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Das Evangelium der Grabtuchräuber
Das Evangelium der Grabtuchräuber
Das Evangelium der Grabtuchräuber
eBook425 Seiten5 Stunden

Das Evangelium der Grabtuchräuber

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Über dieses E-Book

Was würde geschehen, wenn eine Sekte einen ganzen Staat unter ihre Gewalt bringen will und einen zweiten Finanzcrash, der die europäische Wirtschaft ruinieren soll, plant?
Der Sektenführer, genannt Großkyros, sieht sich als wiedergeborener Messias. Um das zu unterstreichen, lässt er einen der größten religiösen Schätze der Welt rauben: das Grabtuch aus Turin.
Peter Gernot, Privatdetektiv aus Berlin, ermittelt in einem Entführungsfall und gerät in große Gefahr, als er dabei die Sekte entdeckt. Von Turin über Paris, Rom und Istanbul geht es in einer erbarmungslosen Verfolgungsjagd nach Rio de Janeiro. Kann Gernot dem Tod entkommen und das Grabtuch zurückbringen? Auch wenn der Großkyros ihm nach dem Leben trachtet?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum18. Feb. 2022
ISBN9783969370810
Das Evangelium der Grabtuchräuber

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    Buchvorschau

    Das Evangelium der Grabtuchräuber - Heinz-Joachim Simon

    Heinz-Joachim Simon

    Das

    Evangelium

    der Grabtuchräuber

    E-Book, Originalausgabe, erschienen 2022

    2. überarbeitete Auflage

    ISBN: 978-3-96937-081-0

    Copyright © 2022 LEGIONARION Verlag, Steina

    www.legionarion.de

    Text © Heinz-Joachim Simon

    Coverdesign: © Marta Jakubowska, LEGIONARION Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 1154133316 / 82367800

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

    Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv, nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    ©LEGIONARION Verlag, Steina

    Alle Rechte vorbehalten

    http://www.legionarion.de

    Der LEGIONARION Verlag ist ein Imprint der Invicticon GmbH

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Das Buch

    Ein Thriller finster und tiefsinnig. Was würde geschehen, wenn eine Sekte einen ganzen Staat unter ihre Gewalt bringt und einen zweiten Finanzcrash, der die europäische Wirtschaft ruinieren soll, plant.

    Der Sektenführer, genannt Großkyros, sieht sich als wiedergeborener Messias und möchte sein Leben bieten. – Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, lässt er das Grabtuch aus Turin rauben, einen religiösen Schatz.

    Peter Gernot, ein Privatdetektiv aus Berlin, gerät in große Gefahr als er die »Sekte der Marsianer« entdeckt und in einen Entführungsfall gerät. Von Turin über Paris, Rom und Istanbul geht es in einer erbarmungslosen Verfolgungsjagd nach Rio de Janeiro. Die »Sieben Siegeln der Erneuerung« stellen Gernot auf eine harte Probe und seine Ermittlungen verlangen schier unmögliches. Kann Gernot dem Tode entkommen und den Fall lösen? Auch wenn der Großkyros ihm nach dem Leben trachtet?

    Inhalt

    Prolog

    La Santa Sindone

    Kapitel 1

    Unter stillen Wassern lauert die Gefahr

    Kapitel 2

    Ein nicht ganz koscheres Angebot

    Kapitel 3

    Manche Freunde sind die besten Feinde

    Kapitel 4

    Von Grabtuchräubern und anderen Begegnungen

    Kapitel 5

    Über die Wahrheit aus einer Smith & Wesson

    Kapitel 6

    Vivre la vie

    Kapitel 7

    Geheimnisvoll flüstern die Wasser am Bosporus

    Kapitel 8

    Hinter jedem Berg folgt ein Tal

    Kapitel 9

    Gott ist ein Brasilianer

    Kapitel 10

    Im Tempel der Wiederkunft

    Kapitel 11

    Das Evangelium des Joseph von Arimathia

    Kapitel 12

    Die Prophezeiung des Joseph von Arimathia

    Kapitel 13

    Ein nicht ganz normales Geschäft

    Kapitel 14

    Die Apokalypse des Johannes

    Kapitel 15

    Der Gesang der Spottdrossel

    Kapitel 16

    Roma caput mundi oder wer regiert die Welt?

    Kapitel 17

    Die Hölle kennt keine Engel

    Kapitel 18

    Im Camelot des Großkyros

    Kapitel 19

    Der Teufel liebt keine Lieder

    Kapitel 20

    Das Glück des Tigers im Dschungel

    Der Autor

    Für M. W. und R. W.
    und in Erinnerung an die schönen Tage in Brasilien

    Ein Mann kann mit den Mächten der Zeit harmonieren, er kann zu ihnen in Kontrast stehen. Das ist sekundär.

    Er kann an jeder Stelle zeigen, wie er gewachsen ist.

    Damit erweist er seine Freiheit – physisch, geistig, moralisch,

    vor allem in der Gefahr.

    Wie er sich treu bleibt: Das ist sein Problem.

    Auf den Marmorklippen

    Ernst Jünger

    Die Menschheit stellt nicht eine Entwicklung zum Besseren oder

    Stärkeren oder Höheren dar …

    der Fortschritt ist nur eine moderne Idee.

    Der Antichrist

    Friedrich Nietzsche

    Prolog

    La Santa Sindone

    Ein Streichholz flammte auf. Salvatore Cantona schüttelte den Kopf und sorgte sich um das, was kommen würde. Mit was für Idioten hatte sich sein Sohn da eingelassen? Sie brauchten kein Licht, um den Weg zum Schrein zu finden. Der Alte stand im Mittelgang des Doms Giovanni Batista . Es war nach Mitternacht und er war mit den Männern seines Sohnes hierhergekommen, um aus dem Turiner Dom die berühmteste Ikone der Christenheit zu stehlen –  La Santa Sindone , das Grabtuch Christi.

    Alles an dem Grabtuch war geheimnisvoll.

    Wie kam das Antlitz des Gepeinigten auf das Tuch?

    Wie hatte das Gesicht, das zweifellos so aussah, wie man sich Christus vorstellte, Jahrhunderte überdauern können?

    Es war kein Gemälde, das stand fest. Aber dies war auch das einzige. Alles andere war höchst umstritten und so hielt sich die Kirche mit Einschätzungen zurück und nannte es eine Ikone, aber keine Reliquie. Doch Millionen gläubiger Christen waren von seiner Echtheit überzeugt.

    Seinem Sohn zuliebe beaufsichtigte Salvatore Cantona den ersten Teil der Aktion. »Auf niemanden kann ich mich so verlassen wie auf meinen Vater«, hatte er gesagt. Einst war der Alte der Capo dei Capi gewesen, ein Fürst, wenn man ihn nach den Regeln des Machiavelli einstufte. Er kannte dessen Regeln, wenn er auch nie ›Il Principe‹ gelesen hatte. Er sah auf das fluoreszierende Ziffernblatt seiner Uhr. Es war soweit.

    Im Elektrizitätswerk von Turin würde es eine Explosion geben. Gutes bewährtes Semtex. Sein Sohn kümmerte sich um den gefährlichen Teil dieses Geschäfts. In Turin würden gleich die Lichter ausgehen. Der nächste Akt konnte beginnen.

    Ein Schatten näherte sich ihm. Der Kirchendiener. Er hatte ihnen die Tür geöffnet und vorhin das Streichholz entzündet.

    »Ich habe den Stromkreislauf der stationären Alarmanlage unterbrochen«, flüsterte er hastig.

    Ein unnötiger Kommentar. So war es vereinbart. Auch diese Alarmanlage, die mit dem Polizeirevier in Verbindung stand, würde tot bleiben. Salvatore Cantona nickte nur. Was sollte man von einem Kirchendiener auch erwarten? Ein nützlicher Idiot. Man brauchte immer einen von der Gegenseite, der mitmachte. Im inneren Kreis des Feindes ein Ohr, wenn nicht sogar eine Hand zu haben, gehörte schließlich zu den Regeln. Im Grunde war der Kirchendiener ein armes Schwein. Der Gerichtsvollzieher saß ihm im Nacken. Er war das Bauernopfer und wusste nicht einmal, dass er am Ende seines Erdendaseins angelangt war. Wie geplant, nahm sich der Gorilla seines Sohnes nun der Sache an. Salvatore Cantona sah den Stahl aufblitzen, murmelte ein Ave Maria und drehte den Rosenkranz in seiner Hand.

    Schatten huschten zur Königstribüne in der hinteren Kapelle. Der nächste Akt. Die Panzerglasscheiben würden sie mit dem Schlüssel des Kirchendieners öffnen. Obwohl er im Mittelgang stehen blieb, sah er alles genau vor sich. Das heilige Tuch lag unter der Königstribüne in einer Vitrine aus Glas und Aluminium: 4,46 Meter lang, 1,38 Meter breit, 0,28 Meter tief. Oberflächlich betrachtet sah der Schrein wie ein überdimensionaler Altar aus. Sie würden, ohne Alarm auszulösen, aus der silbernen, mit Halbedelsteinen geschmückten Truhe die kostbare Ikone entnehmen. Alles lief nach Plan. Er nickte bestätigend, sich selbst aufmunternd. Ganz gewiss, dem Sohn unterlief kein Fehler. Wie abgesprochen, wandte er sich dem Ausgang zu. Seine Arbeit war getan.

    Er ging aus der Kirche auf die Piazza San Giovanni, die nun im Dunkel lag. Das Palatinische Tor gegenüber lag als Schatten im Mondlicht. Er hörte aufgeregte Stimmen. Sie kümmerten ihn nicht. In der Ferne lärmten die Sirenen von Polizei und Feuerwehrwagen.

    Salvatore Cantona wandte sich gemessenen Schrittes der Via XX Settembre zu, ging am Geschäft Arte Antica vorbei zum Ristorante La Campania.

    Er öffnete die Tür.

    Der Wirt eilte herbei und verbeugte sich. Salvatore Cantona war hier Stammgast. Er hob grüßend die Hand und setzte sich wie immer an den Tisch gleich am Eingang. Der Wirt hatte Kerzen auf die Tische gestellt, die ein romantisches warmes Licht verbreiteten. Nur noch wenige Gäste saßen im Restaurant. Man war bei Kaffee und Cognac angelangt. Respektvoll sah man zu ihm herüber und steckte die Köpfe zusammen. Er war eine imposante Erscheinung. Ein fleischiges dunkles Gesicht mit silbergrauen Haaren. Den mächtigen Körper verbarg ein maßgeschneiderter dunkler Zweireiher. Oh ja, man kannte ihn in Turin. Er galt als ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er hatte sich den Ruf mühsam genug erarbeitet.

    Er sah auf die Straße zur Ragtime Bar gegenüber. Dort brannte noch Licht. Die Neonreklame glühte aufreizend und bedrohlich. Ein Signal für eine andere Generation. Er dachte an die Männer im Dom. Der Schlussakt. Sie würden nun das Tuch entnommen haben und das Feuer legen.

    Ein Feuer wie einst im Jahr 1997, das die Sakristei verwüstete. Keine große Sache diesmal. Es sollte nur die Spuren verwischen und Rätsel aufgeben, ob das Grabtuch mit verbrannt war. Ein wenig Arbeit für die Polizei. Sie würden mit ihren kriminaltechnischen Möglichkeiten dahinterkommen, dass es nicht verbrannt war. Aber das kostete Zeit.

    Der Wirt kam mit einem Tablett zurück und brachte den Kaffee und das Gläschen Amaretto. Seit er in die Jahre gekommen war und die Verantwortung abgegeben hatte, ließ er sich ein bisschen gehen und erlaubte sich diese kleine Sünde.

    »Va bene?«, fragte der Wirt.

    Cantona hatte nicht zu bestellen brauchen und der Wirt hätte sich auch die Frage ersparen können. Es geschah aus Respekt. Der Alte hob die Hand, legte sie sacht auf den Tisch zurück und nickte. Er trank zuerst den Espresso. Er schmeckte, wie er zu sein hatte. Neben der Tasse lag wie immer eine Romeo & Julietta No. 3. Der Wirt reichte ihm eilfertig Feuer. Er zog genüsslich den Rauch ein, bedachte alles noch einmal. Es war so abgelaufen, wie es sein Sohn geplant hatte. Ein guter Sohn, wenn man da­von absah, dass er der Verwilderung der Sitten keinen Einhalt geboten hatte.

    »Du versteht das nicht, Vater. Es sind andere Zeiten.«

    Das mochte so sein. Aber sie gefielen ihm nicht. Aber es war wohl notwendig, sich zu ändern, wenn alles beim Alten bleiben sollte. Wer sag­te das noch einmal? Richtig. Der Fürst in »Il Gattopardo«. Guiseppe Tomasi di Lampedusa. Was für ein Schriftsteller. Was für ein Mann. Er fühlte sich dem Fürst sehr nahe. Er saugte den Rauch ein und sah hinüber zur Piazza San Giovanni. Die Männer mussten nun den Dom verlassen haben. Er wusste genau, wie es dort abgelaufen war.

    Vor dem Palatinischen Tor stand der kleine Lieferwagen mit dem Namen eines Olivenexporteurs. Der Wagen war gestohlen und nicht einmal der Name stimmte. Mit ihm würden die Männer Turin verlassen und auf dem kleinen Landgut bei Asti abwarten, dass die Aufregung abebbte.

    Er war bei den Planungen dabei gewesen – als Zuhörer und als Ratgeber. Der Junge verzichtete nicht auf seinen Rat. Das Grabtuch galt als hinreichend gesichert. Hinreichend? Es gab nichts auf der Welt, was hinreichend zu sichern war. Das hätten die Verantwortlichen doch wissen müssen. Polizei, Sicherheitsfirmen oder die bischöfliche Verwaltung, wer auch immer. War nicht auch die Mona Lisa einmal aus dem Louvre entwendet worden? Ein braver Patriot hatte sie nach Italien zurückführen wollen. Natürlich hatten sie ihn geschnappt. Er war kein Profi. Aber immerhin. Mit guter Planung und einem Leck beim Sicherheitspersonal konnte man dies wiederholen. Ein technisches Problem, das lösbar war. Ein anderes war schwieriger – die Kosten-Nutzen-Relation zu deichseln. Man musste einen Klienten finden, der bereit war dafür zu zahlen. Für etwas Millionen hinzublättern, das man sich nur insgeheim im Keller anschauen konnte. Natürlich gab es solche Gimpel. Sie zu finden war ein Kunststück. Sein Sohn hatte sie gefunden. Der Alte kannte die Einzelheiten nicht. Marian hatte von mehreren Bietern gesprochen und von einem orthodoxen Erzbischof aus der Türkei, der ihnen den Einstieg in das Kokaingeschäft ermöglichen würde. Der Alte mochte dieses Geschäft nicht. Sie verdienten auch mit Prostitution, Schutzgeldern und Glücksspiel genug Geld. Verdammt gutes Geld. Aber wie sagte der Fürst? Man musste sich ändern, wenn alles beim Alten …

    Er war auch gegen den Raub des Grabtuches gewesen. Nicht weil er daran glaubte, dass es das Antlitz Christi zeigte. Aber es war viel Glauben damit verbunden und den sollte man achten … und die Heilige Mutter Kirche. Er bewegte die Perlen des Rosenkranzes in seiner Rechten und murmelte ein Ave Maria. Jawohl, man legte sich nicht mit den eigenen Leuten an, mit dem mächtigen Gebäude des Glaubens, in dem auch für Leute wie ihn, Salvatore Cantona, Platz war. Ihn reute nicht der Tod des Kirchendieners. Wenn man sich zu einem Plan entschlossen hatte, musste man mit Kollateralschäden, so nannte es der Sohn, rechnen.

    Der Wirt erschien und brachte, wie immer, das zweite Glas Amaretto. Mehr als dieses zweite Glas gönnte er sich niemals. Er fühlte den Amaretto warm in sich herunterlaufen und genoss die Symbiose aus Mandelgeschmack und dem Rauch der Havanna. Salvatore Cantona strich sich dabei behaglich mit der Linken über die andere Hand. Alte faltige Hände. Er sah um sich. Die letzten Gäste waren im Begriff zu gehen. Sie nickten ihm ehrerbietig zu. Nun war er allein. Er genoss die Stimmung im La Campania. Das Ristorante war ein wenig wie er selbst. Dunkel, alt und voller Traditionen. Ein Ristorante im Stil der Zwanzigerjahre. Die Wände waren mit viel Holz ausgekleidet, das mit den Jahrzehnten verwittert aussah. Auch die schwarz-weißen Fotos an den Wänden, die von Turin und dem Landleben am Anfang des vorigen Jahrhunderts erzählten, mochte er. Er kannte diese Zeit aus den Erzählungen seines Vaters. Sie waren Pachtbauern in der Nähe von Catania gewesen. Die Guardia Zivil hatte sie vertrieben, als die Barone anderes mit dem Land vorhatten und zu großer Felderwirtschaft übergingen. Die kleinen Pachtbauern wurden nicht mehr gebraucht. Also waren sie in den Norden gegangen. Zu den Fremden. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Sein Vater war Kommunist und hatte in den Bergen gegen die Faschisten gekämpft. Er war in den Kellern der Turiner Polizei umgekommen. Er, Salvatore Cantona, war niemals Kommunist gewesen. Er hatte sich immer als Geschäftsmann verstanden. Andere hatten ihn anders wahrgenommen und einen gefährlichen Mann genannt. Eine Zeit lang hatte sich die Polizei für ihn interessiert. Aber beweisen hatten sie ihm nie etwas können.

    Nein, für Ideologien und Politik interessierte er sich nicht. Er wusste, dass es nur eine Sache gab, die wirklich zählte: Geld. Viel Geld. Daraus ergab sich alles andere. Macht und Weiber. Mit beidem war er nun fertig. Es war ein gutes Leben gewesen. Alles in allem. Wenn er da oben vor dem höchsten Richter Rechenschaft ablegen musste, würde er für seine Sünden einstehen. Nur mit der Grabtuchgeschichte hätte er eigentlich lieber nichts zu tun gehabt. Vielleicht zeigte das Grabtuch doch das Antlitz Christi?

    Er erhob sich seufzend. Wie es sich für einen guten Kunden gehörte, legte er neben dem Rechnungsbetrag auch ein gutes Trinkgeld auf den Tisch. Dies war er seinem Ruf schuldig. Der Wirt verbeugte sich und hielt ihm die Tür auf. Als er am Musikgeschäft Murato vorbeiging, glaubte er ein Lied aus der Heimat zu hören. Eine Canzone, wie sie bei Hochzeiten gesungen wurde. Er schüttelte sich und ging weiter zur Piazza Castello. Aus der Ragtime Bar hinter ihm hörte er nun »King Creole« von Elvis Presley. In seiner Jugend war dies einer seiner Lieblingshits gewesen. Längst entschwundene Tage hinter einem Dickicht von guten und schlim­men Erlebnissen. Ein infernalischer Lärm ließ ihn stehen bleiben. Ihm kamen Polizeiwagen mit Sirenengeheul entgegen. Dahinter die Feuerwehr. Na also, es wurde auch Zeit, dass sie kamen. Sie würden das Feuer bald gelöscht haben und dann rätseln, was passiert war. Der Alte freute sich auf die Schlagzeilen, die die Presse am nächsten Morgen bringen würde. Zweifellos hatte sein Sohn einen Jahrhundertdiebstahl gedeichselt, aber was würden die weiteren Kosten sein, was der Nutzen?

    Kardinal Severino Feretti legte den Füllfederhalter beiseite, faltete die gepflegten, schönen Hände und starrte auf das, was er niedergeschrieben hatte. Die Beichte des Salvatore Cantona, bevor er ihm die letzte Ölung verabreicht hatte. Worte, die im Herzen der Kirche verschlossen bleiben würden.

    Feretti erinnerte sich gut jener Tage, als das Grabtuch geraubt wurde. Die Weltpresse hatte sich überschlagen. Die Fernsehstationen hatten stundenlange Sonderberichte gesendet. Einen Jahrhundertraub hatten sie den Coup genannt. Dabei war alles so einfach abgelaufen. Von Pater Lendres kannte er den anderen Teil der Geschichte. Aber auch er kannte nur den Mantel. Den inneren Fluss jener Ereignisse hatte ihm am Vortag ein anderer erzählt. Ein ehemaliger Offizier der Vatikanpolizei hatte den Kontakt hergestellt. Er zögerte, dem Heiligen Vater davon Mitteilung zu machen. Eine grauenhafte Geschichte. Aber es musste sein. Der Heilige Stuhl musste wissen, in welcher Gefahr sich die Kirche befunden hatte. Man würde daraus lernen müssen. Denn dort draußen, irgendwo in der Welt, konnte sich wieder jemand anmaßen, in der Nachfolge Christi zu stehen und den Anspruch der heiligen Kirche infrage zu stellen.

    Aber welch blutigen Ereignissen musste er die Worte geben. Er hoffte, dass niemand in der Kurie sie als »Räuberpistole« abqualifizieren würde. Es konnte wieder passieren. Die Sehnsucht nach Glauben und dem Wundermann waren dem Menschen mitgegeben. »Folgt mir nach und euch ist das Himmelreich sicher«, wirkte als Botschaft zu allen Zeiten verführerisch. So vielen war der Glaube an die Kirche abhandengekommen, und dennoch lechzten sie nach Erlösung.

    Er hörte wieder die Stimme. Eine heisere Stimme. Manchmal lakonisch, dann wieder spöttisch und zynisch. Die Stimme des Peter Gernot. Ein Mann, der in einen Strudel gerissen wurde, einer, der schlimme Dinge erlebte und tat. Dennoch vermochte Kardinal Feretti ihn nicht zu verurteilen. Das mochten andere tun. Die Mucker. Von denen gab es auch in der Kirche genug. Die Summe der Erfahrungen, die unglückliche Jugend als verachteter Bastard in einer großbürgerlichen Familie, die Erlebnisse in Afghanistan, der tragische Tod der Paschtunin Djamila hatten einen Gerechtigkeitssinn in ihm wachsen lassen, der das gesellschaftlich akzeptierte Maß überstieg. In dem naiven Glauben, so etwas wie der heilige Georg zu sein, kämpfte er gegen die Drachen. Dass er als ein anderer daraus hervorging, war der Preis. Kardinal Feretti hoffte, dass Peter Gernot dies noch begreifen würde. Er war, so empfand es der Kardinal, ein Engel mit dem Flammenschwert. Ein schmutziger Engel, gewiss.

    Er hörte wieder die Stimme. Manchmal lakonisch, dann wieder spöttisch und zynisch – unterbrochen von einem heiseren Lachen.

    Kapitel 1

    Unter stillen Wassern lauert die Gefahr

    Es begann ganz harmlos in Athen. Vielleicht wissen Sie ja, wie es dort unterhalb der Akropolis aussieht. Ich saß in der Taverne Diogenes am Lysikrates Squar e in der Plaka und trank einen aromatischen Weißwein aus Makedonien. Ich war im Frühjahr aus Afghanistan zurückgekommen, wo ich mit meinem Freund und Bruder im Geist, Faiz, so etwas Ähnliches aufgezogen hatte wie Reinhard Erös, der das Einzige tut, was in dem schönen und unglücklichen Land Sinn macht: Den Kindern das geben, was die verdammten Taliban hassen, nämlich Bildung.

    Leider waren wir damit nicht lange erfolgreich. Faiz war Paschtune, wir kamen einem usbekischen Warlord in die Quere und er starb in meinen Armen. Ich hatte die Nase voll von Afghanistan und meiner Rolle als männliche Mutter Teresa. Das Land hatte mir schon meine große Liebe genommen und nun auch den Freund, und ich glaubte, damit genug gezahlt zu haben. Schließlich ziert mich seitdem ein schlohweißer Haarschopf und die Narben auf meiner Brust stammen auch nicht von einer Schönheitsoperation.

    Da ich keine besondere Ausbildung und nur einige Jahre als Body­guard gearbeitet hatte, kam ich auf die Idee, in Berlin ein Detektivbüro aufzumachen. Irgendetwas muss man schließlich tun. Als wichtigstes Kapital brachte ich meine zwei Meter, hundert Kilo und einen durchtrainierten Körper ein, was sich als sehr nützlich erwies.

    Als einer der Erben des Baukonzerns Gernot bin ich finanziell unabhängig. Sie werden die Schilder überall auf der Autobahn gesehen haben. Ich kann es mir also erlauben, genüsslich zu chillen, wenn mal wochenlang kein Auftrag hereinkommt. Manchmal gebe ich auch den Aufpasser für den einen oder anderen Politiker oder Schauspieler.

    Warum ich mich überhaupt mit einem so zweifelhaften Geschäft wie einer Detektei abgebe? Meine Sekretärin behauptet, dass ich einen Artuskomplex habe. Sie wissen schon, dieser legendäre englische König, der seine Ritter ausschickte, um das Böse zu bekämpfen. Klingt überaus schmeichelhaft und romantisch. Die Wahrheit ist viel profaner.

    Mein Vater hat meine Mutter, eine schlichte kleine Verkäuferin, sitzen­gelassen und sie musste sich unter erbärmlichen Umständen als Putzfrau durchschlagen. Ich bin nie das Bild losgeworden, als meine Mutter mit mir den großen Gernot in seinem schicken Büro am Hafen aufsuchte und ihn um Hilfe anflehte. Auf den Knien bettelte sie um ein bisschen Unterstützung. Er wies ihr kalt die Tür. Am selben Abend nahm sie mich schluchzend in die Arme und verpflichtete mich zu etwas, was ich nie los­wurde: »Werde nie so wie dein Vater! Versage niemals jemandem deine Hilfe. Vergiss niemals, woher du kommst.«

    Das waren ihre Worte, und so bin ich das geworden, was ich bin. Wenn jemand an meine Tür klopft, erinnere ich mich an ihre Mahnung. Wohlmeinende nennen mich deswegen einen verkappten Samariter, andere einen Trottel. Natürlich bin ich so manchem Narren aufgesessen und ausgenutzt worden. Aber eigentlich fühle ich mich in meiner Haut ganz wohl. Ich bin also nicht in einer feinen Gegend an der Rothenbaumchaussee aufgewachsen, sondern auf den Straßen von St. Pauli, was sicher meinen manchmal rustikalen Ton erklärt. Wenn man mir trotzdem eine gehörige Portion Bildung nachsagt, so liegt dies an meinem Lesehunger. Ich verschlinge Bücher. Geschichte, Kunst, Philosophie, Politik und immer wieder die wunderbaren Sachen von Wolfe, Faulkner, Fitzgerald und Hemingway – Nathanael West nicht zu vergessen. Ja, ihr Kinder aus großbürgerlichem Haus, mit dem Klavier im Wohnzimmer, auch ein Arbeiterjunge braucht nicht dumm zu bleiben. Ich kann quatschen wie ein Hamburger Jung aus dem Hafenviertel, aber komme auch in den piekfeinen Salons der Hanseaten zurecht.

    Irgendwann erinnerte sich mein Erzeuger daran, dass auch ein Bastard für ihn nützlich sein kann. Es ist gut, immer ein zweites Pferd im Rennen zu haben, und mein Stiefbruder brachte zum Sieg nicht die besten Vor­aussetzungen mit. Vater adoptierte mich, als meine Mutter starb. Offiziell hieß es Herzschwäche. Geliebt habe ich Vater deswegen noch lange nicht. Als dann mein Halbbruder in Afghanistan umkam, war ich ihm umso wertvoller. Seinen Laden habe ich trotzdem nicht übernommen. Das Geld, das ich jedes Jahr einstreiche, ist die Dividende für meine armselige Jugend. Doch zurück zum unschuldigen Anfang meines Kriegszuges ge­gen die Grabtuchräuber.

    Ich war nach Athen gekommen, um mir das neue Akropolis-Museum anzusehen, das von der Konzeption sehr beeindruckend ist, mich aber enttäuschte. Ich kann gut verstehen, dass die Griechen sauer auf Lord Elgin sind, denn den größten Teil des Parthenon-Frieses kann man in London im British Museum bewundern. Das schöne neue Museum unterhalb der Akropolis ist ein Stein gewordener Vorwurf gegen die Engländer. Die heilige Mutter Melina Mercouri kapierte nicht, wie die Briten ticken. Selbst wenn sie das Lied von Piräus vor dem Buckingham Palast gesungen hätte, wären die Briten nicht mit dem Parthenon-Fries herausgerückt.

    Ich saß im Diogenes, was eigentlich kein so guter Name für eine Taverne ist, da dieser, wie bekannt, eher anspruchslos in einer Tonne hauste und sich selbst vom großen Alexander nicht beeindrucken ließ. Aber das Lamm dort war ganz ordentlich und der Wein passabel. Man konnte auf der Terrasse der Taverne sitzen und in den kleinen Park starren, und, wenn die Nacht herabsank, im Gebüsch die letzten schläfrigen Rufe der Vögel hören.

    Ich saß gesättigt und besinnlich im Halbdunkel und trank den nicht sehr teuren Wein, der klar, rein und kalt war, und hatte nichts anderes zu tun, als die kleinen Wasserperlen auf der Flasche zu betrachten. Ich hatte den Kerl gleich bemerkt. Ich kannte ihn aus dem Hotel Grand Bretagne, wo ich bereits den Eindruck gehabt hatte, dass er mich ansprechen wollte. Er sah aus wie Stewart Granger, wenn Ihnen der Name noch etwas sagt. Dieser Ami-Schauspieler, der sich nicht zu schade war, in Karl-May-Filmen mit Lex Barker und Pierre Brice einen in die Jahre gekommenen britischen Gentleman zu spielen. Er hatte dieses schmale britische Gesicht, graue Schläfen und stahlblaue Augen, die sicher so manche Dame aus der besseren Gesellschaft um den Verstand gebracht hatten.

    Ich war gerade beim Espresso angelangt, als er das Glas hob und mir lächelnd zuprostete. Ich tat es ihm mit meinem Whisky nach, der zwar nur ein Johnnie Walker Red war, aber zusammen mit dem Espresso mein Mahl gut im Magen verteilte. Er erhob sich und kam mit seinem Glas zu mir an den Tisch. Dunkler Anzug, silberfarbene Krawatte. So hatte ein Gentleman auszusehen. Ich dagegen in schwarzer Lederjacke, schwarzen Jeans und Sneakers sah doch etwas nach Prekariat aus.

    »Mein Name ist Dietmar Schlesinger«, stellte er sich vor. Es klang, als hätte er den Titel Lord nur aus Höflichkeit verschluckt. »Ich habe Ihren verstorbenen Herrn Vater sehr gut gekannt.«

    Er konnte ja nicht wissen, dass dies für mich keine Referenz war. Mein Vater hatte in seinen Geschäften niemals Skrupel gehabt. Er hatte mit viel Einsatz den Typus Raubtierkapitalist verkörpert. Wir waren uns mit herzlicher Verachtung zugetan gewesen.

    »Sie scheinen mich auch zu kennen.«

    »Ja. Sie betreiben ein Detektiv- und Sicherheitsbüro in Berlin.«

    Er hatte sich also über mich klug gemacht. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was der feine Herr von mir wollte.

    »Ist das ein Zufall, dass Sie mich hier treffen?«, kam ich gleich zu des Pudels Kern.

    »Nein. Ihre Sekretärin Frau Özmir hat mir verraten, dass Sie hier in Athen im Grand Bretagne abgestiegen sind.«

    Serena Özmir konnte man entweder als Biest oder als Sirene bezeichnen. Ich hatte Mühe, meine Bewunderung für sie zu verbergen. Sie hatte, was in Neukölln nicht gerade eine Seltenheit war – Migrationshinter­grund. Mutter war Deutsche, Vater Türke. Mit ihrem langen brünetten Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, und den endlosen Beinen sah sie aus wie ein Model, worauf sie sich erstaunlich wenig einbildete. Sie war tüchtig, eloquent, belesen und hatte ein loses Mundwerk und … war meine schärfste Kritikerin. Wenn sie mich ärgern wollte, nannte sie mich ›Mister Coolness‹. Reine Boshaftigkeit, da ich mit Steve McQueen nur die Augenfarbe gemeinsam hatte. Mit seinem schmächtigen Körper würde man in meinem Geschäft bald Probleme bekommen. Wahrscheinlich war sie nun der Meinung gewesen, dass ich mal wieder arbeiten sollte und sie mehr zu tun bekam, als sich ihre Fingernägel zu polieren.

    »Sie sind mir nachgefahren?«, staunte ich. Dass mir ein Auftrag hinterherrannte, hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.

    »So ist es. Es ist dringend und eine sehr delikate Angelegenheit. Ich wollte Sie, weil mir Ihre Schwester vorgeschwärmt hatte, wie tüchtig und erfahren Sie sind.«

    Meine Schwester leitete mit ihrem Mann das Gernot-Bauunternehmen. Sie hatte meine volle Hochachtung. Es war nicht irgend so eine Bauklitsche, sondern ein Konzern mit ein paar Tausend Mitarbeitern, der auf allen Kontinenten sowohl Straßen, Staudämme als auch Hotelpaläste baute. Sie war sogar erfolgreicher als mein Erzeuger, obwohl sie nicht dessen krumme Geschäfte machte. Vielleicht war gerade das der Grund für ihren Erfolg.

    »Sie wissen ja, wie das bei Geschwistern ist. Sie übertreibt manchmal ganz gern, wenn es um ihren Stiefbruder geht. Ich bin nämlich das schwarze Schaf der Familie Gernot.«

    »Stellen Sie Ihr Licht

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