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Irreparabler Schaden: Ein Sasha McCandless Justizthriller, #1
Irreparabler Schaden: Ein Sasha McCandless Justizthriller, #1
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eBook384 Seiten4 Stunden

Irreparabler Schaden: Ein Sasha McCandless Justizthriller, #1

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Über dieses E-Book

Die Anwältin Sasha McCandless hat nur ein Ziel: Teilhaberin in der besten Anwaltskanzlei der Stadt zu werden. Dann stürzt sie ein Superauftrag in eine Welt der Täuschung und Gefahr.

 

Als ein Verkehrsflugzeug abstürzt und alle an Bord tötet, erteilt man ihr den Auftrag, die Fluggesellschaft zu verteidigen. Es ist ihre große Chance ... ein Rechtsstreit mit hohem Einsatz für einen wichtigen Klienten. Aber während sie nach Beweisen sucht, sterben nach und nach Menschen, die etwas mit dem Fall zu tun hatten.

 

Sie entdeckt, dass der Absturz geplant. Aber sie weiß nicht, wem sie es anvertrauen kann. Sie verbündet sich mit einem Flugsicherungsbegleiter und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, um ein weiteres Flugzeugunglück zu verhindern.

 

Schon bald hat Sasha eine brandneue Lebensaufgabe: Einen Wahnsinnigen zu stoppen, bevor er auch sie tötet.

 

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Apr. 2022
ISBN9798201859312
Irreparabler Schaden: Ein Sasha McCandless Justizthriller, #1

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    Buchvorschau

    Irreparabler Schaden - Melissa F. Miller

    1

    Irgendwo in der Luft über Blacksburg, Virginia

    Der alte Mann schaute auf seine neue goldene Uhr, die man ihm als Anerkennung für seine fünfzig Dienstjahre von der Stadt Pittsburgh geschenkt hatte. Er hob die Sonnenblende an und drückte den Kopf gegen das ovale Fenster an der Flugzeugseite. Das Glas fühlte sich kalt auf seiner pergamenten Haut an. Irgendwo, da draußen in der Dunkelheit, erhoben sich die Blue Ridge Mountains von Virginia. Obwohl er sich anstrengte, konnte er sie nicht sehen.

    Er zog die Sonnenblende wieder herunter, vielleicht etwas härter als gewollt, und blickte zu seinen Sitznachbarn hinüber. Sie reagierten nicht auf den Lärm. Neben ihm saß ein schlankes Mädchen im College-Alter, das sich auf den Mittelsitz gequetscht hatte und mit Kopfhörern auf den Ohren und geschlossenen Augen völlig in ihrer Musik verloren war; neben ihr ein Geschäftsmann, höchstens mittleres Management, dem verknitterten Anzug und der ramponierten Aktentasche nach zu urteilen. Wie ein guter Geschäftsreisender nutzte er den Flug, um Schlaf nachzuholen. Sein Kopf hing locker auf der Kopfstütze und sein Bein baumelte in den Gang hinein.

    Der Mann hustete in die Faust und erinnerte sich an das letzte Mal, als er geflogen war. Es waren schon fast zehn Jahre her. Seine jüngste Tochter und ihr Mann, der brotlose Schauspieler, hatten ihn zusammen mit seiner Frau nach Los Angeles zur Geburt ihres ersten Kindes eingeflogen – sein viertes Enkelkind, aber das erste Mädchen. Maya hatte kreischend das Licht der Welt erblickt und seit diesem Augenblick nicht mehr damit aufgehört, zumindest nach den wöchentlichen Telefonaten, die er mit ihrer Mutter führte, zu urteilen. Er kicherte bei dem Gedanken in sich hinein und spürte sofort, wie sich seine Augen weiteten. Er blinzelte und drehte das dünne goldfarbene Band an seinem Ringfinger. Sein Geist wanderte zu seiner Rosa. Zweiundfünfzig Jahre zusammen.

    Er hustete erneut und zerrte ein Taschentuch aus seiner Tasche, um sich den Mund abzuwischen. Nachdem er das weiße Tuch wieder sorgfältig in ein Quadrat gefaltet hatte, blickte er erneut auf die Uhr, fummelte am Smartphone auf seinem Schoß herum, schielte darauf, um die Koordinaten zu bestätigen und drückte auf SENDEN. Dann lehnte sich Angelo Calvaruso zurück, schloss die Augen und entspannte sich – völlig entspannt – zum ersten Mal seit Wochen.

    Zwei Minuten später knallte der Hemisphere Air Flug Nr. 1667, eine Boeing 737 auf dem Weg von Washington National Airport nach Dallas-Fort Worth International Airport, mit voller Geschwindigkeit gegen die Seite eines Berges und explodierte mit einer Flammenwelle aus Metall und brennendem Fleisch.

    Die Kanzlei von Prescott & Talbott

    Pittsburgh, Pennsylvania


    Sasha McCandless pustete den Lidschattenrest vom winzigen Spiegel der Schminkpalette, die sie in der oberen linken Schublade ihres Schreibtisches aufbewahrte, und prüfte ihr Spiegelbild. Diese Schublade war ihr zweites Zuhause. Sie enthielt eine Reisezahnbürste und Zahnpasta, ein Pfefferminz-Döschen, eine ungeöffnete Schachtel Kondome, Make-up, ein Ersatzpaar Kontaktlinsen, eine Brille und eine Haarbürste. Sie lächelte sich an, öffnete die Schublade wieder, riss die Schachtel auf und ließ ein Kondom in ihre Perlenhandtasche fallen.

    Sie schälte sich aus der grauen Kaschmir-Strickjacke, die sie den ganzen Tag über ihrem schwarzen Mantelkleid getragen hatte und streifte ihre Pumps ab. Sie kramte in der Ablage hinter ihrem Schreibtisch herum, bis sie ihre Ausgehschuhe unter einem Stapel weggeworfener Schriftsätze fand, die für den Aktenvernichter bestimmt waren. Sie schob die Papiere zur Seite und zog ihre Schuhe heraus. Sie kämpfte mit dem winzigen roten Riemen ihres linken Stilettos, als sie den Klingelton einer eingehenden E-Mail hörte.

    »Nein, nein, nein«, stöhnte sie, während sie sich langsam aufrichtete. Sie hatte seit Wochen kein richtiges Date mehr. Sie hoffte inständig, dass die E-Mail keine Notfallanträge, keine lästigen Kunden, keine Last-Minute-Anrufe als Ersatz für eine eidesstattliche Aussage in Omaha, Detroit oder New Orleans offenbaren würde.

    Sie brauchte ein Steak, eine Flasche überteuerten Rotwein und Kerzenschein. Sie brauchte nicht schon wieder einen Abend mit lauwarmem chinesischem Fast-Food an ihrem Schreibtisch.

    Fast ängstlich klickte sie auf das Symbol mit dem Briefumschlag und atmete lächelnd aus. Es war nur ein Google News Alert über einen Klienten. Sie hatte News Alerts für alle Klienten eingerichtet, für die sie arbeitete. Es beeindruckte die Geschäftspartner immer wieder, wenn sie bereits im Voraus wusste, was mit ihren Klienten los war. Aber es erschreckte sie auch ein wenig.

    Hemisphere Air war Petersons größter Klient. Sie öffnete die E-Mail, um nachzusehen, warum die Fluggesellschaft in den Schlagzeilen stand. Vielleicht eine Fusion? Es war eine der gesünderen Fluggesellschaften, die versucht hatte, einen kleineren Mitbewerber auszuschalten, vor allem, nachdem Sasha und Peterson sie aus diesem kartellrechtlichen Schlamassel herausgeholt hatten.

    Sashas grüne Augen weiteten sich, fielen aber sofort wieder zu, als sie die E-Mail überflog. Flug 1667, drei Viertel voll, auf dem Weg von Washington D.C. nach Dallas, war gerade in Virginia mit 156 Menschen an Bord abgestürzt und es gab keine Überlebenden.

    Sie ruckelte sich aus den Partyschuhen und nahm das Telefon, um ihrer Verabredung den Abend zu vermiesen. Dann wählte sie Petersons Handynummer, um auch seinen zu vermiesen.

    Noah Petersons Festnetztelefon klingelte fast im selben Moment wie sein Handy, das sich mit einem für die Öffentlichkeit unbekannten Stück klassischer Musik bemerkbar machte. Beide standen auf seinem Nachttisch. Noah bewegte den Kopf nicht aus seiner Zeitschrift, in die er gerade vertieft war.

    Laura wartete eine Minute, um zu sehen, ob er sich bewegen würde. Er tat es nicht, also seufzte sie tief, legte ein Lesezeichen in ihren Roman und griff herüber, um seinen Arm zu schütteln. Noah hatte die Angewohnheit entwickelt, beim Lesen im Bett einzunicken. Laura hatte keine Ahnung, wie man in einer solchen Position bequem schlafen konnte und verstand nicht, warum er in letzter Zeit ständig müde war. Er war lange Überstunden gewohnt, aber das Tempo schien ihm in diesen Tagen mehr zuzusetzen als üblich.

    »Noah, Telefon. Also eigentlich sind es mehrere ...Telefone.« Sie rüttelte noch stärker an seinem Unterarm.

    Noah wachte langsam auf, schob seine Lesebrille zurück, die ihm die Nase hinuntergerutscht war. Er schnappte sich sein Handy und überreichte Laura das Festnetztelefon, um sich der Sache zu entledigen. Als er auf das Display blinzelte, erkannte er die Büronummer von Sasha McCandless.

    »Mac, beruhig dich«, sagte er zu der Flut von Worten, die aus dem Mund seiner Senior-Associate sprudelte. Dann setzte er sich auf, schwieg, hörte zu und seine Schultern sackten unter dem Gewicht von Sashas Nachricht zusammen.

    Laura zerrte an seinem Ärmel, bedeckte das Mundstück mit der Hand und flüsterte: »Es ist Bob Metz.«

    Noah nickte. Metz war der Justiziar von Hemisphere Air.

    »Mac, Metz ist auf meinem Festnetzanschluss. Bleib wo du bist. Mach dir nen Kaffee. Ich bin gleich da.« Er klappte das Handy zu.

    Laura reichte ihm das Festnetztelefon und er ging damit zum Schrank, um sich anzukleiden, während er den beunruhigten Mann am anderen Ende der Leitung beschwichtigte.

    Weiches warmes Licht schien von den Messingleuchten herunter, die auf jeder Bettseite angebracht waren und Laura in einem romantischen Schein badeten. Sie hatte eine fürstliche Summe für diese attraktive Beleuchtung bezahlt, aber sie wurden nur selten für den vorgesehenen Zweck verwendet. Im Nachhinein betrachtet wären Leseleuchten wohl nützlicher gewesen. Sie rutschte in die Mitte des King Size Bettes mit seiner kostbaren Bettwäsche und den Kaschmirdecken; es schien, als ob sie heute Abend den ganzen Luxus für sich alleine hätte. Schon wieder. Sie öffnete ihr Buch an der markierten Stelle, um ihre Lektüre wieder aufzunehmen.

    2

    Bethesda, Maryland

    Jerry Irwin saß in seinem dunklen Büro mit seinem Computermonitor als einziger Beleuchtung. Er tippte eine Kurznachricht: Demo erfolgreich abgeschlossen, wie Sie sicher gehört haben. Zweite Ausgabe erfolgt am Freitag. Interessenten reichen ihre vertraulichen Gebote bitte bis Freitag Mitternacht ein.

    Irwin las es zweimal, um sicherzustellen, dass es den richtigen Ton traf: prägnant und selbstbewusst, aber nicht schroff oder prahlerisch. Zufrieden führte er das Codierungsprogramm durch und schickte es an eine Auswahlliste.

    Er schaltete den Computer aus, stand von seinem ergonomischen Schreibtischstuhl auf und pfiff vor sich hin. Es wäre nicht angemessen zu feiern, solange die Gebote noch nicht eingetroffen waren und der Gewinner nicht gezahlt hätte, aber er dachte, ein Glas guter Scotch könnte nicht schaden.

    3

    Die Kanzlei von Prescott & Talbott

    23:50 Uhr

    Bis Peterson von seinem Haus im Kolonialstil in Sewickley zum Büro gefahren war, hatte Sasha bereits eine Kanne starken Kaffee gekocht, ein Team mit erschöpften Junior-Associates versammelt, die sie spät abends aus verschiedenen Dokumentenprüfungen geholt hatte und einen Satz Kopien der spärlichen Medienberichte über den Absturz sowie einen Ein-Pager über Unternehmenskultur und Rechtsphilosophie von Hemisphere Air verteilt.

    Die versammelten Mitarbeiter waren müde, aber begeistert. Endlich war wieder Action, das spornte sie an. Sie hatten lange Wochen, wenn nicht Monate, zwölf bis fünfzehn Stunden am Tag damit verbracht, Tausende und Abertausende von elektronischen Dokumenten auf Privilegien und Ansprechbarkeit zum Einsatz in Fällen zu prüfen, denen sie niemals näher kommen würden. Jeder saß an dem glänzenden Konferenztisch und betete, dass dieser schreckliche Flugzeugabsturz sein oder ihr Ticket aus der Prüfung der Unterlagenhölle bedeuten würde.

    Peterson raste in den Raum. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Tatsache, dass es fast Mitternacht war und sich sein größter Klient in einer Krise befand, sah Peterson frisch und unbeirrt aus. Er trug eine knitterfreie Khakihose und ein rosa Golfhemd.

    Sasha reichte ihm einen Becher Kaffee und einen Satz der Unterlagen.

    Er beugte sich vor und sagte: »Das sind echte Prescott-Leute, nicht wahr?«

    Sie nickte. Prescott & Talbott hatte versucht, sich durch die Schaffung eines Kastensystems mit Anwälten, den schwierigen wirtschaftlichen Zeiten entgegenzuwirken. Vertragsanwälte, die für eine echte Beschäftigung auf der Grundlage ihrer akademischen Leistung oder gesellschaftlichen Stellung als ungeeignet erschienen, wurden größtenteils für Dokumentenprüfungen angeheuert und für 'n Appel und 'n Ei als Stundenlohn für ihre Bemühungen abgespeist. Sie verpassten nicht nur das Prestige einer Teilhaberschaft, sondern konnten mit diesem Gehalt noch nicht einmal einen Bruchteil von den Zehn- bzw. Hunderttausenden Dollars begleichen, die sie als Kredit für ihr Jurastudium aufgenommen hatten.

    Diese Zeitarbeiter wurden von festangestellten Anwälten betreut – die wiederum als Gehaltsscheckwürdig angesehen und direkt von Prescott & Talbott bezahlt wurden, aber immer noch nicht gut genug waren, um echte Prescott-Anwälte zu sein. Die festangestellten Anwälte bewältigten Papierkrieg und durften keine Dokumente mit Firmenbriefkopf unterzeichnen; sie wurden auf der Unternehmenswebsite und auf Visitenkarten als ›juristische Mitarbeiter‹ aufgeführt und machten sich keine Illusionen über die Sackgasse ihrer Position.

    Diese festangestellten Anwälte unterstanden wiederum den Junior-Associates – den Männern und Frauen mit den hellen Augen, die Peterson von ihren Stühlen um den Konferenztisch herum ansahen. Sie gehörten zur Elite ihrer Jurastudiengänge; Herausgeber von Zeitschriften; die Brut von alteingesessenen Familien mit Geld wie Heu, die mit Prescott & Talbott Partnern Golf spielten, schwimmen gingen, beteten, oder eine Kombination aus allem.

    Vorausgesetzt, dass sie nicht von der Firma zerkaut und ausgespuckt werden, könnten diese Junior-Mitarbeiter eines Tages Sashas Niveau erreichen. Sie arbeitete als Associate bereits im achten Jahr direkt mit Klienten, stand vor Gericht, argumentierte und hatte die Hauptverantwortung für das Verfassen von Schriftsätzen und die Durchführung kleiner Fälle. Bei einem großen Fall wie dieser Flugzeugabsturz, wäre ihre Aufgabe die tägliche Überwachung des Teams, das diesen Fall bearbeitete und die Ausarbeitung einer Strategie mit Peterson.

    Und vorausgesetzt, dass Sasha kein Burn-out hätte, würde sie bald das Gehaltsniveau eines Einkommenspartners bzw. Teilhabers erreichen. Im Frühjahr würden die Aktionäre bei Prescott & Talbott wählen und ihr mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Einkommenspartnerschaft anbieten. Dies würde bedeuten, dass sie an der Spitze eines sehr schlüpfrigen Masts angelangt wäre. Nur eine Handvoll des Dutzend eifriger junger Anwälte, die jeden September bei Prescott eingestellt wurden, würde es so weit bringen. Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht war, dass sie ganz unten an einem noch höheren, noch schlüpfrigerem Mast landen würde: Der Mast, der zwischen ihr und der Kapitalbeteiligung steht.

    Peterson nickte ihr zu und ließ sie damit wissen, dass er ihr Urteil schätzte. Sasha fühlte einen kleinen Adrenalinstoß der Zufriedenheit, ihm gefallen zu haben und dann gleichzeitig einen kleinen Anflug von Ekel vor sich selbst, ihm gefallen zu wollen. Sie zuckte die beiden Gefühle mit den Achseln weg und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein.

    Peterson zog den leeren Stuhl am Kopf des Tisches hervor und schaute sich um. Er blickte einen Moment lang auf jedes Augenpaar, um die Ernsthaftigkeit des Ereignisses des Abends auf sich wirken zu lassen.

    »Für diejenigen, die mich nicht kennen, mein Name ist Noah Peterson, ich bin der Managing Partner dieser komplexen Prozessabteilung hier. Für diejenigen von Ihnen, die Firma Hemisphere Air nicht kennen, sie ist eine von Prescotts ältesten Klienten und jedes Jahr einer unserer größten Klienten in Bezug auf die abgerechneten Stunden und die erwirtschafteten Einnahmen. Hemisphere Air ist eine stolze Institution von Pittsburgh und wird uns bitten, ihnen bei den Recherchen zu dieser schrecklichen Tragödie zu helfen.«

    Sasha blickte von ihrem Notizblock hoch, um sicherzustellen, dass jeder an den richtigen Stellen nickte. Das taten sie.

    Dann machte sie sich an die Arbeit, um eine Liste der wichtigsten Aufgaben und entsprechende vorläufige Zuweisungen aufzuarbeiten. Das unmittelbare Problem war, den besten verfügbaren Rechtsassistenten zu finden und ihn oder sie auf diesen Fall anzusetzen. Ein ausgezeichneter Rechtsassistent war wertvoller als all die teuren, ungetesteten Talente, die rund um den Tisch saßen.

    Sie sah wieder auf, als sie ihren Namen hörte.

    »Sasha McCandless wird das Team leiten. Sasha ist mit diesem Klienten und seinen Bedürfnissen sehr gut vertraut. Wenn Sie Fragen oder Bedenken haben, wenden Sie sich direkt an Sasha.« Und nicht an mich, ihr Tagelöhner, blieb unausgesprochen, aber nicht unklar.

    Acht Augenpaare bewegten sich von Peterson zu Sasha. Sie legte ihren Stift zur Seite.

    »Wir werden uns jeden Morgen um 8.30 Uhr für ein schnelles Update treffen und um die vorrangigen Aufgaben des Tages zu verteilen. Von nun an arbeiten Sie ausschließlich für Hemisphere Air. Wenn Sie mich brauchen, um mit irgendjemandem zu sprechen, um Sie von ihren aktuellen Arbeiten abzuziehen, sagen Sie es mir jetzt, ansonsten erwarte ich, dass Sie bis morgen Abend Ihren Tisch von allen anderen Angelegenheiten geleert haben.«

    Sasha wartete einen Moment, um zu sehen, ob irgendjemand ein Problem damit hatte. Hatte niemand. In diesem Stadium ihrer Karriere würden sie sich die Arme ausreißen, um der Dokumentenprüfungsfalle zu entkommen.

    Sie konnten sich kaum vorstellen, dass sie als frischgebackene Anwälte Tag und Nacht sowie die Wochenenden damit verbringen würden, Computerbildschirme anzustarren, um eine idiotische E-Mail nach der anderen zu lesen - und sich durch weitergeleitete Witze, Spam-Werbung für Viagra und banale Details über das neue Beförderungsangebot eines Klienten zu wühlen, in der Bemühung, Beweise für Insiderhandel, eine kartellrechtliche Verschwörung oder eine Rechtsberatung zu irgendeiner Aktion des Unternehmens zu finden. Sasha hatte Mitleid mit ihnen. Als sie in dieser Phase war und sich mit Dokumentenprüfungen herumschlug, musste sie zu exotischen Orten wie Duluth reisen und sich durch Kartons mit vergilbtem Papier in ungeheizten Lagerhallen durchboxen, statt sich mit der Sammlung von Internetpornos eines Fremden befassen zu müssen.

    Sie fuhr fort: »Wir werden mit Volldampf loslegen müssen. Unsere Vermutung ist, dass die erste Gruppe von Zivilklägern morgen Klage einreichen wird.« Wer zuerst Klage einreicht, hat gute Chancen, zum Anwalt der Sammelkläger ernannt zu werden und, falls es zu einer Reihe von konsolidierten Fällen kommt, zum koordinierenden Anwalt der MDL.

    Sie traf auf ein paar leere Blicke.

    »Distriktübergreifende Rechtsstreitigkeiten mit Koordination an ein Bundesgericht – Hallo??« fragte sie auffordernd.

    Es war kriminell, auf welche Art und Weise Unternehmen wie Prescott die hellsten juristischen Köpfe forderte und sie dann daran hinderte, die ersten Jahre ihrer Karriere das Gesetz auszuüben, so wie sie es eigentlich wollten und sollten.

    Als sie wieder alle nickten, fuhr sie fort: »Wir brauchen jemanden, der eine Gesetzeskonfliktanalyse erstellt, falls die erste Klage in Virginia eingeht – dem Unfallort – aber man kann davon ausgehen, dass wir hier vor einem Bundesgericht landen werden, im westlichen Bezirk von Pennsylvania.«

    Joe Donaldson hatte eine Frage. »Wie können Sie sich da so sicher sein? Nur weil Hemisphere Air hier ihren Geschäftssitz hat? Warum würden die Kläger an einem Ort gegen Hemisphere Air antreten, an dem sie Heimvorteil hat?«

    »Das ist eine berechtigte Frage, Joe. Schauen Sie mal aus dem Fenster hinter Ihnen.«

    Joe und die vier anderen Anwälte auf seiner Seite des Tisches drehten ihre Stühle, um zu sehen, worauf sie mit dem Finger zeigte. Die drei Leute, die ihnen gegenüber saßen, erhoben sich von ihren Stühlen und reckten die Hälse, um es auch sehen zu können. Nur Peterson bewegte sich nicht. Er lächelte nur.

    »Sehen Sie das Frick Building?« Es war ein stabiles Gebäude aus Stein, das inmitten einem Meer von Glashochhäusern stand. »Das gesamte Gebäude ist dunkel, nicht wahr? Mit Ausnahme einer Reihe von fünf Fenstern im vierten Stock.«

    Die Köpfe der Junior-Anwälte nickten im Einvernehmen. Sie drehten sich wieder zu ihr um.

    »Dort sind Mickey Collins Büros. Mickey ist einer der erfolgreichsten Klägeranwälte der Stadt. Der Aston Martin parkt direkt unter der Überwachungslampe auf dem Parkplatz nebenan. Ich arbeite hier schon seit 8 Jahren, und ich kann Ihnen sagen, wie oft dieser Wagen hier noch nach 18.00 Uhr gestanden hat. Er ist da drin, telefoniert herum, versucht, die Witwe von jemanden aus diesem Flug finden, sodass er am nächsten Morgen sofort ins Gericht laufen und einen Sammelkläger nennen kann. Darauf können Sie Gift nehmen.«

    Joe blickte beschämt auf den Boden.

    »He, das war eine gute Frage Joe.« Sasha würdigte jeden, der sich in einer Gruppe zu Wort meldete. »Versuchen Sie doch einfach, Hintergrundinformationen zu einem potenziellen Richter des westlichen Bezirks zu sammeln, dem man am wahrscheinlichsten den nächsten MDL-Fall zuweist.«

    »Wird gemacht.« Joe setzte sich aufrechter.

    »Gut. Gibt es Freiwillige für die Gesetzeskonfliktanalyse?«

    Kaitlyn Hart hob den Stift. »Ich mach das.«

    »Prima.« Sasha wandte sich an Peterson. »Noah, treffen Sie sich morgen mit Metz?«

    »Ja. Er kommt morgen Mittag zum Arbeitsessen hierher. Wir bleiben hier bei uns in der Kanzlei. Die Presse wird sie morgen in ihren Büros überfallen.«

    »Okay. Das bedeutet, dass ich beide Memos spätestens bis um zehn Uhr brauche, damit ich sie noch durchsehen kann, bevor sich Noah mit mir und dem Firmenanwalt trifft.«

    Joe und Kaitlyn nickten beide, während sie etwas auf ihre Notizblöcke kritzelten.

    »Die anderen erhalten ihre Aufgaben morgen früh beim Meeting.«

    Sasha fühlte sich ein wenig schuldig, dass sie die anderen für nichts und wider nichts aus ihren spätabendlichen Dokumentenprüfung herausgeholt hatte, aber so war nun mal das Leben in einer großen Kanzlei. Es konnte wahnsinnig ineffizient sein.

    »Weitere Fragen?«

    Niemand sagte etwas. Ein paar Leute schüttelten den Kopf.

    Es war fast ein Uhr morgens. Zeit, die Leute loszuwerden.

    »Dann sind wir fertig. Bis morgen früh.«

    4

    Außerhalb von Blacksburg, Virginia

    Als eine schwache Herbstsonne über den Bergen aufging, durchkämmte das Bergungsteam das, was vom Flug 1667 übrig geblieben war. Es war erst Oktober, aber ein harter Frost bedeckte den Boden.

    Die Männer und Frauen, die am späten Abend als Rettungsteam aufgebrochen waren, froren und waren erschöpft. Nachdem sie die grellen Arbeitsscheinwerfer ausgefahren und die Absturzstelle gesehen hatten, wussten sie, dass es keine Überlebenden geben würde und das Adrenalin, das sie aus ihren warmen Betten getrieben hatte, war verpufft.

    Jetzt arbeiteten die Leute von der freiwilligen Feuerwehr, Notfallsanitäter und örtliche Polizeibeamte – unter der Aufsicht eines Haufens mürrischer und meist schweigsamer Beamten der Transportsicherheitsbehörde TSA und der Nationalen Behörde für Transportsicherheit NTSB – Schulter an Schulter, tüteten sie verkohlte Körperteile, verbogene Metallteile, Scherben von Handys und Laptops sowie Fetzen von Rollerboard-Taschen ein und katalogisierten sie.

    Marty Kowalski entdeckte ein Stück gepunkteten Stoff und bückte sich mit knackenden Knien, um es zu inspizieren. Es war ungefähr so groß wie ein loses Blatt Papier und wohl einmal cremefarben gewesen, mit hellrosa, mokkabraunen und hellblauen Punkten. Es kam ihm irgendwie bekannt vor, aber Marty wusste nicht genau woher.

    Wo hatte er einen solchen Stoff schon einmal gesehen? Sein müdes Gehirn durchsuchte sein Gedächtnis, aber es war leer. Er drehte den Stoff um und da fiel ihm etwas auf: Die Rückseite bestand aus einer Art Kunststoff, die teilweise in den Boden geschmolzen war. Als Marty es herauszog, erinnerte ihn diese Plastikfolie an etwas und er erkannte, dass er nach etwas suchte, was ihn an eine Windeltasche erinnerte: Ein fröhliches Pastellmuster mit einer schützenden Plastikabdeckung.

    Eine Mutter hatte sorgfältig die Windeln abgezählt, die sie für den Flug brauchte und ein paar Extras hinzugefügt, nur für den Fall. Dann hatte sie eine Schachtel Feuchttücher und eine Tube mit beruhigender Windelcreme in Reisegröße eingepackt, ein Knuddelspielzeug oder ein Buch zur Beschäftigung des Babys im Flugzeug und wahrscheinlich eine abgenutzte Wolldecke oder ein Stofftier oben draufgelegt.

    Nun blieb nur noch dieser zerrissene Sack übrig und Mutter und Baby waren unter der Asche verstreut, die über das rauchige Feld wehte. Martys Magen krampfte. Er eilte zur Baumreihe, falls ihm übel werden sollte.

    Marty beugte sich vor, legte seine steifen Hände auf die Oberschenkel, direkt über den Knien. Er würgte, es kam aber nichts hoch, also spuckte er ein paar Mal und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Als er sich aufrichtete, entdeckte er helles Metall, das im Gebüsch glitzerte. Er trat das Unkraut mit einem Stiefel mit Stahlkappe zur Seite und starrte darauf. Dort lag eine stark verbeulte Edelstahlbox in etwa der Größe eines Werkzeugkastens auf der Seite. Sie war leuchtend orange lackiert. Die Worte ›FLIGHT DATA RECORDER DO NOT OPEN‹ waren in großen schwarzen Buchstaben eingestanzt.

    »He!«, rief er, »ich hab sie gefunden – ich hab die Blackbox gefunden.«

    Jeder lief aus allen Richtungen auf seine Stimme zu.

    5

    Pittsburgh, Pennsylvania

    Keine vier Stunden, nachdem Sasha ins Bett gegangen war, öffnete sie die Augen genau fünf Minuten, bevor ihr Wecker läutete, so wie jeden Morgen. Sie streckte sich in voller Länge, berührte ihre Zehen, breitete die Arme über dem Kopf aus, bis die Fingerspitzen am Kopfbrett anstießen. Sie setzte sich, krümmte den Rücken, rollte den Hals und schaltete den immer noch schweigenden Wecker ab.

    Das Tolle an ihrer Eigentumswohnung im Loft-Stil war, dass sich ihr Schlafzimmer nur drei Schritte von der Küche mit ihren ölgerieben Bronze-Geräten (der neue Edelstahl, zumindest, was ihr Makler behauptete) befand. Sie machte den kurzen Spaziergang zur Küche und hatte bereits einen übergroßen Becher mit sehr heißem, sehr starkem schwarzen Kaffee in der Hand, bevor sie vollständig wach war.

    Sasha hatte schnell gelernt, dass es einfacher am Morgen war, wenn man schon am Vorabend Kaffeebohnen mahlt, Wasser einfüllt und den Timer der Kaffeemaschine einschaltet. Sie stellte sogar den Becher am Vorabend bereit, direkt neben die Maschine auf die recycelte Glas-Arbeitsplatte (als das neues Granit bezeichnet, ebenso von dem gleichen Makler).

    Sie war ein paar Mal mit Joel Irgendwer oder einem anderen nichtssagenden Typen ausgegangen, einem Kaffee-Pedanten, der entsetzt war, als er Zeuge dieser Routine wurde. Er hatte sie über die Öle in den Bohnen und die Temperatur des Wassers belehrt. Bei ihrem nächsten – und letzten – Date hatte er ihr eine kleine französische Kaffeepresse präsentiert und ihr vorgeschlagen, die Kunst zu erlernen, eine perfekte Tasse Kaffee nach der anderen herzustellen.

    Sie hatte die französische Kaffeepresse in einer Schublade verstaut, wo sie auch heute noch in der Originalverpackung liegt. Dann hatte sie Joe den Laufpass gegeben und ihn in die seichten Dating-Gewässer Pittsburghs zurückgeschickt, weil sie nicht bereit war, seinem Kaffee-Snobismus zu frönen.

    Was sie an Geschmack opferte, indem sie den Kaffee in der Nacht aufstellte, wurde durch die sofortige Lieferung von Koffein ausgeglichen, das sie jeden Morgen herzlich begrüßte.

    Sie brachte den Kaffee ins Schlafzimmer, wo sie ihre Laufschuhe anzog. Auch das hatte sie gelernt, dass es für den nächsten Morgen einfacher ist, in seinen Sportklamotten zu schlafen anstatt in einem richtigen Schlafanzug.

    Dann ging sie ins Badezimmer, um sich das Gesicht zu waschen, die Zähne zu putzen und um ihr Haar zu einem niedrigen Pferdeschwanz zurückzuziehen. Sie ging in den kleinen Flur, wo sie eine Fleecejacke anzog, die an der Tür hing, eine Baseballmütze aufsetzte und sich den Rucksack überhing. Sie vergewisserte sich, dass die Tür hinter ihr verriegelt ist und joggte die Treppe hinunter in die Lobby.

    Acht Minuten nachdem sie aus dem Bett gehüpft war, raste sie auf die Straße und füllte ihre Lungen mit der kalten Luft. Als sie durch Shadyside bis zur Fifth Avenue lief, wurden ihre Beine lockerer und sie machte größere Schritte.

    Montags bis samstags lief sie von ihrer Eigentumswohnung bis zu ihrer Krav Maga-Klasse. Sie hatte die Nahkampfkurse seit dem Jurastudium belegt. Krav Maga hielt sie geistig scharf. Ganz zu schweigen davon, dass sie fast ein Meter sechzig groß war – sofern sie Absätze mit acht Zentimetern trug – und sie satte dreiundvierzig Kilo wog. Das gab ihr einen deutlichen Größennachteil gegenüber anderen, mit Ausnahme von Drittklässlern. Zu wissen, wie man eine Kniescheibe zertrümmert, tröste sie, wenn sie spät nachts zu ihrem Auto ging

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