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Smartphone, Sorgen und Salbei
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eBook359 Seiten4 Stunden

Smartphone, Sorgen und Salbei

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Über dieses E-Book

"Sie sind zu alt und zu teuer für diese Firma!" Diesen Satz knallt Irenes Chef ihr vor den Latz, einen Tag nach ihrem 55. Und er droht damit, sie wegzurationalisieren. Für Irene eine existentielle Bedrohung, denn ohne Partner oder Familie ist sie auf ihr Gehalt angewiesen. Mehr noch, ihre Mutter dümpelt in einem Heim in einer Welt des Vergessens vor sich hin; von dort ist keine Unterstützung zu erwarten. Und wie soll sie in ihrem Alter noch eine andere bezahlte Arbeit finden, von der sie leben kann? Aber nach fast 30 Jahren arbeiten mit 57 auf Hartz IV...
Rein theoretisch könnte ihre Tochter ihr helfen, aber Irene hat zu Sabine ein sehr distanziertes Verhältnis. Hilfe von ihr anzunehmen ist absolut keine Option.
Geldmangel, Einsamkeit und das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden - sieht so ihre Zukunft aus? Diese Aussicht stürzt Irene in eine tiefe Krise - schafft sie es, sich daraus zu befreien? Allein?
Tapfer kämpft sie gegen die Schikanen ihres Chefs an, der mit allen Mitteln versucht, sie loszuwerden. Und stolpert und fällt und entwickelt eine Krankheit nach der anderen - bis das Blatt sich wendet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. Dez. 2018
ISBN9783746793252
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    Buchvorschau

    Smartphone, Sorgen und Salbei - Karin Firlus

    cover.jpg

    Copyright: © Karin Firlus / Dezember 2018

    Verlag: epubli GmbH, Berlin / www.epubli.de

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Alle Bilder im Buch sind urheberrechtlich geschützt. Die Benutzung dieser Bilder ist nur mit schriftlicher Erlaubnis von Maria Winter gestattet, bei der alle Rechte liegen.

    www.karinfirlus.com/

    Umschlagabbildung und Umschlaggestaltung: www.winter-design.eu

         Karin Firlus

      SMARTPHONE, SORGEN und SALBEI

    Kapitel

    1) Der Schock

    2) Schwerer Gang

    3) Bestandsaufnahme

    4) Beautyprogramm

    5) Ein bisschen von allem

    6) Advent, Advent, es brennt, es brennt!

    7) Es fühlt sich so gar nicht wie Urlaub an!

    8) Bin ich wirklich so blöd?

    9) Neues Jahr, neue Strategie

    10) Krankheit ist auch ein Weg –

    11) – aber ein sehr beschwerlicher

    12) Liebe – das ist was für die anderen

    13) Bleibt mir bloß alle vom Leib!

    14) Auf dem Weg nach unten

    15) Ein erster Hoffnungsschimmer

    16) Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

    17) Sich erholen – wie ging das nochmal?

    18) Der Knoten platzt

    19) Mutter und Tochter

    20) Alles hat seine Zeit …

    21) Neue Chancen

    22) Und mit einem Mal ist die Welt bunt!

    23) Kräuter, ein bisschen Mut und Chuzpe – was braucht es mehr?

    24) Vielleicht einen Mann?

    Anmerkung der Autorin

    Leseprobe

      Weitere Romane von Karin Firlus

    Mitte Oktober

    Mir war nicht klar, dass Älterwerden bereits diesseits der sechzig anfängt. Natürlich geschieht das nicht mit einem Paukenschlag. Ich wachte nicht eines Morgens mit schmerzenden Gelenken auf und dachte: Jetzt werde ich alt. Es sind vielmehr die subtilen Details, die sich fast unbemerkt einschleichen und in meinem Leben festsetzen wie die Kalkablagerungen in meinen Venen.

       Ich sitze in einem Café und warte auf mein bestelltes Frühstück. Es ist ein gewöhnlicher Arbeitstag im Oktober, ich habe meinen jährlichen Routinetermin beim Zahnarzt hinter mich gebracht und nun das Gefühl, mich für diese Heldentat belohnen zu dürfen. In einem Anfall von leichtsinniger Erleichterung habe ich beschlossen, nicht gleich ins Büro zu hetzen und den täglichen Wettlauf mit der nicht enden wollenden Arbeit aufzunehmen, sondern in einem Café gemütlich zu frühstücken. Schließlich habe ich mir vorsichtshalber bis elf Uhr freigenommen und jetzt ist es erst kurz vor neun. Noch während ich forsch meine Schritte in Richtung Café lenkte, debattierten mein Kopf und mein Bauch miteinander.

       Mein Kopf sagte: „Du weißt doch genau, wie viele unerwünschte Kalorien du dir damit einverleibst! Ein Spaziergang an der frischen Luft täte dir jetzt besser. Mein Bauch sagte: „Tu’s einfach und genieß‘ es!

       Ich ignorierte die Stimmen und setzte mich an den letzten freien Fensterplatz, so als sei dies selbstverständlich, mitten unter der Woche einfach frühstücken zu gehen. Aber schließlich war gestern mein Geburtstag, ein halbrunder sozusagen, und ich habe nichts besonders Schönes oder Außergewöhnliches unternommen. Das hole ich jetzt nach.

    Ich sehe mich in dem Raum um und stelle fest, dass ich mitnichten die Einzige bin, die an diesem Vormittag im Café sitzt, um sich eine Auszeit zu gönnen. Ich scanne die Männer und Frauen an den anderen Tischen und stelle fest, dass sie sehr zufrieden dort sitzen und mir den Eindruck vermitteln, als täten sie das öfter oder zumindest, als müsse man kein schlechtes Gewissen haben, wenn man mitten am Morgen da sitzt und nichts arbeitet. Oder haben die alle Urlaub?

       Ich entspanne mich nur zögerlich; irgendwie habe ich doch ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht sofort ins Büro geeilt bin. Aber da kommen mein Croissant, ein doppelter Espresso und ein stilles Wasser. Ich rühre einen Kaffeelöffel voll Zucker in mein schwarzes Heißgetränk, trinke einen Schluck Wasser und beiße genüsslich in das noch warme, knusprige Blätterteigteilchen. Ah – lecker!

       Während meine Geschmacksnerven mit Glücksbotschaften um sich werfen, hat mein Kopf Denkpause. Aber sobald Teller und Tasse leer sind, wartet noch immer das fast volle Glas mit dem zu kalten Wasser darauf, geleert zu werden. Schnell hinuntertrinken kann ich es nicht, das tut im Magen weh. Und plötzlich fällt mir ein, dass meine Mutter seit Jahren über das eiskalte Wasser klagt, das man in Restaurants serviert bekommt. ‚Oh nein‘, denke ich, ‚jetzt werde ich schon wie sie‘!

    Ich habe vergessen, die Tageszeitung einzustecken. So sitze ich vor meinem zu kalten Wasser und kann nichts lesen. Rauchen darf man ja heutzutage auch nicht mehr in geschlossenen Räumen, das hätte zumindest meine Finger und meine Lunge beschäftigt. In Ermangelung einer sinnvollen Tätigkeit und innerlich nun doch ziemlich gehetzt, lasse ich meinen Blick also wieder durch den Raum schweifen.

       Die ältere Dame mit den rosa lackierten Fingernägeln am Nachbartisch ist voll und ganz darauf konzentriert, ihr Stück Schwarzwälder so in ihren Mund zu verfrachten, dass möglichst wenig Sahne auf ihrem Teller verbleibt.

       Das Paar am Tisch daneben schiebt diverse Teller mit Rührei, Wurst-und Käsevariation mit halber Kirschtomate und einer dünnen Scheibe Salatgurke so auf dem kleinen runden Tisch umher, dass weder Salz-und Pfefferstreuer noch Brotkorb herunterfallen sollen. Schließlich stellt sie die übergroße Speisekarte und er das Teelicht in dem Keramikhalter mit bunten Dekosteinchen auf den leeren Nachbartisch.

       Die vier Alten am Tisch vor meinem sitzen stumm mit versteinerten

    Gesichtern vor sich hin und stieren immer wieder zum Fenster hinaus. Sie wirken, als seien sie aus dem Altersheim ausgebüchst und warteten darauf, früher oder später wieder eingesammelt zu werden.

       Im hinteren Bereich entdecke ich einige jüngere Leute, die einzeln an ihrem jeweiligen Tisch sitzen. Mir fällt auf, dass einer von ihnen ein Handy ans Ohr hält und seine Lippen sich zwischendurch bewegen. Die anderen blicken konzentriert auf ihren Tisch vor sich. Dort liegt ein kleines Teil und als Mensch des 21. Jahrhunderts erkenne ich mühelos, dass die eine oder andere Hand, die von oben nach unten oder von rechts nach links über das Teil fährt, es nicht etwa von Staub befreien oder streicheln will. Nein! Dort wird gearbeitet oder zumindest der Anschein von sinnvoller Beschäftigung kolportiert.

       Die kleinen Teile sind nämlich schlaue Sprechapparate, die neudeutsch Smartphones heißen. Sie sind internetfähig, damit der jeweilige User – zu Deutsch derjenige, der sich das elektronische Teil für nicht wenig Geld in sein Must-Have-Eigentum einverleibt hat – sekündlich mit dem gesamten Rest der Welt in Verbindung steht, sofern er dies will. Und er oder sie will! Das ist das für mich Erstaunliche.

       Ich denke daran zurück, als die einfachen Vorläufer, schlichte Handys, den ersten Telefonierboom auf Deutschlands Straßen auslösten. Das ist noch gar nicht so lange her. Ich war damals erstaunt, wie viele Arbeitnehmer tagsüber mit diesen Wundertelefonen unterwegs statt an ihrem Arbeitsplatz waren.

       Bis ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stand und aus meiner Wartebrüterei von einem hellen, perlenden Signalton aufgeschreckt wurde: Die lippengepiercte junge Frau vor mir zog mit einer geschmeidigen Geste, die ich früher nur von John Wayne beim Revolverziehen kannte, ihr Handy aus der Jeanstasche und bellte: „Ja?" Es klang durchaus professionell und ich hoffte, dass sie in ihrer vermeintlichen Frühstückspause keine Firmengeheimnisse ausplaudern würde, da ja jeder Umstehende das Gespräch würde mitanhören können bzw. müssen.

       Aber ihre Antwort zerstreute meine Befürchtungen: „Nää, isch bin grad beim Ladi. Awwa do hänn se aah kä Läptops mehr. Isch kumm hääm un dann fahre ma glei ins Mediacenter. Isch bin doch ned bleed!"

       Nachdem ich noch einige ähnlich „wichtige Telefonate in der Öffentlichkeit hatte mitanhören müssen, weil die körperliche Nähe zu den Telefonierenden unumgänglich war, beschloss ich, ohne dieses neumodische Rauchsignal auskommen zu wollen. Erst viel später, als so ziemlich jeder außer mir und meiner Mutter Handybesitzer war, reihte ich mich in die Massen derer ein, die „ohne nicht mehr leben konnten. Schließlich konnte ja wirklich einmal ein Fall eintreten, in dem ich es brauchen würde: Ich bin abends allein unterwegs, es ist spät und ich finde in dem großen Parkhaus mein Auto nicht wieder; oder ich entdecke in einer Apotheke die Umschau und weiß nicht, ob meine Mutter sie schon hat oder ob ich sie ihr mitbringen soll, damit sie die Rätsel bearbeiten oder sich darüber informieren kann, was es alles für Krankheiten gibt, die sie rein theoretisch alle bekommen kann oder schon haben könnte, ohne es zu wissen. Und kaum hatte ich ein Handy, mit dem ich telefonieren und sogar sogenannte SMS-Nachrichten verschicken konnte, kamen diese neuartigen Smartphones auf den Markt.

       Nun stelle ich an diesem Morgen zum ersten Mal bewusst fest, dass heutzutage wohl jeder, der etwas auf sich hält, solch ein internetfähiges kleines Telefon sein Eigen nennt. Ich brauche solch ein Teil definitiv nicht auch noch und frage mich, wo die vielen Handys geblieben sind, die als Smartphones natürlich nicht genutzt werden können, da sie zu klein sind. Wie werden sie entsorgt?

    Ich trinke mein Wasser leer und beschließe, mich doch früher als elf Uhr meiner geduldig wartenden Arbeit zu widmen. Irgendwie fühle ich mich in diesem Café wie eine Außenseiterin, denn ich kann mich weder in die Gruppe der wenigen Leute einsortieren, die eher im Alter meiner Mutter sind, noch gehöre ich zu den eifrigen Smartphonenutzern.

       Wo also ist meine Nische? Gibt es so jemanden wie mich eigentlich noch? Vielleicht wird es Zeit, dass ich in meinem Leben etwas ändere, wenn ich nicht zum sprichwörtlichen alten Eisen gehören will.

    Auf dem Weg zum Parkplatz hole ich das nach, was ich in früheren Zeiten bei einem Kaffee und der Tageszeitung genossen habe: Ich rauche eine Zigarette und ignoriere die mahnenden Blicke etlicher Zeitgenossen, die mir wieder vor Augen führen, dass Raucher heutzutage zu wahren Außenseitern geworden sind. Blicke anderer Art, nämlich bewundernde oder zumindest interessierte von Männern meines Alters, kann ich keine entdecken. Ich scheine, zumindest als Frau, unsichtbar geworden zu sein.

       Unfreiwillig und kostenlos bekomme ich noch Ratschläge für eine gesunde Lebensgestaltung. Die Auslagen in einer Apotheke preisen ein neues Schlankheitsmittel an, das „garantiert innerhalb kürzester Zeit zum gewünschten Erfolg führe. Auf der Titelseite einer Frauenzeitschrift prangt die erschlankte Figur eines weiblichen C-Promis mit der fetten Überschrift: „Die neue Herbstdiät ohne Jojoeffekt!

       Ich frage sich, wie lang es gedauert hat, die wirklichen Kurven mit dem entsprechenden Computerprogramm zu retuschieren. Dennoch kaufe ich anschließend in der Bäckerei an der Ecke ein Kilo Brot mit mindestens 70% Roggenanteil anstatt das frische Baguette, das mich anlacht. Bin ich doch nicht so immun gegen jegliche Art von Werbung, wie ich immer geglaubt habe?

       Ich schaffe es locker, kurz nach halb elf im Büro einzulaufen.

    Kapitel 1: Der Schock

    „Sie sind zu alt - und zu teuer! Das kann unsere Firma sich auf Dauer nicht leisten." Er sagte es völlig emotionslos, so, als sei dies eine unumstößliche Tatsache.

       Irene stand da und starrte ihren Chef an. Sie war gerade von ihrem Zahnarzttermin gekommen und sogar eine halbe Stunde früher als angekündigt im Büro zurück. Am Tag zuvor war er auf einer Konferenz gewesen; er hatte ihr nicht einmal telefonisch zu ihrem Fünfundfünfzigsten gratuliert. Anstatt es jetzt nachzuholen, hatte er sie in sein Büro zitiert und ihr dieses Urteil an den Kopf geknallt.

       Sie schluckte krampfhaft den Kloß in ihrem Hals hinunter und sah ihm, unter Aufbietung all ihren Mutes, in die Augen. „Und was heißt das jetzt konkret?"

       „Dass ich alles versuchen werde, Sie innerhalb der nächsten zwölf bis maximal vierundzwanzig Monate loszuwerden!" Sein Blick glitt von ihrem Gesicht zu seinem Computerbildschirm und seine Hand griff zum Telefon – das Gespräch war von seiner Seite aus beendet.

       Irene drehte sich um, ging ins Vorzimmer zurück, schloss energisch die Tür zu seinem Büro und sank auf ihren Bürostuhl.

       ‚In ein bis zwei Jahren …‘ Ihre Gedanken rasten. Mit spätestens siebenundfünfzig würde sie auf der Straße stehen, ohne die geringste Chance, in diesem Alter noch eine bezahlte Arbeit zu finden. Sie wäre zwei Jahre arbeitslos gemeldet und danach „auf Hartz IV. Nach achtundzwanzig Jahren, in denen sie sich mit guter Arbeit und Engagement für „ihre Firma eingesetzt hatte, einfach so abserviert. Unvermittelt schossen ihr Tränen in die Augen.

       Ihre Kollegin kam mit einem Becher Latte Macchiato herein. „Nanu, was ist denn mit dir los?"

       Irene wischte sich übers Gesicht. „Meinert hat mir soeben angekündigt, dass ich zu alt und zu teuer bin, deshalb will er mich so schnell wie möglich hier rausekeln."

       Britta schlürfte von ihrem Latte. „Nun, es ist ja kein Geheimnis, dass er die Firma verschlanken will. Und das heißt eben auf gut Deutsch, dass er die alten Mitarbeiter loswerden muss."

       „Alt? Irene sah ihre zwanzig Jahre jüngere Kollegin schockiert an. „Ich bin doch nicht alt! Ich arbeite erst seit knapp dreißig Jahren für diese Firma. Der Vater von unserem letzten Chef hat mich damals eingestellt. Und sowohl er als auch sein Sohn waren immer mit meiner Arbeit zufrieden!, fügte sie trotzig hinzu.

       „Sag ich doch. Du arbeitest hier seit Ewigkeiten. Und du musst doch zugeben, dass du nicht mehr so schnell bist wie früher und so flexibel auch nicht mehr."

       Irene funkelte Britta ungehalten an. „Das mag wohl sein; dafür kenne ich die Firma in- und auswendig. Wer hat dir denn alles beigebracht, als du vor zwei Jahren hier angefangen hast?"

       „Das warst du. Aber allmählich gehst du auf die sechzig zu und bist eben nicht mehr so leistungsfähig wie früher. Der Meinert versucht doch, seit er vor achtzehn Monaten hier anfing, den Gewinn der Firma immer mehr zu steigern. Das wird von den Topmanagern heutzutage erwartet. Gewinnmaximierung, nichts anderes zählt. Das bedeutet, er braucht ein top leistungsstarkes Team und somit möglichst viele junge Mitarbeiter, die schnell arbeiten und sich auf neue Situationen direkt einstellen können."

       Irene schwieg. Schnell und flexibel zu sein war ihrer Meinung nach nicht das einzig Wichtige bei der Arbeit. Man musste auch genügend Kenntnisse und Erfahrung einsetzen können. Daran mangelte es vielen jüngeren Mitarbeitern; auch an der Einstellung zur Arbeit.

       Irene erinnerte sich an das letzte Mal, als Azubis nach ihrer Prüfung übernommen werden sollten: Ein einziger war es nur; die anderen fünf, die zuvor in der Firma gelernt hatten, waren nicht gut genug. Und an neuen Azubis hatten sie nur zwei eingestellt, obwohl sie wesentlich mehr hätten gebrauchen können; doch viele junge Leute heutzutage brachten noch nicht einmal die wichtigsten Voraussetzungen mit, wie eine ordentliche Rechtschreibung und zumindest die Kenntnis der Grundrechenarten.

       Aber, dachte Irene, für Britta sah das anders aus; sie als Fünfunddreißigjährige und nur zweite Schreibkraft bekam längst nicht so viel Gehalt wie Irene. Dass ihre Briefe fast immer vom Chef verbessert zurückkamen und Irene meist diejenige war, die Überstunden drosch, weil Britta ja ihr Privatleben pflegen musste, vergaß sie ganz offensichtlich.

       Mit einem Mal schoss Irene vor Wut die Röte ins Gesicht. Britta hatte nicht einmal überrascht gewirkt über Meinerts Absichten. Ob sie bereits davon gewusst hatte? Irene fing an zu schwitzen; sie würde ab sofort äußerst vorsichtig sein müssen mit dem, was sie Britta erzählte.

       Sie überstand diesen Freitag, indem sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte. Aber sobald sie um zwei die Firma verließ, rief sie noch vom Handy aus ihre Freundin Gabriele an und verabredete sich mit ihr spontan zum Kaffee. Sie war so aufgeregt, dass sie sich noch im Auto eine Zigarette anzündete, was sie noch nie getan hatte.

    Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, die Temperatur war gefühlte zehn Grad gesunken und die schönen, sonnigen Oktobertage schienen endgültig vorbei zu sein. Gabriele und Irene kamen gleichzeitig im Café an. Gabriele war zwei Jahre jünger als sie und auch alleinstehend; allerdings  hatte sie außer einer großen Eigentumswohnung von ihren Eltern noch einiges an Erspartem geerbt. Das bescherte ihr zumindest die Sicherheit, das nötige Kleingeld für Dinge zu haben, die sie kaufen wollte, aber nicht unbedingt brauchte. Und im äußersten Notfall hätte sie von ihrem Ersparten leben können, bis sie Rente bekommen würde. Diese finanzielle Unabhängigkeit fehlte bei Irene und insgeheim beneidete sie ihre Freundin um diese Sicherheit.

       Sie umarmten sich, dann sah Gabriele Irene kritisch an. „Dir geht’s gar nicht gut, stimmt’s? Was ist los?"

       Irene schnaubte. „Du glaubst nicht, was mir heute Morgen passiert ist!", und dann erzählte sie atemlos von dem Gespräch mit ihrem Chef und dem mit Britta.

       Als sie geendet hatte, lehnte Gabriele sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wie gut kennst du deine Kollegin?"

       Irene sah sie überrascht an. „Wie man eben jemanden kennt, mit dem man fünf Tage die Woche in einem Raum zusammenarbeitet."

       Gabriele zog die Augenbrauen hoch. „Es scheint mir, als habe diese Britta durchaus von der Absicht deines Chefs gewusst, und zwar deshalb, weil sie scharf auf deinen Job ist!"

       Irene starrte ihre Freundin ungläubig an. „Du meinst, sie wäre so fies, mir jeden Tag ins Gesicht zu lächeln, obwohl sie in Wirklichkeit nach meiner Stelle giert?"

       „Was heißt hier ‚fies‘? Die heutige Arbeitswelt ist eine Kampfarena und der Stärkere gewinnt. So einfach ist das. Und so brutal. Jeder gegen jeden; da ist kein Platz mehr für Kollegialität."

       Irene sah entmutigt drein. „Das ist furchtbar! Früher bin ich ganz gern arbeiten gegangen, aber seit Meinert unser Geschäftsführer ist, dreht sich alles nur noch darum, den Gewinn der Firma jedes Jahr zu steigern. Wie die Angestellten sich dabei fühlen, dass sie auch noch den letzten Tropfen Energie ausgesaugt bekommen, ist denen in der Chefetage doch völlig egal! Und unser früheres gutes Arbeitsklima ist dahin."

       „Kein Wunder, wenn euer Chef damit droht, Leute zu entlassen. In solch einer Situation ist sich jeder selbst der Nächste. Gabriele trank von ihrem Grünen Tee. „Ich habe großes Glück, dass es bei uns nicht ganz so schlimm ist. Im öffentlichen Dienst gehen zwar auch mehr Leute als früher, die meisten allerdings in Altersteilzeit. Und Fachfremde haben’s mittlerweile in unserer Bank auch schwer; die werden gerne rausgemobbt. Aber ich müsste mir schon einen groben Schnitzer erlauben, um entlassen zu werden.

          *

    Die bedrohliche Situation an Irenes Arbeitsplatz war auch am Samstagnachmittag Hauptgesprächsthema, als sie sich mit ihren drei Bekannten traf. Einmal im Monat kamen sie abwechselnd bei einer von ihnen zu einem Kaffeekränzchen zusammen. Zunächst wollte Irene zu sich einladen, um ihren Geburtstag nachzufeiern, aber Carola, die als Gastgeberin an der Reihe war, hatte sie dazu überredet, wie geplant zu ihr zu kommen. „Dann hast du keine Arbeit mit Kuchenbacken und Tisch richten. Sieh es als Zusatzgeburtstagsgeschenk an." Und Irene hatte angenommen, weil sie wusste, dass auch Carola keine Arbeit haben würde. Ihre Haushälterin erledigte das alles für sie.

       Sie hatte zunächst damit gerechnet, dass ihre Tochter und ihr Schwiegersohn samstags zu ihr kommen würden. Doch die beiden verbrachten ihre Herbstferien mit Freunden in Griechenland. Irene war sich nicht sicher, ob sie enttäuscht war, dass ihre Tochter einfach so wegfuhr über ihren Halbrunden – schließlich sahen sie sich sowieso nicht sehr oft – oder ob sie erleichtert war, sich nicht krampfhaft in netter Konversation mit den beiden üben zu müssen. Sie hatten kein enges Verhältnis zueinander, was Irene bedauerte, aber sie wusste auch nicht so recht, wie sie das hätte ändern können.

    So ging sie also an diesem Samstag zu Carola in ihre schicke Villa. Die vier Frauen waren alle ungefähr im selben Alter und bis auf ihre heutige Gastgeberin gingen sie arbeiten. Monika, eine frühere Kollegin, die Jahre zuvor in eine andere Firma gewechselt war, und Beate, mit der sie sich bei einer Fortbildung zehn Jahre zuvor angefreundet hatte, arbeiteten nur halbtags. Sie waren verheiratet und somit finanziell abgesichert. Carola, Irenes Banknachbarin vom Gymnasium, hatte das große Los gezogen; sie genoss das Privileg, mit einem wohlhabenden Mann verheiratet zu sein. Nur Irene hatte keinen finanziellen Rückhalt, sie musste arbeiten gehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

       Sie sank in die weichen Polster der beigen Ledercouch, über der ein großes Bild hing. Es war mit einem roten Holzrahmen eingefasst, was eher ungewöhnlich war. Dieser Farbtupfer an der Wand war der einzige fröhliche Akzent in dem ansonsten eher dezent eingerichteten Raum. Die wenigen Möbelstücke aus hellem Holz mit beigem Überzug schienen wie zufällig in dem großen Zimmer platziert, was dem Raum eine lässige Atmosphäre gab.

       Das Bild hatte noch nicht dort gehangen, als sie sich das letzte Mal hier getroffen hatten; Irene betrachtete es genauer.

       Eine Frau in einem weich fließenden, grünen Kleid saß auf einer roten Couch, den linken Arm lässig auf ihrem Oberschenkel ruhend, den rechten Arm hinter ihrem Kopf verschränkt. Neben ihr standen auf einem Tischchen zwei Schalen mit Obst. Der Blick der Frau war entspannt, vielleicht auch nachdenklich. Oder gelangweilt? Irene war sich nicht sicher. Die Lampe darüber schien, ob bewusst gewählt oder zufällig, die Brüste der Frau hervorzuheben, die sowieso durch den weichen Stoff ihres Kleides betont wurden.

       „Unser neues, ein Matisse, sagte Carola. „Alex hat ihn bei einer Auktion in London erstanden.

       Irene besah sich die Frau in dem Bild noch einmal genauer; sie strahlte eine lässige Selbstsicherheit aus, die Irene auch gerne wenigstens manchmal empfunden hätte. Wenn jemand in solch einer Gemütsverfassung war, hatte er jedenfalls keine großen Sorgen, finanzielle schon gar nicht.

    Seufzend wandte sie sich den anderen zu. Beate beugte sich zu ihr und übergab ihr ein Kuvert. „Das ist von uns allen, damit du’s dir mal so richtig gutgehen lassen kannst!"

       Irene bedankte sich und öffnete den Umschlag. Sie hatten ihr einen Gutschein für einen Nachmittag in einem Wellnesshotel geschenkt. Irene wusste, dass sie ihr damit eine Freude hatten machen wollen; schließlich sollten ein paar Stunden Massage, Sauna und Dampfbad entspannend wirken. Doch bei Irene krampfte sich alles zusammen bei dem Gedanken daran, dass sie nicht die teure Kleidung besaß, die viele Frauen, die den geeigneten finanziellen Hintergrund hatten, bei solch einer Gelegenheit trugen. Und unter keinen Umständen wollte sie zusammen mit anderen Frauen nackt auf einer heißen Bank sitzen und schwitzen. Das war einfach nicht ihre Welt.

       Sie überlegte fieberhaft, wie sie diesem Dilemma entgehen könnte. Aber ihren Bekannten gegenüber wollte sie dies nicht zugeben. „Toll! Da habt ihr euch ja richtig ins Zeug gelegt. Vielen Dank!"

       „Wir können doch mal zusammen hingehen, wenn du willst, ließ Carola verlauten. „Ich bin regelmäßig dort.

       Spontan dachte Irene ‚Um Gottes Willen, nein‘! Laut sagte sie: „Mal sehen, ich bin im Moment ziemlich beschäftigt. Mein Chef deckt mich mit Arbeit ein, wo er nur kann." Um ihre recht brüske Reaktion abzumildern, lächelte sie zaghaft, dann konzentrierte sie sich auf die Kaffeetafel.

       Sie war üppig gedeckt. Nebst edlem weißem Porzellan mit Goldrand und beigen Kerzen standen drei Kuchenplatten mit Torten aus einer Konditorei. Carola hatte sie wahrscheinlich nicht einmal selbst gekauft; so etwas Profanes erledigte ihre Haushälterin. Irene besah sich ihre Bekannten und dachte, dass die drei ihre Panik vor einem Jobverlust nicht wirklich nachvollziehen konnten.

       „Nimm das Ganze doch nicht so ernst!, säuselte Carola denn auch prompt. „Falls er dich wirklich rausekelt, hast du schließlich noch Hannes‘ Pension. Sie sah in die Runde. „Wer möchte von der Schwarzwälder?"

       Irene glaubte sich verhört zu haben. „So etwas sagst ausgerechnet du? Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest! Wie soll ich denn mit 438 Euro im Monat meine Miete zahlen und davon auch noch leben können? Soviel kostet bei dir ein neuer Pullover."

       „Wenn’s reicht", murmelte Beate.

       Monika mischte sich ein. „Irene, du bist doch im Betriebsrat, da wird es für deinen Chef nicht so einfach werden, dich aus der Firma hinaus zu komplimentieren."

       „Stimmt. Und um dich kündigen zu können, braucht er einen triftigen Grund", fügte Beate an.

       „Das schafft er leicht. Er triezt sie so lange, bis sie von alleine aufgibt", gab Monika zu bedenken.

       Carola lehnte sich vor. „Hört auf damit, ihr macht sie nur noch unsicherer. Sie sah Irene an. „Ich weiß, du nimmst mich nicht für voll, weil ich nicht von einem Arbeitsplatzverlust bedroht bin und keine finanziellen Sorgen habe. Aber gute Arbeit zu leisten ist nicht alles.

       Die anderen starrten Carola fragend an. „Komm mir bloß nicht mit dem Quatsch der Verführungsnummer!", brauste Beate auf. „Sowas zieht

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