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Gesternland
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eBook317 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Nadjas Eintauchen in die Kultur des Mittleren Ostens bereichert ihren sorglosen Alltag als Frau eines Expats und Mutter zweier Kinder. Gemeinsam mit ihren Freundinnen nimmt sie die Missstände in den Vereinigten Arabischen Emiraten durchaus wahr, und dennoch gelingt es dem privilegiert lebenden Expat-Grüppchen, diese zugunsten eines komfortablen Lebens auf der Sonnenseite auszublenden. Zunehmend zeichnet sich ein Spannungsverhältnis zwischen den Kontrasten von Glamour, Luxus und Superlativen gegenüber den Menschenrechtsverletzungen ab. Auch die Konfrontationen mit der Scharia, die sich in ihrem Umfeld zeigen, bröckeln an der Fassade des Übermorgenlandes. Als Nadja selbst mit dem Rechtssystem in Konflikt gerät, wird nicht nur ihre Weltoffenheit auf eine harte Probe gestellt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Okt. 2021
ISBN9783754172094
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    Buchvorschau

    Gesternland - Antje Maria T. Frings

    1.Fernweh

    Nadja beugt ihre Schultern vor, zieht die Vorderseiten der grauen Alpaka-Strickjacke übereinander und verschränkt die Arme. Sie schaut durch das weiße Sprossenfenster in den Garten. Kraftlos vegetiert der moosdurchsetzte Rasen vor sich hin. Die Blätter der alten Bäume und mannshohen Büsche haben sich bunt verfärbt. Nur noch wenige Wochen und die Bäume werden wie Mahnmale im Garten stehen. Dann passt das graue Licht dazu. Oder wird es nur noch einige Tage dauern, bis das letzte Laub abgeworfen ist? Sie erinnert sich nicht mehr genau. Zu lange ist ein Herbst her, den sie in Deutschland verbracht hat. Zu viel ist geschehen, dass sie sich an diese Jahreszeit erinnern könnte. Und eigentlich will sie sich auch nicht erinnern.

    Hinter dem bedeckten Himmel steckt irgendwo die Sonne. Die Sonne, die woanders auf der Welt genau jetzt zu diesem Zeitpunkt strahlend scheint. Was würde sie darum geben, die Zeit zurückdrehen zu können. Warme Sonnenstrahlen auf der Haut spüren, orangefarbenes Licht hinter d en geschlossenen Augen wahrnehmen und sich leicht und lebendig fühlen. Stattdessen schleppt sie sich schwer und träge in die Küche, stellt den Wasserkocher an und bereitet eine Kanne für schwarzen Tee vor. Sie lächelt. Wie oft hat sie in den vergangenen Jahren morgens Tee gekocht und Mohamad davon in einer Thermoskanne mitgebracht, wenn sie zum Schwimmen an den Pool ging. Er hat sich jedes Mal über die Geste gefreut. Den Tee hingegen hatte er kritisiert. Zu dünn oder zu lange gezogen oder die Bergamotte-Note im Earl Grey passte ihm nicht. Sie hatte sich darüber immer amüsiert. Bei grauem Novemberhimmel und nasskaltem Wind hätte sie sich dagegen maßlos geärgert und den Tee-Service sofort eingestellt. Er hatte sich auch immer gefreut, sie frühmorgens zu sehen. Eine der wenigen Bewohnerinnen der Community, die sich auf Augenhöhe mit dem Lifeguard unterhielt. Die ihm das Gefühl gab, nicht nur Service-Personal zu sein. Und sie? Sie hatte den fremdartigen Einfluss in ihrem Leben genossen. Vielfältige Freundschaften – nicht nur hinsichtlich der geografischen Herkunft.

    I don’t feel comfortable to keep in touch with you.‘ Nadja lässt sich seine letzten, an sie gerichteten Worte auf der Zunge zergehen. Du biegst Dir deine Welt, wie sie Dir gefällt. Ich hätte allen Grund gehabt, den Kontakt zu beenden! Ich, nicht Du! Wäre so etwas wie eine Freundschaft überhaupt jemals möglich gewesen? Nach all dem? Eine Freundschaft zwischen einer Christin und einem Moslem?

    Sie greift zu ihrem Handy. Der WhatsApp-Info zu urteilen war Rebecca bereits online. „Ich bin‘s Nadja." Nadja stellt sich vor, wie Rebecca verschlafen im Yoga-Outfit ihre Sonnengrüße in Angriff nimmt und dieser Anruf das Vorhaben gerade vereitelt.

    „Ich ruf Dich in zehn Minuten zurück."

    „Ich freu mich darauf!" Sie meint es ernst und schenkt sich lächelnd eine Tasse Tee ein. Der Geruch katapultiert sie augenblicklich wieder zurück. In die räumlich und zeitlich ferne Welt. Nicht die real gemessene Zeit, mit einem aktuellen Zeitunterschied von drei Stunden. Die gefühlte Zeit, die sie glauben lässt, ihr Leben dort muss lange her gewesen sein oder vielleicht auch nur geträumt. Der durchdringende Telefonton reißt sie aus ihrem Versunkensein. +41 – die Schweizer-Vorwahl.

    „Bist Du mit deinem Yoga-Programm schon durch?"

    „An Yoga ist momentan gar nicht zu denken. Der Morgen ist dem Baby vorbehalten. Und der süße Fratz hat für mich derzeit kein morgendliches Yoga vorgesehen."

    „Lass uns zusammen in die Emirate fliegen!"

    Rebecca verschluckt sich, ringt nach Luft und räuspert sich. „Fernweh, meine Liebe?"

    „Ich weiß nicht…. Vielleicht…Ich glaube schon. Und ich wollte deine Stimme hören."

    „Meine Stimme gibt es nur noch im Doppelpack: hör mal…" Nadja hört zufriedenes Gebrabbel und Gegluckse.

    „Pack ihn ein, nimm ihn mit. Wird höchste Zeit, dass er alles dort kennenlernt. Seinen Zeugungsort."

    Stille.

    „Du hast Nerven!"

    „Ich meine es ernst. Wir besuchen Nina. Nadja lächelt bei dem Gedanken an Nina und ist sich in dem Moment hundertprozentig sicher, dass sich Nina über nichts mehr freuen würde. „Nina, Du und ich – wir drei. Als wäre keine Zeit vergangen, alles so wie früher. Ich komme mit dem Direktflug ‚Hamburg – Zürich‘ und hole Dich ab.

    „Nadja, nichts kann mehr so sein wie früher. Nach all dem was passiert ist. Und Du weißt auch, dass ich mir meinen gegenwärtigen Alltag anders vorgestellt habe. Bei Dir ist alles glimpflich ausgegangen. Überlege mal, was damals hätte passieren können. Dann wärst Du froh gewesen, noch rechtzeitig nach Deutschland zu kommen. Hast Du das denn alles vergessen?"

    Ein Kloß macht sich in Nadjas Hals breit.

    Wieder Stille.

    „Nadja, es tut mir leid, ich lebe im Hier und Jetzt. Alles andere war gestern."

    Langsam lässt Nadja den Telefonhörer sinken. Sie scheint in ein Scheinwerferlicht zu starren.

    2.Sharjah Police-Department

    Reflexartig kneift sie die Augen zusammen. „Was ist das?"

    „Bolice! Fahr los!"

    Vorsichtig blinzelt sie. Der grelle Scheinwerferstrahl leuchtet direkt in ihr Gesicht und schmerzt in den Augen. Ihre Gedanken erhalten einen Turbo-Boost, alle gleichzeitig, in Bruchteilen von Sekunden. Durchatmen. Sortieren. Sie schließt die Augen und atmet. Warum fällt den Arabern die Unterscheidung von B und P nur so schwer?

    „Worauf wartest Du, Nadja, gib Gas, verdammt."

    In ihrem Gesicht zuckt es. Danke für die Kostprobe deiner Bauernschläue. Bolice. Dazu noch mit einer Betonung auf der ersten Silbe. Dann kann dein Ratschlag auch nichts taugen.

    Als wäre eine Weiterleitung von Gehirn zur Hand unterbrochen, drückt sie trotzdem den Startknopf. Der Motor beginnt zu brummen. Sie muss irgendwie, und vor allem schnell, von diesem Parkstreifen herunter, zurück auf die Straße. Geradeaus, an dem auf der Straße stehenden Polizeiauto vorbei, und auf die Fahrbahn einscheren. Sie stellt den Schalthebel auf „D. Als neben ihr eine Sirene aufheult, erstarrt sie, lässt ihre Schultern fallen und verliert sich für einen Moment auf dem monströsen Fahrersitz. Mohamad flucht und lässt hektisch die Rückenlehne des Beifahrersitzes aufrecht fahren. Aus Augenschlitzen funkelt sie ihn an. „Das hast Du mir eingebrockt. Und fügt auf Deutsch hinzu, „triebgesteuerter Macho-Arsch."

    Schnell anfahrend und abrupt bremsend schneidet der Streifenwagen den einzig möglichen Weg ab und parkt schräg vor ihrem Wagen auf dem Seitenstreifen. Das Blaulicht kegelt rhythmisch über der weißen Motorhaube. Nadja schließt erneut die Augen. Wegfahren zu wollen - was hat mich gerade bloß getrieben? Wie erkläre ich, dass nur ein Scheinwerferlicht für mich keine Polizeikontrolle bedeutet?

    Erneut drückt sie den Startknopf und der Motor verstummt. Zwei Polizisten in khakifarbenen Uniformen und mit Schusswaffe am roten Gürtel steuern auf ihren Wagen zu. Vor jedem Fenster ein Beamter.

    Gott-sei-Dank, der Rock reicht über die Knie. Ich trage ein langärmeliges Shirt. Meine Haare sind wenigstens hochgesteckt. Und mein Dekolleté ist bedeckt.

    Sie fährt die Scheibe herunter. Ein Polizist steckt den Kopf in ihr Fenster, schnüffelt und schaut ihr ins Gesicht. „Die Papiere."

    Könnte man Sex eigentlich riechen? Sie greift ihre Umhängetasche von der Rückbank und zieht ihr Portemonnaie heraus. Sie reicht ihm einen emiratischen Führerschein.

    „German?"

    Sie nickt und hört gleichzeitig, wie Mohamad lautstark mit dem anderen Beamten spricht oder streitet.

    Selbst ein „ich liebe Dich" muss auf Arabisch aggressiv und bedrohlich klingen – jedenfalls von einem erregten Mann gesprochen.

    Angestrengt versucht sie Wortfetzen aus dem Dialog neben sich herauszuhören: „eine Bekannte…bringt mich nach Hause…in Sharjah… einem Arbeitercamp…."

    Okay, keinerlei falsche Anschuldigungen von Verführung...vielleicht haben sie seine Körperhaltung vorher nicht bemerkt…

    Ihr Herz schlägt bis zum Hals.

    „Your car?" Der Polizist hält fordernd eine Hand in die Fensteröffnung. Drei Finger der ausgestreckten Handfläche schwingen energisch auf den Handballen und zurück.

    Fahrzeugpapiere. Er will die Fahrzeugpapiere.

    Sie wühlt erneut in ihrer Handtasche und schüttelt den Kopf. „My husband‘s car" und streckt ihm das Dokument entgegen.

    Er neigt sein Gesicht tiefer in das Fenster und zieht langsam die Augenbrauen hoch. „That’s interessting." Er riecht nach Zigarettenrauch.

    Mit ihren Papieren in der Hand schlendert er zum Streifenwagen.

    Der andere Polizist schaut ins Beifahrerfenster. „Aussteigen."

    Sie schluckt, riskiert einen Seitenblick zu Mohamad. Er zieht eine Augenbraue schräg und schüttelt langsam den Kopf. „Du bist ver-hei-ra-tet!, und lauter zum Polizisten gewandt: „Ich auch?

    „Natürlich Du auch. Los jetzt."

    Ich weiß nicht, ob meine Knie mich tragen.

    Beim Aussteigen greift der Polizist ihren Ellenbogen. Reflexhaft löst sie ihren Arm aus seiner Umklammerung, dreht sich zum Wagen und verriegelt ihn. Er packt sie am Oberarm. „Gib mir dein Handy."

    Zittrig fingert sie mit einer Hand ihr Mobiltelefon aus der Umhängetasche. Mit ihrem Handy in der Hand öffnet er die Fahrzeugtür des Streifenwagens und drängt sie auf die Rückbank. Gegenüber öffnet der andere Beamte die Tür, schaut Mohamad an und nickt ins Wageninnere. Mohamad rührt sich nicht. „Wohin fahren wir?"

    „Auf die Wache. Steig‘ ein. Er schlägt hinter Mohamad die Tür zu. Sie fahren los. Vom Beifahrersitz dreht er sich langsam nach hinten, betrachtet Nadja von Kopf bis Fuß und hält ihr schließlich ihr Handy entgegen. „Die Nummer deines Ehemanns, bitte.

    Vorgebeugt drückt Nadja die Tastenkombination für die Entsperrung, geht auf ihre Anrufliste und tippt auf den obersten Eintrag: Henny. Er lehnt sich zurück und wählt. „Vermissen Sie Ihre Frau gar nicht? Wir haben sie aufgegriffen. Kommen Sie bitte zur Polizeiwache in Sharjah. Al Buhairah."

    Nadja schluckt und befeuchtet ihre Lippen. Sie greift an ihren Hals und schluckt erneut. Aus den Augenwinkeln sieht sie die Leuchtreklamen der kleinen Shops, die wie bunte Plastikperlen auf einer Kette den Straßenverlauf säumen.

    Lautes Stimmengewirr, Menschengewusel, unterschiedliche und schrille Klingeltöne prallen auf sie ein, als sie in den Eingang des Polizeigebäudes geschoben werden. Weißes Neonlicht scheint aus den Deckenröhren. Mohamad und Nadja werden in unterschiedliche Büros geführt. Nadja schaut sich hilfesuchend um. Telefone und Kaffeebecher stehen auf zwei Schreibtischen. In der Ecke ein Schreibplatz mit PC. Man weist ihr einen Holzstuhl zu. Mitten im Raum. Ständig gehen Türen auf und wieder zu und Uniformierte betreten die Schreibstube. Nach einiger Zeit des Wartens öffnet sich die Tür in ihrem Rücken und sie kann nur ahnen, wer kommt. Henny streicht ihr über den Schultergürtel. „Nadja, alles in Ordnung?"

    Sie steht auf und stolpert in Hennys Arme, Tränen laufen über ihr Gesicht. Sie vergräbt ihr Gesicht in seine Halsbeuge und flüstert: „Ich habe Mohamad nach dem Unterricht nach Hause gebracht. Sein Bus war weg."

    „Schluss mit der Theatralik. Setzen Sie sich bitte. Beide. Henny wird ein Stuhl an der Seite eines Schreibtisches angeboten. Er zwinkert ihr zu, und wendet sich an den Polizisten, der ihn hereingeführt hat. „Das ist ein blödes Missverständnis, und Sie tun uns einen großen Gefallen, wenn wir das hier schnell aus der Welt bringen. Unsere kleinen Kinder sind allein zu Hause.

    Der Polizist nickt. „Mr. Nasser wird gleich hier sein."

    Eine Tür schwingt auf. Der eintretende Polizist hält mit der linken Hand ein Handy an sein rechtes Ohr und spricht. Über den Brillenrand mustert er kurz Nadja auf ihrem Stuhl. Er setzt sich auf die Tischplatte vor Henny. Abwechselnd bölkt er auf Arabisch oder nickt. Nach einer längeren Folge, von „tayib…tayib…tayib… legt er schließlich auf und dreht sich zu Henny. „Das, er zeigt mit dem Finger auf Nadja, „ist Ihre Frau?"

    Henny nickt.

    „Und was macht Ihre Frau nachts mit einem Mann in Ihrem SUV in Sharjah?"

    Henny schluckt. „Mohamad ist der Lifeguard in unserer Community und bringt meiner Frau Arabisch bei. Sie hat ihn freundlicherweise nach Hause fahren wollen."

    Der Beamte richtet seinen Blick auf Nadja und spricht sie auf Arabisch an. Nadja reagiert, mit einem langgezogenen „yanni, al-Hamdu’lillah."

    Der Polizist grinst, dreht sich zu Henny. „Vielleicht melden Sie ihre Frau besser für einen offiziellen Sprachkurs bei einer ausgebildeten Lehrerin an. Dann lernt sie nicht Ägyptisch. Er steht auf, spricht zu seinem Kollegen, der Nadjas Papiere und Mobiltelefon Henny überreicht. Mr. Nasser greift zur Türklinke und dreht sich zu Henny. „Und passen Sie ein bisschen besser auf ihre Frau auf. Sie braucht offensichtlich Rechtleitung. Er verlässt den Raum.

    Die Straßenlaternen verströmen wohlig gelbes Licht und weisen den Weg in der Dunkelheit. Mitten in der Nacht. Nadja seufzt, „danke, Henny." Sie schaut aus dem Beifahrerfenster und lässt die auf sie zukommende Skyline auf sich wirken. Sie schließt die Augen und atmet tief ein und aus.

    Henny schweigt und gibt Gas.

    „Es tut mir leid. Ich habe niemanden in Schwierigkeiten bringen wollen, flüstert sie, „am wenigsten Dich.

    Mit durchgestreckten Armen krallt Henny in das Lenkrad und starrt geradeaus auf die Fahrbahn. „Tu mir einen Gefallen und lass mich mit Deinem Scheiß in Ruhe." Er drückt das Gaspedal weiter durch.

    Nadja schaut durch einen Tränenfilm auf die Bauzäune entlang der Sheik Mohammad bin Zayed Road.

    3.Expat-Enklave: Arabian Ranches

    „Ich hätte fast nicht mehr mit Dir gerechnet", ruft Nina von ihrem Liegestuhl und beobachtet wie Nadja blitzschnell mit einem Fuß die massive Tür zum Pool vor dem Zufallen bewahrt und sich seitwärts in voller Größe und mit eingezogenem Bauch dagegen presst. Zwei Jungs drängeln sich an ihrer sperrigen Umhängetasche und einem aufgeblasenen Schwimmtier vorbei und rennen zum Planschbecken.

    „Noch habe ich es nicht geschafft. Nadja lacht. „Du könntest mir ja mal helfen!

    In zackigem Gang kommt Nina auf sie zu, durchtrainiert und athletisch. Ihr Körper hat seine Turner-Vergangenheit nicht vergessen. Im selben Moment ertönt erst ein Platschen, dann ein Schrei. Alexander scheint konzentriert abzuwägen, ob er es mit seiner kurzen Hose noch eine weitere Stufe tiefer ins Wasser des Planschbeckens wagen kann und reicht seinem Bruder schließlich die Hand. Fred lässt sich lachend zum Rand ziehen und setzt sich klitschnass auf eine Stufe. Bevor der Lifeguard am anderen Ende des Schwimmerpools überhaupt etwas bemerkt, ist Nadja bei ihren Kindern. Fred schlägt abwechselnd die Füße auf die Wasseroberfläche des knietiefen Beckens und johlt, wenn die Spritzer Alexander erreichen. Vorwurfsvoll schaut Alexander seine Mutter an. „Ab jetzt passe ich nicht mehr auf", und läuft zum Ausgang zurück. Nadja streckt ihren Hals und sieht Alexanders Freund Fin an der Tür stehen und Alexander zu sich winken. Sie nickt, hockt sich neben Fred und lässt sich bespritzen. Fred gluckst vor Vergnügen, reißt seine wenigen Klamotten herunter und springt ins Becken zurück.

    „Nein, erst eine Badehose anziehen. Komm wieder raus, Fred. Noch während sie spricht geht sie zu ihrer hektisch abgeworfenen Badetasche und kramt nach passenden Badesachen. „Muss doch hier irgendwo drin sein, murmelt sie. Während sie sucht, planscht Fred vergnügt im Becken und quietscht vor Freude. „Was ist eigentlich dabei, einen kleinen Jungen nackt planschen zu lassen? Der geht schon auf Klo, wenn er muss. Aber nun gut…. Nadja schimpft vor sich hin und sucht immer noch nach einer Badehose. „Ein bisschen eng vielleicht…mittlerweile, brummelt sie, zieht eine Badeshorts hervor und legt sie auf die Steinfliesen. Aufgerichtet zeigt sie mit dem Finger auf den Boden. „Fred, anziehen!. Sie schwingt den Taschenhenkel über ihre Schulter und steuert auf die freie Liege zu, die Nina gerade dichter an ihre rückt. Nadja setzt sich. „So, der Nachmittag kann beginnen.

    Nina nickt mit dem Kopf zum Planschbecken. „Ungewohntes Bild, übrigens."

    „Dass er nackt in den Pool springt?"

    „Dass er sich selbst anzieht." 

    „Ich bitte Dich, er ist vier Jahre alt, murmelt Nadja. „Nur weil andere von ihren Maids angezogen werden.... Sie schüttelt den Kopf.

    „Hi. Fred is all right?" Der Lifeguard steht etwas unschlüssig vor ihnen.

    „Because of his jump into the water half an hour ago you mean? You’re the lifeguard on duty today? Herausfordernd grinst Nadja ihn an. „Hi Mohamad, how’re you? How’s your everyday life here without the most welcome family?

    „Al-Hamdu’lillah, thank you, kullu tamam – everything is fine." Nadja zieht ein Badelaken aus ihrem Korb, zieht ihr Trägerkleid über den Kopf und macht es sich auf der Liege bequem. Mohamad schaut erst auf den Fliesenboden, dann in die Bougainville-Büsche hinter dem schmiedeeisernen Zaun, nickt schließlich Nina und Nadja zu und verdrückt sich an seinen Platz unter dem verblichenen Sonnenschirm.

    Nina schaut hinterher. „Ist irgendwie auch ätzend den ganzen Tag hier in der Hitze am Pool."

    „Fünfzehn Stunden lang."

    „Wie lange?"

    „Der Pool öffnet morgens um halb Acht und schließt abends um halb Elf."

    „Aber da gibt es doch einen Schichtwechsel."

    „Klar und einen Betriebsrat."

    „Wer kann es denn fünfzehn Stunden bei über 45 Grad draußen aushalten?"

    „Auf den Baustellen gibt es keine Sonnenschirme."

    „Von seinen Arbeitszeiten wusste ich nichts. Aber ich bin auch nicht so konsequent morgens, mittags und abends am Pool wie Du. Zumindest früher. Sie wartet auf eine Reaktion. Aber Nadja döst. Nach einer Weile fragt sie schläfrig, „bist Du heute eigentlich schon geschwommen?

    „Halbherzig. War so voll als ich kam… Naja, und auch heiß. Also eher heiß als voll. Sie lacht und fährt fort, „tatsächlich war nur die disziplinierte Italienerin im Pool und zog eisern in sengender Hitze ihre Bahnen. Mindestens vierzig.

    „Die, die sich mal über Mohamads Beten am Pool beschwert hat?"

    „Die Story kenn‘ ich gar nicht."

    „Echt nicht? Mohamad hat früher immer irgendwann seinen Gebetsteppich da hinten am Zaun ausgerollt und gebetet. Und sie hat ihn dann gefragt, ob Gott in der Zeit ein Auge auf die Nichtschwimmer hätte."

    Nina kann sich vor Lachen kaum auf der Liege halten. „Ist aber auch eine berechtigte Frage."

    Nadja grinst. „Klar. Aber es gibt in der fünfzehn- Stunden-Schicht auch keine Pausen. Da fallen dann, lass mich überlegen, Dhur, Asr, Mahgrib und Isha, also bis auf das Sonnenaufgangsgebet eigentlich alle Gebete während seiner Arbeitszeit an."

    Nina bläst ihre Wangen auf und dreht sich um. „Wo sind Fin und Alexander überhaupt?"

    Durch die rotblühenden Bougainville und die dahinter beginnende Abtrennung des Tenniscourts sieht sie ihren Sohn einen Tennisball mit der Hand übers Netz schlagen. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt sie Alexander, der den Ball annimmt und zurückschlägt. Nadjas Blick kreist zum Kinderbecken. Fred plantscht zusammen mit einem britischen Jungen unter der Aufsicht einer Maid. Sie dreht sich zu Nina und gibt das Startsignal: „Wir können ungestört schwimmen!"

    „Na, dann los."

    Sie haben das Becken fast für sich allein und schwimmen ihre Bahnen. Jede in ihrem Tempo und ohne Gequatsche – so war es immer schon. Mohamad steht am Beckenrand und kommentiert, „good Swim-Style, Nadja! Nadja streckt ihren Kopf kurz aus dem Wasser. „Thank you – thanks for having taught me.

    Wieder geht die schwere Tür zum Pool-Bereich auf. Rebecca. Sie ist allein. Ihr dunkles Gesicht und ihr ledriges Dekolleté bezeugen ihre tägliche Beschäftigung: das Chillen am Pool. Sie stellt sich an den Beckenrand. „Nadja! So eine Überraschung! Hattest Du Heimweh?"

    „Ich fühle mich, als wäre ich nie weggewesen."

    Nadja schwimmt zur Treppe und setzt sich auf eine der unteren Stufen.

    „Wie ist es denn in Mirdif? Habt ihr euch schon eingelebt?"

    „Es ist okay. Nicht mit dem Komfort hier zu vergleichen, aber in Ordnung. Das einzige, was echt nervt, ist der Fluglärm. Du kannst Dich auf unserer Einweihungsparty davon überzeugen."

    „Oh cool. Wann denn?"

    „Erstes Wochenende im Oktober.

    „Ich weiß nicht, ob Stefan dann schon zurück ist, aber mich und meinen Beitrag zum Buffet kannst Du fest einplanen."

    „Gekochtes, Gebackenes oder Eingelegtes von Dir! Eine gesunde Party!"

    Rebecca grinst. Sie rutscht eine Stufe tiefer und steckt ihre Füße in das Becken. „Das mit dem Fluglärm sagen ja viele. Aber das verändert sich doch, oder? Das hängt doch mit der Windrichtung zusammen. Dachte ich zumindest."

    „Kann ich mir nicht vorstellen, dass der Wind bei unserer Lage noch etwas ausrichten kann. Die Flieger gehen über unserem Pool runter. Die Jungs finden es super, die Nummern der Emirates-Maschinen lesen zu können. Alexander hat schon mit einer Art Flugtagebuch angefangen." Nadja schaut über sich in den blauen, flugzeuglosen Himmel. Alles ist hier größer, freundlicher, angelegter. Vielleicht kultivierter? Mirdif ist dagegen schäbig.

    Mohamad schlurft langsam um den Pool und steuert scheinbar zufällig auf sie zu. „Hi Rebecca. How’re you? Where have you been this morning?"

    Nadja guckt ihn irritiert an. So viel Vertrautheit. Macht er das absichtlich? Meint er, er könne mich eifersüchtig machen, in dem er sich für die nächste interessiert?"

    „Svea had to see the doctor. Nothing serious but it took its time."

    „Svea?, wiederholt er. „She’s all right, I hope.

    „As I’ve said, nothing serious. Just a check-up."

    Nadja mustert ihn von Kopf bis Fuß. Wieviel Neugier. Was geht es Dich an, welche Töchter hier wann zum Arzt gehen? „Hopefully she’s not pregnant, wirft Nadja amüsiert ein. Sie grinst, als sie in Mohamads versteinertes Gesicht schaut. Rebecca wirft lachend den Kopf zurück. „Better not. I don’t want to become a Grandma that early!

    Mohamad starrt Nadja einen Moment direkt und trotzdem regungslos an, nickt dann in Rebeccas Richtung und geht weiter.

    „Warum reagiert er denn jetzt so beleidigt?"

    Nadja zuckt mit den Schultern. „Man muss ihn ja mal konfrontieren dürfen. Mit dieser Scheinheiligkeit, Doppelmoral, Bigotterie…."

    „Ach, Du meinst, er ist echauffiert, weil wir ‚keinen Sex vor der Ehe‘ so leichtfertig abtun?"

    „Auch. Obwohl ich das durchaus respektiere. Aber diese Maßstäbe sollten für ihn genauso gelten."

    „Habt ihr eigentlich einmal über diesen Vorfall in Sharjah gesprochen?"

    Nadja schüttelt den Kopf. „Wir tun beide so, als wäre nie etwas gewesen. Klappt ganz gut, wie man sieht."

    „Er war verwirrt damals, oder? Er konnte deine freundliche Geste nicht von einem unmoralischen Angebot unterscheiden, nicht wahr?"

    Nadja zuckt erst mit den Schultern und dreht sich dann zu ihr. „Willst Du seinen versuchten Übergriff etwa entschuldigen? Nadja beobachtet Mohamad auf der anderen Seite des Beckens. „Rebecca, eines Tages werde ich ihm noch einmal einen Spiegel vorhalten.

    Nina kommt zu den Treppenstufen geschwommen. „Sag mal, was ist eigentlich mit eurer Einweihungsfeier?"

    „Ach ja, da waren wir stehen geblieben. Also, am Freitag in zwei Wochen. Dann wären wir, hoffe ich zumindest, soweit fertig… Ich meine, wenigstens soweit, dass man Gäste einladen kann."

    „Klingt gut, ist notiert. Was können wir mitbringen?"

    „Ganz ehrlich, alkoholische Getränke. Wir haben unser Kontingent bei African + Eastern ausgereizt, als Hennis Vater neulich da war."

    Nina lacht. „Ich erinnere mich. Die lieben Schwiegereltern haben den sorgsam angesammelten Wein-Vorrat in kürzester Zeit dezimiert."

    Nadja schüttelt

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