempo drauf."

    „Ja, nicht schlecht, sehr sportlich."

    „Aber auch nicht mehr die Jüngste. Über 30, würde ich sagen. Oder was meinst Du, David?"

    „Bestimmt."

    „Über 40?"

    „Möglich."

    „Und attraktiv."

    „Kevin, wie willst Du das von hier erkennen?"

    „Na, die Figur ist nicht schlecht. Und sie ist nicht zu klein, sonst würde ihr beim Küssen zu schnell der Nacken wehtun."

    „Ich kann in solchen Fällen notfalls mit einer Hand den Kopf stützen."

    „Und schau Dir die Motorik an, David. Sehr sportlich, progressiv. Und doch, sie hat ein hübsches Gesicht, das kann man sehen. Die Joggerin verschwindet langsam nach links, Kevin Schulte legt noch einmal nach. „Da Du wieder Single bist, wäre die nichts für Dich?

    „Die hole ich eh nicht mehr ein."

    „Auf Dich fahren die Frauen eben mehr ab als auf mich. Mit Deinem südländischen Einschlag schaffst Du es immer wieder."

    Reflexartig und unterbewusst greift sich David in sein dunkles, lockiges Haar. Darüber reden will er nicht. „Gut, reicht jetzt."

    „Okay. Kevin Schulte kramt einen Umschlag aus seiner Gesäßtasche. „Ich habe etwas, um Dir die Entscheidung zu erleichtern. Hier hast Du 1.000 Euro für eventuelle Auslagen.

    „1.000 Euro? Wieso soll ich die annehmen?"

    „Wieso nicht? Du kannst mir ja das Geld in zwei, drei Wochen wiedergeben, solltest Du es nicht benötigen. Also, was ist?"

    Er greift nach dem Briefumschlag. „Na gut. Ich denke, dass ich es nicht brauchen werde, und gebe es Dir in Kürze wieder."

    „David, mein Freund, ich danke Dir. Ich kann mir keinen anderen vorstellen, der das für mich machen könnte."

    „Vielleicht weil Du keinen anderen kennst, der gerne in den Bergen wandern geht?"

    Kevin Schulte legt eine ernste Miene auf. „Es ist mir wirklich wichtig. Mit allem. Mit dem, was ich gemacht habe. Und was Du für mich bist."

    „Dann tu mir bitte einen Gefallen: Grenze das Zielgebiet ein."

    „Allgäuer Alpen."

    „Und womit hat der Schatz in etwa zu tun?"

    „Mit einer der größten Volkskrankheiten."

    „Na schön. David schaut zum Horizont, der zunehmend dunkler wird. „Gehen wir irgendwohin.

    „Nein, es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden."

    „Von wem?"

    Kevin Schulte zuckt als Antwort mit den Schultern und lächelt.

    Währenddessen erreicht jene Joggerin ihr Auto, einen schwarzen Mazda 3. Sie kramt den Autoschlüssel aus ihrer schwarzen Laufhose, öffnet den Wagen, nimmt eine schwarze Sportjacke vom Sitz, zieht sie über ihr türkisfarbenes Sportshirt und steigt ein. Aus der Mittelkonsole greift sie ihr Smartphone und stellt fest, dass sie keine neuen Nachrichten hat. Ebenfalls in der Mittelkonsole befindet sich ihr Portemonnaie mit Personalausweis, Führerschein, EC-Karte, verschiedenen Kundenkarten und Dienstausweis. Letzterer weist sie als Kriminalhauptkommissarin Julia Lensing aus. Ihr Alter haben die beiden Männer auf dem Hügel gut eingegrenzt: Nach dem Geburtsdatum in ihrem Personalausweis ist sie 44 Jahre alt.

    2 Dienstag

    2.1 Der Fund

    Am Nachmittag des nächsten Tages parkt Julia ihren Wagen vor einem Mehrfamilienhaus, welches in der Seitenstraße eines Wohngebietes von Borken liegt. Zusammen mit ihrem Kollegen Alexander Stenzel verlässt sie das Fahrzeug und geht auf das Gebäude zu. Dies zeigt von außen mit seinen sechs Wohneinheiten keine Besonderheiten, die Bauweise ist funktional und ortsüblich mit zwei Vollgeschossen und Satteldach. Durch ein weiß gefliestes und gestrichenes Treppenhaus gehen beide in das erste Obergeschoss. Ebenso wie ihr Kollege zieht sie sich vor einer weit geöffneten Wohnungstür die Einweghandschuhe über.

    Julia ist gerne mit Alexander in Einsätzen unterwegs. In angespannten Situationen behält er seine Ruhe und Gelassenheit. Mit Vergnügen streut er gelegentlich seinen Humor ein, ohne die erforderliche Sachlichkeit zu verlieren. Zufällig ergänzen sie sich in ihrer Kleidung, vorzugsweise locker und leger, in Shirt und Jeans, ohne besonderen Chic oder irgendwelche Auffälligkeiten, abgesehen von kleinen, modebedingten Aufdrucken.

    Mit seinem Humor wird er sich bei diesem Einsatz voraussichtlich zurückhalten. Der Notruf über eine tot aufgefundene Person, mit dem sie dorthin gerufen worden sind, kam von einem Nachbarn. Die Tür habe einen Spalt offen gestanden; er habe nachgeschaut und den Bewohner gefunden. Aufgrund seiner Darstellungen im Notruf erscheint ein Tötungsdelikt wahrscheinlich.

    In der Wohnung beendet die Spurensicherung ihre Arbeit. Die beiden betreten den kleinen Flur, in dem bis auf eine Garderobe keine weiteren Möbel stehen. Alle weiteren vier Türen zweigen in die verschiedenen Zimmer ab, die ebenfalls alle offen stehen. Sofort links geht es ins Badezimmer, dahinter links ins Schlafzimmer, geradeaus in die Küche sowie rechts in das Wohnzimmer. Julia schätzt die Größe der Wohnung auf 50 qm. Zuerst kommen beide in das längliche Wohnzimmer, in dem auf der rechten Seite eine großflächige, für einen Junggesellen verhältnismäßig ausgedehnte Couchgarnitur aufgestellt wurde, die auf einen Flachbildschirm ausgerichtet ist. Links in dem Zimmer steht ein Schreibtisch mit Glasfläche, die von einem Computerbildschirm mit Tastatur und Maus dominiert wird; der PC befindet sich unter der Arbeitsplatte. Und vor diesem Schreibtisch sitzt eine tote männliche Person auf einem Bürostuhl, in sich zusammengesackt, aber nicht von dem Stuhl gerutscht, weil die Kabelbinder an seinen Handgelenken ihn davon abhalten.

    Der Mann trägt sportliche Schuhe, Jeans, T-Shirt und eine dünne Sommerjacke. Seine Statur ist schlank, die Haare sind rot-blond und kurz geschnitten. Schmuck oder eine Armbanduhr sind nicht zu sehen.

    Julia stellt sich mit Alexander Stenzel direkt vor ihn. Wie die meisten Kollegen spricht sie ihn nicht mit Alexander, sondern in der Kurzform an. „Alex, Dein Eindruck?"

    „Für das Klima in der Wohnung hat er zu viel an. Er trägt weiterhin die Kleidung, mit der er nach Hause kam. Er wurde beim Betreten überrascht oder hat seinen Besuch mitgebracht."

    Julia greift dem Toten in die Jackeninnentasche, zieht diesem sein Portemonnaie heraus. Innen befinden sich Geld und Bankkarte. Demnach sieht es nicht nach einem Raubüberfall aus. Außerdem sind sein Führerschein und ein paar Bonuskarten darin enthalten, schließlich der Personalausweis.

    „Sein Name ist Kevin Schulte. 35 Jahre. Die angegebene Anschrift entspricht dieser Adresse. Und das Foto… Sie hebt mit der freien Hand vorsichtig an den Haaren den Kopf nach hinten. „… entspricht seinem Gesicht. Da sind Rötungen im Mundbereich, siehst Du?

    „Ja. Sie sind nicht verletzungsbedingt, sondern machen den Eindruck einer bakteriellen Verunreinigung. Alexander Stenzel betrachtet alle freien Körperstellen. Bis auf ein paar kleine Hautabschürfungen durch die Reibungen der Kabelbinder an den Handgelenken sind keine äußeren Verletzungen erkennbar. „Nicht, dass ich enttäuscht bin, aber ist es in solchen Fällen sonst nicht so, dass in Folge der unfreiwilligen Befragung jede Menge Folterspuren zu sehen sind und sich die Frage stellt, ob das Opfer zum Zeitpunkt der einen oder anderen Verletzung oder Verstümmelung noch lebte oder schon tot war? Aber der hat ja nichts. Nach irgendeiner Form eines Ritualmordes sieht es ebenfalls nicht aus. Entweder hat er sofort und freiwillig alles geäußert, was von ihm erwartet wurde. Oder er hat sich selbst vorzeitig einer intensiveren Befragung entzogen. Fragt sich, ob er dies tatsächlich aus freien Stücken gemacht hat.

    Hinter ihnen erscheint eine weiterhin in einem weißen Ganzkörperanzug gekleidete Person, die Julia ein Smartphone reicht.

    „Wollt Ihr einen Blick darauf werfen, bevor wir es weiter analysieren?"

    „Ja, gerne. Sie geht einzelne Funktionen durch. „Hier ist etwas auffällig: Die Liste der angenommenen Anrufe ist leer, also gelöscht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nie angerufen worden ist. Nach der Liste der getätigten Anrufe ist das Gerät nicht neu. Das müsste rekonstruiert werden. Sie navigiert weiter. „WhatsApp wurde gestern noch genutzt, in den letzten Chats sieht es eher nach Smalltalk aus. Das lesen wir später in Ruhe. Die letzte SMS ist ein paar Tage alt. Von seiner Bank die PIN für eine Online-Überweisung."

    Julia verlässt mit Alexander Stenzel das Wohnzimmer. Der Rest der Wohnung gibt nicht viel her. Die Küche ist aufgeräumt; es befindet sich nur etwas gebrauchtes Geschirr auf der Arbeitsfläche. Die beiden Polizisten öffnen alle Schränke, finden nichts Auffälliges. Im Schlafzimmer ein ähnliches Bild, das Bett zwar nicht gemacht, aber sauber. Auch hier in den Schränken keine Besonderheiten, nur allgemeine Eindrücke. Julia bleibt gebannt vor einem Poster mit einer Berghütte, umgeben von einer prächtigen Bergkulisse, stehen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Alpenvereinshütte mit Übernachtungsmöglichkeit für viele Bergwanderer. Es gibt aber keine Anzeichen, welche Hütte das ist oder wo diese sich befindet.

    Alexander Stenzel tritt neben sie und folgt eine Weile schweigend ihrem Blick. „Kennst Du das Gebäude?"

    Sie schüttelt leicht den Kopf. „Nein, da war ich noch nicht. Kann überall sein. Nicht nur in den Alpen."

    „Gehst Du dieses Jahr noch auf Hüttentour?"

    „Weiß nicht. Wird knapp. Ist ja schon August."

    „Fit?"

    „Klar, Alex."

    „Joggen?"

    „Ja, gestern noch. Und selbst?"

    „Ab und zu."

    Julia klatscht ihm schmunzelnd auf den leichten Bauchansatz. Alexander Stenzel weiß diese Geste zu schätzen und einzuordnen. Nicht aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhanges. Vielmehr, weil seine Kollegin zwar höflich und nett ist, aber sonst ausgesprochen distanziert bleibt. Er stuft ihre Berührung daher als Gefühlsausbruch höchster Kategorie ein. Das war es dann, als sie ihn zum Aufbruch drängt. „Na komm, gehen wir."

    Sie schaut noch einmal auf das Poster. Vielleicht ergibt sich der Zufall, dass sie erfährt, welche Hütte das ist. Es wäre ein schönes Etappenziel.

    2.2 E-Mail von Kevin

    David sitzt zu Hause auf seiner Couch, hat ein Laptop vor sich auf dem Tisch, den Körper nach vorn gebeugt. Er ist unterwegs in den Weiten des Internets. Zusätzlich läuft auf einem Flachbildschirm das Fernsehprogramm mit einer Dokumentation über ein Weltuntergangsszenario beiläufig mit. Er nimmt es nicht wirklich wahr, es dient einzig als Geräuschkulisse. Er starrt auf seinen Bildschirm, auf das, was dort geschrieben steht und abgebildet ist. Von dem mutmaßlichen gewaltsamen Tod seines Freundes Kevin Schulte hat er gelesen. Es ist kein Film, keine Fiktion, sondern Realität. Und diese Meldung lässt keine Zweifel, dass sein Freund, dem er gestern noch begegnet ist, nicht mehr lebt.

    Die Polizei hält sich mit Details bedeckt. Über die Medien macht schnell die Runde, dass ein Systemadministrator in seiner Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, das mehrfach auf Bildern zu sehen ist, den Tod gefunden hat. Seltsam sind die Formulierungen zur Ursache. Ein natürlicher Tod war es nicht. Von einem Mord sprechen die ermittelnden Behörden ebenfalls nicht. Stattdessen ist von einer äußeren Einflussnahme die Rede. Nach dem Gespräch von gestern kann sich David nicht vorstellen, dass Kevin Schulte Selbstmord begangen hat. Das hält er für unmöglich. Vielmehr scheint die Bedrohungslage, die er für eine seiner Spinnereien gehalten hat, real gewesen zu sein.

    Er drückt Daumen und Zeigefinger am Nasenrücken an die Augen; zur Trauer bleibt ihm nicht viel Zeit. Er muss die Lage einschätzen und überlegen, wie er weiter vorgeht. Er begibt sich in die Küche, lässt einen Kaffee durchlaufen, denkt über das Gespräch vom Vortag nach. Die Rede war von einem Schatz, versteckt in den Alpen, im Zusammenhang mit einer großen deutschen Volkskrankheit, einem Schatz, der vielen Menschen helfen würde.

    Die Gedanken nicht zu Ende gebracht, signalisiert der Laptop aus dem Wohnzimmer den Eingang einer E-Mail. Er nimmt seinen Kaffee, eilt zum Gerät und schaut auf den Bildschirm. Am unteren Bildrand befindet sich der Hinweis auf die eingehende Nachricht. Er sieht in der Halbtransparent-Darstellung den Namen Kevin und ahnt in dem Moment, dass der Eingang der E-Mail um Punkt 20 Uhr kein Zufall ist. Er ruft das Mailprogramm auf und liest die an ihn persönlich gerichtete Mitteilung mit dem Betreff „Nachricht 1".

    Hallo David,

    auch wenn ich es Dir persönlich erklärt habe:

    Du erhältst diese automatisch versendete E-Mail, weil ich seit mindestens 12 Stunden nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte oder auf andere Weise nicht mehr handlungsfähig bin. Vielleicht ist es ein Unfall. Vielleicht etwas anderes.

    Du musst Dich nun um meinen Schatz kümmern. Hole ihn Dir, bringe ihn in Sicherheit und gib ihn erst frei, wenn Du Dir gewiss sein kannst, dass ihm kein Schaden mehr zugefügt werden kann. Es ist ein wertvoller Schatz, der das Leben vieler Menschen positiv verändern wird.

    Vertraue zunächst keinem. Auch nicht der Polizei. Dort könnte der Schatz an einer Stelle landen, der nicht zu trauen ist und die ihn vernichten könnte.

    Für Dich geht es – Du ahnst es – nach Oberstdorf. Dort erhältst Du die nächste E-Mail vom jetzigen Zeitpunkt an gerechnet nach 36 Stunden, also morgens um 8 Uhr. Es sei denn, ich kann sie vorher wieder abfangen.

    Versuche nicht, mich zu erreichen! Du weißt nicht, in wessen Hände mein Smartphone oder meine Wohnung gefallen sind! Wie Du Dir denken kannst, wäre es nützlich, wenn Du Dir Deine gesamte Bergausstattung mitnehmen würdest.

    Ich weiß, dass Du es tun wirst. Weil ich nicht weiß, ob Dir alles gelingt und ob ich alles präzise und gut vorbereitet habe oder ob irgendwelche nicht vorhergesehene Probleme entstehen, geht eine weitere E-Mail an die Polizei in Borken, die nicht mehr erfahren wird als Du. In Abhängigkeit von meinem aktuellen Zustand, der der Polizei möglicherweise bekannt ist, werden sie die Dringlichkeit einschätzen können und tätig werden.

    Ich weiß, ich sagte, eigentlich keine Polizei, aber vielleicht habe ich Glück und Du triffst auf jemanden, der sich sein eigenes Bild macht. Es gilt, Zeit zu gewinnen.

    Wenn die Polizei sich auf meine E-Mail einlässt - und sie wird es vermutlich auf Grund meiner aktuellen Lage tun - wirst Du diesem Jemand wahrscheinlich in den Alpen begegnen. Du wirst Dir hoffentlich einen Eindruck über ihn machen können, bevor er Dich erkennt. Wer auch immer das sein wird.

    Kevin

    David überlegt, was er machen soll. Zur Polizei gehen? Die bekommen aber sowieso eine vergleichbare Mitteilung. Hier kann er für seinen verstorbenen Freund nichts mehr tun. Verwandte hat Kevin kaum. Um seine Beerdigung wird sich die Halbschwester aus Darmstadt kümmern. Es wird ein Schock für sie sein. Er könnte dagegen woanders etwas für ihn tun: Wenn er sich auf den Weg macht und nach seinem Schatz sucht. Zur Beerdigung wird er dann nicht da sein, aber darauf kommt es weniger an. Schließlich ist es Kevins eigener Wunsch.

    Die nächste E-Mail soll nach 36 Stunden kommen. Vorher muss er nicht in Oberstdorf sein. Er kann morgen noch einmal zur Arbeit gehen und dann den Nachtzug nehmen. Im Internet schaut er nach einer Verbindung. Demnach wäre er übermorgen erst um 8:20 Uhr in Oberstdorf, 20 Minuten nach Eingang der nächsten E-Mail von Kevin. Das dürfte nicht schaden. Der Preis ist happig, da es bei einer so kurzfristigen Buchung keinen Nachlass mehr gibt. Aber er hat das Geld von Kevin, das extra für solche Ausgaben gedacht ist.

    Ein wenig zweifelt David an diesem Vorhaben. Schließlich weiß er kaum, worauf er sich einlässt und welche Gefahren lauern. Vielleicht sogar Lebensgefahr? Am Ende ist es seine Neugier, die den Ausschlag gibt. Seine Neugier auf das Unbekannte, das ihm Kevin geheimnisvoll umschrieben hat. Der Reiz des Abenteuers lockt ihn. Und da er in dieser Angelegenheit keinem – wem auch immer – bekannt ist, dürfte es nicht gefährlich für ihn werden.

    Zudem ist hier niemand, der auf ihn wartet oder der ihn abhalten könnte. Er bestätigt die Buchung des Zugtickets und nimmt online die Zahlung vor. Oberstdorf ist etwa 20 Kilometer von Hindelang entfernt, wo er mehrmals Urlaub gemacht hat. Er schaut sich zwar gerne andere Landstriche an, wie vor einigen Wochen in Südtirol, aber es zieht ihn immer wieder ins Allgäu zurück. Von Oberstdorf aus wird es nach oben gehen. Wer weiß, wo er hinunter kommt und eine Unterkunft im Tal benötigt. Als Nächstes ruft er sein Stammhotel Wiesengrund in der dortigen Region in Bad Hindelang an. Er freut sich: Trotz Hochsaison ist es möglich, ihn in einem Zimmer unterzubringen. Bis zur Abfahrt sind es gut 24 Stunden. Er nimmt er sich seinen Trekking-Rucksack und die Packliste, um zu schauen, was noch zu besorgen ist. Die Kleidung, vor allem die Funktionswäsche, sucht er in ein paar Minuten zusammen. Seine Hüttenausrüstung, bestehend aus dem Hüttenschlafsack in Form eines Schlafsack-Inletts, dem Ausweis des Deutschen Alpenvereins, der Stirnlampe und den Ohrstöpseln, befindet sich ohnehin im Rucksack, da er sie außerhalb von Hüttentouren nicht benötigt. Teleskopstöcke und Trinkflaschen liegen ebenfalls griffbereit. Wanderkarten hat er zusammen mit Lesebüchern auf seinem Tablet offline dabei. Beim Proviant ist das Magnesium zur Vorbeugung von Krämpfen – wer weiß, was für Touren auf ihn zukommen – nicht aufgebraucht. Es fehlen Müsliriegel, die morgen schnell besorgt sind.

    Ergänzend packt er sich einen Trolley mit normaler Bekleidung. Falls er sich einfach nur im Tal aufhalten muss, möchte er nicht permanent in Wanderkleidung herumlaufen. Auch dies ist in wenigen Minuten erledigt. Damit sind seine Vorbereitungen abgeschlossen. Angesichts der Umstände ist ihm klar, dass es keine gewöhnliche Tour wird, die vor ihm liegt. Welche Überraschungen sie für ihn bereithält, davon ahnt er nichts.

    3 Mittwoch

    3.1 Teambesprechung

    Am Morgen trifft sich das Polizeiteam im Besprechungsraum. Neben Julia Lensing sitzt Alexander Stenzel am Tisch mit Blick auf die langen schmalen Fenster. Gegenüber haben ihre Kollegen Raja Becker und Manfred Schneider Platz genommen. Alle schauen schweigend in ihre Unterlagen und Notizen, als Werner Strunz, Chef der Abteilung, den Raum betritt. Mit seinen Mitte 50 ist er ansatzweise korpulent sowie weißhaarig, hat dennoch eine sportliche Statur und immer ein seichtes, geradezu väterliches Lächeln um die Lippen. Er setzt sich auf den Drehstuhl am Kopfende und platziert vor sich eine Mappe mit seinen Unterlagen.

    „Guten Morgen zusammen!"

    Alle murmeln einen freundlichen Gruß zurück, jedoch nicht so entschlossen in der Stimmlage.

    „Wie sieht es im Fall Kevin Schulte aus? Er blickt nach links. „Julia, fängst Du an?

    „Tut mir leid, ich habe nicht viel, was wir gebrauchen können. Mit Alex war ich gestern in der Wohnung. Da hat sich nichts Nützliches ergeben. Anschließend bin ich zu seinem Betrieb, einer Software-Firma, gefahren. Dort kennt man ihn als freundlichen und kompetenten Kollegen. Auffälligkeiten habe es nicht gegeben, alles sei friedlich gewesen. Einzig, dass er sich in den letzten Tagen kurzfristig ein paar Tage Urlaub genommen habe. Ziel unbekannt. So gut kenne man sich nicht, Sorgen habe sich keiner gemacht. Nun herrscht allgemeine Bestürzung. Motivlagen – inner- oder außerbetrieblich – sind für mich derzeit nicht erkennbar. Das war es."

    Kunz nickt, dann schaut er zu dem neben ihr sitzenden Alexander Stenzel. „Nach der Besichtigung der Wohnung habe ich mich bei den Nachbarn umgehört. Ähnliches Bild: Er sei ein netter Mann, höflich, kümmere sich um seine Aufgaben im Haus, Probleme habe es keine gegeben. Es sei hin und wieder laute Musik zu hören gewesen, aber kein Grund zur Beschwerde, das komme in einem Mehrfamilienhaus vor. So äußerte sich unter anderem eine Mutter von zwei Kleinkindern aus dem Erdgeschoss, über deren Lärm er sich seinerseits auch nie beschwert habe. In den letzten Tagen sei er nicht zu Hause gewesen. Wo er war, weiß keiner. Alles Weitere war unterhaltsam, wie der Nachbar, der sich mit mir über den Durchgangsverkehr auf der Straße unterhalten wollte, aber wertlos."

    Weiter geht es mit Manfred Schneider, der Alexander Stenzel gegenüber sitzt. Der rückt seine Brille zurecht und wirkt wie immer leicht verkrampft. Er selbst nennt es konzentriert, wenn man ihn auf seine unentspannte Körperhaltung anspricht. Julia hat den Eindruck, seine Schultern ziehen sich noch höher, bis auf Höhe seiner Ohren, und lassen seinen Hals verschwinden. Als einziger in der Runde hat er ein Tablet vor sich liegen.

    „Die Liste der angenommenen Anrufe, die auf dem Smartphone gelöscht waren, habe ich beim Netzbetreiber abgefragt. Aus den letzten fünf Tagen gibt es keinen Telefonverkehr zu verzeichnen. In der Zeit davor waren es überwiegend Kollegen aus seinem Betrieb sowie ein Online-Shop. Verwandte oder Freunde waren nicht dabei, diesbezüglich erläutert gleich Raja mehr. Die kriminaltechnische Untersuchung hat mir Zugang zu seinem Computer verschafft. Viele Daten und Dateien. Bei seinem Beruf und Hobby nicht überraschend. Übrigens alles schön aufgeräumt. Ergebnis: Verbotenes oder Fragwürdiges habe ich nicht entdeckt. Dies schließt nicht aus, dass es etwas gibt. Mit seinen Kenntnissen wusste er bestimmt, wie man etwas ablegt, was nicht gefunden werden soll. Aber dafür gibt es derzeit keine konkreten Anhaltspunkte."

    Nun ist Raja Becker, mit der Julia das Büro teilt, an der Reihe, die neben Manfred Schneider sitzt. Mit Ende 20 ist sie die Jüngste im Team. Sie hat die Angewohnheit, immer mit schickem, heute dunkelblauem Hosenanzug, eleganter, heute weißer Seidenbluse sowie Pumps zum Dienst zu erscheinen. Auf ihre Schultern fällt ihr dunkelbraunes, lockiges Haar. Alles wirkt authentisch und trotz des förmlichen Outfits wesentlich entspannter als bei Manfred Schneider.

    „Kevin Schulte scheint keine Familie zu haben. Eine Frau oder Kinder hat er nicht. Eltern sind verstorben, sie Deutsche, er Brite, die nicht verheiratet waren. Geschwister sind ebenfalls nicht vorhanden. Wie es mit Onkeln und Tanten aussieht, weiß ich noch nicht. Es ergeben sich keine Hinweise auf Kontakte, wie Manfred bereits beschrieben hat."

    Werner Kunz lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Ich fasse zusammen: Entscheidendes liegt uns leider nicht vor. Die bisherigen Untersuchungen haben keine Besonderheiten ergeben. Im Grunde haben wir keine Ahnung, was sich in der Wohnung von Kevin Schulte gestern abgespielt hat. Dieser ist polizeilich bisher nicht in Erscheinung getreten. Soweit ich das sehe, nicht einmal mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Laut aktuellem Ergebnis der pathologischen Untersuchung ist von einer Vergiftung mittels oraler Einnahme auszugehen, also einer Kapsel oder Ähnlichem. Weitere Verletzungsspuren sind – wie nach dem ersten äußeren Anschein nach – nicht gefunden worden. Es ist anzunehmen, dass nicht mehr und nicht weniger als die Vergiftung die Todesursache ist. Eure Vorschläge zum Ablauf des Geschehens?"

    Alexander Stenzel meldet sich zu Wort. „Bezüglich der Todesursache gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hat ihn gezwungen, die Kapsel zu nehmen. Das macht wenig Sinn, denn das wäre eine umständliche Methode, jemanden umzubringen. Und ein Selbstmord lässt sich auf die vorgefundene Weise nicht vortäuschen. Es könnte aber ein echter Selbstmord gewesen sein. Die andere Möglichkeit ist nämlich, dass er die Kapsel bereits im Mund hatte. Das hieße, er müsste konkret erwartet und in Erwägung gezogen haben, dass er überfallen wird. Und dass er sich nur durch einen Selbstmord zum Beispiel einer möglichen Folter entziehen kann. Dies wiederum setzt voraus, dass er Informationen hatte, die er nicht preisgeben wollte und die für andere immens wichtig zu sein scheinen. Er hatte es nicht in Erwägung gezogen, die Polizei hinzuzuziehen. Also könnten es Informationen sein, von denen wir nichts wissen sollen."

    Strunz beugt sich vor. „Unser Kevin Schulte hatte Urlaub. Keiner weiß, was er in dieser Zeit unternommen hat. Anscheinend war er unterwegs. Nun ist etwas Sonderbares passiert. Über unsere zentrale Poststelle ist gestern Abend um exakt 20:00 Uhr eine E-Mail hereingekommen, die von ihm abgesendet wurde. Ihr habt richtig gehört: gestern Abend. Ich habe sie kurz überflogen. Lest Euch das bitte durch."

    Strunz verteilt an alle seine vier Kolleginnen und Kollegen jeweils einen Ausdruck der E-Mail.

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Sie erhalten diese automatisch versendete E-Mail, weil ich seit mindestens 12 Stunden nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte oder auf andere Weise nicht mehr handlungsfähig bin. Vielleicht ist es ein Unfall. Vielleicht etwas Anderes. Zuvor habe ich einen wertvollen Schatz versteckt. Da ich ihn nicht mehr schützen kann, wende ich mich an Sie.

    Ich kann ihn zum jetzigen Zeitpunkt nicht genauer benennen. Falls ich in nächster Zeit meine Handlungsfähigkeit zurückerlange, möchte ich Sie davon abhalten, an meinen Schatz zu kommen. Der Erklärungsbedarf für diese E-Mail wird dann ein anderes Problem sein.

    Schritt für Schritt bringe ich Sie dem Schatz näher – und der Lösung für meinen derzeitigen Zustand.

    Der erste Schritt geht in die Alpen, nach Oberstdorf. Meine nächste, automatisch generierte E-Mail sende ich vom jetzigen Zeitpunkt an gerechnet nach 36 Stunden, also morgens um 8 Uhr.

    Es macht Sinn, wenn Sie jemanden dorthin schicken, der in der Lage ist, sich in den Bergen zu bewegen, möglichst über mehr als einen Tag. Haben Sie Verständnis, dass ich Ihnen mit dieser Mail nicht mehr mitteile. Im Hinblick darauf, was Sie ansonsten von mir wissen, schätzen Sie die Notwendigkeit sicherlich richtig ein. Ich hoffe, dass ich im Laufe der Zeit Ihr Vertrauen gewinnen kann. Eine direkte Information aller Details erscheint mir zu riskant.

    Kevin Schulte

    Strunz schaut in die Runde und wartet, bis er den Eindruck hat, dass alle den Text gelesen haben. „Was meint Ihr?"

    Manfred Schneider meldet sich mit seiner sonoren Stimme als erstes zu Wort. „Mag sein, dass es sich für manche spannend anhört. Für mich ist das ein Spinner, von dem man sich nicht an der Nase herumführen lassen sollte. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen seiner E-Mail und seinem Tod ist für mich nicht erkennbar."

    Gegenüber beugt sich Alexander Stenzel vor. „Das sehe ich anders. Er schreibt: Zuvor habe ich einen wertvollen Schatz versteckt. Also, bevor ihm etwas zustößt, versteckt er lieber diesen Schatz, damit ihn andere nicht finden. Das wäre die Information, die er nicht preisgeben wollte, die für andere jedoch immens wichtig zu sein scheint. Und es scheint jemand anderes zu geben, der diesen ominösen Schatz bei ihm gesucht hat. Und das sehr eindringlich."

    Manfred Schneider gibt sich damit nicht zufrieden. „Kevin Schulte schreibt der Polizei eine E-Mail und gibt Anweisungen, ohne Details zu verraten. Ich kann den nicht ernst nehmen."

    Neben ihm schaltet sich Raja Becker ein. „Er ist tot. Und das nicht durch einen Verkehrsunfall oder Herzinfarkt. Was ist da nicht ernst zu nehmen?"

    „Der will einen von uns zu einer Tour durch die Berge schicken. Wie stellst Du Dir das vor?"

    Raja Becker blickt wortlos zu Julia, die sich bisher zurückgehalten hat, aber sich nun aufgefordert sieht, ihre Ansicht zu äußern.

    „Ich glaube, er hat sich alles durchdacht. Wobei ich nicht weiß, wie weit er seinen eigenen Tod erwartet hat. Suizidäre Anhaltspunkte haben sich nicht ergeben. Aber seine Nachricht hat genaue Zeit- und Ortsangaben. Und dann sein Urlaub, von dem keiner weiß, wo er war. Wir wissen es jetzt: Er war selbst irgendwo in den Bergen und hat sich um seinen Schatz sowie die Spur dorthin gekümmert. Ein ziemlicher Aufwand, wenn es um nichts gehen sollte. Ich nehme das ernst."

    Raja Becker hakt nach. „Und wie steht es um den Aufwand, seinen Anweisungen zu folgen?"

    Julia schaut in die E-Mail. „Er schreibt: Sich in den Bergen zu bewegen, möglichst über mehr als einen Tag. Das hört sich nach einer Hüttentour an. Manfred, kannst Du kurz recherchieren, ob es im Umfeld von Oberstdorf Schutzhütten gibt?"

    „Moment... nach Angaben im Internet befinden sich im Umfeld von Oberstdorf elf solcher Schutzhütten mit Übernachtungsmöglichkeit."

    „Gut. Er hatte nur ein paar Tage Urlaub. Folglich dürfte die Tour nicht länger ausfallen. Sofern die nötigen Informationen zügig geliefert werden. Wir haben vorliegend bereits eine Zeitspanne von 36 Stunden."

    Strunz beugt sich vor. „Ok. Wann kannst Du starten?"

    Vier Augenpaare richten sich auf Julia, die nur den Blick von Strunz erwidert. Ihre Wanderleidenschaft ist den anderen bekannt, auch wenn sie das nicht offensiv kommuniziert. Aber aus üblichen Gesprächen, wie wo der Urlaub war, ist es kein Geheimnis, dass sie sich immer wieder gerne für einige Tage in den Bergen von Hütte zu Hütte bewegt.

    „Ich müsste nur packen, bräuchte nichts beschaffen. Das könnte schnell gehen."

    „Siehst Du Dich in der Lage, die Zeit einzuhalten? Die 36 Stunden laufen morgen früh um 8 Uhr ab. Vor Ort in den Bergen, nicht hier. Wahrscheinlich geht es dann zügig weiter."

    Nach der schmalen schwarzen Smartwatch an Julias Handgelenk ist es kurz vor Neun. „Oberstdorf liegt auf dieser Seite der Alpen, das müsste bis heute Abend zu schaffen sein, wenn nichts dazwischen kommt."

    Schneider gibt Daten in seinem Tablet ein. „Von hier nach Oberstdorf sind es 6 Stunden, 47 Minuten, ohne Verkehrsbeeinträchtigung oder Pause."

    Strunz nickt. „Gut. Julia, Du machst Dich auf den Weg. Alex, Du nimmst mit der örtlichen Polizei Kontakt auf und sprichst Julias Besuch ab, mit der Bitte um Unterstützung, soweit möglich. Manfred, wie sind die Zuständigkeiten bezüglich Oberstdorf?"

    „Landkreis Oberallgäu, Verwaltungssitz ist Sonthofen. Die sind hinsichtlich der Polizeistrukturen dort anders organisiert als wir in Nordrhein-Westfalen, also keine Kreispolizeibehörde. Es gibt in Oberstdorf und Sonthofen lediglich sogenannte Polizeiinspektionen. In Kempten befindet sich das Polizeipräsidium Schwaben Süd-West des Landes Bayern, an welches wir uns wenden müssen."

    „Gibt es sonst noch etwas zu klären?"

    Alle schütteln den Kopf, auch Julia. So schnell kommt sie zu einer Hüttentour, verbunden mit einem besonderen Geocaching. Wenn es weiter nichts ist. Zumindest denkt sie sich das im Moment nach den ihr vorliegenden Informationen.

    3.2 Julias Reisevorbereitung und Start

    Julia kommt kurz vor Mittag an ihrem Haus in einem angrenzenden Ortsteil von Borken an. Sie hat ihre Dienstwaffe und Handschellen dabei. In der Polizeistation hat sie sich von Manfred Schneider zudem mit einem Tablet mit eigener SIM-Karte ausstatten lassen. Viel zu besprechen gab es nicht mehr. Unterwegs hat sie sich bei einem Discounter ein paar Müsli-Riegel und Kekse als Reiseproviant besorgt.

    Sie bewohnt ein freistehendes Einfamilienhaus mit angebauter Garage. Ihr Polizeigehalt allein hätte dafür nicht gereicht, aber die Lebensversicherung ihres verstorbenen Lebensgefährten hat es ihr möglich gemacht, ihren Traum von einem Eigenheim zu verwirklichen. Bereits vom Elternhaus aus ist sie es gewohnt, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Sich im und um das Haus herum mit anderen abstimmen zu müssen, missfällt ihr. Gerne hätte sie den Hausbau mit ihrem Lebensgefährten realisiert, aber das Schicksal hatte andere Pläne.

    Über eine Fernbedienung öffnet sie das Garagentor und stellt den Wagen ein. Sie erreicht das Haus über eine Zwischentür zum Hauswirtschaftsraum, um von dort in den kleinen Flur mit einer offenen Treppe in das Obergeschoss zu gelangen. Sie betritt kurz das Wohnzimmer, das nach Süden und Westen mit großen Fenstertüren versehen ist. Es ist niemand da. Kein Mensch, kein Tier, von vereinzelten kleinen Wollmäusen abgesehen. Ansonsten ein paar Pflanzen, im Haus und natürlich im Garten. Sie blickt kurz auf ihr Telefon. Dieses zeigt keine entgangenen Anrufe an. Sie geht zurück in den Flur, über die Treppe nach oben. Dort befinden sich zu den Giebelseiten jeweils zwei Zimmer. Auf der einen Seite Badezimmer und Schlafzimmer, auf der anderen Seite ein Büro und ein leerstehender Raum. Die Treppe führt weiter in den Spitzboden; dort ist neben dem Heizungsraum ein weiteres Zimmer, ihr sogenannter „Snoozle-Raum", ausgestattet mit Matratzen, Kissen, einer Musikanlage und einem großen Lichternetz. Zur Entspannung, nur für sie allein.

    Sie begibt sich in ihr Schlafzimmer und entschließt sich, einen Trolley mit normaler Kleidung und den Rucksack mit kompletter Hüttentour-Ausstattung zu packen. Mit dem Trolley ist sie schnell fertig, mit dem Rucksack dauert es länger, da es vieler Kleinigkeiten bedarf, die in der Bergwelt fern von jeglichen Geschäften nicht fehlen dürfen. Zum Schluss ein kurzer Kontrollblick durch die Wohnung, ein kurzes Verharren, ob sie vergessen hat, etwas auszuschalten oder einzupacken, aber ihr fällt nichts mehr ein. Sofern nicht jemand einbricht, ein schweres Unwetter alles verwüstet oder ein Erdbeben das Haus zum Einsturz bringen lässt, wird sie es genauso vorfinden, wie sie es gleich verlassen haben wird. Wann immer das sein wird.

    Julia macht sich auf den Weg zum Auto, Trolley und Rucksack sind schnell verstaut. Sie gibt das Ziel im Navigationsgerät ein: Oberstdorf. Geschätzte Fahrzeit: Sieben Stunden; geschätzte Ankunftszeit: 19 Uhr. Das wird sie nicht halten können, da sie im Berufsverkehr landen und Pausen machen wird. Zu spät soll es auch nicht werden.

    Ein wenig realisiert sie, was da gerade abläuft: Da macht sie mal eben einen Kurztrip in die Berge, gesponsert vom Staat, die Zeit dienstlich. Hoffentlich hat sich dieser Kevin Schulte vor seinem Tod eine schöne Tour ausgedacht. Und wenn alles aufgeklärt ist, kann sie vielleicht ein paar Tage für eine eigene private Wanderung dranhängen. In den Alpen hat sie so manche Touren unternommen, aber noch keine im Allgäu. Sie startet den Wagen. Nach einer viertel Stunde ist sie auf der A 31, der ersten von mehreren Autobahnen, und gleitet auf der linken Fahrspur zügig gen Süden dahin.

    3.3 Julia bei Düsseldorf: Landeskriminalämter

    In Höhe von Düsseldorf erreicht sie ein Anruf von Alexander Stenzel, den sie mit der Freisprecheinrichtung annimmt.

    „Hi, Alex."

    „Hi, Julia. Mit dem Polizeipräsidium in Kempten habe ich alles klären können. Man hält dort nicht viel von einer Schatzsuche. Da wahrscheinlich ein Mordfall dahinter steckt, konnte ich sie überzeugen. Aufgrund des zu erwartenden Ausfluges in die Berge wird Dir eine Mitarbeiterin der alpinen Einsatzgruppe Allgäu zugeteilt."

    „Alpine Einsatzgruppe? Gehört die zur Polizei?"

    „Ja. In Bayern eine Form der Spezialeinheit, neben Spezialeinsatzkommandos oder mobilen Einsatzkommandos. Die Beamten werden je nach Lage als Gruppe oder wie in Deinem Fall einzeln eingesetzt. Das Einsatzgebiet liegt im alpinen oder sonst schwer zugänglichen Gelände."

    Julia hakt nach. „Du sagtest, mir ist dort jemand zugeteilt?"

    „Eine Frau Rosalia Mancini wird Dich in Empfang nehmen. Sie arbeitet üblicherweise in der Polizeidienststelle in Sonthofen. Die Kontaktdaten sende ich Dir auf Dein Smartphone. Melde Dich bei ihr, wenn Du eine halbe Stunde vor Sonthofen bist. Ihr trefft Euch dort und nicht erst weiter südlich in Oberstdorf. Sie kümmern sich zwischenzeitlich für Dich um eine Unterkunft."

    „Vielen Dank, Alex. Sonst irgendetwas Neues?"

    „Nein, nichts. Es ist völlig schleierhaft, was sich in der Wohnung von Kevin Schulte aus welchen Gründen abgespielt hat. Wir sind auf Deine Erkenntnisse in den Bergen angewiesen. Hoffentlich helfen sie entscheidend weiter. Viel Glück und weiter gute Reise!"

    Julia legt auf und rauscht weiter Richtung Süden, auf die Alpen zu. Im Audiosystem wechselt sie wieder auf den Sender 1Live. Der laufende Syntpop ist nicht mit einem durchgehenden Bass, sondern von Ansätzen einer Samba unterlegt. Das Lied gefällt ihr und führt zu einer Lautstärke knapp unter der Schmerzgrenze.

    Ein paar Kilometer westlich von ihr, im Süden von Düsseldorf, sitzt Adrian Dekker in seinem Büro im Hauptgebäude des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen an seinem Computer. Obwohl heute Innendienst ansteht, trägt er wie immer einen Anzug mit Weste, heute in grau, mit einem weißen Hemd, ohne Krawatte. Zu seinem Style gehört außerdem ein permanenter Dreitagebart und eine Frisur, die gezielt so aussieht, als sei er gerade erst aus dem Bett aufgestanden. Er ist vertieft in Recherchen, als ein Gespräch zu ihm durchgestellt wird.

    „Adrian Dekker, LKA NRW; was kann ich für Sie tun?"

    „Susanne Bordon vom LKA Hessen. Guten Tag, Herr Dekker."

    „Guten Tag, Frau Bordon. Wie ist das Wetter in Wiesbaden?"

    „Danke. Angenehm. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für mich?"

    „Für eine Kollegin aus einem benachbarten Bundesland jederzeit."

    „Vielen Dank. Ich wende mich an Sie mit einem Amtshilfeersuchen. Uns liegen Informationen auf eine konkrete Gefahrenlage vor. Eine Person mit Kontakten zu islamistischen Fundamentalisten scheint einen Anschlag auf die in Deutschland lebende Bevölkerung zu planen, vielleicht sogar schon in die Wege geleitet zu haben. Die Person ist flüchtig."

    Dekker streicht sich mit der Hand über sein Gesicht. Da war fast alles drin, was in eine wirkungsvolle Rede zum Islamismus gehört. Fehlt nur noch die nationale Sicherheit.

    „Herr Dekker, ich brauche Ihnen nicht extra zu sagen, dass es um die Frage der nationalen Sicherheit geht. Die Person hat fundamentalistische Grundzüge, die man ihr nicht ansieht."

    „Wer ist der potentielle Attentäter?"

    Seine Gesprächspartnerin macht eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie antwortet. „Das kann ich ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen."

    Adrian Dekker seufzt kurz. Da ist sie wieder, die nicht vorhandene Zusammenarbeit zwischen den Landeskriminalämtern. Offiziell werden vor allem nach ermittlungstechnischen Pannen neue Vereinbarungen für eine bessere Kooperation und einen reibungslosen Datenaustausch getroffen. Tatsächlich leben Konkurrenz und Eitelkeiten weiter.

    „Frau Bordon, ich bin kein Pressevertreter, sondern vom LKA Düsseldorf. Sie haben mich angerufen. Und jetzt haben Sie Probleme, mir den Namen eines Ihnen bekannten Attentäters zu nennen?"

    „Die Person hat bisher ausschließlich in Hessen gelebt, gewohnt, gearbeitet. Aktivitäten auf dem Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen sind nicht zu erwarten."

    „Soll ich mal eben recherchieren, wie lang die gemeinsame Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen ist? Abgesehen davon, dass mir Grenzkontrollen zwischen Bundesländern neu wären."

    „Herr Dekker…"

    „Ok, ist schon gut. Was

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