Ich - Du - Wir: Beziehung leben
Von Willi Lambert
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Über dieses E-Book
Wie kann man damit umgehen? Wie lässt sich das "Ich" und "Du" im Zusammenspiel als ein "Wir" leben? Hinweise dazu gibt ein Meister der Kommunikation, Ignatius von Loyola (1491-1556). Seine zentrale Botschaft - "Die Liebe besteht im Kommunizieren von beiden Seiten" - dies gilt für persönliche Begegnungen wie für gesellschaftliche Situationen; ebenso für die Beziehung zu sich selber und zu Gott.
Willi Lambert
Willi Lambert SJ, geb. 1944, langjähriger Spiritual am Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom; Exerzitienbegleiter und kirchlicher Assistent der "Gemeinschaft christlichen Lebens". Zahlreiche Veröffentlichungen zum geistlichen Leben. Zuletzt bei Herder (zusammen mit Melanie Wolfers): "Dein Angesicht will ich suchen. Sinn und Gestalt christlichen Betens".
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Buchvorschau
Ich - Du - Wir - Willi Lambert
1. Wer lebt, kommuniziert
Fürs Leben demonstrieren
11. August – an diesem Tag möchte ich mit der Einführung für »Leben in der Wir-Welt« beginnen. Es ist 6.45 Uhr. Ich wache auf und sehe an einem Kleiderbügel ein Hemd, mein Hemd, mit der Aufschrift: »Friede und Versöhnung statt Lüge, Hass und Zerstörung«. Ich habe mir das Hemd vor einigen Monaten machen lassen und am Tag der Europawahl zum ersten Mal angezogen und bin damit zur Wahlurne gelaufen. Ich bin von Natur aus kein ausgesprochener Straßen-Demonstrierer; am auffälligsten war diesbezüglich meine Teilnahme an der Fronleichnamsprozession in meiner Heimatstadt Ravensburg. Aber in den letzten Jahren wuchs in mir der Satz »Es reicht jetzt«. Die Welt, die Zustände und die Menschen unserer Welt sind in einer Weise in unseren Medien präsent, dass es jedes Mal schmerzt. Über Kriege, Gewalt, Hungersnöte wurde immer schon berichtet. Aber dass die Worte »Lüge« bzw. »fake-news« und Hass und Aufruf zu Gewalttaten – »ein Galgen ist noch frei«, »ab ins Gas«, »Ausländer raus« usw. – fast täglich genannt werden, das ist uns näher und erschreckender auf den Leib gerückt als zuvor; nähergekommen durch das Schicksal der Flüchtlinge und durch unsere unbedachte Rücksichtslosigkeit, mit der wir mit unserer Umwelt umgehen und sehenden Auges den Ast absägen, auf dem wir sitzen.
»Wir haben es nicht gewusst« wird nicht in den Geschichtsbüchern kommender Zeiten stehen: Im Jahr 2019 war die Erinnerung an 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in den Medien präsent; ebenso die 80 Jahre seit Beginn des Zweiten Weltkrieges mit über 50 Millionen Toten und dem anschließenden Ruf »Nie wieder Krieg!«. Dann auch die Feier »70 Jahre Grundgesetz« der Bundesrepublik Deutschland: »Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand«. Auch die Losung »Die Würde des Menschen ist unantastbar« wird oft zitiert, aber auch gefragt: Ist sie wirklich unantastbar? Sie wird nicht nur angetastet, sondern mit Füßen getreten; freilich, oft wird für sie auch unter Einsatz des Lebens gearbeitet und gekämpft.
Leben in der Wir-Welt
Wir-Welt
Was will die Überschrift »Leben in der Wir-Welt« aussagen? Sie geht auf meinen Vater zurück. Er hatte lange auf das Jawort meiner Mutter warten müssen. Sehr lange. Sie sagte später einmal: »So hätte ich am Glück meines Lebens vorbeigehen können …« Das Glück einer Kriegsehe. Das Verlobungswort gab meine Mutter ihm im Juli 1939. Für meinen Vater war dies ein großes Aufatmen: »Du bist mein Leben«, schrieb er in einer ersten kurzen brieflichen Antwort. Im August schrieb er an sie: »Dies ist vielleicht schon mein letzter Brief. Ich habe den Einberufungsbefehl bekommen.« Wenige Wochen später begann der Krieg, dem er zum Opfer fiel. In einem seiner Briefe, in dem er auf die Heirat im Jahr 1942 vorausschaute, träumte er: Wir werden in der Kirche sein, die Stola des Priesters wird unsere Hände umschließen und Gott wird unseren Bund fürs Leben segnen. Und dann werden wir aus der Kirche hinaus in die Welt gehen und ihr einen Namen geben, den Namen »Wir«.
Bevor ich diesen Brief las, hatte ich Jahre zuvor schon vom »Wunder des Wir« gesprochen, und jetzt durfte ich dies lesen als Ausdruck meines Vaters für die gemeinsame Lebenswelt mit meiner Mutter und mit Kindern, die sie sehnlich erhofften. Das Wunder des Wir von einem Ich und Du, von Mann und Frau, von mir und den andern, von meinem Land und andern Nationen, von Freunden und ehemaligen Feinden – dieses Wunder kann einem größer vorkommen als eine schnelle, »wunderbare« Heilung von einer Krankheit. Und wenn wir dieses Wunder gefährden, leichtsinnig aufs Spiel setzen – welche Grausamkeit und Unmenschlichkeit! Einen Ausweg daraus oder eine Bewahrung davor finden wir sicher nicht im aggressiven Gegeneinander, sondern nur im suchenden Miteinander. Andernfalls ertrinken Menschen nicht nur im Mittelmeer und auf verschwindenden Inseln und Küstenstreifen, sondern in einem weltweiten menschlichen Tränenmeer.
Miteinander – Gegeneinander
Am 8. August denke ich nicht nur an die Tage der Atombombenabwürfe auf Hiroshima am 6. und Nagasaki am 9. August, sondern immer auch an ein sehr persönliches Erleben. Mein Vater war im Juli 1944 im Krieg südöstlich von Lemberg gefallen, und man musste ihn dort liegenlassen. Durch bewegende Zusammenspiele ergab es sich, dass ich 2005 durch Hinweise einer Dienststelle für Wehrmachtakten den Ort seiner Grablege erfuhr. Und so stand ich am 8. August – dem Geburtstag meines Vaters – an seinem Grab hinter einer Holzkirche auf einer freien Wiese. Zu dritt waren wir. Wir, das heißt ein ukrainischer Theologiestudent, ein polnischer Priester und ich, und beteten gemeinsam ein »Vater unser«. In einer eigenen Mischung von leise und sehr klar war in mir der Gedanke da: »Europa durch Versöhnung!« Die Söhne von Eltern, deren Generation sich einmal als Feinde, als Todfeinde, als Erzfeinde gegenübergestanden war und andere gar als »Untermenschen« angesehen hatte, beteten ein »Vater unser«, waren ein Wir. Verschieden, aber im Miteinander.
Eine gegenteilige Sicht auf das Miteinander sah ich auf einem Brückenpfeiler vor dem Dresdner Hauptbahnhof geschrieben: »Wir gegen die!« Wer sind die »Wir«? Wer die Wir, die sich im »Gegen« definieren? Und wer sind die »die«? Einfach »die anderen«? Die, welche anderer Meinung sind als ich, als wir? Sind »die« die Flüchtlinge? Die politischen Gegner? Oder wer? Oder sind wir manchmal uns selber ein Gegeneinander? So wie Paulus einmal sagt: »Was ich will, das tue ich nicht, und was ich tue, das will ich nicht.« Wie tragen wir das »Gegen« aus – noch in einem menschlichen Miteinander oder im bloßen Gegeneinander? Mit Respekt oder im bloßen Hass und in Lügenkampagnen? Im Gespräch oder im Niederreden und pausenlosen Wörterbeschuss und in Schlag-Zeilen? Im Ignorieren, im Argumentieren? Im Zuhören und im Versuch zu verstehen? Oder im Hassen?
Wer ist » Wir«?
Das Personalpronomen taucht in letzter Zeit relativ oft in Feuilletons, auf Plakaten usw. auf. Auch in Sprechchören wie »Wir sind das Volk«, parteipolitisch: »Das Wir entscheidet« (SPD), gesellschaftlich: »Wir gegen die«, als bayerische Selbstvergewisserung: »Mir san mir«. Es wird auch immer wieder in fast beschwörenden, predigthaften Worten und Appellen gebraucht, man wolle und solle sich nicht auseinanderdividieren lassen, müsse sich schützen vor einer Spaltung der Gesellschaft und demokratisch kultiviert Auseinandersetzungen führen. Der Grundtenor ist: Pflegt das Wir, seid »nahe beim Menschen«, dann könnt ihr leben, zusammenleben. Dies ist die positive Variante.
Es gibt andere Formen von Wir-Bildung und Wir-Ideologie, in denen das »Wir« Ich und Du und wirkliches Begegnen erschwert, ja verunmöglicht. Im Jahr 1920 erschien von Jewgeni Samjatin (1884–1937) der Roman »Wir«. Er spielt im »Vereinigten Staat«, einem Gebilde, das nach einem 200-jährigen Krieg und der »allerletzten Revolution« entstand. Dieser Staat besteht aus einer von einer Mauer geschützten Stadt; die Häuser dieser Stadt besitzen Wände aus Glas. Heerscharen von »Beschützern« wachen über das »Wohl« der Einwohner, deren Leben bis zum kleinsten Handgriff reglementiert ist, über allen steht ein übermächtiger »Wohltäter«. »Nummern« (gemeint sind Menschen), die sich gegen diese »Fürsorge« wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht. Was zählt, ist das Kollektiv. Im Laufe der Erzählung wird unter anderem die Möglichkeit einer Gehirnoperation entdeckt, die das Fantasiezentrum entfernt und somit Gedanken des Widerstands unmöglich macht. Nicht wenige sehen diesen Roman als prophetische Voraussage der Zeit des Stalinismus bzw., was uns in Deutschland näher ist, als eine Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus.
Für letztere Ideologie gibt es ein für mich sehr konkretes Zeugnis. Beim Herumstöbern in alten Akten in unserem seit 1921 bestehenden jesuitischen Exerzitienhaus in HohenEichen bei Dresden fand ich ein etwas zerfleddertes Exemplar eines Handbuches: UNSER LAGER. Richtblätter der Führungskräfte in den Lagern, herausgegeben vom Beauftragten des Führers für die erweiterte Kinderlandverschickung (KLV Heft Januar 1945). Dort werden als Schulungsmittel vorgestellt: Morgenfeiern, Heimabende (mit dem Monatsthema: Das Reich), Dienstunterricht, Sport, Pflichtlieder, Werkarbeit, Musikarbeit, Spielarbeit. Nachdem im Jahr 1941 die Geheime Staatspolizei (Gestapo) die Jesuiten aus unserem Haus vertrieb – einer der Mitbrüder, Otto Pies SJ, kam in das Konzentrationslager nach Dachau –, nutzte die Hitlerjugend dieses Gelände für die sogenannte »Kinderlandverschickung«. Dort wurden junge