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Der Henker von Rothenburg: Mord in Rothenburg
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Der Henker von Rothenburg: Mord in Rothenburg
eBook367 Seiten4 Stunden

Der Henker von Rothenburg: Mord in Rothenburg

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Über dieses E-Book

Frühjahr 1526

Eckhard Steiner, der ehemalige, sehr beliebte Vogt Rothenburgs, ist tot.
Die Frau seines Nachfolgers beschuldigt die Magd Marie, ihn mittels Hexerei getötet zu haben.

Als Marie schon auf dem Schafott kniet, bittet Matthias Wolf, der Henker von Rothenburg, um die Hand der schönen jungen Frau. Trotz ihrer großen Angst vor dem am meist gefürchteten Mann der Stadt nimmt Marie das Angebot an.

Gemeinsam versuchen Marie und Matthias, die Hintergründe des Mordes aufzudecken und geraten in einen Sog aus Intrigen, Heimtücke und Mord.

"Mord in Rothenburg" - eine Geschichte über die Grausamkeit einer vergangenen Zeit, aber auch über Menschlichkeit und Hoffnung.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum4. Juni 2016
ISBN9783741817335
Der Henker von Rothenburg: Mord in Rothenburg
Autor

Werner Diefenthal

Was schreib ich über mich? Baujahr 1963, der Oldie im Team. Ich bin der Mann in dem Trio. Also der im Hintergrund. Der Ideentüftler, der sich tagelang über mögliche Wendungen und Fortschritte in den Geschichten das Hirn zermartert. Dabei wandele ich auch auf Solopfaden mit eigenen Projekten, habe aber in den letzten Jahren hauptsächlich mit Martina zusammen die Romane verfasst. Seit einiger Zeit haben wir uns mit unsere Bilder-Zauberin Sandra zusammengetan und mischen als Trio Ars Sistendi die Literaturwelt ein wenig auf.

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    Buchvorschau

    Der Henker von Rothenburg - Werner Diefenthal

    Inhaltsverzeichnis

    Personenverzeichnis

    Prolog

    April 1526

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    Mai 1526

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    27. Kapitel

    28. Kapitel

    29. Kapitel

    30. Kapitel

    Juni 1526

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    Epilog

    Personenverzeichnis

    Bernhard Steiner:

    Vogt von Rothenburg

    Elsa Steiner:

    Die Frau des Vogtes

    Eckhart Steiner

    Vater des Vogtes, früherer Vogt

    Matthias Wolf

    Henker von Rothenburg

    Marie

    Magd beim Vogt

    Popolius Harthrath

    Schreiber

    Magdalena Holzapfel

    Wirtin im ›Goldenen Schwan‹

    Greta Dinkelsbraun

    Freundin von Marie

    Helga Bonnekamm

    Freundin von Marie, Tochter von Klaus und Agathe Bonnekamm

    Klaus Bonnekamm

    Bäckermeister, Vater von Helga Bonnekamm

    Agatha Bonnekamm

    Ehefrau von Klaus Bonnekamm, Mutter von Helga Bonnekamm

    Meginhard von Scharfenstein

    Oberhaupt einer reichen Familie, Vater von Jakob

    Margarethe von Scharfenstein

    Ehefrau von Meginhard von Scharfenstein, Mutter von Jakob

    Jakob von Scharfenstein

    Sohn von Meginhard und Margarethe von Scharfenstein

    Karl Schwattner

    Freund von Helga Bonnekamm, Knecht bei Bernhard Steiner

    Nikolaus von Brümme

    Arzt und Chirurg, Heilkundiger

    Pater Remigius

    Pfarrer von Rothenburg

    Heinrich Meisner

    Hauptmann der Stadtwache

    Irmtraud Wallner

    Hure im ›Goldenen Schwan‹

    Prolog

    Es war ein kalter Winter gewesen im Jahr 1525. Bereits im Oktober hatte es den ersten Frost gegeben, dem im November ergiebige Schneefälle gefolgt waren. Dank der guten Ernten der letzten Jahre und einer klugen Vorratshaltung musste kein Mensch in Rothenburg Hunger leiden.

    Auch die Vorräte an Holz, um die Häuser warmzuhalten, waren mehr als genügend. Vereinzelt kam es zu Todesfällen, die nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen waren. So erfroren einige Männer, die des Nachts nach einem Zechgelage den Weg nach Hause nicht mehr fanden und auf den Straßen einschliefen. Darunter befand sich auch der Henker von Rothenburg, Malachias Steigner. Man fand ihn zwar noch lebend, aber ihn überkam solch ein hohes Fieber, dass er nach wenigen Tagen verstarb.

    Sein Gehilfe, Matthias Wolf, wurde daraufhin vom Vogt Bernhard Steiner zum neuen Henker bestellt. Matthias hatte bis zu dieser Zeit noch keine eigenständige Hinrichtung durchgeführt. Dank der Ausbildung bei Malachias war der Vogt jedoch der Meinung, dass Matthias dem gewachsen sei. Er behielt sich jedoch vor, ihn zu ersetzen, sollte er den Vogt enttäuschen und die Strafen, die zu vollstrecken dem Henker bestimmt wurden, nicht ordnungsgemäß vollzogen werden würden.

    Es gab nicht viele Strafen in diesem kalten Winter. Doch Matthias vollzog alle Urteile zum Wohlgefallen seines Dienstherren. Eine Hinrichtung gab es allerdings nicht. Erst wenn Matthias diese sauber ausgeführt habe, so der Vogt, würde er zum Henker auf Lebenszeit ernannt.

    Die Toten konnten nicht bestattet werden, der Boden war zu hart. So bettete man sie in Särge und lagerte sie in einer Scheune, etwas außerhalb der Stadt. Sie waren zu Stein gefroren. Als im Jahr 1526 im März die Temperaturen endlich stiegen und der Schnee geschmolzen war, gab es an mehreren Tagen hintereinander die Beisetzungen.

    Als sein Meister zu Grabe getragen wurde, stand Matthias alleine mit dem Priester an der letzten Ruhestätte. An diesem Tag wurde ihm bewusst, dass er niemals zu den Bürgern der Stadt gehören würde.

    Er lebte in einem Haus, direkt außerhalb der Stadtmauern hinter dem Galgentor. Matthias war ein junger, kräftiger Bursche. Gerade fünfundzwanzig Lenze, groß wie ein Baum und stark wie ein Stier.

    Wo er herkam, wusste niemand in der Stadt so genau. Meister Malachias hatte ihn bei sich aufgenommen und ihn ausgebildet. Er war geschickt bei allem, was er tat. Und er hatte die nötige Demut, um es den Verurteilten nicht an Respekt mangeln zu lassen. An manchen Tagen und in fast allen Nächten fühlte er sich jedoch einsam, was daran lag, dass die Meisten ihm aus dem Weg gingen. Er war respektiert, sogar gefürchtet, aber nicht geliebt.

    Sein Lehrmeister hatte ihm immer gesagt, dass es ein einsames Leben werden würde. Gutbürgerliche Töchter würden ihn niemals heiraten dürfen. Und in sein Bett fänden nur Hübschlerinnen oder Frauen den Weg, die sich keine Hoffnung auf einen Ehemann aus den situierten Familien mehr machen konnten.

    Wenn er seine Runden drehte, grüßte man ihn höflich und respektvoll, ansonsten ging man Matthias aus dem Weg. Der Aberglaube war stark in den Menschen, und engerer Kontakt mit dem Henker als unbedingt notwendig galt als sicherer Unglücksbringer.

    Das machte ihm in manchen Nächten zu schaffen, doch hatte er sich damit abgefunden. Nach dem Schnee kam der Regen. Die Welt war ein eintöniges Grau, alles verwandelte sich in Schlamm und Morast. Es schien, als ob die Sonne nie mehr scheinen wollte. Manch einer der älteren Bewohner Rothenburgs sah darin ein böses Omen. Man war sich nicht sicher, ob der Frühjahrsmarkt würde stattfinden können, und mancher Bauer machte sich Sorgen, ob er früh genug zur Saat auf die Felder käme.

    Aber langsam wurde das Wetter besser. Die Stadt erwachte aus ihrem Winterschlaf, jeder ging seiner Beschäftigung nach. Im »Goldenen Schwan«, dem Gasthaus, in welchem die Hübschlerinnen ihre Gunst feilboten, wurde Frühjahrsputz gehalten. Es roch nach frischem Brot, nach gebratenem Fleisch, nach Leben. Der Geruch des Todes verflüchtigte sich mit jedem Tag, an dem die Sonne etwas früher auf- und später unterging, ein wenig mehr.

    Die Ereignisse, welche einige Jahre vorher geschehen waren, als man die Juden aus Rothenburg vertrieben hatte, gerieten langsam in Vergessenheit. Nur einige leer stehende Gebäude erinnerten noch daran.

    Dann kam der April 1526. Ein Monat, der das Leben des Henkers von Rothenburg und aller Bewohner verändern würde.

    April 1526

    1. Kapitel

    Eine strahlende Frühlingssonne schien vom Himmel und tauchte die Türme von Rothenburg in die erste wirkliche Wärme seit Wochen. Zwar war der Schnee längst geschmolzen, aber statt des Frühlings hatte bisher nur graues, regnerisches Wetter Einzug gehalten und die schmalen Wege um die Stadt in Schlammpfade verwandelt, auf denen kaum ein Wagen durchkam. An diesem Tag jedoch schien Mutter Natur sich endlich darauf zu besinnen, dass der Mai vor der Tür stand. Sie legte sich kräftig ins Zeug – kein Wölkchen war am Himmel, eine sanfte Brise trocknete die Pfützen am Boden und rauschte im ersten Grün der Bäume, während die Vögel den Einzug des Frühlings aus vollem Hals feierten.

    Die Tauber funkelte im Sonnenlicht. Träge floss sie an Rothenburg vorbei, in engen Schlingen umkurvte sie die leicht über ihr gelegene Stadt. Einige hatten sich bereits daran versucht, Fische zu fangen, aber bisher hatten noch keine angebissen.

    An einem solchen Tag hielt Marie nichts innerhalb der Stadtmauern. Seit sie als Magd im Hause des Stadtvogts arbeitete, kam sie ohnehin kaum noch in die Natur, die sie so sehr liebte. Also nutzte sie das schöne Wetter, um die Wäsche nicht in der Waschküche der Vogtei, sondern am Waschsteg unten an der Tauber zu waschen. So verließ sie die Stadt durch das Galgentor, damit sie nicht durch das ehemalige jüdische Viertel laufen musste. Sie fand es unheimlich, von den leeren Augen der Fenster angestarrt zu werden, und nahm lieber den Umweg um die Stadt herum in Kauf. Ihre besten Freundinnen, Helga und Greta, begleiteten sie. Die hellen Stimmen der Mädchen, als sie scherzten und lachten, vermischten sich auf ihrem Weg zum Fluss mit dem Vogelgesang.

    Die drei jungen Frauen waren in der Tat ein hübscher Anblick – blutjung und wohlgeformt, die langen Haare wehten wie bunte Fahnen im Wind. Helga, die Tochter des Bäckers, war rothaarig, während Greta, deren Vater die Stadtschänke gehörte, rabenschwarzes Haar ihr Eigen nannte. Die meisten Blicke der passierenden jungen Männer jedoch zog Marie auf sich. Mit ihren knapp achtzehn Jahren war sie von atemberaubender Schönheit. Ihre strahlend blauen Augen blitzten in der Sonne. Ihre Haut glänzte wie ein frischer Apfel und goldblondes, leicht lockiges Haar umrahmte das wunderschöne Gesicht.

    Nicht wenige Männer in Rothenburg, verheiratet oder alleinstehend, leckten sich die Finger nach ihr, denn Marie war nicht nur schön, sondern auch klug, ein wenig kokett und nicht auf den Mund gefallen. Obwohl es ihr an Bewerbern nicht mangelte, dachte sie jedoch nicht daran, zu heiraten – keiner schien ihr gut genug. Und in Rothenburg wisperte man hinter vorgehaltener Hand, dass dieser Umstand dem Stadtvogt sehr recht sei. Seiner Ehefrau weniger!

    »Habt ihr es schon gehört?«, erzählte sie eifrig ihren Freundinnen. »Der Vogt plant, doch wieder einen Frühjahrsmarkt in der Stadt abzuhalten, um Händler anzulocken, damit nach dem langen Winter wieder ein wenig Geld in die Kassen kommt. Das wird ein Spaß! Ich habe so lange nicht mehr getanzt!«

    »Du hoffst doch nur, dass Jakob von Scharfenstein dich wieder auffordert!«, spottete Greta amüsiert.

    »Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst. Als ob ein Patrizier jemals eine einfache Magd heiraten würde!«

    »Er muss mich ja nicht gleich heiraten!«, erwiderte Marie keck. »Er küsst wunderbar, das reicht schon!«

    Greta setzte zu einer missbilligenden Antwort an, als Helga abrupt stehen blieb und mit der Hand, mit der sie keinen Waschkorb trug, die Schwarzhaarige zurückhielt. Ihre Augen waren riesengroß geworden und sie flüsterte.

    »Meister Matthias ist draußen … «

    Die Augen der beiden anderen folgten ihrem verängstigten Blick, auch wenn ihre geflüsterten Worte schon erklärten, wovor sie sich fürchtete – außerhalb der Stadtmauern, direkt neben dem Weg, der vom Galgentor aus wegführte, hatte der Scharfrichter der Stadt, Matthias Wolf, sein Haus. Man sah ihn normalerweise nur selten außerhalb seiner Räume, wenn keine Hinrichtung oder öffentliche Bestrafung anstand. Wenn doch, dann vermied man es, ihn anzusehen – es brachte Unglück, Blickkontakt mit dem Henker herzustellen oder gar mit ihm zu sprechen, hieß es. Die Leute wechselten sogar die Straßenseite, wenn sie ihn trafen. Er war nicht weniger ein Geächteter als die Frauen, die in der Stadt ihre Liebesdienste anboten. Heute saß er auf einer Bank vor seinem Haus im Garten und genoss die Sonne.

    Auch Marie lief jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie ihn nur aus der Ferne sah – immerhin verband sie nicht gerade angenehme Situationen mit dem Mann. Trotz alledem konnte sie es diesmal nicht lassen, die Freundin zu necken.

    »Na und? Was soll er schon machen? Glaubst du vielleicht, er braucht nur mit dem Finger zu schnippen und dir fällt der Kopf herunter?«

    Alle drei Mädchen kicherten nervös.

    »Nein … trotzdem, lasst uns lieber warten, bis er wieder hineingeht!«, bat Helga mit unbehaglich verzogener Miene.

    »Unsinn!«

    Marie straffte ihre Gestalt.

    »Wer weiß, wie lange das dauert! Wenn ich nicht rechtzeitig zum Mittagessen zurück bin, bestraft die Vogtin mich wieder! Lasst uns vorbeigehen, er wird uns schon nicht fressen!«

    Unbeirrt setzte sie ihren Weg fort. Die beiden anderen Mädchen folgten der Blonden zögernd, warfen immer wieder nervöse Blicke auf den Henker.

    Matthias Wolf war kein abstoßender Mann. Im Gegenteil, er war groß, breitschultrig und hatte ein anziehendes Gesicht, umrahmt von halblangem dunklem Haar, das Kinn von einem stets gestutzten, kurzen Bart bedeckt. Wäre er nicht ausgerechnet der Schinder gewesen, die Frauen der Stadt hätten sich ein Bein ausgerissen, ihn zum Mann zu bekommen. So jedoch war er, obwohl bereits Mitte zwanzig, immer noch unverheiratet.

    Als die drei Mädchen, die ihr fröhliches Gespräch durch verbissenes Schweigen ersetzt hatten, sein Haus passierten, sah er auf und musterte die Drei. Augenblicklich blieben sie stehen, wie angewurzelt, als befürchteten sie tatsächlich, ihnen könnten die Köpfe auf wundersame Weise von den Schultern fallen. Marie bemerkte, dass sie die Luft anhielt, und schalt sich plötzlich eine Närrin – elender Aberglaube! In der Öffentlichkeit wurde der Henker gemieden wie der Teufel, aber im Schutz der Dunkelheit schlich sich so mancher Rothenburger zu seinem Haus hinunter, um die eine oder andere Wundertinktur zu erstehen, die gegen alle möglichen Leiden helfen sollte! Warum sollte das weniger Unglück bringen als eine Begegnung auf offener Straße?

    Matthias hatte die drei jungen Mädchen schon gehört, bevor er sie sah. Er kannte sie alle drei und ahnte, warum sie jetzt langsamer wurden. Er seufzte. Als er zum Henker bestellt worden war, nach dem Tode des alten Meisters, da hatte er gewusst, worauf er sich einließ. Mit fünfzehn war er zu Meister Malachias gekommen, erst als Bursche, dann als Gehilfe.

    Er hatte am Anfang nur die Zellen der Gefangenen sauber gemacht, ihnen das Essen gebracht und die Abtritte geleert. Doch recht schnell war dem alten Meister aufgefallen, dass er zu mehr zu gebrauchen war. Von Natur aus mit einer gewaltigen Körperkraft ausgestattet half er bald, die Bestrafungen vorzunehmen. Zuerst nur die kleineren Strafen, wie das Umlegen des Schandsteines oder das Verschließen des Prangers. Bald schon ging er zu den körperlichen Strafen über. Er stäupte die Ehebrecher, zerschlug Wucherern die Hände oder entflohenen Schuldnern die Knie. Nach und nach lernte er, die Bestrafungen, die sich das hohe Gericht ausdachte, durchzuführen.

    Als er die erste Hand hatte abschlagen müssen, war ihm anschließend übel gewesen. Aber mit der Zeit legte es sich. Der Meister hatte ihn gelehrt, allerlei Tränke und Tinkturen herzustellen. Darunter einige, welche die Gefangenen in eine Art Dämmerzustand versetzten, damit diese sich willig wie Schafe, die man zur Schlachtbank führte, bestrafen ließen.

    Im letzten Winter war sein Meister gestorben. Er hatte sich, als er betrunken aus der Wirtschaft kam, nur einen Augenblick ausruhen wollen. Dabei hatte er sich eine Erkältung geholt, von der er sich nicht mehr erholt hatte. Am Weihnachtsabend war er dann zu seinen Ahnen gegangen.

    Zu Neujahr war Matthias zum Vogt gerufen worden. Dieser hatte ihm eröffnet, dass er von nun an die Pflichten seines Meisters übernehmen würde. Als Matthias verstand, was das hieß, musste er nach Luft schnappen. Er würde das Haus des Meisters bewohnen. In der Stadt selber war kein Platz für ihn. Jeder schrie nach dem Büttel des Vogts, wenn ihm Unrecht geschah. Doch keiner wollte ihn in seiner Nähe haben. So übernahm er die Pflichten. Bisher hatte er nicht viel zu tun gehabt. Nur einige kleinere Kneipenscharmützel, die mit ein paar Stockschlägen geahndet wurden und ein Bauer, der seine Schulden nicht bezahlen konnte. Dieser arme Tropf musste zwei Tage auf dem Platz vor der Vogtei am Pranger stehen.

    Matthias lauschte den Stimmen der Mädchen. Langsam schienen sie sich doch näher zu trauen. Er betrachtete die drei Schönheiten. Zu gerne hätte er eine von ihnen bei sich gehabt. Vor allem die Blonde, Marie, hatte es ihm angetan. Sie war Magd beim Vogt und schon das alleine war der Grund, aus dem sie absolut tabu für ihn sein musste.

    Er knirschte mit den Zähnen, wollte sich erheben und in sein Haus gehen, da glaubte

    er, seinen Ohren nicht zu trauen. Marie nahm allen Mut zusammen und rief laut zu ihm hinüber.

    »Grüß dich Gott, Meister Matthias!«

    Das Erstaunen auf seinen Zügen nahm sie noch wahr, dann packten ihre zu Tode erschrockenen Freundinnen sie rechts und links an den Armen und zerrten sie, so schnell sie konnten, am Henkershaus vorbei und bogen nach links ab, um dem Weg rund um die Stadtmauer zu folgen, der zur Tauber führte.

    Er sah ihnen nach und es wurde ihm ein wenig eng in seiner Lederhose. Sollte er ihnen doch folgen? Da hörte er plötzlich laute Rufe, die von der Stadt herüberschallten.

    »Haltet ihn! So haltet den Schuft!«

    Er drehte sich um und sah eine Horde von Menschen aus der Stadt rennen, die einen Mann verfolgten, der buchstäblich die Beine in die Hand nahm. Die Menge schien extrem aufgebracht zu sein.

    »Mörder! Haltet ihn auf.«

    »Er hat mein Kind geschändet!«

    Matthias schätzte den Abstand zu dem Fliehenden. Zwischen ihm und dem Mann lagen nur noch fünfzig Schritte. Schnell kauerte Matthias sich nieder und wartete. In dem Moment, in dem der Flüchtling ihn passierte, schnellte er hoch und warf den Mann mit seinem ganzen Gewicht zu Boden. Sie rutschten in das nasse Gras. Der Mann wehrte sich, aber Matthias war stärker und vor allem erfahrener. Mit seinem linken Bein drückte er den rechten Arm des Mannes zu Boden, seine rechte Hand umfasste das linke Handgelenk. Mit der Linken drückte er den Kopf in das nasse Gras, während sein rechtes Knie gegen das Gemächt des fluchenden Mannes drückte.

    »Halt still oder das, was dich zum Manne macht, wird nur noch ein Haufen Brei sein«, zischte Matthias.

    Die Menge kam näher.

    »Meister Matthias, dank Euch.«

    Ein Mann löste sich aus der Menge.

    »Was habt ihr ihm vorzuwerfen?«

    Matthias sah sich in der Menge um. An den Gesichtern erkannte er, dass sich etwas Schreckliches ereignet haben musste.

    Der Mann, es war der Gastwirt des ›Roten Ochsen‹, scharrte mit dem linken Fuß im Dreck.

    »Wir haben ihn erwischt, als er die kleine Tochter der Schneiderin geschändet und umgebracht hat.«

    Matthias sah den am Boden Liegenden an.

    »Stimmt das, Bursche? Ist das wahr, was man mir sagt?«

    Seine Stimme war scharf wie ein Peitschenknall. Der Mann jedoch sagte kein Wort. Aus dem Gesicht aber konnte Matthias erkennen, dass dies wohl die Wahrheit sein musste. Schlagartig wurde ihm klar, dass seine erste eigene Hinrichtung ohne die Unterstützung und der Aufsicht seines Meisters wohl nur noch wenige Stunden entfernt war.

    »Aufhängen!« »Steinigen« »Schneidet ihm die Eier ab!«

    Matthias erhob sich und zerrte den Mann an den Haaren hoch.

    »Das entscheidet der Vogt!«, brüllte er.

    Aus den Augenwinkeln sah er, dass die drei Mädchen stehengeblieben waren. Ihre Gesichter waren blass. Marie stand fast genau neben seinem Haus.

    »Du da«, er zeigte auf sie, »dort am Gatter, der Strick. Bring ihn mir.«

    Marie blieb erst wie angewurzelt stehen, doch dann ließ sie ihren Wäschekorb fallen und tat, wie Meister Matthias ihr geheißen hatte.

    Er nahm den Strick, lächelte ihr dankbar zu und begann, dem Mann die Hände auf den Rücken zu binden. Es war Marie unmöglich, den Blick abzuwenden. Sie musste einfach zusehen, wie Matthias dem vermeintlichen Mörder den Strick durch die Beine führte, ihn sich über die Schulter legte und so den Mann hinter sich her zerrte, obwohl es schicklicher gewesen wäre, sich wegzudrehen und nicht zu starren wie die sensationslüsterne Menge. Ihr wurde ganz flau allein vom Anblick.

    Dem Verbrecher erging es ähnlich, allerdings aus anderen Gründen. Der Strick, so geführt, presste seine Hoden gegen sein Schambein und verursachte unsägliche Schmerzen. Dazu kam, dass er durch die Fesselung der Hände sein Kreuz extrem durchdrücken musste. Diese Art, einen Gefangenen zu binden, hatte Matthias von seinem Meister gelernt.

    »Glaub mir, jeder, den du so hinter dir herziehst, hat keinen Gedanken an Flucht oder Widerstand. Er hat genug damit zu tun, seine Eier zu retten.«

    So watschelte er hinter dem Henker her, der mit schnellen Schritten zur Vogtei ging, um das Urteil seines Herrn zu hören.

    Die Rothenburger gingen hinterher, in gebührendem Abstand zum Henker, der sichtlich keine Hilfe brauchte, um den Mörder in Schach zu halten. Langsam, die Augen nicht vom Geschehen abwendend, ging Marie in die Knie und sammelte ihre herumliegende Wäsche wieder ein. Greta und Helga sahen zwischen ihr und dem lärmenden Zug hinterher und wurden sichtlich nervöser.

    Es war Helga, die schließlich herausplatzte.

    »Was machen wir jetzt? Gehen wir die Wäsche waschen?«

    Greta versetzte ihr eine unsanfte Kopfnuss.

    »Du bist wohl närrisch! Los, wir müssen hinterher, ich will wissen, was mit ihm passiert!«

    Marie, die inzwischen alles wieder in ihrem Weidenkorb verstaut hatte, erhob sich mit verächtlichem Blick.

    »Waschweib! In drei Stunden spricht sowieso ganz Rothenburg darüber!«

    Aber als die Blonde sich in Bewegung setzte, führten ihre Schritte sie keineswegs in Richtung Fluss, sondern zu den Stadttoren. Die anderen beiden Mädchen beeilten sich, den Anschluss nicht zu verlieren. Als sie am Herrenhaus des Vogts, das am Marktplatz lag, ankamen, hatte sich vor dem Eingang eine gewaltige Menschentraube gebildet. Anscheinend hatte der Zug mit dem Henker an der Spitze alle Rothenburger mit sich genommen, die zu dieser Zeit auf der Straße gewesen waren – und das waren fast alle! Und alle hämmerten sie gegen das Portal, drohten mit Fäusten und schrien nach Blut und Vergeltung. Missbilligend schüttelte Marie den Kopf.

    »Die Leute sind verrückt … ich gehe hintenrum. Allein!«, setzte sie hinzu, als ihre Freundinnen sich anschickten, ihr zu folgen. Bevor sie protestieren konnten, lief die Magd des Vogts schon davon, so schnell sie mit dem Wäschekorb konnte.

    An den Hintereingang der Vogtei hatte zu ihrem Glück keiner aus dem Pöbel gedacht. Marie schlüpfte unbehelligt hindurch und gelangte auf diesem Weg ins Haus. Selbst in der Küche war das Gebrüll der Leute noch zu hören, untermalt von dröhnendem Gehämmer. Offenbar schlugen sie immer noch ans Portal!

    Schon bevor Marie die Eingangshalle betrat, sah sie aus dem Gang die beiden Knechte Heinrich und Karl, die sich verzweifelt gegen die Tür pressten und versuchten, die Massen draußen zu halten. Immer wieder wurden die Portalflügel ein Stück aufgeschoben und die Schreie hallten lauter durch den Raum. Die Gesichter der Männer waren vor Anstrengung verzerrt.

    Ohne ein Wort und ohne ihre Hilfe anzubieten, ging Marie an den Knechten, die hinter ihr her schimpften, vorbei und in den ersten Stock. Der Eingang lag genau unter dem Arbeitszimmer des Vogtes. Die Tür stand offen, ein schneller Blick hinein zeigte Marie, dass Bernhard Steiner sich nicht darin aufhielt. Zum Glück hatte sie heute Morgen den Nachttopf der gnädigen Frau noch nicht geleert. Das würde sie jetzt nachholen!

    Sie eilte zum Schlafzimmer ihrer Dienstherrin, holte das Gefäß und ging schnell wieder zum Arbeitszimmer zurück. Sie grinste, dieser Spaß gefiel ihr.

    In der Menge bemerkte niemand, wie über ihm die Fenster geöffnet wurden. Umso größer war das Gekreische, als Marie den vollen Topf über den rachsüchtigen Rothenburgern auskippte, und ausnahmslos alle wichen zurück. Im Erdgeschoss fiel mit einem dumpfen Knall die Eingangstür ins Schloss. Zufrieden schloss Marie das Fenster und beeilte sich, in den Speisesaal des Vogts zu kommen, wo er offiziellen Besuch zu empfangen pflegte. Vielleicht brauchte dort ja jemand etwas zu trinken und ganz nebenbei würde sie aus erster Hand erfahren, wie es mit dem Kindsmörder weiterging. Auf leisen Sohlen, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregend, betrat sie den holzgetäfelten Raum und blieb gleich neben der Tür stehen.

    Mittlerweile war der Vogt auf das Getöse vor seinem Haus aufmerksam geworden. Am gestrigen Abend hatte er sich ziemlich betrunken und war ein wenig länger im Bett geblieben, als es sonst seine Art war. Schnell zog er sich ein Wams über, schnürte seine Hosen zu, eilte zu seinem Arbeitszimmer und öffnete das Fenster, aus dem Marie erst wenige Augenblicke vorher den Nachttopf auf die Meute geleert hatte. Er sah hinaus, dabei fragte er sich, was dieser Aufruhr sollte. Im ersten Moment dachte er, das Volk wolle ihm an den Kragen, doch dann begriff er, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Er beugte sich aus dem Fenster.

    »He, ihr da! Was geht hier vor sich? Was ist das für ein Lärm?«

    Mit einem Mal wurde es ruhig auf dem Marktplatz. Die Menge rückte ein wenig zurück und machte Platz. Ein Mann trat vor. Der Vogt erkannte den Marktmeister.

    »Euer Gnaden, ein Unhold wurde gefangen, als die Bürger ihn jagten. Ihm wird vorgeworfen, die Tochter der Schneiderin geschändet und getötet zu haben.«

    Der Vogt erbleichte. Das war eine ernste Sache. Vergewaltigung und Mord. Er dachte kurz nach, wie alt die Tochter der Schneiderin gewesen war.

    »Die Tochter der guten Frau Marlies?«

    Der Marktmeister sah sich kurz um und sah die Menge nicken.

    »Ja, Euer Gnaden.«

    Der Vogt überlegte kurz. Gelegentlich pflegte er Gerichtsverhandlungen auf dem Gerichtsplatz abzuhalten, der sich direkt vor den Toren der Stadt befand, wenn die Menschenmenge für die Vogtei zu groß war. Dieser Platz war gesäumt von einigen Trauerweiden. In der Mitte war ein Podium aufgebaut, am westlichen Ende ein Galgen. Aber in Anbetracht der Umstände würde er anders handeln müssen. Er drehte sich um und winkte einen seiner Diener zu sich.

    »Nehmt die Wachen und lasst die Menschen in den Speisesaal. Aber man soll darauf achten, dass sie sich ruhig verhalten. Und schickt nach Nikolaus von Brümme, er soll sofort zur Schneiderin!«

    Kurze Zeit später öffneten sich die Portale und die Menschen wurden in den

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