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Eldorad: Zeit des Kampfes
Eldorad: Zeit des Kampfes
Eldorad: Zeit des Kampfes
eBook658 Seiten9 Stunden

Eldorad: Zeit des Kampfes

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Über dieses E-Book

Band 2 der Zeitensaga:
Zwischen Brandai und Gorderley herrschte endlich Frieden. Baron Esterhazy, der auf einer Reise nach Brandai den Respekt der gordischen Ritter erringt, bemüht sich um eine Annäherung der verfeindeten Völker. Doch in Brandai sind viele Adlige unzufrieden mit dem Ausgang des Krieges. Als der König einem Anschlag zum Opfer fällt, setzt sich Fürst Roman von Gorderley an die Spitze des Widerstandes. Kann er den Thron für das Haus Derengold retten?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Apr. 2020
ISBN9783750231702
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    Buchvorschau

    Eldorad - Petra Heinen

    Lagerleben

    Scheumond

    Roman von Gorderley saß in seinem Zelt und schrieb. Es gab plötzlich so viel zu entscheiden und zu ordnen und anzuweisen. Natürlich war er dafür erzogen und ausgebildet worden, aber selten hatte sich ein gordischer Fürstensohn unter so krassen Umständen in seine Rolle finden müssen. Gorderleys Stabilität beruhte auf auf der kontinuierlichen Thronfolge, die normalerweise geordnet vom Vater auf den Sohn übergeben wurde. Aber die Zeiten waren nicht mehr normal. Ebelonds Prophezeiung näherte sich ihrer Vollendung und er musste sein Volk durch die Wirrnis dieser Jahre führen. Roman setzte er die Feder ab und sah nachdenklich gegen die Wände aus Tuch. Es war alles so unwirklich. Die Entscheidung des Königs ließ Gorderley seine Würde in einem Maße, die er sich nie geträumt hatte. Höchstens als Provinz mit relativen Freiheiten hatte er sich die Zukunft des Fürstentums vorgestellt, doch Melgardon war weiter gegangen und hatte Gorderley als freien und unabhängigen Staat anerkannt. Wo er selbst nur den Untergang gesehen hatte, die Niederlage nach hunderten Jahren der Kämpfe um Freiheit, gab der König den Preis des Sieges aus der Hand um den Preis des Friedens. Obwohl er Melgardons Führungsqualitäten stets geachtet hatte, waren es diese schicksalhaften Worte, die ihm die unendliche Erleichterung schenkten, seinen Treueeid dem richtigen Mann geleistet zu haben. Romans Hand fuhr zu dem Amulett unter seinem Hemd. Die Göttin hatte nie mehr zu ihm gesprochen, aber diese Entwicklung musste sie zufrieden stellen. Wenn die unglaubliche Geschichte des gemeinsamen Kampfes angesichts der tausenden von Toten auf dem Schlachtfeld tatsächlich geglaubt wurde, und danach sah es aus, dann breiteten wahrhaftig die Götter ihren Segen über diese Lüge und vielleicht würde sie dadurch irgendwann wahr werden. Für sein Volk und für die Brandai. Für ihn niemals.

    Er hörte die Wache vor dem Zelt sprechen, dann bauschte sich der Vorhang und ein Mann trat ein.

    „Timbermeyn." Roman stand auf und trat seinem Heerführer entgegen. Ohne dessen Entscheidung, das Heer Brandais auf die Ebene ziehen zu lassen, und später sein überraschendes Eingreifen als die Kämpfe zu scheitern drohten, hätte Brandai nicht siegen können. So gesehen waren die Worte des Königs von dem gemeinsam errungenen Sieg nicht einmal falsch.

    Timbermeyn blieb vor ihm stehen. „Mein Fürst", grüßte er mit einem Kopfnicken. Dann zog er sein Schwert. Er rief es nicht, aber dennoch war die Bewegung schneller als ein Lidschlag. Roman rührte sich nicht. Ohne Zögern beugte sich Timbermeyn nieder und legte sein Schwert dem Fürsten zu Füßen, richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück.

    „Nicht er, dachte Roman, doch der Blick des Heerführer war eindeutig. Sie sahen sich eine Weile an. „Ich habe ein Recht darauf, sagte Timbermeyn schließlich, „ein Verrat ist immer ein Verrat, Ihr habt es selbst gesagt."

    „Ich habe kein Urteil gefällt!", widersprach Roman.

    „Das ist nicht notwendig. Ich habe das Richtige getan, aber es war dennoch falsch. Ich bin ein Heerführer Gorderleys und fälle das Urteil selbst. Die Vollstreckung liegt bei Euch, es sei denn, Ihr verweigert mir die Ehre."

    Es war keine Anklage in der Stimme, aber Roman fühlte den Schmerz trotzdem und beneidete zugleich seinen Heerführer. Timbermeyn konnte noch wählen, ihm selbst war diese Entscheidung verwehrt. Er hob das Schwert auf. Es lag fast perfekt in der Hand, ein ebenso stark gebundenes Schwert, wie sein eigenes. Etwas schmaler und leichter aber von genauso tödlicher Schärfe. Niemand wusste, woher es kam, der Gorderley hatte keine Familie, keinen Stammsitz. Seine Heimat war das Heer, seit Roman sich erinnern konnte. Elder von Gorderley hatte den jungen Mann einst gefördert und bereits zum Anführer erhoben, lange bevor Roman den Oberbefehl übernahm. „Ich brauche Euch lebend, Timbermeyn, begann er, „ich muss dem König zurück nach Undidor folgen, sonst werden die brandaianischen Adligen niemals an einen Frieden glauben. Der Fürst darf noch nicht in Gorderley bleiben. Jemand muss an meiner Stelle das Fürstentum führen. Jemand, dem ich vertraue. Ich bitte Euch zu bleiben, ein oder zwei Jahre. Es gibt niemanden, dem ich diese Aufgabe im Augenblick übertragen könnte.

    Im Gesicht des hageren Gorderley zeigte sich keine Regung. „Ihr verlangt von einem Toten, weiter zu leben." Die schwarzen Augen bohrten sich in die des Fürsten.

    „Ich weiß."

    Timbermeyn wirkte überrascht und der leere Ausdruck seiner Augen machte tiefer Trauer Platz. Er senkte kurz den Kopf bevor er den Fürsten wieder ansah. Roman reichte ihm das Schwert mit dem Knauf voran. „Ihr bekommt, was Ihr wollt, Timbermeyn, aber ich bitte Euch: Gebt mir zwei Jahre. Gebt Gorderley zwei Jahre, ist das zuviel?"

    Wieder schwieg der Krieger so lange, dass es bei einem anderen ungehörig gewesen wäre. Roman wartete mit schwerem Herzen, bis sich die ohnehin gespannte Gestalt noch mehr straffte. „Es ist viel, Herr. Für niemanden außer Euch, würde ich das tun. Er ballte die Fäuste. „Zwei Jahre, ja?! Ihr gebt mir Euer Wort, dass Ihr dann kommt?

    „Ich verspreche es. In zwei Jahren komme ich nach Gorderley und Ihr könnt von mir fordern, was Ihr wollt. Timbermeyn nahm seine Waffe und schob sie zurück in die Scheide. „Ich werde warten, mein Fürst. Jeden Tag.

    Als er ging, setzte sich Roman auf seinen Stuhl und schloss die Augen. Auch diesen Mann hatte Fürst Elder auf dem Gewissen. Wie sollte das Unrecht, das sein Vater über Gorderley gebracht hatte, je getilgt werden? Wie sollte er nur mit der Last dieser Schuld weiterleben? Aber diese Frage war ihm verboten. Er war nun der amtierende Fürst und das Privileg seiner Geburt verpflichtete ihn, sein Volk zu führen. Nur das zählte. Er atmete tief durch, warf einen Blick auf die Papierrollen und Pergamente und entschied, dass diese Entscheidungen warten konnten. Jetzt brauchte er andere Gedanken.

    Ein Teil des gordischen Heeres war in den letzten drei Tagen abgezogen, aber die Ebene von Mancafell glich immer noch einem riesigen Marktplatz. Krieger trainierten bereits wieder in Zweikämpfen, es fanden Pferderennen und Geschicklichkeitswettbewerbe statt. Schmiede reparierten Rüstungen und Waffen, Barbiere hatten reichlich Zulauf und am Rande hatten sich schon die Wagen der reisenden Huren eingefunden, die jedem Heer der Welt zuverlässig folgten. Dazwischen ragten die Lazarettzelte auf, in denen die Verletzten von Heilkundigen und Priestern versorgt wurden. In Gorderley verließ man sich weiterhin nicht auf Magie, sondern auf die praktische Kunst der Feldschere, unterstützt von der Gunst der Götter.

    Der König war mit dem brandaianischen Heer in das Küstenland gezogen, um die Piraten zu vertreiben. Verletzte und Tote waren größtenteils schon auf dem Weg zurück in das Reich, nur wenige nicht transportfähige Brandai waren noch in der Obhut der Gorderley zurück geblieben.

    Roman wurde auf seinem Weg durch das Lager nicht aufgehalten, aber überall wo er vorbei kam, hielten die Männer inne und grüßten. Manche grinsten ihn offen an und wenn sie seinen ermunternden Blick oder sein Nicken sahen, salutierten sie mit einer lässigen Handbewegung oder riefen fröhlich: „Eireana möge Euch schützen, Herr."

    Es war, als sei er nie fort gewesen.

    Er traf Esterhazy vor dem Küchenzelt, wo er über einen Blechteller gebeugt eine Mahlzeit in sich hinein schaufelte. Erst als der Fürst vor ihm stand, blickte er hoch und sprang mit einem schuldbewussten Grinsen auf. „Ich bitte um Vergebung, wenn ich esse, scheine ich alles um mich herum zu vergessen."

    So war es, seit der Baron vor vier Tagen aus seinem Verletzungsschlaf erwacht war. Anfangs konnte er vor Schwäche kaum die Augen öffnen und musste sich sogar beim trinken von Heinrich stützen lassen, aber bald gewann er genug Kraft, um eigenständig auf Nahrungssuche zu gehen. Und damit verbrachte er seine Tage und einen guten Teil der Nächte.

    Ein Küchengeselle trat mit einem Topf aus dem Kochzelt. Er nickte kurz zum Fürsten und fragte an Esterhazy gewandt: „Noch Nachschlag, Herr Ritter? Esterhazy hielt ihm den Teller hin und seufzte: „Der dritte. Ein Lob der gordischen Feldküche.

    Der Gorderley füllte den Teller bis zum Rand. „Wird nich das letzte Mal gewesen sein, für heute, Herr Ritter. Noch ham wir genug auf'm Feuer. Verblüfft verfolgte der Fürst den Wortwechsel. „Seit wann sprecht Ihr gordisch?, fragte er, als der Koch wieder im Zelt verschwunden war. Esterhazy stand mit dem Teller in der Hand und zuckte die Achseln. „Nur ein paar Worte, irgendwie muss ich ja etwas zwischen die Zähne bekommen. Er betrachtete hungrig die Portion auf seinem Teller. „Lasst Euch nicht abhalten, ermunterte ihn der Fürst, und der Baron setzte sich mit einem entschuldigenden Blick und begann wieder zu essen, nur wenig bemüht, dabei nicht allzu gierig zu wirken. „Gibt es Neuigkeiten von der Küste?", fragte er zwischen zwei Bissen.

    „Es ist noch zu früh. Sie können frühestens heute das südliche Küstenland erreicht haben. Das Gelände ist unwegsam und die Seeberge sind schwer zu durchqueren. Ich rechne erst in einigen Tagen mit Nachrichten."

    „Gut für mich, Esterhazy leckte den Teller ab und stellte ihn auf den Boden, „vielleicht kann ich dann einen Ritt durchhalten. Momentan schaffe ich nicht einmal, den Sattel aufzulegen. Von der Seite näherte sich Axel und wartete auf ein Zeichen des Fürsten, um dann schnell Esterhazys Essgeschirr aufzunehmen und damit im Küchenzelt zu verschwinden. Der Fürst sah ihm nachdenklich hinterher. Der Knappe war einfach im gordischen Lager zurück geblieben, als das brandaianische Heer und damit auch Graf Hochfels zur Küste aufbrachen, und seitdem verteidigte er zäh seine Stellung beim Fürsten. Roman brachte es nicht über das Herz, ihn fort zu schicken, auch wenn es hier keinen Mangel an jungen Gorderley gab, die sich um den Dienst rissen. Axel hatte schnell von den anderen gordischen Knappen gelernt, stets wie ein Schatten im Hintergrund zu verweilen, und aufmerksam abzuwarten, ob der Fürst nach ihm verlangte und dann zur Stelle zu sein.

    Ganz anders als Esterhazys Knappe, der einmal mehr durch Abwesenheit glänzte. Der Baron war seinem Blick gefolgt. „Es ist nicht so leicht für einen brandaianischen Knappen in einem gordischen Lager, wo jeder Gleichaltrige ihm haushoch überlegen ist, sagte er scheinbar zusammenhanglos, „Heinrich fällt wohl ein paar Tage aus. Roman schwieg erstaunt, denn wieder einmal schien der Baron seine Gedanken zu lesen.

    Unter gordischen Rittern waren die Leistungen und das Auftreten ihrer Schützlinge ein Dauergesprächsthema, aber auch wenn Heinrichs Leistungen im gordischen Lager höchstens Hohn erregten, hatte er Esterhazy gegenüber kein Wort darüber verloren. Man mischte sich nicht in die Ausbildungsangelegenheiten eines fremden Ritters ein, das galt sogar für den Fürsten.

    „Ich bitte um Entschuldigung. Es geht mich nichts an, entgegnete er, „wollt Ihr mich ein Stück begleiten?

    Esterhazy schritt an der Seite des Fürsten durch das Lager. „Heinrich ist ein guter Junge. Er wird irgendwann das Gut seines Vaters übernehmen, ein Mädchen aus der Umgebung heiraten, Schafe züchten und im schlimmsten Fall ein paar Wegelagerer vertreiben müssen. Gorderley wird eine Jugenderinnerung für ihn bleiben. Er seufzte. „Keine angenehme, fürchte ich. Er hat ein paar Prügel eingesteckt. Bis morgen schaffe ich es durchaus ohne einen Knappen, dann wird er wieder laufen können.

    Roman runzelte die Stirn. „Ich wusste nicht... ich werde verbieten, dass... „Mit Verlaub, Fürst Gorderley, unterbrach ihn Esterhazy, „die Jungen werden das unter sich ausmachen. Heinrich schafft das schon. Wir sollten uns da nicht einmischen."

    „Wie Ihr wünscht." Roman lächelte versonnen, denn eigentlich handelte Esterhazy nicht anders, als ein gordischer Ritter.

    „Ich nehme aber nicht an, dass Ihr mir Eure geschätzte Aufmerksamkeit schenkt, um über meinen Knappen zu sprechen?, unterbrach Esterhazy munter seine Gedanken, „kann ich mich irgendwie nützlich machen?

    „In der Tat, nickte der Fürst, „ich werde in einigen Tagen aufbrechen und Gorderley besuchen. Fürst Elder ist tot und ich werde einige Zeit dort bleiben müssen, um die Nachfolge zu regeln.

    Aufmerksam hörte Esterhazy zu und verzog jetzt erstaunt das Gesicht. „Ich dachte, die Thronfolge in Gorderley sei klar? Gibt es Zweifel an Eurer Stellung?"

    „Das nicht." Der Fürst blieb stehen, um einen strohbeladenen Karren vorbei zu lassen. Die beiden Krieger, die an der Deichsel zogen, grüßten mit einem Kopfnicken, machten aber keine Anstalten, ihre Arbeit zu unterbrechen.

    „Der Anspruch auf den Fürstenthron wird nicht hinterfragt. Ich bin der Erbe und Nachfolger von Fürst Elder. Roman brach ab, setzte sich schweigend wieder in Bewegung und erklärte nach einigen Schritten: „Ich muss mich zumindest einmal dem Volk zeigen. Timbermeyn kann von Witstein aus regieren, aber mein Volk muss sehen, dass er es in meinem Namen tut. Außerdem muss ich die Lehnseide abnehmen.

    „Eure Gefolgsleute kommen dazu nicht zu Euch?", fragte der Baron neugierig.

    „Nicht immer. Die Umstände verlangen, dass ich selbst nach dem Rechten sehe. Wollt Ihr mich begleiten?"

    Esterhazy nutzte die Gelegenheit und blieb stehen, die rechte Hand in die Seite gepresst. „Das ist eine Ehre für mich. Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht jemanden mit...mehr Bedeutung mitnehmen wollt? Er versuchte unauffällig, tief Luft zu holen, „außerdem bin ich noch nicht so reisefähig, glaube ich.

    Roman musterte ihn freundlich. „Der König ist mit seinen Beratern an der Küste, Ihr seid der einzige Ritter Brandais hier, soweit ich das sehe. Davon abgesehen, wäre es mir ein persönliches Anliegen, Euch einen Eindruck von meinem Land zu geben. Aber wenn Ihr zurück auf Eure eigenen Güter wollt, habe ich dafür Verständnis. Nach diesem Krieg ist dort vieles zu regeln."

    „Ich müsste wirklich ein kompletter dumpfer Idiot sein, wenn ich dieses Angebot ablehnte, platzte Esterhazy heraus, „und ich wüsste nichts, was ich lieber täte. Ganz bestimmt nicht, nach Sturmingen gehen. Ein Schatten zog über sein Gesicht.

    „Graf Leanders Tod trifft Euch sehr."

    „Er...war ein guter Mann, ein Ritter, wie er sein sollte und ich wünschte, ich hätte ihn besser geschützt. „Ihr habt getan, was Ihr konntet und es hat Euch beinahe das Leben gekostet, entgegnete der Fürst und Esterhazy schloss einen Moment die Augen. „Ja, ich werfe mir nichts vor. Aber Brandai wäre besser dran, wenn er noch lebte. Und ich wohl auch. Jetzt bin ich Dankwarts Lehnsmann und heilfroh, wenn ich ihm nicht so bald begegne."

    Sie kamen an den Rand des Lagers und er blieb wieder stehen. „Wohin gehen wir eigentlich?"

    Der Fürst wies auf die Ebene: „Es wird höchste Zeit, das Schlachtfeld zu bereinigen. Der Baron sah ihn fragend an und er erklärte: „Die letzten Toten müssen verbrannt werden. Es sind zu viele, um sie alle zu bestatten. Die meisten unserer Gefallenen wurden von Angehörigen weggeschafft, aber die toten Brandai beginnen zu verwesen. Wenn das warme Wetter anhält, wächst die Seuchengefahr. Falls Ihr Euch die Mühe machen wollt, könntet Ihr vielleicht noch einige brandaianische Ritter identifizieren und die Familien benachrichtigen.

    Esterhazy ließ den Blick über die Steppe schweifen. Überall kreisten Raben und Geier und tatsächlich lag bereits süßlicher Verwesungsgeruch in der Luft. „Natürlich, ich werde sehen, was ich tun kann. Roman winkte Axel, der ihnen mit einigem Abstand gefolgt war. Jetzt eilte er wie ein Blitz heran. „Sattle ein Pferd für den Baron und hilf ihm, befahl der Fürst und ergänzte dann an Esterhazy: „Ihr habt bis zum Abend Zeit. Morgen werden wir mit der Verbrennung beginnen."

    Es war später Nachmittag, als Axel zum Zelt des Fürsten zurückkehrte. Der Vorhang am Eingang war geöffnet und er sah Roman von Gorderley mit einem eleganten Ritter im Gespräch. Ritter Ferdinand Erkandar, rekapitulierte er und war froh, dass ihm der Name so schnell einfiel. Obwohl er gar keinen Titel inne hatte, war der Ritter ein wichtiger Mann im Fürstentum. Die beiden Gorderley blickten ihm entgegen, als er das Zelt betrat und er spürte sein Herz schneller schlagen. Wenn er mit dem Fürsten allein war, fühlte er sich einigermaßen sicher, aber er hatte immer Angst, sich vor den gordischen Rittern zu blamieren. Die gordische Etikette war so anders, als das Leben an Brandais Höfen – so kompliziert und voller ungeschriebener Gesetze.

    Er verbeugte sich sicherheitshalber in Richtung Erkandars, bevor er den Fürsten ansah: „Herr, Baron Esterhazy bittet Euch um Eure Anwesenheit, wenn es möglich ist."

    Der Fürst und der Ritter wechselten einige Worte auf gordisch, bevor Ritter Erkandar mit einer angedeuteten Verbeugung zum Fürsten, Axel fand, dass es eher ein Kopfnicken war, das Zelt verließ.

    Ein wortloser Wink bedeutete Axel voranzugehen. Die Gorderley schienen ihren Knappen nie Anweisungen zu geben und trotzdem zu erwarten, dass diese wussten, was verlangt wurde. Anfangs hatten sich die anderen Knappen des öfteren vorgedrängt, wenn Axel nicht schnell genug reagierte, aber inzwischen wurde er besser darin, die Wünsche des Fürsten zu erahnen und diesmal war er vorbereitet und hatte das Pferd des Fürsten bereits gesattelt.

    Baron Esterhazy saß auf einer kleinen Anhöhe und stand ein wenig mühsam auf, als der Fürst sich näherte. Axel blieb am Fuße des Hügels mit den Pferden zurück und versuchte, nicht allzu offensichtlich zu den beiden Rittern hinauf zu starren.

    „Tschech, sagte Esterhazy nur und wies auf den Toten zu seinen Füßen. Um den toten Ritter war der Boden zertrampelt und blutgetränkt. Tschechs Brustharnisch wies ein gezacktes Loch auf, wo der Todesstreich ihn getroffen hatte. Der Baron deutete auf die Schleifspuren im Gras. „Eure Leute haben ihre Toten bereits geholt. Ich glaube, sie mussten ihren Mann von Tschechs Schwert freischneiden. Er hat bis zum letzten Atemzug gekämpft.

    Der Fürst betrachtete betroffen den Toten. Schließlich räusperte sich und fragte: „Gibt es noch Angehörige?"

    „Er hat im letzten Sommer geheiratet. Seine Frau trägt ein Kind, soweit ich weiß, Esterhazy überlegte, „Tschech war der letzte Erbe von zwei ziemlich reichen Familien. Seine Gattin wird sich sicher erkenntlich zeigen, wenn Ihr die sterblichen Reste nach Brandai schaffen lasst. Er wollte immer neben seinem Onkel die letzte Ruhe finden.

    „Ja, Terweg, sinnierte der Fürst gedankenvoll, „er hat mir seinen Tod nie verziehen, glaube ich.

    Er bückte sich und hob Tschechs Schwert auf, das seltsam deplaziert hinter seinem Kopf lag - von den Gorderley dort zurückgelassen, als Zeichen der Achtung vor einem ehrenhaften Gegner. Hoffentlich verstanden seine Erben diese Geste. Sonst würde ein weiterer Tschech heranwachsen, der einen Hass auf Gorderley in seinem Herzen hegte.

    „Sorgt dafür, dass er nach Brandai kommt. Ihr habt freie Hand, regelt das in meinem Namen, wies er Esterhazy an, winkte Axel herbei und gab ihm Tschechs Schwert. „Säubere das, befahl er und setzte an Baron Esterhazy gewandt fort: „Ich danke Euch, dass Ihr mich gerufen habt. Als er sich abwenden wollte, hörte er Esterhazy sagen: „Ich habe auch Aue gefunden.

    Roman von Gorderley blieb stehen. „Das ist...keine gute Nachricht. Er schloss einen Moment die Augen. Es war seltsam, dass die toten Brandai ihn mehr schmerzten, als die Gefallenen unter seinen eigenen Landsleuten. Oder fühlte er sich nur schuldig, weil er den jungen Ritter nicht besser geschützt hatte? „Wo liegt er?

    Esterhazy führte ihn über das Schlachtfeld. Ein paar Male stolperte er und seine Schritte wurden immer langsamer, aber schließlich erreichten sie den Toten. „Den Helm...habe ich ihm abgenommen, keuchte der Baron und stützte die Hände vorgebeugt auf den Knien ab, während er nach Luft rang. „Ich bitte um ..Vergebung.

    Aue lag auf dem Rücken, sein Gesicht war unverletzt und sah friedlich aus.

    „Das war wohl zu erwarten, nachdem er Herbegen nicht retten konnte, murmelte Roman mehr zu sich, als zu seinen Begleitern, „was für eine sinnlose Verschwendung. Ohne den Blick von dem Toten abzuwenden, fragte er: „Was ist mit seiner Familie? Esterhazy richtete sich auf und holte tief Luft: „Ich weiß nicht genau. Er ist ja mit Herbegens Schwester verheiratet. Herbegen wurde von seinem Vater schon geholt und heim gesandt. Ich glaube, Aue haben sie einfach vergessen.

    Der Fürst beugte sich zu dem Toten und legte ihm die Hand auf den Kopf. „Herrin Eireana, nimm diesen Mann in deine Obhut und geleite ihn sicher ins Totenreich, betete er still. Dann stand er auf und musterte die Umgebung. Aues Schwert war fort, aber sein Schild lag blutverschmiert im Schlamm an seiner Seite. „Nimm das auch mit, wies er Axel an, der ihnen mit den Pferden gefolgt war, „ich werde einen Priester anweisen, dass der Körper einbalsamiert wird. Wenn niemand in Brandai seiner gedenkt, wird er hier bestattet. Er hat ein Heldengrab verdient!"

    Als er sich in den Sattel der Stute schwang und davon trabte, wollte Axel ihm folgen, aber Baron Esterhazy rief ihn zurück: „Kümmere dich um die Waffen, der Fürst braucht dich jetzt nicht." Etwas unsicher sah Axel dem Fürsten hinterher, denn von den gordischen Knappen hatte er sich abgeschaut, immer in der Nähe seines Schwertherrn zu bleiben. Aber er konnte ja auch schlecht gegen den Befehl eines Ritters handeln.

    „Wir machen hier Schluss, es dämmert bald, hörte er den Baron sagen und fuhr herum. „Soll ich Euch behilflich sein?

    Baron Esterhazy winkte ab: „Einmal aufsteigen sollte gehen…. Er schwankte und setzte er sich direkt neben dem Leichnam auf den Boden. „Ich nehme dein Angebot an. Und dann brauche ich dringend etwas zu essen, sonst kann ich mich gleich dazu legen.

    Zurück im Lager begleitete Axel den Baron bis zum Küchenzelt, bevor er sich um dessen Pferd kümmerte. Danach besuchte er Heinrich, der zusammen mit dem Baron ein kleines Zelt bewohnte und setzte sich zu ihm auf die Kante der Lagerstatt, als er vom heutigen Tag erzählte. Heinrich richtete sich mühsam auf. „Warum machen sie das? Der Gestank wird furchtbar sein, wenn sie all die Toten verbrennen. Warum lassen sie sie nicht einfach liegen?"

    Axel schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Der Fürst hat es angeordnet. Vielleicht kommt es daher, dass die Gorderley immer alles aufräumen müssen."

    „Verdammte Gorderley! Ich bin froh, wenn wir von hier wegkommen. Dem Baron geht es schon viel besser. Heinrich stellte die Füße auf den Boden und verzog das Gesicht, als er aufstand. „Ich sollte mich um sein Abendessen kümmern.

    „Nicht nötig, Baron Esterhazy hat sich selbst etwas geholt, und sein Pferd habe ich auch schon versorgt, hielt Axel seinen Kameraden zurück und musterte mitleidig dessen verschwollenes Gesicht. Heinrich blieb stehen und sah ihn unglücklich an. „Jetzt machst du auch noch meine Arbeit. Ich bin hier zu nichts nütze.

    „Sie würden mich genauso verprügeln, wenn ich nicht dem Fürsten dienen würde, versuchte Axel ihn zu trösten, aber Heinrich schnaubte wütend: „Mit dir reden sie wenigstens, mich lachen sie nur aus.

    Axel schwieg, denn es stimmte. Er selbst verlor jeden einzelnen Kampf gegen die gordischen Knappen, aber trotz allem respektierten ihn die anderen. Er lernte jeden Tag dazu, und das nicht nur im Training mit dem Fürsten. Er bemühte sich redlich, die fremden Bräuche und Gepflogenheiten zu verstehen, beherrschte immerhin schon genug Gordisch, um auf den Spott der Knappen hin und wieder antworten zu können, aber vor allem glaubte er im Gegensatz zu Heinrich nicht, dass sie ihn besonders schikanierten, denn auch die jüngeren gordischen Knappen mussten von ihren älteren Kameraden eine Menge einstecken.

    Heinrichs Problem war, dass er nicht nur alles gordische aus tiefem Herzen verachtete, sondern dem Knappendasein selbst nichts abgewinnen konnte. Er sehnte sich nach seinen Eltern und Geschwistern und dem kleinen Gut im Samland, wo die größte Unsicherheit vom Wetter ausging und das Leben ruhig und beständig war. Einzig seinen Schwertherrn liebte er, absurderweise gerade weil dieser ihn in den Dienst genommen hatte, nachdem sein Vater bei mehreren anderen Rittern vergeblich für ihn vorgesprochen hatte. Damals war er sogar ein bisschen stolz gewesen, aber inzwischen wünschte er sich, der Baron hätte ihn abgelehnt und sein Widerwillen war bei allem was er tat, deutlich zu erkennen. Er setzte sich wieder neben Axel und zog sein Hemd hoch, um die blauen Flecken auf seinem Oberkörper zu betrachten. „Das tut echt weh."

    Axel dachte an seine blauen Flecken und schenkte dem Jüngeren ein aufmunterndes Lächeln. „Wenn sie braun werden, wird es besser."

    „Toll, brummte Heinrich, „hoffentlich sind wir dann nicht mehr hier.

    „Darauf würde ich nicht wetten, entfuhr es Axel, bevor er verlegen die Hand vor den Mund schlug, „sag es bitte niemandem, der Fürst hat heute morgen gefragt, ob ich ihn begleiten will, wenn er nach Gorderley reist.

    Er hatte vor Aufregung fast nicht antworten können, aber der Fürst hatte sein Gestammel als Zustimmung angenommen und befohlen, dass er sich ein Pferd aussuchen und Reisekleidung besorgen solle.

    „Du hast ja gesagt, fragte Heinrich entgeistert, „du bist verrückt. Sie werden dich zu Hackfleisch machen und zum Frühstück verspeisen. Die warten doch nur darauf, dass du verschwindest und sie sich beim ihrem wunderbaren Fürsten einschleimen können.

    „Bitte rede nicht so, widersprach Axel und seufzte. „Es ist eine Ehre, dem Fürsten zu dienen. Und klar, sie finden, ein Brandai sei nicht der Richtige. Aber wenn der Fürst das entscheidet, werden sie es akzeptieren. Ich muss mich eben noch mehr anstrengen. Das solltest du auch. Du wirst nämlich mitkommen müssen.

    Heinrich stöhnte. „Du hast recht. Der Baron wird den Fürsten bestimmt begleiten. Womit habe ich das nur verdient. Kopfschüttelnd stand Axel auf. Manchmal fühlte er sich den gordischen Knappen näher als seinem Kameraden, auch wenn er das nicht aussprechen würde. Sie waren die einzigen jungen Brandai im ganzen Lager und ohne Heinrich würde er sich sehr einsam fühlen. „Du schaffst das schon, sagte er aufmunternd und verließ das Zelt. Es war schon dunkel, aber im Mondlicht fand er sicher den Weg zum Zelt des Fürsten. Dort waren mehrere Ritter versammelt und Kevin, der Knappe von Ritter Erkandar stand vor dem Eingang. „Hey, Brandai, willst du nicht ins Bettchen gehen?", spottete er.

    Axel tat, als hätte er die Beleidigung nicht verstanden, stellte sich ungerührt neben ihn und suchte im Kopf die gordischen Worte zusammen, die er brauchte. „Mein Platz. Du gehen. Danke für stehen hier. Er sah Kevin mit mehr Festigkeit an, als er fühlte, aber der gordische Knappe grinste. „Mein Herr ist dort drinnen, sagte er auf Brando, „und er wollen, dass ich dir sprechen. Damit ich deine verdammte Sprache besser lerne und deine Zunge das Glück genießen kann, sich im Gordischen zu versuchen." Den letzten Satz sagte er auf Gordisch und Axel verstand nur die Hälfte, aber das war ausreichend. Er grinste ebenfalls. „Ich wette, dass schneller lerne ich, denn du."

    Kevins Augen leuchteten. „Wetten, um was?"

    „Was du willst."

    Kevin sprach so schnell, dass Axel ihn kopfschüttelnd unterbrach und langsam auf Gordisch formulierte: „Du sagst. Wir machen. Ehre. Ja?"

    Kevin schwieg erstaunlich lange, bevor er wortlos seine Hand ausstreckte. Axel schlug ein und hoffte, dass er jetzt keine Dummheit begangen hatte, denn von Kevins Bedingungen hatte er kein Wort verstanden, und das war diesem sicher nicht entgangen. Er holte tief Luft, „Ich Gordisch. Du Brando. Nein anders." Grinsen schien ein Dauerzustand bei dem gordischen Knappen zu sein, aber jetzt lachte er leise. „Nichts anderes, verbesserte er und wiederholte die Worte korrekt auf Brando. „Richtig? Axel nickte und zeigte mit dem Finger auf Kevins Brust „1:0." Sie sagten nicht mehr viel, bis Kevin mit seinem Herrn abzog, aber trotzdem hatte Axel das Gefühl, zum ersten Mal ernst genommen worden zu sein. Da der Fürst keine Aufgaben für ihn hatte, machte er es sich in einer Ecke im Vorzelt zwischen zwei Decken so bequem, wie es auf dem Boden möglich war und lauschte noch eine Weile in die Dunkelheit, um ganz sicher keinen späten Befehl zu überhören. Schließlich ließ er sich von der Müdigkeit überwältigen, nicht ohne sich fest vorzunehmen, noch vor Sonnenaufgang wieder wach zu sein, und vor allem, bevor der Fürst nach ihm rief. Wenn die gordischen Knappen das konnten, würde er es auch lernen. Und notfalls musste er Kevin fragen oder…..Axel schlief ein.

    Godefell

    Wandermond

    „Whow."

    Beeindruckt zügelte Baron Esterhazy sein Pferd und blickte über die schier unendliche Fläche aus grasbewachsenen Hügeln, die sich bis zum Horizont erstreckte. Das Gras war gelblich und trocken, und Samenfäden glitzerten in der Sonne. Ein warmer Wind wiegte die kniehohen Halme zu Wellen von Licht und Schatten und darüber hing der Himmel blassblau und so weit entfernt, dass es das Herz aufriss und man die Weite bis in den letzten Winkel zu spürte.

    „Whow", sagte er noch einmal leiser. Mancafells Buschland war ihm schon groß vorgekommen, aber dieser Anblick machte sprachlos.

    „Das ist Gorderley", der Fürst hielt neben ihm und gab sich keine Mühe, die Liebe für sein Land in seiner Stimme zu verbergen. Er ließ den Blick über das Meer aus Halmen gleiten und atmete den Duft von Staub, Heu, Sonne und Wind, beglückt, dies alles noch einmal sehen zu dürfen. Sein Land. Seine Heimat. Die Stute scharrte mit den Hufen, als ob sie das Gleiche fühlte wie er. Und dass Gleiche wollte.

    Er sah zu Esterhazy hinüber, der sich nicht gerührt hatte und noch immer in die Ferne starrte, nach irgendeinem Punkt suchend, an dem er sich festhalten konnte.

    „Ein kleines Rennen, Baron?"

    Esterhazys Augen funkelten spöttisch, als er den Kopf wandte. „Lahmt Euer Pferd etwa?"

    Der Fürst schüttelte den Kopf und deutete mit einer Armbewegung über das Land: „Es ist eine Tradition. Wenn man heimkehrt und das erste Mal die Grasweiden von Gorderley betritt, geschieht dies im nicht im Schritt."

    „Na dann, der Baron wollte dem Fürsten den Vortritt lassen, aber der winkte ihm einladend zu: „Ihr zuerst. Das Recht des Gastes. Esterhazy drückte dem Braunen die Hacken in die Flanken und trieb ihn den Hügel hinab. Der Fürst blieb dicht hinter ihm und in einem Bogen jagten sie die gegenüber liegende Seite wieder hinauf und galoppierten den Kamm entlang. Der Boden war fest und trocken und die Pferde flogen über das Gras, scheuchten Vögel und Kaninchen auf und sogar Esterhazys Brauner schien das Rennen zu genießen, denn er streckte sich willig unter dem Sattel, um den nächsten Abhang anzugehen. Wieder oben angelangt wurde er langsamer und plötzlich war die Stute des Fürsten neben ihnen. Esterhazy hatte das Gefühl, er sei stehen geblieben, als die beiden davon zogen, in irrwitzigem Tempo der Talsohle entgegen sprengten, kurz hinter einer Biegung verschwanden und auf der nächsten Kuppe wieder auftauchten. Er ließ außer Atem den Braunen austraben und beobachtete mit wachsendem Staunen die gordischen Krieger, die es ihnen gleich getan hatten und nun über die Ebene galoppierten. Waren das die selben Männer, die er bisher nur in unerbittlicher Disziplin erlebt hatte? Die nur ihr Schwert und ihren Dienst zu kennen schienen und sich niemals eine Schwäche anmerken ließen? Jubeln und Jauchzen tönte bis zu Esterhazys Standplatz, er sah Ritter, die in voller Rüstung plötzlich auf ihren Sätteln standen, andere ließen sich kopfunter hängen, hielten sich nur mit den Füßen am Sattel, saßen mal rückwärts, mal vorwärts, ohne dass ihre dahin stürmenden Pferde aus dem Takt gerieten. Noch wilder trieben es die Knappen, die Fast-Zusammenstöße provozierten, in vollem Lauf die Pferde wechselten, sitzend, stehend und liegend ihre Rosse allein mit den Schenkeln lenkten und sogar Stürze in Kauf nahmen, die sie so lässig abrollten, dass sie wie Zirkuskunststücke aussahen.

    Auch Axel war dabei, redlich bemüht, sein gordisches Pferd irgendwie zu steuern und in dem wilden Treiben nicht ganz verloren zu gehen. Esterhazy suchte Heinrich und sah schließlich seinen Knappen langsam einen Hügel hinunter reiten. Der Baron seufzte. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, den Jungen mit zu nehmen. Heinrichs Reitkünste hätte man selbst in Brandai nur mit viel Wohlwollen als unteres Mittelmaß bezeichnet, aber im Vergleich mit den gordischen Knappen wirkte er wie ein schlecht befestigter Mehlsack auf einem Packpferd. Jetzt hatte er seinen Herrn ausgemacht und trabte, ohne nach links und rechts zu sehen zu dessen Aussichtspunkt, wo er mit störrisch gesenktem Kopf anhielt und wohl einen Tadel erwartete. Esterhazy unterdrückte einen weiteren Seufzer, aber er schwieg. Schließlich konnte er von sich selbst auch nicht behaupten, mit den Reitkünsten der Gorderley mithalten zu können. Er klopfte stattdessen dem Braunen den Hals und sein Pferd schaute ihn gutmütig an, als sei es durchaus zufrieden mit seinem Anteil an der Sache.

    Es dauerte eine ganze Weile, bis das wilde Treiben endete und die Gorderley wieder zu dem Trupp zusammen fanden, mit dem sie nun seit gut zwei Wochen durch das Fürstentum reisten. Die Reisegruppe war klein für das Gefolge eines Herrschers, nur der Fürst, fünf gordische Ritter mit ihren Knappen, sowie Baron Esterhazy, Heinrich und Axel und zwei Diener, die dem Tross mit jeweils einem Packpferd folgten, aber da sie die Nächte meist auf einem Gut oder einer Festung verbrachten, reisten sie mit wenig Gepäck und niemand schien sich darüber zu wundern.

    Neun Lehen hatte der Fürst bisher besucht und sie waren überall mit Begeisterung empfangen und bewirtet worden. Obwohl der Fürst mehr als zwei Jahre in Brandai gelebt und zudem unübersehbar auf brandaianischer Seite gegen sein eigenes Volk gekämpft hatte, gab es keinen Zweifel, dass Roman von Gorderley der anerkannte Nachfolger seines Vaters war, und alle Gefolgsleute hatten dies durch einen neuen Lehnseid bekräftigt.

    Für einen Brandai waren solche Machtverhältnisse beinahe unheimlich. Esterhazy, der bei den meisten der völlig unspektakulär abgelegten Lehnseide zugegen war, kam in den Sinn, dass keine einzige Königsnachfolge der letzten Jahrhunderte so unangefochten erfolgt war, selbst König Melgardon hatte erst sich durchsetzten und die Thamthaler Ansprüche in einem Krieg nieder ringen müssen.

    Der Fürst kam ihm entgegen und und deutete nach Norden. „Verzeiht uns dieses kleine Vergnügen, Baron. Wir werden uns nicht weiter aufhalten, es geht dort entlang, wenn Ihr soweit seid."

    Obwohl der Blick in die Ferne Übersicht vermittelte, verlor Esterhazy in dem wiederkehrenden Auf und Ab der Hügel schon bald die Orientierung. Nicht das kleinste Wäldchen unterbrach das Meer aus Gras, nicht einmal ein Baum ragte irgendwo auf und vermittelte ein Gefühl für Richtung. Die einzige Abwechslung waren trockene Bachläufe, die ein Netzwerk aus weißem und rotem Lehm zwischen den flachen Abhängen bildeten und große Inseln grauen Gestrüpps, das bis zu den Steigbügeln reichte. Die Gorderley hielten geräumigen Abstand von diesen Buschinseln und als Esterhazy neugierig darauf zu hielt, rief ihn der Fürst zurück. Er stieg ab und bedeutete dem Baron, ihm zu Fuß zu folgen. Der Boden war bis auf kleine Büschel eines bläulichen Grases kahl und knirschte unter den Schuhen. Der Fürst zog aus dem Gestrüpp einen Ast heraus, der zwar dürr und trocken aussah, aber dennoch elastisch federte. Der schlanke Zweig war gespickt mit fingerlangen spitzen Dornen. „Kein Reiter kommt lebend aus den Silberdornen heraus, erklärte er und ließ den Zweig los. „Hier stehen sie dicht, aber auch an anderer Stelle, solltet Ihr vermeiden, ihnen zu nahezu kommen. Habt Ihr den Sand gespürt? Esterhazy bückte sich und betrachtete den Boden genauer.

    „Die Dornen zerfallen zu kleinen Stücken mit messerscharfen Kanten. Das schneidet einem Pferd die Hufe auf, warnte der Fürst und Esterhazy zog die Hand zurück, die er gerade ausgestreckt hatte, erhob sich und scherzte: „Gorderley gibt sich weiterhin Mühe, abweisend zu wirken, aber der Fürst widersprach: „Es ist genug Platz für alle da."

    Gegen Nachmittag stießen sie auf die erste Herde.

    Die Rinder Gorderleys waren hochbeinig, grauscheckig, mit mächtigen Hörnern und drängten sich muhend und grunzend um ein Wasserloch, bewacht von einigen Hirten zu Pferde und drei Männern, die mit Ruten ausgerüstet die Tiere zu Fuß trieben und nicht aufblickten, als die Reiter über den Hügelkamm kamen. Die Hirten ritten ihnen gemächlich entgegen und wurden erst aufgeregt, als sie die Reisenden erkannten. Sie sprangen aus den Sätteln und verbeugten sich und beantworteten beflissen die Fragen des Fürsten, während Esterhazy leicht benommen auf das Meer an Hörnern und Rücken starrte. Er selbst konnte sich stolzer Besitzer einer Herde von vielleicht 80 Rindern nennen, das ganze übrige Samland mit allen Höfen seiner Leibeigenen brachte es wohl auf 200 Rinder, davon die Hälfte Milchkühe, aber diese Herde umfasste sicher an die tausend Tiere und niemand musste ihm sagen, dass es nicht die einzige Rinderherde Gorderleys war.

    „Wir nächtigen heute bei dem Besitzer dieser Rinder, kündigte der Fürst an, als sie weiter ritten, „Burg Godefell wird Euren Erwartungen entsprechen, denke ich. Esterhazys Erstaunen über die Schlichtheit der gordischen Rittersitze war ihm nicht entgangen. Die gordischen Gutshöfe waren gut befestigt und effektiv verwaltet, aber in den Augen eines Brandai fehlte ihnen jede Eleganz. Es gab keine Gärten, keine Wandelhallen, keinen Prunk und die Inneneinrichtung war schmucklos und praktisch.

    „Dies ist eines der größten Lehen im Süden von Gorderley", ergänzte der Fürst und tatsächlich erreichten sie erst mit der Abendsonne den Stammsitz von Godefell. Die Burg lag auf einer flachen Anhöhe und konnte es mit jeder Festung Brandais aufnehmen. Ein Graben umgab hohe Mauern aus viereckigen Steinquadern und zwei Torwächter bewachten eine Zugbrücke, die breit genug war, dass zwei Reiter einander darauf passieren konnten. Der Innenhof war weitläufig und man sah die verschiedensten Gewerke in Unterständen entlang der Mauer. Alle Gebäude waren aus Stein mit Dächern aus Schiefer und wie bisher überall, war es penibel sauber. Nirgendwo lag Pferdemist oder anderer Abfall herum, der Sand war gefegt und vor der steilen Holztreppe, die zum Burgfried hinauf führte, war der Boden mit großen Platten aus Granit ausgelegt. Der Burgherr stand mit seiner Gemahlin am Fuße der Stufen und erwartete sie. Noch bevor der Fürst sein Pferd ganz zum Stehen gebracht hatte, sank er auf ein Knie und sah zu ihm auf.

    MaSeire! Wir grüßen Euch. Eure Burg wartet auf Ihren Herrn."

    Esterhazy beobachtete den Fürsten, um zu wissen, was geschehen sollte. Die Anrede hörte er zum ersten Mal und dass ein Ritter vor dem Fürsten kniete, war auch noch nicht vorgekommen. In diesem Land beugten sich nicht einmal die Bauern vor ihren Herren und die neugierigen Blicke der Hörigen in den kleinen Dörfern irritierten ihn immer wieder.

    Roman von Gorderley blieb aufrecht im Sattel sitzen und wartete, bis der ankommende Tross zur Ruhe kam. Normalerweise hätte man ihnen jetzt den Willkommenstrunk gereicht, aber stattdessen zog der Hausherr sein Schwert und hielt es waagrecht vor sich: „Ich, Gernot, Sohn von Grimbert, schwöre meinem Herrn, Fürst Roman, Gefolgschaft und Treue bei meinem Leben und meinem Tod."

    Ein junger Mann kniete neben ihm nieder und schwor: „Ich, Udo, Sohn von Gernot, bitte meinen Herrn, Fürst Roman, meine Gefolgschaft und Treue anzunehmen, im Leben und im Tod."

    Der Fürst musterte die beiden in der der Stille, die nach den Eiden im Hof hing.

    „Erhebt Euch, Ritter Gernot. Mit Stolz und in Ehre nehme ich Euren Schwur an. Burg Godefell soll Euer Lehen bleiben, wie es Euch gebührt. Gernot erhob sich sofort und der Fürst wandte sich an seinen Sohn: „Erhebt Euch, Ritter Udo. Ich nehme Eure Gefolgschaft an und werde Eure Ehre mit der meinigen verteidigen.

    Auch Udo erhob sich und wechselte mit seinem Vater einen vor Stolz überfließenden Blick. Danach traten beide zu Seite, um der Hausherrin Platz zu machen, die nun aus einem Krug den Willkommenstrunk in einen Zinnbecher füllte, einen Schluck nahm und dann dem Fürsten hinauf reichte. „Willkommen auf Eurer Burg, Fürst Roman."

    Der Fürst neigte dankend den Kopf, trank und reichte den Becher zurück. „Habt Dank, Frau Sabine. Darf ich Euch meine Begleiter vorstellen?"

    „Es ist mir eine Freude, den Wein von solch liebreizender Hand gereicht zu bekommen, sagte Baron Esterhazy auf Gordisch und verbeugte sich vor der Hausherrin. Frau Sabines Gesicht verlor ein wenig von dem strengen Ausdruck, mit dem sie dem Ritter aus Brandai bedacht hatte und sie antwortete mit einem langen Satz, der in einer Frage endete, wie Esterhazy am Tonfall erkannte, denn er hatte kein Wort verstanden. Mit einem entschuldigenden Lächeln hob er die Handflächen: „Bitte vergebt einem Mann die Torheit, eine schöne Frau beeindrucken zu wollen. Meine Sprachkenntnisse sind meinen Wünschen nicht gewachsen, entschuldigte er sich auf Brando und sah dann hilfesuchend zum Fürsten.

    „Eure Sprachkenntnisse in Ehren, aber sie sind von einer gewissen Einseitigkeit, spottete dieser freundlich und Esterhazy zuckte die Achseln: „Das wichtigste zuerst, eine gute Mahlzeit und das Lächeln einer schönen Frau.

    Der Fürst wechselte einige Worte mit Frau Sabine und diese wiederum mit ihrem Gatten, der nun vor trat und in langsamem Brando formulierte: „Im Namen meiner Gemahlin heiße ich Euch willkommen. Sie lässt Euch sagen, dass die Frauen in Brandai glücklich sein müssen, wenn sie von Männern Euresgleichen verehrt werden. Sie wünscht, mehr aus Eurer Heimat zu erfahren. Diesem Wunsch schließe ich mich an. Wenn Fürst Roman gestattet, bitte ich Euch zum Abendmahl an meine Seite?"

    Der Fürst war inzwischen ebenfalls abgestiegen und hatte die Zügel seines Pferdes Uwe übergeben, der auch nach Esterhazys Zügel griff und mit den Tieren abzog, gefolgt von Axel, der mit energischen Schritten zu ihm aufschloss. Roman von Gordeley nickte dem Hausherrn anerkennend zu. „Wir werden Eure Gastfreundschaft einige Nächte in Anspruch nehmen, Ritter Gernot. Ich habe viel mit Euch zu besprechen."

    Sie speisten in kleinem Kreis in den Gemächern der Familie, die über der Halle lagen, wo die übrigen Ritter aus ihrem Gefolge sich unter Gernots Getreue mischten. Für eine Burg dieser Größe waren die Räume schlicht gestaltet, doch wenn man genauer hinsah, war der Reichtum der Familie unverkennbar: Die Zimmerdecke bestand aus hellem Holz, ein seltener Baustoff in dem baumarmen Fürstentum. Der polierte Marmorboden war in einem kleinteiligen dezenten Muster verlegt, die Möbel zeugten von gediegener Handwerkskunst, aber der Blickfang waren die zahlreichen Teppiche an Wänden. Detaillierte Szenen aus dem Landleben, Kriegsbeschreibungen, Bilder von Pferden und Hunden: Ein Panoptikum gordischen Lebens war in feinstem Garn von schillernden Farben verwebt und Esterhazy konnte während der Mahlzeit kaum den Blick abwenden. Zum Glück bestritten zunächst der Hausherr und der Fürst das Tischgespräch, aber nachdem die Teller abgeräumt waren, wurde es familiärer. Gernot übersetzte für seine Gattin und sein Brando wurde im Laufe des Abends immer flüssiger, so dass der Fürst nur noch selten aushelfen musste. Die beiden Gorderley begegneten dem Baron erstaunlich unvoreingenommen, obwohl auch sie in dem Krieg Verwandte und Lehnsleute verloren hatten und nach und nach entspannte sich auch Esterhazy und seine angeborene Fröhlichkeit gewann die Oberhand über seine bisherige Zurückhaltung. Damit entzückte er wiederum ihre Gastgeberin, die er in einer Mischung aus Brando und Gordisch mit Alltagsgeschichten und Komplimenten unterhielt. Dabei wahrte er so liebenswürdig den Respekt, dass auch Gernot der Minne an seine Gattin wohlwollend zusah. Udo machte aus seiner Begeisterung für den Gast aus dem ehemaligen Feindesland gar kein Hehl. Er löcherte Esterhazy mit Fragen in einem ulkigen Sprachgemisch, das sie beide immer wieder zum Lachen brachte.

    „Wieso sprecht Ihr eigentlich überhaupt Brando", fragte Esterhazy, als später am Abend Frau Sabine in die Küche ging, um höchstselbst noch einen Gewürztrunk für die Gäste zu bereiten.

    Gernot verbeugte sich gegen den Fürsten: „Der Vater des Fürsten hat dies geboten, Fürst Elder, Eireana möge ihn schützen. In jeder Familie soll mindestens ein Mitglied Brando lernen."

    Roman von Gorderley nickte. „Die Sprache des Feindes zu kennen ist ein Vorteil, wenn man Gefangene verhört. Oder Spione in sein Land schickt. Aber Fürst Elders Umsicht wird nun von noch größerem Nutzen sein. Gernot hob den Weinkelch: „Euer Vater wusste vielleicht schon mehr, als er verriet? Roman von Gorderley erwiderte den Toast nicht, sondern entgegnete nur knapp: „Das ist möglich."

    Es gab eine winzige Pause, doch Esterhazy ergriff schnell das Wort. „Fürst Roman, Ihr sagtet, dass Eure Mutter Euch Brando lehrte, gab es denn noch weitere Brandai in Gorderley, von denen alle anderen lernen konnten?"

    Gernot und Udo sahen erst einander und dann den Fürsten verlegen an. „Nur zu, forderte dieser sie auf. „Naja, die Sklaven eben, platzte Udo heraus und Gernot rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger und faltete dann die Hände auf dem Tisch. „So ist es. Brandaianische Sklaven."

    Esterhazy schluckte betroffen, denn es war klar, dass er seine Gastgeber in eine peinliche Lage gebracht hatte. „Das..liegt nahe. Ich hätte es mir denken können, entschuldigte er sich schließlich. „Was hätten wir sonst machen sollen?, verteidigte sich Udo, „es ist übrigens gar nicht so leicht, einen zum sprechen zu bringen."

    „Udo." Gernot hob nicht einmal die Stimme, aber Udo schwieg sofort und senkte den Kopf.

    „Vielleicht möchte unser Gast diese Details nicht hören!"

    „Ich bitte um Vergebung, Vater, sagte Udo leise und schaute zu Esterhazy, „bitte verzeiht mir ebenfalls, Baron. Er erhob sich, verbeugte sich vor dem Fürsten und blieb vor seinem Vater stehen. „Ich bitte um Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen." Gernot nickte und Udo ging geradewegs aus dem Raum.

    „Ich entschuldige mich für meinen Sohn", wandte sich Gernot förmlich an Esterhazy, der

    erstaunt das Geschehen verfolgte. Plötzlich begriff er, dass der Burgherr und sein Sohn ihm gerade eine goldene Brücke bauten, indem Udo die Schuld für die Peinlichkeit auf sich nahm und bestraft wurde und ihm wurde beinahe schwindelig vor solch komplizierten Höflichkeitsritualen. Er neigte den Kopf in Richtung des Burgherrn und formulierte auf Brando: „Habt Dank für Eure Großzügigkeit. Ich würde mich glücklich schätzen, mit Eurer Erlaubnis meine eigenen Kenntnisse des Gordischen zusammen mit Eurem Sohn zu verbessern."

    Gernots Gesicht zeigte keine Regung, als antwortete: „Es wird uns eine Ehre sein."

    „Ausgerechnet Ziegen! Esterhazy verzog das Gesicht von dem strengen Geruch, der von der Herde ausging. Udo grinste. „Gute Wolle. Godefell ist berühmt für. Sein Brando wurde jeden Tag besser. Genau wie Esterhazys Gordisch. Kein Wunder, da sie doch den größten Teil der Tage miteinander verbrachten. Udo zeigte ihm die Burg und die ausgedehnten Ländereien, während der Fürst und Gernot die zahlreichen Besucher empfingen, die anreisten, um dem Fürsten ihre Treue zu bestätigen.

    Heute waren sie jedoch weniger zum Spaß unterwegs, als auf der Suche nach Heinrich, der seit dem gestrigen Abend unauffindbar war. Aber nun sahen sie ihn am Rande der Ziegenherde, vertieft im Gespräch mit einem Hirten und Esterhazy fragte sich, wie sein Knappe das fertig brachte, obwohl er doch kaum ein Wort Gordisch verstand.

    „Es sieht aus, als wir ihn gefunden, lachte Udo fröhlich, „Eure Knappen ziemlich eigenwillig manchmal?

    Esterhazy zog es vor, nicht zu antworten. Eigenwillig war sicher nicht die richtige Beschreibung für Heinrichs Betragen. In Gorderley sattelte ein Ritter sein Pferd nicht selbst. Er musste auch seine Stiefel nicht putzen oder sein Wams ausbürsten. Im Grunde musste das ein Ritter in Brandai auch nicht, dachte Esterhazy resigniert, dazu gab es schließlich die Knappen, aber Heinrich hockte die meiste Zeit in der Schlafkammer und wagte sich nicht hinaus. Zu den Mahlzeiten kam er nicht mehr zur Bedienung seines Herrn, seit er am zweiten Abend mit einem Stapel Teller gestolpert und der Länge nach hingefallen war. Weder Tadel noch Ermahnung brachten den Jungen dazu, sich mehr Mühe zu geben und gestern hatte Esterhazy ihn das allererste Mal geohrfeigt, nachdem Heinrich einen von Gernots Rittern einfach stehen ließ, als der ihm einen Befehl erteilte, den er nicht verstand. Heinrich kam danach erst am späten Abend in die Halle geschlichen und als sein Herr ihn zur Rede stellte, verweigerte er trotzig jede Erklärung. Heute Morgen blieb er unsichtbar und schließlich ging Esterhazy mit Udo auf die Suche.

    Sie hatten die Burg kaum hinter sich gelassen, als sie auf die Ziegenherde stießen, wo ein scheinbar höchst vergnügter Heinrich jetzt mit Hilfe des Hirten eine Ziege am Gehörn packte und genauer untersuchte.

    „Sind Schafe nicht besser für Wolle?, fragte Esterhazy abwesend, während er den Braunen seinen Weg die Anhöhe hinunter selbst suchen ließ. „Schafe auch, nickte Udo, „aber dies Daunenziegen sein. Esterhazy runzelte die Stirn: „Sie haben.., er suchte einen Moment nach dem richtigen Wort, „... Federn? Es gibt ja vieles in Gorderley, dass mir seltsam vorkommt, aber das glaube ich nicht."

    Der Braune kam ins Rutschen und Esterhazy ließ die Zügel locker, damit er wieder seinen Tritt fand. Udo lenkte sein Pferd mit selbstvergessener Beiläufigkeit an Esterhazys Seite und lachte. „Natürlich nicht. Aber Haar so fein, dass wie Daunen wärmt. Und Teppich ist wie Seide."

    Sie erreichten den Talgrund, wo ein Mann in grobem Hemd aus grauer Wolle und einer ebensolchen Hose über einer Ziege hockte, die er mit einem Knie auf dem Boden festhielt, um die Hufe zu beschneiden. Der Mann blickte nicht auf, hielt aber mit der Arbeit inne bis sie vorbei waren. Esterhazy bemerkte den Eisenring um seinen Hals und wie jedes mal, wenn er brandaianische Sklaven sah, fühlte er sich unwohl. Natürlich gab es tausende davon im Fürstentum und trotz des Friedens war nicht anzunehmen, dass die Gorderley sie frei lassen würden, aber es waren nun mal seine Landsleute. Hätten die Götter anders entschieden, wäre er vielleicht genau dieser Sklave, statt als freier Mann durch das Fürstentum zu reiten.

    Udo beachtete den Sklaven überhaupt nicht, sondern steuerte zielstrebig auf den Hirten und Heinrich zu, die beim Anblick der Ritter überrascht die Ziege laufen ließen.

    Nicht die Spur eines Schuldbewusstseins lag auf Heinrichs Gesicht, als er mit leuchtenden Augen zu Esterhazy aufsah: „Herr, seht nur! Diese Ziegen haben das feinste Fell, das man sich vorstellen kann. Es gibt vier Rassen, nur eine ist so weiß wie diese, aber die anderen haben noch längere Haare und man kann die Wolle zu extrem dünnen Fäden spinnen. Sie werfen zweimal im Jahr Junge, gewöhnlich sogar Zwillinge und Milch geben sie auch genug, dass man Käse davon macht. Und stellt Euch vor, sie brauchen gar keine zusätzliche Nahrung, je magerer die Wiesen, desto besser, nur muss man die Hufe beschneiden, weil sie eigentlich auf Felsen laufen und..."

    „Was machst du hier? Wir suchen dich seit Stunden!", unterbrach Esterhazy den Redeschwall. Er war froh, den Jungen gesund zu sehen, aber diesmal konnte er Heinrich sein Verhalten nicht mehr durchgehen lassen.

    Heinrich schluckte, senkte den Kopf und schwieg. Es gab keine Entschuldigung für seine Flucht, das wusste er selbst. Aber dann blickte er doch wieder auf und bat zaghaft: „Vergebt mir, Herr. Bitte noch dieses Mal. Ich will…..." Er schielte unglücklich auf den gordischen Ritter, der mit hochgezogenen Brauen zuhörte, während der Hirte sich unauffällig zurückzog und einige Schritte weiter auf seinen Stab gestützt die Hügel betrachtete, als würden dort gerade Ziegen aus dem Boden wachsen. Esterhazy wurde ärgerlich. „Du willst noch etwas? Junge, weißt du eigentlich, was du getan hast? Diesmal schicke ich dich zurück zu deinem Vater, das ist das Einzige, was ich noch für dich tun kann. Er hatte eigentlich gedacht, dass Heinrich erleichtert sein würde, aber zu seiner Überraschung riss sein Knappe die Augen auf und schüttelte den Kopf: „Nein. Ich meine, Herr, bitte nicht. Ich strenge mich an, ganz bestimmt. Ich will..ich möchte hier bleiben. Bittend sah er zu dem Reiter auf.

    „Ein sehr plötzlicher Sinneswandel, entgegnete Esterhazy trocken. Heinrich errötete bis zu den Haarwurzeln. „Die Ziegen, flüsterte er schließlich ohne Hoffnung, „ich möchte mehr über sie lernen. Bitte lasst mich hier bleiben, Herr."

    Der Baron blickte über die Herde, die grasrupfend langsam weiterzog. Der Sklave trieb einen Bock zurück, der sich zu weit entfernt hatte und der Hirte gab dem Hund einen Befehl, worauf dieser einige Nachzügler aus einer Senke aufscheuchte. Ein friedliches

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