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Bob Marley - Catch a Fire: Die Biografie
Bob Marley - Catch a Fire: Die Biografie
Bob Marley - Catch a Fire: Die Biografie
eBook817 Seiten10 Stunden

Bob Marley - Catch a Fire: Die Biografie

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Über dieses E-Book

Diese Lebensgeschichte von Bob Marley gehört zu den anerkannten und besten Standardwerken über den Reggae. Die preisgekrönte Biographie ist weit mehr als nur die fesselnde Chronik einer abenteuerlichen musikalischen Karriere - Timothy White unternimmt einen Streifzug durch die amerikanische Sozialgeschichte, die Marleys politische Überzeugung und Vision formte. Die enge Freundschaft des Autors mit Marley und dessen Familie ermöglichte den Zugang zu einer Fülle von privaten Aufzwichnungen, Dokumenten und Fotografien.
SpracheDeutsch
HerausgeberHannibal
Erscheinungsdatum11. Dez. 2014
ISBN9783854454656
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    Honestly, I couldn't get past page 11. The little that I did read was interesting, but never touched me.
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    3/5
    Now that I understand Reggae and Rastafarianism, I like Marley more and the rest of it less. White makes it easy to see the progression from early rock and jazz to Reggae to hip-hop. He also illustrates the unfortunate cultural and political drivers of Jamaican poverty. None of Marley's family or associates really followed his same ideals. Rita suddenly lived a life of excess, and most of his fellow musicians and producers squabbled over his legacy. He's popular worldwide as a symbol of hope but I think his advocates miss the things that could make such hopes fulfilled. Marley linked himself to Ras Tafari Makonnen (later Emperor Haile Selassie I, an alleged descendant of Solomon).

Buchvorschau

Bob Marley - Catch a Fire - Timothy White

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Aus dem Amerikanischen von

Teja Schwaner und Roland M. Hahn

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www.hannibal-verlag.de

25-1.tif

Widmung

Für Judy

Impressum

8. Auflage 2015

Titel der Originalausgabe: »Catch a Fire – The Life of Bob Marley«

Copyright © 1983, 1989, 1991, 1992 by Timothy White

Published by Henry Holt and Company, New York

Copyright © 1993 der deutschen Ausgabe

KOCH International GmbH, Hannibal Verlag, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Titelfoto: Island/Ariola

ISBN 978-3-85445-465-6

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-077-1

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Vorwort

Riddim Track – Eine Einführung

Kingdom Come

Misty Morning

Bad Card

Bildstrecke 1

Pass It On

Small Axe

Who Feels It, Knows It

People Get Ready

Natural Mystic

Bildstrecke 2

Stir It Up

Rat Race

Coming In From The Cold

Crisis

Who The Cap Fit

Redemption Song

Bildstrecke 3

Exodus

Time Will Tell – Ein Wort danach

Danksagung

Diskographie

Bibliographie

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Dieses Buch lässt sich auf atmosphärische Weise von dem Zusammenfluss der Glaubenssysteme tragen, die Bob Marley prägten. Es geht davon aus, dass sich die Geschichte so zugetragen hat, wie ich sie aufgezeichnet habe, wenn all das, was mir von den Menschen, die Marley am nächsten standen, nüchtern berichtet worden ist, auch stimmt. Es finden sich keine konstruierten Fakten auf diesen Seiten. Ich habe existierende Dokumente und Aufzeichnungen geprüft, bin sorgfältig vierzig Jahrgänge des jamaikanischen Daily Gleaner durchgegangen, sowohl im Institute of Jamaica in Kingston als auch im Research Institute for the Study of Man in New York City, und habe jeden wichtigen Artikel, der auf Jamaika, in Großbritannien und den USA über Bob Marley, Jamaika und Reggae erschienen ist, gelesen. Die Informationen, die sich in diesem Buch finden, entstammen zudem den Interviews, die ich zwischen 1975 und 1981 mit Bob gemacht habe (ich sprach gut zwei Dutzend Mal mit ihm), sowie Interviews, die ich im Laufe der Jahre mit anderen Mitgliedern der Wailers führte, mit den Produzenten der Band, mit zusätzlichen Begleitmusikern, den verschiedensten anderen Mitarbeitern, Angestellten und Chefs von Schallplattenfirmen, Leibwächtern und Roadies sowie Familienangehörigen und Freunden. Zu weiteren Quellen zählen prominente Persönlichkeiten der jamaikanischen Plattenindustrie, Politiker der Insel (die ihren eigenen Beitrag zur jamaikanischen Musik geleistet haben), Rasta-Älteste, Wahrsager vom Lande, Urwaldprediger, Sozialarbeiter, Soziologen, Kriminelle aus den Ghettos und alte Frauen aus dem Busch.

Für jeden Journalisten oder Biographen, der sich in Jamaikas Geschichte und das Leben eines der Söhne dieser Insel vertiefen will, gibt es wahrhaft Probleme: Häufig ist es so gut wie unmöglich, Dokumente mit präzisen Angaben aufzuspüren. Zum Beispiel wird das genaue Geburtsdatum von Bob Marley wohl nie herauszufinden sein. In seinem Pass (Nr. 57778, ausgestellt am 6. März 1964, aber zum Reisen erstmalig am 11. Februar 1966 benutzt) ist als Geburtsdatum der 6. April 1945 angegeben. Cedella Marley Booker, Bobs Mutter, sagte mir bei mehreren Anlässen, dass Bob, so gut sie sich erinnern könne, auf den Tag genau zwei Monate vorher geboren sei. Da sie zu jener Zeit jedoch in einer abgelegenen Gegend wohnte, dauerte es viele Wochen, bis sie es schaffte, zum nächsten Registrierungsbeamten zu kommen, um die Geburt offiziell mitzuteilen, und da sie eine schüchterne junge Frau war, wollte sie »keinen Ärger mit denen« bekommen. (Bis zu diesem Tag wissen viele arme Leute vom Lande und auch aus der Stadt nicht genau, wann und wo sie geboren und wer ihre Eltern sind.)

Es bedarf noch gründlichster Nachforschungen in allen möglichen Aufzeichnungen, bis jamaikanische Archivare vielleicht Bob Marleys Geburtsurkunde auffinden –

und seine Rasta-Brüder nehmen das mit einem weisen Kopfnicken zur Kenntnis, denn sie glauben, dass Marley wie der Kaiser Haile Selassie I. von Äthiopien niemals geboren wurde und deshalb auch nicht sterben konnte. (»Him was de inheritor of Jah’s legacy, him cyan’t die. Rasta nuh fear death, because Rasta never live, an’ never die.« »Er war der Erbe von Jah’s Vermächtnis, er kann nicht sterben. Rasta fürchtet nicht den Tod, denn Rasta lebt niemals und Rasta stirbt niemals.«)

Ähnliche Schwierigkeiten tauchen auf, wenn es um die Veröffentlichungsdaten der meisten jamaikanischen Singles und Langspielplatten geht, denn Aufzeichnungen darüber wurden, wenn überhaupt, nur ganz selten gemacht, und eine 45er konnte in einer ganzen Anzahl von Vorabversionen unter den Leuten sein, bevor sie tatsächlich auf dem normalen kommerziellen Markt erhältlich war. Die Veröffentlichungsdaten in diesem Buch beziehen sich, wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, auf Jamaika, nicht auf Großbritannien, wo so viele jamaikanische Hits später herauskamen. Die Informationen erhielt ich durch Interviews mit den Produzenten oder, wenn möglich, mit dem Künstler selbst oder gar beiden, und sie lassen sich meistens auf den Monat zurückverfolgen. (Im Anhang des Buches findet sich eine umfassende Diskographie der Wailers und ihrer erweiterten musikalischen Familie.)

Im gesamten Buch wird immer wieder das jamaikanische Patois benutzt. Der Rhythmus dieses Dialekts gleicht dem eines Gummiballs, der die Treppen hinunterspringt und dann sanft von einem Kind aufgefangen wird. Was die Schreibweise und die Bedeutung der meisten Patois-Wörter betrifft, die im Text immer wieder auftauchen, bin ich dem Dictionary of Jamaican English, herausgegeben von F. G. Cassidy und R. B. Le Page, zu großem Dank verpflichtet, denn ohne dieses Wörterbuch hätte ich viele meiner Interviews niemals transkribieren können. Andere Schreibweisen bei der Wiedergabe der eigenartigen Inselsprache folgen so eng wie möglich dem allerdings leicht uneinheitlichen Stil des Daily Gleaner, Jamaikas 160 Jahre alter Tageszeitung.

Gegen Ende des Buches wird erwähnt, dass unter den jamaikanischen Rasta-Brothers der Verdacht weitverbreitet war, dass während der siebziger Jahre und Anfang der 1980er Jahre die Central Intelligence Agency (CIA) ihre Aktivitäten allgemein und die Karriere Bob Marleys im Besonderen überwachte. Unter Inanspruchnahme des Gesetzes über Informationsfreiheit (Freedom of Information Act, 5 U.S.C. 552) fand ich 1982 CIA-Dokumente, die bestätigten, dass der Geheimdienst und andere Regierungsbehörden der USA tatsächlich Akten über die jamaikanische Reggae-Szene, die Bewegung des Rastafarianismus und die Aktivitäten von Bob Marley angelegt hatten.

Für die erweiterte und ergänzte Ausgabe von 1991 habe ich nicht nur zusätzliche Fakten gesammelt, Feldforschung betrieben und Notizen gemacht, sondern über den Zeitraum von neun Jahren hinweg auch eine Vielzahl nachträglicher Interviews erstellt, die hin und wieder lange kolportierte Fehleinschätzungen korrigieren. So wurde in den letzten beiden Jahrzenten beispielsweise oft geschrieben, Rod Stewart habe auf dem Ska-Klassiker ›My Boy Lollipop‹ die Mundharmonika gespielt. Rod sagt dazu: »Ich war’s nicht, Alter! Ich glaube mit ziemlicher Sicherheit, es war der Typ, der in den sechziger Jahren in einer alten R&B-Band – Jimmy Powell and the Five Dimensions –

mein Nachfolger wurde. Ich habe zwar nicht so gut gespielt wie er, aber er hatte die gleiche verdammte Frisur – und das hat mich mehr geärgert als alles andere.« Auch sind verschiedene Informationen und Archivare auf mich zugekommen, um mir frische Details anzubieten oder mir dabei zu helfen, die eine oder andere Tatsache hinzuzufügen. Doch war die Welt Bob Marleys eine solche, in der man Meinung, Erinnerung, Interpretation und Glauben oft höher bewertete als pure Fakten, und so macht die schiere Masse widersprüchlicher Auffassungen, exotischer Rückbesinnungen, engagiert vorgetragener Lehren und dem Jenseits zugeneigter Glaubenssystem, die in alles eingeflochten sind, einen Großteil der Philosophie und der Prämissen dieses Buches aus. Es gibt in dieser Geschichte mehr oder weniger drei eigenständige Phänomene: Bob Marley, Jamaika und die Macht des Glaubens. Hat der Leser die schroffen Wahrheiten und den tieferen Hintergrund des Kapitels »Riddim Track« erst einmal verarbeitet, lade ich ihn ein in die Welt Bob Marleys aus der Betrachtungsweise jener, deren erstaunliche Glaubenskraft sie beseelte und noch immer beseelt.

Übernatürliche Ereignisse und metaphysische Koinzidenzen werden in diesem Buch erwähnt. In dem Kapitel über Haile Selassie wird geschildert, welche Glaubensansichten unter den äthiopischen Bauern und ihren gleichermaßen leichtgläubigen Führern anzutreffen waren – viele der heldenhaften Taten und übernatürlichen Fähigkeiten, die Hailie Selassie zugesprochen wurden, sind jedoch, wie berichtet wird, von dem Kaiser selbst erfunden und entsprechend von der Zentralregierung und der koptischen Priesterschaft in Umlauf gebracht worden. Weitere Informationen und Einzelheiten in späteren Teilen des Buches entstammen den Lehren einer ganzen Schar von Exponenten jamaikanischer Magie, Volksheilkunde und schwarzer Künste sowie denen von Pseudo-Rasta-Führern und Rasta-Führern, darunter Robert Athlyi Rogers, Leonard Percival Howell, B.L. Wilson, H. Archibald Dunkley und Claudius Henry. Diese zum Teil auch aus alten Zeiten stammenden Lehren sind oftmals gefiltert durch die Erinnerungen und persönlichen Katechismen Bob Marleys und seiner engen Verwandten und Freunde.

Ob der Leser solch ›übernatürliche‹ Ereignisse für glaubwürdig halten mag oder nicht, ist allein seine oder ihre Entscheidung. Mir ging es bei dem Versuch, diese Geschichte von der persönlichen Warte ihrer Protagonisten aus zu erzählen, darum, die Tatsache zu vermitteln, dass die Menschen um Haile Selassie und Bob Marley – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart – wirklich an ›Magie‹ glaubten und glauben und daher ihr Leben in Übereinstimmung mit dieser Übersetzung führten und führen.

Boston, März 1991

Timothy White

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»Tatsachen? Über Jamaika? Aha! Ich liebe es, wenn die Leute vom

Lande sagen, es gäbe keine Tatsachen auf Jamaika. Das klingt so

poetisch und geheimnisvoll, aber sie haben natürlich absolut recht.

Wenn man darüber nachdenkt, gibt es wirklich keine. Keine einzige.«

Chris Blackwell, 1982

»Tatsachen und Tatsachen, und Sachen und Sachen, das ist alles

verdammter Unsinn. Glaubt mir! Es gibt keine Wahrheit außer der

einen Wahrheit, und das ist die Wahrheit von Jah Rastafari!«

Bob Marley, 1978

»Der eine, der hat’s zu tun mit Information. Und der andere, der hat’s

zu tun mit einer Vorstellung von Wahrheit. Und dann ist da wieder

einer, der hat’s zu tun mit Magie. Information, die fließt um dich

herum, und die Wahrheit, die fließt auf dich zu. Aber Magie, die fließt

durch dich hindurch.«

Nernelly, ein jamaikanischer »bush doctor«, 1982

Es war kurz vor Mitternacht, und in den Beifall des auserwählten Publikums mischten sich die Rufe der zerlumpten Leute, die in Massen über die Mauern kletterten, von denen das Rufaro Stadion in Salisbury, der Hauptstadt von Simbabwe, umgeben ist. Plötzlich drehte sich der Wind, und Wolken von Tränengas, das die Polizei außerhalb der Arena benutzte, um die Menge im Zaum zu halten, trieben über das Gelände und reizten die Augen des Mannes, der auf der kleinen Bühne in der Mitte der Arena auftrat. Für einen Augenblick verlor er die Orientierung und lief aufgeregt hin und her, bis er schließlich durch ein Loch in dem Dunst, der so furchtbar in den Augen brennt, hervorstolperte. Soldaten, die M16-Gewehre schwenkten, führten ihn seitlich von der Bühne hinunter in einen Wohnwagen, wo er sich die Augen mit einem wassergetränkten Lappen abtupfte.

Das Konzert, das seit ungefähr zwanzig Minuten in Gang war, gehörte zu den offiziellen Feierlichkeiten am 18. April 1980, dem ersten Tag der Unabhängigkeit des neuen Nationalstaates Simbabwe. Die zahlenden Gäste und Würdenträger (unter ihnen der marxistische Premierminister Robert Mugabe und Prinz Charles von England), die sich versammelt hatten, um zu feiern, dass man endlich die Tyrannei der weißen Kolonialherrschaft abgeschüttelt hatte, wurden jetzt Zeugen einer anderen Art von Unterdrückung: Tausende von begeisterten Bauern und untersten Dienstgraden der Revolutionsarmee hatten sich vor der Arena versammelt, weil sie hofften, den Auftritt des international höchstgeschätzten Reggae-Musikers Bob Marley miterleben zu können, des Helden der schwarzen Freiheitskämpfer allerorten und des charismatischen Botschafters des modernen Pan-Afrikanismus. Von den pulsierenden Reggae-Rhythmen mitgerissen, die herausklangen, versuchten die Fans in immer neuen Angriffswellen die Tore zu stürmen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Gewehrsalven über die Köpfe des wogenden Mobs, aber die Leute ließen sich nicht zurückhalten und drängten über die Mauern.

Marley schob die dicken, zopfartigen Strähnen seiner Dreadlocks (lange, verfilzte Haarstränge) aus seinen geschwollenen Augen und warf einen suchenden Blick hinaus in die Dunkelheit jenseits des blendenden Bühnenlichts. Schreie und Rufe waren zu hören und das dumpfe Geräusch von Polizeiknüppeln, die auf Körper trafen. Aus der Entfernung sah es so aus, als würde eine wahre Menschenflut, die drohte, über die Brüstungen des Stadions hereinzubrechen, zurückschlagen. Sie waren zusammengeströmt, um begeistert die Befreiung von dem Joch weißer Unterdrückung zu feiern, und jetzt musste ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung dieser Stadt für das simple Recht kämpfen, Reggae hören zu dürfen.

»Wahnsinn«, sagte Marley leise. Er spürte den festen Griff einer Soldatenhand an seinem linken Arm und wurde in Sicherheit geleitet. Fünfundvierzig Minuten später war dann die Ordnung wiederhergestellt, und Marley kehrte zurück auf die Bühne, um jenen Schlachtgesang darzubieten, den er im Jahr zuvor über den revolutionären Kampf dieses Landes geschrieben hatte.

To divide and rule

Could only tear us apart

In everyman chest

There beats a heart

So soon we’ll find out

Who is the real revolutionaries

And I don’t want my people

To be tricked by mercenaries

Natty dread it in a Zimbabwe …

Africans a liberate Zimbabwe …

Zu teilen und zu herrschen

Kann uns nur auseinanderreißen

In jedermanns Brust

Schlägt ein Herz

Und bald werden wir feststellen

Wer die wahren Revolutionäre sind

Und ich will nicht, dass mein Volk

Betrogen wird von Söldnern

Natty Dread in Simbabwe …

Afrikaner befreien Simbabwe …

Aber Marleys Gesang fehlten Biss und Schärfe. Das Schauspiel, das er zuvor hatte miterleben müssen, hatte seine Vision schwarzafrikanischer Solidarität erschüttert, mit der er nach Simbabwe gekommen war.

Vier Jahre zuvor hatte Bob Marley mit der Hand auf einen Tisch in der Küche seines Hauses in Kingston, Jamaika, geschlagen und erklärt, warum er und seine Rasta-Brüder ausziehen wollten aus Babylon – einem Land ohne Grenzen, in dem die Menschen sündigen und dafür leiden –, um zurückzukehren zu Mutter Afrika, nach Äthiopien.

»Die oberen Leute in der Regierung von Jamaika, die sollten aufräumen auf den Müllhalden und in den Slums und meinem Volk zu essen geben, meinen Kindern!«, hatte Marley gesagt. »Ich lese Zeitung und ich schäme mich. Und darum müssen wir diesen Ort verlassen und zurückkehren nach Afrika. Wenn Jamaika meine Heimat wäre, dann würde ich Jamaika lieben, und ich würde mich fühlen, wie ich fühle: dass dieser Ort nicht meine Heimat ist. Ich will nicht gegen die Polizei kämpfen, die durch ihre Grausamkeit den Aufruhr erst anstachelt, aber wenn ich nach Afrika gehen will, und sie sagen nein, dann werde ich persönlich kämpfen müssen.«

Doch als Marley schließlich zum ersten Mal im Dezember 1978 nach Afrika kam, musste er dieselben Slums und hungrigen Gesichter sehen, die er auf Jamaika hinter sich gelassen hatte, dieselben korrupten Regierungen, die, von Macht besessen, blind waren für das Elend. Dieses Afrika war der einzige Kontinent, wo noch kein politischer Führer der Neuzeit in Frieden von seinem Amt abgewählt worden war. Aus Kenia kam er in das vom Bürgerkrieg zerrissene Äthiopien und musste erfahren, dass sein geliebter Haile Selassie, der Mann, den er als Gott verehrte, in Ehrlosigkeit gestorben war und dass man ihn in einem Grab verscharrt hatte, das nicht gekennzeichnet war. Dass es keinen Gedenkstein gab für diesen Mann und dass die Äthiopier ihres ehemaligen Kaisers mit unverhüllter Verachtung gedachten, hatte Marley extrem erschüttert.

Und jetzt, in Simbabwe, wurde er auch noch seiner letzten Illusionen beraubt. Seine rechte große Zehe, ohne Nagel und von Geschwüren zerfressen, schmerzte fürchterlich. Wiederholt hatte er der Presse mitgeteilt, unter dem Verband verberge sich nur eine Fußballverletzung, aber der pulsierende Schmerz erinnerte ihn ständig an das, was die Ärzte ihm in den vergangenen beiden Jahren gesagt hatten: entweder die Zehe amputieren lassen oder seinen Frieden schließen mit dem Leben. Wenn er sich nicht einer radikalen Behandlung seines Krebses unterziehe, würde er viel früher als geplant heimfliegen müssen nach Zion, um seinen Lohn im Himmel zu empfangen.

»Rasta duldet keine Amputation!«, hatte er sie angefaucht. »I and I (ich und meine Brüder) erlauben nicht, dass man einen Menschen verstümmelt. Jah, der lebendige Gott, Seine kaiserliche Majestät Haile Selassie I., Ras Tafari, Siegreicher Löwe des Stammes von Juda, zweihundertfünfundzwanzigster Herrscher des dreitausendjährigen äthiopischen Kaiserreichs, der Lord der Lords, König der Könige, Erbe des Throns von Salamon. Er wird mich heilen mit den Meditationen meines Ganja-Kelches, meines Cutchies (Wasserpfeife aus Ton), oder Er wird mich als Seinen Sohn aufnehmen in Sein Königreich. Kein Skalpell wird mein Fleisch schneiden! Jah können sie nicht töten, Rasta können sie nicht töten! Rastamann lebt weiter!«

Zwölf Monate zuvor wäre er vielleicht noch in der Lage gewesen, sich zu retten. Hätte er aufgehört, die Ärzte ›samfei‹ zu nennen, im Jamaika-Patois die Bezeichnung für den Betrüger, der die Leichtgläubigen hinters Licht führt, indem er den Eindruck erweckt, über die Kraft des ›obeah‹ (Hexerei) zu verfügen. Hätte er sich einer Chemotherapie unterzogen oder einer Strahlenbehandlung und der unausweichlichen Tatsache gestellt, dass seine Löwenmähne aus Dreadlocks ihm in Klumpen vom Kopf gefallen wäre. Hätte er nicht den vollgekifften Speichelleckern geglaubt, die um ihn herumscharwenzelten und behaupteten, er sei der ›talawa (furchtlose und unüberwindliche) Tuff Gong‹, einer der stählernen Finger an der Hand des allmächtigen Jah. (Marley verdiente sich den Titel Tuff Gong durch seinen wilden Mut als Straßenkämpfer. Gong war zudem der Beiname des früheren Rastafari-Führers Leonard Howell. Die Bedeutung des Beinamens stützt sich auch auf die Tatsache, dass es in einigen Rasta-Siedlungen Sitte ist, dass ein neues Mitglied am Eingang einen Gong schlägt, um seinen ersten Schritt in die Obhut der Gemeinde zu verkünden. Nach Bobs Tod behauptete Bunny Wailer, der Begriff habe ursprünglich ›Tuff Gang‹ geheißen, wobei Bunny der Chef der Gang gewesen sei.)

Und jetzt liefen die bösartigen und absichtlich nicht behandelten Krebszellen Amok, suchten sich ihren Weg in Marleys spindeldürren Körper wie die gefräßigen und in Bäumen wohnenden jamaikanischen ›Stinkameisen‹, die hinaufeilen in die Zweige des Ackee und die reifen Früchte von innen heraus aufzehren. Er rechnete damit, noch ein Jahr in Qual verbringen zu müssen, vielleicht auch zwei, bevor das Ende kam. Er fragte sich, ob er vielleicht im Schoß des weißen Amerika sterben würde, wenn er sich dort auf seiner bevorstehenden Tournee befand, und er sann nach über die Ironie, die in einem solchen Schicksal lag.

Als Schallplattenkünstler hatte er seine größten kommerziellen Erfolge ebenso wie bei den Kritikern in Amerika und Europa gehabt, wo die jungen Weißen fasziniert waren von der ethno-politischen Kraft seiner bissigen Reggae-Hymnen und hypnotisiert von ihrem rhythmischen Pulsschlag, dessen Betonung gegen alle Erwartung ist. Auf Jamaika, wo er geboren war, verehrte man ihn als Rockstar und als Volkshelden, und er war ebenso berühmt dafür, dass es ihm gelang, das weiße amerikanische und europäische Publikum mit seinen Songs über die schwarze Vergeltung zu fesseln, wie dafür, dass er die Mitglieder der jamaikanischen Kreolen-Kultur veranlasste, mit Stolz zu dem Herzschlag ihres eigenen Kummers und ihrer Narretei zu tanzen. Und von den Großstadtzentren Japans bis zu den Diskotheken in Rio de Janeiro hatten Millionen von Menschen ihre ureigenen Gründe, sich von Marleys Magie verhexen zu lassen.

Später an jenem Abend in Salisbury sollte er miterleben, wie sich die rhodesischen und britischen Standarten senkten und die neue Flagge von Simbabwe aufgezogen wurde, wie einundzwanzig Kanonen kaum fünfzig Meter von ihm entfernt Salut schossen. Noch war der erste Tag der offiziellen Freiheit nicht zu Ende gegangen, und schon hatten sich die Menschen gegeneinander erhoben.

In Afrika wurde er verehrt als Apostel des Pan-Afrikanismus, als charismatischer Entertainer, dessen elementare Leidenschaft auf dem Kontinent, wo die sprechende Trommel erfunden worden war, bereitwillig ins Herz geschlossen wurde. Doch als er von der Bühne miterleben musste, wie die Menge den Kampf gegen sich selbst ausfocht, erkannte er, dass man seiner Musik und seiner Botschaft nicht zugehört hatte. Und er fühlte, dass man ihm anscheinend nirgends genügend Aufmerksamkeit schenkte, um zu hören, was immer stärker in ihm brodelte, um nachzuempfinden, welche Furcht da in jemandem wütete, der versuchte, einen religiösen Gedanken zu erklären, den er sich schon vor langer Zeit zu eigen gemacht hatte, aber in eben diesem Moment besonders intensiv erlebte: dass es keinen sicheren Ort gäbe für den sterblichen Menschen.

Der millenarisch-messianische Kult des Rastafarianismus, den Marley durch seine Musik propagiert, verdankt einen Teil seiner Ideologie den Lehren des Marcus Mosiah Garvey, eines Fürsprechers der ›Rückkehr nach Afrika‹. Am 17. August 1887 in der Stadt St. Ann’s Bay in dem jamaikanischen Pfarrbezirk St. Ann geboren, war Garvey (mit dem Beinamen ›Mose‹) eines von elf Kindern eines ehemals wohlhabenden Druckers. Er stammte ab von den Maroons, einer Gruppe von ursprünglich fünfzehnhundert afrikanischen Sklaven, die 1655 von ihren spanischen Herren freigelassen worden waren und sich in das undurchdringliche Innere der Insel zurückgezogen hatten, als Cromwells Truppen Jamaika besetzten. (Maroon ist eine verfälschte Form des spanischen Wortes ›cimarron‹, das ›aufrührerisch‹ bedeutet.) Garvey kam nach Kingston, bevor er zwanzig wurde, und sammelte während eines größeren Druckerstreiks im Jahre 1907 einige Erfahrungen als Arbeiterführer und Redner.

Nachdem der Arbeitskampf beigelegt war (zugunsten der Unternehmer, da sich die Gewerkschaft aufgelöst hatte, nachdem ihr Schatzmeister sich mit den Rücklagen davongemacht hatte), verließ Garvey Jamaika, um längere Zeit zu reisen. Finanzieren tat er das durch Gelegenheitsarbeiten. Zuerst machte er in Costa Rica Station, wo er gegen die beklagenswerten Arbeitsbedingungen für Schwarze bei dem britischen Konsul protestierte. Auf seinen Protest erfolgte keine Reaktion. Als Nächstes begab er sich nach Bocas del Toro in Panama, wo er seine nur kurzlebige Zeitung mit dem Namen La Prensa gründete. Auf seinen weiteren Reisen durch Ecuador, Nicaragua, Honduras, Kolumbien und Venezuela konnte er immer wieder beobachten und erleben, wie man die billigen Arbeitskräfte in den Minen und auf den Tabakfeldern ausbeutete. Mit ihnen diskutierte er ihr bedauernswertes Los in dem von den Weißen beherrschten Westen.

Als er sich 1912 zu einem Besuch in London aufhielt, machte er die Bekanntschaft des sudanesisch-ägyptischen Gelehrten Duse Mohammed Ali, Autor des hochgeschätzten Buches In The Land of the Pharaohs, und ihre Diskussionen vermittelten Garvey Einsichten in die historische und religiöse Bedeutung der schwarzen Diaspora. Auch beschäftigte er sich sehr intensiv mit den Schriften von Booker T. Washington, insbesondere mit Up from Slavery. Größten Einfluss auf Garvey hatte wahrscheinlich Ethiopia Unbound – Studies in Race Emancipation von Casely Hayford, das 1911 in London erschien und dort bei den Mitgliedern der kleinen schwarzen Intellektuellengemeinde auf der Stelle zu einem Klassiker wurde. Der Roman Ethiopia Unbound erzählt die Geschichte eines jungen Afrikaners, der die Goldküste verlässt, um in England zur Schule zu gehen, und der wieder nach Hause zurückkehrt, um sich dem politischen Protest zu widmen. Die Vorstellungen des Buches über die Errettung der afrikanischen Rasse hatte der Autor Casely Hayford bezogen aus dem Werk des Missionars und Professors Edward Wilmot Blyden aus Sierra Leone, des anerkannten ›modernen Propheten‹ schwarzer Emanzipation.

»Das Werk von Männern wie Booker T. Washington und W.E. Burghart Du Bois ist exklusiv und provinziell«, sagt der Protagonist des Buches in einer Szene im Hörsaal. »Das Werk von Edward Wilmot Blyden ist universell, umfasst die ganze Rasse und das ganze Problem.« Der Dozent geht gar so weit, Blyden zu beschreiben als »den größten lebenden Exponenten des wahren Geistes afrikanischer Nationalität und afrikanischen Menschentums«.

Solche heroische Ideen und die erhabenen Namen derjenigen, die sie verraten, schwirrten ihm im Kopf, als Garvey im Frühsommer 1914 in Southampton an Bord eines Dampfschiffes ging. Am 15. Juli betrat er wieder jamaikanischen Boden. Ungefähr zwei Jahre war er fort gewesen, und es dauerte weniger als einer Woche in Kingston, da gründete er die Universal Negro Improvement and Conservation Association and African Communities League, eine Organisation, deren Hauptziel es war, ein College-System nach dem Prinzip der Rassentrennung, aber Gleichberechtigung für die schwarzen Jamaikaner einzurichten, das sich an dem Tuskegee Institute von Booker T. Washington orientierte. Das Motto der Vereinigung, offensichtlich angeregt durch eine Zeile aus Ethiopia Unbound, lautete: »Ein Gott! Ein Ziel! Ein Schicksal!«

Die altehrwürdige britische Tradition, sich zu identifizieren mit den ›Höherstehenden‹, hatte die vorwiegend kreolische Bevölkerung der Insel zu Menschen gemacht, die auf naive Weise danach strebten, die soziale Stufenleiter zu erklimmen, und sich sehnten, ›als Weiß gelten zu können‹. Garvey schrieb später: »Männer und Frauen, so schwarz wie ich oder gar noch schwärzer, hatten sich unter der westindischen Gesellschaftsordnung für weiß gehalten. Es war einfach unmöglich für jemanden, offen die Bezeichnung ›negro‹ zu gebrauchen; und doch nannte ein jeder im Flüsterton den schwarzen Menschen einen ›nigger‹.«

Die Mehrzahl seines eigenen Volkes blieb Garveys Gedankengängen gegenüber feindlich gesinnt. Es liegt eine besondere Ironie darin, dass seine enthusiastischen Anhänger der Bürgermeister von Kingston und der römisch-katholische Bischof waren, beide Weiße.

1915 korrespondierte ein entmutigter Garvey mit Booker T. Washington, und sie planten eine persönliche Begegnung in Alabama, die jedoch nicht zustande kam, weil Washington vorher starb. Als er den jamaikanischen Widerstand gegen seine Idee von schwarzem Stolz satthatte, ging Garvey 1916 in die Vereinigten Staaten, um dort Anhänger zu finden. Nachdem er in ungefähr fünfunddreißig Staaten ein zugänglicheres Publikum gesucht hatte, fand er schließlich eines in Harlem, und im nächsten Jahr verkündete er die Gründung der Universal Negro Improvement Association (UNIA) als eine Bruderschaftsorganisation für ortsansässige Politiker, führende Leute aus dem Geschäftsleben und ehrgeizige, an Bürgerrechten interessierte Schwarze. Garvey war jedoch nicht zufrieden mit der Politik, und bald schon nutzte er die Vereinigung als Kanzel, von der er das schwarze Repatriierungsprogramm predigte, das er als die einzige Lösung für die Rassenspannungen zwischen Schwarz und Weiß in Amerika, ja in der ganzen Welt ansah.

Garvey war ein genialer Medienmanipulator und zeichnete verantwortlich für eine Zeitung namens The Negro World, eine Monatszeitschrift mit dem Titel The Black Man sowie für ein Schifffahrtsunternehmen, das er Black Star Line getauft hatte. Er behauptete, die UNIA habe eine Mitgliederschaft von über zwei Millionen, und organisierte spektakuläre Paraden und Versammlungen im Madison Square Garden, wo er seine Gefolgsleute mit seiner ›Äthiopien, Land unserer Väter!‹-Rhetorik zu Begeisterungsstürmen brachte. Erfindungsreich in seiner Absicht, allenthalben Respekt für schwarze Menschen zu gewinnen, entsandte er sogar eine Kommission zur Konferenz des Völkerbundes, die nach dem Ersten Weltkrieg in Genf stattfand, und ließ von ihr beantragen, dass bestimmte Territorien, die unter der Herrschaft Deutschlands standen, den amerikanischen Schwarzen als Dank dafür überlassen wurden, dass sie geholfen hatten, den Krieg zu gewinnen.

»Wir Neger glauben an den Gott von Äthiopien, den ewigen Gott – den Gott der Götter, Gott den Heiligen Geist, den einen Gott aller Zeiten!«, tönte er. »Dies ist der Gott, an den wir glauben, aber anbeten werden wir ihn, indem wir von Äthiopien auf ihn schauen« – aus dem gelobten Land, das allgemein von afrikanischen Völkern als die Wiege der Zivilisation angesehen und sowohl in der koptischen wie in der King-James-Bibel in solchen Passagen wie folgender aus dem 68. Psalm gepriesen wird: »Princes shall come out of Egypt; Ethiopia shall soon stretch out her hands unto God.« (»Die Fürsten aus Ägypten werden kommen, Mohrenland wird seine Hände ausstrecken zu Gott.«)

Garveys gewichtigste Voraussage, die er angeblich zuerst in seinen Reden vor Jamaikas Ärmsten der Armen formuliert hat (die Mulattenbevölkerung der Mittel- und Oberklassen hatte ihn schon abgewiesen), war die kühne Behauptung: »Seht nach Afrika, auf die Krönung eines schwarzen Königs; Er wird der Erlöser sein.«

Als 1930 Ras Tafari Makonnen, Urenkel von König Saheka Selassie von Shoa, zum Kaiser von Äthiopien gemacht und zum Negus Negesti (König der Könige) proklamiert wurde, sahen Jamaikas Slumbewohner und die Armen vom Lande, für die Garvey so etwas wie ein heldenhaftes Orakel gewesen war, dieses Ereignis als die Erfüllung einer Prophezeiung, in der die Erlösung versprochen war. Tatsächlich hatte schon seit 1784, als der amerikanische Baptistenprediger George Liele die Ethiopian Baptist Church auf der Insel gründete, Äthiopien für die von Sklaven abstammenden Jamaikaner ganz Afrika symbolisiert. Die ›Garveyites‹ reagierten überwältigt auf Zeitungs- und Wochenschauberichte über den Pomp bei Selassies Krönung in Addis Abeba und registrierten die Symbolik in der Wahl seines formellen Titels, denn ›Haile Selassie‹ hat die ehrende Bedeutung ›Macht der heiligen Dreieinigkeit‹. Selassie, das wussten sie, sagte von sich, er stamme in direkter Linie von König Salomon ab, und deswegen kamen sie zu der Überzeugung, er müsse der langerwartete Erretter der auf dem Planeten verstreuten afrikanischen Völker sein.

Garveys Aufforderung (»Seht nach Afrika …«) wird gewöhnlich als jener Funke zitiert, der die Garveyites dazu brachte, jene Sekte zu gründen, die später als Rastafarianusmus (so genannt, weil Selassie so hieß) bekannt werden sollte. In dem Buch Reggae Bloodlines sagt Stephen Davis kurz und bündig: »Rasta beginnt mit Marcus Garvey.« Nach den Ergebnissen neuer Forschungen von Historikern wie Robert A. Hill von der University of California in Los Angeles gibt es keinen Beweis dafür, dass Garvey je in seinem Leben eine solche Voraussage über einen göttlichen schwarzafrikanischen König gemacht hat. Hätte er es jedoch getan, wäre es eine höchst ungewöhnliche Abwendung von seiner streng politischen Haltung, denn obgleich er sich manchmal in seinen Reden kirchlicher Rhetorik bediente, gab er sich weder als Prediger noch als Prophet.

Überdies nahm er eine höchst kritische Haltung gegenüber Selassie ein und betrachtete die erfolgreiche Eroberung Äthiopiens durch Mussolini Mitte der dreißiger Jahre als den Tiefpunkt der kaiserlichen Unfähigkeit des Königs der Könige. Obwohl es Garveys UNIA-Anhängern gestattet worden war, bei einer inzwischen berühmten Straßenparade am Sonntag, dem 4. Januar 1931, zusammen mit Mitgliedern der Black Jews, Plakate von Garvey und Selassie mitzuführen, sollte Garvey selbst später zu einem offenen Widersacher derjenigen werden, die Selassies Göttlichkeit propagierten. Anfang 1933 weigerte er sich unerbittlich, dem Rasta-Führer Leonard Percival Howell die Erlaubnis zu geben, Bilder des Kaisers in Garveys Hauptquartier in Edelweiss Park in Kingston zu verteilen. Und in seinen Begrüßungsworten bei einer Sitzung während des UNIA-Kongresses 1934 »wies Mr. Garvey auch auf den Ras Tafari-Kult hin« – so die Ausgabe der Jamaica Times vom 25. August – »und sprach von ihm mit Verachtung«.

Es hat den Anschein, als sei die aufrüttelnde Mahnung, »nach Afrika zu blicken«, stattdessen von dem Rev. James Morris Webb ausgesprochen worden, einem Geistlichen/Mystiker aus Chicago, der Mitstreiter Garveys war und Autor eines Buchs, das 1919 im Mittleren Westen der USA erschien und den Titel trug: A Black Man Will Be the Coming Universal King, Proven by Biblical History. Webb sprach die schicksalshaften Worte bei einem UNIA-Kongress im September 1924. Und wenn Garvey, wie unbeabsichtigt auch immer, in der Vorstellung der meisten Gläubigen zum Vater des Rastafarianismus wurde, so war er im Grunde nur der Erbe einer Tradition messianischen schwarzen Mystizismus, der schon seit geraumer Zeit auf Jamaika und anderswo blühte.

Der spirituelle Pionier der Zurück-nach-Afrika-Bewegung war Alexander Bedward, ein jamaikanischer Wunderheiler und Kräutersammler, von dem man sagt, er habe in den ersten Jahren nach 1900 in Voraussicht auf den Tag, an dem der schwarze Mann zum Vorherrscher werde, in Spanish Town Wunder vollbracht. Wie so viele seiner umstrittenen Kollegen endete auch er in einer Heilanstalt für Geisteskranke, wo er 1921 eingeliefert wurde und 1933 starb.

Begründet ist der Rastafarianismus jedoch auf der Holy Piby, der ›Bibel des schwarzen Mannes‹, die von einem gewissen Robert Athlyi Rogers aus Anguilla zwischen 1913 und 1917 zusammengestellt wurde. Es war kein Zufall, dass sie im selben Jahr – 1924 – veröffentlicht wurde, als Rev. Webb seine Erklärung abgab. Ein Geistlicher aus Barbados mit Namen Rev. Charles F. Goodridge war in Colon, Panama, auf die geheime Bibel gestoßen. Zur gleichen Zeit wurden jedoch große Mengen des Buches in Newark, New Jersey, von anderen Gläubigen gedruckt, und von dort aus wurden Exemplare der Piby nach Kimberly in Südafrika verschifft, wo Missionare, die die schwarze Vorherrschaft predigten, für die Arbeiter aus den Diamantenfeldern eine Kirche mit dem Namen Afro-Athlican Constructive Church (AACC) gründeten. Bei seinen Bekehrungsbemühungen tat sich Goodridge mit einer Frau namens Grace Jenkins Garrison zusammen, und gemeinsam brachten sie die Doktrin der Holy Piby 1925 nach Jamaika, wo sie unter dem Namen Hamatic Church einen Ableger der AACC ins Leben riefen.

Da sie augenblicklich auf starken Widerstand der Fundamentalisten, der Revivalisten und konventioneller christlicher Kirchenführer stießen, weil sie Anhänger der okkulten Bibel waren, flohen Goodridge und Garrison vor der Verfolgung in das Buschgebiet der Gemeinde von St. Thomas im östlichen Jamaika, und dort wurde die junge Saat des Rastafarianismus gepflegt. Frühe Rasta-Führer wie Leonard P. Howell fanden ihren Weg in die verbotenen Lager, um die Holy Piby zu lesen – angeblich der ersten Bibel am nächsten kommend, von der man sagte, sie sei auf Amharisch geschrieben (jahrhundertelang die offizielle Sprache von Äthiopien, und, wie behauptet wird, die ursprüngliche Sprache der Menschheit). Goodridge und Garrison behaupteten, dass weiße Kirchengelehrte unter den ersten Päpsten die amharische Bibel durch Übersetzung und Bearbeitung entstellten, um Gott und seine Propheten zu Weißen statt Schwarzen zu machen. In der Piby gab es ein Kapitel unter der Überschrift ›Die Lebenskarte des schwarzen Mannes‹, in dem sein schwieriges, aber schließlich glorreiches Schicksal von der Schöpfung bis zum Harmageddon und darüber hinaus dargestellt wurde.

Die frühen Rasta-Songs und Gesänge einschließlich des traditionellen ›Rasta Man Chant‹, den Bob Marley Mitte der siebziger Jahre aufnehmen sollte, waren der Piby entnommen, wo sie in ›glossolalia‹, einer kaum verständlichen ›Engelssprache‹, aufgezeichnet waren, die sich als dem ritualistischen Jargon sehr ähnlich erwies, der in den dreißiger und vierziger Jahren von dem selbsternannten englischen Magier Aleister Crowley, dem sogenannten ›Great Beast‹, in seinen okkulten Golden Dawn-Zeremonien verwendet wurde.

Unter denjenigen, die in St. Thomas die Piby studierten, befand sich der Rev. Fitz Balintine Pettersburgh, der 1926 ein gleichermaßen geheiligtes Dokument bei der geheimen Bruderschaft der Piby einführte. Es handelte sich um die Royal Parchment Scroll of Black Supremacy, welche Pettersburgh als das ›oberste Buch der königlichen Gesetze für das äthiopische Zentrum im Westen‹ bezeichnete. In dieses Buch nahm Pettersburgh die Prophezeiung des Rev. James Webb auf, in der die Entstehung eines neuen äthiopischen Kaiserreichs unter der Herrschaft eines schwarzen Gottkönigs beschrieben wurde. Besonderen Anklang fand die Royal Parchment Scroll (Königliche Schriftrolle aus Pergament) bei den panafrikanischen ›Ethiopianist‹-Organisationen wie der Ethiopian Guild und der Brotherhood Mission, die auf Jamaika aufblühten. Das letzte Teil in dem theologischen Puzzle-Spiel war der Promised Key, auch die Rasta-Bibel genannt, wobei es sich um ein Plagiat der Royal Parchment Scroll durch Leonard P. Howell handelte. Scharlatan, der er bestimmt auch war, machte Howell neue Anhänger glauben, es handele sich bei dem Buch um ein uraltes Werk, das in Akkra, der Goldküste, entstanden war, aber tatsächlich hatte er selbst es 1935 auf Jamaika herausgebracht.

Während all dies auf Jamaika geschah, hatte Marcus Garvey, der herausragendste Exponent panafrikanischer Hoffnungen und Sehnsüchte, in den Vereinigten Staaten seine Schwierigkeiten mit der Mission von einer Repatriierung der schwarzen Masse. 1922 wurden er und drei Funktionäre der UNIA wegen Betrugs festgenommen. 1923 wurde Garvey wegen Betrugs und Einkommensteuerhinterziehung vor Gericht gestellt und verurteilt (er behauptete, man habe ihm eine Falle gestellt), und nachdem seine Berufungen abgeschmettert worden waren, saß er im Bundesgefängnis in Atlanta ein, bis Präsident Calvin Coolidge 1927 seine Strafe aussetzte. Im Dezember desselben Jahres wurde er über Panama nach Jamaika deportiert, und fast hätte man ihm die Einreise in sein Heimatland verweigert. Im März 1926 hatte der amtierende Gouverneur von Jamaika an den britischen Minister für die Kolonien geschrieben und gewarnt: »Meine Befürchtungen werden bestätigt von zwei gewählten Mitgliedern des Legislativrates, die darauf hinweisen, dass es schon ein geringes Ausmaß antiweißer Propaganda durch eine religiöse Gemeinschaft in zumindest einem Bezirk gibt, die durch Garvey wahrscheinlich aufgeheizt werden wird.«

Der Bezirk, auf den man sich bezog, war St. Thomas, und bei der religiösen Gemeinschaft handelte es sich um die Bruderschaft der Piby. Was die antiweiße Propaganda betraf, so war die Bruderschaft nur der Meinung, die afrikanische Rasse, einstmals die vornehmste auf Erden, jetzt jedoch die missachtetste und gequälteste, werde eines Tages wieder ihre Stellung als die von Jah bevorzugte erleben.

Am 17. Mai 1926 veröffentlichte der Daily Gleaner einen oberflächlichen Bericht über die Piby. Zwei Tage später erschien im Gleaner eine Fortsetzung: »Neue Glaubenslehren in der Holy Piby enthalten, einem bemerkenswerten Buch, das in den Vereinigten Staaten gedruckt und in Umlauf gebracht wird. Glaubhafte Religion, als deren Apostel Marcus Garvey gilt.« Der Gleaner vom 27. Mai: »Gerüchte über eine Massenveranstaltung zur Denunziation der Holy Piby.«

Am 4. Juni werden Sprecher der UNIA zitiert, die sagten, Garveys Organisation habe nicht das Geringste mit der Piby zu tun. Aber da Garveys Rückkehr nach Jamaika in Kürze bevorstand, ließ sich der Gleaner, das Sprachrohr der oberen Mittelklasse, nicht von seinem Ziel abbringen, nämlich Garvey bei dem religiösen Establishment der Schwarzen auf der Insel in Misskredit zu bringen.

Am 6. Juni erschien im Gleaner ein Leitartikel mit der Überschrift »Eine neue Religion«:

»Wir haben zwei Publikationen der neuen äthiopischen Religion erhalten, auf die wir in letzter Zeit des Öfteren angespielt haben. Diese Bücher bzw. Pamphlete ergänzen die Holy Piby, die die Heilige Schrift ersetzende Bibel der Garveyiten, die proklamiert, Elias sei der Erlöser gewesen – eine Behauptung, die den ernsthaften und kompromisslosen Hebräer entsetzt hätte. Es ist nur recht, wenn man sagt, dass diese Religion allerorts nur wenige Bekehrte gefunden hat. Einige törichte und leichtgläubige Menschen haben sich möglicherweise dazu veranlasst gesehen, ihr Geld in eine Black Star Line zu investieren, die kaum je mehr als drei Schiffe besaß und nur durch Spenden von Freunden von Hafen zu Hafen gelangen konnte. Dieselben Leute wehrten sich allerdings, als sie zu diesem Pech verfolgten kommerziellen Unternehmen auch noch eine Religion annehmen sollten. In Jamaika wird man über Dinge dieser Art jedenfalls so lange lachen, bis sie nicht mehr existieren. Dinge dieser Art sind nur unverschämt. Sie weisen eine Art von Vulgarität auf, die sogar die Vulgären ekelt.«

So wurde Garvey, der sich auf dem Heimweg befand, als krimineller Lump dargestellt, als Ketzer und unverantwortlicher, unehrlicher und blasphemischer Anführer, der nichts als heftigste Verachtung verdient habe. Bei Besuchen in den alten UNIA-Hauptquartieren auf den Westindischen Inseln und in Zentralamerika versuchte er, die Bewegung wieder zusammenzubringen, aber überall traf er auf Interesselosigkeit. 1928 sprach er in Londons riesiger Royal Albert Hall vor fast leerem Haus. Da seine Anhängerschaft sich derartig aufgelöst hatte und sein geliebtes Jamaika ihm absolut feindselig gesinnt war, ließ sich Garvey 1935 wieder in England nieder. »Führerschaft bedeutet alles – Schmerz, Blut, Tod«, so lautete sein persönliches Credo. 1940 blieb ihm dann gar nichts mehr, und man begrub ihn in britischer Erde.

Aber der Rastafari-Glaube hatte in seinem Heimatland Wurzeln gefasst und gewann hauptsächlich als eine bäuerliche Landesbesetzungs-Bewegung mit religiösem Anstrich immer mehr Bedeutung. Howell rief seine Gemeinde auf: »Jener Mann in England (zuerst George V., dann Edward VIII.) ist nicht unser König! Behaltet das Land, bezahlt keine Steuern, denn unser König, der König aller Könige, ist jetzt in Äthiopien gekrönt worden, und aller Tribut gebührt nur ihm!«

Howell und eine ganze Schar anderer Rasta- und Pseudo-Rasta-Führer machten sich an die Aufgabe, dieser kühnen neuen Religion Hand und Fuß zu geben. Unter diesen Theoretikern befanden sich H. Archibald Dunkley und Joseph Nathaniel Hibbert, beides Mitglieder des überaus geheimen ägyptischen Freimaurer-Ordens, der bekannt war unter dem Namen ›Great Ancient Brotherhood of Silence‹ (Große, uralte Bruderschaft des Schweigens), Robert Hinds, ein Schüler von Bedward; David und Annie M. Harvey, 1931 Gründer der ›Israelites‹-Sekte, und der selbsternannte Prince Edward Emanuel, der von sich behauptete, 1915 in der Kirchengemeinde von St. Elizabeth leibhaftig vom Himmel herabgestiegen zu sein und daher wie der biblische Melchisedek keine sterblichen Eltern zu besitzen. Andere frühe Rasta-Führer waren Claudius Henry, Altamont Reed, Paul Ervington und Vernal Davis.

Diese selbsternannten ›Propheten‹ formulierten eine Anzahl von Diät- und Hygiene-Gesetzen, die mit der religiösen Lehre einhergingen. Sie verlangten von ihren Anhängern, keinen Alkohol, keinen Tabak und kein Fleisch (besonders kein Schweinefleisch) zu sich zu nehmen und auch keine Schalentiere, keine schuppenlosen Fische, keine Raubfische und keine aasfressenden Meerestiere und auch nicht viele allgemein verbreitete Gewürze wie zum Beispiel Salz. Kurz, alles, was nicht ›ital‹ war, eine Rasta-Bezeichnung für ›rein‹, ›natürlich‹ oder ›sauber‹, war verboten. Außerdem verboten sie das Kämmen oder Schneiden von Haaren und zitierten dazu die heilige Anweisung im 3. Buch Mose, 21,5: »Sie sollen auch keine Glatze scheren auf ihrem Haupt noch ihren Bart stutzen und an ihrem Leibe kein Mal einschneiden.« Ihre Haarsträhnen ließen sie verfilzen und sich verflechten zu Dreadlocks, so genannt, um die Aversion der Nichtgläubigen gegenüber ihrem Aussehen zu verspotten. (Das Substantiv ›dread‹ – Schrecken, Grauen – hat sich seither ebenfalls in ein Wort des Lobs gewandelt.) Das Kraut ›ganja‹ (Marihuana) wurde von ihnen als ›wisdomweed‹ (Weisheitskraut) angesehen, und die Rasta-Führer drängten darauf, es in einem religiösen Ritus zu rauchen, denn sie sagten, es sei auf dem Grab von König Salomon gefunden worden, und sie zitierten Passagen aus der Bibel, so den Psalm 104,14, um seine sakramentalen Eigenschaften zu bestätigen: »He causeth the grass to grow for the cattle, and herb for the service of man, that he may bring forth food out of the earth.« (»Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst.«)

Der Kult verschrie die aus Afrika stammende Pukumina-Religion auf Jamaika sowie alle christlichen Kirchen als dekadent. Überdies verkündete man, die Schwarzen seien die überlegenere Rasse, und nach dem Harmageddon würden sie über alle Schöpfung herrschen, wie sie es zu Anbeginn getan hätten.

Die Rastas wiesen Vorwürfe anderer Religionen von sich, sie seien anti-weiß oder anti-braun (gegen die Mulatten), und forderten alle auf, zu bereuen und Jah (eine Kurzform für Jehova) anzuerkennen. Sie gelobten, dass zu einer geheimen Stunde, die nur einigen wenigen ganz besonders Frommen bekannt sei, die Gläubigen zurückkehren würden nach Äthiopien auf eine Weise, die nicht enthüllt sei, und damit endlich das tropische Dampfbad Jamaika verlassen könnten, das sie buchstäblich als die Hölle auf Erden betrachteten. Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch würden sich die Rastas weigern, Anteil zu nehmen an den Machenschaften des täglichen Lebens und Handelns in ›Babylon‹, dem Ort, an dem der Geist sich zeitweilig in Gefangenschaft befinde.

Die Armen folgten massenhaft dem Ruf der Rastas, da der Kult ihrem Status als Ausgestoßene der Gesellschaft ein gewisses Ansehen zusprach. Als Rastas konnten sie jetzt in Würde auf den Tag des Jüngsten Gerichts warten, an dem die Ersten die Letzten sein würden und die Letzten die Ersten. 1934 hatte es der Rastafarianismus zu einer starken Gefolgschaft besonders bei den unteren Klassen und in den Ghettos von Kingston gebracht.

Ein Ableger der Ethiopian World Federation, Inc., einer Interessengemeinschaft, die gegründet worden war, um im Ausland Sympathien und Unterstützung für den äthiopischen Kampf gegen den italienischen Faschismus zu gewinnen, wurde 1938 auf Jamaika ins Leben gerufen. Die Reaktion von Rastas und Nicht-Rastas war gleichermaßen enthusiastisch, und 1955 verkündete Selassie, der während Mussolinis Besetzung seines Kaiserreichs (1936–1941) im Exil gewesen war, fünfhundert fruchtbare Morgen seines persönlichen Landbesitzes stünden schwarzen Siedlern aus dem Westen zur Verfügung, die Äthiopiens Kampf zur Bewahrung seiner Freiheit unterstützt hatten. Jamaikas Rastas waren begeistert über dies Angebot und forderten ihre Landsleute auf, die in großer Anzahl nach England auszuwandern begannen, um dort Arbeit zu finden: »Ethiopia, yes! England, no! Let my people go!«

Mittlerweile hatte Leonard Howell seine Anhängerschar aus der Rasta-Mission in den Bergen von St. Catherine in eine abgelegene Spanish-Town-Siedlung namens Pinnacle geführt, einen verlassenen Landsitz nahe Sligoville, der 1940 erworben wurde. Dort bauten sie Ganja an, während er sich mit seinen dreizehn Ehefrauen beschäftigte. Eines Morgens verkündete er, nicht Selassie, sondern er selbst sei der Lebendige Gott, und er forderte seine Brüder auf, ihn von jetzt an Gangunguru Maragh zu nennen (eine Verbindung von Hindi-Wörtern mit der Bedeutung ›Lehrer der berühmten Weisheit, König der Könige‹). Während seine Anhänger nur etwas verwirrt waren, zeigte sich die Polizei am Ende ihrer Geduld und stürmte 1954 seine Besiedlung. Der örtliche Magistrat erklärte Howell für geistesgestört und ließ ihn in eine Einrichtung für kriminelle Geisteskranke einweisen. Seine obdachlosen Dreads wanderten hinunter nach Kingston, wo sie in größeren Gruppen herumlungerten und ganz allgemein die Bevölkerung mit ihrer ungewöhnlichen Haartracht und dem öffentlichen Rauchen des illegalen Ganja provozierten und gegen sich aufbrachten.

Bis zum Ende der fünfziger Jahre waren andere Rasta-Gemeinden in ihrer ungeduldigen Erwartung sozialer Gerechtigkeit wie auch geistlicher Erlösung immer militanter geworden. Eine Gruppe unternahm den Versuch, den Victoria Park in Kingston in ihre Gewalt zu bekommen, und eine andere besetzte das Old King’s House in Spanish Town im Namen Selassies. Diese uncharakteristisch aggressiven Aktionen wurden von den Behörden als logische Konsequenz der Rasta-Zusammenkunft denunziert, die 1958 von Prince Emanuel organisiert worden war. Hunderte von Brüdern kamen auf einem Gelände im Back-o-Wall-Stadtteil von West Kingston zusammen. Es gab große Lagerfeuer, man trommelte, religiöse Zeremonien wurden abgehalten, und – so behaupteten zumindest höhere Polizeibeamte – man drohte, Mitglieder der Polizeitruppe als Opfer für Jah zu köpfen.

Für die meisten Betrachter war dies das beunruhigendste Ereignis im Großraum Kingston seit dem Port-Royal-Erdbeben auf der anderen Seite der Bucht im Jahre 1962. Aber die Rastas versuchten eigentlich nur, eine United Church of Rastafari zu etablieren. Ihre Bemühungen waren blockiert, weil keiner der weit verstreuten Brüder sich wirklich mit den anderen darüber einigen konnte, welche Stellung Selassie im großen Plan einnahm. War er wirklich Gott? Ein naher Verwandter? Ein Prophet in der Nachfolge von Abraham, Moses und Jesus?

Unter denjenigen, die eine persönliche Einladung von Prince Emanuel zu dem exotischen Zusammentreffen in Kingston erhielten, war Rev. Claudius Henry, der sich selbst zum ›Repairer of the Breach‹ (›Heiler des Bruchs‹) erkoren hatte. Aufgewühlt von den komplexen Ritualen, deren Zeuge er geworden war, gründete Henry eilig die African Reformed Church in West Kingston und verkündete, der 5. Oktober 1959 sei der ›Tag der Befreiung‹. Von ihm herausgegebene Pamphlete wiesen darauf hin, es sei kein Pass erforderlich für diejenigen, die zurückkehren wollen nach Afrika. Eine Fahrkarte für die Überfahrt nach Äthiopien, geschmückt mit einem Bild von Selassie, kostete einen Schilling. Tausende davon wurden erworben, und an dem angekündigten Tag waren die Straßen in der Umgebung von Henrys Kirche verstopft von erwartungsfrohen Rastas und ihren Familien, von denen viele ihren gesamten Besitz verkauft hatten. Als der Tag zu Ende ging, war jedoch am Horizont noch kein Schiff zur Ozeanüberquerung aufgetaucht, und Henry wurde verhaftet.

Der gedemütigte Henry drohte nach seiner Entlassung der Regierung mit Rache. Er landete später im Gefängnis, als ein riesiges Waffenlager – Gewehre, Macheten, Dynamit und Munition – in seiner Kirche entdeckt wurden. Sein Sohn Reynold nahm den Kampf auf. 1960 wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, nachdem es in Kingstons Red-Hills-Distrikt zu einer Schießerei zwischen Rastas, die den Henrys ergeben waren, und dem Royal Hampshire Regiment gekommen war. Drei Guerillas und zwei Soldaten kamen bei dieser Auseinandersetzung ums Leben.

Die Feindseligkeiten nahmen in den folgenden beiden Jahren noch zu, als die Rastas sich als Niyaman zu bezeichnen begannen. Mit diesem Namen bezogen sie sich auf den Niyabingi-Orden, eine äußerst gewalttätige Gruppe, die angeblich von Selassie geduldet wurde und in den dreißiger Jahren in Äthiopien auftauchte. Die Regierung hatte mit Polizeieinsatz zur Auflösung der Niyabingi-Treffen reagiert, und es war zu weiteren Gewalttätigkeiten gekommen. 1963 führte ein Zusammenprall zwischen Rastas und der Polizei an der Nordküste in der Nähe von Montego Bay zu mehreren Toten auf beiden Seiten.

Trotz der ständigen Unterdrückung durch die Behörden blühte der Rastafarianismus aus Jamaika weiter und dehnte sich Ende der sechziger Jahre auch auf die Mittelklasse aus. Zahlreiche Konvertiten (hauptsächlich männlich und im Alter zwischen 13 und 20) schlossen sich dem Glauben an, nachdem Rasta-Malern, -Bildhauern, -Dichtern, -Tänzern und -Musikern immer mehr Anerkennung gezollt wurde. (Der bekannte Rasta-Poet/Politiker Samuel Brown hat kürzlich die Ansicht vertreten, sechs von zehn Jamaikanern seien Rastas.)

Am 21. April 1966 kam Haile Selassie zu einem Staatsbesuch nach Jamaika, und eine Rasta-Menge von angeblich hunderttausend soll sein Flugzeug auf der Landepiste umringt haben. Nach der Landung blieb Selassie eine halbe Stunde im Flugzeug, weil er vermutlich Angst vor diesem unerwartet überschwänglichen Empfang bekommen hatte. Erst als der Rasta-Führer Mortimo Planno (später ein Lehrmeister von Bob Marley) die Versammelten beruhigt hatte, wagte sich der Kaiser heraus.

Während seines Besuchs gab Selassie keinen offiziellen Kommentar zu der Einschätzung seiner spirituellen Stellung durch die Sekte ab, aber schnell verbreitete sich in Rasta-Kreisen ein Gerücht, dass einigen der Rasta-Älteren vom Kaiser ein geheimes Kommuniqué übergeben worden sei, in dem sie instruiert wurden, »vor der Übersiedlung nach Äthiopien Jamaika zu befreien«.

Dieses Gerücht hatte einen beruhigenden Einfluss auf die ungeduldige Rasta-Gemeinde, weil die schreckliche Verantwortung, das Datum für den endgültigen Exodus aus Babylon zu verkünden, dadurch auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Aber es wurde auch als Aufforderung angesehen, die politischen Aktivitäten zu verstärken, und bald konzentrierten sich die Rastas auf die Forderung, den Gebrauch von Ganja zu legalisieren.

In der amharischen Bibel ›kan‹ genannt, wurde das Ganja aus Indien als Canabis indica, der asiatische Hanf, von den Spaniern um 1545 herum in die Neue Welt gebracht. Großbritannien bot den Kolonialpflanzern großzügige Subventionen, um sie zu ermutigen, Hanf anzubauen und dadurch das russische Monopol auf diese Pflanze zu brechen, deren Fasern hauptsächlich für die Herstellung von Seilen verwendet wurden. Heute rauchen schätzungsweise 65 Prozent der Erwachsenen und 80 Prozent der Bevölkerung unter 21 Jahren auf Jamaika Ganja regelmäßig. Die armen und mutigen Rastas auf dem Lande bauen das Marihuana an und verkaufen es, weil es eine hervorragende Einkommensquelle bietet, denn Anbau und Ernte erfordern weit weniger mühseligen Einsatz als die Schwerarbeit in den Bauxitminen der Insel.

Die Polizei macht den Rastas weiterhin Schwierigkeiten, hauptsächlich wegen ihres schamlosen Gebrauchs von Ganja, das weiterhin auf Jamaika illegal ist, aber auch wegen ihres seltsamen Aussehens und ihrer ›subversiven‹ politischen und religiösen Ansichten. Ganz besonders richten sich die Aktionen der Behörden gegen die Reggae-Sänger unter den Rastas, deren Songs von dem Zorn Jahs künden und vom moralischen Verfall der Regierung.

Um ein Rasta zu sein, bedarf es ungeheuren Glaubens, sagen die Brüder, denn die Wahrhaftigkeit der Meditationen und Vision Jahs ist ständigen Anfechtungen ausgesetzt, sogar in Afrika. Aber die Rastas weisen darauf hin, dass die Bibel prophezeit, kurz vor dem Fall Babylons werde viel Verwirrung herrschen, und viele Schakale würden ihre Stimmen ertönen lassen und Falsches künden, um die, die nach Wahrheit suchen, in die geistige Irre zu leiten. Daher, so schließen sie, sind Hohn und Unterdrückung nichts als Bestätigungen des Rasta-Evangeliums.

Im Laufe der Zeit sollte der Rasta-Glaube weit über Jamaika hinaus verbreitet werden, und das hatte er in erster Linie der musikalischen Missionsarbeit von Bob Marley und den Wailers zu verdanken. Aber der Reggae, der diese Botschaft trug, brauchte noch einige Jahre der Entwicklung.

Was die Plattenkäufer aus Jamaika betrifft, wurde das Wort ›Reggae‹ auf einer Pyramid-Tanzsingle von 1968 von Toots and the Maytals mit dem Titel ›Do the Reggay‹ geprägt. Manche glauben, die Bezeichnung stamme her von Regga, dem Namen eines Bantu sprechenden Stammes am Tanganjika-See. Andere halten es für eine Entstellung von ›streggae‹, Straßenslang aus Kingston für eine Prostituierte. Bob Marley behauptete, das Wort stamme aus dem Spanischen und bedeute ›Musik des Königs‹. Altgediente Studiomusiker aus Jamaika haben die einfachste und wohl am meisten einleuchtende Erklärung. »Es ist eine Beschreibung des Beats selbst«, sagt Hux Brown, Leadgitarrist auf Paul Simons reggaegetöntem Hit ›Mother and Child Reunion‹ von 1972 und überdies der Mann, dem man weithin zuschreibt, Erfinder des auf einer Saite gespielten Zitter- und Trillertones zu sein, der Simons Single und viele Top-Hits der Insel in den vorangegangenen Jahren einleitet. »Es ist nur so ein Ulkwort, so zum Spaß, das den ›ragged‹ (holperigen) Rhythmus und das Körpergefühl kennzeichnet. Wenn es darüber hinaus eine Bedeutung hat, ist es auch egal!«

Jahrzehntelang, seit den zwanziger Jahren, war die beherrschende Musik in der Karibik der Calypso aus Trinidad.

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