Martins bittere Enttäuschung: Kinderärztin Dr. Martens 101 – Arztroman
Von Britta Frey
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Über dieses E-Book
Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert!
Das sonnenwarme Heidekraut knisterte unter den Füßen der Kinder. Die Luft war schwer und durchwürzt vom Duft des Wacholders, der Schafgarbe, der silbrigen Birkenrinde. In der Ferne zwitscherte ein Vogel, der gar nicht daran dachte, sich von dem Lärm, den die Kinder machten, vertreiben zu lassen. Die harten Stengel des Heidekrauts knackten und raschelten, winzige Staubwölkchen hingen in der Luft, die heiß war und flimmerte, schon jetzt am Vormittag. Julischwüle. Wie ein purpurfarbenes Meer, so dehnte sich die Heide aus. Und anstatt der Gischtflöckchen gab es hier schneeweiße Sandwege, die sich durch Brombeerranken und wilde Rosenbüsche, Besenheide und Birkengebüsch schlängelten. »Mir ist so heiß, Herr Hellrich!« beklagte sich der neunjährige Ulf bei seinem Klassenlehrer. »Mir auch, tierisch heiß!« stöhnte das ebenfalls neunjährige Sannchen prompt, das ja immer in Ulfs Horn tuten mußte. Und der plump gefutterte verschwitzte Berti ließ sich ächzend vernehmen: »Wann rasten wir denn? Mann, hab ich 'nen Hunger!« Mark Hellrich lachte. Sein unbekümmertes jungenhaftes Lachen. Ihm, dem sportlich-drahtigen Pädagogen aus Leidenschaft, konnte das Genörgel die gute Laune nicht verderben. Im Gegensatz zu seinen Schülerinnen und Schülern genoß er den Aufenthalt in der Heide, Hitze hin, Staub her. Ihn erfreute der Gesang der Heidelerche, das Zirpen der Heuschrekken und das Summen der fleißigen Honigbienen, die an den Kelchen der Calluna, der errötenden Schönheit der Lönsheide, hingen. »Wie, ihr lahmen Jung-Germanen, ihr wollt schon schlappmachen? Was seid ihr denn für eine müde Gesellschaft!«
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Kinderärztin Dr. Martens
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Martins bittere Enttäuschung - Britta Frey
Kinderärztin Dr. Martens
– 101 –
Martins bittere Enttäuschung
Die Wahrheit traf ihn furchtbar hart
Britta Frey
Das sonnenwarme Heidekraut knisterte unter den Füßen der Kinder. Die Luft war schwer und durchwürzt vom Duft des Wacholders, der Schafgarbe, der silbrigen Birkenrinde. In der Ferne zwitscherte ein Vogel, der gar nicht daran dachte, sich von dem Lärm, den die Kinder machten, vertreiben zu lassen.
Die harten Stengel des Heidekrauts knackten und raschelten, winzige Staubwölkchen hingen in der Luft, die heiß war und flimmerte, schon jetzt am Vormittag. Julischwüle.
Wie ein purpurfarbenes Meer, so dehnte sich die Heide aus. Und anstatt der Gischtflöckchen gab es hier schneeweiße Sandwege, die sich durch Brombeerranken und wilde Rosenbüsche, Besenheide und Birkengebüsch schlängelten.
»Mir ist so heiß, Herr Hellrich!« beklagte sich der neunjährige Ulf bei seinem Klassenlehrer.
»Mir auch, tierisch heiß!« stöhnte das ebenfalls neunjährige Sannchen prompt, das ja immer in Ulfs Horn tuten mußte.
Und der plump gefutterte verschwitzte Berti ließ sich ächzend vernehmen: »Wann rasten wir denn? Mann, hab ich ’nen Hunger!«
Mark Hellrich lachte. Sein unbekümmertes jungenhaftes Lachen. Ihm, dem sportlich-drahtigen Pädagogen aus Leidenschaft, konnte das Genörgel die gute Laune nicht verderben.
Im Gegensatz zu seinen Schülerinnen und Schülern genoß er den Aufenthalt in der Heide, Hitze hin, Staub her. Ihn erfreute der Gesang der Heidelerche, das Zirpen der Heuschrekken und das Summen der fleißigen Honigbienen, die an den Kelchen der Calluna, der errötenden Schönheit der Lönsheide, hingen.
»Wie, ihr lahmen Jung-Germanen, ihr wollt schon schlappmachen? Was seid ihr denn für eine müde Gesellschaft!« rief er schwungvoll und gab sich absichtlich besonders unternehmungslustig, um ja keine miesepetrige Stimmung aufkommen zu lassen.
Es war ja immer die gleiche Geschichte mit den Stadtkindern, die zum großen Teil völlig untrainiert waren und schon nach einem kleinen Spaziergang von einem halben Stündchen erschöpft zusammenbrachen. Sie waren leichte körperliche Anstrengungen nicht gewohnt.
Es lag wohl vornehmlich an der überwiegend kinderfeindlichen Stadtarchitektur, daß es nicht genügend Spiel- und Bolzplätze gab, ganz zu schweigen von den Bauspielplätzen für die aktiveren Kinder, die sich in ihren meist viel zu kleinen Wohnungen mopsten.
Mark Hellrich wußte, daß seitens der Stadt- und Gemeindeverwaltungen einfach nicht genug getan wurde für die Kinder. Die großen Menschen kümmerten sich wahrlich zu wenig um die kleinen, obwohl sich doch eigentlich längst herumgesprochen haben müßte, daß die kleinen Menschen von heute die großen von morgen waren.
»Wollen wir etwas singen?« schlug er vor, um die Kinder zu motivieren.
Sein Vorschlag wurde mit wenig Begeisterung aufgenommen.
Gut die Hälfte der zweiundzwanzig Kinder nahmen ihn gar nicht erst zur Kenntnis, sondern setzten ihre Unterhaltungen fort oder schleppten sich mit mürrischen Mienen weiter. Ihnen paßten die täglichen Spaziergänge grundsätzlich nicht, viel lieber wären sie in der Jugendherberge in Lüneburg geblieben und hätten sich’s vor dem Fernseher im Gemeinschaftsraum gemütlich gemacht.
Der Rest zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Was denn?«
Nicki sagte: »Mein Bruder hat sich die neue Langspielplatte von Peter Maffay gekauft. Das ist’n echt heißer Typ.«
Mark Hellrich zuckte nicht mit der Wimper, obwohl er die Reaktion der Kinder enttäuschend fand. Er erwiderte freundlich: »An Peter Maffay habe ich eigentlich nicht gedacht. Wie wäre es denn mit dem schönen alten Lied ›Es dunkelt schon in der Heide?‹«
Einige Kinder blickten ihn verdutzt an. »Kennen wir nicht«, bekannten sie im Chor. »Wer singt denn so was? Roy Black?«
»Der lebt doch gar nicht mehr«, teilte Britta, deren große Schwester eifrige Illustriertenleserin war, herablassend mit.
»Ich finde Howard Carpendale sowieso besser«, meinte Kerstin. »Als er neulich in Hamburg ein Konzert gegeben hat, war meine Mutter da. Es war ganz toll, hat sie hinterher gesagt.«
»So’n Quatsch«, murmelte Mike geringschätzig. »Schlager.«
Silke Greck, die die Klasse als Referendarin begleitete, verbiß sich nur mit Mühe ein Lachen. Sie warf Mark Hellrich einen belustigten Blick zu.
Siehste, signalisierte ihm ihr Blick, das haste nun davon, mein Lieber. Du mit deinen altmodischen Vorstellungen. Wo lebst du eigentlich? Im vorigen, dem romantischen Jahrhundert? Du, wir rasen mit Siebenmeilenstiefeln auf die Jahrhundertwende zu…
Mark Hellrich zuckte mit den Schultern. Na und? Die alten Werte waren ewig gültig, sie kamen nie aus der Mode. Er versuchte es unbeirrt noch einmal. »Wer kennt das schöne Lied vom Heidedichter Hermann Löns? Es heißt ›Ein leises Lied‹ und geht so: Alle Birken grünen in Moor und Neid…«
»Jeder Brombusch leuchtet wie Gold«, stimmte Silke ein, um ihm einen Gefallen zu tun. »Alle Heidlerchen dudeln vor Fröhlichkeit, jeder Birkenhahn kullert und tollt.«
Den Kindern war der Gesang der beiden Erwachsenen peinlich. Sie sahen sich an und kicherten.
»Kullert und tollt«, prusteten die beiden unzertrennlichen Freundinnen Dori und Tanni, eigentlich Doris und Tanja.
»Heidelerchen dudeln doch nicht.« Mike wollte sich vor Lachen ausschütten. »Als wir in den vorigen Ferien in Schottland waren, meine Eltern und ich, da haben wir richtige Dudelsäcke gesehen.«
»Dudelsäcke? Echt?« Martin Samstag interessierte sich sehr für das Thema. »Verkohlst du uns auch nicht? Was sind’n das?«
Mike erzählte jetzt von seinen Erlebnissen in Schottland, und der Heidedichter Löns war vergessen.
Silke schloß auf und blieb an Marks Seite. »Tut mir leid, Mark«, sagte sie mit absichtlich gedämpfter Stimme, damit die Kinder ihrer Unterhaltung nicht folgen konnten. »Das war ’ne ganz schöne Pleite, oder? Volkslieder sind heute nicht mehr gefragt.«
»Das kommt alles wieder«, meinte Mark Hellrich gelassen. »Ist ja nichts weiter als eine Modefrage, weißt du.« Er packte sie am Arm. »Bleib mal stehen und sag nichts, ja? Sieh mal, da drüben, da sonnt sich eine Kreuzotter.«
Silke erstarrte. »Müssen wir die Kinder nicht warnen?«
Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »I wo, ist ja nur eine ganz kleine, eine Mini-Kreuzotter. Ach schade, jetzt haben wir sie doch aufgeweckt. Wahrscheinlich durch das Getrampel.«
Sie beobachteten die kleine Schlange, die ihre Spirale löste und über den harten Boden glitt. Das purpurne Heidekraut knisterte und raschelte, als die Schlange den schuppigen Leib hindurchzog.
Silke wandte sich ab. Sie schützte mit der Hand die hellbraunen Augen gegen das grellgelbe Sonnenlicht. Ein leichtes Wehen brachte den Hauch sonnenwarmen Getreides herüber. In der Ferne wurde gemäht, ein Mähdrescher surrte über die Felder, schnitt wie eine Schere in die goldene knisternde Seide.
Still und staubig lag das Land da, in der Ferne begrenzt von einem Wäldchen, das aus mächtigen Buchen und Eichen bestand.
Die Kinder scharten sich noch immer um Mike, der lebhaft von seinen Ferien in Schottland erzählte.
»Eigentlich schade, daß sich die Kinder mehr für die Folklore anderer Länder interessieren als für die eigenen volkstümlichen Sitten und Gebräuche«, bemerkte Silke.
»Das mag möglicherweise an unserer ziemlich unrühmlichen Vergangenheit liegen, hat andererseits vielleicht aber auch mit der typisch deutschen Eigenschaft zu tun, die eigenen Vorzüge hinunterzuspielen, dafür die der Nachbarn hervorzuheben. Dem deutschen Michel mangelt’s offenbar an Selbstbewußtsein.«
Silke widersprach ihm spontan: »Ich bin vielmehr der Meinung, daß er davon zu viel hat. Manche unserer Landsleute führen sich doch reichlich angeberisch und großspurig auf, nicht wahr?«
»Das ist bestimmt keine typisch deutsche Eigenschaft, Silke. Wenn einige Deutsche sich unangenehm aufführen, sollte man das noch lange nicht als typisch deutsch abstempeln. Schlechtes Benehmen ist letztendlich international. Bedauerlicherweise.«
Sie schwieg. Es war schwer, mit ihm zu argumentieren, denn er war in den meisten Dingen wohlbewandert, überdies so herausfordernd gelassen. Ihn aus der Ruhe zu bringen, war praktisch unmöglich. Außerdem besaß er eine wirklich vorzügliche Allgemeinbildung sowie ein gutes Gedächtnis, beides war recht hilfreich bei hitzigen Diskussionen.
Er sah sie erstaunt an. »Na, kommt nichts mehr?« fragte er.
»Was soll denn noch kommen?« fragte sie, eine Spur schnippischer als vorher. Es ärgerte sie, daß er immer recht behielt. Und um seine Standhaftigkeit beneidete sie ihn ohnehin glühend.
»Dein letztes Wort natürlich.«
Er hatte das so unbefangen gesagt, daß es ihr schwerfiel, ihm die Bemerkung übelzunehmen. Was soll’s, dachte sie, insgeheim ihre mürrische Anwandlung rasch über Bord werfend, er ist halt unheimlich gescheit, ich mache mich ja lächerlich, wenn ich darauf eifersüchtig bin!
Sie lächelte ihm statt dessen zu und spornte einige Kinder, die schon wieder zurückgeblieben waren, an, sich etwas zu beeilen.
»Hopphopp, ihr kleinen Schlafmützen«, rief sie munter. »Es ist doch noch früh am Tag – und ihr trödelt schon herum!«
»Es ist so langweilig«, beschwerte sich der rothaarige Lutz.
»Und so heiß!« maulte die Nicki. »Wann sind wir endlich da?«
Mark Hellrich beschattete die hellblauen Augen mit der flachen Hand und sah sich um. »Och«, meinte er gedehnt, »bis wir in Ögela angekommen sind, dauert’s wohl noch ein Stündchen.«
»Ein Stündchen!« riefen Nicki und Lutz wie aus einem Mund und starrten ihren Klassenlehrer entsetzt an.