Von Pilzen und anderen Menschen: Erzählung
Von Cecily von Hundt
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Buchvorschau
Von Pilzen und anderen Menschen - Cecily von Hundt
Haus!
1
Unser Haus war alt, weißgetüncht, mit grünen Fensterläden, und lag in der Nähe von London. Meine Mutter deklarierte es gerne als Schloß. Aufgefordert oder unaufgefordert, da gab sie sich ganz unbefangen. Um ehrlich zu sein, wurde ihre Beschreibung seinen tatsächlichen Ausmaßen nicht wirklich gerecht, man könnte es als ein großes Herrenhaus bezeichnen, nicht mehr und nicht weniger. Meine Mutter hatte Findungsschwierigkeiten, auch was den Inneneinrichtungsstil betraf. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, es wäre der Einrichtung eines Schlößchens in der Toskana recht ähnlich. Jeder ungläubige Besucher, der zwischen den gefälschten Botticelli-Gemälden eher auf den klassischen, englischen Stil bestand, wurde von ihr eines Besseren belehrt. Sie konnte sehr hartnäckig sein, wenn sie wollte. Obwohl es kein Schlößchen war, weder ein italienisches, noch ein englisches, liebte ich das Haus sehr, mehr als ich seine Bewohner liebte. Wenn ich zurückdenke und überlege, war es vor allem der Garten, der es mir besonders angetan hatte. Er war wunderschön geraten, da mein Vater ihn unter seinen Schutz genommen hatte. Im Gegensatz zu Mama besaß mein Vater einen tatsächlichen Stammbaum. Das sah, merkte, roch, ja schmeckte man förmlich. Mama gab sich verzweifelte Mühe, nicht aufzufallen, die Kleidung war teuer, die Schuhe waren neu, die Diamanten glitzerten und funkelten, aber das Maß stimmte nicht. Mit einem untrüglichen Instinkt nahm sie vom Falschen zuviel und vom Richtigen zuwenig. Mein Vater litt darunter erbärmlich. Er war ein echter Ästhet, und in seiner Verzweiflung suchte er sich all die Jahre hindurch einen treuen Freund, klassisch, von eleganter Gestalt, wohlschmeckend und beruhigend, und im Gegensatz zu Mamas durchdringender Stimme still und genügsam. Mein Vater war ein Säufer aus wahrer Überzeugung.
Seine konservative Einstellung hinderte ihn daran, sich seiner geliebten Frau zu entledigen; so schwieg er wie ein Gentleman und genoß seine Karaffe schweren Cognacs. Er trank sich die Welt bunt und heiter, seine Frau schön und sein Haus stilvoll, aber in einem Punkt hielt er die Hand schützend über sein Eigentum: der Garten lag ihm am Herzen. Mamas Versuche, glitzernde Glaskugeln in die Rosenbeete zu rammen, große grobschlächtige Kunstwerke aus Stein über den Rasen zu verteilen und schilfbewachsene Teiche über die Anlage zu streuen, verhinderte er mit ungewohnter Energie. So egal ihm das Haus war, im Park war mein Vater der Herr.
So kam es dazu, daß der Garten, sogar bei näherem Hinsehen, Geschmack bewies. Jede nüchterne Stunde, die sich bei Papa zwischenzeitlich einschlich, verwandte er auf seine Planung. Es gab einen exotischen Teil mit Palmen, Kakteen und fremdartigen Blumen, einen englischen Obstgarten mit Cox Orange und saftigen Birnen, und im französischen Garten, wie er ihn nannte, schlängelten sich durch wilde Rotdornbüsche weiße Kieselwege an kleinen Tümpeln vorbei. In der Mitte lag ein großer Weiher mit saftigen Seerosen und schattigen Trauerweiden. Das war der unberührte Teil, den ich besonders liebte. Der zweite Grund, warum es mich ins Grüne zog, war der, daß ich dort meine Ruhe hatte. Abgesehen von Papa, bevorzugte meine Familie die warmen, weichen Sessel im Haus. Sie mochten keine frische Luft oder duftende Blumen. Die Frösche im Teich ekelten sie, der Staub auf den Wegen machte ihre Schuhe schmutzig und abgesehen davon benahmen sich die kleinen Tierchen alle miteinander ungehörig und fügten ihnen rote Schwellungen zu, die kratzten und juckten. Ich nahm ihnen das nicht weiter übel. Hatte meine Mutter oder später Josephine das Gefühl, sie müßten etwas für ihren Teint tun, wies ich sie auf ihre von der Sonne ausgebleichten Haare hin. Das genügte im Normalfall schon, und ich war sie los. Als Kind verbrachte ich die meiste Zeit auf dem Balkon, der zum Garten hinaus lag. Ich versteckte mich hinter den Gitterstäben, von wo aus man den ganzen Park überblicken konnte, die dunkelgrünen, fleischigen Rhododendronrabatten, die sich an das Haus schmiegten und die scharf gemähten Rasenflächen, die an jeder Ecke mit feisten, weißen Putti bestückt waren. Ich sah auf Aline, das junge, schwarze Kindermädchen aus Seattle, und zählte, wie oft sie um das Haus lief, um mich zu suchen, und jedes Mal, wenn sie in mein Blickfeld kam, malte ich mit Mamas Lippenstift einen Strich auf den Balkonboden. An guten Tagen kam ich auf achtzehn.
„Miss Emma, Sie werden schon sehen, was Sie davon haben, wenn Sie jetzt nicht sofort zum Vorschein kommen." Das sagte sie immer und sie wußte, daß es mich nicht beeindruckte. Doch beide wußten wir, daß sie mich nicht fangen würde, ich war zu jung und zu flink, und sie zu faul und zu dick. Ich wartete so lange, bis sie um die Ecke gekeucht war, und schlüpfte dann leise in das kühle Treppenhaus. Auf dem geschwungenen, schmiedeeisernen Treppengeländer konnte man perfekt rutschen. Als kleines Kind brach ich mir dabei den linken Fuß, doch da niemand Notiz davon nahm, rutschte ich weiter, bis ich verheiratet war. Wichtig war, so schnell zu rutschen, daß man mit dem linken Fuß die Balance in der Luft halten konnte und sich mit dem rechten am Geländer entlang gleiten ließ; wurde man ängstlich und zögerte, fiel man zwangsläufig. Ich war jedoch so gut, daß ich Zeit meines Lebens bedauere, daß es für Treppengeländerrutschen keinen Wettbewerb gibt. Ich wußte, keiner hätte mich schlagen können. Beim Aufkommen mußte der dunkelbraune, polierte Treppenabsatz genau getroffen werden. Schnell, mit nackten Füßen über den kalten Marmorfußboden und raschem Blick in den Spiegel im Vorzimmer, ob Mama oder Papa mich entdecken würden, floh ich mit gesenktem Kopf nach draußen ins Freie. Hatte ich diesen Gang geschafft, kletterte ich die große Hängebuche hinauf, die hundert Meter vom Haus entfernt stand. Von dort aus hatte man den besten Ausblick auf unser prächtiges, verleugnetes, englisches Herrenhaus mit seinen spitzen Giebeln und dem Efeu, der sich um die großen Fenster rankte. Ich liebte ihn, aber Mama sagte, er müsse weg, er zerstöre den Stein. Doch ich wußte, für solche praktische Dinge war sie zu vergeßlich.
Wenn ich an meine Mutter denke, dann denke ich vor allem an ihre Krankheiten, die sie regelmäßig befielen und zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften gehörten.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie meine schöne Mutter in ihrem großen, weißen Holzbett lag, dessen Kopf- und Fußende mit blauem Damast bespannt waren. Die Wände des Schlafzimmers waren weiß gestrichen, mit Stuck abgesetzt und die dunkelroten Samtvorhänge die meiste Zeit des Tages zugezogen.
Ich durfte nicht laut mit ihr reden, sie war sehr empfindlich in bezug auf Geräusche und vor allem in bezug auf mich.
„Du klingst wie ein Reibeisen, Emma, sagte sie immer. „Sprich so wenig wie möglich.
So wußte ich nicht genau, was ich in ihrem Krankenzimmer sollte, wenn Aline mich in diesen Tagen gegen die Mittagszeit an der Hand nahm und mich zu ihr führte. Ich saß an ihrem Bett und hörte ihr ergeben zu, wie sie mir Ratschläge gab. Sie waren immer von der gleichen Art: ich solle mich nicht schmutzig machen, höflich gegenüber Aline und den anderen Angestellten sein, nicht auf die Hängebuche klettern und fleißig zum lieben Gott beten, daß er mich später hübsch werden läßt. Ich protestierte nicht. Nachdem sie geendet hatte, küßte ich sie auf ihre weiße, kühle Wange und nutzte die Gelegenheit, wenn Aline nicht in der Nähe war, mir beim Hinausgehen einen ihrer Lippenstifte von der Kommode zu angeln, um meine Vorräte auf dem Balkon aufzufrischen. Ich war eine ordentliche Person. Es waren der Dienstag und der Donnerstag, an denen ich ihr entkommen konnte. Noch heute sind diese Tage irgendwie