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Ausgebremst Tagebuch 2020
Ausgebremst Tagebuch 2020
Ausgebremst Tagebuch 2020
eBook564 Seiten5 Stunden

Ausgebremst Tagebuch 2020

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Über dieses E-Book

Zweitausendzwanzig
Wir gehen in das neue Jahr,
Vorsätze im Gepäck wie jedes Jahr,
ahnungslos.
Die Familie reiht ein weiteres Jahr an das letzte,
gutgläubig und naiv darauf vertrauend,
dass alles so bleibt wie es ist.
Schon zu Beginn des Jahres knackt die Idylle.
Die Großmutter stürzt und verletzt sich schwer.
Unsere Warnantennen stellen sich auf.
Mit einem Mal geht es Schlag auf Schlag.
Ein Virus taucht auf.
Verbreitet sich weltweit in einer Geschwindigkeit, die die Menschheit in Schockstarre versetzt.
Ein Alptraum.
Das Leben, unser Leben wird ausgebremst.
Einer Fieberkurve gleich, geht es rauf und runter.
In der Welt,
in der Familie,
in mir.
Zweitausendzwanzig verändert alles.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum18. Jan. 2022
ISBN9783740797515
Ausgebremst Tagebuch 2020
Autor

Tine Braun

Tine Braun ist freie Autorin und lebt mit ihrer Familie in der Soerster Börde. Weitere Bücher von Tine Braun sind, Von einer die auszog das Fürchten zu lernen Blochmann und der Kuss des roten Krokodils Ausgebremst Tagebuch 2020

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    Buchvorschau

    Ausgebremst Tagebuch 2020 - Tine Braun

    Inhaltsverzeichnis

    Sonntag, d. 5. Januar 2020

    Sonntag, d. 26. Januar 2020

    Freitag, d. 31. Januar 2020

    Samstag, d. 1. Februar 2020

    Montag, d. 03. Februar 2020

    Mittwoch, d. 05. Februar 2020

    Freitag, d. 07. Februar 2020

    Montag, d. 10. Februar 2020

    Sonntag, d. 16. Februar 2020

    Samstag, d. 22. Februar 2020

    Montag, d. 24. Februar 2020

    Mittwoch, d. 26. Februar 2020

    Freitag, d. 28. Februar 2021

    Sonntag, d. 1. März 2020

    Samstag, d. 7. März 2020

    Sonntag, d. 8. März 2020

    Montag, d. 09. März 2020

    Dienstag, d. 10. März 2020

    Donnerstag, d. 12. März 2020

    Samstag, d. 14. März 2020

    Sonntag, d. 15. März 2020

    Montag, 16. März 2020

    Dienstag, d. 17. März 2020

    Mittwoch, d. 18. März 2020

    Donnerstag, d. 19. März 2020

    Freitag, d. 20. März 2020

    Samstag, d. 21. März 2020

    Sonntag, d. 22. März 2020

    Montag, d. 23. März 2020

    Dienstag, d. 24. März 2020

    Mittwoch, d. 25. März 2020

    Donnerstag, d. 26. März 2020

    Samstag, d. 28. März 2020

    Sonntag, d. 29. März 2020

    Montag, d. 30. März 2020

    Montag, d. 31. März 2020

    Mittwoch, d. 01. April 2020

    Samstag, d. 04. April 2020

    Sonntag, d. 05. April 2020

    Dienstag, d. 07. April 2020

    Donnerstag, d. 09. April 2020

    Karfreitag, d. 10. April 2020

    Ostersonntag, d. 12. April 2020

    Dienstag nach Ostern, d. 14. April 2020

    Mittwoch, d. 15. April 2020

    Donnerstag, d. 16. April 2020

    Freitag, d. 17. April 2020

    Samstag, d. 18. April 2020

    Sonntag, d. 19. April 2020

    Montag, d. 20. April 2020

    Mittwoch, d. 22. April 2020

    Freitag, d. 24. April 2020

    Sonntag, d. 26. April 2020

    Dienstag, d. 28. April 2020

    Freitag, d. 01. Mai 2020

    Samstag, d. 02. Mai 2020

    Mittwoch, d. 06. Mai 2020

    Sonntag, d. 10. Mai 2020

    Montag, d. 11. Mai 2020

    Donnerstag, d. 14. Mai 2020

    Samstag, d. 17. Mai 2020

    Sonntag, d. 17. Mai 2020

    Montag, d. 18. Mai 2020

    Freitag, d. 22. Mai 2020

    Samstag, d. 23. Mai 2020

    Mittwoch, d. 27. Mai 2020

    Pfingstmontag, d. 01. Juni 2020

    Dienstag, d. 02. Juni 2021

    Freitag, d. 05. Juni 2020

    Montag, d. 08. Juni 2020

    Dienstag, d. 09. Juni 2020

    Mittwoch, d. 10. Juni 2020

    Samstag, d. 13. Juni 2020

    Dienstag, d. 16. Juni 2020

    Donnerstag, d. 18. Juni 2020

    Freitag, d. 19. Juni 2020

    Sonntag, d. 21. Juni 2020

    Mittwoch, d. 24. Juni 2020

    Donnerstag, d. 25. Juni 2020

    Sonntag, d. 28. Juni 2020

    Donnerstag, d. 02. Juli 2020

    Sonntag, d. 05. Juli 2020

    Mittwoch, d. 08. Juli 2020

    Freitag, d. 10. Juli 2020

    Montag, d. 13. Juli 2020

    Mittwoch, d. 15. Juli 2020

    Montag, d. 20. Juli 2020

    Mittwoch, d. 22. Juli 2020

    Samstag, d. 25. Juli 2020

    Freitag, d. 31. Juli 2020

    Sonntag, d. 02. August 2020

    Montag, d. 03.08.2020

    Mittwoch, d. 05.08.2020

    Donnerstag, d. 06. August 2020

    Dienstag, d. 11. August 2020

    Dienstag, d. 13. August 2020

    Sonntag, d. 16. August 2020

    Donnerstag, d. 20. August 2020

    Samstag, d. 22. August 2020

    Sonntag, d. 23. August 2020

    Dienstag, d. 25. August 2020

    Samstag, d. 29. August 2020

    Donnerstag, d. 03. September

    Sonntag, d. 06. September

    Donnerstag, d. 10. September 2020

    Sonntag, d. 13. September 2020

    Montag, d. 14. September 2020

    Mittwoch, d. 16. September 2020

    Donnerstag, d. 17. September 2020

    Sonntag, d. 20. September 2021

    Sonntag, d. 27. September 2020

    Mittwoch, d. 30. September 2020

    Samstag, d. 03. Oktober 2020

    Montag, d. 05. Oktober 2020

    Freitag, d. 09. Oktober 2020

    Montag, d. 12. Oktober 2020

    Freitag, d. 16. Oktober 2020

    Samstag, d. 17. Oktober 2020

    Sonntag, d. 18. Oktober 2020

    Dienstag, d. 20. Oktober 2020

    Donnerstag, d. 22. Oktober 2020

    Sonntag, d. 25. Oktober 2020

    Dienstag, d. 27. Oktober 2020

    Mittwoch, d. 28. Oktober 2020

    Samstag, d. 31. Oktober 2020

    Dienstag, d. 03. November 2020

    Donnerstag, d. 05. November 2020

    Dienstag, d. 10. November 2020

    Samstag, d. 14. November 2020

    Montag, d. 16. November 2020

    Freitag, d. 20. November 2020

    Montag, d. 23. November 2020

    Mittwoch, d. 25. November 2020

    Samstag, d. 28. November 2020

    Sonntag, d. 29. November 2020

    Dienstag, d. 1. Dezember 2020

    Sonntag, d. 06. Dezember 2020

    Montag, d. 07. Dezember 2020

    Dienstag, d. 08. Dezember 2020

    Mittwoch, d. 09. Dezember 2020

    Freitag, d. 11. Dezember 2020

    Sonntag, d. 13. Dezember 2020

    Dienstag, d. 15. Dezember 2020

    Mittwoch, d. 16. Dezember 2020

    Sonntag, d. 20. Dezember, 4. Advent

    Mittwoch, d. 23. Dezember 2020

    Freitag, d. 25. Dezember 2020, 1. Weihnachtstag

    Samstag, d. 26. Dezember 2020, 2. Weihnachtstag

    Montag, d. 28. Dezember 2020

    Donnerstag, d. 31. Dezember 2020

    Sonntag, d. 5. Januar 2020

    Das Jahr 2020 legt harmlos und unbeschwert los, als sei unsere Zeit unendlich, als bliebe alles so wie bisher, alles Gute und alles nicht so Gute. Nur Friday for Future, die Bewegung der jungen Menschen, rüttelt seit gut einem Jahr etwas an uns herum.

    Gespannt schauen wir zu und lassen uns ein wenig aufregen.

    Politiker lächeln träge und vertagen sich von einer Sitzung auf die andere.

    Wir haben Zeit.

    Wir haben ja so viel Zeit.

    Das Jahr beginnt wohlwollend für mich, die Familie, die Freunde. Vieles hat sich im letzten Jahr geklärt, neu aufgestellt, zusammengerauft.

    Wir schippern in ruhigerem Fahrwasser.

    Mal sehen, ob sich all unsere Vorsätze, Wünsche und Erwartungen in diesem neuen Jahr erfüllen werden.

    Wie immer, so auch an diesem Jahresanfang malen wir uns Ideen mit der Erwartung aus, es besser zu machen als im letzten Jahr.

    Was auch immer dieses „es" sein mag.

    Ein neues Jahr also und zu Beginn, ein Gefühl von Aufbruchstimmung.

    Altes loslassen. War ja auch eine Menge Chaos dabei.

    Neubeginn. Neues Jahr, neues Glück, oder wie sagt man?

    Alles ist offen.

    Gleich an diesem ersten Wochenende starten Alex und ich zu einem Kurzurlaub an die Nordsee.

    Das neue Jahr am Meer beginnen.

    Das ist schon fast eine Gewohnheit für uns beide. Wo, wenn nicht hier, kann man den trägen Geist des vergangenen Jahres in den Wind schießen.

    Salzgetränkte Nordseeluft, die Kopf und Körper durchpustet und alle Zellen in Bewegung bringt.

    Ein Neustart am Meer. Frisch aufgetankt starten, sozusagen.

    Im Norden angekommen, regnet es Bindfäden und ein Spaziergang am Meer macht nur Spaß, wenn man sich genau dieses Wetter ausgesucht hat.

    Wind ja, Regen nein. Und so shoppen wir uns erst einmal etwas gelangweilt durch die Fußgängerzone von Cuxhaven.

    Am nächsten Tag stellen wir uns dem miesen Wetter, stemmen uns gegen den Wind, einmal den Strand rauf und runter und verschlafen anschließend erschöpft den restlichen Tag.

    Kaum sind wir da, müssen wir bereits wieder weg.

    Das Wochenende rast vorbei, und wir sind schon wieder auf dem Weg zurück Richtung Heimat, mittendrin im gewohnten Trott, kaum dass wir die Autobahn Richtung Bremen erreicht haben.

    Das Jahr nimmt Fahrt auf.

    Keine fünf Tage alt, treibt es uns vor sich her. Wir merken es nicht einmal.

    Wir nehmen es hin und schieben jegliche Gedanken, dass das Leben immer in Veränderung und im Wandel schwingt, tunlichst in den hinteren Teil des Bewusstseins.

    Müssen wir auch. Wo kämen wir denn sonst hin?

    Hätten wir beim Anruf der Caritas, der uns auf der Autobahn mitten im Rückreiseverkehr aufschreckt, hellhörig werden sollen? Nein, warum sollten wir.

    Der Krankenpfleger am anderen Ende des Telefons erklärt uns kurzatmig die Situation.

    Therese, Alex Mutter ist im Wohnzimmer über einen ihrer Teppiche gefallen.

    Therese ist unsere 96 Jahren alte, lebhafte, kluge und etwas eigensinnige Omi.

    Sie hat einen Weltkrieg und zwei Männer überlebt und auch so einige Eskapaden ihrer quirligen Familie.

    Therese lebt seit vielen Jahren allein in einer kleinen Wohnung, getragen und gehalten durch ein gut funktionierendes soziales Netzwerk und mit Hausnotruf. Den trägt sie Tag und Nacht um den Hals, um, wie an diesem frühen Nachmittag, bei einem Notfall per Knopfdruck den Pflegedienst zu alarmieren.

    Nichts hasst sie mehr, als sich helfen lassen zu müssen, auch wenn es ihr Lieblingspfleger ist, der sofort herbeieilt und sie rasch wieder in ihren Sessel setzt.

    Da sitzt sie nun, aufgewühlt aber sicher.

    Nein, sie will uns nicht informieren. Sie schafft das schon.

    Es geht ihr gut und nein, er muss uns nicht benachrichtigen.

    Der Caritaspfleger sieht das anders, will sich absichern, tut seine Pflicht. Seine Pflicht ist, bei einem Unfall die Angehörigen zu informieren, also uns.

    Therese brummelt vor sich hin, als er zum Handy greift und uns auf der Autobahn zwischen Bremen und Osnabrück kalt erwischt.

    Thereses Hüfte und Bein schmerzen, sagt er, aber anscheinend ist nichts gebrochen.

    Wir, kurz vor Ahlhorner Heide, müde, etwas genervt, aber ja, selbstverständlich kommen wir noch bei ihr vorbei.

    Eineinhalb Stunden später biegen wir von der Autobahn ab.

    Cuxhaven ist, schneller als gedacht, sehr weit weg.

    Therese kauert in ihrem Sessel. Sie lächelt uns entgegen. Das heißt, ihr Mund lächelt, versucht es so gut wie möglich. Die restlichen Gesichtsmuskeln zucken diskret aber erkennbar und ihre Augen starren kühl und von weit her, so wie es fast blinde Augen eben tun.

    Der breite Ohrensessel nimmt sie schützend in sich auf. Die Beine schmerzen etwas, aber man fällt ja nicht mehr so leicht wie früher.

    Ob ich ihr vielleicht ein Brot zurechtmachen kann und ein paar Weintrauben zum Abendessen?

    Nein, ins Bett kommt sie alleine, da braucht sie keine Hilfe.

    So ein Missgeschick aber auch. Wenn wir ihr den Rollator noch nah an den Sessel stellen, dann kommt sie besser ran und dann geht es wieder.

    Der Unterton in ihren Worten, mein Bauch und Herzgefühl sagen mir, dass es nicht geht. Therese aber ist eisern, klar im Kopf und unerbittlich in dem, was sie will oder eben nicht will.

    Und jetzt will sie nicht zeigen, dass es kaum noch geht, hier alleine in der Wohnung. Das gelingt ihr mehr oder weniger schlecht.

    Was sie allerdings noch weniger will als alles andere ist, in ein Krankenhaus oder, Gott bewahre, in ein Seniorenheim.

    Das braucht sie nicht. Sie schafft das schon.

    Alex nickt. Will ihr glauben, was sie sagt, will es einfach glauben, weil es so am besten ist.

    Ich will ihr nicht glauben und nicke trotzdem. Was Besseres fällt mir gerade nicht ein.

    So lassen wir sie. Glauben, was wir glauben wollen oder auch nicht.

    Eine andere Lösung scheint es heute nicht zu geben.

    Wir ziehen die Tür hinter uns zu und schweigen uns an.

    „Beim nächsten Sturz bricht sie sich die Knochen", sage ich.

    „Ja", sagt Alex.

    Das alles passierte gestern und heute ist Sonntag, ein Regensonntag wie er im Buche steht.

    Der erste Sonntag des neuen Jahres, das unbeschwert beginnt und mit einem Mal etwas abseits rutscht, wie knapp an einem Graben entlang.

    Es geht nicht alleine. Therese braucht Hilfe.

    Die Hilfe des Pflegedienstes und unsere, besonders unsere.

    Alex schwankt hin und her, obwohl er das Gleiche denkt wie ich. Aber, ein Pflegeheim für seine Mutter ist das Letzte, was beide wollen.

    Mein Bauchgefühl hängt die rote Fahne hoch und schreit um Hilfe.

    Das wird nicht gutgehen.

    Etwas Ungutes schleicht sich heran.

    Wie eine Wolkenfront, die sich langsam über den Bergkamm drückt und die Richtung noch nicht weiß.

    Ich versuche, Puzzleteil für Puzzleteil zu einem Ganzen zu legen.

    Sie kommt alleine nicht mehr ins Bett.

    Sie kann den Urin nicht halten.

    Sie kann nicht mehr alleine essen, weil sie den Löffel nicht mehr halten kann.

    Sie kann sich nicht mehr alleine anziehen und ausziehen.

    Sie sagt uns nicht die Wahrheit.

    Sie kämpft.

    Ihre Kraft schwindet wie eine verlangsamte Eieruhr.

    Sie ahnt das Unheil und verteidigt ihr kleines Terrain so gut sie noch kann.

    Sie kämpft.

    Sie weiß, was sie will.

    Sie bäumt sich auf gegen das, was sie nicht will. Unter keinen Umständen. Niemals.

    Ab jetzt fahren wir jeden Tag zu ihr.

    An manchen Tagen zweimal.

    Immer dann, wenn ich ihr gegenübersitze, sprüht mein Bauchgefühl Funken.

    Sie müht sie sich ab, mit schwachem Körper und starkem Kopf.

    Schritt für Schritt, vom Stuhl zum Tisch, vom Tisch zur Toilette, zum Bett.

    Immer langsamer werdend, zittert sie sich durch ihre beiden Zimmer, schiebt sich mit Hilfe des Rollators zur Toilette und zurück in ihren Sessel, der zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden und der mittig im Wohnzimmer steht, mit Blick aus dem Fenster.

    Jeden Abend meldet sie sich am Telefon. Doch, doch, es geht. Und wie war euer Tag?

    Ich bin ein hochsensibler Mensch. Mein Bauch, mein Herz, mein Verstand, wir alle wissen, dass es nicht geht und wenn dann am untersten Level des Tolerierbaren.

    Aber vielleicht reicht das ja.

    Ich lasse mich nur zu gerne beruhigen. Lasse mir etwas vormachen, weil ich will, dass alles so bleibt, wie es ist.

    Tag für Tag sehen wir mit an, wie sie um jeden Zentimeter ihres selbständigen Lebens kämpft, kämpft mit einer Kraft, die sie eigentlich nicht mehr hat.

    Aber vielleicht, ja vielleicht schafft sie es ja doch noch.

    Wie gewohnt höre ich nicht auf meinen Bauch, verkrampfe meine Muskulatur, bekomme Kopfschmerzen und Durchfall, merke nicht, dass ich in ständiger Hab-Acht-Stellung durch den Alltag renne.

    In Gedanken sehe ich sie erneut stürzen, und zwar bald, oder sie wird sich beim Teeübergießen mit heißem Wasser verbrühen, oder nicht mehr alleine ins Bett kommen und wer weiß wo liegenbleiben.

    „Wir müssen abwarten, sagt Alex, „sie ist ein zäher Knochen. Abwarten und tun, was wir tun können.

    Zusammen mit dem Pflegedienst können wir noch einiges tun. Aber es reicht nicht. Und es geht über meine Kräfte.

    Ich bin nicht gut im Abwarten.

    Parallel zu ihren Kräften, die zusehends schwinden, nimmt ihre hilflose Traurigkeit zu.

    Und es wird nicht besser.

    Sie zieht sich mehr in sich zurück. Sie spricht weniger.

    Kümmert euch, sagen ihre Augen.

    Mag sein, dass ich sie falsch verstehe. Mag sein, dass mir ihre linsengetrübten Augen etwas vorspielen, was meine Ängste triggert, meinen anerzogenen Kontrollimpuls und meine Auf-der-Hut-sein-Neurose.

    Ich bekomme meinen Kopf nicht mehr frei.

    Währenddessen räumen wir unser Haus um.

    Seit Dezember wohnt Gabriel bei uns mit den drei Mäusekindern, die seit der Trennung ihrer Eltern, an drei bis vier Tagen in der Woche dem Papa gehören.

    Es wird enger bei uns.

    Wir räumen die obere Etage aus und Gabriel räumt sie mit seinem Haushalt und den Kindersachen ein. Alex und ich verstauen Umzugskisten in den Keller, richten uns in den unteren beiden Zimmern ein. Vorübergehend.

    Vorübergehend, bis Gabriel wieder eine Bleibe für sich und die Kinder gefunden hat.

    Wir wohnen nun auf etwas engem Raum, zusammen mit Gabriel und seinen drei Kindern Talita, Kira und Ben, die an drei bis vier Tagen in der Woche das Haus in Schwingung bringen.

    Dadurch, dass Alex von Montag bis Donnerstag in einer Rehaklinik in Hessen arbeitet und dort in seiner kleinen Dienstwohnung bleibt, gewöhnen wir uns langsam an die ungewohnte Situation.

    Noch stehen überall Kisten herum, der Keller gleicht eher einer Lagerhalle, aber es ist ja Zeit genug, um in Ruhe allem seinen Platz zu geben.

    Eins nach dem anderen.

    Das neue Jahr fängt ja gerade erst an.

    Sonntag, d. 26. Januar 2020

    China meldet eine neue Virus-Infektion, dessen Ursprung ein Lebensmittelmarkt in Wuhan zu sein scheint. Ein unbekanntes Virus aus der SARS-Gruppe, das vermutlich von einem Tier auf einen oder mehrere Menschen übergesprungen ist und Lungenprobleme ausgelöst.

    Nun ja, China ist weit weg.

    Gab es das vor einigen Jahren in ähnlicher Form nicht schon einmal?

    Egal.

    Ich habe zurzeit ganz andere Sorgen.

    Auch heute, als in der Tagesschau Informationen gemeldet werden über weitere infizierte Menschen, ja, über bereits gestorbene Menschen, darüber dass Wuhan abgeriegelt wird und auch in anderen Teilen Chinas dieses Virus, das mittlerweile als Corona-Virus bezeichnet wird, aufgetaucht ist, habe ich, ganz ehrlich, andere Sorgen.

    Therese erholt sich nicht, wird immer weniger und schwächer.

    Sie kämpft, versucht sich über Wasser zu halten, wo es nur geht. Hält sich fest an jedem Zipfel, den sie zu fassen bekommt, und wir unterstützen sie.

    Zusammen mit dem Pflegedienst halten wir sie mit einem Gerüst an Hilfen aufrecht. Einem fadenscheinigen Gerüst, das an allen Ecken knackt und knirscht.

    Jeden Versuch mit ihr über einen Platz im Seniorenheim zu sprechen, wehrt sie entschieden ab. So weit ist sie noch lange nicht. Da will sie lieber gleich sterben. Sie schafft das noch. Es braucht nur etwas Zeit.

    In ihrem Geist ist sie rege und klar wie immer. Auch wenn ihr Körper das Gegenteil spiegelt, so ist sie letztendlich immer noch eine starke Frau.

    Ich bräuchte ein NEIN, mein NEIN.

    Aber ich schaffe es nicht.

    Die Kinder stürmen ins Haus mit Rotznase und kalten Händen. Sie husten, alle drei und mein hibbeliges Herz stolpert völlig aus dem Ruder.

    Gabriel braucht Hustensaft für alle drei, und hoffentlich klappt das heute Nacht mit dem Schlafen.

    Therese am Telefon findet ihre Brille nicht und das Essen heute Mittag kam kalt und viel zu früh bei ihr an. Der neue Anbieter von „Essen auf Rädern" bringt das Essen schon um elf. Dann ist es um zwölf bereits kalt. Aber, na ja, es wird schon gehen. Sie will sich ja nicht beschweren, aber es gab Zeiten, da lief das alles besser.

    Im Bad stapelt sich die Schmutzwäsche. Seit vier Wochen habe ich keine Zeile mehr geschrieben und meine Lieblingsbücher sind nicht mehr aufzufinden. Womöglich in irgendeinem Karton im Keller verstaut von Männern, die keine Ahnung davon haben, dass bestimmte Bücher immer in meiner Nähe sein müssen.

    Fühle mich mit einem Mal in meinem eigenen Leben nicht mehr zuhause.

    Als habe man mich in die Vergangenheit zurückgespült. Kinder, Pflege der Eltern, Wäsche, Großfamilienhaushalt, all das hatte ich doch schon einmal.

    Ich war doch gerade erst auf meinem Weg angekommen. Hatte den Job gekündigt, mir endlich meine Zeit zum Schreiben genommen. Und nun?

    Heulend ziehe ich mich in meinen Sessel zurück.

    Mit dem Sessel geht es mir wie Therese. Er ist meine Zuflucht, mein heiliger Ort und mit dem Blick in den Garten, mein Tor zum Universum. Hier kann ich so unsichtbar werden, dass mich selbst die Kinder nicht bemerken.

    Alex allerdings bemerkt mich gleich.

    „Genug, sagt er, „jetzt reichts, wir packen ein paar Sachen zusammen und hauen ab.

    Noch nicht einmal zwei Stunden später, sitzen wir zusammen in seiner kleinen Dienstwohnung, essen gegrillten Lachs mit Salat aus dem Restaurant gegenüber und schauen uns Rosemunde Pilchers HerzSchmerz Film im Fernsehen an.

    Drei Tage Abstand in der kleinen Wohnung mit Essen, Büchern, Fernsehen.

    Schon ist alles wieder gut.

    Freitag, d. 31. Januar 2020

    China riegelt weitere Metropolen ab.

    Vereinzelte Länder überlegen, ihre Landsleute aus den gefährdeten Gebieten herauszuholen.

    Fast zur gleichen Zeit meldet Bayern den ersten Fall eines mit dem Coronavirus infizierten Mannes.

    In einer Firma, die eng mit chinesischen Firmen zusammenarbeitet, gab es einen Workshop.

    Eine Frau aus China, offenbar nichts ahnend mit dem Virus infiziert, gab das Virus hier weiter.

    Der Mann aus Bayern befindet sich in Quarantäne, abgeriegelt in einer bayrischen Klinik.

    Heute nun berichten die Nachrichten über sieben weitere Mitarbeiter dieser Firma, die sich mit diesem Virus infiziert haben.

    Und China meldet plötzlich über 10.000 infizierte Menschen.

    Was ist denn da los?

    Ich laufe durch den Park. Es regnet, ich bin so gut wie allein auf den aufgeweichten Wegen.

    Ein Virus, denke ich, das werden die doch hoffentlich schnell wieder in den Griff bekommen.

    Mich fröstelt. Der Nieselregen dringt bis auf meine Haut. Die Sonne bleibt heute hinter den Wolken. Frieren macht keine Freude.

    Meine Gedanken springen von Therese nach China und zurück.

    Bin ich beunruhigt?

    Etwas vielleicht.

    Seit Jahren bin ich immer irgendwie beunruhigt. Das ist nichts Neues.

    Manchmal fühlt sich das an wie die träge Gewohnheit des Kopfes, der nicht begreift, weil er nicht begreifen will.

    Der Kopf, der sich klüger vorkommt als der Bauch.

    Dabei hängt mein Bauch längst schon wieder in einer Spagatspannung, die ich zwar fühle, aber ignoriere.

    Er kennt das schon. Da braucht es mehr.

    Mehr Schmerz, mehr Brennen und Ziehen, mehr Herzgepolter. Wie immer weiß er mehr, als mir lieb ist.

    Samstag, d. 1. Februar 2020

    Nur einen Tag später, nämlich heute, holt die Bundeswehr 120 Deutsche aus China zurück nach Deutschland.

    Alle müssen umgehend für vierzehn Tag in Quarantäne, und zwar in einer Kaserne in der Pfalz.

    Was geht denn jetzt ab?

    Da scheint die Politik aber sehr beunruhigt zu sein?

    Wie gefährlich ist dieses Virus, wenn solch ein Aufregung herrscht?

    Wie gut, dass wir hier nichts mit China zu tun haben.

    Spannend das Ganze irgendwie, aber nun ja, die Politiker scheinen ja alles im Griff zu haben.

    Und China?

    China ist immer noch weit weg.

    Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass zwei der zurückgeholten Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind.

    Na, Gott sei Dank, hat man das schnell bemerkt.

    Die Nachrichten melden, dass die WHO von einer internationalen gesundheitlichen Notlage ausgeht.

    Was heißt denn das?

    Beim Wetterbericht ruft Therese an und hat heftige Schmerzen im Fuß.

    Nein, sie versteht mich nicht am Telefon und was sie denn nun machen soll?

    Alex Augenschatten verdichten sich. Ich ziehe mir die Jacke über und wir fahren los.

    Eine gesundheitliche Notlage, denke ich, das kenne ich.

    Montag, d. 03. Februar 2020

    Mein Bauchgefühl, das seit Tagen um Therese kreist, bekommt die Bestätigung.

    Meine wieder einmal nicht ernst genommene Intuition baut sich breitbeinig in mir auf und schüttelt den Kopf.

    An diesem trüben Regentag macht der Hausarzt seine monatliche Hausvisite bei Therese, um ihr Blut abzunehmen.

    „Bitte setzen Sie sich hier auf den Stuhl, sagt der Arzt, „und machen Sie den Arm frei.

    Therese rollt langsam mit ihrem Rollator heran, fühlt den Stuhl hinter sich, lässt sich fallen, erwischt nur die Stuhlkante.

    Ohne den Hauch einer Körperspannung fällt sie wie ein Stein und schlägt auf den Boden auf.

    Ich weiß, wie Therese fällt, wenn sie fällt.

    Da gibt es kein Halten, sie fällt mit dem ganzen Gewicht ohne Widerstand.

    Ich habe das selbst erlebt.

    Vor ein paar Jahren, als sie mir ohne Vorwarnung auf die Straße sackte, während ich sie untergehakt am Arm hatte.

    Ich weiß, dass in solch einer Situation selbst der Hausarzt keine Chance hatte. Der allerdings weiß das nicht und macht sich heftige Vorwürfe.

    Zumal er gleich erkennt, dass Thereses Oberschenkel durch ist.

    So ruft er als Erstes den Krankenwagen, dann ruft er mich.

    Er ist am Boden zerstört.

    Ich dagegen bin wie angefixt.

    Ich habe es geahnt, nein, gewusst habe ich es. Das konnte nicht gutgehen. Warum muss erst immer etwas Schlimmes passieren?

    Das war doch vorauszusehen. Warum haben wir nur so lange den Kopf in den Sand gesteckt?

    Ohne lange zu überlegen, werfe ich mir die Jacke über und fahre los.

    In strömendem Regen wartet ein völlig frustrierter und bis auf die Knochen durchnässter Hausarzt vor Thereses Haustür.

    Er kann es nicht fassen.

    Platzregen prasselt an ihm herunter.

    Der scheint ihm gerade recht zu kommen.

    Ich bin so wütend, dass ich ihn nur zu gerne im Regen stehen lasse.

    Nein, ich bitte ihn nicht in meinen Wagen.

    Lasse ihn im Regen stehen und sich erklären.

    Was ist passiert? In welches Krankenhaus wird sie transportiert?

    Ja, es tut mir auch leid und ich melde mich später bei ihm.

    Hin und hergerissen zwischen Ärger, Angst und auch Erleichterung, denn, Gott sei Dank, war der Arzt bei ihr, als sie fiel, packe ich ihre Reisetasche mit Nachthemden, Handtüchern, Toilettenbeutel und mache mich auf den Weg ins Klinikum.

    Ich wusste es, ich wusste es, ich wusste es.

    Sie war seit Wochen viel zu schwach, um sich alleine zu versorgen.

    Da reichten auch unsere Hilfe und die ambulante Hilfe des Pflegedienstes nicht aus.

    Es war eine Frage der Zeit, bis so etwas passieren würde. Verdammt, ich wusste es.

    Immer wieder schiebt sich das Bild des Hausarztes vor mein inneres Auge. Er hat die Schwarze-Peter-Karte gezogen, dabei hätte es jeden von uns treffen können. Alex, mich, die Caritas-Pfleger. Jeden.

    Weil es über kurz oder lang passieren musste.

    Im Grunde genommen bin ich wütend auf mich selbst. Warum nur höre ich nicht auf meine Intuition?

    Ich hetze über die Schnellstraße, fluche, nehme die Vorfahrt, vergesse mein Handy, fluche weiter, bis die tiefenentspannte Empfangsdame der Ambulanz mich erst einmal ausbremst.

    Setzen Sie sich, sie wird noch untersucht.

    Ich sitze. Ich warte. Ich rege mich ab.

    Manchmal muss etwas Schlimmes passieren, damit nicht noch etwas Schlimmeres passiert, denke ich.

    Sie lebt. Der Hausarzt war bei ihr.

    Sie war nicht allein.

    Und dann liegt sie auf der Pritsche in der Ambulanz und wird für eine sofortige OP vorbereitet.

    Hast du alles Notwendige mitgebracht? Ja, alles in deiner Tasche.

    Hast du die Schlüssel? Habe ich.

    Hier noch meinen Ring, steck ihn ein und wo ist meine Handtasche?

    Hier, habe ich alles hier und den Ring stecke ich in dein Portemonnaie.

    Noch eine kurze Umarmung und schon muss ich raus und sie rein in den Operationssaal.

    Rufen Sie heute Abend an, dann wissen wir mehr, verspricht die Ärztin.

    Die Operation verläuft gut.

    Meine Schwiegermutter schafft das wunderbar trotz ihrer 96 Jahre.

    Nein, ich will mir heute keine weiteren Gedanken darüber machen, wie es weitergehen wird.

    Bereits am nächsten Tag wird sie auf die Normalstation verlegt, ist ansprechbar und orientiert.

    Na, Gott sei Dank.

    Am Nachmittag kommt die Information aus dem Klinikum, dass sie bei weitem noch nicht ansprechbar ist.

    Es geht ihr gar nicht gut. Sie weiß nicht, was passiert ist und wo sie sich befindet. Sie ist desorientiert und verwirrt.

    Die Narkose, vermutet die Stationsärztin.

    Das wird schon.

    Ich bin alleine zuhause.

    Alex kümmert sich in der Rehaklinik um seine Patienten und hat gerade eine Menge Stress.

    Gabriel arbeitet in der Uni. Die drei Kinder sind bei ihrer Mama Ella.

    Pia wohnt eine Stunde weit entfernt. Bringt gerade Jonas zum Fußballtraining und Nella, unseren kleinen Springinsfeld zum Ballett.

    Ich bin allein mit mir und meinen Gedanken und, was mache ich nun?

    Reden, denke ich, ich muss jetzt erst einmal reden.

    So stürze ich mich in Aktivismus, informiere alle wichtigen Leute wie den Pflegedienst, die Krankenkasse, die Nichten.

    Laufe von hier nach da.

    Finde mich schließlich in meinem Sessel wieder und atme.

    Mittwoch, d. 05. Februar 2020

    Kira ist krank. Hustet, fiebert, liegt völlig abgeschlagen in Gabriels Arm.

    Auch ihre Geschwister, Talita und Ben kränkeln.

    Sie bringen die Infekte aus der Schule oder aus dem Kindergarten mit.

    Kindergarten und Grundschule sind die reinsten Virusschleudern.

    Fängt sich ein Kind eine Virusinfektion ein, bekommen sie alle und verteilen die Viren oder Bakterien zu Hause. Gabriels beiden Mädchen trifft es besonders häufig und manchmal husten sie sich die Seele aus dem Leib.

    Therese wird auf der Normalstation verlegt und kommt langsam zurück in die Welt.

    Vielleicht ist ja alles noch einmal gut gegangen.

    Es schneit.

    Ich stehe am Fenster, lasse mich verzaubern vom sanften Torkeln der Flocken, dem blitzblanken Weiß, das sich über den Garten legt und ihn beruhigt.

    Als Kind war mir der Winter die allerliebste Jahreszeit.

    In meinem kleinen Dorf blieb der Schnee von November bis oft weit in den April hinein liegen.

    Wir Kinder waren Winterkinder.

    Den Tag verbrachten wir am Rodelhang oder den zwei Skihängen mit Liften.

    Jeder von uns besaß Skier und Schlitten.

    Im Winter gab es nach der Schule kein Halten mehr.

    Wir lebten draußen, so oft wie es ging. Der Schnee war Spielplatz, Freizeit, soziales Netzwerk.

    Unsere Eltern kümmerten sich nicht darum, auf welchen Hängen oder Schneewiesen wir uns herumtrieben. Es reichte, wenn wir abends zuhause waren.

    An manchen Tagen schmerzen unsere Hände vor nasser Kälte, und manch einer pinkelte sich in die Hose, weil die Toilette zu weit und die Zeit im Schnee zu kostbar war.

    Wenn ich heute den Schneeflocken zuschaue, sehe ich uns als Kinder.

    Sehe die schneebedeckten Hänge, rieche die kalte Luft, fühle die nasse Kälte auf der Haut. Bin so dankbar für diese Zeit im kleinen Dorf.

    Am 10. Februar würde mein Vater, wenn er denn noch leben würde, seinen hundertsten Geburtstag feiern.

    Mein Bruder und ich planen mit der gesamten Familie ein gemeinsames Kaffeetrinken mit Kuchen und Klönen, im Elternhaus im kleinen Dorf.

    So wie in alten Zeiten. Das würde Papa gefallen.

    Auch Papa war ein Schneekind. Am Tag seiner Beerdigung fegte ein Schneesturm über den Ort, der sich gewaschen hatte. Die Grabrede des Pfarrers ging im Wind unter. Die Trauergemeinde zog die Krägen hoch und die Mützen tief ins Gesicht. Ich hatte so ein Gefühl, als habe sich Papa auf diese Weise von uns verabschiedet. Aber vielleicht irre ich mich auch.

    Am Mittag geht es Kira gar nicht gut.

    Das Fieber steigt auf über 40°. Sie ist matt und apathisch.

    Gabriel trägt sie ins Auto und fährt mit ihr in die Ambulanz des Klinikums.

    Die Ambulanz ist geschlossen, öffnet erst gegen

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