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Cat's Rest: Ein Olivia Lawrence-Fall
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Cat's Rest: Ein Olivia Lawrence-Fall
eBook347 Seiten4 Stunden

Cat's Rest: Ein Olivia Lawrence-Fall

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Über dieses E-Book

London im August ist heiß, die Nebenstraßen still und menschenleer. Ein guter Tag, um ungestört Besorgungen zu erledigen, aber im Wollladen ist es dann doch etwas zu still - bis Olivia hinten im Garten die Leiche der einen Besitzerin findet. Und nicht nur das, in einer Truhe im Laden liegt auch noch ein toter Perserkater, dabei hatten die Ladeninhaberinnen gar keine Katzen... Die Suche nach dem Mörder verschlägt Olivia in die Welt der Mode, wo sie die Unterstützung ihrer Freundin Amanda gut gebrauchen kann.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. Jan. 2019
ISBN9783748507710
Cat's Rest: Ein Olivia Lawrence-Fall

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    Buchvorschau

    Cat's Rest - Gerda M. Neumann

    Cat's Rest

    Titelseite

    Impressum

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Über die Autorin

    Die Olivia Lawrence-Fälle

    Jugendbücher

    Titelseite

    Gerda M. Neumann

    Cat's Rest

    Olivias sechster Fall

    Impressum

    Copyright © 2019 der vorliegenden Ausgabe: Gerda M. Neumann.

    Erstausgabe.

    Satz: Eleonore Neumann.

    Umschlaggestaltung: Benjamin Albinger, Berlin.

    www.epubli.de

    Verlag: Gerda Neumann

    Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Kapitel 1

    Mit leichtem Schritt eilte Olivia über die sehr breite Hauptstraße, die das Victoria und Albert Museum von dem gegenüberliegenden Wohnviertel trennte, und schlängelte sich in die ruhigen Straßen von Kensington. Weiße Häuser, kleine grüne Plätze, Ruhe, Eleganz und Wohlstand allenthalben. Südlich der Fulham Road mischte sich Ziegelstein in das Weiß der Fassaden, die Häuser wurden individueller, allmählich auch kleiner, ein mehrstöckiges Wohnhaus geriet dazwischen und es wurde lebendiger. Sie ging nun durch die alten Gassen von Chelsea, erreichte einen kleinen dreieckigen Platz und ließ sich mit einer Tüte Milch, Schokocroissants und frischen Pfirsichen auf einer der Bänke nieder. Zufrieden legte sie die Füße übereinander und überließ sich für einen Moment der Augustwärme.

        Während ihre Haut sich der weichen Luft ergab und dem schwachen Wind, der ahnungsweise nach Grün duftete, wanderten ihre Gedanken zurück in die Bibliothek des Victoria und Albert Museums und zu der Fülle von Stoffmustern, die sie in den vielen Stunden dieses Vormittags durchstöbert hatte. Sie liebte den gerade einsetzenden Prozess, in dem sich Stoffmuster zu Strickmustern wandelten. Als die Glieder schließlich taub wurden, schüttelte sie energisch den Kopf, ihre dunkelbraunen Haare flogen und legten sich wieder glatt an. Olivia richtete sich auf, griff mit der linken Hand in die Tüte und holte ein Croissant heraus, mit der anderen in ihre Tasche nach Stift und Papier. Viele Bögen Papier wurden mit ersten Strickentwürfen gefüllt. Aufregung prickelte durch ihre Blutbahnen. Irgendwann steckte sie den Stift zurück in die Tasche und strich über die Stoffproben in einem Leinenbeutel neben sich, es würde wunderbar sein, gleich im Wollladen zu stehen und Farben auszuwählen.

        Die Sonne war derweil gewandert. Olivia rutschte dem Schatten hinterher, schob das Papier zu den Stoffen und rieb in aller Ruhe einen Pfirsich ab. Ihre Augen glitten über das runde Blumenbeet unter dem gegenüberliegenden Baum, schweiften über die kleinen Häuser um diesen kleinen Platz. Eigentlich ist er ganz und gar unenglisch, schoss es Olivia durch den Kopf. Schon diese Bänke: lange schmale Holzleisten hintereinander auf einem gusseisernen Gestell in dieser geschwungeneren Form, mehrere Bänke dicht nebeneinander, so viel halt Platz für sie da war, und gegenüber dasselbe noch einmal. Die kleinen Rasenflächen hinter den Bankreihen mit niederen schmiedeeisernen Gittern umzäunt, die Blumenbeete klein und rund, dazu jeweils ein wohlgeformter Baum. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. So sorgfältig umhegten die Wiener die Natur in ihrer Stadt und die Pariser. In den großen alten Städten hatte es sicher immer wenig Natur und viel mehr Menschen gegeben. Hier in London war das auch so gewesen, doch die ausgedehnten Parks mitten in der Stadt hatten allen Bauphasen getrotzt, das Leben entspannt und den Zäunen widerstanden. Nur hier nicht – auf diesem winzigen Platz im alten Chelsea gab es Zäune.

        Sie griff nach ihrer Tasche und dem Leinenbeutel und machte sich wieder auf den Weg, nicht allzu schnell, denn sie ging gern durch diese stillen Straßen. Nie waren sie so still wie im August, wenn die Hälfte der Londoner in Urlaub war; und wenn der Tag so heiß war wie der gegenwärtige, regte sich endgültig niemand mehr. Sie begegnete keiner Menschenseele, wie sie da ausschritt, sich an den Vorgärten erfreute und an der Sommerluft auf ihrer Haut. Sie überquerte die King’s Road, die Straßen wurden noch schmaler. Kurz vor ihrem Ziel sah sie dann doch noch einen Menschen. Eine Frau in einem schmalen mit riesigen Blüten bedruckten Etuikleid querte die nahe Kreuzung, lautlos. Von der Hand, die über die Schulter hing, baumelten High Heels. Wie gut Olivia sie verstand: mit diesen stiftdünnen, hohen Absätzen wollte sie selbst nicht mal bei kühlem Wetter durch London laufen. Sie grinste, als die elegante Erscheinung die Tür zu dem kleinen Pub an der Ecke aufstieß und verschwand. Wie unabhängig musste die Frau sein, die einfach barfuß ging, wenn ihr die Unbequemlichkeit reichte. War sie normal aufgetreten? Dann würde sie das häufiger machen. Hatte sie den Fußballen zuerst aufgesetzt, wie Olivia das beim Barfuß-Gehen gern tat? Irgendetwas Zielstrebiges hatte ihr Rücken ausgestrahlt. Vielleicht den dringenden Wunsch nach einem Drink…

        Unter diesen müßigen Gedanken bog Olivia in die kleine Sackgasse ein, in der ›Cat’s Rest‹ lag, nicht ganz eine Sackgasse: für Fußgänger gab es einen Durchgang zur Old Church Street. Auch der Name des Wolladens stimmte nicht ganz, die gegenwärtigen Besitzer hatten keine Katzen. Sie glitt mit ihrer Rechten leicht durch die Nadeln der Taxuskugeln und schnupperte an dem Buchsbaum in den großen, dunkelgrün gestrichenen Holzkästen vor dem Schaufenster, bevor sie in den schattigen Laden eintrat, in den nie ein Sonnenstrahl fiel, weil die Gasse zu schmal war. Alle Wände des kleinen Geschäftes waren bis zur Decke hinauf vollgeräumt mit Wolle. Olivia gewöhnte sich allmählich an das Dämmerlicht, während ihre Augen automatisch die Regale entlangliefen. Helen Campbell hatte sie lavendelfarben gestrichen, als sie hier wieder eingezogen war, die Wände und Tresen eine Schattierung dunkler und die riesige Truhe linkerhand neben der Tür dunkellila. Vor dem Fenster stand unter einer zur Kugel getrimmten hochstämmigen Zimmerfeige ein altes Sofa mit dunkelrotem Samt bezogen, von dem Strahler, der der großen Pflanze ihr Licht gab, theatralisch ausgeleuchtet. Helen war die jüngere der beiden Schwestern, Edith Munroe die ältere, die, die ihr ganzes Erwachsenenleben hindurch dieses Geschäft geführt hatte, früher mit der Mutter, jetzt mit der jüngeren Schwester, derjenigen, die die alte Einrichtung mit neuen Farben aufgeheitert hatte. Und hier und da gab es eine Katzenfigur, in verschieden Größen, in verschiedenen Stellungen, aber alle aus Holz und bunt bemalt. So gänzlich bezugslos sollte der Name des Ladens offenbar auch unter Führung der gegenwärtigen Generation nicht bleiben.

        Olivia rief noch einmal eine freundliche Begrüßung in die Leere des Ladens, London im August konnte mehr als still sein. Als sich weiterhin nichts rührte, zog sie ihre Stoffproben und Skizzen heraus und begann, sich nach der entsprechenden Wolle umzusehen. Sie kannte den Laden seit vielen Jahren, sie hatte nie mehr woanders Wolle gekauft, seit sie zum ersten Mal hier gewesen war. Seitdem kannte sie Edith Munroe. Helen war ein paar Jahre später nach London zurückgekommen und wohnte seit dem Tod der alten Mrs Munroe nun hier oben im Haus. Auch Helen Campbell kannte sie gut. Deshalb machte sie sich jetzt ohne viele Gedanken daran, nach der Wolle zu ihren Entwürfen zu suchen. Helen hatte spezielle schottische Garne eingeführt, leicht meliert und für manche afrikanischen Stoffe die perfekte Kombination. Irgendwann lagen die Knäule schottischer Garne auf den entsprechenden Stoffen, alle nebeneinander auf dem Tresen. Einen rotbraunen Farbton hätte Olivia noch gern, der ließ sich hoffentlich in den Katalogen finden.

        Nichts hatte sich in der ganzen Zeit gerührt. Verwundert und zögernd öffnete sie nun doch die Tür zwischen dem Laden und den privaten Räumen und rief noch einmal eine freundliche Begrüßung. Sie ließ die Tür offen und legte die nächsten Stoffe und Entwürfe vor sich auf den Tresen. Jetzt ging es um dünnere, einfarbige Wolle zu feineren Stoffen. Olivia schwelgte in Möglichkeiten. Da sie das alles für den Afrika-Laden ihrer Freundin Wangari in St. John’s Wood aussuchte und deren hilfreiche Geister ihre Entwürfe stricken würden, waren diesem Schwelgen nur sehr vage Grenzen gesetzt. Häufig verkauften sich die übermütigsten Entwürfe als erste. Es gab so viele Möglichkeiten, wenn man sich nicht fragen musste, ob man selbst die Farbkombination tragen wollte, die einen gerade begeisterte. Sie musste zu einem der Stoffe passen, die Wangari aus Afrika mitgebracht hatte, das war die wichtigste Bedingung, zu Stoffen aus Kenia, Ghana und Nigeria, dieses Mal kamen die allerschönsten aus Benin. Wangari ließ Hosen, Röcke und Kleider schneidern und Pullover, Westen und Jacken nach Olivias Entwürfen stricken. Diese Zusammenarbeit war noch ziemlich neu, aber zu beider Begeisterung florierte sie.

        Unweigerlich kam einmal der Punkt, an dem das Auswählen ein Ende hatte. Viele Gruppen verschiedener Wollknäule lagen auf den entsprechenden Stoffen, ein goldgelber Stoff aus Ghana hatte es Olivia besonders angetan, er lag ausgebreitet da mit einem halbdutzend möglicher Wollkombinationen. Sie atmete tief durch, während ihre Augen über die Farbenpracht glitten. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf, allmählich wirkte das alles leicht verwirrend. Dann trat sie zurück, ließ sich auf die große Truhe sinken und vorgebeugt Kopf und Arme hängen. Als sie den Kopf nach einer mittleren Weile wieder hob, fühlte sie sich entspannt und verwundert; sie war noch immer allein im Laden. Müßig glitt ihr Blick durch den Raum. Heute war offenbar eine Wolllieferung gekommen, halbvolle Kisten und Stöße von Kartons standen herum. Edith oder Helen hatte mit dem Auspacken begonnen, war aber davon abgekommen. Olivia sprang auf, wenn niemand kam, musste sie nun doch noch feststellen, ob neue Farben dabei waren. Damit fertig, drehte sie sich um sich selbst, blieb wieder mit dem Blick an der lila Truhe hängen und gab der Laune nach, den Deckel zu heben. Erschrocken sprang sie zurück, mit einem lauten Knall fiel die Truhe zu. In dieser Sommerstille empfand Olivia den Lärm wie eine Welle, die an ihr vorbeibrandete, ehe sie sich verlief. ›So, wenn jetzt niemand kommt‹, stellte sie fest, ›dann stimmt hier was nicht!

        Es kam niemand. Entschlossen ging sie zur Truhe zurück und hob mit einem energischen Ruck den Deckel. Er ließ sich fixieren, so. Sie schaute hinunter und sah immer noch, was sie nicht glauben wollte: da lag eine große, tote Katze, eher ein Kater. Das Tier kam ihr riesig vor. Nach kurzem Überlegen ging Olivia als erstes zur Ladentür, schob die beiden Riegel vor, zog den unteren wieder auf und stellte fest, dass sie fröstelte. Sie drehte das Schild in der Tür auf ›Geschlossen‹. So. Sie schob den oberen Riegel noch einmal hin und her, er rutschte einwandfrei – man sollte sich niemals seinen Fluchtweg versperren. Warum aber überhaupt den Laden schließen? Eine weitere Kundin würde die Stille endlich unterbrechen… aber nicht mit der toten Katze… was spielte das für eine Rolle? Olivia blieb auf halbem Weg durch den Laden stehen. ›Ich drücke mich gerade davor, dieser unverständlichen Stille endlich auf den Grund zu gehen‹, gab sie sich zu, ›das geht so nicht, los!‹

        Sie durchschritt die Tür zwischen Laden und Privaträumen, die sie vor Längerem offen gelassen hatte und stand im Treppenhaus, hier war es noch dunkler als im Laden, aber hinter dem Treppenhaus standen zwei Zimmertüren offen. Sie ging durch die gleich links liegende und stand in einer Art Arbeitszimmer, wie sie auf Grund des ausladenden Schreibtisches schloss. Der Raum war leer, die Tür zum Garten stand offen. Olivia rief nach Edith Munroe, bekam aber keine Antwort. Sie zog sich zurück, atmete tief durch und ging zur Tür am Ende des Flurs. Dahinter war die Küche, ebenfalls leer, und auch hier stand die Tür zum Garten offen. Und wieder keine Antwort auf ihren Ruf. Eine Küche war nicht ganz so privat wie ein Arbeitszimmer, fand sie; sie ging entschlossen hinein, auf die breite Tür zum Garten zu. Beide Flügel standen offen, Sommerduft strömte herein. Abrupt stürzte die Wahrnehmung der Schönheit in sich zusammen. Am Boden sah Olivia einen Kopf. Mit wenigen Schritten war sie um die Glastür herum, stieß den Weidensessel aus dem Weg und beugte sich über Edith Munroe. Sie war tot. Sie war so zweifelsfrei tot, dass man sie nicht einmal mehr anzufassen brauchte. Trotzdem sprang Olivia sofort auf, sauste zu ihrer Tasche im Laden, zog das Handy heraus und rief den Notarzt an. Er würde umgehend kommen. Auf das Klicken im Handy hin ließ sie den Arm sinken, ihr Blick glitt über die Stoffe und Knäule, die sie zusammengetragen hatte. Diese ganze Zeit über hatte Edith Munroe dort hinten gelegen. Vielleicht hätte sie sie retten können, wenn sie nicht so verdammt diskret gewesen wäre. Ein offener Laden ohne einen einzigen Menschen, der sich um ihn kümmert, war eigentlich unnatürlich genug, um Diskretion, zumindest nach einer Weile, zweitrangig werden zu lassen.

        Sie schaute noch einmal auf die riesige rotbraune Katze hinunter und klappte den Truhendeckel zu. Mechanisch hob sie den Schal auf, der daneben lag, faltete ihn zusammen und hängte ihn über die Sofalehne. Nachdenklich ging sie in die Küche zurück und sah sich um. Öl und Essig standen auf dem Küchentisch, eine Trockentrommel für Salat, offen, nass innen mit Resten von Blättern, wahrscheinlich Feldsalat, ein Brett und Messer, ein Zweig Petersilie, ein Radicchio-Strunk, ein Laib Brot, von dem nur wenig fehlte. Sie ging hinaus und musterte den kleinen Esstisch. Hier hatten zwei Personen ihren Lunch eingenommen: zwei Gedecke, Kaffeebecher und Gläser, eine Flasche Granatapfelsaft und eine Karaffe mit Wasser, die fast leere Salatschale, ein schwitzendes Stück Käse und ein offenes Glas mit Chutney. Sie fühlte das Handy zwischen den Fingern und fast automatisch wählte sie Richards Nummer. Zum Glück hatte ihr alter Freund, der inzwischen Chief Inspector in der Mordabteilung von Scotland Yard war, erst in der zweiten Augusthälfte seinen Sommerfamilienurlaub. Er meldete sich sofort.

     »Richard, hast du ganz kurz Zeit? – Danke«, sie gestattete sich einen erleichterten Seufzer. »Richard, ich stehe hier in meinem Wollladen in Chelsea zwischen der Leiche der Besitzerin und einer toten Katze. Ich glaube nicht, dass das alles mit rechten Dingen zugegangen ist.«

        »Klingt zumindest überraschend. Wie heißt der Laden?«

        »›Cat’s Rest.‹«

        »Soll das ein Scherz sein?«

        »Die tote Katze in der Truhe ist absurd! Zugegeben. Hör ganz kurz zu, bitte.« Sie schilderte ihm den äußeren Ablauf der letzten anderthalb Stunden, und beobachtete, wie die anhaltende Stille das eigentliche Ereignis wurde.

         »Der Notarzt muss jeden Moment kommen«, schloss sie.

         »Dann lass ihn seine Arbeit tun und bitte ihn, mich anzurufen, bevor er geht. Bis dahin mache ich hier meine Schreibtischarbeit weiter, in Ordnung?«

        »In Ordnung, und danke.« Langsam ging Olivia zurück in den Laden und entriegelte die Tür, das Schild ließ sie unverändert hängen. Vor sich sah sie die Seite mit der einladenden Aufforderung, bitte einzutreten, eine reizende graue Katze sah den Betrachter an. Auf der anderen Seite des Schildes schlief die Katze, ›Geschlossen, tut mir leid‹, entschuldigte sie der Text neben ihr. Alles in diesem Laden war so freundlich. Wer hatte das mit der scheußlichen braunen langhaarigen toten Katze zerstört? Und warum? Und warum war Edith Munroe tot? Hatte die tote Katze sie zu Tode erschreckt? War sie zwischen den Kartons der neuen Lieferung hindurch davon gestürzt an die frische Luft und dort zusammengebrochen? Und wo war Helen? Die Antwort auf alle Fragen war die bewegungslose Stille dieses heißen Augusttages.

        Eine Sirene näherte sich. Es war das erste Mal, dass dieser Ton Olivia erleichterte. Der Ton verstummte, sorgfältig wurde der Krankenwagen in die enge Gasse gesteuert. Da sprang schon ein Mann mit einer Tasche heraus und kam zu ihr gelaufen. Mit beiderseits knappen Begrüßungsfloskeln eilten sie zu der Toten. Zum zweiten Mal in ihrem Leben schaute Olivia zu, wie der Tod eines Menschen festgestellt wurde. In diesem Fall waren nur wenige Handgriffe nötig, dann richtete der Arzt sich wieder auf. »Hier kommt leider jede Hilfe zu spät. Ist die Tote eine Verwandte von Ihnen?«

    Olivia erklärte die Situation. »Wie lange ist sie schon tot, Doktor?«

        »Zwischen zwei und vier Stunden, eher kürzer als länger.« Er hockte sich wieder hin. »Sehen Sie, die Leichenstarre um die Augen hat schon eingesetzt, den Kiefer könnte ich noch ganz schließen. Es ist sehr warm, dann beginnt der Erstarrungsprozess schneller, andererseits liegt die Tote auf Kacheln im Schatten…« er stand wieder auf und sah Olivia wie abwartend an.

        »Doktor, ich habe einen befreundeten Inspektor beim Yard, würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz mit ihm zu sprechen?«

        »Nein, natürlich nicht. Von einem neuen Notfall wird mein Kollege draußen mich verständigen, bis dahin habe ich Zeit.«

        Olivia sah in den Garten hinaus, während sie den Gesprächsteilen in ihrem Rücken zuhörte. »Chief Inspector Bates, hier Doktor Mortimer vom Royal Brompton Hospital. …Ja, ich stehe hier neben der Leiche einer etwa sechzigjährigen Frau… vermutlich Herzversagen, sicher sagen kann ich es nicht… nein, Mrs Lawrence erwähnte, dass die Tote mit zu niedrigem Blutdruck kämpfte, ich sehe eine fast leere Flasche Granatapfelsaft, keinen Alkohol… wenn Sie mich so direkt fragen: in den meisten Fällen finde ich Herztote in ihrem Sitzmöbel, sie fühlen sich schwach, lehnen sich eher zurück und sacken dann weg. Diese Frau ist aufgestanden, sie hat eine Hand am Kleidausschnitt, als fehle ihr Luft… ich kenne ihr Krankheitsbild nicht, das kann alles ganz natürlich so abgelaufen sein, aber ich weiß es nicht aus meinem minimalen Kenntnisstand heraus… ja, selbstverständlich, Chief Inspector, ich gebe das weiter. Und, Chief Inspector, ich schließe der Toten die Augen und den Mund, noch geht das, mehr Veränderungen nehme ich nicht vor.«

        Es klickte kaum hörbar. In der neuen Stille drehte Olivia sich wieder Doktor Mortimer zu und nahm ihr Handy zurück. »Chief Inspector Bates bittet mich, Ihnen auszurichten, dass er kommen wird. Er weiß nicht genau, mit welchem Verkehrsmittel, dadurch kann er die Zeit nicht vorhersagen. Aber er ist auf dem Weg.« Mit ruhigen Bewegungen schloss Doktor Mortimer Edith Munroe die Augen und schob den Unterkiefer nach oben. Es war eine Geste des Respekts. Nach dem Aufstehen verweilte er einen ganz kurzen Moment, ehe er sich Olivia wieder zuwandte und eine Karte aus seiner Brusttasche zog: »Wenn Sie das Chief Inspector Bates bitte geben, dann kann er mich jederzeit erreichen.«

        Olivia begleitete ihn zur Tür und schob, als sie hinter ihm die Tür sanft geschlossen hatte, entschlossen den oberen Riegel wieder vor, er war noch unter Augenhöhe über dem Türgriff angebracht, also wirklich schnell beiseite geschoben. Was nun? Vor allem: wo war Helen? Kälte kroch in ihre Glieder, zog durch die Knochen. Bevor sie sich ganz starr fühlte, rief sie sich wieder zur Ordnung und kommandierte sich in die oberen Stockwerke. Sie eilte die erste Treppe hinauf, schaute in die beiden Räume, niemand. Hinaus auf die umlaufende Balustrade und durchs Bad zurück. Schon war sie im 2. Stock. Dasselbe Spiel. Kein Menschen nirgendwo, keine tote Helen. Auch wenn sie nicht daran geglaubt hatte, war sie doch erleichtert, dass wirklich keine tote Helen da war. Es gab noch den Garten. Schon war sie wieder auf der Treppe und unten in der Küche. Etwas langsamer ging sie hinaus, an der Toten vorbei auf die kleine Rasenfläche. Sie sah unter die größeren Sträucher, hinter den Kompost und in den Gartenschuppen, alles menschenleer. Helen war einfach nicht da. Also war sie höchstwahrscheinlich sehr lebendig in London unterwegs, soweit alles gut. Olivia stand nun mitten auf dem Rasen, blickte um sich, am Haus mit den angebauten Holzbalustraden hinauf, die sie ein wenig an die Südstaaten drüben in den USA erinnerten. Allmählich beruhigte sie sich, ließ den Oberkörper vornüberfallen und die Arme hängen. Wenige Minuten später fühlte sie sich ausreichend entspannt, um sich zu fragen, was sie als nächstes machen könnte.

        Allem Anschein nach hatte Edith Munroe die letzte Spanne Leben mit einer Besucherin zwischen der Küche und dem Sitzplatz draußen unter der Balustrade verbracht. Das war ja ein nettes Vorurteil, stellte sie über sich selbst empört fest: nur weil der Gast beim Salat-Zubereiten geholfen hatte, musste es noch keine Frau sein! Sie hatte sich Edith Munroe allerdings auch nie mit einem Mann zusammen vorgestellt, es passte nicht. Noch ein Vorurteil? Also: ob Mann oder Frau – was gab es zu sehen? Ausführlich musterte sie erneut den Küchentisch, die Spüle, die versprengt herumstehenden Stühle, es waren drei und zwei Hocker, alles wirkte völlig normal; wenn da draußen nicht eine Tote läge, würde sie keinen Gedanken an diese Details verschwenden. Doch da dem so war, fotografierte sie schließlich den Tisch im Besonderen und die Küche im Allgemeinen, auch den Tisch draußen und die Leiche zwischen den Gartenmöbeln, stellte den Weidensessel, den sie umgestoßen hatte, wieder an seinen Platz und grübelte.

        Als erstes verwarf sie die These, die ihr beim Warten auf den Notarzt durch den Kopf geschossen war. Edith war nicht über die Katze erschrocken und daraufhin nach hinten gelaufen, denn die Tür zwischen Laden und Wohnhaus war geschlossen gewesen. Das tat niemand, der in Panik unterwegs war. Also war sie höchstwahrscheinlich von ihrem Sessel am Tisch aufgestanden und gleich darauf umgefallen, tot oder jedenfalls beinahe. Wo war die zweite Person zu diesem Zeitpunkt gewesen? War Helen diese zweite Person gewesen, die gleich nach dem Lunch zu einem Termin musste und der Schwester das Aufräumen überlassen hatte? Durchaus möglich. Oder es war ein Freund, eine Freundin von Edith, der oder die aus dem gleichen Grund einfach gegangen war… oder war die fragliche Person weggelaufen, als Edith zusammenbrach… in Schrecken oder Panik machen wir die unsinnigsten Sachen. Schließen wir dann auch Türen hinter uns wie die zwischen Wohnbereich und Laden? Schon möglich, Schrecken hinter geschlossenen Türen ist vielleicht eher gebannt. Oder die zwei hatten eine Meinungsverschiedenheit gehabt, der Gast war gegangen und Edith zusammengeklappt, als sie endlich aufstand… jedenfalls hatte er bei der Vorbereitung geholfen, es standen zwei Wassergläser zwischen den Salatresten auf dem Küchentisch.

        Das Abendläuten von der nahen Kirche ließ sie im Grübeln innehalten, zu ihrer Überraschung lenkte der Glockenklang ihre Aufmerksamkeit auf den Frieden dieses kleinen verborgenen Gartens. Rosen blühten, flache Stauden in Blau, späte weiße Iris, Insekten schwirrten herum und Vögel huschten durch Ranken an der Mauer, die Kletterrosen am Haus summten vor Leben, kleinblättriger Sommerflieder wuchs in einen roten Japanischen Ahorn… sie horchte auf, eilte nach vorn, Richard stand schon vor der Tür!

        »Donnerwetter! Bist du geflogen?«

        Richard Bates grinste breit: »Fast, ein Kollege hat mich auf seinem Motorrad mitgenommen.« Da stand der Freund, deutlich größer als sie und genauso schlank, mit schmalem Gesicht und einem leicht kantigen Kinn, grünblauen Augen und braunen Haaren, die feucht am Kopf klebten genauso wie sein Hemd am Körper. Motorradschutzkleidung im August war entschieden zu heiß, stellte sie halbbewusst fest. Ihre Erleichterung war so groß, dass sie ihm allen Schweiß missachtend beinahe um den Hals gefallen wäre. Doch in der gegenwärtigen Lage hätte das äußerst unprofessionell ausgesehen. Also unterdrückte sie diesen Wunsch. Er bemerkte ihre Erleichterung trotzdem und verstand sie. »Du bist ganz allein in diesem Haus? Seit wann?«

        »Seit wann… lange. Heute Vormittag war ich in der National Art Library, irgendwann nach zwei Uhr bin ich da weggegangen; auf dem kleinen dreieckigen Platz auf ungefähr halbem Weg zwischen dort und hier habe ich mich auf eine schattige Bank gesetzt, Skizzen gemacht und etwas gegessen, es sind viele Skizzen… Der Weg dauert zweimal knapp zehn Minuten, wenn man nicht trödelt wie ich heute… ich weiß es nicht sehr genau, irgendwann zwischen halb vier und vier bin ich wahrscheinlich hier angekommen.«

        »Jetzt haben wir zehn nach sechs. Also bist du seit ungefähr zweieinhalb Stunden hier. Zeig mir bitte als erstes die Tote.«

        Tiefes Mitleid erfüllte Olivia, als sie Richard zusah, wie er Edith Munroe genau musterte. Sie war so freundlich gewesen, so klug und entspannt. »Dieser zu niedrige Blutdruck – er hat ihr, glaube ich, keine großen Probleme gemacht. Die Kreislauftabletten wirkten sehr gut und abgesehen davon war sie gesund, soweit ich weiß.«

        »Sie hat keine Luft mehr bekommen, das hat sie zutiefst erschreckt, siehst du den Gesichtsausdruck und die Hand am Ausschnitt? Offenbar ist sie in ihrem Entsetzen aufgesprungen und umgefallen. Und dann war es auch schon vorbei. – Wo ist die Katze?« Und wieder ging es zurück in den Laden.

        »Das ist ja mal ein eindrucksvoller Brocken!« Richard zog einen Einweghandschuh aus der Hosentasche und drückte an verschiedenen Stellen auf den Katzenkörper. »Steinhart. Sie war schon völlig steif, als sie hier hineingelegt wurde. Siehst du, hier – die Pfoten wären sonst nach unten gesunken.« Er tastete weiter. »Auch hier unter dem Hinterteil ist ein größerer Hohlraum von mehr als einer Handbreit Tiefe. Die Truhe ist groß und nicht voll, die Katze hat einfach hineingepasst. Aber sie ist weder darin gestorben noch erstarrt. Also hat sie jemand eine ganze Weile nach ihrem Tod hier deponiert. Humm, aus Freundschaft macht man so etwas jedenfalls nicht. Warum aber überhaupt? Eine Ahnung, wem dieses Tier gehört hat?« Olivia schüttelte schweigend den Kopf.

        »Du hast gesagt, Edith Munroe lebte hier mit ihrer Schwester Helen Campbell. Mrs Campbell ist nicht zuhause, richtig? – Gut.« Richard sah sich weiter um: »Diese Stoffe und Wollknäule auf den Tresen sind dein Werk, nehme ich an?«

        »Ja, ich arbeite gerade für Wangari, Urlaub von meinem Schreibtisch sozusagen. Es hat wieder Spaß gemacht, deswegen störte es mich auch nicht, dass ich allein blieb. Aber es war nicht gut, dass ich die Situation einfach hingenommen habe. Vielleicht hätte ich Edith das Leben retten können, wenn der Notarzt früher gekommen wäre.«

        »Wir wissen es nicht. Wenn ihre Schwester zuhause gewesen wäre, wäre es vielleicht auch nicht passiert… das Leben folgt seinem eigenen Rhythmus. Ich möchte mich im Haus umschauen, kommst du mit?« Richard sicherte jetzt seinerseits die Ladentür, bevor er die Treppe hinaufstieg.

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