Zuhause bin ich selbst: Ein Mutter-Tochter-Lesebuch auf Reisen
Von Martina Burandt und Franca Luisa Burandt
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Über dieses E-Book
Im Gepäck der alte Hund Jay und Schreibwerkzeug, damit wird Jetziges wie Vergangenes an jeder neuen Station dieser Reise erfahren, diskutiert oder gleich aufgeschrieben – sei es als Reisenotiz, als Fiktion oder als Gedicht. Von Ort zu Ort lernen sie, ihr Leben aus neuen Blickwinkeln zu sehen und werden immer neugieriger. Auch das enge Zusammensein als Mutter und erwachsene Tochter, die Frage nach Verbindung und Autonomie, bewegt sie. Ihre Beziehung zu reflektieren, führt sie zurück in ihre Kindheit und schließlich bis hin zu den Generationen vor ihnen.
Dabei wird der Begriff Familie zu einer weiten Fläche, wo sich Menschen mal hier, mal dort, an einer Weggabelung treffen, vielleicht ein Stück gemeinsam gehen, um sich dann wieder zu verabschieden: „Auf bald! Die Reisen von May und Lou sind noch lange nicht zu Ende.
Ein sinnliches, poetisches wie mutiges Buch: Mutter und erwachsene Tochter stellen sich die Fragen, die sie schon immer von der anderen beantwortet haben wollten. Ein mitreißender Leitfaden für intensive Gespräche zweier Menschen, deren Verhältnis als Mutter und Tochter so besonders ist. Das Buch für alle Mütter und alle Töchter.
Martina Burandt
Martina Burandt, aufgewachsen am linken Niederrhein, zog nach Abschluss ihres Studiums in Göttingen, 1989 für ein Redaktionsvolontariat nach Bremen. Heute arbeitet sie in der Hansestadt als freie Autorin, Journalistin, Künstlerin und Yogalehrerin. Ihre Lyrik und Prosa hat sie in Anthologien und auf zahlreichen Lesungen veröffentlicht. 2018 erschien ihr Lyrikband „Ihre seidenen Flügel an Wäscheleinen“ im Omnino Verlag, Berlin. Seit 2012 ist sie Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller*innen und im Bremer Literaturkontor. www.martinaburandt.de
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Buchvorschau
Zuhause bin ich selbst - Martina Burandt
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN (Print): 978-3-95894-203-5
ISBN (E-Book): 978-3-95894-204-2
© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2021
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, Vorbehalten.
Illustration und Collagen: F. und M. Burandt
Autorinnenfoto: Caren Wuhrer
Covergestaltung und Satz: Johannes Fait, www.faitschlichter.com
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
EINFÜHRUNG
Ein guter Platz und Zeit für mich –
dies bringt mich in andere Welten.
Im Dämmerlicht sitze ich am Ufer der Nacht.
Ich sehe verlassene Stühle,
Bäume wie Märchenriesen unter rosa Wolken;
dazwischen Fledermäuse.
Immer wieder reisen,
an schönen Plätzen verweilen,
wieder heimkehren.
G
EDICHTAUSZUG
: M
ARTINA
B
URANDT
Mutter und Tochter – May und Lou – machen sich im Sommer auf den Weg vom Westen, wo sie beide aufgewachsen sind, Richtung Osten. Dahin, wo ein Teil ihrer Vorfahren herkommt. Da wollen sie hin.
Ausgehend von der Route, auf der ihre Ahnen zum Ende des Zweiten Weltkriegs von Ost- nach Westdeutschland flohen, spüren sie ihren Vorstellungen von Herkunft und Heimat nach.
Sie lassen sich Zeit. Nicht die Herkunftsorte sind das Ziel, sondern die Auseinandersetzung mit den Beziehungen zueinander und zu den Ahnen.
Im Gepäck der alte Hund Jay und Schreibwerkzeug, wird Jetziges wie Vergangenes an jeder neuen Station der Reise sinnlich erfahren oder diskutiert.
Bewusst wählen sie einfache und flexible Unterkünfte, in denen sie sich noch besser auf das Wesentliche konzentrieren können. Ein kleiner Wohnwagen, ein Bauwagen, ein alter Kuhstall, kleine Hinterzimmer bei Freund*innen.
Mit der Gewissheit, jederzeit ohne großen Aufwand wieder abreisen zu können, halten sie das Gefühl aufrecht, Reisende zu sein. Ihre Herkunft, ihr Zuhause entdecken sie so immer wieder in Fremdem, in Neuem wie in Vergangenem; in anderen Menschen, die ihre Wege kreuzen, und letztendlich auch in sich selbst. Der Begriff der „Heimat" bleibt dabei eher eine Fragestellung, als ein fester Punkt auf der Landkarte.
Bei ihren äußeren und inneren Reisen schreiben sie auf, was sie sehen, hören, schmecken, träumen und phantasieren. Auch das enge Zusammensein von Mutter und erwachsener Tochter bewegt sie, denn beide führen längst ein voneinander unabhängiges Leben. Ihre gegenseitige Beziehung zu reflektieren, führt beide zurück in ihre Kindheit und noch weiter, bis hin zu ihren Ahnen.
Diese gemeinsame Zeit wirft viele Fragen neu auf. Wie ähnlich sind sich Mutter und Tochter wirklich? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo gibt es Unterschiede in der Auffassung vom Leben? Wie weit reichen persönliche Eigenschaften, Ängste, Vorlieben, Begehren, Verhaltensweisen in frühere Generationen zurück?
Und auch die Frage nach Verbindung und Autonomie beschäftigt beide. Wie schaffen es Eltern und Kinder, hier Mutter und Tochter, sich gleichzeitig ihrer gemeinsamen Wurzeln bewusst zu sein und sich voneinander unabhängig zu machen, eigene Wege zu gehen?
Ist es für Eltern und Kinder wirklich immer möglich, die dabei vielgepriesene Augenhöhe der Beziehung einzuhalten? Wie anders könnten wir uns gegenseitig ernst nehmen? Dabei sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es auch in Augenhöhe genauso gut zu Trennungen wie zu besonderen Verbindungen kommen kann – und wenn auch alles nur temporär ist und immer wieder neu. Denn lieben heißt auch verlassen und wer verlässt kann genauso gut wieder zurückkommen.
M
AY ERINNERT SICH
:
Als Mutter habe ich all diese Geschichten über meine Töchter im Kopf. Was Lou betrifft, beginnt es mit der Nabelschnur, die sich bei der Geburt um den Hals gewickelt hatte. Ich erinnere mich an meine selbstverständliche Sicherheit darüber, dass sie keinen Schaden erlitten hatte und auch an mein Erstaunen darüber, dass sie genauso perfekt war wie ihre größere Schwester und dabei so vertraut und doch ganz anders.
Ihr verzweifeltes Weinen als Fünfjährige beim Zu-Bett-bringen, als ich ihr die Erfüllung eines Wunsches nicht Zusagen konnte. „Mama, wenn ich heirate, soll alles so sein, wie auf eurer Hochzeit. „Alle sollen kommen und dort am Weserufer feiern mit Musik und Tanz.
– „Aber das geht doch nicht", lautete meine ernüchternde Antwort. Denn schließlich hätte sie dann doch ganz andere Freunde und Freundinnen und eine neue Familie käme dazu. Und da weinte sie noch mehr.
Wenn ich an die Verbindung zu meinen Töchtern denke, erinnere ich mich auch an eine Porzellanskulptur, die ich einmal nach einem Gemälde von Egon Schiele angefertigt habe. Eine mädchenhaft junge Frau hängt in einer sich auflösenden und dennoch im Ausdruck starken Verbindung an einer älteren Frau. Während ich die Skulptur fertigte, habe ich diese gegensätzlichen, starken Impulse von Anbindung und Ablösung regelrecht körperlich empfunden.
Love it and leave it: Wenn ein Kind zur Welt kommt, ist es zunächst abhängig – wir Menschen werden als Nesthocker geboren. Aber dann kommt immer mehr die Frage auf, wie die Beziehung weitergehen soll, wenn das Kind „flügge" wird und das Nest verlassen will. Manche wollen vielleicht den sicheren Hafen auch gar nicht so schnell verlassen. Und manchmal ist es ja auch so, dass man gleichzeitig fortgehen und bleiben will.
Kinder müssen sich von Eltern lösen, um die Welt auf ganz eigene Weise zu erfahren. Aber auch Eltern müssen sich von ihren Kindern befreien. Und wie kommt man dann wieder zusammen?
Beruht eine gelungene Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht letztendlich vor allem auf einem gegenseitigen Interesse, auf Austausch und einem immer wieder neuen Verbinden und Loslassen?
Als der 18. Geburtstag meiner Tochter Lou näher rückte, sahen wir gemeinsam den Film „Kirschblüten Hanami" von Doris Dörrie. Eine Frau, hier gespielt von Hannelore Elsner, hat die große Sehnsucht danach, den japanischen Butoh-Tanz zu erlernen. Während des Films gibt es einige Szenen dieses expressiven Ausdruckstanzes zu sehen, der unter anderem auf der Idee basiert, dass wir in unserem Lebenstanz auf den Knochen unserer Vorfahren tanzen und dass alles miteinander verbunden ist.
Lous größter Geburtstagswunsch war dann an mich gerichtet: „Mama, ich wünsche mir, zusammen mit dir Butoh zu tanzen? So meldete ich uns beide bei einem zehntägigen Workshop bei einem Butoh-Meister in Göttingen an. Während dieses gemeinsamen Abenteuers lernten wir uns neu kennen. Lou begegnete zum ersten Mal meiner Schüchternheit, was sie wiederum zunächst hemmte. Nur Reden half uns weiter und gegenseitige Ermutigung.
Unsere Vorstellungskraft reicht in unserer auf Funktionalität und Selbstverwirldichung ausgerichteten Welt oft nicht aus, um die Komplexität und Vernetzungen unseres Daseins zu durchdringen. Und so machten wir auch in der folgenden Zeit unterschiedliche Erfahrungen mit Butoh, mit unseren Ahnen und mit den Verbindungen zu den Elementen dieser Welt.
Wir haben gelernt, unser Leben aus neuen Blickwinkeln zu sehen und wurden immer neugieriger. So sind wir weiter auf diesem Weg geblieben. Zeitweise zusammen, zeitweise getrennt. Ich im Norden, Lou im Süden. Zwischenzeitlich schafften wir uns einen kleinen alten Wohnwagen an. Wofür auch immer, dachte ich zunächst.
Am Anfang wie am Ende dreht es sich doch immer um die Nabelschnur zwischen innen und außen, nah und fern, zwischen Mutter und Kind – diese Verbindung zur Welt, im Kleinen wie im Großen, die auch nach der Ablösung vom „großen Wunderkuchen" der Ursprungsverbindung nie aufhört. Schau einfach auf deinen Nabel, erinnere dich und höre auf deinen Bauch.
Schon bald kamen wir auf die Idee, unsere gemeinsame Reise fortzusetzen – Richtung Osten, Richtung Herkunft. Und dies kurz nachdem Lou zur Ausbildung in ein anderes Land gezogen war.
L
OU ERINNERT SICH
:
Wie kam das gemeinsame Interesse auf, über unsere Familie und uns zu schreiben und das miteinander anzugehen? Während meiner letzten Schuljahre haben wir bereits schreibend zusammengearbeitet, ein paar Lesungen gemacht, mit Kolleginnen von uns beiden. Das sind gute Erinnerungen. Das waren auch die ersten Momente, in welchen ich mich mit meinem Schreiben an eine Außenwelt wandte.
Nach meinem Schulabschluss ist das gemeinsame Schreiben – abgesehen von Briefwechseln – erstmal versandet. Ich ging ins Ausland, studierte Tanz und Theater, beschäftigte mich vordergründig mit meinem Körper als Schrift in Räumen. Text und Verbalsprache begleiteten mich jedoch weiterhin und sind bis heute essenzielle Ausdrucksmedien für mich, nicht zuletzt in Verbindung mit Bewegung und Tanz.
In dem Jahr nach meiner ersten Ausbildung, ich lebte inzwischen wieder in Deutschland, fanden meine Mutter und ich künstlerisch wieder zusammen – May