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Ich schalte dann mal eben ab: Tagebuch einer langen Reise
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Ich schalte dann mal eben ab: Tagebuch einer langen Reise
eBook628 Seiten9 Stunden

Ich schalte dann mal eben ab: Tagebuch einer langen Reise

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Über dieses E-Book

Der Text spiegelt meine Lebensgeschichte. Als 36-jährige Frau musste ich mich im Jahr 2004 nach einer Gehirnoperation mit den Folgen eines Gedächtnisverlustes und anderer Hirnleistungsstörungen auseinandersetzen. Langsam begann das Zurücktasten ins Leben über Bausteine der gesellschaftlichen Geschichte und meiner eigenen. In den Reisen spiegeln sich eigentlich meine Fluchtversuche wider. Sie bilden den Ersatz für das langsame Versagen von diversen Bewältigungsstrategien.
Vielfältige Themen, ob moderne Leistungsgesellschaft, Sozialisation im Ostteil der Bundesrepublik und Pflegeaspekte in einer älterwerdenden Gesellschaft werden im Buch angeschnitten. Jeweils aktuell politische Ereignisse aus Nachrichten und Zeitungen legen den gesellschaftlichen Rahmen um mich als Einzelwesen. Das persönliche Umfeld mit den unterschiedlichsten Momenten und Kontakten spiegelt eine Fülle von Leben, das allemal spannend bleibt.
SpracheDeutsch
Herausgebernovum pro Verlag
Erscheinungsdatum20. Mai 2015
ISBN9783990388006
Ich schalte dann mal eben ab: Tagebuch einer langen Reise

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    Buchvorschau

    Ich schalte dann mal eben ab - Marie Klahre

    Schlusswort

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

    Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    © 2015 novum Verlag

    ISBN Printausgabe: 978-3-99038-799-3

    ISBN e-book: 978-3-99038-800-6

    Lektorat: Kim Klober, B.A.

    Umschlagfoto: Marie Klahre

    Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

    www.novumverlag.com

    Kapitel 1

    *

    Meine ersten Aufzeichnungen im neuen Leben finden sich im Innenteil einer Pappschachtel, die mir meine Schwester in der Adventszeit 2004 auf die neurochirurgische Station eines Krankenhauses mitbringt. Zu Weihnachten bäckt und kreiert sie in jedem Jahr Plätzchen und andere Naschereien, meist in einem Umfang, der sämtliche Verwandt- und Bekanntschaft beköstigt. Mir soll es recht sein. Am liebsten mag ich die trüffelartigen, leicht süffig schmeckenden, braunen Kugeln mit einer eingeschlossenen Amarenakirsche. Auch die Vanillekipfel und das Schmalzgebäck „Je länger, je lieber", welches sein volles Aroma erst nach einer Zeit der Aufbewahrung entfaltet, schmecken mir auf Anhieb. Bis zum Abend habe ich alles aufgegessen. Die Unterseite des Deckels funktioniere ich um. Damit kann man sich für Fragen nach Tagesabläufen und Besuchen von Verwandten und Bekannten gut wappnen.

    11. 12. Schwester war da, Selbstgebackenes in dieser Schachtel

    11. 12. Jugendfreund war da bis etwa 20 Uhr, dann Visite … Hat sich bei meiner Mutter beschwert, dass mich noch keiner besucht hat … Diese erwiderte, seit der Operation sei jeden Tag jemand gekommen

    12. 12. Bruder und Freundin waren da, Schokoladenpudding zweimal, einmal Sahne im Patientenkühlschrank, Spaziergang im Gelände

    13. 12. Mutter war zu Mittag da

    Ich wurde am 20. Februar 1968 in einer brandenburgischen Stadt geboren und wuchs in einem Dorf auf. Wo ich in Berlin wohne, weiß ich derzeit nicht. Ich verlasse das Zimmer selten. Wenn ich über den Flur gehe, um die Toilette aufzusuchen, merke ich mir mit angewinkelten Fingern die Anzahl der Türen rechtsseitig; so finde ich nach jedem kleinem Schritt nach draußen zurück. Für den Notfall lege ich einen Zettel in die Hosentasche: „Station 32, Zimmer 101. Im Spiegel sehe ich eine abgemagerte Frau mit einer geschwollenen Kopf- und Gesichtshälfte, deren stumpfe Haare nach dem Abrasieren teils fehlen, um Platz für eine große Naht über der rechten Schädelseite als Beweis einer durchgeführten Operation zu lassen. Zum Zeitvertreib löse ich Kreuzworträtsel und das mit einigem Erfolg. Das Auftauchen von Schwestern und Ärzten ist in der Regel eine angenehme Ablenkung. Man wechselt ein paar freundliche Worte, ohne weiter nachdenken zu müssen. Schwierige Fragen, so zum Beispiel nach dem alltäglichen Stuhlgang, beantworte ich wahrheitsgemäß mit „Weiß ich nicht … und erhalte dann keine weiteren Fragen.

    13. 12. Jugendfreund war da, im Aufenthaltsraum Pudding gegessen (Reste im Kühlschrank), Buchkalender für 2005 mitgebracht (ein Werbegeschenk der Märkischen Zeitung/Ruppiner Anzeiger)

    14. 12. Mutter war da, im Gelände spazieren gegangen. Zwei Freunde waren da. Abends war Jugendfreund da. Anruf einer Arbeitskollegin, Gespräch nur kurz, meinte dann: „Schlafen Sie mal schön weiter". Bin etwas verwirrt, hab doch gar nicht geschlafen.

    15. 12. Visite, Medikamente weg, kann Samstag nach Hause. (Juhu, ich freue mich, Weihnachten nicht im Krankenhaus verbringen zu müssen.) Anruf eines Bekannten, kommt eventuell Freitag. Gespräch mit Arzt und Mutter, Termin Sozialdienst wegen Reha? Diese Woche noch MRT-Kontrolle. Ich weine und bin wütend auf meine Mutter, da ich gern über die Feiertage wie üblich aufs Land gefahren wäre. Besuch da, kann mich nicht trösten, kommt Donnerstag etwa 15.30 Uhr nochmals zum Spaziergang. Neffe da bis etwa 19.30 Uhr, Mandarine und Naschzeug mitgegeben.

    16. 12. Arztinformation, Testuntersuchung bezüglich Gedächtnisstörung geplant. EEG-Untersuchung. Anruf einer Arbeitskollegin, möchte mich besuchen, habe aus dem Bauch heraus kein gutes Gefühl – mag sie nicht, möchte nicht, dass sie meinen jetzigen Zustand erlebt. Ohne dies zu erwähnen, sage ich emotionslos, sie bräuchte nicht zu kommen. Anruf 16 Uhr Besucher, kommt heute nicht, ist erkältet.

    17. 12. Anruf Bekannte, kann mich an nichts erinnern, geweint. Sie kommt Sonntag vorbei. Anruf weiterer Freund, kommt Sonntag vorbei. Montag 10 Uhr Start zur Reha! Mutter da, fährt in meine Wohnung, holt Sachen, möchte mich bei der Reha begleiten. Ich lehne vehement ab: „Ich fahre doch nicht mit meiner Mutter in die Reha! Sie bedrängt mich: „Wie willst du das schaffen? Du wirst dich nicht zurechtfinden. Ich will dir nicht in irgendetwas hineinreden, nur helfen. Zum Schluss gibt meine Mutter auf. Wir weinen beide. Jugendfreund da, im Aufenthaltsraum Kaffee getrunken, kommt Sonntag vorbei. Anruf meiner Schwester, kommt eventuell Samstag vorbei.

    18. 12. Stuhlgang gehabt, Arzt nahm Blut ab. Mit Mutter Sachen für die Reha gepackt. Schläft in meiner Wohnung, ruft später an und fragt, wie die Fernbedienung des Fernsehgerätes funktioniert. Kann ihr telefonisch dazu Auskunft geben.

    Die Zeit vergeht, ohne eine Spur im Gedächtnis zu hinterlassen, aber gefühlsmäßig sehr rasch. Ich habe an allen Tagen oft mehrfach sich überschneidenden Besuch, was mich anstrengt. Ich ziehe mich etwas zurück und merke, dass die Freunde oder Verwandten sich untereinander auf das eine oder andere Treffen freuen, um sich vielleicht auszutauschen, kennenzulernen oder mal wieder zu begegnen und werde zu einer stillen Zuhörerin. Auf welchem Weg ich in einem Krankentransport mit milchglasigen Fenstern in die Rehabilitationsklinik gelangte, weiß ich nicht mehr. Dort in der Abteilung für neurologische Rehabilitation angekommen, beziehe ich ein eigenes Zimmer mit einer modernen Ausstattung. Auf dem Schlüssel steht die Nummer 319.

    20. 12. Mutter bis zur Abfahrt da. Möchte, dass ich aus der Reha anrufe und ihr die Telefonnummer gebe. Ankunft 14 Uhr, Essen im Keller, 14.30 Uhr Termin zuständige Ärztin, geweint – keine Erinnerung. Schwesternzimmer Arztbrief abgegeben und Anschrift der Hausärztin aus meinem Telefonbüchlein. Zum Abend sehr erschöpft. Bett mit Federn. Wegen Allergie dicke Jacke angezogen, Fenster weit geöffnet, Heizung aufgedreht. Ich fühle mich ständig beobachtet, wegen der zentralen Überwachung. Habe keinen Wecker, morgen zwei Termine im Zimmer 367. Nüchtern zur Blutabnahme und bei der Ärztin. Diese erscheint mir überheblich und nicht sympathisch. Ich schlafe kaum.

    21. 12. Beim Läuten des Telefons, an dem mich eine freundliche Stimme zur Blutentnahme erwartet, schrecke ich hoch. Die Therapiepläne finde ich unten beim Essenraum in einem separaten Zimmer mit Briefkästen. Der Zimmerschlüssel passt auch für dieses Schloss. 11.30 Uhr Treffen mit Tischnachbar zum Mittagessen. Gibt mir verschiedene Tipps, hat eine ruhige, sachliche Art und ich glaube, dass er zu meinem Neustart als Einzelfallhelfer eingesetzt wurde. Bei einem anschließenden Spaziergang zeigt er mir das Gelände und den Weg zurück in die Abteilung. 14 Uhr Gehtraining im Gelände, mehrere Runden um den Teich gelaufen mit einer Geschwindigkeit von 3,8 Stundenkilometern. 15 Uhr treffe wieder den Einzelfallhelfer, gehen spazieren bis 16.30 Uhr. Frage ihn nach seinem Beruf, worauf er nicht antwortet. Für eine auszuleihende Trinkflasche borgt er mir einen Euro und zeigt mir Standort und Funktion des Wasserautomaten. Wir verabreden, dass er mich zum Abendbrot vom Zimmer abholt. Außer zur Mittagsmahlzeit gibt es jeweils ein reichhaltiges Buffet. Während des Abendbrotes lerne ich eine weitere Tischnachbarin kennen. Sie fährt über Weihnachten nach Hause. Mein Einzelfallhelfer bietet an, mich morgen zum Frühstück zu wecken und abzuholen, was ich dankbar annehme. Im Zimmer finde ich eine Schwesterninformation zu einem EEG-Termin am 27. Dezember in einem anderen Haus. Auf einem mit den Anreiseunterlagen erhaltenen Geländeplan finde ich es mühelos und zeichne den Weg dorthin ein. Ich notiere darauf weiterhin die bereits zu Fuß zurückgelegten Strecken.

    Dieser Geländeplan wird in den ersten Wochen mein ständiger Begleiter. Schritt für Schritt notiere ich jeden zurückgelegten Weg, die eventuell begleitende Person und die einzelnen Gebäude mit ihren unterschiedlichen Klinikfunktionen. Es verschafft mir Selbstvertrauen und die Möglichkeit, mich unabhängig von den therapeutischen Angeboten frei in der Natur zu bewegen. Ich genieße die Entspannung, auch etwas das Abenteuer, wenn ich nach wiederholten Anläufen durch den Forst den Waldsee entdecke oder die kleine einfache Schenke am Parkplatz an der Hauptstraße, in die ich regelmäßig zu einem Kaffee und aufgebackenem Apfelkuchen einkehre.

    Ich besinne mich auf einfache Orientierungshilfen, die mir seit der Kindheit vertraut sind. Scheint die Sonne, ist es ganz einfach. Beim Verlassen des Geländes um die Mittagszeit habe ich sie stets im Rücken. Kehre ich zurück, achte ich auf die Bestrahlung meines Gesichtes. Die erkennbaren Wege gehe ich im ersten Teil der mir zur Verfügung stehenden Zeit in eine Richtung. Zur Rückkehr drehe ich mich einfach einmal um. Später, als ich bereits eine Wanderkarte im kleinen Laden auf dem Kurgelände erworben habe, wage ich in einem weiteren Schritt Abweichungen. So zeigt mir die Karte anhand von fein gestrichelt eingezeichneten Forstwegen die logische Struktur eines bewirtschafteten Waldes. Ich gehe eine Schneise vor, dann nach links oder rechts und nehme die kommende als Rückweg. Egal, welche Strecke ich laufe, nach kurzen Umwegen finde ich immer wieder zurück zur Hauptstraße; manchmal auch nur, indem ich dem Gehör nach in Richtung Straßenlärm gehe.

    Da sich meine Angehörigen angesichts meiner waghalsigen Unternehmungen sorgen, bringt mir mein Bruder ein Handy mit. Es ist mein erstes. Ich wollte nie stets erreichbar sein und habe eine Anschaffung bis dahin abgelehnt. Er erklärt mir ab dann mehrfach die Funktionsweise des Gerätes. Ich kann mir diese einfachen Abläufe nicht merken. „Es funktioniert wie die Ampelschaltung … erst rot, dann grün drücken." Zu seiner Beruhigung behalte ich es und verspreche, mich im Notfall zu melden. Der Ausnahmezustand ist bis heute nicht eingetreten. Inzwischen besitze ich ein simples Kartentelefon, dessen Funktion ich durch langes spielerisches Üben und wiederholte, geduldige Erklärungen mehrerer Personen begriffen habe.

    Vor der Erkrankung hatte ich ein gutes technisches Verständnis. Nach dem Schulabschluss und der Ausbildung zur examinierten Kinderkrankenschwester an der Fachschule der Bezirkshauptstadt arbeitete ich drei Jahre auf einer Intensivstation für Frühgeborene. Die verschiedenen Geräte zur Nahrungs- und Sauerstoffzufuhr bediente ich mit Neugierde und Leichtigkeit. Bei Fehlfunktionen gab es in der Regel Lösungsmöglichkeiten, die mit wiederholten Proben und Anpassungen zum Zuge kamen.

    Kapitel 2

    *

    22. 12. 8 Uhr Einweisung Fitnessgeräte, Plan befindet sich im Hefter im Fitnessraum. Anschließend Entspannungsübungen (Autogenes Training). 10.30 bis 10.58 Uhr zur Sprachtherapie eine Treppe hochgehen. Stress! Unterschrift fehlt auf dem Therapieplan. Zur Massage im Keller gewesen, immer geliehenes Handtuch mitnehmen! Einzelfallhelfer im Eingangsbereich getroffen, spendierte Cappuccino vom Automaten. Telefon an der Rezeption angemeldet, 0 vorwählen, um herauszukommen! Nach dem Abendbrot große Runde mit dem Einzelfallhelfer spaziert. Es schneit. Anschließend Cappuccino in der Eingangshalle zum Aufwärmen getrunken. 20 Uhr Anruf Mutter, erzähle ihr verängstigt, was hier für merkwürdige Dinge ablaufen. Die machen hier irgendetwas mit mir. Ich fühle mich im Zimmer beobachtet durch die zentrale Überwachungsanlage, auch durch das ständige Auftauchen des Einzelfallhelfers, höre unerklärbare Geräusche aus dem Nebenzimmer. Sie zögert mit der Antwort, stöhnt kurz und rät mir, dem Tischnachbar etwas aus dem Wege zu gehen. Sie will meiner Schwester meine Telefonnummer geben. Gleichzeitig nutzt sie wie so oft die Gelegenheit, mir das Neueste aus dem Dorf und über die große Verwandtschaft zu berichten: Die Tochter einer Cousine trägt nach Verletzung eine Schiene an der Hand. Wir verabreden tägliche Anrufe durch sie. Um etwa 20 Uhr ist eine günstige Zeit. 21.20 Uhr Jugendfreund angerufen, hat schon geschlafen, entschuldige mich für das Wecken. Er will mich morgen zurückrufen.

    23. 12. 6.45 Uhr vom Einzelfallhelfer geweckt, gefrühstückt bis 7.45 Uhr, zeigt mir sein Zimmer. Es stinkt dort. Im Briefkasten in Etage 0 nach Post geschaut. Dort in der Eingangshalle ist der Seminarraum zur Patientenbegrüßung. Ärztin, die ich nicht mag, wegen Absetzung des Gehtrainings angesprochen. Anruf meiner Schwester, kommt mit Mann Heiligabend am Nachmittag, bringt Post aus der Wohnung und ein Kissen ohne Federn mit. Mutter, mein Bruder und Freundin kommen voraussichtlich am ersten Feiertag. Es regnet draußen. Schnitzel gegessen und Kompott, Champignons übrig gelassen. Verdauungsspaziergang gemacht. Ich gehe um das Gebäude, dieses immer im Blickfeld. Ärztin, die ich nicht mag, nochmals gesehen, nicht weiter beachtet. Mit netter älterer Dame Cappuccino getrunken. Diese schenkt mir ihr Fernsehprogramm. Eigene Festnetznummer in Berlin angewählt, meine Bandansage ist zu hören. 9.40 Uhr Bohrtätigkeit im Haus. 10 bis 10.30 Uhr Begrüßung aller neuen Kurgäste durch Oberarzt. Mit dicker, jüngerer Frau zusammengesessen, etwas unterhalten, Tischnachbar zum Essen getroffen … er nervt! Die nächste Therapie beginnt um 14.15 Uhr. Bis 14.33 Uhr Gespräch mit Neuropsychologin zur Anamnese. Ich kann die Fragen mit Mühe nur teilweise beantworten und fange an zu weinen. Wir verabreden für morgen einen neuen Termin. Ich notiere diesen und die Nummer des Raumes. 15.30 Uhr zur „Muckibude, komme zu spät. Junger Mann dort hat um 16 Uhr Feierabend, ist sehr nett. 17 Uhr Tischnachbar holt mich zum Essen ab, ältere Tischnachbarin fährt morgen am Heiligabend nach Hause und kommt im Januar wieder. Ehepaar am Abendbrottisch hat Besuch von Tochter mit Mann und Enkelsohn. Im Schwesternzimmer gebeten, mich früh gegen 6.30 Uhr zu wecken. Entschuldigend angegeben, da ich im Krankenhaus keinen Wecker benötigt hätte, besäße ich noch keinen. Heute Heinz Ehrhardt-Abend, kein Interesse an der Teilnahme. Bekannte angerufen, der Hund bellt im Hintergrund. Tochter kommt über die Feiertage mit dem Zug. 19.30 Uhr Anruf Mutter, meine Schwester bringt morgen einen Wecker mit. Sie ruft morgen wieder an. 20.15 Uhr Fernseher an, „Feindliche Übernahme, Film mit Kretschmann und Nosbusch in den Hauptrollen, auf Inhalt nicht geachtet, eher laufen lassen.

    24. 12. 6.30 Uhr Schwester kommt pünktlich zum Wecken. 6.45 Uhr Einzelfallhelfer klopft wegen Frühstück an der Tür. 8 Uhr nach Frühstück MTT-Trainingsplan liegt im schwarzen Ordner unter dem Anfangsbuchstaben meines Nachnamens. Durch netten jungen Mann betreut, aufdringlicher Tischnachbar kommt auch, da seine Wassergymnastik ausfällt. 9 Uhr Anruf Mutter, meine Schwester kommt heute und bringt eine Fernsehzeitung mit. Anschließend zum Gedächtnistest bei der Neuropsychologin. Geweint, da ich registriere, dass im Test viele Defizite bestehen. Soll in die Gedächtnisgruppe aufgenommen werden. Nach der Entlassung aus der Reha (geplant 17. Januar 2005) ist eine weitere Behandlung wohnortnah möglich. Wassergymnastik Ausfall, Schwimmhalle ist heute geschlossen. 11 Uhr weihnachtliche Hausmusik (Tipp stand im Aushang für kulturelle Angebote im Foyer) entfällt, mit unangenehmen Nachbarn Cappuccino getrunken. Mittagessen Kartoffelsuppe. 12 Uhr Anruf meiner Schwester, bringt Kuchen, Decke und auch einen Wecker mit. Kommt 14 Uhr, holt mich vom Zimmer ab. 12.15 Uhr Start mit Geländeplan zum kurzen Verdauungsspaziergang und Einkauf im Laden in der Heidenstraße. Dieser hat geöffnet. Ich kaufe Karten, Briefmarken und kleine Weihnachtsgeschenke. Ein Briefkasten befindet sich neben dem Eingang des Kurhauses. 13.30 Uhr Anruf Jugendfreund, er ist erkältet, fährt heute zu seinen Eltern und kommt nächste Woche nach den Feiertagen vorbei. 14 Uhr Schwester und Schwager zu Besuch. Sie bringen ein neues Bett und Bezüge mit. Federbetten im Schrank verstaut. Auch einen neuen Wecker gibt es als Weihnachtsgeschenk. Im Gelände spaziert bis zum Auto. Sie fährt einen neuen blauen Opel (wegen Arbeitsplatzverlegung in die etwas entfernter liegende Stadt). Grüße von allen möglichen Leuten bestellt. Mein Neffe hat als Weihnachtsgeschenk dicke Fäustlinge wegen der derzeit herrschenden eisigen Kälte mitgegeben. Als Präsente bekomme ich ein Alpenveilchen, so wie sie von meinem bereits verstorbenen Onkel in der damals eigenen Gärtnerei gezüchtet worden sind, Saft, Schokolade, Baumbehang und einen dicken Wollschal. Schwester bestellt Grüße von vielen Bekannten, deren Namen ich mir nicht alle merken kann. Im Foyer trinken wir Kaffee und lösen Rätsel, wofür auch mein Schwager zu begeistern ist. Wieder allein auf dem Zimmer notiere ich die Absprache, nach dem Abendbrot nochmals anzurufen. Später nach Erledigung setze ich einen Haken über die Notiz. 19.30 Uhr Anruf Mutter, bestellt Grüße von ihrem Lebensgefährten und Oma, kommen übermorgen zum Kaffee. 20.15 Uhr aus Impuls heraus Arbeitsstelle angerufen, allen Mitarbeitern – zufällig eine vor Ort – schöne Feiertage gewünscht. „Schnulle" im Fernsehen gesehen, nebenbei Rätsel geraten, für morgen geplant, Weihnachtskarten zu schreiben. Der Briefkasten befindet sich am Hauseingang! 21.45 Uhr müde zu Bett.

    Erster Feiertag. 12.30 Uhr vom Münzfernsprecher vor dem Haus Oma angerufen, ist heute ab Mittag zum Entenbratenessen bei Mutter eingeladen. Plane ab 15 Uhr in den Kursaal zum Weihnachtskonzert zu gehen. Gehe nicht. Bis 13 Uhr Mittag gegessen, Gemüsefrikassee, als Kompott gebackener Apfel, sehr lecker. Speisesaal ist leer. „Blöden Tischnachbarn in der Ferne gesehen, zur Umgehung Treppe genommen. 13.40 Uhr vom Zimmertelefon mehrmals versucht anzurufen, Daueransage „Zur Zeit blockiert, ein Telefonhörer wird aufgelegt … Werde hier wie eine Entmündigte behandelt, womöglich gehört dies ebenfalls zur Therapie. Ich hoffe, der Albtraum hat bald ein Ende. Eingesperrt bin ich zwar nicht, aber faktisch von der Umwelt abgeschnitten. Die Erfahrungen kommen sicher meiner späteren Arbeit zugute.

    Dass ich einige Jahre später in einer Wohngemeinschaft für demenziell erkrankte Menschen arbeiten und einige meiner Erfahrungen anwenden würde, weiß ich zum damaligen Zeitpunkt nicht. Mein Dasein hat sich auf wenige existenzielle Fragen, wie essen, trinken, schlafen und vorgegebene Abläufe einhalten, minimiert. Die kognitiven Einschränkungen nach operativer Entfernung einer Zyste im Foramen Monroi (so die genaue Lagebezeichnung im Gehirn) zeigen sich neben der vorläufigen Amnesie (Gedächtnisverlust mit zeitlicher, örtlicher und situativer Desorientierung verbunden) in einer Abrufstörung von Erinnerungen, Störung der Merkfähigkeit und Defizite in geteilter Aufmerksamkeit. Die letztgenannten Beeinträchtigungen habe ich noch heute. Ich spreche von Glück, dass es nicht jeder bemerkt. So brauche ich keine abweichende Behandlung außerhalb der Norm zu befürchten. Ich spreche zugleich von Pech, dass es nicht jeder bemerkt. So gerate ich häufig in Situationen, die mich überfordern.

    Das emotionale Gedächtnis ist gut abrufbar. Es ist für meinen mitmenschlichen Umgang, für die Vertrauensbildung sehr wichtig. Nach einem Zusammensein erinnere ich mich in der Regel an keine Details des Geschehens, sehr wohl aber an positive und negative Gefühle sowie den Vorgang der Auslösung. Meine Aufzeichnungen helfen zur Überbrückung, Überwindung von Unsicherheiten, die sich durch die Einschränkungen ergeben. Nachteilig ist, dass man sich im gesellschaftlichen Leben weder auf der Stelle und in jeder Situation die Zeit für eine „24-Stunden-Live-Mitschrift nehmen kann, noch die Möglichkeit zum Nachlesen oder Kramen im Gedächtnis, bis das Gefragte „auftaucht, was zeitweilig Stunden oder Tage dauert. Neue Informationen schieben sich über die alten gespeicherten. Ich habe nie den Zugang dazu, welche gerade aktuell sind. Sie stehen parallel bruchstückhaft nebeneinander. Treffen Sie nun mal eine gute Entscheidung! Bestimmte Schreibtechniken helfen mir, möglichst effektiv ein Kalendertagebuch einzusetzen. So hebe ich Wesentliches farblich hervor oder setze es durch Umrahmung von den ganz alltäglichen Aufzeichnungen, die sich meist auf den Tagesablauf, die Struktur beziehen, ab.

    Die Bewältigung der Störung in geteilter Aufmerksamkeit – hier handelt es sich um das Verarbeiten zeitgleich ablaufender Vorgänge – wäre möglich, indem ich in meinem Umfeld die einströmenden Reize reduziere und auch selektiere, also „Kleinigkeiten" außer Acht lasse. Dies gelingt mir im persönlichen Bereich mit einem Höchstmaß an Selbstbestimmung sehr viel leichter als zum Beispiel im Umgang mit den Angehörigen, Freunden oder während der Arbeit. Hier liegt oft eine Zweckbestimmung für die einzelnen Aktionen vor, mit unterschiedlichen Toleranzbereichen der unmittelbaren Person im jeweiligen Prozess. Bei der letztgenannten führt die Erhöhung der Effektivität zu einer satten Verdichtung von Aktionen, in der ich ähnlich einer Maschine irgendwie funktioniere. Am Ende eines umfangreichen Arbeitstages finde ich nicht mehr den Hebel zum Abschalten.

    15.50 Uhr mit netter älterer Dame im Foyer Kaffee getrunken und Weihnachtsgebäck gegessen, wurde hier vom Haus spendiert. Anschließend vom Zimmer aus nochmals mit Vorwahl 00 versucht zu telefonieren. Apparat ist immer noch blockiert. Musiksender geschaut. Nach Abendbrot mit Tischnachbar und Mann mit Brille bis 20 Uhr Rummy Cup gespielt. 20 Uhr Mutter ruft an. Oma, meine Schwester und Familie waren heute da, sind durch die Ahornallee spaziert. Kommt morgen mit ihrem Lebensgefährten, meinem Bruder und seiner Freundin zum Kaffee. Diesen gibt es hier. Sie bringt den restlichen Kuchen der Feierlichkeiten mit, auch den leckeren Nusskuchen nach Omas Rezept. 20.15 Uhr Sketche mit Heinz Erhardt und anderen, „Weihnachten bei Stratmanns. Ich habe fast Angst einzuschlafen, hoffentlich wache ich morgen wieder so klar auf! „Missfits bis 22.30 Uhr gesehen. Beim Waschen „Keimzeit" auf dem CD-Player gehört. Mutter morgen nach Geld fragen. Ich habe noch etwa 5 Euro!

    Zweiter Feiertag. Mit Nachbar und Paar gefrühstückt. Er geht in die Sauna. Ich gehe ab 9 Uhr mit dem Oberförster und seinem Dackel Fred zum Weihnachtsspaziergang. An der Rezeption erwerbe ich eine Karte zu 2,50 Euro und schließe mich dem auf seinem Horn Blasenden zu einem lustigen Ausflug in die Siedlung an. Er weiß allerlei „wahre Geschichten über die damalige „Politprominenz zu berichten. Er zeigt auf ehemalige, etwas versteckt liegende Wohnhäuser von Willi Stoph, Egon Krenz, Erich Mielke, Erich Honecker und anderen des einstigen DDR-Staatsapparates. 11.30 Uhr mit Nachbar und Paar Mittag gegessen. Er macht anschließend Verdauungsspaziergang. Mitgehen abgelehnt wegen Besuch heute, evtl. Treffen am Abend zum Spiel. 13 Uhr Anruf Jugendfreund, wollte zunächst heute kommen, ist noch erkältet. Abgelehnt, da meine Familie kommt. Er hat nächste Woche frei und kommt vorbei, ruft vorher an. Mutter, Lebensgefährte, mein Bruder und Freundin zum Kaffee da. Mutter bringt Kuchen mit, Kaffee vom Stand getrunken. Grüße von Heidi und Bernd, Manfred und Helga bestellt. Allen mein Zimmer gezeigt. Die neuen Hausschuhe fehlen, hatte ich in der Klinik noch. Wegen schlechtem Wetter bzw. unpassender Kleidung sitzen wir anstelle des Spazierganges noch etwas im Foyer. Mutter berichtet mir auf Anfrage Details zu meiner Anamnese, die ich auf einem Zettel notiere:

    16. 11. (Dienstag nach der Arbeit per Rad) Notaufnahme Krankenhaus zur Computertomographie mit umgehender Einweisung ins Krankenhaus (Station 32, Zimmer 101)

    23. 11. Punktion der Zyste, anschließend geklammert ohne Verbesserung des Befundes

    30. 11. Beurlaubung/Entlassung für drei Tage

    1. 12. In Berlin unter anderem zur Arbeitsstelle, alle Weihnachtsgrüße für Klienten und Kooperationspartner unterschrieben

    2. 12. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Dorf gefahren

    4. 12. Weiter zu meiner Schwester, am Abend kamen mein Bruder und Freundin, mit allen Karten gespielt

    5. 12. Mit Neffe nach Berlin gefahren

    6. 12. Aufnahme ins Krankenhaus (Zimmer gegenüber Aufenthaltsraum)

    7. 12. OP

    15. 12. Gespräch Mutter mit Arzt, Entlassung war zum 18. 12. geplant, Schwestern hatten Defizite nicht bemerkt

    20. 12. Rehabilitationsbeginn

    Mutter lässt mir 50 Euro da. Die Berliner Zeitung hat sie weiter abbestellt. Die Telefonrechnung ist bezahlt. (Der Telefonanbieter hatte bereits gemahnt, kein Lastschriftverfahren erteilt.) Mein Bruder geht heute um 19 Uhr mit seiner Freundin noch zum Bowlen. 20.15 Uhr Radetzkymarsch mit Max von Sydow gesehen, nebenbei viel nachgedacht, wenig vom Inhalt mitbekommen.

    27. 12. 6.30 Uhr Wecker geklingelt, aufgestanden, bis 7.45 Uhr gefrühstückt mit Paar und Nachbar (erkältet). Nette ältere Dame sitzt am anderen Tisch, kommt zur Begrüßung. 8 Uhr Massage bei netter älterer Physiotherapeutin, hatte das Laken vergessen. Anschließend Termin zur Messung der Hirnströme (EEG), Schwesternzimmer vorher gemeldet wegen Akte. Schwester ruft beim EEG an, wird nicht benötigt. Termin 8.30 Uhr war nach Teilkörpermassage … kam zu spät. Neuer Termin 11.30 bis 12 Uhr (vor dem Mittag, nach der Wassergruppe). 10.30 Uhr im Schwimmbad, Etage 1, gewesen. Schlüssel für Schrank im Umkleideraum an der Rezeption Etage 0 erhältlich. Chefarztvisite im Zimmer der Ärztin, die ich nicht mag. Diese anwesend. Weinte, bin erschöpft, kann mich nicht erinnern. EEG im Haus „Rotkäppchen mithilfe meines Geländeplanes gefunden. Anschließend Mittag, Salat als Vorspeise, Hauptmahlzeit Fisch allein am Tisch gesessen, kein Kompott, später Obst auf Zimmer gegessen. Ab 13 Uhr Spaziergang mit Plan auf dem Gelände, Haupteingang los, Haus „Werder vorbei bis Kurallee, Roedernallee, Parkallee, Eichenallee, zurück über Haupteingang. Es ist nasskalt draußen. 14.45 Uhr MTT „Muckibude. Vor Beginn immer auf dem Rad aufwärmen (siehe Rückseite des Zettels im Ordner)! Zum Schluss Zettel in Ablage tun (befindet sich auf dem Schrank, wo der Ordner liegt)! Auf der Treppe nach oben in die Wohnetage. Ärztin, die ich nicht mag, gesehen, heute zum zweiten Mal gegrüßt … Wird hoffentlich nicht zu negativ registriert! 17.30 Uhr Abendbrot gegessen, Tischnachbar da, ist erkältet. Frau gegenüber hat noch Besuch vom Ehemann, sitzt zurzeit am anderen Tisch, kam zur Begrüßung. Paar war da, mit Frau ein paar Worte gewechselt. Zum Kulturprogramm am Abend gegangenen, Kabarett Herr Loyda & Sohn. War recht unterhaltsam, nett für die Seniorengruppe meiner Arbeit. Ende der Nachrichten auf RBB gesehen, Tsunami mit Überschwemmungen in Thailand. Anschließend im „Brennpunkt ausführliche Informationen. Hausschuhe während des Transportes verloren gegangen? Mutter hatte sie im Krankenhaus eingepackt? Nachfragen! Anruf Mutter- Nachbarn waren gestern noch bis 23.30 Uhr da. Mein Bruder geht heute zum Bowlen. Sie kommen am Wochenende wieder zu Besuch. Meine Schwester fängt ab 1. 1. in der Kreisstadt an, nicht im entfernter liegenden Ort. Mutter ist erkältet.

    28. 12. 7.15 Uhr Wecker geklingelt. 7.30 Uhr Reinigungskraft kam mit Schlüssel ins Zimmer, kommt später wieder. 8.10 Uhr allein gefrühstückt, ältere Dame kam zur Begrüßung. Mann ist noch da. Im Kursaal ist heute ein Klavierkonzert, Zettel liegt aus, siehe auch Programm! Eintritt frei. 9 Uhr Gedächtnistraining bei netter Therapeutin, werde in die Gruppe aufgenommen, siehe neuer Therapieplan! Dieser hing an meiner Zimmertür von außen angebracht. 11.20 Uhr zurück vom Schwimmen. Schrankschlüssel für Umkleide erhält man an der Rezeption gegen Eintausch des Zimmerschlüssels. Heute nur vier Leute zum Schwimmen, Wasser war sehr kalt, sonst hat es Spaß gemacht. Ärztin, die ich nicht mag, im Treppenflur getroffen. 12.30 Uhr vom Mittagessen zurück aufs Zimmer. Tischnachbar kam, ist wegen Erkältung von der Therapie befreit, hat Verlängerung bis 17. Januar. Zu Mittag gibt es Brühnudeln, vorher Salat gegessen, Cremespeise als Nachtisch, zeitig gegangen wegen nächster Therapie. 13 Uhr Terraintraining, im Gelände spaziert, anschließend mit ein paar Leuten im Foyer Cappuccino getrunken. Mit einer Frau zum Konzert heute Abend verabredet, gehen nach dem Abendbrot gemeinsam dorthin (schwarzer Pullover, Zopf). Sie erinnert mich. Merkwürdige Geräusche aus dem Nachbarzimmer gehört. Es ist sehr hellhörig hier. 15.45 Uhr von MTT (Sequenztraining) zurück. Ärztin, die ich nicht mag, begegnet, nicht gegrüßt. Notiz zum MTT: Beachte vor dem Training immer aufwärmen am Rad! Siehe Rückseite des Zettels! Hausschuhe hatte ich dort unten im Umkleideraum vergessen. Mutter versucht von der Telefonzelle aus anzurufen, weder sie noch meine Schwester erreicht. Therapieplan, wie auf diesem hingewiesen, im Schwesternzimmer abgegeben und gegrüßt, keine Reaktion, Schwestern mit wenig Psychiatrieerfahrung. Ich habe nicht absichtlich irgendjemand Ärger oder Mühen bereitet. 17 Uhr Tischnachbar am Getränkeautomat getroffen … Rehabilitand, kein Einzelfallhelfer, alles andere Psychoseideen! 18.30 Uhr Treffen mit jüngerer und älterer Dame zum Klavierkonzert im Kursaal. Drücke mir etwas die Tränen weg. Pianist spielte bekannte klassische Stücke, z. B. „Elise von Beethoven, „Moldau von Smetana, auch Wunschmusik. Eine Zuhörerin wünschte sich z. B. das Lied „Ännchen von Tharau". Verkaufte CD nicht genommen. Konzert geht bis 21.30 Uhr. Vorher vom Münzfernsprecher Mutter angerufen, Lebensgefährte am Apparat, informiert, dass ich heute um 20 Uhr nicht erreichbar bin.

    29. 12. 7.15 Uhr Wecker geklingelt, draußen liegt Schnee. Notiz: Tempotaschentücher kaufen! Gefrühstückt mit Tischnachbar, geht früher, nette ältere Dame noch umgesetzt, kommt zur Begrüßung, hat noch Besuch vom Mann. 8.45 Uhr Tischnachbar am Wasserautomat getroffen. 9 Uhr Hirnleistungstraining bei Neuropsychologin, Computertests durchgeführt, morgen nochmals Termin, dann unbedingt persönliches Notizbuch mitbringen! Ich habe tatsächlich entsprechend der Erfahrung der Therapeutin schon wieder fast alles vergessen. 10.15 Uhr Schlüssel von der Rezeption geholt, zu früh in der Schwimmhalle, andere Gruppenteilnehmer noch im Wasser, gemütlich geduscht, heute Schwimmbord (blaues Brett) für die Übungen genutzt. Als zum Schluss das eigenständige Schwimmen erlaubt ist, ziehe ich wieder mehrfach meine Bahnen. Das Wasser ist kalt. Mit netter Dame unterhalten … schwarze, kurze Haare und Brillenträgerin. Nach dem Essen, vegetarisch und Pudding, im kleinen Laden in der Heidenstraße Zellstofftaschentücher gekauft. Unterwegs Chefarzt gesehen und gegrüßt. 13.30 Uhr Anruf Jugendfreund, kommt heute etwa 16.30 Uhr nach den Therapien zu Besuch, holt mich vom Zimmer ab. Bis 16 Uhr MTT/Sequenztraining in der „Muckibude, Plan nach Abschluss in den Ordner legen! Info durch jungen Mann, hat nun ein paar Tage frei. 16.30 Uhr Jugendfreund war da. Kakao am Automaten getrunken, dann eine Runde spazieren gegangen. War Weihnachten bei seiner Schwester, zeige ihm mein Zimmer. CD-Player funktioniert auch mit Strom über die Steckdose! 18.50 Uhr Neffe vom Zimmer aus angerufen, klappte … juhu! 19 Uhr meine Schwester ruft an, bestellt Grüße von zwei Freundinnen. Sie trafen sich heute zum Quatschen. Auf der betrieblichen Weihnachtsfeier traf sie Tochter vom Lebensgefährten meiner Mutter. Sie ruft Neujahr gegen Mittag an, kommen evtl. vorbei. 19.30 Uhr Mutter ruft an, war mit Lebensgefährte per Bus in der Stadt zur Brillenreparatur, ist noch erkältet, trank Kaffee mit Oma. Ihre beiden Cousinen kamen auch. Mutter ruft morgen wieder an. 20 Uhr Programmvorschau, Nachrichten und „Brennpunkt zur Katastrophe, Tsunami im Indischen Ozean, danach Sendung zum Ruppiner Land, zum Schluss Bootskorso durch den Rhin bei Altruppin gezeigt … Sendung wird morgen 17.10 Uhr wiederholt!

    30. 12. Bis 8.20 Uhr gefrühstückt, Tischnachbar hat wegen der Erkältung noch keine Therapien, aber auch Verlängerung bis 17. Januar! 9.30 Uhr zurück von der Gruppengymnastik, Übungen haben Spaß gemacht, paarweise gegenübergesessen und Bälle zugespielt, Therapeutin hat eine ansteckend fröhliche Art.

    10.20 Uhr Aufzeichnungen im Umkleideraum der Schwimmhalle, vorher mit dunkelhäutigem Mann, tätowiertem und anderem Mann Kakao getrunken. Frau von der Gruppengymnastik nochmals getroffen (Schrankschlüssel von der Rezeption geholt). 11.10 Uhr Schwimmen fertig, nur drei weitere Männer als Teilnehmer. Bewegung im Wasser tat gut, war noch ziemlich kalt, zunächst ein paar Erwärmungsrunden geschwommen, dann Übungen mit Rechtecken aus Synthetik. 13.45 Uhr vom Terraintraining zurück, rascher Spaziergang durch das Gelände, mit jungem und dunkelhäutigem Mann gelaufen. Beide kennen sich aus dem Krankenhaus. Der junge Mann hat einen Tumor. Zum Schluss Pulsmessung durchgeführt, meiner lag unter dem Normbereich. 15 Uhr nach kurzer Ruhepause aufgestanden, zum MTT „Muckibude gegangen. Übungszettel liegt im schwarzen Ordner, nach Beendigung dorthin zurücklegen! 17 Uhr Tischnachbar am Wasserautomat getroffen, nach Erkältung erkundigt. 17.10 Uhr Wiederholungssendung über Neuruppin, „Reißbrettstadt genannt wegen systematischer Anordnung der Straßen im Zentrum beim Wiederaufbau des Stadtkerns nach Brandkatastrophe 1786. Neuruppin weiträumig (mit eingemeindeten Ortschaften) eine der zehn größten Städte Deutschlands. Bronzestatur Theodor Fontanes (1819 bis 1889) steht in kurzer Entfernung von der Löwenapotheke, in der er als Sohn einer Apothekerfamilie aufwuchs. Orientalische Einflüsse bestehen, da Umgestaltung durch Familie Genz als weit gereiste Leute gestützt wurde. „Inseln der Stille gibt es viele in der Stadt, z. B. „Bollwerk mit Klosterkirche. Beim Blick über den Ruppiner See „Parzifal, eine Blechfigur, im See aufgestellt. Rheinsberg Hafendorf „Marina mit 100 errichteten Fachwerkhäusern, Rheinsberger Schloss hatte Kronprinz Friedrich in Auftrag gegeben als sommerliche Residenz für Bälle, Theater. Heute befindet sich ein Museum im Seitenflügel des Schlosses. Kurt Tucholsky schrieb das Stück „Rheinsberg. Vorstellung Martin Hoffmann Buchprojekt (Zusammenstellung von Fotografien und Dokumenten) „Rheinsberg eine Puppenstube. Rheinsberger sagen: „Man muss mindestens ein Grab auf dem Friedhof haben, um ein echter Rheinsberger zu sein." Schloss Meseberg als Gästehaus der Bundesregierung, Eigentümer ist die Messerschmidtstiftung… bis 17.50 Uhr.

    Die Aufzeichnungen zur Fernsehsendung ziehen sich über drei weitere Seiten meines Tagebuches fort. Ich erfreue mich an den bekannten Naturschönheiten wie dem Stechliner See, der Kochquelle im Bachtal der Kunster oder den Geschichten über die Entstehung der Romane „Effi Briest von Fontane und dem „Schulzenhof, wo Strittmatter „Der Laden zunächst in der Ich-Form und dann als Esau Matt umbenannt verfasste. Theodor Fontane begegnet mir noch mehrfach, so zum Beispiel als in alten Fotoalben meines Großvaters ein Zeitungsartikel des Sohnes einer Großtante auftaucht. Er schrieb 1988 unter der Überschrift „Einst Kartengrüße gewechselt in die „Märkische Zeitung: „Mit diesem bedeutenden Realisten hatte auch mein Großvater Manfred Klahre, ein angesehener leitender Ingenieur bei den Neuruppiner Städtischen Gas- und Wasserwerken, in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts Kartengrüße gewechselt. Der Dichter schickte Glückwünsche unter anderem zur Geburt der Kinder Fritz, Mathilde, Lisbeth und Georg (mein Großvater) und hoffte, dass diese Sprösslinge mal zu kritischen, heimatverbundenen Persönlichkeiten heranwachsen würden. Die Erinnerung an meine Schottlandreise im Kapitel 3 führt mich ebenfalls auf seine Spuren.

    Nach dem Abendbrotessen Bridge mit Nachbar, Frau mit Kopftuch, Frau mit Brille und dunkelhäutigem Mann gespielt. 20 Uhr gerade Nachrichten, vier Tage nach dem großen Seebeben … Mutter ruft an, kaufte heute einen neuen Brillenbügel in der Stadt, mein Bruder hat Urlaub, gestern fand ein Volleyballturnier im Nachbardorf statt. Heute gab es „Hackfleischstippe, morgen kocht sie Pellkartoffeln, dazu gibt es Quark. 20.15 Uhr „Schnee, der auf Zedern fällt mit Ethan Hawke gesehen, eine Liebesgeschichte, vom Inhalt wenig mitbekommen.

    31. 12. Wecker geklingelt, gefrühstückt, neuer Mann sitzt gegenüber, Essensaal füllt sich nach den Weihnachtsfeiertagen wieder. 8.45 Uhr mit Massage und anschließender Ruhepause fertig. Masseuse sprach mich an, bräuchte kein Handtuch extra mitzubringen. Nehme es trotzdem weiter mit, mag die wohlige Wärme nach der Massage. 8.50 Uhr zur Gruppengymnastik, machte Spaß, saßen in der Runde auf Stühlen, Übungen mit Keulen. 9.50 Uhr zur Gedächtnisgruppe (vorher Mandarine gegessen). Die Gruppe findet wegen geringer Teilnahme heute nicht statt. Die Therapeutin erklärt mir zur Verbesserung meiner Gedächtnisleistung die PQRST-Methode. Was sie beinhaltet, habe ich bis zum Niederschreiben in der Pause vergessen. Im Vorübergehen spricht mich Ärztin, die ich nicht mag, an, hat Verlängerung beantragt. Ich gebe meine Zustimmung, muss sein! Ich werde mich langsam einleben und zurechtfinden. 12.30 Uhr mit Nachbar und zwei weiteren Frauen Rommé gespielt, später kam weiterer Mann dazu. Bis 16.45 Uhr Spaziergang mit Tischnachbar. 18.50 Uhr Anruf Mutter, sie kommen Sonntag, den 2. Januar, zu Besuch. Mein Bruder und seine Freundin gehen heute zur Silvesterfeier in die Festhalle des Ortes. 19 Uhr Schwester angerufen, feiern mit Bekannten. Anschließend gehe ich zur Silvesterfeier des Hauses in die „Weiße Taube". Ich erfahre, dass mein Zimmertelefon vermutlich abgestellt wurde, da ich nie zeitnah die Vorwahlnummer eingab und so jeweils einen Notruf im Schwesternzimmer auslöste.

    Damals … es war Sonntag, der 1. Januar im Jahre 2005. Ich weiß bis zum heutigen Tag, Mitte des Jahres 2012, nie genau das Datum. Zur Überbrückung gibt es ein paar Tricks. So trage ich eine schlichte Uhr, die mir neben der Zeit und dem Wochentag den Wievielten des Monats anzeigt. Die Jahresangabe fehlt jedoch! Zur Verlängerung der Zeit des Nachdenkens – falls jemand fragt – spreche ich das vollständige Datum, wie im Eingangssatz formuliert, langsam aus. Vor der Erkrankung trug ich eher keine Uhr. Ich war recht stolz, ein gutes Zeitgefühl zu haben. Jetzt schaue ich häufig auf diese. Da mir Pünktlichkeit – auch wenn ich sie nicht immer einhalte, weil ich eventuell nochmals in der Wohnung nachsehe, ob die Fenster geschlossen sowie alle Geräte abgestellt sind und ich alle Utensilien für die bestimmten Anlässe meines Aufbruchs im Rucksack verstaut habe – wichtig ist und ich das nervige Warten bei Verspätungen anderer Personen als zermürbend empfinde, starte ich in der Regel etwas eher zu den Terminen, als ich müsste. In der Stadt kenne ich die Standorte großer aufgestellter Uhren, an denen ich mich orientieren kann. Auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle – die Strecke fahre ich, außer es regnet und im Winter, mit dem Rad – habe ich mir im Laufe der Jahre eingeprägt, an welchem Standort ich zu welcher Zeit sein sollte, um pünktlich zu beginnen.

    1. 1. 2005 0.20 Uhr aufs Zimmer gegangen, Silvesterfeiern sind mir nicht sehr wichtig. Mit netter Frau, kurze, blonde Frisur, unterhalten. Sie war auch lange Zeit „nicht da, ist jetzt wieder klarer im Denken. Zum Frühstück im Essenraum auf meinen Wunsch hin umgesetzt. Meine Tischnachbarin kenne ich von der Silvesterfeier. Es ist die Frau mit den kurzen, blonden Haaren. Ihren Namen kann ich mir gut merken. Sie heißt wie meine Oma Helene. 9.30 Uhr mit Helene zum Spaziergang, nach dem Mittagessen ab 14 Uhr zum Spiel verabredet. Sie bringt mir „Mäxchen bei. Mit zwei Würfeln ausgerüstet wird „gezockt und „gepokert um die höchste Punktzahl. Es hat Spaß gemacht. Überprüfe meinen Börsenstand, da ich keinen Überblick über meine „Finanzen" habe.

    Oft vermute ich, es fehlt Geld. Das Misstrauen darüber wirkt zermürbend. Ich erinnere mich nicht an die Ausgabe oder den Anschaffungspreis. Den Überblick behalte ich, indem ich ähnlich einem Haushaltsbuch in den täglichen Aufzeichnungen sämtliche Kontoabhebungen mit Höhe des Geldbetrages aufschreibe. Zu den Ausgaben lasse ich mir die jeweiligen Kaufbelege aushändigen und hefte sie auf der entsprechenden Kalenderseite ab.

    Mein Börsenstand beträgt am 1. 1.:

    Fünfmal 5-Euro-Scheine = 25 Euro

    Dreimal 2-Euro = 6 Euro

    Weiteres Kleingeld = 1 Euro

    Gesamt = 32 Euro

    19 Uhr zum Rummy-Spiel im Foyer verabredet mit Helene, nach dem Abendbrot Wasserflasche auffüllen! 20 Uhr Nachrichten gesehen. 5 Millionen Menschen verloren durch die Flutkatastrophe ihre Bleibe. In Indonesien überlebte ein sechs Tage lang verschüttet gewesener Mann. Spendenaktionen laufen an. In verschiedenen Ländern wurden Trauertage ausgerufen. Über 1000 deutsche Personen gelten noch in Thailand als vermisst. 34 deutsche Todesopfer wurden bestätigt. Den Angehörigen wird davon abgeraten, in das Krisengebiet zu fahren. Papst Johannes Paul II. hält seine Neujahrsansprache, Hauptthema: Flutkatastrophe. In Berlin fand wie jedes Jahr Deutschlands größte Silvesterfeier am Brandenburger Tor statt. Einführung der LKW-Maut auf der Autobahn, die Mehrkosten der Spediteure werden vermutlich auf die Verbraucher umgelegt. 20.30 Uhr Anruf meiner Schwester, ihre Freundin schickte ihr ein Paket mit Glühwein, kommt morgen mit Mutter und Lebensgefährte, bringen Kuchen und Sharon-Früchte, die ich gern esse, mit. Vor dem Schlafen Vitamin C plus Zink genommen wegen Halskratzen, bekomme hoffentlich keine Erkältung. 20.15 Uhr nebenbei Film „Meine Braut, ihr Vater und ich" (USA 2000) mit Robert de Niro und Ben Stiller gesehen. Der New Yorker Krankenpfleger Greg macht mit seiner Freundin Pam einen Antrittsbesuch bei seinen zukünftigen Schwiegereltern. Er gerät von einem Fettnäpfchen in das nächste. 21.30 Uhr Anruf Jugendfreund, kommt in der nächsten Woche vorbei, hat noch Urlaub, feierte Silvester auf dem Dorf, befragte ihn zu meiner Geschichte, erhielt ein wenig Ergänzung.

    2. 1. 8.40 Uhr zum Frühstück. Treffen uns heute wieder zum Spiel am Abend. 9.20 Uhr auf Zimmer Sachen sortiert, Schmutzwäschebeutel für Mutter zum Waschen zurechtgepackt, benötige Socken (kleine, kurze für die Turnschuhe)! Ich verstaue alles in einem grünen Beutel, den ich für die Wertsachen im Krankenhaus mit einem Aufkleber versehen bekam. Ich klebe diesen in mein neues Kalendertagebuch. Er enthält als wichtige Informationen neben dem Namen meine Anschrift, das Geburtsdatum, meine Krankenversicherung, die Station und das Aufnahmedatum. 11.45 Uhr Anruf Mutter, kommen nachher, holen mich vom Zimmer ab. Gestern waren sie zum Neujahreskaffeetrinken bei Oma, der an Demenz erkrankte Mann meiner Oma macht nachts Krach. Mittags Frau von gegenüber sitzt jetzt neben mir. Der Mann ist wieder abgereist. Tischnachbar sitzt jetzt auf meinem Platz, hat heute keinen Besuch, verabredete sich mit Frau vom Nachbartisch. Am Nachmittag erwarte ich Mutter und Lebensgefährte, Schwester und Mann im Foyer. Nach dem Kaffee fahren sie wieder heim. 17.30 Uhr Abendbrot mit Tischnachbar allein gegessen. 20 Uhr vom Kniffel-Spiel nach oben, kein Anruf heute! Bis 21.30 Uhr auf dem Zimmer von Helene mit Tischnachbar und jungem Mann „Sportler" weitergespielt und lustig gequatscht. Für den 3. Januar: Nicht vergessen, grüner Hefter, Aufgaben der Neuropsychologin nach dem Frühstück erledigen!

    3. 1. 6.30 Uhr Schwester öffnete Tür, wach geworden, hatte Wecker erst auf 7.30 Uhr gestellt, da erste Therapie um 9 Uhr ist. 7.50 Uhr vom Frühstück hoch. Nachbarin nur kurz da, hat heute vollen Plan. Tischnachbar auch kurz da, Schwester nochmals gesehen, schob Mann im Rollstuhl an einen Nebentisch, nicht gegrüßt. Oben im Zimmer Reinigungsfrau gerade da, bezieht das Bett, hätte wegen der Allergie auf Bettfedern die Schwester zum Wechsel fragen können. 9 Uhr Gruppengymnastik Raum 1002, verschiedene Übungen mit Bällen, hat Spaß gemacht. Anleiterin hat eine ansteckend lustige Art. 10 Uhr … Wo ist meine Geldbörse, wo die Ausweise? Verlegt? Kriege Panik. Gehe sehr unkonzentriert zur Gedächtnisgruppe bei der Neuropsychologin. Diese schickt mich zum Suchen aufs Zimmer. Ich finde schließlich nach Umdrehen und Auseinandernehmen aller Kleidungsstücke beides in der grauen Hosentasche. Im Zimmer befindet sich ein Schließfach. Um zukünftig Sicherheit und einen geeigneten Ort für die persönlichen Sachen zu haben, erwerbe ich für zehn Euro einen Schlüssel für den Safe an der Rezeption. Gehe anschließend zum Essen des vegetarischen Spinatauflaufes. Ein Verdauungsspaziergang oder Mittagsruhe lohnt sich nicht, da ich um 13 Uhr wieder einen Termin bei der Neuropsychologin habe. 13 Uhr im Test am Rechner zum kognitiven Leistungsvermögen erhalte ich 60 Aufgaben zum Ergänzen. Das Lösen fällt mir schwer. Ich erreiche 25 Prozent und fühle mich gedanklich erschöpft, möchte Ruhe haben. In der „Muckibude kann ich mich anschließend gut „auspowern und den Stress abbauen. Auf dem Einkaufsbummel zum kleinen Laden treffe ich eine Frau, deren Gesicht mir bekannt vorkommt. Wir unterhalten uns etwas. Sie wird bald 70 Jahre. Ihr erster Mann verstarb. Der zweite ist viel älter als sie … Wir verabreden uns heute zum Spiel. 18.30 Uhr vom Essen zurück, habe für heute Abend zwei Verabredungen getroffen, entscheide mich gegen die Verabredung mit der rothaarigen Frau zu den gregorianischen Gesängen und für das Spiel mit Helene und einem Mann mit Schnauzbart. Um 20 Uhr erfahre ich in den Nachrichten, dass noch immer 1000 deutsche Urlauber nach dem Tsunami vermisst werden, insgesamt beläuft sich die Zahl auf 12000 vermisste Touristen. Die UN spendete 1,5 Milliarden Dollar zur Errichtung eines Frühwarnsystems. Deutschland entsendete das technische Hilfswerk für die Unterstützung bei den Aufräumungs- und Wiederaufbauarbeiten. Die neuen Regelungen zum Arbeitslosengeld mit Einführung des Hartz IV-Gesetzes stecken am Anfang in Umsetzungsschwierigkeiten zu den einzelnen Paragraphen. Drei Jahre nach Einführung des Euro ist dieser im Wert zum Dollar gestiegen. Nach dem obligatorischen Anruf durch meine Mutter mit den Neuigkeiten aus dem Dorfgeschehen gehe ich sehr müde zu Bett.

    4. 1. Im Anschluss an Frühstück und Gruppengymnastik gehe ich um 9.40 Uhr zur Visite. Der Oberarzt erklärt mir die Wichtigkeit der Verlängerung meines Aufenthaltes bis zum 31. Januar zur Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials. 11.20 Uhr vom Schwimmen hoch … Eine Frau mit Badekappe, etwas älter als ich, gesellte sich zu mir. Meinte, wir hätten uns schon beim letzten Mal so gut unterhalten? Sie fand es schade, dass ich mich nicht daran erinnerte. Nach dem Mittagessen zum Terraintraining gegangen, halte mich im letzten Teil der Gruppe auf, um die immer gleiche Strecke nicht zu verfehlen. Mit einer Brillenträgerin gelaufen, geht heute noch zum Töpfern. Angebot an mich mitzukommen abgelehnt, hätte eigentlich Interesse, aber noch Qi Gong in der Zeit. Zum Abendbrot fragt Tischnachbar, ob ich Interesse an einem Kneipengang in die „Weiße Taube" hätte. Abgelehnt, freue mich bereits auf das Spiel mit Helene nach dem Essen. Kopf gewaschen. Gegen 21 Uhr Anruf Mutter, bestellt mir Grüße einer Dorfbewohnerin. Meine Schwester arbeitet jetzt in einem Seitenflügel im ehemaligen Gerichtsgebäude in der Stadt.

    5. 1. 7.30 Uhr durch laute Geräusche auf dem Flur wach. Frühstück mit neuer Rehabilitandin, blonde Haare, hat ein Kind und ähnliche Anfangsschwierigkeiten beim Zurechtfinden und Einhalten der Termine wie ich. Freue mich über mein inzwischen erworbenes sicheres und gelassenes Gefühl bezüglich der alltäglichen Abläufe. In der neuropsychologischen Behandlung werden heute kurze Texte inhaltlich erfasst mit der Beantwortung der Fragestellungen: Wer? Was? Wo? Wann? In der anschließenden Gedächtnisgruppe, die vertretungsweise ebenfalls die Neuropsychologin durchführt, ist außer mir ein russischer Sportler anwesend. Ich lerne eine weitere Technik zur Verbesserung der Gedächtnisleistung, indem man sich zu Merkendes visuell vorstellt. Nach dem Essen – Frikassee und eingewecktes Obst als Nachspeise – spaziere ich heute in den Waldweg 1, wo im Keller als Freizeitbeschäftigung wöchentlich gegen Zahlung des Materialpreises das Töpfern angeboten wird.

    Kapitel 3

    *

    Nach vierzehntägigem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik beginne ich mich allmählich einzugewöhnen, freue mich über verschiedene Bekanntschaften, gewinne wieder an Selbstsicherheit. Geplant stehen weitere drei Wochen in der Einrichtung bevor. Ich vergrößere Schritt für Schritt meinen Wirkungsradius, indem ich die gebotenen Möglichkeiten nutze und mir zeitweilig Freiheiten einräume, die nicht im Behandlungsplan vorgesehen sind. Probleme bereitet mir das Verlegen von Gegenständen mit dem anschließenden mühevollen Suchen, immer mit der Befürchtung verbunden, bestohlen worden zu sein. Das bezieht sich zum einen auf Geldbeträge, die ich weggeschlossen habe, aber auch auf simple Büroklammern, die ich noch von der Arbeit in meinem Tagesrucksack verstreut habe und nun zum Anheften von Kassenbons und anderen Notizzetteln in meinem Kalendertagebuch verwende. In meiner Erinnerung habe ich sie auf den Tisch gelegt. Die Armbanduhr fehlt auch … Die Gedanken und das Misstrauen diesbezüglich wirken zermürbend. Am Samstag, den 8. Januar, wage ich meinen ersten Ausflug in die Stadt zum Einkaufen. Ich bereite alles gut vor, lasse mir an der Rezeption einen Busfahrplan kopieren und suche einen Tag vorher die Abfahrtsstelle im Gelände auf. Ich möchte ein paar Kosmetikartikel kaufen, die ich auf einem Zettel notiere. Das Abenteuer kann beginnen …

    8. 1. 10.13 Uhr Start mit Bus, Abfahrt Heidenstraße nach Busbahnhof mit Einkaufszentrum, Tageskarte für 6 Euro im Bus gelöst. Ankunft in der Stadt, unter die Brücke durch, links vom Bahnhofsausgang, finde ich den Eingang. Ich fühle mich wie erschlagen, die vielen Menschen, die vielen Geräusche, die vielen Gerüche … Ein wildes Treiben um mich herum. Ich gehe in ein Geschäft, in dem ich alle Artikel bekomme, anschließend lasse ich mich einfach so treiben, sehe in einen Laden nach einem Produkt, probiere noch etwas an. Als alle meine Wünsche erfüllt sind, beschließe ich, mit dem erstmöglichen Bus zurückzufahren. Ich finde nicht den Ausgang. Panik überfällt mich! Ich gehe mehrfach in die gleiche Richtung – ohne Erfolg, da ich nach kurzer Zeit nicht mehr weiß, an welchem Laden ich vorbeigegangen bin, in welcher Etage ich mich befinde. Alles in diesem Einkaufszentrum erscheint mir von der Innenarchitektur, der Aufteilung völlig verwinkelt und verworren. Ich kann das System nicht erkennen. Es ist mir etwas peinlich, jemand nach dem Ausgang, der zum Busbahnhof führt, zu fragen. Alle anderen Möglichkeiten sind jedoch ausgeschöpft. Obwohl noch viel Zeit bleibt – der erste Bus ist bereits abgefahren – setze ich mich an die Haltestelle und warte geduldig und allmählich wieder entspannt auf den nächsten.

    Ich mag abenteuerliche, aktive Reisen. In älteren Aufzeichnungen finde ich eine Notiz vom 9. Juni 1984:

    Heute wollte ich mit meiner Freundin im Café arbeiten. Sie holte mich um 13 Uhr ab. Wir gingen hin, aber der Wirt schickte uns wieder weg, da so wenig Kundschaft da war. Weil wir nicht wussten, was wir machen sollten, gingen wir in die Stadt. Dort sahen wir uns den Zirkus von außen an. Beinah wären wir auch hineingegangen, aber im letzten Moment pfiff uns einer zurück. Danach gingen wir in die Eisdiele und zu den Springbrunnen. Dort fragte uns jemand nach einer Zigarette. Meine Freundin wollte gern wegfahren. Wir gingen mit unserem wenigen Geld zum Busbahnhof. Es fuhr um diese Zeit nichts, also liefen wir zum Bahnhof und fuhren von dort mit dem Zug nach Walsleben. Wir gingen ohne Westgeld in den Shop und zur Raststätte an der Autobahn, um eine Bockwurst zu essen. Dann rauchten wir noch eine. Auf dem Parkplatz standen tolle Karren, eine Kawasaki und eine Suzuki. Der Kawasaki-Fahrer trug einen ganz komischen Lederanzug mit einem Sackhalter. Wir konnten uns vor Lachen kaum halten. Wir waren anschließend noch in Rägelin in der Disco. Zu fünft fuhren wir zurück in den Burgwall zum Tanzen. Um 4 Uhr war ich zu Hause. Ich ging allein von der Stadt aus.

    Sechs Wochen später gingen wir wieder auf Reisen zu meinen Verwandten nach Groß Drewitz in den Bungalow am Göhlensee.

    27. Juli 1984. Im Urlaub war ich mit meiner Freundin in Groß Drewitz. Zwei Nächte verbrachten wir in Berlin auf dem Ostbahnhof. In Berlin waren wir zweimal in der Disco: einmal in Pankow (ganz toll), einmal in Buch (Popperdisco).

    Wir schlugen bei meinen Verwandten mit unseren selbst genähten und gefärbten „Schlamperkleidern" auf. Es war ein Schock in der ländlichen Idylle. Genau das war unser Ziel – provozierend aufzufallen und alle festgelegten Maßstäbe über den Haufen zu werfen.

    Die letzte vor der Erkrankung gebuchte Tour sollte eigentlich vom 26. Dezember 2004 bis 2. Januar 2005 nach Österreich ins Salzkammergut nach Bad Goisern zum Schneeschuhwandern führen. Da es mir zunehmend schlechter ging und ich kein Risiko während des Gebirgsaufenthaltes eingehen wollte, trat ich im November 2004 schriftlich zurück. Meine nächste Reise, die erste nach der Erkrankung, unternahm ich im Januar 2006 in Begleitung meiner Schwester, die alles organisierte. Wir fuhren mit dem Zug über Dresden, auf der Rücktour über Chemnitz, für vier Übernachtungen in die Pension „Zum alten Holzfäller" in das Erzgebirgsdorf Seiffen. Es war ein klirrend kalter Winter. Am Tage unternahmen wir kleine Besichtigungen und Ausflüge, beispielsweise in das Spielzeugmuseum im Ort oder das Glasbläser- und das Nussknackermuseum in Neuhausen. Die Abende verbrachten wir gemütlich warm bei einem Schluck Kräuterlikör mit Scrabble. Durch mehrere Fotoalben, die heute sehr bedeutsam für mich sind, kann ich einige damalige Eindrücke wiederbeleben. Ich habe fast jedes europäische Land bereist.

    Eine der ursprünglichsten Gegenden entdeckte ich mit Wanderungen im Rila- und im Piringebirge mit seinen klaren Bergseen und alten Klöstern in Bulgarien. Den größten und farbigsten Regenbogen sah ich in Schottland breitgezogen und sich spiegelnd an den Ufern des Loch Lomond. Bereits Fontane schrieb in „Bilder und Briefe" (1860) nach seiner Reise durch Schottland: „Der Loch Lomond ist eine schöne, noble Wasserfläche, und es kommt ihm zu, dass er der König der Seen heißt … Er ist groß und wasserreich, und die Inseln schwimmen auf ihm wie große Nymphäenblätter."

    Die intensivsten Reiseeindrücke nahm ich 1993 zum einen aus London mit. Hierhin flog ich wenige Jahre nach dem Fall der Mauer, verbunden mit den nun uneingeschränkten

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