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Iska - Die Flucht
Iska - Die Flucht
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eBook521 Seiten7 Stunden

Iska - Die Flucht

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Über dieses E-Book

Germania Inferior (Niedergermanien) im Jahre 120 n.C.: Ein kleines Dorf in der Nähe der Stadt Novaesium (dem heutigen Neuss) wird durch den neuen Präfekten zerstört, als die Bewohner nicht in der Lage sind, erhöhte Abgaben zu entrichten.
Im Affekt tötet Iska den Mörder ihres Vaters, einen römischen Soldaten. Ihr bleibt nur die Flucht, die ihr schließlich mit Hilfe eines jungen Kriegers knapp gelingt. Ihr Bruder, sowie die anderen Bewohner des Dorfes, werden von den Römern verschleppt und versklavt.
Iska findet Unterschlupf und Freunde beim Stamm der Sugambrer. Jedoch wird sie dort in Intrigen verstrickt und aus dem Dorf verbannt. Als eines Tages die Römer das Dorf angreifen und dem Erdboden gleichmachen, muss Iska erneut fliehen. Mit drei Freundinnen gelingt es ihr, sich zu den befreundeten Brukterern durchzuschlagen.
Doch der Gedanke an ihren Bruder lässt Iska keine Ruhe und alsbald eröffnet sich ihr eine Möglichkeit, über den Rhenus und hinter den Limes zurückzukehren. Der Plan, ihren Bruder wiederzusehen und vielleicht sogar zu befreien, nimmt Gestalt an.
Nach einem Umweg über die Insel Britannia gelangt Iska schließlich unter römischer Obhut in die Colonia Ulpia Traiana (beim heutigen Xanten). Wird sie dort ihren Bruder wiedersehen?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Feb. 2022
ISBN9783754185339
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    Buchvorschau

    Iska - Die Flucht - Jürgen Ruhr

    -

     

     

      

    Iska - Die Flucht

    Roman

     

    © by Jürgen H. Ruhr

    Mönchengladbach

    ruhr-autor@online.de

    Vorwort

      

      

    Im Jahr 122 a.D. weilte der Kaiser Publius Aelius Hadrianus (Hadrian) in der römischen Provinz Niedergermanien und in der Stadt Colonia Ulpia Traiana.

      

    Die folgende Geschichte ist frei erfunden, basiert aber auf diesem realen geschichtlichen Hintergrund.

    Prolog

    Freundlich schien das Sonnenlicht auf die kleine Lichtung. Bunte Sommerblumen bildeten einen duftenden Teppich und schmiegten sich an die Körper eines Jungen und eines Mädchens. Der süße Duft des Sommers lag in der Luft und betäubte die Sinne.

    Träge drehte sich der Junge zur Seite und stützte seinen Kopf in die Hand. „Was hast du da? Er sprach die Worte unter mühsam unterdrücktem Gähnen aus. Langsam ließ er den Blick von dem Mädchen über die sonnendurchflutete Lichtung bis zum Waldrand schweifen. Ein leichter Wind spielte in den Baumwipfeln. Sanftes Rauschen hüllte die beiden jungen Menschen ein. Am Himmel segelten kleine weiße Wölkchen langsam dahin. Ein Hase hoppelte durch das dichte Gras, blickte neugierig auf die beiden Personen und setzte seinen Weg dann fort. Der Junge beobachtete das Tier versonnen und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Ihrer Aufgabe, Beeren im Wald zu sammeln, waren sie rasch nachgekommen. Die kleinen Weidenkörbe waren voll reifer, lecker riechender Früchte und es blieb ihnen sogar noch Zeit für ausreichend Müßiggang. Der Junge dachte an die vielen Beeren, die sie direkt gegessen hatten. Jetzt genossen sie satt und zufrieden die warmen Strahlen Sunnas. Erneut schaute er zu dem Mädchen. „Iska, komm sag schon, was hast du gefunden?

    Seine Schwester antwortete nicht. Verträumt hielt sie ihren Fund gegen die Sonne und war ganz vertieft in den Anblick. Sie schien dieser Welt vollkommen entrückt zu sein. Jetzt wurde der Junge erst recht neugierig. Er setzte sich auf. „Iska, wenn du mir nicht sofort sagst, was du da in der Hand hältst, dann komme ich zu dir herüber!" Angesichts seiner augenblicklichen Trägheit waren das mutige Worte, denn er beabsichtigte jetzt bestimmt nicht, sich mehr als unbedingt notwendig zu bewegen.

    Doch die Drohung schien Wirkung zu zeigen. Seine Schwester wandte den Blick von ihrem Fund ab und sah den Jungen an. „Ich weiß nicht, was es ist. Aber nachdem ich den Dreck abgekratzt habe, erschien ein Bild darauf und wenn ich es in die Sonne halte, leuchtet es gelb."

    Schließlich siegte die Neugier des Jungen doch und langsam erhob er sich. „Zeig doch mal."

    Iska hielt ihm den kleinen Gegenstand hin. „Hier, Wiborg, aber mache es nicht kaputt!"

    „Keine Sorge, ich bin doch kein kleines Kind. Wiborg nahm seiner ein Jahr jüngeren Schwester den Gegenstand vorsichtig aus der Hand. „Hmm, das ist das Bild einer Frau mit einer Ähre; vielleicht eine Göttin?

    „Eine Göttin? Ich kenne keine solche Göttin. Könnte es eine Göttin der Römer sein?" Iska hielt bittend die Hand auf.

    Wiborg überlegte. „Vielleicht. Auf jeden Fall muss es jemand um den Hals getragen haben. Siehst du das kleine Loch dort? Da lässt sich bestimmt eine Schnur durchziehen." Er gab es Iska zurück.

    Die schaute ihren Bruder fragend an: „Was für ein Material könnte das sein? Ich habe so etwas noch nie gesehen."

    Wiborg legte die Stirn in Falten. Mit seinen siebzehn Jahren war er zwar fast schon ein Mann, doch auch er fand nicht auf alle Fragen eine Antwort. „Also, ein Metall ist es nicht, dafür ist es zu leicht. Und Holz ist es auch nicht. Und die Sonne scheint hindurch. Dann kam ihm eine Idee. „Wir sollten es Thoralf, dem Dorfältesten, zeigen. Der kann uns bestimmt sagen, um was es sich handelt!

    Langsam nickte Iska. „Ob ich es behalten darf?"

    „Bestimmt, wir machen ein Band dran und du kannst es um den Hals tragen. Vater wird sicherlich nichts dagegen einzuwenden haben."

    Beide Kinder saßen jetzt nebeneinander im Gras und schauten gedankenverloren auf das Fundstück in Iskas Hand. „Wer mag so etwas hier verloren haben?" Das Mädchen war schon immer ein wenig träumerisch veranlagt gewesen und in ihrer Phantasie sah sie eine hochgewachsene Römerin über die Lichtung schweben, das Medaillon um den Hals. Lachend folgte ihr ein festlich gekleideter Mann und als er die schöne Römerin einholte und die Arme um sie schlang, zerriss das Band, das das Medaillon hielt. Aber weder der Römer, noch die Frau bemerkten es, sondern fanden jetzt im innigen Kuss zueinander.

    Wiborg bemerkte, dass Iska wieder einmal in ihre Phantasiewelt entrückt war und mit einem Schmunzeln auf den Lippen hauchte er seiner Schwester einen Kuss auf die Wange. „Komm in die Realität zurück, Schwesterchen! Wer weiß, wie das Ding hier hingekommen ist. Iska gab ihm einen Stups in die Seite. „Lass das, du gemeiner, gemeiner ... Ihr Satz ging im Lachen ihres Bruders unter. Dann musste sie plötzlich auch lachen und übermütig ließen sie sich nebeneinander in das weiche Gras plumpsen.

    I. Das Geheimnis

    So lagen sie dort eine ganze Weile, schon nachdem sie sich lange beruhigt hatten, und schauten in den blauen Himmel. Hin und wieder verdunkelte eine weiße Wolke ein wenig die Sonne und wenn Iska jetzt nicht plötzlich aufgesprungen wäre, hätte der Schlaf zumindest Wiborg übermannt. „Was ist jetzt los? Warum springst du auf?", murmelte er träge und ein wenig mürrisch. Seine Gedanken wanderten eben noch durch ihr kleines Dorf und verweilten bei einem Mädchen namens Elfrun. Und dieser Name passte auch wirklich zu ihr. Immer wenn Wiborg an sie dachte, wurde ihm ganz warm ums Herz. Und jetzt störte seine kleine Schwester schon wieder seine Träume ...

    „Hast du vergessen, was du mir versprochen hast?"

    Wiborg wurde ernst. Was seine Schwester da plante, und was er im hitzigen Eifer eines Spieles so voreilig versprochen hatte, war kein Spaß mehr. „Iska, was du da tun willst, ist dumm. Du wirst deiner Heirat mit Guntram nicht entgehen. Im Gegenteil. Vater wird sehr böse werden und du beziehst wieder einmal Prügel!"

    Darin war Iska ganz groß: Es schien ihre Bestimmung zu sein, gegen Regeln und Gebote ihres Vaters zu verstoßen. Regelmäßig war er dadurch gezwungen, sie zu verprügeln. Allerdings blieb die Frage offen, wer dabei mehr Schmerz verspürte, sie oder ihr Vater. Iska verzog trotzig den Mund. „Ich will Guntram nicht heiraten. Ich liebe ihn nicht."

    „Liebe, Liebe. Man heiratet nicht aus Liebe. Wo hast du denn solch einen Unsinn her? - Liebe!" Wiborg schüttelte den Kopf. Dabei dachte er erneut an Elfrun. Empfand er da etwa so etwas wie Liebe? Noch war das Mädchen niemandem versprochen.

    Iska sah ihren Bruder ernst an: „Du hörst dich genauso an wie Vater. Aber ich will Guntram einfach nicht. Er ist widerlich und grob - und dumm", fügte sie nach kurzer Überlegung hinzu.

    Wiborg erkannte, dass es mit der Ruhe nun endgültig vorbei war. Unwillig stand er auf, trat zu Iska und sah ihr direkt ins Gesicht. „Iska, wo hast du so wirres Zeug her? Guntram ist nicht dumm."

    „Guntram ist dumm!" Iska verschränkte die Arme vor der Brust.

    „Ist er nicht", konterte ihr Bruder.

    Iska schüttelte den Kopf. „Das sagst du nur, weil ihr Freunde seid!"

    Wiborg ballte die Hände zu Fäusten. Seine Schwester unterschied sich so sehr von den anderen Frauen und Mädchen im Dorf ... Immer wollte sie alles ganz genau wissen. Immer musste sie so viele Fragen stellen. Fragen, auf die kaum jemand eine Antwort fand. Wiborg öffnete die rechte Faust und hob fragend die Hand. „Warum soll Guntram dumm sein? Iska, bist du schlau? Und woran willst du dumm und schlau erkennen?"

    Iska schaute erst zu Boden, dann auf den kleinen Gegenstand in ihrer Hand. „Nun, ich, ich ..."

    „Aha, du? Ja, du bist also schlau?"

    „Nun, Thoralf hat gesagt ..."

    Wiborg schaute seine Schwester unverwandt an: „Thoralf hat gesagt! Thoralf ist ein alter Mann, der selbst noch einmal gerne eine junge Frau nehmen würde. Willst du etwa Thoralf heiraten?"

    Iska schüttelte ernst den Kopf. „Nein, Thoralf meinte nur, ich sei nicht dumm und ich könnte Lesen und Schreiben und die Sprache der Römer lernen und ich könn..."

    Wiborg fiel ihr in den Redefluss: „Iska, das sind doch Hirngespinste. Wir sind einfache Bauern und was dir Thoralf da an Flausen in den Kopf setzt, das ist dumm. Wozu soll das denn alles gut sein? Kannst du besser das Feld bestellen oder Schafe hüten, wenn du die Sprache der Römer sprichst? Oder kannst du besser Kinder bekommen und aufziehen oder das Essen für deinen Mann zubereiten oder ..."

    Jetzt war es Iska, die ihrem Bruder ins Wort fiel. „Ich könnte in eine der Römersiedlungen gehen. Thoralf sagt, die Siedlungen sind so groß, dass sehr viele Menschen darin Platz finden. Und man kann dort arbeiten und bekommt dann immer genügend zu essen und eine eigene Hütte, die man nicht mit der Familie und dem Vieh teilen muss! Und die Römer nennen die Hütte Haus un..."

    „Noch niemals ist jemand von uns in eine Römersiedlung gegangen! Wiborg wurde plötzlich sehr verschlossen und abweisend, ja beinahe wütend. „Die Römer sind schlechte Menschen, die von dem Wenigen was wir haben, immer einen großen Teil verlangen, so dass für uns kaum etwas zum Leben bleibt. Danach solltest du den Dorfältesten einmal fragen. Oder frage Vater!

    Iska, die mittlerweile vor ihrem Bruder stand, stampfte trotzig mit dem rechten Fuß auf: „Thoralf sagt, die Römer geben uns Schutz. Dafür müssen wir sie entlohnen. Sie schaute herunter auf ihre nackten Füße, die sich braun von der Sonne auf dem grünen Gras abmalten. „Thoralf meint, wenn wir mit den Römern mehr Handel treiben würden und weniger feindlich zu ihnen wären, dann ...

    Wiborg nahm die Hand seiner Schwester und drückte sie fest. In dieser Beziehung gingen ihre Meinungen stark auseinander. Wollte oder konnte seine Schwester nicht verstehen, was durch die Römer mit ihnen geschah? Gut, sie kannten kein anderes Leben - aber jenseits des großen Flusses wohnten noch freie Menschen. Freie Germanen, die ihre eigenen Regeln und Gesetze besaßen. Denen kein Römer das Handeln vorschrieb und denen kein Römer die Nahrung nahm.

    „Iska, schau mich an. Die Römer haben unser Land überfallen und wir müssen für sie arbeiten. Diese Soldaten verlangen einen großen Teil unserer Ernten. So bleibt kaum etwas für uns und im Winter haben wir nie genug zu essen. Du redest von Sicherheit, von Schutz - pah, in früheren Zeiten haben wir uns selbst verteidigt. Wir waren Kämpfer und unsere Brüder jenseits des großen Flusses, den die Römer Rhenus nennen, sind es immer noch. Dort herrscht Freiheit und kein Römer wagt es seinen Fuß dorthin zu setzen - und wenn doch, so werden sie glorreich zurückgeschlagen."

    Auf Iskas Gesicht spiegelte sich Entsetzen. Schaudernd entzog sie ihrem Bruder die Hand. „Wiborg - du sprichst wie ein Krieger. Wir sind zivilisierte Menschen, wir leben unter römischem Schutz. Auch wenn wir einen Teil unserer Ernte - wie du sagst - abgeben, so ist es doch besser, als immer kämpfen zu müssen. Und zu sterben", fügte sie noch hinzu und schüttelte sich bei dem Gedanken an den Tod.

    Wiborg beruhigte sich allmählich wieder etwas. Er musste einfach akzeptieren, dass seine Schwester in dieser Beziehung völlig andere Vorstellungen hegte als er. Trotzdem durfte er nicht aufgeben, sie von der Wahrheit zu überzeugen. Zu klein war Iskas Welt, als dass sie die Zusammenhänge erkennen könnte. Im Stillen musste Wiborg zugeben, dass seine eigene Welt ja auch nicht viel größer war. Zärtlich legte er eine Hand auf die Schulter seiner Schwester. „Iska, der Dorfälteste Thoralf ist ein alter Mann. Sicher mag er sich mit den Römern arrangieren und mit ihnen auskommen - und unser Dorf respektiert seine Entscheidung und die des Dorfrates - aber es gibt auch andere Stimmen!"

    „Andere Stimmen? Wer, Wiborg, wer spricht so?"

    Wiborg schaute verlegen zu Seite. „Das kann ich dir nicht sagen. Es ist ja auch nicht so wichtig. Schau, dort am Waldrand - ein Reh." Und wirklich schien sein Ablenkungsmanöver Wirkung zu zeigen, denn Iska betrachtete fasziniert das Tier, das friedlich und ohne sich durch die Menschen stören zu lassen, am Waldrand graste. Beide betrachteten es eine Weile und hingen ihren Gedanken nach.

    Doch Wiborg freute sich zu früh und rechnete nicht mit der Hartnäckigkeit seiner Schwester. Die wandte sich abrupt wieder zu ihm um: „Gibt es jemanden in unserem Dorf, der solche Zwietracht sät?"

    „Nein, Iska, lass es gut sein. Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen." Das sollte beschwichtigend klingen, erreichte bei seiner Schwester aber nur das Gegenteil. Jetzt war sie erst recht hellhörig geworden. Wiborg stellte sich auf einen längeren Disput ein.

    „Gefahr? Wiborg du bringst uns alle in Gefahr! Sprich endlich, wer dir solche Dinge erzählt! Auffordernd sah sie ihren Bruder an und der ahnte, dass er zumindest um ein Teilgeständnis nicht herumkommen würde. Vor allem dann, wenn er verhindern wollte, dass ihr Vater oder der Dorfälteste von diesem Gespräch erfahren sollten. Im Stillen verfluchte der Junge sich für seine Geschwätzigkeit. Wieso hatte er nicht einfach seine Worte im Griff halten können? Dann atmete er tief durch: „Also, Iska, du musst mir versprechen, dass das, was ich dir sage, unser Geheimnis bleibt. Es besteht keine Gefahr, bestimmt nicht. Versprichst du mir, mit niemandem darüber ein Wort zu wechseln?

    Iska sah ihren Bruder ernst an, überlegte kurz und nickte dann. „Gut, ich verspreche es. Ich werde keinem Menschen ein Wort darüber erzählen."

    Doch das genügte Wiborg noch nicht: „Du musst es schwören - bei Donar!"

    Iska warf jetzt zweifelnd einen Blick auf ihren Bruder: „Bei Donar? Muss das sein? Du übertreibst, Wiborg."

    „Wenn du nicht schwörst, erzähle ich dir garnichts! Dann bleibt es für ewig mein Geheimnis. Was auch besser so wäre", fügte er leise hinzu.

    Iska gab sich geschlagen. In dieser Beziehung konnte Wiborg eisern bleiben: Wenn sie nicht den gewünschten Schwur sprach, bekäme sie nicht ein einziges Wort seines Geheimnisses zu hören. Und was änderte denn schon so ein blöder Schwur? Sie wollte die Geschichte ja ohnehin niemandem erzählen. „Also gut, ich schwöre."

    „Du musst richtig schwören. Sage: Ich schwöre bei Donar, niemandem ein Wort von unserem Geheimnis zu berichten; ich schwöre bei Donar und wenn ich meinen Schwur breche, so soll mich Hödur in die dunkle Welt der Verdammnis tragen. Also, Iska, sprich diese Worte!" Wiborg hob die rechte Hand und Iska tat es ihm nach. Feierlich sprach sie dann den geforderten Schwur und sah ihren Bruder dabei unverwandt an. Jetzt ergriff auch sie der Ernst der Situation.

    Wiborg schien endlich zufrieden. Zustimmend nickte er. Jetzt war er bereit, sein Geheimnis preis zu geben. Bevor er sprach, sah Wiborg sich noch einmal um. Nein, sie waren allein auf der Lichtung. Was er jetzt zu sagen hatte, war ja auch nicht für fremde Ohren bestimmt. Eigentlich nicht einmal für Iskas Ohren. Einzig das Reh am Waldrand schaute ihnen kauend zu. „So, Iska, dieser Schwur wird uns beide nun ein Leben lang binden. Brich ihn nie, unter keinen Umständen, denn Hödur wird nicht nur dich, sondern auch mich strafen." Iska nickte mit ernster Miene, während sie den Arm sinken ließ.

    „Dann sollst du nun mein Geheimnis erfahren!" Wiborg sprach jetzt mit leiser Stimme und wieder einmal fiel Iska auf, dass ihr Bruder zum Mann wurde, dass er herangereift und kein Kind mehr war. So wie sie allmählich zur Frau wurde.

    „Von Zeit zu Zeit streifen Männer von der anderen Seite des Flusses Rhenus durch unsere Wälder. Sie erkunden regelmäßig, wie wir leben und beobachten die Römer. Einmal bin ich durch Zufall auf einen von ihnen gestoßen und es war die Fügung der Götter, dass er mich nicht sofort umbrachte. Aber er war verletzt als ich ihn fand und ich konnte ihm helfen. Aus Dankbarkeit erzählte er mir von sich und unseren Brüdern und den Römern. Wir haben uns regelrecht angefreundet und alle paar Monde treffen wir uns erneut. Sein Name ist Sigmar. Das ist alles."

    Wiborg beendete hier seine Erzählung. Natürlich war das nicht alles, Iska brauchte ja nicht die volle Wahrheit zu erfahren. Deshalb schaute er seiner Schwester nun auch nicht ins Gesicht, sondern zu Boden.

    Aber Iska kannte ihren Bruder und obwohl sie erst sechzehn Jahre alt war, entwickelte sie doch schon ein feines Gespür für Menschen. „Wiborg - schau mich an. Das war doch noch nicht alles?"

    Wiborg schaute auf. „Doch, doch wirklich, mehr gibt es nicht zu berichten."

    „Wiborg - ich sehe mich nicht an unseren Schwur gebunden, wenn du mich belügst."

    Ihr Bruder wurde rot. „Nun, ja, hmm. Es gibt noch ein Geheimnis, aber ..."

    Durch die ganze Heimlichtuerei wurde seine Schwester allerdings nur noch neugieriger. Jetzt bedrängte sie ihn: „Aber? Nun erzähle schon."

    „Sie werden mich töten, wenn ich darüber spreche! Ich habe versprochen, es niemandem zu erzählen."

    Iska nahm Wiborgs Hand und sah ihn fest an: „Aber sie werden niemals erfahren, dass du mit mir darüber gesprochen hast, Wiborg. Denk an unseren Schwur. Ich erzähle unser Geheimnis bestimmt keiner Menschenseele. Das habe ich doch bei Donar geschworen. Und dazu gehört auch, dass du mir die volle Wahrheit sagst!"

    Wiborg gab sich geschlagen. Jetzt war er an einem Punkt angelangt, da er nicht mehr zurückkonnte. Wieder einmal schalt er sich dafür, überhaupt etwas angedeutet zu haben. Dann begann der Junge zu erzählen; zunächst stockend, nach und nach aber immer flüssiger: „Ja, also: Im Wald nahe unserem Dorf am kleinen Bach gibt es eine Lichtung auf der drei Bäume stehen, die sich zueinander neigen. Du kennst diese Stelle. Iska nickte bejahend. „Zwischen zwei Bäumen, genau in der Mitte, befindet sich eine Grube, die mit Baumstämmen, Erde, Laub und Sträuchern verschlossen ist.

    Iska schaute ihren Bruder fragend an: „Ja - und?"

    Wiborg druckste ein wenig herum, sah aber ein, dass er jetzt alles erzählen musste. „In dieser Grube befinden sich Waffen und Schilde. Waffen der Römer und Waffen unserer germanischen Brüder. Und nicht nur Messer, wie wir sie tragen. Nein, Schwerter und Dolche, Schilde und Helme, aber natürlich auch Messer und Pfeile für Bögen. Teilweise Beutestücke von den Römern und teilweise Waffen, die über den Rhenus gebracht wurden. So und das ist nun wirklich alles!"

    Iska sah ihren Bruder ernst an: „Du hast doch mit diesen Waffen nichts zu tun - oder?"

    „Nein, bestimmt nicht. Ich weiß das nur von Erzählungen!"

    Iska überlegte. Ihr Bruder sagte ihr die Wahrheit, soviel war gewiss. Bestimmt aber auch nicht die ganze Wahrheit. Dafür kannte sie Wiborg zu gut. Aber sie sah ein, dass es auch keinen Sinn machte, jetzt noch weiter in ihn zu dringen. Sie schaute zum Himmel. Sunna mit ihrem Sonnenwagen war mittlerweile ein ganzes Stück weitergewandert und bald würde es Zeit sein, heimzukehren. Wollte sie ihr eigentliches Vorhaben noch ausführen, so wurde es dafür langsam Zeit. Wieder überlegte sie, wie Wiborg am einfachsten zu überzeugen sei. Auf keinen Fall wollte sie Guntram heiraten, egal was sie dafür auch alles noch anstellen musste.

    II. Das Versprechen

    „Du hast es versprochen!"

    „Was versprochen?"

    „Na, dass du mein Haar kürzt, so dass ich wie ein Junge aussehe."

    Wiborg erkannte, dass Iska ihren Plan nicht aufgeben wollte. Wie sollte er ihr klarmachen, dass diese dumme Idee doch nur Ärger einbringen konnte? Das ganze Dorf würde sich über sie lustig machen und am Ende müsste sie Guntram doch heiraten. Was beschlossen war, das war halt beschlossen. Jeder wusste das, nur seine kleine, dumme Schwester nicht. Oder sie wollte es einfach nicht wissen!

    Noch einmal versuchte er Iska von dem unsinnigen Plan abzubringen: „Iska, sei doch vernünftig. Es hat keinen Sinn. Vater und das ganze Dorf haben beschlossen, dass du Guntram heiratest. Guntram wird dir ein guter Mann sein, glaube mir. Und die Familie von Guntram ist nicht arm. Es wird dir also gutgehen. Dein dummer Plan, die Haare zu kürzen, wird an der Hochzeit nichts ändern!" Versonnen betrachtete er ihre wunderhübsche Lockenpracht. Es wäre eine Schande diese schönen Haare einfach abzuschneiden. Iska war wirklich ein hübsches Mädchen und Guntram könnte sich eigentlich glücklich schätzen, solch eine hübsche Frau zu bekommen. Andererseits ...

    „Es ist kein dummer Plan, unterbrach Iska seine Gedanken. „Wenn Guntram erkennt, dass ich mehr ein Junge als eine Frau bin, dann wird er mich nicht mehr heiraten wollen! Auch wenn ich zum Gespött des ganzen Dorfes werde.

    „Das bildest du dir nur ein, Iska. Schau dich an, du bist ein hübsches Mädchen und wirst ihm eine gute Frau sein! Deine Haare werden nachwachsen und das Einzige, was dir die Sache einbringen wird, sind Prügel von Vater. Das ganze Dorf wird über dich lachen. Und man wird sich die Geschichte von der kleinen, dummen Iska noch in vielen, vielen Monden am Feuer erzählen. Niemand hat Verständnis für deinen Wunsch, Guntram nicht zu heiraten."

    Iska schaute trotzig an Wiborg vorbei. „Sollen sie lachen, vielleicht gehe ich so einer Heirat aus dem Weg. Wenn erst einmal alle mit dem Finger auf mich zeigen, nimmt Guntram bestimmt Abstand von der Hochzeit. Wiborg, du hast es versprochen! Willst du dein Versprechen jetzt brechen?"

    Wiborg überlegte. Seine Schwester brachte ihn in eine schwierige Situation, denn sein Versprechen galt. Das konnte er jetzt nicht einfach zurückziehen. Andererseits wären die Prügel wohl kaum auf Iska beschränkt, denn Vater würde schon erfahren, dass er seiner Schwester geholfen hatte, sich zu verunstalten. Wiborg überlegte hin und her. Es musste doch eine Lösung geben! Wie konnte er es schaffen, seine Schwester zur Vernunft zu bringen? Endlich meinte er einen Ausweg gefunden zu haben und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. „Gut, du sollst deinen Willen haben. Ich werde dir das Haar kürzen. Dann sah er sich suchend um. „Aber ach, ich sehe gar kein Messer. Soll ich dir die Haare einzeln ausreißen? Siegessicher lachte Wiborg seine Schwester an. „Also, vergiss die Sache und lass uns endlich zum Dorf zurückkehren."

    „Nein, warte. Iska rannte über die Lichtung und verschwand kurz darauf im Wald. Es dauerte nicht lange, schon kam sie mit einem Beutel in der Hand zurück. Schwer atmend blieb sie vor Wiborg stehen. „Schau her, ich habe ein Messer. Und nicht nur das. Ich habe auch Beinkleider und einen Hemdenkittel. Hier sieh! Iska öffnete den Beutel und zog die Sachen heraus.

    Wiborg schüttelte staunend den Kopf. Seine Schwester war aber auch auf alles vorbereitet. „Wo hast du das her? Und wem gehört die Kleidung?"

    „Das ist doch egal. Ich habe im Wald einen hohlen Baum gefunden, mein Versteck. Hier, nimm das Messer und kürze mir endlich die Haare!"

    Iska reichte Wiborg das Messer. Es war eines der Messer, die sie zum Schilfschneiden benutzten, eines mit einer langen, spitzen Klinge. Wiborg ließ seinen Daumen prüfend über die Schneide gleiten. Ein Tropfen Blut trat aus seiner Haut. „Verdammt scharf. Das scheint ein Messer von Thoralf zu sein." Wiborg sprach mehr zu sich selbst, als zu Iska, doch die hatte ihn gut verstanden.

    „Der Dorfälteste überließ es mir vor einiger Zeit. Ich habe es nicht gestohlen, falls du das denkst!"

    „Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Iska, bitte überlege dir das noch mal. Es wird uns beiden nur Ärger einbringen. Sind die Haare erst einmal abgeschnitten, gibt es keinen Weg mehr zurück. Denk doch an die Prügel, die auf uns warten werden!"

    Eindringlich sah Wiborg seine Schwester an. Dann wanderte sein Blick über deren dunkle Locken, die bis auf die Schulter reichten. Er betrachtete seine Schwester und seine Augen bettelten darum, diese Haarpracht nicht abschneiden zu müssen. Verzweifelt suchte er immer noch nach einem Ausweg aus dieser Situation. „Es wäre eine Schande, solch schöne Haare abzuschneiden. Du wirst nichts erreichen, Iska. Bitte sei vernünftig!"

    Iska schüttelte den hübschen Kopf. Von dieser Idee ließ sie sich nicht mehr abbringen. Für sie war das jetzt der einzige Weg, nicht heiraten zu müssen. Nicht Guntram und auch niemand anderen. „Nein, tu es. Bitte. Du hast es versprochen und dein Versprechen musst du halten. Und nun mach, wir müssen bald zurück ins Dorf." Iska drehte ihm den Rücken zu. Kurz überlegte Wiborg, ob es einen Sinn machen würde, die Prozedur noch ein wenig hinauszuzögern. So lange, bis es zu spät war und sie ins Dorf zurückkehren mussten. Dann aber zuckte er mit den Schultern und machte sich vorsichtig daran, die Lockenpracht seiner Schwester zu kürzen. Strähne für Strähne und Locke für Locke fielen dem Messer zum Opfer und landeten im grünen Gras. So, als wollte sie diese Schande nicht erblicken müssen, verfinsterte eine große dunkle Wolke das Licht Sunnas. Wiborg blickte kurz zum Himmel und bat die Götter in Gedanken um Verzeihung. Das Messer war scharf und so dauerte es nicht lange, bis alle Haare kurzgeschoren waren.

    „Fertig."

    „Und wie sehe ich aus?"

    „Wie ein Junge, es fehlt dir nur noch die Kleidung." Wiborg zeigte sich von seinem Werk nicht sonderlich angetan. Im Geiste spürte er schon die Prügel. Warum hatten die Götter ihm auch keine Hilfe geschickt?

    Iska zog sich mittlerweile die Männerkleider an und verstaute ihr Gewand im Beutel. Das Messer nahm sie ihrem Bruder aus der Hand und klemmte es im Hosenbund ein. „So, jetzt bin ich ein richtiger Junge. So wird mich Guntram bestimmt nicht heiraten."

    „Nein, so nicht. Aber nachdem Vater dir eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht hat und du wieder dein Frauengewand anziehen musstest, dann vielleicht ..." Wiborg betrachtete Iska von allen Seiten. ‚Bei Donar‘, dachte er bei sich, ‚sie sieht wirklich aus wie ein Junge‘.

    Iska trug den Beutel an einem Band über der Schulter. „Lass uns heimkehren, Vater wird uns bestimmt schon vermissen. Außerdem muss noch das Vieh versorgt werden." Sie klang jetzt nicht mehr ganz so selbstsicher wie zuvor und Wiborg merkte, dass seine Schwester sich wohl auch Gedanken machte. Aber jetzt war es zu spät, um noch etwas ändern zu wollen.

    III. Der Mord

    Langsam gingen sie nebeneinander auf das Dorf zu, jeder trug stolz einen Korb voller Früchte, und je näher sie den wenigen Hütten kamen, desto einsilbiger wurde Iska. Aber auch Wiborg schien in Gedanken versunken. Das ganze Dorf würde über sie lachen und sie könnten schon zufrieden sein, wenn es bei den Prügeln bliebe, die ihnen ihr Vater mit Sicherheit verabreichen dürfte. Mit Schrecken dachte Wiborg daran, was Elfrun dann über ihn denken würde. Wieso musste er auch seiner Schwester dieses dumme Versprechen geben? Und bekäme er nach dieser Angelegenheit überhaupt noch eine Chance mit Elfrun zusammenzukommen? Das hässlichste und dümmste Mädchen im Dorf würden sie für ihn zur Strafe, dass er seine Schwester so verunstaltet hatte, aussuchen. Wiborg begann leise die Götter um Gnade anzuflehen. Gnade für sich und seine Schwester.

    Nach einem kurzen Fußmarsch ließen sie den Wald hinter sich und spazierten jetzt über eine Wiese, die von einem kleinen Hügel zu der Ansammlung von Hütten führte. Von hier aus überblickten sie einen Großteil der Felder und das an einem Waldrand gelegene Dorf.

    Um einen kleinen Platz gruppierten sich weitläufig Hütten, die sowohl den Menschen, als auch den Tieren ein Zuhause waren. Aus einer dieser Hütten stieg leichter Rauch zum Himmel auf. Mittlerweile zählte das Dorf sieben dieser Behausungen. Geplant war der Bau einer weiteren direkt am Waldrand. Es sollte zunächst nur eine kleine Hütte werden und nur wenige Bäume würden dafür weichen müssen. Guntram und Iska würden dort ihr Heim finden. Der Platz war vom Dorfältesten und ihrem Vater schon bezeichnet worden. Alle Männer des Dorfes würden mit anfassen und in kürzester Zeit die Hütte bauen. Alles war geplant, alles stand fest. Nie und nimmer verzichtete Guntram auf die Hochzeit! Welch eine dumme Idee von Iska. Er betrachtete seine Schwester von der Seite. Selbst mit diesen kurzen, franseligen Haaren war sie noch wunderhübsch. Guntram wäre nie und nimmer der Narr, der auf diese Frau verzichten würde!

    Plötzlich schaute Wiborg auf. Zunächst mutete es an wie eine dunkle Rauchwolke zwischen den Bäumen, dann erkannte er, dass auf der gegenüberliegenden Dorfseite Reiter auf einem Weg aus dem Wald preschten. Hochgewirbelter Staub ließ die Männer verschwommen erscheinen. Es handelte sich um geordnete Zweierreihen und unschwer erkannte der Junge, dass es römische Soldaten waren. Wiborg gab seiner Schwester einen Stoß. „Schau!"

    Iska sah angestrengt zu der Stelle, die ihr Bruder ihr mit ausgestrecktem Arm zeigte. „Was ist das?"

    „Das sind römische Soldaten. Sie kommen in diesem Jahr sehr früh in unser Dorf. Normalerweise ist noch ein wenig Zeit, bis die Römer ihren Tribut fordern. Sonst kommen sie doch immer nach dem vollen Mond, bevor er wieder schwindet, in unser Dorf. Diese hier sind zu früh. Was das wohl zu bedeuten hat?" Wiborg klang besorgt. Dieser Besuch der Soldaten machte keinen Sinn und er konnte sich deren Verhalten nicht erklären.

    Auch Iska machte sich jetzt Gedanken. „Vielleicht greifen sie das Dorf an? Sie war entsetzt, aber Wiborg konnte sie beruhigen: „Nein, dafür sind es zu wenige. Außerdem halten sie keine Waffen in Händen! Das kann ich ganz genau erkennen. Komm, beeilen wir uns. Ich bin neugierig, warum die Soldaten alle dort unten sind.

    Schon wollte Wiborg losrennen, als Iska ihn zurückhielt. „Sollten wir uns nicht lieber verstecken? So wie ich es sonst auch mache, wenn die Römer in unser Dorf kommen? Wiborg schüttelte den Kopf. „Du kannst dich ja verstecken. Aber ich glaube, dass diesmal kaum Zeit geblieben ist, die Frauen und Kinder im Dorf zum Versteck zu führen. Geh zurück in den Wald und warte dort, bis ich dich hole!

    Iska krallte sich in die Schulter ihres Bruders. „Nein, Wiborg. Ich gehe mit dir. Wenn alle Männer und Frauen des Dorfes dort sind, möchte ich mich nicht feige verstecken."

    Beide rannten über die Wiese zu den Hütten hinunter. Mittlerweile erreichten die Soldaten den Platz in der Mitte des Dorfes. Die Männer saßen in einem Halbkreis hinter einem einzelnen Reiter auf ihren Pferden. Gegenüber den Soldaten und links und rechts zu den Seiten fanden sich allmählich die Dorfbewohner ein. Nach und nach wurden es immer mehr und es schien, als käme das ganze Dorf jetzt hier zusammen. Schwer atmend erreichten Wiborg und Iska den Rand des Platzes. Das Mädchen, das jetzt wie ein Junge aussah, schaute mit großen Augen auf die prächtig gekleideten römischen Soldaten. Bisher waren die Frauen und Kinder immer rechtzeitig in ein Versteck gebracht worden, wenn die Römer in das Dorf kamen. Trotz aller Friedensbeteuerungen von Seiten der Römer trauten die Männer des Dorfes den Fremden nicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben betrachtete Iska jetzt die stolzen Reiter mit ihren prächtigen Waffen und den in der Mitte des Halbkreises mit hocherhobenem Kopf auf seinem Pferd sitzenden einzelnen Römer. Seine Kleidung erschien dem Mädchen noch prächtiger und wertvoller als die der anderen. Der Mann war nicht so schlank und drahtig wie die Soldaten hinter ihm, sondern verfügte über eine enorme Leibesfülle. In dem schwammigen Gesicht saßen viel zu kleine Augen, die er jetzt halb zusammenkniff. Mit grimmigem Blick beobachtete er seine Umgebung. Jeder der Soldaten trug einen metallenen Brustpanzer, Helm, ein Schwert und einen Dolch am Gürtel. Unruhig scharrten die Pferde mit den Hufen. Es waren prächtige, große Tiere, wohlgenährt und voller Kraft. So etwas hatte Iska noch nicht gesehen und fasziniert schaute sie von einem Soldaten zum anderen. Thoralf, der Dorfälteste lehrte sie hin und wieder ein wenig zählen und rechnen, es war eines ihrer Geheimnisse, und im Stillen zählte Iska nun die Reiter. Dabei benutzte sie ihre Finger, wie Thoralf es ihr gezeigt hatte. Fünf waren an jeder Hand und Iska stellte fest, dass sie vier Hände haben müsste, wenn jeweils ein Finger für einen Soldaten stehen sollte. Den Anführer vorne noch nicht einmal mitgezählt.

    Im Dorf herrschte Stille, keiner der Dorfbewohner sagte etwas. Lediglich das Schnauben und Scharren der römischen Pferde war zu vernehmen.

    Jetzt trat der Dorfälteste vor den Mann, der von seinem Pferd auf den alten Dorfbewohner herabsah. Thoralf sagte etwas in der fremden Sprache der Römer und ein Grinsen erschien auf dem Gesicht des Reiters. Iska verfügte trotz ihrer sechzehn Jahre schon über genug Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass es kein fröhliches Lächeln war, was der Mann jetzt zeigte. Es erschien ihr ausgesprochen bösartig. In ihrer Magengrube machte sich ein flaues Gefühl breit. Dass diese Römer nichts Gutes im Schilde führten, war offensichtlich.

    Der Römer antwortete dem Dorfältesten. Dabei sprach er laut und mit barscher Stimme. Nachdem seine kurze Rede endete, machte er eine herrische Handbewegung hin zu Thoralf. Der Dorfälteste drehte sich um und wandte sich an die Dorfbewohner. Langsam und deutlich, so dass jedermann ihn gut verstehen konnte, sprach er zu ihnen: „Leute des Dorfes. Ich soll euch übersetzen, was der römische Herr sagt, da ich die Sprache der Römer leidlich verstehe und auch sprechen kann. Die Reiter sind vor der eigentlichen Zeit, da wir ihnen Tribut zu zollen haben, in unser Dorf gekommen und ich fragte nach dem Grund."

    Thoralf wandte sich wieder an den Anführer der Soldaten. Der sprach jetzt etwas leiser zu dem Dorfältesten, aber dafür um so eindringlicher. Iska spitzte die Ohren, konnte den fremden Worten aber keinen Sinn abgewinnen.

    Thoralf drehte sich erneut um: „Dieser Römer ist der neue Präfekt der römischen Stadt Novaesium, die nicht allzu weit entfernt von unserem kleinen Dorf in der Nähe des Flusses Rhenus liegt. Er hielt kurz inne, wie um sich zu erinnern. „Sein Name ist Gaius Quintus Vulturius. Thoralf wollte sich gerade wieder zu dem Römer wenden, als dieser sprach. Wieder übersetzte der Dorfälteste: „Der gnädige Kaiser Hadrianus hat seinen treuen Diener Gaius Quintus Vulturius in einer weisen und weitsichtigen Entscheidung als praefectus castrorum in unser Land geschickt. Thoralf machte eine kurze Pause und lauschte erneut den Worten des Präfekten. „Gaius Quintus Vulturius erwartet von den auf römischem Gebiet siedelnden Germanenstämmen ...

    Iska stupste ihren Bruder an. Flüsternd fragte sie ihn: „Siedelnde Germanenstämme?"

    „Leise, Iska. Damit meint er uns. Unseren Stamm, unser Volk!"

    „... und Verbundenheit. Der Schutz, den die Römer gewähren, kommt allen Menschen hier gleich zuteil. Aber die von euch geleisteten Abgaben waren bisher zu gering. Die römischen Schutztruppen wollen versorgt sein. Daher verfüge ich, Gaius Quintus Vulturius, dass eure Abgaben ab sofort um die Hälfte der bisherigen Zahlungen erhöht werden."

    Ein Raunen ging durch die Dorfbewohner. Einzelne missmutige Rufe wurden laut. „Thoralf, erkläre dem Römer, dass wir selbst kaum noch etwas für uns haben. Wir können keine zusätzlichen Abgaben leisten!"

    Iska erkannte in dem Sprecher ihren Vater. Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Der Dorfälteste wandte sich dem Römer zu und übersetzte. Iska sah, wie sich das Gesicht des Präfekten vor Zorn verzerrte. Er warf dem Dorfältesten ein paar Worte hin und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu übersetzen. Schon sprach Thoralf wieder zu den Dorfbewohnern: „Die Höhe der Abgaben steht unumstößlich fest. Wir müssen Rom unseren Tribut zollen. Wenn wir das nicht können, so sagt der Präfekt, dann sind wir nicht des Schutzes der Römer wert und dürfen nicht länger auf römischem Boden siedeln."

    Iskas Vater löste sich aus der Gruppe der Dorfbewohner und trat vor Thoralf hin: „Thoralf, dies war und ist unser Boden, Land der Ubier! Schon unsere Vorfahren haben hier gelebt. Viele viele Generationen. Lange bevor die Römer überhaupt unser Land überfielen. Wir können und wollen keine höheren Abgaben leisten. Selbst wenn wir dem Römer unsere letzten Vorräte und Tiere geben würden, beschützt er uns dann vor dem Winter? Kaum einer von uns könnte überleben. Uns fehlen das Korn und das Vieh. Wir müssten elendig verhungern. Schon jetzt wird es für uns schwer genug den kommenden Winter zu überstehen. Hat nicht der bisherige Präfekt enorm hohe Tributzahlungen gefordert? Und ist nicht letzten Winter, vor unseren Augen, die weise Gefion verhungert und niemand konnte ihr helfen? Und das, obwohl wir alle an Nahrung sparten und selber kaum überlebten?"

    „Gerwolf, du hast weise gesprochen, Der Dorfälteste schaute Iskas Vater fest an, „aber das ist kein Argument bei den Verhandlungen mit dem Präfekten. Sieh dir den Mann an, seht euch alle den Römer an, Thoralf breitete die Arme aus, „sieht dieser Römer aus, als würde er Nachsicht üben? Während Thoralf noch zu den Dorfbewohnern sprach, stiegen fünf der Soldaten auf einen Wink ihres Anführers von den Pferden. Wie zufällig lagen ihre Hände über den Griffen der Schwerter. Wieder sprach der Präfekt und wieder musste der Dorfälteste übersetzen: „Rom fordert seinen Tribut. Jetzt. Seid ihr nicht bereit dem Caesar des römischen Reiches und damit auch eurem Herrn das Seinige zu geben, so sehe ich mich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen! Ich verlange von euch auf der Stelle die Zahlung von fünftausend Denarii.

    Als Thoralf dies übersetzte, ging ein ungläubiges Raunen durch die Menge. Iska vernahm Wortfetzen, aus denen sie die immer gleiche Frage heraushörte: ‚Wie viel ist das, fünftausend Denarii?‘ Gerade wollte sie die gleiche Frage Wiborg stellen, als Thoralf rasch zu dem Präfekten sprach: „Herr, ich glaube, Ihr seid nicht richtig informiert über unser armes Dorf. Wir verfügen über kein Gold oder Silber oder gar römische Münzen. Bisher haben wir unseren Tribut in Weizen und Tieren gezahlt und euer Vorgänger war stets zufrieden mit unseren Zahlungen. Wie sollten wir armen Bauern zu Münzen kommen, kann doch kaum einer von uns lesen oder schreiben, noch Eure Sprache sprechen? Ich bitte euch, seht von solch unerfüllbaren Forderungen ab!"

    Der Präfekt wurde während der Rede des Dorfältesten immer ungehaltener. Mit hochrotem Kopf rief er seinen Soldaten einige Anweisungen zu. Weitere fünf Männer sprangen von ihren Pferden. Wie auf ein geheimes Kommando zogen alle Soldaten gleichzeitig ihre Schwerter. Diejenigen, die noch auf ihren Pferden saßen, lenkten diese jetzt um die Dorfbewohner herum, so dass sie alle von einem lockeren Ring berittener Soldaten umgeben waren. Der Anführer erhob wieder das Wort und seine Stimme klang jetzt schrill und bösartig.

    Thoralf übersetzte erneut: „Ihr verweigert Rom das, was Rom zusteht! Meine Soldaten werden jetzt die Hütten und Ställe durchsuchen. Schenkt mir Glauben, wenn ich euch sage, dass Rom auch von euch den zustehenden Tribut erhalten wird!" Noch während der Dorfälteste die Worte übersetzte, gab der Präfekt seinen Leuten ein Zeichen. Die zehn Soldaten, die zuvor von ihren Pferden gestiegen waren, schwärmten in die Hütten. Keiner der Dorfbewohner wagte es, sich zu rühren. Alsbald kehrten die Männer zu ihrem Anführer zurück. Es war offensichtlich, dass ihm die Soldaten berichten mussten, weder Geld noch Gold oder Edelmetalle gefunden zu haben. Der Präfekt ließ sein Pferd vor Wut vor- und zurücktänzeln, dann wechselte er einige Worte mit einem der Soldaten. Wieder verteilten sich die Männer. Diesmal gingen sie aber durch die Reihen der Dorfbewohner. Rasch war zu erkennen, dass sie dabei alle jungen Männer des Dorfes in der Mitte vor dem Präfekten zusammentrieben. Ängstlich warf Iska ihrem Bruder einen Blick zu, sah sich und ihn aber auch schon kurz darauf von kräftigen Soldatenhänden gepackt und zu den anderen gezogen. Unsanft wurden sie zu Boden gestoßen.

    Wieder musste Thoralf die Worte des Präfekten übersetzen: „Dies ist der Tribut,

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