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Schutzengel unter Strom: Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven
Schutzengel unter Strom: Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven
Schutzengel unter Strom: Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven
eBook216 Seiten2 Stunden

Schutzengel unter Strom: Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven

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Über dieses E-Book

Den ganzen lieben Tag lang gemütlich auf Schienen durch die Stadt gleiten, nur einen Hebel vor und zurück bewegen und zwischendurch ein bisschen die Fahrgäste ärgern - wer sich den Beruf des Straßenbahnfahrers so vorstellt, der liegt komplett falsch. Zeitdruck, steigende Fahrgastzahlen, ständige Kostenreduzierungen und insbesondere eine sich wandelnde Gesellschaft hin zu immer mehr Egoismus und Rechthaberei haben die frühere Trambahner-Romantik längst verfliegen lassen. Dieses Buch, provokant geschrieben, gibt detaillierte Einblicke in den Beruf des Münchner Straßenbahnfahrers, räumt auf mit Irrtümern und Vorurteilen, erklärt Hintergründe zum Betriebsablauf und hält vor allem in zahlreichen Anekdoten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Eine moderne Gebrauchsanweisung für die Tram in der bayerischen Landeshauptstadt - für Fahrgäste, Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum24. Sept. 2017
ISBN9783745023916
Schutzengel unter Strom: Trambahnfahrer in München: Kein Job für schwache Nerven
Autor

Thomas Bosch

Thomas Bosch, Jahrgang 1971 und gebürtiger Münchner, hat schon als Kind Geschichten geschrieben. Sein Vater musste ihm regelmäßig für 50 Pfennig kleine selbst gemachte Bücher abkaufen, die aus einem zusammengefalteten DIN-A4-Blatt mit handgemaltem Titelbild bestanden. Meistens handelte es sich um Western-„Romane“ oder – sic! – um romantische Liebesgeschichten.

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    Buchvorschau

    Schutzengel unter Strom - Thomas Bosch

    Schutzengel unter Strom

    Deckblatt

    Bitte einsteigen: Willkommen bei der Tram

    Tram für Anfänger: Die Grundausbildung

    Praxistag 1: Nach Moosach bitte zusteigen!

    Danke für nix: Warum der Zug nicht wartet

    Praxistag 2: Mit dem 19er nach Pasing

    Ey MVG! - Nahverkehr und Social Media

    Praxistag 3: Freitag der 13. mit Folgen

    Wegen Bauarbeiten... - Immer alles anders

    Praxistag 4: Vom Wege abgekommen

    Auch Trambahnfahrer sind nur Menschen

    Praxistag 5: Mit dem 25er hinaus ins Grüne

    Wenn's kracht: Was passiert nach Unfällen?

    Praxistag 6: Eine Runde Geisterbahn

    Danke fürs Mitfahren!

    Entspannt Trambahn fahren: So geht's

    Was, wann, wo: Ein kleiner Servicebereich

    Bücher, Vereine, Links zum Weiterstöbern

    Impressum

    Update: geänderte Linienwege

    Schutzengel unter Strom

    Grüß Gott!

    Ein wichtiger Hinweis vorab: Dies ist keine Publikation der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) oder der Stadtwerke München (SWM), sondern eine rein private Veröffentlichung. Alle Aussagen, Meinungen und Kommentare stammen – sofern nicht anderweitig gekennzeichnet – ausschließlich vom Autor des Buches und geben seine private Ansicht wieder. Es werden vereinzelt Phantasienamen und -orte verwendet. Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die Kalenderdaten der in diesem Buch beschriebenen Geschichten wurden verändert. Außerdem wurden die allesamt wahren Anekdoten zu virtuellen Fahrten zusammengefasst. Die in den „Praxistage"-Kapiteln beschriebenen Linienführungen entsprechen dem Stand vom Herbst 2017. Zwischenzeitlich können sich die Linienwege geändert haben.  

    Danke an Klaus Onnich für fachliches und orthographisches Lektorat.

    Und ein großes Danke an SIE, weil Sie sich dieses Buch gekauft haben!

    Ich empfehle, die einzelnen Kapitel der Reihe nach zu lesen.

    Viel Spaß wünscht Ihnen

    Thomas Bosch

    Willkommen bei der Tram

    Mit nachdenklicher Miene blickte mich mein Gegenüber an. Zumindest glaubte ich, dass er das tat, denn im Halbdunkel konnte ich sein Gesicht fast nicht erkennen. Irgendwas muss doch jetzt kommen, dachte ich, doch mein Gesprächspartner sagte kein Wort. Genau genommen hatte er bisher noch überhaupt nichts gesagt. Sogar die Begrüßung war mit einem knappen Kopfnicken erledigt gewesen.

    So saßen wir uns nun schon eine ganze Weile gegenüber an diesem klapprigen alten Holztisch, der wahrscheinlich schon während des dreißigjährigen Krieges bessere Tage gesehen hatte. Exakt in der Mitte zwischen uns, so als hätte jemand es mit dem Lineal ausgemessen, erhellte eine fast niedergebrannte Kerze als einzige Lichtquelle den fensterlosen Raum. Es roch ein bisschen modrig. Im Schein der Kerze sah ich die Staubflocken tanzen.

    Gott, ich hätte alles für ein Glas Wasser gegeben.

    Das Rascheln von Papier unterbrach die beklemmende Stille, als mein Gegenüber endlich meine Unterlagen zur Hand nahm und sie langsam, ganz langsam, begann durchzublättern. Was er gelesen hatte, schien ihn nicht wirklich zufrieden zu stellen, denn er ließ meine Dokumente achtlos zurück auf den Tisch fallen. Dann beugte er sich vor, so dass ich im Kerzenschein zum ersten Mal sein Gesicht deutlich erkennen konnte. Es war das Gesicht eines Mannes, der schon vieles gesehen hatte und den wohl nichts mehr erschüttern konnte.

    „Erst Redakteur, dann fast zwanzig Jahre Mitarbeiter im Sicherheitsdienst, gab seine rauchige Stimme meine Vita wieder. „Und da glaubst Du wirklich, dieser Herausforderung gewachsen zu sein?

    Ich setzte eine selbstbewusste Miene auf, straffte meinen Oberkörper und berichtete von meinem hohen Interesse an der Thematik seit meiner Kindheit sowie von meiner angesichts der damals bereits verstrichenen 41 Jahre umfassenden Lebenserfahrung. Ja, ich verkaufte mich gut. Fand ich.

    Mein Gegenüber lehnte sich wie in Zeitlupe zurück. Obwohl sein Gesicht damit im Halbdunkel verschwand, glaubte ich ein abfälliges Grinsen auf seinen Lippen zu erkennen.

    Der alte Mann griff an seinen Gürtel und zog ein kleines Messer hervor, das er links von sich auf den Tisch legte. Die etwa zehn Zentimeter lange Klinge glänzte im Schein der Kerze. Dann holte er aus seiner Brusttasche ein zusammengefaltetes Blatt hervor, schob die Kerze ein Stück zur Seite und breitete das Papier zwischen uns aus.

    „Deine Hand", forderte er, und mit einem leicht flauen Gefühl im Magen hielt ich ihm die Rechte hin. Mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, packte er meinen Arm, drehte die Handfläche nach oben und ritzte mir mit dem Messer den Daumen an. Als ein dicker roter Blutstropfen hervorquoll, presste er meinen Finger auf das Blatt Papier, unten rechts. Dann ließ er meinen Arm los, den ich schnell zurückzog. Aua. Was war das denn jetzt??

    Während ich noch fassungslos meinen schmerzenden Daumen betrachtete, faltete der Mann das Papier wieder zusammen und steckte es mit einem süffisanten Lächeln zurück in die Brusttasche seiner dunkelblauen Uniformjacke. Dann beugte er sich erneut zu mir vor.

    „Du hast keinen blassen Schimmer, worauf Du Dich hier eingelassen hast, sagte er. Mit der rechten Hand klopfte er zweimal auf seine Brusttasche, in welcher der mit Blut unterzeichnete Vertrag steckte. „Aber jetzt gehörst Du uns.

    Hatte ich wirklich keinen blassen Schimmer? Nein, das konnte nicht sein. Der Typ wollte mich nur verunsichern. Tatsächlich war ich am Ziel meiner Träume angekommen. Ich war jetzt ein Fahrer bei der Münchner Trambahn oder würde es zumindest in Kürze sein. Das bedeutete Respekt und Ansehen bei der Bevölkerung, Dankbarkeit für eine solide Dienstleistung – und nicht zuletzt Tag für Tag strahlende Kinderaugen, wenn ich mit meinem prachtvollen Zug geschmeidig in die Haltestellen einfahren würde. Yep, ich hatte allen Grund, auf mich stolz zu sein.

    Entweder hatte ich laut gedacht oder mein verklärter Gesichtsausdruck hatte meinem Gegenüber auch so mehr als deutlich zu verstehen gegeben, was gerade in meinem Gehirn vor sich ging. Das Lächeln verschwand von seinen Lippen. Er beugte sich noch ein Stückchen weiter vor. Mir schien plötzlich, als sei es kühler im Raum geworden.

    „Junge, wiederholte er, „Du hast tatsächlich keine Ahnung. Er hob seine rechte Hand, klappte den Zeigefinger aus und deutete durch ein imaginäres Fenster hinaus auf die bayerische Landeshauptstadt.

    „Da draußen, flüsterte er, „da draußen … herrscht Krieg.

    *

    Okay, zugegeben, genau so ist mein Vorstellungsgespräch bei der Trambahn natürlich nicht gelaufen – damals, irgendwann im Sommer des Jahres 2012. Eine große Portion Wahrheit steckt aber durchaus in der kleinen Geschichte. Klar, Verträge werden heutzutage nicht mehr mit Blut unterzeichnet. Selbst ein traditionsreicher Arbeitgeber wie die Landeshauptstadt München verzichtet mittlerweile auf dieses Ritual. Und man bekommt sogar etwas zu trinken angeboten.

    Tatsache ist aber, dass wirklich die Wenigsten wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich dafür entscheiden, Fahrer bei der Münchner Straßenbahn zu werden. Ich rede hier nicht von den Rahmenbedingungen, die eine Tätigkeit im Fahrdienst zwangsläufig mit sich bringt.

    Schichtdienst zum Beispiel. Die Tram fährt 365 Tage im Jahr und seit Einführung eines Nachtliniennetzes im September 1994 (damals starteten die „N-Linien mit drei Tram- und sieben Bus-Strecken) auch rund um die Uhr. Das bedeutet, die Züge müssen früh am Morgen, am Tag, spät am Abend und auch in der Nacht gefahren werden, was nahezu täglich wechselnde Arbeitszeiten mit sich bringt. Der Schichtdienst, den sich viele leichter vorstellen als er tatsächlich ist, ist bis heute ein häufiger Grund dafür, dass neue Straßenbahnführer den Beruf nach relativ kurzer Zeit wieder an den Nagel hängen. Es ist halt irgendwie dann doch nicht so schön, ständig auf dem Bock zu sitzen, während die Freunde feiern gehen oder die Frau mit den Kindern allein zu Hause sitzt. Zwar kann man seit einigen Jahren mittels Wunschplan" Einfluß auf die Arbeitszeiten nehmen, aber zu hundert Prozent funktioniert das natürlich nicht.

    Nein, ich meine mehr die ganz normale Alltagsbelastung, der man als Trambahnfahrer ausgesetzt ist. Und zwar nicht durch die Tätigkeit an sich – schließlich hat jeder Beruf seine schönen und seine schwierigen Seiten. Sondern ich spreche von der Belastung durch jene Faktoren, die bedingt sind durch den steten Wandel unserer Gesellschaft hin zu immer mehr Egoismus, Rechthaberei und mangelnder Empathie. Ganze Bücher wurden schon hierüber geschrieben, aber diese zu lesen ist für einen halbwegs intelligenten Menschen gar nicht nötig. Es genügt vielmehr schon, einen regelmäßigen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Oder einfach mal sich ein bisschen bewusster umzusehen, wenn man unterwegs ist.

    Da streiten sich Menschen über Dinge, die wir früher nur belächeln konnten oder die nicht mal einer näheren Betrachtung wert waren. Da wird in breiter Öffentlichkeit und in blumigen Worten be- und geklagt, kritisiert, geschimpft und attackiert. Jeder will immer recht haben und nie nachgeben. Jeder sieht sich selbst in der besseren Position. Und wenn man nicht bekommt, was man will, dann nimmt man es sich eben einfach. Oder schreibt gleich mal seiner Rechtsschutzversicherung.

    Die erschreckendste Entwicklung ist aber, dass der gegenseitige Respekt voreinander mehr und mehr verloren geht. Höflichkeit wie ein ehrlich gemeintes „Bitte und „Danke wird sowieso völlig überbewertet. Im Gegenteil, mit einer Beleidigung ist man heutzutage unglaublich schnell bei der Hand. Bestimmt haben Sie im Frühjahr 2017 die vieldiskutierten Artikel gelesen, in denen sich die Polizei über rapide zunehmende verbale und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte beklagt. Rettungskräften wie Sanitätern, die ja wirklich nur zum Helfen kommen, ergeht es nicht besser. Wenn schon die Achtung vor der Polizei fehlt, dann kann man sich denken, was sich erst Menschen in vom Statusdenken her deutlich niedriger angesiedelten Berufen gefallen lassen müssen. Die Straßenbahnfahrer zum Beispiel: Ein gepflegtes „Arschloch" gehört bei uns mittlerweile schon zum Alltag.

    Bestimmt kennen Sie diese schicken Infomonitore in U-Bahn, Bus und Straßenbahn, die seit circa 2012 nicht nur die folgenden Haltestellen samt Umsteigemöglichkeiten darstellen, sondern auf denen seit 2014 auch Werbung, Rätsel, Nachrichten und kleine Clips dem Passagier die Fahrzeit verkürzen. Die MVG selbst zeigt dort nett gestaltete Filmchen, mit denen Fahrgäste für Gefahren sensibilisiert und – Achtung! – auf gegenseitige Rücksichtnahme hingewiesen werden. Ist es denn nicht traurig, dass so etwas wirklich nötig ist? Dass es einen Film braucht, der daran erinnert, für Schwangere und Gebrechliche den Sitzplatz frei zu machen? Oder seinen Müll nach der Fahrt mit zu nehmen anstatt ihn einfach auf dem Fußboden zu entsorgen?

    Im Straßenverkehr setzt sich dieses Bild tagtäglich fort. Gegenseitige Rücksicht? Nur wenn’s grad bequem ist. Ansonsten parkt man eben mal in zweiter Reihe, auch wenn’s auf den Tramgleisen ist und auch wenn aus dem „bin gleich wieder da" locker mal fünf bis zehn Minuten werden können. Und wenn nicht in zweiter Reihe, dann eben mitten auf dem Radlweg oder auf dem Bürgersteig. Am besten auch noch genau an der Haltestelle. Das kommt häufig vor – kein Wunder, schließlich ist da ja immer Platz. Manchmal wundere ich mich echt, dass bisher noch keiner auf die Idee gekommen ist, sein Gefährt witterungsgeschützt im Wartehäusel unter zu stellen. Wobei, bei Fahrrädern sieht man das gelegentlich schon.

    Vom Fahrstil mancher Kraft- und Fahrradfahrer will ich gar nicht erst anfangen. Allein darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Spontanes verbotswidriges Abbiegen über mehrere Fahrspuren hinweg, oberlehrerhaftes Ausbremsen anderer vermeintlich zu schneller Verkehrsteilnehmer oder das entspannte Gleiten über die schon mehrere Sekunden rote Ampel beobachte ich fasziniert jeden Tag. Fußgänger sind da übrigens auch nicht besser. Wir leben eben in der Großstadt und vor allem in einer Zeit, wo Ampeln und Verkehrszeichen lediglich als Empfehlung betrachtet werden.

    „Unsere kleinen Selbstmörder, manchmal auch ein bisschen liebevoller „Unsere Lemminge, nennen deshalb viele Kollegen vor allem die Radfahrer und Fußgänger. Denen scheint nämlich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass sie keinerlei schützende Hülle aus Blech und Stahl um sich herumhaben. Wenn dann auch jegliche Vorsicht fehlt oder das Checken der WhatsApp-Nachrichten wichtiger ist als nach links und rechts zu schauen, dann kann das schlimme Folgen haben. Nicht selten mit tödlichem Ausgang. Was leider auch in München vorkommt, wie sicher jeder von Ihnen schon mal in der Zeitung gelesen hat.

    Alter, Rasse, Geschlecht, gesellschaftlicher Status und soziale Herkunft spielen im alltäglichen Benehmen und in der „Komplimente-Sammlung", die meinen Kollegen und mir Tag für Tag entgegen geschleudert wird, übrigens keine Rolle. Junge Menschen, Senioren, Schüler, Studenten, Handwerker, Schlipsträger, Migranten, Deutsche, Männer, Frauen – der Wandel in unserer Gesellschaft ist überall spürbar. Alle sind schuld, nur ich nicht. Oder auch so: Ich zuerst, und nach mir erstmal nichts. Und rüber über die Straße, scheiß doch aufs Rotlicht, der andere wird schon aufpassen auf mich.

    Ich habe Kollegen, insbesondere unter den sehr langjährigen Fahrern, die haben sich schon so sehr an den traurigen Alltag gewöhnt, dass sie schlichtweg abgestumpft sind. Dieses Glück war mir lange Zeit nicht vergönnt. Meine Mutter hat mal über mich gesagt, ich habe ein „Weltverbesserer-Gen und sei ein „Kümmerer, der immer meine, er könnte jemanden bekehren. Ein Stück weit hat sie damit recht. Und genau aus diesem Grund lesen Sie gerade diese Zeilen hier.

    Damit kein falscher Eindruck entsteht: Nein, auch ich bin kein Engel. Ich gehe – sofern meine kleine Tochter nicht dabei ist - auch bei Rot über die Straße. Allerdings schaue ich dabei nach links und rechts anstatt auf die Facebook-Timeline in meinem Smartphone. Ich ärgere mich auch, wenn mir der Bus quasi vor der Nase wegfährt. Aber wenn ich und nicht der Bus derjenige bin, der zu spät war, dann nehme ich es sportlich und ärgere mich über mich selbst, anstatt lautstark dieser Pissnelke von Fahrer die Pest an den Hals zu wünschen. Und als mal mein Auto abgeschleppt wurde, weil ich es „nur ganz kurz und aufgrund einer persönlichen Notsituation" in einer Feuerwehrzufahrt geparkt hatte, dann hab ich halt in drei Teufels Namen die 280 Euro Gebühr bezahlt anstatt einen Prozess anzustrengen gegen diese übereifrigen Politessen, die sich einen Spaß draus machen, Autofahrer zu schikanieren. Oder zumindest gleich mal einen saftigen Beschwerdebrief zu schreiben.

    Warum fährt der Typ denn noch Straßenbahn, wenn doch alles soooo schlimm ist, werden Sie sich jetzt fragen. Ganz einfach: Weil es angesichts der steigenden Einwohnerzahlen Münchens auch immer mehr – diplomatisch formuliert – „schwierige Menschen" gibt, der Großteil aber – Gott sei’s gedankt – nach wie vor die Regeln des Anstands und der Straßenverkehrsordnung beherrscht. Die Münchner Verkehrsgesellschaft hat im Jahr 2016 insgesamt 578 Millionen Fahrgäste von A nach B gebracht. Bei der Tram allein waren es mehr als 120 Millionen. Der weitaus größte Teil davon, die berühmten 99 Prozent, will einfach nur schnell ans Ziel kommen, ohne ständig auf der Suche nach einer Konfrontation zu sein. Die allermeisten haben auch eine gute Erziehung genossen. Es ist das verbleibende eine Prozent, das uns allen das Leben schwer macht.

    Es gibt sie nämlich noch in der Mehrheit: die Menschen, bei denen „Bitte und „Danke zum Wortschatz gehört. Die einem auch mal ein Lächeln schenken, wenn man kurz auf sie wartet. Und mit denen man an der Endstation auch mal eine nette kleine Unterhaltung führen kann, über Gott und die Welt – oder auch mal über Gründe für Verspätungen, was eben diese Menschen dann auch nachvollziehen können. Weil sie nämlich über den eigenen Horizont hinausblicken können, realistisch und – und das ist das Entscheidende und bei weitem nicht Selbstverständliche – intelligent sind.

    Ich staune jeden Tag wieder über die Dummheit mancher Leute. Tut mir leid, aber

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