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Über dieses E-Book

Gertrude Aretz war eine deutsche Historikerin, bekannt für das Schreiben von Biographien berühmter historischer Persönlichkeiten wie Napoleon Bonaparte, Elisabeth I., Kaiserin Katharina II und anderen.
Diese Sammlung enthält:
"Berühmte Frauen der Weltgeschichte" - Jede Frau in diesem Buch spielte eine Rolle in der Geschichte ihres Heimats oder in der Weltgeschichte.
"Königin Luise" - Dieses Buch erzählt über das Schicksal von Königin Luise nicht nur als Frau von Friedrich Wilhelm III, sondern auch über ihre persönlichen Erfahrungen, Leiden und die Opfer, die sie für den Aufstieg Preußens gebracht hat.
"Elisabeth von England" - Lebensgeschichte der der mächtigen jungfräulichen Königin
"Glanz und Untergang der Familie Napoleons" - Napoleon Bonaparte wäre nicht das, was er wurde, wenn seine Familie nicht wäre. Dieses Buch erzählt Ihnen von seinen Verwandten und ihrem enormen Einfluss auf die Geschichte Europas.
"Die elegante Frau" - Die Geschichte der Eleganz durch die Linse der Mode der verschiedenen Jahrhunderte
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum21. Feb. 2022
ISBN4064066498832
Gesammelte Werke
Autor

Gertrude Aretz

Gertrude Aretz, geb. Kuntze-Dolton (1889-1938) war eine renommierte deutsche Historikerin und beschäftigte sich insbesondere mit den Lebensläufen berühmter historischer Persönlichkeiten wie z. B. Elisabeth von England und Napoleon.

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    Buchvorschau

    Gesammelte Werke - Gertrude Aretz

    Berühmte Frauen der Weltgeschichte

    Inhaltsverzeichnis

    Liselotte von der Pfalz Herzogin von Orléans

    Inhaltsverzeichnis

    1. Das Elternhaus

    Der alte Glanz der Pfalz lag in Schutt und Asche. Nur der äussersten Sparsamkeit des Landesfürsten konnte es gelingen, das Land wieder zu dem üppigsten und fruchtbarsten aller deutschen Gaue zu machen. Liselottes Vater, der damals noch junge Kurfürst Karl Ludwig, bemühte sich daher auch redlich, die Wunden zu heilen, die der Dreissigjährige Krieg seinem schönen Lande geschlagen hatte. Es kam im Jahre 1649 in sehr verkleinertem Zustand in seine Hände. Die Hauptstadt Heidelberg lag halb in Trümmern. Ein grosser Teil der Dörfer und Flecken war vom Erdboden vollkommen verschwunden, die Bevölkerung durch Krieg und Seuchen aufgerieben. Ueberall wüteten Not, Hunger und Elend. Es bedurfte einer starken, energischen Hand, die Pfalz wieder zu Wohlstand zu bringen, und Karl Ludwig, den im Sturme des Lebens Aufgewachsenen, erwartete auch nach seinem Regierungsantritt kein sorgloses Dasein. In sich selbst fühlte er seinem Lande gegenüber eine tiefe Schuld. Er hoffte sie durch eisernen Fleiss und strengste Pflichterfüllung zu sühnen. Denn durch die Fehler seiner Eltern war die Pfalz ins Unglück geraten. Seine stolze Mutter, die Tochter König Jakobs I. von England, als Winterkönigin bekannt, hatte grosses Luxusbedürfnis. Sie war eine schöne Verschwenderin. Ihre Ansprüche und exzentrischen Neigungen überschritten weit die Verhältnisse am kurpfälzischen Hofe. Des Vaters verhängnisvolles Streben nach einem höheren, glänzenderen Thron hatte die kurfürstliche Familie zu obdachlosen Flüchtlingen gemacht und war schuld an der Verwüstung der Pfalz durch die Spanier und Franzosen.

    Leider erreichte Karl Ludwig sein Ziel nur zu seinem Schaden, denn die Pfalz, wieder zu Wohlstand gelangt, ward aufs neue ein begehrlicher Gegenstand in den Augen anderer Fürsten. Besonders Ludwig XIV. hatte es auf das Land des Kurfürsten abgesehen. Wie es sich später zeigte, wurde Liselottes Vater ein Opfer des französischen Königs, und zwar nicht infolge persönlicher Schwäche und Nachgiebigkeit, sondern hauptsächlich infolge des Zustandes der damaligen deutschen Verfassung. Er musste es geschehen lassen, dass sein schönes Land der Willkür der Franzosen preisgegeben ward, ohne dass das Reich ihm Schutz und Hilfe gewährte. Ueber der Pfalz schwebte ein Unglücksstern.

    Auch die junge Ehe des Landesfürsten war nicht vom Glück begünstigt. Karl Ludwig war mit Charlotte, einer Tochter des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, vermählt. Er heiratete sie ein Jahr nach seiner Thronbesteigung, am 12. Februar 1650. Die Prinzessin war kränklich, deshalb fast immer gereizt und übelgelaunt. Nichtsdestoweniger war sie ungemein vergnügungssüchtig, eine ausgezeichnete Amazone. Sie liebte es, mit reichem Gefolge weite Spazierritte zu unternehmen, in der Umgegend zu jagen, Feste und Bälle zu veranstalten und an ihrem Hofe einen gewissen Glanz zu entfalten. Ihre Schönheit zur Geltung zu bringen, daran lag ihr am meisten. Daneben war sie streitsüchtig, launisch und heftig, gegen Untergebene sehr stolz und hoffärtig. Sie behandelte ihre Dienerschaft schlecht. Es kam ihr nicht darauf an, ihre Hofdamen mit der Reitpeitsche zu schlagen. Sie hatte gewiss keinen angenehmen Charakter, war ausserdem eine höchst hysterische Frau. Die eigene Mutter, die edle Landgräfin Amalie von Hessen-Kassel, warnte den Kurfürsten bei der Verlobung vor dem widerspenstigen, halsstarrigen und verdriesslichen Wesen der Tochter. Damals rechnete Karl Ludwig jedoch in voller Zuversicht auf seinen eheherrlichen Einfluss, er wolle sich um so freundlicher gegen seine Gattin zeigen und ihre Liebe zu erobern trachten. Es gelang ihm nicht, trotz aller Geduld, die ihm bei seinem leicht erregbaren Charakter möglich war aufzubringen.

    Es gab zwischen dem ungleichen Paar nicht nur heftige Privatauseinandersetzungen, sondern auch Streitigkeiten wirtschaftlicher Natur. Karl Ludwig war sparsam bis zur Kleinlichkeit. Vor allem strebte er danach, seinem verarmten Lande jede Mehrausgabe für die Unterhaltung des Hofes zu ersparen. Die Dienerschaft war aufs nötigste beschränkt. Wenn er gezwungen war, irgendeinen offiziellen Besuch bei einem hohen Fürsten oder gar beim Kaiser zu machen, so liess er es freilich an einem seiner Würde zukommenden äusseren Auftreten nicht fehlen, umgab sich mit einem glänzenden Hofstaat, machte ansehnliche Geschenke. Sobald er jedoch wieder daheim war, wurden alle unnützen Esser verabschiedet. Karl Ludwig war von neuem der sparsame Bürger. Persönlich wog er die gewisse Menge Zucker und Nahrungsmittel für seinen Hausbedarf ab, überwachte seine Landwirtschaft selbst, verkaufte sein Vieh und sein Wild, um nicht von der Apanage seiner Untertanen abzuhängen. Eine Zeitlang verzichtete er sogar ganz darauf. Ferner war er ein Feind aller Koketterie. Er liebte es nicht, dass die Frauen viel Geld für Kleidung oder Vergnügen ausgaben. Reiten und Jagen waren ihm beim weiblichen Geschlecht verhasst; seine Tochter Lieselotte lernte es erst in Frankreich.

    Durch diese Eigenschaften allein stiess er auf heftigen Widerstand bei seiner luxusbedürftigen und vergnügungssüchtigen Frau. Sie liebte es, viel Geld auszugeben. Sie liebte es, ein grosses Haus zu führen, sich mit einem prächtigen Hofstaat zu umgeben, in der Welt zu glänzen und eine Rolle zu spielen. Karl Ludwig war nicht reich genug, ihr ein solches Leben zu gewähren; das verhängnisvolle Beispiel seiner eigenen Mutter stand ihm warnend vor Augen. Aber Charlotte sah nur Böswilligkeit und Geiz in der Sparsamkeit ihres Gatten, und die Zänkereien und Streitigkeiten nahmen kein Ende.

    Aus dieser höchst unglücklichen Verbindung gingen drei Kinder hervor. Nur zwei davon blieben am Leben: ein Sohn Karl, der im Jahre 1651 geboren wurde, und eine kleine Prinzessin, Elisabeth Charlotte, von ihren Angehörigen kurzweg Liselotte genannt. Sie kam im Mai 1652 zur Welt.

    Auf Liselottes Kinderjahre fiel der Schatten des unglücklichen Zerwürfnisses ihrer Eltern. Bald machte der Vater kein Hehl mehr daraus, dass er mit der Mutter nicht glücklich sei. Er suchte in einer anderen Neigung Trost. Unter den Hofdamen der Kurfürstin Charlotte befand sich seit dem Jahre 1653 ein Fräulein Luise von Degenfeld. Sie war ein junges blondes Mädchen, das von Anfang an Eindruck auf Karl Ludwig machte. Fräulein von Degenfeld wollte ihm indes nur als Gattin, nicht aber als Mätresse angehören. Auch sie liebte ihn, obwohl er mehr als zwanzig Jahre älter war als sie. Der Kurfürst war zu allem bereit. Die Scheidung war für ihn beschlossene Sache. Impulsiv, wie er war, teilte er seiner Frau sofort den Entschluss mit. Charlotte war ausser sich über diese Schmach und erwiderte zornig, dass sie nie und nimmer ihre Zustimmung geben werde.

    Von diesem Augenblick an wurde das Leben im Heidelberger Schlosse unerträglich. Täglich gab es die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ehegatten. Vergebens versuchten die Verwandten des kurfürstlichen Paares eine Versöhnung herbeizuführen. Karl Ludwig war unerbittlich. Von Tag zu Tag liebte er Luise von Degenfeld mehr. Je unüberwindlicher die Hindernisse schienen, sie zu erlangen, desto heftiger entflammte seine Leidenschaft. Sein Hass gegen die Kurfürstin wurde immer grösser. Aber obwohl das Leben für Charlotte unter seinem Dache nicht nur qualvoll, sondern auch würdelos war, vermochte sie doch nichts zu bewegen, das Schloss zu verlassen. So lebten beide Frauen anfangs gemeinsam in Heidelberg. Später verlegte Karl Ludwig seinen neuen Hausstand nach Frankenthal, wo er den Winter verbrachte. Vierzehn schöne Kinder gingen aus diesem Bunde mit Luise von Degenfeld hervor. Er hatte Luise zur Raugräfin erhoben. Er war sehr glücklich und verbarg sein Glück vor niemandem. Luise kannte nur ein Ziel: den Kurfürsten, für den sie die grösste Verehrung und Dankbarkeit empfand, den Schritt nicht bereuen zu lassen, den er getan hatte. Niemals vergass sie, welch hohe und bevorzugte Stellung ihr Karl Ludwig eingeräumt hatte. Sie vergalt ihm seine Liebe und Fürsorge mit herzlicher Hingabe. Seinen beiden Kindern aus der Ehe mit der Kurfürstin ist sie jederzeit mit Liebe begegnet. Liselotte weiss nur Gutes von dieser Stiefmutter zu sagen. Besonders aber lobte sie die Liebenswürdigkeit und Sanftmut der Raugräfin.

    Noch ehe Liselotte geboren war, kam Karl Ludwigs Lieblingsschwester Sophie, die spätere Kurfürstin von Hannover, an den Hof von Heidelberg, um ihren jungverheirateten Bruder zu besuchen. Die zweiundzwanzigjährige Sophie war nicht nur ausserordentlich gebildet, sondern auch ein ganz besonders individueller Charakter. Ausser dem Deutschen sprach sie gleich fliessend Holländisch, Englisch, Französisch, ziemlich gut Spanisch, Italienisch und Lateinisch. Jedermann war erstaunt, bei einer so jungen Prinzessin so viele Kenntnisse zu finden, besonders da sie nichts weniger als ein Blaustrumpf war, sondern Freude an allen Vergnügungen der grossen Welt hatte. Französisch war damals die Sprache der Höfe und vornehmen Gesellschaft, Englisch hatte Sophie von frühester Kindheit durch die Mutter gelernt, ebenso Holländisch durch ihren Aufenthalt im Land, und Lateinisch musste damals jedermann verstehen, der einigermassen Anspruch auf höhere Bildung machte. Karl Ludwigs Schwester besass jedoch auch recht ansehnliche Kenntnisse in Philosophie und Geschichte, die selbst Gelehrten Bewunderung einflössten. Dazu kam ein äusserst glückliches Temperament. Sie verfügte über einen lebhaften, oft derben Witz mit starker Neigung zum Spöttischen, einen festen, entscheidenden Willen, der sich in allen Widerwärtigkeiten des Lebens aufrecht erhielt. Sophie war weit entfernt von dem damals sehr verbreiteten Aberglauben, von aller Frömmelei und Intoleranz; eine starke, frohe Natur, die trotz aller äusseren Derbheit viel Herzensgüte und Wärme in sich trug. In vielen Eigenschaften ging Sophies Charakter auf Liselotte über, für die sie der Inbegriff alles Vollkommenen und Schönen wurde. Von dem rauschenden Hofe in Frankreich flüchtete später die Herzogin von Orléans in den Stunden ihrer Einsamkeit zu ihrer herzlieben Tante Sophie, um in langen Briefen alle ihre Kümmernisse zu beichten und sich bei ihr Rat und neuen Mut zu holen.

    Als diese Tante an den kurpfälzischen Hof kam, war der Erbprinz Karl ein Jahr alt, und Liselottes Geburt wurde erwartet. Während das Brüderchen aber sein Leben lang kränklich und schwächlich blieb, entwickelte sich die kleine Prinzessin zu einem körperlich und geistig gesunden Naturkind, voll Frische und Frohsinn. Ihr wildes Temperament war kaum zu bändigen.

    Trotz allen häuslichen Zwistes zwischen den Eltern, trotz aller Strenge des Kurfürsten sind Liselottes Kinderjahre im Elternhause doch äusserst glückliche. Sie geniesst die grösste Freiheit, darf sprechen und spielen mit wem sie will, darf mit ihren Gouvernanten in der Umgebung von Heidelberg umherstreifen, braucht sich nicht mit vielem Lernen zu beschweren. Sie kann ganz Kind sein. Auf diese Weise befreundet sie sich mit Hoch und Niedrig und gelangt schliesslich zu jenen ausserordentlichen Kenntnissen von Dingen und Menschen ihrer Heimat, der wir in ihren zahlreichen Briefen begegnen. Jene köstliche Natürlichkeit und Einfachheit ihres Wesens, denen sie selbst später in einer völlig anderen Umgebung voll Glanz, Reichtum und Verderbnis treu blieb, sind in jenen harmlos glücklichen Kinderjahren verwurzelt. Wie an ein Paradies auf Erden erinnerte sie sich bis ins hohe Alter ihrer ungestümen Jugendlust und Wildheit. Ihren Erzieherinnen bereitete sie allerdings oft die grössten Sorgen. Einen rechten «rauschenblattenen Knecht» nennt sie sich, was so viel heissen will wie «flatterhaft Bürschchen». Als sie dann selbst Mutter eines äusserst lebhaften Töchterchens ist, schreibt sie in ihrem originellen Deutsch: «Ich glaube, dass aller Liselotten ihr Naturell ist, so wild in der ersten Jugend zu sein, hoffe, dass mit der Zeit ein wenig Blei in dem Quecksilber kommen wird, wenn ihr mit der Zeit das Rasen so vergeht, als es mir vergangen ist, seiderdem ich in Frankreich bin.» Sie wäre wohl auch lieber ein Knabe gewesen, der nach Herzenslust auf den Bäumen herumklettern konnte, ohne danach fragen zu müssen, ob das sich auch schicke. Denn für das «Sichnichtschicken» hat Liselotte ihr Leben lang kein Verständnis. Sie tut und sagt, was ihr gerade einfällt, spricht den Pfälzer Dialekt wie der geringste Untertan ihres Vaters. Jede Ziererei ist ihr fremd. Am liebsten wäre es ihr, wenn man sie mit aller Zeremonie und Vornehmtuerei verschonte. «Wie irgendein anderes Bürgerkind geht sie mit einem «gut Stück Brot in der Hand» schon morgens um fünf Uhr vor das obere Tor in Heidelberg «Kirschenessen» und empfindet es als das höchste Glück, wenn man sie ungestört diesem harmlosen Vergnügen überlässt.

    So wächst Liselotte auf in Sorglosigkeit und Natürlichkeit. Die Erzieherinnen haben keinen leichten Stand bei diesem zu allen tollen Streichen aufgelegten Kinde. Die erste Gouvernante erbat vom Kurfürsten ihren Abschied mit der Erklärung, sie wolle nicht mehr bei der Prinzessin bleiben, weil sie ihr zu viele Schabernacks spiele. Fräulein von Quaadt war nämlich alt und langweilig, und so entledigte sich das fröhliche, mutwillige Kind ihrer eines Tages durch einen Gewaltstreich. Liselotte war ungehorsam gewesen und sollte die Rute bekommen. Als «die Jungfer Eltz von Quaadt» sie hinaustragen wollte, zappelte die kleine Prinzessin so sehr mit den Füssen und gab ihr «so viel Schläg in ihre alte Bein», dass Jungfer Eltz mitsamt der wilden Liselotte zu Boden fiel. Das schadenfrohe kleine Mädchen aber suchte schleunigst das Weite und entging so der zugedachten Strafe. Fräulein von Quaadt erzog fortan nur noch den sanfteren, stillen Erbprinzen. Liselotte indes bekam von da an ihr geliebtes Fräulein von Offelen zur Hofmeisterin.

    Es kommt aber auch vor, dass Liselottes Missetaten durch einen Zufall aufgedeckt werden, wie an jenem Abend, als sie gerade mit einem Teller voll Specksalat am Fenster steht und hastig die für sie köstliche, aber verbotene Speise heimlich hinunterwürgt. Sie ist noch nicht fertig mit essen, als plötzlich auf dem Altan, direkt vor ihrem Fenster, die Kanone abgefeuert wird, weil ein Brand in der Stadt ausgebrochen war. Darüber erschrickt das Fräulein von Colb, ihre Gesellschafterin, dermassen, dass sie im Hemd aus dem Bett springt, um die Prinzessin zu retten, denn sie glaubt, das Feuer sei ganz in der Nähe. Aus Furcht, ertappt zu werden, wirft Liselotte eiligst den silbernen Teller mitsamt dem Salat und der Serviette zum Fenster hinaus. Da aber kommt auch schon der Kurfürst die hölzerne Stiege herauf, um von Liselottes Zimmer aus in die Stadt hinunterzuschauen, wo sich der Brand befände. «Wie er mich so mit dem fetten Maul und Kinn sah», erzählt später die Frau Herzogin von Orléans in ihrer derben Art, «fing er an zu fluchen: ‹Sacrament, Liselotte, ich glaube, ihr schmiert euch etwas auf dem Gesicht.› Ich sagte: ‹Es ist nur Mundpomade, die ich wegen der gespaltenen Lefzen (Lippen) geschmiert habe.› – Papa selig sagte: ‹Ihr seid schmutzig.› – Da kam mir das Lachen. Die Raugräfin kam auch herauf durch meiner Jungfern Kammer und sagte: ‹Ah, wie riechts in der Jungfern Kammer nach Specksalat!› Da merkte der Kurfürst den Possen und sagte: ‹Das ist denn eure Mundpomade, Liselotte?› – Wie ich sah, dass der Kurfürst guter Laune war, gestund ich die Sache und verzählte den ganzen Handel, wie ich die Hofmeisterin betrogen hatte. Der Kurfürst lachte nur darüber, aber die Colbin hat mirs lange nicht verziehen.»

    Lachen und Fröhlichsein füllten ihre Kinderjahre aus und liessen die Stürme vorüberziehen, die sich oft genug im Elternhaus über ihr zusammenzogen. Der Vater war infolge des traurigen Verhältnisses seiner Ehe oft heftig und streng gegen die beiden Kinder. Indes scheint Liselotte mit ihrem urwüchsigen, fröhlichen Naturell weniger unter der Strenge des Vaters gelitten zu haben als der Erbprinz, der sich später auch völlig von ihm abwandte. Liselotte verehrte jederzeit den Kurfürsten mit grosser Liebe. Höchstens kommt sie bisweilen auf sein hartes Wesen zu sprechen und meint, «der Vater, Ihro Gnaden, der Kurfürst selig», habe sie wohl sehr lieb gehabt, allein sie habe ihn noch viel lieber gehabt als er sie. Und vielleicht hat sie nicht ganz unrecht. Aus Instinkt stellt sich das Kind, das oft Zeuge der elterlichen Zerwürfnisse ist, auf die Seite der Mutter. Als Liselotte älter ist und in die Schule der Tante Sophie von Hannover geht, die ihren Bruder Karl Ludwig abgöttisch liebte und natürlich seine Tochter in der Liebe zu ihm erzog, entfernt sich auch Liselotte immer mehr von ihrer Mutter.

    Karl Ludwigs Schwester Sophie hatte sich am 18. Oktober 1658 mit dem Herzog Ernst August von Braunschweig- Lüneburg verheiratet. Vorläufig war er noch ein Herzog ohne Land, aber doch keine allzu schlechte Partie für die nicht mehr ganz junge und vermögenslose pfälzische Prinzessin. Einst hatte sich zwar der Erbe des englischen Königsthrones um sie bemüht. Diese Verbindung hatte sich indes zerschlagen. Sophies gesunder Verstand sagte ihr, es sei besser, überhaupt einen Mann zu finden als gar keinen. Er müsse nur, wie sie sich ausdrückte «in einem annehmbaren Range stehen, seine Frau nicht schlagen», wie Prinz Adolf Johann von Zweibrücken. Auch er hatte um ihre Hand angehalten. Ferner dürfe er «weniger dem Trunke zuneigen wie der Prinz von Holstein», der gleichfalls in sie verliebt war.

    Herzog Georg Wilhelm von Hannover, der Bruder ihres zukünftigen Gatten, war zuerst mit ihr so gut wie verlobt. Diese Verbindung zerschlug sich jedoch, weil der Bräutigam inzwischen in Venedig einer griechischen Kurtisane in die Hände gefallen war. Obwohl Sophie dem Herzog Georg Wilhelm weit mehr als nur konventionelle Neigung entgegenbrachte, liess es ihr Stolz nicht zu, sich irgend etwas merken zu lassen, dass sie unter dem Zusammenbruch ihres Glücks litt. Und als er sie, wie etwas Sachliches, einfach seinem Bruder Ernst August als Braut abtritt, willigt sie ohne Widerstreit, vielleicht aber auch ohne Bedauern, in diese unter Brüdern arrangierte Heirat. Auch das mit der Zeit unerträgliche Leben im Heidelberger Schloss mag Sophie zu diesem raschen Entschluss bestimmt haben.

    Als sie ihren Verlobten, den Herzog Ernst August, einen schönen, hochgewachsenen Mann, endlich in Heidelberg empfängt, freute sie sich, ihn liebenswürdig und nett zu finden, denn sie hat sich vorgenommen, ihn zu lieben, gleichviel ob er ihr gefällt oder nicht. Nun ist sie froh, dass auch sein Aeusseres ihrem Geschmack entspricht. Durch eine Klausel des Westfälischen Friedens war dieser protestantische Fürst Koadjutor des Kardinals von Wartenberg, Bischofs von Osnabrück und zu dessen Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhl bestimmt. Da jedoch Wartenberg noch lebt, führt Ernst August seine junge Frau einstweilen nach Hannover, an den Hof seines Bruders Georg Wilhelm, der ihm als Belohnung, dass er ihm die Braut abgenommen, versprochen hat, niemals zu heiraten und ihm sein Erbe auf den Thron von Hannover abzutreten.

    Von dem Augenblick an, da die junge Herzogin Sophie das Schloss Heidelberg verlassen hat, tritt sie in engsten Briefwechsel mit dem Kurfürsten von der Pfalz. «Er hatte so grosses Vertrauen zu mir», sagte sie in ihren Memoiren, «dass er mir mit jedem Posttage schrieb, und seine Briefe waren so warm und unterhaltend, dass die Korrespondenz mir die grösste Freude meines Lebens ausmachte.» Es bestand zwischen beiden Geschwistern ein so herzliches Freundschaftsband, dass ihr sein Urteil alles galt; und ihm war sie diejenige Frau, vor der er keine Geheimnisse zu haben brauchte. Jederzeit konnte er ihr sein Herz ausschütten. Gleich in den ersten Briefen an seine Schwester bespricht er mit ihr die Erziehungsfrage der damals siebenjährigen Liselotte, die ihm sehr am Herzen liegt. Damals schlug ihm Sophie vor, sie wolle die kleine Prinzessin zu sich nach Hannover nehmen und für sie sorgen wie für ihr eigenes Kind.

    Karl Ludwig musste wohl einsehen, dass es heilsamer sei, Liselotte nicht länger dem ungesunden Verhältnis seiner Ehe auszusetzen. Die täglichen Reibereien zwischen Vater und Mutter bleiben dem Kinde nicht verborgen, weil sich weder der eine noch der andere geniert, und das konnte für Liselottes Charakter leicht gefährlich werden. Immer mehr spitzt sich das Verhältnis der beiden Gatten zu. Hartnäckig weigert sich die Kurfürstin, das Schloss Heidelberg zu verlassen, wo ihre Stellung nachgerade beschämend für sie wird. Ganz unverständlich für ihre Frauenwürde ist es, dass sie noch immer darauf besteht, bei offiziellen Gelegenheiten mit dem Kurfürsten die Honneurs zu machen, der längst eine neue Familie besitzt. Auch im Theater erscheint Charlotte mit ihm und empfängt bei den Hofcouren. Weder sie noch er sind indes Naturen, die sich beherrschen und wenigstens für Augenblicke im öffentlichen Leben vergessen können, dass bittere Feindschaft zwischen ihnen herrscht. Mit einem Wort: das Leben im Schlosse wird immer unerträglicher, immer unerfreulicher. Es ist höchste Zeit, dass Liselotte dieser Umgebung entrissen wird. Der Herzogin von Hannover ist es wirklich ernst mit ihrer Absicht, die Erziehung ihrer Nichte zu übernehmen, und als ihr Bruder sich endlich auch dazu entschlossen hat, verwandelt Sophie die Absicht in die Tat. Am 15. Mai 1659 schreibt sie unumwunden an Karl Ludwig, mit dem sie die Briefe stets in französischer Sprache wechselt: «Wenn es Ihnen zu dieser Stunde angenehm wäre, die Vorbereitungen zur Reise Liselottes zu treffen, so würden sie unsere Wagen in Minden an dem Tage erwarten, an dem sie Ihrem Wunsch gemäss dort einträfe ...«

    Für das kleine Kurprinzesschen brechen nun vier herrliche, glückliche Kinderjahre bei ihrer «herzlieben Tante Sophie» an. Sie wird ihre wahre Mutter! Liselotte liebt sie mit aller kindlichen Inbrunst. Hier am Hofe Sophies sieht sie nie Szenen des Zorns und gehässiger Erbitterung. Hier gibt es keine kleinlichen Reibereien, keine Eifersüchteleien, keine unwürdigen Zänkereien. Wenn auch der hannöversche Hof durchaus kein Muster an Tugenden ist – dafür sorgen schon die vier sehr lebenslustigen und galanten Brüder –, so ist doch die Herzogin Sophie dessen Seele, eine sehr kluge Frau, die jeden öffentlichen Skandal, jede Art von Streitigkeiten und Zänkereien vermeidet. In ihrem häuslichen Leben mit dem Gatten ist später gewiss nicht alles, wie es hätte sein sollen, aber Sophie verschliesst das Leid darüber in ihrem grossen starken Herzen, ohne die Miene einer Märtyrerin zur Schau zu tragen. Im Gegenteil, sie ist immer heiter, immer geistvoll, immer die Gebende, oft derb und geradezu witzig und spöttisch, aber stets der Mittelpunkt ihres Hofes. Ihr treuester und ergebenster Freund Leibniz nennt sie nie anders als «unsere Grosse Kurfürstin».

    An der Seite dieser Frau wächst Liselotte auf. Ist es ein Wunder, dass dieses Kind, das nie die wahre Mutterliebe fühlte, für die Herzogin Sophie, die sie mit aller Wärme einer Mutter ans Herz nahm, die tiefste Zuneigung und höchste Bewunderung empfindet? Ihre Tante Sophie ist ihr Ideal und bleibt es. Als Liselotte selbst das Leben an einem der glänzendsten Höfe der Welt und anderer Frauen Geist und Macht kennenlernt, ist Sophie noch immer für Liselotte nicht nur der Stern des Hofes in Hannover, sondern überhaupt die geistreichste und grösste Frau aller Höfe.

    Das kleine Pfälzer Prinzesschen folgt übrigens der Tante auf ihren Reisen überallhin. Noch ist Sophies eigene Tochter, die spätere erste Königin in Preussen, Sophie Charlotte, nicht geboren. Die Herzogin verwendet daher alle Liebe auf ihr so vollkommen natürliches und unverdorbenes Pflegekind. Sie ist ganz entzückt und wundert sich nicht wenig, wie aufgeweckt und klug Liselotte ist. Einmal ruft sie begeistert aus: «Sie besitzt ebensoviel Geist wie eine Zwanzigjährige haben könnte. Sie kann sich so nett benehmen, dass es wahrhaft ein Wunder ist.» Aber Sophie weiss auch, dass dem etwas unbändigen Kinde, dieser «wilden Hummel», ein wenig Strenge guttut. «Man muss sie jeden Augenblick daran erinnern und ihr sagen: ‹Nimm dich vor der Rute in acht!› Denn sie ist natürlich doch immerhin ein Kind.»

    So sehr die Tante auf gutes Benehmen hält, so hört das heranwachsende Mädchen doch auch manchen derben Witz und manch grobes Wort, nicht nur von den Herzögen und ihren Höflingen, sondern auch von Sophie selbst, der es im Blute liegt, dann und wann einen recht kräftigen Spass zu machen oder mit anzuhören. Sie ist in dieser Beziehung ein echtes Kind ihrer Zeit, in der Zurückhaltung und Schüchternheit bei Frauen, besonders bei Damen der höchsten Kreise, für zimperlich und gekünstelt, folglich für ungebildet gelten. Die Herzogin und spätere Kurfürstin von Hannover liebt die starken Ausdrücke in ihrer Sprache, und Liselotte wird auch in dieser Hinsicht ihr allzu getreues Ebenbild, wie ihre unzähligen Briefe zur Genüge beweisen. Es ist nicht nur die angeborene Derbheit und Urwüchsigkeit der Pfälzerin, die das zum Ausdruck bringen, sondern Liselottes ganze Erziehung sowohl am Hofe ihres Vaters als auch in Hannover zielte auf unverfälschte Natur. Obwohl ein Fürstenkind, wuchs sie doch eigentlich in aller Zwanglosigkeit heran und büsste trotz der höfischen Umgebung nichts von ihrer herzerquickenden Frische ein, die ihrer Persönlichkeit den grössten Zauber verliehen hat.

    Die «Grimassen» gewöhnte sich Liselotte in der Tat ihr Lebtag nicht ab. Es ist ihr auch ganz gleichgültig, was für ein Gesicht sie macht, denn sie ist nicht eine Stunde in ihrem Leben gefallsüchtig und eitel gewesen. Sie besah sich auch nicht oft im Spiegel. Von jeher fand sie sich zu hässlich und war der Meinung, nur hübsche Mädchen und Frauen hätten das Recht, in den Spiegel zu schauen. Damit übertreibt Liselotte nun freilich ein wenig, denn sie war als Mädchen weder hässlich von Gesicht noch von Gestalt. Es gibt Jugendbildnisse von ihr, wie das eines unbekannten Malers im Kestner Museum in Hannover, die ohne Frage hold und liebreizend wirken. Auf jeden Fall war die junge pfälzische Prinzessin nicht hässlich, wenn auch keine hervorragende Schönheit. Die gesunde Frische ihres Gesichts, der gute Wuchs, der freie offene Blick und ihr ungezwungenes, natürliches Wesen, das war die Schönheit Liselottes, die jedem gefiel. Herzog Georg Wilhelm meinte, als er sie zum erstenmal als kleines kugelrundes Mädchen sah: «Wäre gut zu essen, wenn man sie wie ein Spanferkel braten könnte.» Und so appetitlich gesund ist sie zum jungen Mädchen und zur Frau herangewachsen.

    Liselottes geistige Erziehung beschränkte sich auf das Nötigste, nicht mehr und nicht weniger. Mit sieben Jahren lernt sie in ihrer Muttersprache lesen und schreiben. Im Haag bei der Grossmutter, Elisabeth Stuart, wird der Grundstein zu ihren französischen und englischen Kenntnissen gelegt. Die französische Sprache war nicht allein von unbedingter Notwendigkeit für eine Prinzessin, sondern besonders an den rheinischen Höfen Umgangssprache. Liselotte hat eine äusserst leichte Auffassungsgabe und begreift alles spielend. Bald spricht sie ohne Mühe das Französische gut und geläufig, so dass es ihr durchaus kein fremdes Idiom ist, als sie als neunzehnjährige Prinzessin an den Hof Ludwigs XIV. kommt. Da die Herzogin Sophie sehr belesen war und gute Lektüre, besonders die zu jener Zeit bevorzugte französische Literatur ausserordentlich schätzte, so weihte sie auch bald Liselotte darin ein und lehrte sie die grossen Meister des Stils und des Geistes lieben. Auch für andere Unterrichtsstunden wurde gesorgt, allerdings ein wenig wahllos und kunterbunt durcheinander, aber nicht ohne Erfolg.

    Ein besonders gutes Gedächtnis besitzt Liselotte für geistliche Lieder und Sprüche. Obwohl man am Hofe von Hannover alles weniger als fromm war, so musste doch der Form halber in die Kirche gegangen werden, denn die Etikette schrieb die Anwesenheit des Landesfürsten und seiner Familie beim Gottesdienst vor. Die philosophische Herzogin Sophie und ihr Gatte setzen sich über die sie langweilende Predigt mit irgendwelchen Beschäftigungen in der Kirche hinweg. Sophie benutzt diese Kirchenstunden meist dazu, ihre Korrespondenz zu erledigen. Der Herzog liest Komödien, oft sogar mit lauter Stimme. Einmal schreibt Sophie: «Wir sind in der Kirche, wo mein Herr Gemahl so viel Lärm beim Lesen einer Komödie macht, dass ich jetzt nicht weiter schreiben kann ...» Sie waren eben echte Kinder ihrer Zeit, und Liselotte nahm sich ein Beispiel an ihnen. Es kommt ihr nicht darauf an, mitten in der Predigt mit Fingerhutblumen zu knallen oder sonst irgendwelche Scherze zu treiben. Dafür wird sie von Fräulein von Offelen oder bisweilen auch von der Tante «gefilzt», aber das hat weiter nichts zu bedeuten. Im nächsten Gottesdienst geht es doch wieder sehr lustig zu, was sie indes nie abhält, ganz andächtig die schönen Kirchenlieder mitzusingen, deren sie sich noch als alte Frau vollkommen erinnert.

    Kopfhängerei und Sentimentalität sind nicht Liselottes Fall. Die meisten Spiele der kleinen Mädchen verschmäht sie. Springen, singen und schreien, so recht aus vollem Halse, sind ihr lieber als Puppen. Mit Degen und Flinten versteht sie weit besser umzugehen. «Wäre gar gern ein Junge geworden», meint sie und wundert sich, dass sie bei dieser Ausgelassenheit nicht hundertmal den Hals gebrochen hat. An Freiheit in dieser Beziehung fehlt es ihr nun allerdings nicht am Hofe der Tante. Es geht dort bei aller Bescheidenheit doch immer lustig und fröhlich zu. Besonders als sich die Verhältnisse für den Herzog Ernst August im Jahre 1661 insofern besser gestalten, als der alte Bischof von Osnabrück das Zeitliche gesegnet hat und Ernst August und Sophie endgültig ins Schloss Iburg übersiedeln, wo sie ihre eigene Hofhaltung haben.

    Wie ein Guckkasten bunt durcheinander zieht das Leben der vier Jahre an Liselotte vorüber. Um nichts möchte sie sie missen, und nichts vermag sie ihr aus dem Gedächtnis zu verwischen. Sie sind in ihrem Herzen eingegraben mit goldenen Lettern, unauslöschbar. Wie eine Heilige verehrt sie die liebe Tante Sophie, und je älter sie wird, desto mehr Verständnis bekommt sie für die Wesensart dieses Frauencharakters, der ihrem eigenen so sehr entspricht. Ihr Leben möchte Liselotte für Sophie hergeben, um sie unsterblich zu machen. Unantastbar, mit allen Vorzügen und herrlichen Eigenschaften ausgestattet, steht sie vor ihrem Geiste. Eine grosse, unendlich rührende Liebe und Verehrung für diese Frau keimt in des Kindes liebebedürftigem Herzen und wurzelt sich fest bis ans Ende. Die tiefste und aufrichtigste Dankbarkeit, wie es kaum eine Tochter für die Aufopferung und Fürsorge einer Mutter empfindet, fühlt dieses junge Fürstenkind für alles, was Sophie für sie getan hat. Selbst später, in den Briefen der alternden Herzogin von Orléans an die Kurfürstin von Hannover, meint man noch das liebe, zärtliche Mädchen vor sich zu sehen, das in verehrender Anbetung zu der Mutter aufblickt, der es alles verdankt. Und diesem prächtigen Charakterzug begegnen wir noch öfter bei Liselotte, denn jederzeit empfindet sie die grösste Dankbarkeit für diejenigen, die sie menschlich förderten oder ihr Liebes bezeugten. Nie hat sie ihre treue, oft sehr strenge Erzieherin, Fräulein von Offelen, spätere Frau von Harling, vergessen. Nie die Kinder der Raugräfin, mit denen sie Freud und Leid des Elternhauses teilte; immer war sie ihnen eine treue und liebevolle Schwester. Ihren Papa aber verehrte sie, trotz seiner Strenge, als den «besten Herrn der Welt». Weiss sie doch, dass es Karl Ludwig stets nur gut mit ihr gemeint und ihr Bestes gewollt habe. Eine heilige Scheu vor dem Begriff «Vater und Mutter» wohnt ihr inne. Wäre auf ihre zarte Jugend nicht der grelle Widerschein des Zerwürfnisses ihrer Eltern gefallen, wäre sie nicht schon frühzeitig zwischen beide Parteien gestellt worden, gewiss hätte sie auch mit derselben ergebenen Liebe an ihrer Mutter gehangen wie an der Tante Sophie, weil es eben ihre Mutter war. Aber die kalte, herrische Natur der Kurfürstin Charlotte hat es nicht vermocht, das Kind ganz für sich zu gewinnen. Es kamen andere, die es an ihr Herz nahmen; die Trennung bewirkte dann, dass die Tochter sich vollkommen der Mutter entfremdete, ohne jedoch Groll oder Abneigung gegen sie zu empfinden. Im Gegenteil, Liselottes stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl lässt sie trotz aller Bewunderung für jede Handlung des Vaters empfinden, dass er gegen die Mutter hart und ungerecht war.

    Die nun elfjährige Prinzessin verlässt ihre geliebte Tante nur ungern. Fräulein von Offelen hat inzwischen in Hannover den Oberstallmeister von Harling geheiratet und ist zur Oberhofmeisterin der Herzogin von Hannover ernannt worden. Liselotte kann sie nun nicht mit nach Heidelberg nehmen. Ein weiterer Schmerz für das Kind. So scheidet Liselotte mit Bedauern und gleichzeitig mit der unauslöschlichen Erinnerung in ihrem Herzen, ein paar wunderschöne, ungetrübte Kinderjahre hinter sich und «nie schönere Tage» erlebt zu haben. Es gilt jetzt, der heranwachsenden Prinzessin etwas mehr beizubringen, als nur Märchen, Gesangbuchlieder und Katechismussprüche. Karl Ludwig ist zwar nicht viel daran gelegen, seiner Tochter zu grossem Wissen zu verhelfen, immerhin aber hat er Pläne mit ihr, zu deren Ausführung eine gewisse Bildung unbedingt nötig erscheint. Denkt Karl Ludwig auch damals noch nicht an eine Verbindung mit dem französischen Hof, so hofft er doch ganz bestimmt für seine Tochter eine glänzende Partie zu finden, die auch seiner Politik Vorteile bringen kann. Es ist ihm daher nicht unlieb, dass Liselotte wieder unter seine direkte Aufsicht kommt. Jedenfalls hat er mit grösserem Verstand und mehr Einsicht als bei der Erziehung seines Sohnes den Erziehungs- und Lehrplan für Liselotte aufgesetzt. Sie hat ihr Lebtag nicht allzuviel Lernstoff in sich aufnehmen brauchen, und die gute Jungfer Colb, die sie im Jahre 1663 zur Erzieherin erhielt, hat Liselotte nie so recht ernst genommen.

    Weit besser versteht es der Erzieher ihres Bruders Karl, der Gelehrte Ezechiel Spanheim, die junge Liselotte für seine Weisheit zu interessieren, ohne dass sie direkt an den Unterrichtsstunden des Erbprinzen teilnimmt, der ganz nach den Vorschriften des Vaters erzogen wird. Es fallen genug Brosamen von Spanheims gelehrtem Tisch, die unserer Liselotte zugute kommen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Heidelberger Schloss unterhält sich der Erzieher fast ausschliesslich mit den beiden kurprinzlichen Kindern, und Liselotte sind die kleinen Spässe, die er mit viel Witz und Trockenheit in die Unterhaltung einzuflechten verstand, sowie auch seine grosse Gelehrsamkeit unvergesslich geblieben. Ihr beweglicher Geist fasst rascher die geistreichen Bemerkungen Spanheims, sprudelt selbst eine schlagfertige Antwort heraus, während der Bruder, ein stiller, schüchterner Junge, immer viel länger braucht, ehe er den Sinn der Rede seines Lehrers erfasst. Ueberhaupt ist Liselotte eine viel robustere Natur als der Erbprinz, den die häuslichen Zerwürfnisse der Eltern stark deprimieren. Liselotte ist anderen Schlages. Sie ringt sich durch mit ihrem eigenen Willen und tut nur, was sie will, obwohl auch ihr die harte Hand des Vaters droht. Unter dem Zwang, der über dem ganzen väterlichen Haushalt liegt, lebt das Kind sein Leben für sich. Natürlich zieht sie sich dadurch oft den scharfen Tadel des Vaters zu. Nicht oft genug kann er ihr das gute Beispiel des sanfteren Erbprinzen vor Augen halten. Es sind indes nur vorübergehende Unzufriedenheiten, die Liselotte ihrem Vater bereitet. Ernstlichen Grund zur Sorge hat sie ihm nie gegeben, denn auch in ihrem rebellischen Herzen ist das Gefühl der Pflicht und des Gehorsams so tief verwurzelt, dass sie es nie gewagt hätte, sich dem Willen ihres Vaters ernstlich zu widersetzen.

    Auch Liselottes Erziehung ist der Hofmeisterin bis in die kleinste tägliche Einzelheit vorgeschrieben. Man muss jedoch Karl Ludwig Gerechtigkeit widerfahren lassen und zugeben, dass er dabei nicht so pedantisch zuwege ging wie bei seinem Sohn. Besonders vernünftig dachte er in bezug auf die religiöse Erziehung seiner Kinder. Sie sollten vollkommen frei von jeder Konfession sein, und der Religionsunterricht sollte nicht mehr als eine Stunde in der Woche in Anspruch nehmen. Darüber wundert sich sogar Liselotte, die doch bereits vom hannoverschen Hofe her eine gute Dosis Liberalismus hinsichtlich der Kirche kennengelernt hatte. «Mich deucht», schreibt sie später, «dass unser Herr Vater, der Kurfürst selig, uns eben nicht gar eifrig in Religion hat erziehen lassen.» Karl Ludwig stand über den Konfessionen. Es genügte ihm, ein guter Christ zu sein. So auch seine Tochter, die er dazu erzog, dass sie später, als sie längst als Herzogin von Orleans den katholischen Glauben angenommen hatte, sagen konnte: «Der Unterschied des Glaubens bei Lutheranern und Katholiken ist so gering, dass es gar nicht der Mühe wert ist, darüber zu disputieren. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, so bin ich, wie Apostel Paulus sagt, weder apollisch, noch paulisch, noch kephisch, weder reformiert noch katholisch oder lutherisch, sondern ich werde soviel wie möglich ist, eine rechte Christin sein und darauf leben und sterben.»

    Einen grösseren Raum als der Religionsunterricht nimmt die Anstandslehre im Stundenplan der Prinzessin ein. Aber daraus macht sich Liselotte ebensowenig wie aus dem «Moralisiertwerden» in den Katechismusstunden. Nur die derben und kräftigen Tischreden Luthers gefielen ihr. Für Geister- und Gespenstergeschichten hat sie grosse Vorliebe, hat auch immer einen grossen Vorrat zur Hand, um selbst welche zum besten zu geben. Das übrige findet sie langweilig. Nicht selten hat die Jungfer Colbin, die dem wilden Ungestüm der Prinzessin durchaus nicht gewachsen ist, Grund, sich zu beklagen; denn die Ausgelassenheit ihres Schützlings überschreitet bisweilen die Grenze des Erlaubten. Nimmt doch Liselotte einmal auf einem Spaziergang in ihrem Uebermut die rundliche Rückseite einer behäbigen Heidelberger Bürgersfrau zur Zielscheibe ihrer Armbrust. Die arme Frau, die friedlich ihres Weges schritt, bekam einen solchen Schrecken, dass sie beinahe platt auf die Erde gefallen wäre. Liselotte, froh ihres übermütigen Streiches, will sich totlachen, während die sie begleitende Colbin «vor Scham hätte in die Erde sinken mögen» über die Kühnheit der wohlerzogenen Tochter des Kurfürsten. Lachen und Fröhlichkeit ist für Liselotte Hauptzweck des Lebens, und noch begreift sie nicht das immer wiederkehrende Mahnwort der Hofmeisterin, dass «es nirgends wunderlicher zuginge als in der Welt». Das sollte die Prinzessin erst später einsehen.

    So vergingen die Jahre auch in Heidelberg in sorgloser Jugend ebenso rasch wie in Hannover und in Iburg. Die Vergnügungen, die man sich am Heidelberger Hofe gestattete, durften nicht viel Geld kosten. Man ging zur Kirmes und sah sich dann und wann die Vorstellung einer wandernden Schauspielertruppe an. Im Sommer gab es Spaziergänge in die prächtige Umgebung Heidelbergs oder Wasserfahrten auf dem Neckar, im Winter bisweilen Schlittenpartien, sogar nicht selten mit einem Maskenfest verbunden. So ist das Leben im Heidelberger Schlosse doch bei aller Sparsamkeit nicht gerade eintönig. Karl Ludwig umgibt sich gern mit Gelehrten und Künstlern. Am meisten liebt er die englischen Schauspieler. Da aber schon an und für sich um den Heidelberger Hof eine dicke Wolke Klatsch schwebt, und Karl alles Gerede soviel wie möglich vermeiden will, verbietet er den Schauspielern, die er an seinen Hof befiehlt, sich auf ihrer Reise durch die Pfalz als Komödianten auszugeben. In der Verkleidung von Studenten und Gardereitern kamen sie bis an die Grenzbäume, und erst dann trafen sie unter dem Schutze des Kurfürsten ihre Vorbereitungen.

    Sehr oft begleitet Liselotte ihren Vater zu diesen fahrenden Künstlern. Aus dieser Zeit ist ihr wohl auch die grosse Vorliebe fürs Theater gekommen, die sie später am Hofe von Frankreich in so hohem Masse befriedigen konnte. Heidelberg aber erscheint ihr doch immer als Paradies auf Erden, wenn sie daran zurückdenkt. Die goldene Freiheit ihrer Jugend bleibt die schönste Erinnerung ihres Lebens. Oft zwar brummt der Vater, dass Liselotte nicht «seriös» genug sei, aber im Grunde genommen, ist sie ja nur sein getreues Ebenbild. Auch Karl Ludwig liebt, trotz aller Strenge und allen Ernstes, einen derben, übermütigen Spass, einmal recht aus vollem Herzen zu lachen. Besucht er doch auch mit seiner Tochter in heiterer Laune die Kirmes von Schwetzingen und Mannheim. Manch fröhliches pfälzisches Volks-Trinklied bringt er ihr bei, und schon sehr früh werden die kurprinzlichen Kinder mit «dem allzeit gesunden» Neckarwein bekannt gemacht. Und so ist Liselotte auch in Heidelberg sehr glücklich unter dem strengen väterlichen Joch. Aber der Gipfel ihres Glückes in dieser Zeit ist doch das Wiedersehen mit ihrer Tante Sophie, die anlässlich der Vermählung des Erbprinzen von Hannover an den Hof kommt. Eigentlich ist die ganze Heiratsgeschichte ihr Werk gewesen; denn der Herzog Ernst von Hannover hat als Erster in sehr lobenden Worten von der dänischen Prinzessin zum Kurfürsten von der Pfalz gesprochen, und Sophie wird später eine warme Fürsprecherin für die Braut.

    2. Die Braut

    Während Liselotte so jugendfrisch und sorglos in den Tag hineinlebt, denkt man in ihrer Umgebung daran, sie möglichst bald und gut zu verheiraten. Sie hat beinahe ihr 18. Lebensjahr erreicht, und es muss für sie ein Mann gefunden werden. Eine Schönheit ist die junge Prinzessin gerade nicht, aber ihr frisches, frohgemutes Wesen, ihr unerschöpflicher Humor und die Jugend helfen über vieles hinweg. Ihr Bruder hat ihr zwar den schönen Spitznamen «Dachsnase» gegeben, doch das kränkt sie nicht, im Gegenteil, sie macht sich jederzeit selbst über ihre Hässlichkeit lustig. «Ihro Liebden, Unser Herr Vater selig haben mir oft genug gesagt, dass ich hässlich sei. Ich lachte und habe mich niemals darüber geärgert.» Sie hat sich also schon sehr jung mit ihrem Aeussern abgefunden und war darum nicht weniger glücklich als andere, schöne, junge Mädchen. Gerade dieser Verzicht auf alle Ansprüche der Schönheit, auf alle Koketterie und Eitelkeit schützte Liselotte vor Enttäuschungen in dieser Beziehung. Dass sie infolge ihres wenig vorteilhaften Aeusseren keinen Erfolg bei Männern hatte, wusste sie und gab sich deshalb auch gar keine Mühe, in irgendeiner Weise deren Bewunderung zu erregen. Schon als junges Mädchen musste sie jeder so nehmen, wie sie war. Nicht wie andere Mädchen ihres Alters träumt sie von zukünftigem Liebes- und Eheglück. Der Gedanke an eine Heirat ist ihr eher unsympathisch. Sie wäre viel lieber unverheiratet geblieben und hätte ihre goldene Freiheit behalten, auf die sie so grosse Stücke hielt. «Aber man entgeht diesem Schicksal nicht», und, so wie es Gott gewollt hat, muss es sich vollziehen», meint sie. «Denn der Prinzessinnen Heirat wird selten aus Liebe geschehen, sondern durch Raison, und dazu tut Schönheit nichts.»

    Mehrere Heiratspläne sind sowohl vom Kurfürsten, ihrem Vater, als auch von der Kurfürstin von Hannover in Betracht gezogen worden. Aber Liselotte weigerte sich energisch, den einen, einen kurländischen Prinzen, zu heiraten. Den andern aber, den benachbarten Markgrafen Friedrich Magnus von Baden, dessen Gemahlin sie beinahe geworden wäre, entfernte ein drolliger Zwischenfall von ihr. «Der gute Herr» ist ihr übrigens viel zu affektiert und abgeschmackt, und so ist sie froh, dass ein gütiges Geschick sie auch vor diesem Gatten bewahrte. Des jungen Markgrafen Vater hielt es nämlich für unbedingt nötig, auch in Kassel bei der verlassenen Kurfürstin Charlotte um Genehmigung zur Heirat ihrer Tochter mit seinem Sohne zu bitten. Nachdem er vom Kurfürsten von der Pfalz die Zusage bereits erhalten hat, macht er sich eines Tages mit einem prächtigen Gefolge auf den Weg nach Kassel. Aber, oh Unglück! Gerade um diese Zeit sind die pfälzischen Dörfer von lothringischem Kriegsvolk heimgesucht, das dort plündert und Pferde stiehlt. Als die Pfälzer Bauern die vornehmen badischen Kavaliere mit den schönen, prächtigen Pferden die Strasse nach Kassel heraufkommen sehen, halten sie sie für die verwegenen Pferdediebe und ziehen nun mit Knüppeln und anderen handfesten Gegenständen hinter ihnen her. Als sie sie eingeholt haben, verprügeln sie sie aufs schönste und nehmen ihnen die vermeintlich gestohlenen Pferde weg. Der Markgraf aber dachte, dass der Kurfürst von der Pfalz seinen Bauern eigens befohlen habe, ihn durchzuprügeln, zur Strafe, weil er es gewagt habe, auch um den Segen der Mutter Liselottes zu bitten. Jedenfalls machte der Brautwerber wutschnaubend kehrt, und sein Sohn heiratete später eine holsteinische Prinzessin.

    Für Liselotte ist die Vernichtung dieses Heiratsplanes, wie sie selbst gesteht, eine «von den grossen Freuden, die sie in ihrem Leben gehabt hat»; denn sie denkt nicht gern ans Heiraten. Vielleicht aber wäre sie mit dem jungen Friedrich Magnus ganz glücklich geworden; denn beide fühlten später grosse Freundschaft zueinander und lernten sich schätzen.

    Die jugendliche Liselotte indes hielt nicht viel von der Liebe und Treue der Männer. Und die Ansichten, die sie als reife und leider auch in dieser Hinsicht erfahrene Frau äusserte, unterscheiden sich im grossen und ganzen nicht wesentlich von denen des unerfahrenen Mädchens. Sie betrachtet es als hellen Wahnsinn, wenn eine Frau es sich in den Kopf setzt, unbedingt einen Mann haben zu müssen. Schlimm sei es, einen Arm zu verlieren, noch schlimmer aber einen Mann zu haben; denn der beste sei den Teufel nicht wert. Die grösste aller Dummheiten aber scheint ihr eine Heirat aus Liebe. «Denn», sagt sie, «es ist ein Wunder, wenn einmal eine Liebesheirat reüssiret.» Das war die Ansicht der Prinzessin Liselotte von der Pfalz über Liebe und Ehe, und doch entging auch sie ihrem Schicksal nicht.

    Der Friede von Aachen im Mai 1668 gebot den Siegeszügen des Sonnenkönigs für einige Zeit Einhalt; denn der Dreibund zwischen Schweden, England und den Generalstaaten war ihm in den Arm gefallen. Dass jedoch Ludwig XIV. nur auf die Gelegenheit wartete, sein Reich noch mehr zu erweitern, war jedem klar. Nicht mit Unrecht und nicht ohne Grund fürchtete man besonders in Deutschland, dass der Besitzgierige an den morschen deutschen Grenzpfählen nicht Halt machen würde, sobald er erst die Generalstaaten niedergerungen hätte. Alle deutschen Fürsten waren daher aufs eifrigste bemüht, Schutzbündnisse zu schliessen und sich Freunde gegen den mächtigen, drohenden Feind zu erwerben. Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz hatte indes wenig Hoffnung auf die Unterstützung des Reichs. Das war ihm bereits im Lothringer Kriege klar geworden, bei dem man ihm keinerlei Hilfe gewährt hatte. Und so sah er die einzige Rettung aus der Bedrängnis in einem direkten Anschluss an Frankreich selbst, von dem die Gefahr zu erwarten war. Die emsigen Hände einer Frau waren schnell bereit, das Netz zu knüpfen, in das sich die Pfalz und Frankreich so arg verstricken sollten.

    In nächster Nähe des französischen Königs und seines Bruders, des Herzogs von Orléans, lebte eine Schwägerin Karl Ludwigs, Anne de Gonzaga de Clèves, die Witwe des Pfalzgrafen Eduard. Sie war eine nahe Freundin Mazarins gewesen und hatte zur Zeit der Fronde eine bedeutende Rolle gespielt. In Paris nannte man sie kurzwegs «La Palatine» oder «La Princesse Palatine», und die feinen Kenner der Frauendiplomatie, wie Kardinal von Retz, sprachen von ihr als von einer Art politischen Genies. Anna von Gonzaga wohnte beständig in Paris und gehörte zu den Vertrauten Monsieurs, des jüngeren Bruders Ludwigs XIV. Auch in der Familie ihres Mannes schätzte man sie ihrer grossen Klugheit und Geschicklichkeit wegen. Ihr Schwager Karl Ludwig von der Pfalz verwandte sie immer mit Erfolg bei allen schwierigen Unterhandlungen, die er mit dem französischen Hofe zu führen hatte. Zwar meinte die Kurfürstin Sophie von Hannover, es fehle Anna von Gonzaga an Aufrichtigkeit und Offenheit, auch sei sie äusserst fruchtbar an «Hirngespinsten»; das verhinderte Sophie indes nicht, sehr enge Beziehungen zu ihr zu unterhalten, und beide Frauen standen jederzeit im regsten Briefwechsel miteinander. Anna von Gonzaga befand sich eben auf einer Reise zu ihren deutschen Verwandten von Hannover und der Pfalz, als sie in Frankfurt die Nachricht von dem unerwarteten Tode der Herzogin Henriette von Orléans erfuhr, der Gemahlin Monsieurs. Die schöne Henriette ist ganz plötzlich unter den furchtbarsten Schmerzen in der Nacht vom 29. zum 30. Juni 1670 gestorben. Sofort verbreitet sich das Gerücht einer Vergiftung der kaum 26jährigen Prinzessin und verstärkt sich immer mehr, nicht allein in Frankreich, sondern besonders in England, der Heimat Henriettes, in Holland, Spanien und Deutschland. Karl II. von England, der Onkel des Kurfürsten von Hannover und Anna von Gonzagas, weigert sich sogar, den Brief zu empfangen, worin Herzog Philipp von Orléans ihm den Tod seiner Gemahlin anzeigt. Denn man war damals in den englischen Hofkreisen vollkommen überzeugt, Henriette sei durch Gift von der Hand des eigenen Gatten gestorben.

    Trotz dieser furchtbaren anklagenden Gerüchte denkt «La Palatine» sofort an eine Wiederverheiratung «Monsieurs» mit ihrer jungen Nichte, der Kurprinzessin Liselotte von der Pfalz, und bedauert es unendlich, gerade in diesem Augenblick nicht in Paris anwesend zu sein.

    Aber auch fern vom französischen Hofe gibt die kluge Diplomatin das Spiel nicht auf. Was sie vorläufig nicht durch ihren persönlichen Einfluss auf den Herzog von Orléans vermag, versucht sie durch sehr geschickte Briefe. Mit ihrem Schwager Karl Ludwig und der Kurfürstin Sophie steht sie von diesem Augenblick an in beständigem Briefaustausch. Ihr scheint es wie eine «Fügung des Himmels», dass Monsieur gerade in diesem Augenblick Witwer geworden ist, als die Pfalz den mächtigen Schutz Frankreichs am meisten und dringendsten zu bedürfen und zu suchen scheint. Aber die Verhandlungen nehmen doch immerhin einige Zeit in Anspruch, ehe etwas Bestimmtes in dieser Angelegenheit entschieden werden kann.

    Nachdem man noch einige andere Partien für Philipp von Orléans in Betracht gezogen hat, kommt man schliesslich der pfälzischen Heirat immer näher. Anna von Gonzaga betreibt die Sache so energisch, dass es ihr schliesslich gelingt, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Jetzt erst tritt Karl Ludwig dem Plane auch seinerseits ernstlich näher. Es bereitet ihm dabei das grösste Vergnügen, zu beobachten, mit welch scharfsinniger Gewandtheit seine Schwägerin diese Angelegenheit handhabt. Anna entwickelt eine so grosse Geschicklichkeit in der Intrige, dass sie den ganzen Plan, der Liselotte als Herzogin von Orléans nach Frankreich und zum Katholizismus führt, bis ins einzelne ganz allein entwirft. Und zwar geht sie dabei mit so grosser Vorsicht zuwege, dass der Kurfürst von der Pfalz weder in den Augen des Kaisers und Reiches noch vor seinen evangelischen Untertanen blossgestellt wird. Sie ist es auch, die Karl Ludwig den Vorschlag machte, sie wolle Liselotte als Braut in Strassburg in Empfang nehmen.

    Dem Kurfürsten war im Grunde seines philosophischen Herzens der Glaubenswechsel seiner Tochter nur eine äussere Form, und nur der Oeffentlichkeit wegen nahm er Anstoss daran. Er persönlich ist überzeugt, dass jeder auf seine Weise und gleichviel in welcher Religion selig werden könne. Das aber durfte er nicht öffentlich bekennen. Immerhin will er nicht, dass Liselotte zu dem Glaubenswechsel gezwungen werde, zumal sie selbst erklärt, es sei kein Beweis wahrer Frömmigkeit, einen Glauben anzunehmen, den man gar nicht kenne und nur «um einen Mann zu haben». Er beauftragt daher seinen Sekretär, den französischen Gelehrten Urban Chevreau, seine Tochter im geheimen und fern vom Hofe im katholischen Glauben zu unterrichten und sie auf die neue Lehre vorzubereiten. Chevreau entledigt sich seines Amtes glänzend. Es bedarf nur weniger Tage und Unterrichtsstunden, um der schnell auffassenden jungen Prinzessin die Grundzüge der katholischen Lehre beizubringen. Nun steht der Heirat keinerlei Hindernis mehr entgegen. Anna von Gonzaga kann das Werk vollenden, das sie begonnen hat.

    Liselotte war bis jetzt noch nicht über ihre Meinung hinsichtlich ihres zukünftigen Gatten befragt worden. Prinzessinnen haben keine Meinung in solchen Angelegenheiten. Man kümmerte sich recht wenig um die Gefühle, die sie dem Manne entgegenbrachte, der ein ganzes Leben mit ihr verbringen sollte. Sie kannte den Herzog von Orléans nicht, hatte ihn nie in ihrem Leben gesehen, und das, was sie in ihren Kreisen von ihm erzählen hörte, war gerade nicht dazu angetan, sie besonders glücklich zu stimmen. Zudem war er ein ausländischer Prinz, dem diese deutscheste aller Prinzessinnen angetraut werden sollte. Liselotte wurzelt mit ihrem Herzen so tief in ihrer Heimat, dass der Gedanke, ihr schönes, geliebtes Deutschland auf immer verlassen zu müssen, sie unendlich traurig stimmt. Aber der Gehorsam gegen den Vater und die Tante Sophie entscheiden alles. «Es ist wohl wahr», schreibt Liselotte später, «dass ich nur aus reinem Gehorsam gegen Ihro Liebden, meinen Herrn Vater und meinen Onkel und meine Tante von Hannover nach Frankreich gekommen bin, denn es war durchaus nicht meine Neigung ...» Und in einem anderen Brief: «Papa hatte mich auf dem Hals, war bang, ich möchte ein alt Jüngferchen werden, hat mich also fortgeschafft, so geschwind er gekonnt.»

    In der Tat schien es Karl Ludwig sehr eilig zu haben, seine Tochter nach Frankreich zu bringen, sobald alles im reinen war und er wegen des Uebertrittes zum Katholizismus keine Gewissensbisse mehr zu haben brauchte. In Strassburg sollte der Handel besiegelt werden. Pfalzgräfin Anna erwartete ihn dort in Begleitung ihres Jesuitenpaters Jourdan, um Liselotte aus seinen Händen in Empfang zu nehmen und sie dann weiter bis Paris zu geleiten. Ganz inkognito sollte die Reise geschehen und die «Welt erst dann von allem unterrichtet werden, wenn es vollendete Tatsache war. Eilig wird für die junge Prinzessin eine kleine Ausstattung von Wäsche, sechs Nachthemden, sechs Taghemden und den nötigsten Kleidern hergerichtet. Für den Hochzeitstag hat man für sie ein weisses Atlaskleid gewählt. Später wurde diese ärmliche Ausstattung der Pfälzerin gewissermassen zum Spott am französischen Hofe, und Karl Ludwig war gezwungen, sie noch nachträglich zu vervollkommnen, um seine Tochter in Paris nicht ganz und gar lächerlich zu machen. Denn man sprach bereits öffentlich davon, dass «Madame» nicht einmal das Nötigste mitbekommen hätte, um die Wäsche zu wechseln.

    In Begleitung der Tante Sophie von Hannover und der Jungfer Colb reist Liselotte mit ihrem Vater nach Strassburg. Der Abschied vom alten lieben Heidelberg ist bitter. Niemals hat Liselotte den Tag vergessen, da sie mit den Ihrigen schluchzend die Hofkutsche bestieg, und der Vater und die Tante Sophie das Lied anstimmten: «Es ist bestimmt in Gottes Rat, dass man vom Liebsten, was man hat, muss scheiden.» Wehmütig schaut sie auf der Fahrt in die herrliche Pfälzer Landschaft hinaus, die sie einst von demselben Volke verwüstet wiedersehen sollte, zu dem sie jetzt reist. Alles, was Liselotte Schönes in der Heimat erlebt hat, kommt ihr ins Gedächtnis, und immer wieder drängt sich ihr der Gedanke auf: es wird nie wieder so schön werden, wie es bis jetzt war!

    Endlich am 28. Oktober langte man in Strassburg an, wo die «Princesse Palatine» alles aufs beste zum Empfang der Braut vorbereitet hat. Pater Jourdan findet an der jungen Konvertitin nichts mehr auszusetzen; denn Chevreau hat seine Aufgabe so gut gelöst, dass dem Jesuiten «nichts mehr zu sagen übrigbleibt».

    Anna von Gonzaga hat sogar den Heiratskontrakt fix und fertig mitgebracht. Er braucht nur unterschrieben zu werden. Die Frage der Mitgift erledigt sich ebenso leicht und so schnell wie die des Glaubenswechsels. Karl Ludwig muss, freilich nicht ohne tiefe Scham zu empfinden, erklären, er könne seiner Tochter vorläufig kein Heiratsgut mitgeben, denn die Verhältnisse seines Landes seien dermassen zerrüttet und seine Untertanen vom Reiche aus mit allen möglichen Lasten bedrängt, dass er unmöglich von ihnen auch noch fordern könne, die Mitgift für die Erbprinzessin aufzubringen. Bei dieser Gelegenheit bringt der französische Hof seinen Reichtum ziemlich taktlos in den Vordergrund. Er erwidert huldvollst, man besitze selbst Mittel genug und dringe nicht auf die Auszahlung der Mitgift, die der Kurfürst einmal in besseren Zeiten begleichen könne. Im übrigen war der Heiratskontrakt für die pfälzische Erbprinzessin so ungünstig wie möglich, und Liselotte selbst begreift später nicht, als sie zur Kenntnis dieser Dinge gelangt, wie ihr Vater sie unter solchen Bedingungen dem Herzog von Orléans zur Frau hatte geben können. Nur dringende politische Gründe mussten für ihn damals massgebend gewesen sein.

    Freilich, für die Pfälzerin, die mit 64 000 Franken barem Gelde und etwa für 10 000 Franken an Schmuck, Kleidern, Wäsche und Toilettegegenständen nach Frankreich kommt, ist der Herzog von Orléans eine glänzende Partie. Ausser dem Palais- Royal und Saint-Cloud besitzt er noch viele andere schöne Schlösser. Seine Apanage beläuft sich auf eine Million Franken, aber ausserdem bezieht er vom König eine Rente von 560 000 Franken und einen weiteren Zuschuss von jährlich 100 000 Franken. Diesen, für die damaligen Zeiten ansehnlichen Summen werden bald darauf noch 200 000 Franken hinzugefügt, so dass eine Jahresrente von nahezu zwei Millionen herauskommt. Für Liselotte, die an ihres Vaters Hofe niemals von derartigen Summen hatte reden hören, ist das geradezu phantastisch. Monsieur schenkte seiner zukünftigen Gemahlin einen Brautschatz, der an Edelsteinen, Ringen, Geschmeide usw. einen Wert von 150 000 Franken darstellte.

    Von allen diesen geschäftlichen Dingen weiss nun allerdings die junge Prinzenbraut auf ihrer Fahrt nach Strassburg nichts. Ihre Gedanken nehmen einen ganz anderen Flug und beschäftigen sich mehr mit ihrer glücklichen Vergangenheit als mit der ungewissen Zukunft. In Metz soll die Prokuratrauung mit dem Marschall Du Plessis-Praslin stattfinden, und da man sich in Strassburg nicht lange aufhält, hat Liselotte auch nicht viel Zeit, über alles nachzudenken. Es kommt der Abschied von den Ihrigen und damit von allem, was sie Liebes auf Erden besitzt. Ihr Schmerz ist herzzerreissend, als sie zum letzten Male ihre liebe Tante Sophie und ihren Vater umarmt.

    In Metz findet dann die Hauptsache statt: die Glaubensabschwörung und die Trauung. Liselotte ist gefasst. Sie betrachtet die ganze Zeremonie auf ihre Weise. «Mir las man nur etwas vor», schreibt sie später darüber, «wozu ich nur ja oder nein sagen musste, welches ich auch nach meinem Sinn getan und ein paarmal nein gesagt, wo man wollte, dass ich ja sagen sollte, es ging aber durch, musste in mich selber darüber lachen.» Gegen der Eltern Verdammung, weil sie Ketzer waren, protestiert sie indes energisch, und man bekommt darüber kein Wort aus ihr heraus. «Ohne Herzklopfen können solche Spektaklen nicht vorgehen», fügt sie noch lakonisch hinzu.

    Als die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber sind, schreibt Anna von Gonzaga mit grosser Genugtuung an ihren Schwager Karl Ludwig: «Man hat Liselotte dieselben Ehren zuteil werden lassen, wie sie sonst nur dem Könige selbst zukommen ... Sie hat sich auch in jeder Weise so gut benommen, dass ich nicht daran zweifle, sie wird sich bald das Herz ihres Herrn Gemahls erobern und die Achtung des Königs erringen. Und dazu werde ich mit allen Kräften beitragen; denn das gerade soll ja diese grosse Heirat für Ihre Zwecke und Ihr Haus nützlich machen.»

    Und während Liselotte wehmütig und mit Zweifel im Herzen die Strasse nach Paris zieht, verkünden in Heidelberg die Glocken, Trompeten und Pauken die glückliche Vermählung der jungen Kurprinzessin mit dem Herzog Philipp von Orléans als etwas ganz Besonderes für die bedrängte Pfalz.

    3. Am Hofe Ludwigs XIV.

    In Metz hat Liselotte ihre deutsche Umgebung verabschiedet, und der französische Hofstaat erwartet sie. Es ist eine kleine auserlesene Pariser Gesellschaft, die Ludwig XIV. für seine neue Schwägerin mit Sorgfalt gewählt hat. Die Damen sind nach französischer Mode gekleidet, mit einer Eleganz ohnegleichen, ganz anders als die Damen in Deutschland. Liselotte kommt sich wunderlich genug unter ihnen vor, trotzdem man sie bereits nach französischem Muster herausstaffiert hat.

    In dieser neuen Umgebung tritt sie nun die Reise nach Châlons an, wo sie Monsieur, ihr Gemahl, erwartet. Nun ist sie «Madame Royale», Herzogin von Orléans! Eine Welt voll Glanz, Reichtum und Pracht harrt ihrer. Aber Liselottes Herz ist schwer. Sie hat nur Tränen auf dem Weg zu ihrem Gatten, während Philipp sich einzig und allein auf den Eindruck freut, den seine prächtigen und zahlreichen Hochzeitskleider, seine Diamanten, Perlen, Federn und Bänder auf die junge deutsche Prinzessin machen werden, die mit sechs Hemden in ihrem Reisegepäck ihm entgegenfährt.

    Philipp von Orléans steht in seinem 31. Lebensjahr, als er sich mit der 19jährigen Liselotte von der Pfalz vermählt. Er ist ein kleiner, dicker, untersetzter Herr, der hohe Stöckelschuhe trägt, um grösser zu erscheinen. Stundenlang kann er vor dem Spiegel stehen, wenn er sich ankleidet; denn er ist eitler und putzsüchtiger wie eine Frau. Wenn er dann parfümiert, geschminkt, über und über mit Edelsteinen behangen, mit bunten Bändern und Federn geschmückt, durch die Prunkgemächer seiner Schlösser schreitet, kommt er wie ein Pfau daher, und in seinen wirklich schönen Augen liest man deutlich die Frage: Bin ich nicht der Schönste im ganzen Land? Wie eine Frau ist Philipp von Orléans unglücklich, wenn ihn jemand in einem unvorteilhaften Morgenrock überrascht oder ungeschminkt und ungeschmückt zu Gesicht bekommt. Und so stolz ist er wegen seiner Schönheit, so eingenommen von sich, dass er sogar über seine erste Gemahlin, die junge und reizende Henriette von England, den Sieg davonzutragen wünschte. Als man ihm nämlich ihr Bild zum erstenmal zeigte, stellte er mit grosser Genugtuung fest, die zukünftige Herzogin von Orléans sei nicht schöner wie er selbst. Das höchste Vergnügen aber bereitet es ihm, wenn er sich bei irgendeiner Gelegenheit als Frau verkleiden und im tiefen Décolleté seinen blendend weissen Hals zeigen kann. Die Unterhaltung gewinnt erst dann für ihn Interesse, wenn sie Putz, Tand und Klatsch zum Gegenstand hat. Jagd, Reiten oder sonstige körperliche Uebungen vermeidet er, um seinem Teint nicht zu schaden, den er mehr pflegt wie eine Kurtisane. Wenn er nicht unbedingt dazu gezwungen ist, besteigt er kein Pferd und greift nie zum Degen. Nur einmal in seinem Leben zeigte sich Philipp als Mann. Das war, als ihn der König mit in den Devolutionskrieg nahm. Und zum nicht geringen Erstaunen des ganzen Hofes und der ganzen Welt, zeichnete sich Philipp, der verweichlichte und verwöhnte Dandy, als junger Held aus, der sogar eine Zeitlang den Ruhm des grossen Königs verdunkelte. Aber diese seltsame Anwandlung von Mannesmut und Mannestugend hielt nicht lange bei ihm an. Als er wieder in das schwelgerische Hofleben zurückkehrt, verfällt er von neuem in die alte Eitelkeit, Genußsucht und weibischen Gewohnheiten. Im Gegensatz zu seinem Bruder, Ludwig XIV., dem es, trotz seiner Vorliebe für Eleganz, Pracht und Vergnügen, ein Bedürfnis war, zu arbeiten und nicht müssig durchs Leben zu gehen, liebte der Herzog von Orléans nichts weniger als die Arbeit. Er war faul und träge. Nur das Spiel flösst ihm Interesse ein. Selbst die Lektüre eines Buches ist ihm zuwider. Dennoch ist er ein angenehmer leichter Plauderer über Nichtigkeiten. Das Schlimmste aber ist, dass er durch den Einfluss einiger seiner gefährlichsten Günstlinge ins Laster geriet und immer mehr darin versank.

    Das also war der Mann, dem die einfache, unverdorbene Liselotte angetraut wurde! Man kann sich nichts Ungleicheres denken als diese beiden Menschen. Dass beide mit Spannung auf den Augenblick warteten, welchen Eindruck sie gegenseitig aufeinander machen würden, ist leicht vorzustellen. Auch die übrige Pariser Hofgesellschaft war äusserst begierig auf das junge, deutsche Gänschen, das nun den so sieghaft behaupteten Platz der gefeierten Henriette von England einnehmen sollte. Man hatte so viel von Liselottes derber Wesensart gehört, dass man sich die ungeheuerlichste Vorstellung von ihrer Person machte.

    Aber siehe da, Liselottes erstes Auftreten mitten unter der verfeinerten französischen Hofgesellschaft ist durchaus nicht lächerlich! Sie gefällt mit ihrer unverfälschten, natürlichen Munterkeit und biederen Offenheit. Ihre Tränen sind versiegt, und ihr frisches Lachen wirkt wohltuend auf alle. Man findet sie hübscher, als man sie sich gedacht hat. Sie ist weder befangen noch linkisch in ihrem Wesen. Sogar Monsieur ist angenehm enttäuscht, als er seine zweite Frau zum erstenmal zu Gesicht bekommt. Man findet auch, dass sie sehr gut Französisch spricht und reizend tanzt. Kurz, der erste Eindruck, den sie hervorruft, ist günstig! Ja, es scheint, als sollte sogar die reizende verstorbene Herzogin von Orléans von der neuen Gattin in den Schatten gestellt werden.

    Am 21. November, gleich nach Liselottes Ankunft in Châlons, beginnen die Hochzeitsfeierlichkeiten. Die Zeitgenossen finden nicht Worte genug in ihren Beschreibungen, wie prächtig alles gewesen sei. Aber die junge Pfälzerin lässt sich durch all den Glanz, der da vor ihren Augen so plötzlich entfaltet wird, durchaus nicht blenden. Wohl ist es ein neues Schauspiel, das gewiss nicht ohne Reiz für sie bleibt, aber sie nimmt alles mit so vollkommener Natürlichkeit hin, als wäre sie in diesem Reichtum aufgewachsen und an all die Pracht und Verschwendung seit langem gewöhnt.

    Nachdem die Festlichkeiten beendet sind, zieht sich der Herzog von Orléans mit seiner jungen

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