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Four Gables: Ein Olivia Lawrence-Fall
Four Gables: Ein Olivia Lawrence-Fall
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eBook312 Seiten4 Stunden

Four Gables: Ein Olivia Lawrence-Fall

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Über dieses E-Book

Onkel Raymund hat sich den Knöchel verstaucht. Umstandslos kommt Olivia ihm und seiner Katze Marmalade zu Hilfe. Dort in Howlethurst gestaltet sich das Leben in allem Frieden erstaunlich abwechslungsreich: Gemeinsam mit ihrer Freundin Harriet streift Olivia über die südenglische Teeplantage von Four Gables und lässt sich in die Geheimnisse der Wildkräuter-Küche einführen.
Und dann gibt es da noch diese Steine mit seltsamen Markierungen, die immer wieder neu sortiert an unterschiedlichen Stellen im Dorf auftauchen. Als einer der Gäste eine Hochzeitsfeier auf Four Gables nicht überlebt, sieht sich Olivia beinahe wider Willen erneut in dörfliches Ungemach hineingezogen…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum22. Dez. 2021
ISBN9783754934517
Four Gables: Ein Olivia Lawrence-Fall

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    Buchvorschau

    Four Gables - Gerda M. Neumann

    Bild

    Four Gables

    Titelseite

    Impressum

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Über die Autorin

    Die Olivia Lawrence-Fälle

    Titelseite

    Gerda M. Neumann

    Four Gables

    Olivias siebter Fall

    Impressum

    Copyright © 2021 der vorliegenden Ausgabe: Gerda M. Neumann.

    Erstausgabe.

    Satz: Eleonore Neumann.

    Umschlaggestaltung: © Copyright by Benjamin Albinger, Berlin.

    www.epubli.de

    Verlag: Gerda Neumann

    Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Kapitel 1

    »Olivia!« Einen Stoß Bücher an sich gedrückt jagte Jemima über den Green. Olivia schloss sie samt Büchern in die Arme.

    »Ist das schön, dich wiederzusehen!« Olivia gab das Mädchen schließlich frei und schaute sie an. »Der Pferdeschwanz steht dir gut. Und dunkler sind deine Haare auch geworden, oder?« Jemima nickte. »Du siehst sehr fesch aus, würde man bei mir in Österreich sagen. Nur – dass du jetzt schon fast so groß bist wie ich… na ja, mach nur weiter, ich bin wirklich nicht sehr groß geworden.« Olivia lachte leise. »Was für Bücher hast du da?«

    »Schiller, eine Biographie und hier seine Dramen, und ›Shirley‹.«

    »Du magst Charlotte Brontë?«

    »Weiß ich nicht genau, über Jane Eyre und die Situationen, in die sie gerät und wie sie dann reagiert, denke ich manchmal nach, die beiden Bücher, die in Belgien spielen und deren Hauptfigur beide Male Lehrerin ist, mag ich nicht besonders, auch wenn ich weiß, dass Charlotte Bronte selber Lehrerin in Brüssel war.«

    »Ich mag Schulromane überhaupt nicht, ganz gleich wer sie geschrieben hat. Aber es freut mich, dass du ›Shirley‹ lesen willst. Und Schiller?«

    »Wir haben ›Maria Stuart‹ im Deutschunterricht gehabt. Da drin gibt es einen Träumer, Mortimer, der denkt nicht politisch, aber er ist für Freiheit. Er hat mir, glaube ich, gefallen. Und Raymund hat gesagt, wenn ich mich mehr für Freiheit interessiere, soll ich ›Don Carlos‹ lesen. Sag, wie geht es Raymund? Du bist doch nicht hier, weil es ihm schlecht geht?«

    »Nein«, beruhigte Olivia das Mädchen. »Er hat sich halt einen Knöchel verstaucht, das tatsächlich richtig kräftig, aber mehr nicht. Und ich dachte, ich komme und hindere ihn, sich allzu viel zu bewegen, dann wird es schneller wieder abschwellen. Leonard ist für mehrere Wochen in Kenia, da kann ich auch von hier aus arbeiten und Raymund etwas umsorgen. Es ist alles gut«, ergänzte sie beruhigend. »Wie geht es dir abgesehen von den Büchern?«

    Jemima dachte nach. »Ich glaube, nicht viel anders als beim letzten Mal. Hier passiert nicht viel und die Schule ist auch nicht sehr aufregend.«

    »Hmm – aber du liest jetzt ganz andere Sachen als damals…«

    »Ja, schon…«

    »Kümmerst du dich noch um Mary Barleys Garten?«

    »Oh ja, mach ich«, nickte Jemima, erleichtert über den Themenwechsel. »Aber der verändert sich, obwohl ich das gar nicht will; irgendwie ist er nicht mehr ganz Mrs Barleys Garten, im Gemüsebeet gibt es kahle Stellen, zum Beispiel, weil niemand mehr Gemüse pflanzt.«

    »Verstehe.« Nachdenklich sah Olivia ihr Gegenüber an. »Hilft Owen dir noch manchmal?«

    Jemima nickte wieder. »Dann überlegt vielleicht gemeinsam, was da zu tun ist. Vielleicht kann man Pflanzen teilen, zum Beispiel und umsetzen, oder Stecklinge ziehen.«

    Jemima nickte ein weiteres Mal. »Du könntest mal vorbeikommen, das wäre schön. Bitte. Du bleibst doch länger? Ich meine, so ein verstauchter Knöchel braucht doch eine Weile, oder?«

    Olivia strich dem Mädchen flüchtig über das Haar und wunderte sich gleichzeitig über sich selber. »Mach ich. Und wenn du mit Raymund reden magst, komm einfach herüber, er freut sich und bis er seine Pflichten in der Bücherei wieder aufnehmen kann, wird es schon ein paar Wochen dauern.«

    »Du bist dann ja auch da… warum nicht«, reagierte das Mädchen zögernd.

    »Ja, bin ich, aber sag, deine Mutter wird dir doch einen Besuch bei Raymund nicht verbieten?«

    »Bei ihr kann man nie wissen«, Jemima seufzte und wandte sich zum Gehen. Einander wiederholt zuwinkend gingen sie ihrer Wege.

    Olivia ging auf die schwarze Haustür von Raymund Fishers gelassen hingestrecktem Cottage zu. Die Beetbepflanzung wich zu beiden Seiten zurück und gab Raum für zwei einladend aufgestellte Holzsessel. Auf dem einen saß eine ingwerfarben getigerte Katzendame. »Marmalade, warum bist du nicht gekommen und hast Jemima begrüßt? Es hätte sie sicher gefreut.« Die Katze legte den Kopf schräg und schwieg damenhaft. »Dein Geheimnis, verstehe«. Damit schloss Olivia die Haustür auf und ließ Marmalade vor sich hinein schreiten.

    Ihr Onkel legte Buch, Papier und Stift beiseite und sah ihr erwartungsvoll entgegen. »Nun? Jemima und du, ihr habt euch noch wiedererkannt, nehme ich an?«

    »Ja, tatsächlich. Es fühlte sich an, als wäre Zeit gegenstandslos. Nur dass sie sich schon verändert hat. In ihrem Alter geht das halt noch rasch und deutlich sichtbar vor sich. Sie liest weiterhin sehr viel, nicht wahr?«

    »Ja, so ist es. Und als du nicht mehr hier warst, hat sie zögernd mit mir zu sprechen begonnen und ich habe behutsam zu raten oder zu unterstützen versucht. Ich muss sagen, ich fühle mich ziemlich geehrt und versuche, diese Rolle mit österreichischer Leichtigkeit sehr ernst zu nehmen. Was hatte sie heute unter dem Arm?«

    Olivia antwortete und Raymund nickte dazu: »Du hast in diesem Alter auch Schiller entdeckt, glaube ich, drunten in Salzburg.«

    »Mortimer und Carlos stehen einem in dem Alter sehr nahe, das verstehe ich noch immer und Schillers politische Dialoge sind für mich damals wie heute eine Anregung, darüber nachzudenken, wie die Menschen funktionieren und dabei eben auch in die Irre gehen können. Außerdem haben beiden Stücke mit englischer Geschichte zu tun. Was Jemima sich wohl dazu denkt?« Olivia verschwand, um Teewasser aufzusetzen.

    Als sie mit einem Tablett mit Teegeschirr, Keksen und heißer Milch zu dem kleinen Tisch unter den großen Zimmerpflanzen zurückkehrte, legte ihr Onkel Buch und Papier endgültig beiseite. Nachdenklich balancierte er seine Teetasse auf der Untertasse. »Englische Geschichte«, nahm er den Faden wieder auf. »Ich lese gerade über englische Militäreinsätze zum Schutz britischer Handelsrouten. Tee gehörte zum wichtigsten, das es da zu schützen galt. Wir trinken heute Tee, als müsse es so sein. Aber es gab ein erstes Mal: 1660 trank Samuel Pepys seine erste Tasse Tee in London. Hundert Jahre später war der Tee aus dem englischen Leben nicht mehr wegzudenken. Hängt man dem weiter nach«, er lächelte Olivia an, wohl wissend, dass er wieder ein Steckenpferd ritt, »bemerkt man, dass sich zum Tee der Wunsch nach Zucker gesellte und Tabak für den Genuss danach. Kaffee spielte eine geringere Rolle, aber auch das änderte sich, was ich als alter Österreicher nur zu gut verstehe. Nun ja… Dummerweise wuchsen all diese Pflanzen in entfernten subtropischen Klimazonen. Aber die Engländer dachten nach und fanden darin einen, um nicht zu sagen den Grund, die Welt zu erobern.«

    »Sie waren aber nicht die ersten, die Holländer waren früher unterwegs. Sie waren es, die den ersten Tee nach Europa brachten.«

    »Ja, richtig. Aber die Engländer begannen ihre Aufholjagd und blieben Sieger. Und wenn du mich fragst, war das ihr Ziel: die ersten zu sein. Du kennst Wellingtons Bonmot, die Schlacht von Waterloo sei auf den Sportplätzen von Eton gewonnen. Aber nicht nur, dass Feldmarschall Blücher das anders gesehen habe dürfte, zeigt dieser Satz doch auch, sagen wir, eine eher anstrengende Seite von Englands Weltverständnis.« Schweigend tranken sie ihren Tee. Beide hatten keine Lust, sich mit diesem Aspekt englischen Elitedenkens ausführlicher zu befassen.

    »Die Engländer«, zog Raymund die Summe seiner Überlegungen, »waren, oder sollte ich sagen: sind Machtpolitiker, die Holländer Händler.« Er nahm sich in Ruhe eine weitere Tasse Tee und Milch.

    »Jemima freundet sich übrigens mit Anne an, zumindest habe ich den Eindruck.«

    Olivia sah ihn abwartend an.

    »Anne ist auf der Farm ›Four Gables‹ zuhause, du weißt schon: Richtung Bodium linker Hand.«

    »Nein, weiß ich nicht.«

    Überrascht stellte Raymund seine Tasse ab. »Puck, im Ernst, du hast nie davon gehört? Na ja, wenn ich darüber nachdenke – warum auch. Sie liegt von hier aus betrachtet unterhalb der Penningham‘schen Farm und ist durch hohe Thujas gegen alle Winde abgeschirmt. Seit einiger Zeit wird allerdings viel Aufhebens um diese Farm gemacht.«

    »Und warum?«

    Lachfalten zeigten sich an Raymunds Augen. »Sie haben vor zwei Jahren ihren ersten schwarzen Tee auf den Markt gebracht. ›Home Grown‹ – gewachsen in Kent.«

    »Hmmm – erst Champagner, jetzt Tee… Beleg für den Klimawandel oder für den zunehmend nach innen gerichteten Blick der Engländer? Was meinst du?«

    »Ich neige in diesem Fall dazu, gar nichts zu meinen. In Cornwall hat man ja schon vor ungefähr zwanzig Jahren mit dem Teeanbau begonnen.« Raymund nahm sich ein Keks. »Anne ist ein nettes Mädchen, vielleicht zwei Jahre älter als Jemima. Sie erinnert mich ein wenig an meine Frau in der Zeit, als wir uns kennenlernten. Sie ist relativ klein, wird später sicher einmal etwas mollig werden, hat dunkle krause Haare und einen lebhaften Blick.«

    »Verrückt, dass sie auch Ann heißt!«

    »Ja, das denke ich auch manchmal, aber sie hat ein ›e‹ angehängt, ›Anne‹, man hört es nicht, aber es ist da.«

    »Und was für Bücher leiht sie aus?«

    »Sie hat vor einer Weile die Artusgeschichten entdeckt und arbeitet sich offenbar durch alle Fassungen, die wir in unserer Bücherei haben. Die Sammlung ist gar nicht schlecht. Und alte Pflanzenbücher nimmt sie mit. Das kann noch eine Weile so weitergehen. Weißt du, um Jemimas Lesestoff mache ich mir eher Gedanken. Englische Klassiker stehen genug in unserer Bücherei, also bis auf weiteres kein Problem, mit deutschen Klassikern ist es schwieriger und in meinem Bücherschrank stehen sie nun mal auf Deutsch, was ihr nicht weiterhilft. Wir müssten doch endlich einem Büchereiverbund beitreten, aber das bedeutet Digitalisierung.«

    »Verstehe. Aber du könntest Jemima auf Antiquariate aufmerksam machen.«

    Raymund stimmte zu. »Und sie könnte ihre Deutschkenntnisse beschleunigen, in der Schule lernt sie Deutsch, sie ist klug, genau betrachtet braucht es nur noch ein wenig Motivation.« Sie hingen diesem Thema nach, während es draußen langsam dämmerig wurde. Erschrocken unterbrach der Onkel seine Gedanken: »Puck, wie unaufmerksam von mir, du hast sicher noch zu arbeiten! Wie spät ist es?« Er sah selbst auf die Uhr. »In anderthalb Stunden kommen Aphra und Roger, nutze die Zeit.«

    Aphra und Roger Mottram, das Pfarrerehepaar von Howlethurst, waren pünktlich. Jeder trug einen Weidenkorb, dessen Inhalt mit einem karierten Tuch abgedeckt war. Olivia vergnügte sich kurz über diesen Bilderbuchanblick und ergab sich in die freundschaftlich-lebhafte Begrüßung. Auf dem großen Esstisch in dem wintergartenähnlichen Anbau des alten Hauses wurden die Körbe abgestellt und ausgepackt. Zu einer Platte mit verschiedenem kleinem Käsegebäck gesellten sich kleine Gläser mit eingelegten Quitten, Tomaten und Pilzen. Olivia erinnerte sich, dass Aphra auch bei ihrem letzten längeren Aufenthalt hier im Ort vor gut zwei Jahren Raymund bevorzugt donnerstags abends zu sich eingeladen hatte. Sie hatte seither ihren Onkel manches Mal besucht, aber die anderen Bekannten eher zufällig wiedergetroffen.

    Aphra und Roger hatten sich wenig verändert. Aphra war schmal und lebhaft. Von Natur aus dunkel, gewannen die grauen Haare allmählich die Oberhand. Roger, von wesentlich umfangreicherer Statur als seine Frau, zeigte einen glänzenden Kahlkopf mit einem krausen Haarkranz, noch immer sehenswert üppig.

    »Olivia, wie schön, Sie wiederzusehen! – Bei Ihrem letzten Aufenthalt arbeiteten Sie an einer Übersetzung, erinnere ich mich, die Ihnen sehr viel bedeutete.«

    Überrascht sah Olivia Aphra an. »Ja, das tat ich. Und denken Sie, es ist ein echter Erfolg geworden. Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich mich richtig stolz fühle. Der Roman ist von Neville Seymour, ich halte ihn für einen wirklichen großen Schriftsteller. Und dass das in meiner Übersetzung offenbar erhalten geblieben ist, freut mich außerordentlich.«

    »Das hat hoffentlich für Sie beide erfreuliche Konsequenzen?« wollte Roger wissen.

    »Ja, auch das. Gerade kam ein Vertrag für einen zweiten Roman von Seymour zustande. Und der deutsche Verlag prüft, ob er einen Roman meiner Freundin Amanda Cranfield herausbringen soll. Das wäre eine neue Art der Übersetzungsarbeit: Amanda kann Deutsch und wir könnten viele Redewendungen diskutieren.«

    Eine Weile später fragte Roger nach Leonard und Olivia berichtete: »Ich beneide ihn, er ist in Kenia. Zuerst war er ganz unten im Süden an der Grenze zu Tansania. Dort leben Massai und in den letzten Dürren haben sie sehr viele Tiere verloren. Es geht jetzt darum, ein nachhaltiges Nutzungsmodell zu finden und aufzubauen, in dem vor allem genug Wasser dauerhaft gesichert wird.«

    »Wie kann das gehen?«

    »Leonard sagt, entscheidend ist der Mara-Fluss. Er ist jetzt weiter im Norden in dessen Quell- und Einzugsgebiet unterwegs. Dort muss das Land großflächig wieder bewaldet werden, das ist das Wichtigste. Daran arbeitet seine Gruppe. Und der WWF redet mit den Massai über eine dauerhafte Verkleinerung der Herden. Er arbeitet zusätzlich an einer tierärztlichen Versorgung und Strukturen zur Direktvermarktung. Weniger, aber starke Tiere erbringen am Ende mehr Ertrag für die Massai; das wiederum verringert den Wasserverbrauch und so weiter.«

    Roger wiegte seinen Kahlkopf. »Wird das Aufforsten nicht viel zu lange dauern?«

    »Man muss rasch handeln, da haben Sie Recht, und die richtigen Bäume wählen, dann wird es schon werden.«

    »Sie scheinen sehr engagiert an dem Projekt«, stellte Aphra fest.

    Olivia lächelte und aß ein paar Bissen. »Ihre Gebäckteilchen sind sehr, sehr gut, gerade dieses Käsebrot mit Ihren Quitten…«

    »Das freut mich.«

    Da niemand ein neues Thema anschnitt, nahm Olivia den Faden doch wieder auf. »Ja, dieses Mal denke ich noch mehr an Leonards Arbeit als normalerweise. Wissen Sie, im Fernsehen habe ich als Kind alle Sendungen von Bernhard Grzimek gesehen. Er war einer der allerersten Naturschützer und dringlichen Mahner. Seine Herzensangelegenheit, so muss man das wohl sagen, war die Serengeti, die riesige Savanne im Nordwesten Tansanias. Das ist das Land der Tierwanderungen, der Anblick, der sich für viele zuallererst mit Afrika verbindet. Noch immer folgen dort über zwei Millionen Gnus, Zebras und Gazellen dem Wasser. Noch. Und der wichtigste Zustrom ist der Mara-Fluss, die Tiere der Serengeti brauchen ihn genauso wie die Herden der Massai zum Überleben.«

    »Es muss ein befriedigendes Erlebnis sein, das Leben mit relevanten Taten zu verbringen. Leonard hilft, einen Teil der Erde zu retten, was kann wesentlicher sein?«

    »Jeder einzelne ist wichtig, Pfarrer«, konterte Olivia, »das muss ich Ihnen doch nicht sagen.«

    »Ich weiß nicht, wir verstricken uns in so vielen Kleinigkeiten. – Aber, haben Sie schon gehört, nein, wie sollten Sie, wir arbeiten an einem Plan, das Herrenhaus von Evelyn Cardoon zu nutzen. Ganz unter uns darf ich sicherlich darüber sprechen. Es steht noch nicht fest, ab wann wir es nutzen dürfen, deswegen sollten die Überlegungen unter uns bleiben. Evelyn hatte das Haus und sich selbst so halbwegs mit Feriengästen über Wasser gehalten. Fay Carter, die alte Wirtschafterin ihrer Mutter – sie erinnern sich? Gut, sehr gut. Fay Carter hat in den letzten zwei Jahren alles stellvertretend weitergeführt. Aber sie ist deutlich über Achtzig und das alles ist zu viel. Wir arbeiten mit mehreren sozialen Stellen zusammen und Ziel ist, ein Heim für Kinder daraus zu machen, die kein Zuhause haben, sei es, weil das Zuhause nicht funktioniert oder weil sie Waisen wurden oder was immer für Gründe es geben mag.«

    »Oh, haben Sie Susan schon gesehen?« unterbrach Aphra ihren Mann. »Nein? Susan hat sich zu einer Ausbildung in Sozialpädagogik entschlossen, Sie erinnern sich sicher, dass sie in Indien in einem Waisenhaus arbeitete, als ihre Tante starb und ihr das Haus hier am Green hinterließ. Sie wird bei den Kindern sicher eine Aufgabe finden und kann in ihrem Haus bleiben und unser Projekt ›Herrenhaus‹ bekommt eine großartige Mitarbeiterin und…« Olivia erkannte, mit wie viel Begeisterung Aphra und Roger dieses Projekt betrieben, endlich taten sie über das Alltägliche hinaus etwas ›wirklich Wichtiges‹.

    Irgendwann lehnte Aphra sich zurück und lächelte wie um Entschuldigung bittend: »Jetzt ist es aber genug!« Als sie nach den eingelegten Quitten griff, folgte die unvermeidliche Frage, ob sie weiter so viele Quittenprodukte herstelle und ob Fay Carter ihr noch immer dabei helfe.

    Aphra verneinte. »Quitten verarbeite ich nur noch für uns. Das kann ich auch ohne Hilfe. Fay ist mehr als ausgelastet, wissen Sie. Manchmal schenke ich ihr ein Glas Marmelade, das nimmt sie auch gerne, mehr brauche sie aber auch nicht, versichert sie mir jedesmal. Man kann sich auch an Quitten überessen, irgendwann. So scheint es jedenfalls.«

    »In meinen Ohren klingt das sehr erstaunlich. Und was machen Sie mit den übrigen Quitten?«

    »Oh, stellen Sie sich vor: Ich bringe sie nach ›Four Gables‹. Dort werden die meisten zu Quittentee verarbeitet und inzwischen wohl auch zum Kochen genutzt. Sie habe dort ein sehr gutes Restaurant.«

    Irritiert sah Olivia zu ihrem Onkel. »Ich hatte verstanden, dass sie dort Schwarzen Tee anbauen?«

    »Oh ja«, bestätigte Aphra sofort. »Er ist sehr gut. Stellen Sie sich vor, wir haben hier heimischen schwarzen Tee in Howlethurst. Aber als die Teepflanzen noch heranwuchsen, begann Lio Trehane Kräutertees zu produzieren, sie hat einen begnadeten Verkoster. Er stellt unwiderstehliche Kombinationen zusammen. Sie müssen einmal dorthin fahren. Mit dem Auto kann Raymund das auch jetzt machen. Es gibt dort einen Teeladen… Sie werden ja sehen.«

    »Und dort gibt es auch Quittentee?«

    »Ja, genau. Die Quitten werden in sehr kleine Stücke geschnitten und getrocknet. Manchmal glaube ich, eine ganz bestimmte kleine Sorte von einem struppigen, liebenswerten Strauch an der östlichen Friedhofsmauer herauszukennen. Anschließend werden die Quittenstücke mit anderen getrockneten Obstsorten vermischt. Apfel, Aprikose, Mango, Weinbeeren habe ich inzwischen ausfindig gemacht, aber das ist noch nicht alles. Der Tee schmeckt sehr gut, bekommt beim Aufgießen eine wundervolle goldene Farbe und duftet, ich sage Ihnen, der Duft ist einfach himmlisch.«

    »Quittenduft?«

    »Ja, Quittenduft, wann immer ich Lust darauf habe, kann ich mir Quittenduft aufgießen!«

    »Welch unerwartete Lösung! Sie gefällt mir! ›Four Gables‹ – denken Sie, bis vorhin habe ich nichts von ›Four Gables‹ gewusst. Dabei war es scheinbar immer schon hier.«

    Roger räusperte sich. »Es existiert seit mehreren hundert Jahren, aber als wir hierherkamen, dümpelten die Besitzer ziemlich glücklos vor sich hin, verkauften es schließlich, es wurde weiterverkauft und stand dann zwei oder drei Jahre leer, bis Mrs Trehane es erwarb. Das war vor dreizehn oder vierzehn Jahren. Sie begann umgehend, Teepflanzen zu setzen. Gleichzeitig pflanzte sie eine versetzte Doppelreihe Thujas außen herum. Im Grunde ist das heute alles, was man von außen sieht: Thujas, die den Wind von den Teepflanzen fernhalten. Sie machen das tatsächlich. Und das Anwesen liegt an einem Südhang, die Neigung ist da unten nicht mehr sehr stark, aber geneigt ist es. Die Wärmeausbeute reicht offensichtlich.«

    »Es liegt südlich der Penningham‘schen Farm, ist das so?«

    »Oh, wo Sie das Stichwort bringen, Mary Penningham geht es nicht sehr gut. Sie kann gar nicht mehr aus dem Haus, die Arme. Sie erinnern sich doch noch an sie?«

    »Natürlich!«

    »›Four Gables‹«, hielt Roger an seinem neuen Thema fest, »besteht aus dem alten Farmhaus mit den vier Giebeln, daher der Name; es hat eine große Scheune, in der heute das Restaurant ist, und ein flaches, langgezogenes Gebäude, in dem früher die Landarbeiter lebten und heute der Teeladen untergebracht ist. Unterhalb des Farmhauses, mehr oder weniger, ist ein riesiger ummauerter Gemüsegarten, der das Restaurant versorgt.«

    »Ja, und um das ganze herum grasen die Schafe der Penningham‘schen Farm.«

    Olivia lachte. »Ich sehe, die Welt ist in Ordnung!«

    Aphra stimmte ihr zu. »Aber, damit sie ein kleines Rätsel zum Zeitvertreib haben: An der südöstlichen Friedhofsmauer, nicht weit entfernt von dem besonderen Quittenstrauch, von dem ich vorhin sprach, finde ich manchmal ganz seltsame Steine.«

    »In welcher Hinsicht seltsam?«

    »Sie sind gezeichnet. Stellen Sie sich irgendwelche glattgeschliffene Steine vor, eigentlich völlig beliebig, auf denen Striche eingeritzt sind, einfache Striche. Ursprünglich habe ich nicht weiter darüber nachgedacht. Doch jetzt, wo ich meinen besonders geliebten Quittenstrauch regelmäßiger aufsuche, fällt mir doch auf, dass diese Steine verschiedene Striche tragen und mir kommt vor, dass sie gelegentlich neu angeordnet werden.«

    »Sie haben nicht zufällig ein Handy und können das jedesmal photographieren?«

    »Ich habe einen digitalen Photoapparat. Sie meinen, ich sollte das festhalten?«

    »Wenn es ein Rätsel ist, dass Sie lösen wollen – ja.«

    »Olivias pure Anwesenheit scheint schon das Denken zu verändern«, vergnügte sich Raymund.

    »Nein, so ist es nicht«, protestierte Aphra, »ich beobachte die Sache mit den Steinen ja schon länger.«

    »Da hast du sicher Recht, meine Liebe«, brummte ihr Mann. »Seit Olivia damals unser rein theoretisches Problem mit den steigenden Todeszahlen löste, jedenfalls hofften wir anfangs, dass es rein theoretisch sei, wissen wir, dass wir an Auffälligkeiten jeder Art nicht gedankenlos vorbeigehen sollten. Es brauchte im Fall der gezeichneten Steine eine gewisse Zeit, bis sich herausstellte, dass Methode dahintersteckt. Nun, da du das erkannt hast, ist die Photographie sicher der richtige nächste Schritt, dann sehen wir weiter.«

    »Lass dich nicht dabei erwischen!« grinste Raymund. »Man kann schließlich nicht wissen…«

    »Mach mir nur Angst, das ist hilfreich. Am Anfang habe ich die zwei Steine, die mich überraschten, aufgenommen und genau betrachtet. Danach habe ich die Ordnung nicht mehr gestört. Ich habe auch nie Menschen auf dem Friedhof gesehen, die ich nicht zumindest vom Sehen kannte, aber was heißt das schon.«

    »Ich denke, wir sollten jetzt aufbrechen, immerhin haben wir die richtige Gute-Nacht-Geschichte gefunden.« Roger stemmte sich aus seiner bequemen Lage.

    Aphra bat, die angebrochenen Gläser mit dem Eingelegten Raymunds Kühlschrank empfehlen zu dürfen und folgte ihrem Mann zur Garderobe. »Das Bild ist neu, Raymund!«

    »Sehr richtig! Gefällt es dir?«

    Aphra ließ sich Zeit. Schließlich entschied sie: »Ja, es gefällt mir. Es ist so heiter, jedenfalls in meinen Augen – keine Ahnung, ob es an den Farben liegt, an diesem friedlichen von Häusern umgebenen Platz, dahinter die weite Landschaft, erstaunlich. Ich werde es ja noch häufiger anschauen dürfen.« Damit schlüpfte sie in ihren Mantel. Auf dem Weg zur Haustür fuhr sie herum: »Ist es am Ende von Sira?«

    »Ist es!« bestätigte Raymund.

    Aphra kam zurück. »Ich fürchte, ich habe noch nie eines ihrer Bilder gesehen. Sie ist inzwischen richtig erfolgreich, hörte ich. Sie putzt nur noch Susans Haus und die Bücherei, die allerdings täglich. Aber Ivy lässt man damit auch nicht einfach im Stich.« Erneut betrachtete sie das Bild.

    »Dieses Bild gehört zu einer Serie, die sich mit den bemalten Häusern der Ndebele auseinandersetzt. Sie wissen vielleicht, dass Sira und ihre Familie Ndebele sind«, fügte Olivia hinzu.

    »Und wo auf der Landkarte darf ich mir die Ndebele vorstellen?«

    »Im südlichen Simbabwe.«

    Als Aphra nachdenklich schwieg, fuhr Olivia fort: »Im letzten

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