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Black Planet: Der Aufstieg der Sisters Of Mercy
Black Planet: Der Aufstieg der Sisters Of Mercy
Black Planet: Der Aufstieg der Sisters Of Mercy
eBook522 Seiten7 Stunden

Black Planet: Der Aufstieg der Sisters Of Mercy

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Über dieses E-Book

The Sisters Of Mercy:
die Gründerväter des Gothic Rock

Anfang der Achtzigerjahre, beeinflusst vom kühlen Postpunk der damaligen Zeit, entstand in Großbritannien ein neues Musikgenre: Gothic. Nach The Cure, Joy Division und Siouxsie & The Banshees trat 1982 mit den Sisters Of Mercy eine neue Band ins Stroboskoplicht, die diese Musik und das dazugehörige Image entscheidend prägen sollte - und deren Einfluss auf die florierende deutsche Darkwave-Szene der Neunziger gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Hinter den Sisters steht bis heute eine der schillerndsten Figuren der Rockszene. Andrew Eldritch gab den eigentlich eher kühl und elektronisch karg aufgebauten Songs seiner Band mit seinem dramatischen Baritongesang eine überraschend emotionale Note, und darüber hinaus stilisierte er sich zum ultimativ geheimnisvollen Gothic-Zeremonienmeister, der nichts von sich preisgab und sich auf der Bühne hinter einer Wand aus Trockeneisnebel versteckte. Über sein Privatleben drang nie etwas an die Öffentlichkeit, und Fotos ohne Sonnenbrille gab es nicht. Eldritch zelebrierte das Mysterium des Rockstars, um es sich gleichzeitig in seiner Musik ironisch zu brechen.

Dem Journalisten Mark Andrews ist es nun gelungen, Licht in das von Eldritch so sorgsam gehütete Dunkel zu bringen. Im nordenglischen Leeds, in dem die Sisters zwischen Punk, Glam und Electro ihre ersten Schritte unternahmen, ging er auf eine gründliche Spurensuche und förderte in Interviews mit alten Weggefährten und Musikschaffenden sowie dank Privatkontakte jede Menge neuer Informationen zutage, die selbst eingefleischte Fans überraschen dürften. Sein erhellendes Porträt der frühen Sisters-Jahre zeigt vor allem, wie der Student Andrew Taylor die Kunstfigur Eldritch erfand und den Masterplan hinter den Sisters ausheckte, zeichnet aber auch eine gelungene Skizze der fruchtbaren Musikszene der damaligen Zeit und spart nicht mit amüsanten Anekdoten.

Ein Buch, das in der bis heute großen Fangemeinde der Düsterrocker mit großer Spannung erwartet wird!
SpracheDeutsch
HerausgeberHannibal
Erscheinungsdatum17. Nov. 2022
ISBN9783854457367
Black Planet: Der Aufstieg der Sisters Of Mercy

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    Buchvorschau

    Black Planet - Mark Andrews

    Mark Andrews

    Black Planet

    Der Aufstieg der

    Sisters Of Mercy

    www.hannibal-verlag.de

    Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt

    Impressum

    Deutsche Erstausgabe 2022

    © 2022 by Hannibal

    Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

    www.hannibal-verlag.de

    ISBN 978-3-85445-736-7

    Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-735-0

    Titel der Originalausgabe: Paint My Name in Black and Gold – The Rise of the Sisters of Mercy

    Copyright © 2021 by Mark Andrews

    Cover photograph: © Ruth Polsky

    Erstmals veröffentlicht 2021 von Unbound, Level 1, Devonshire House, One Mayfair Place, London W1J 8AJ

    ISBN der Originalausgabe: 978-1-80018-038-3

    Grafischer Satz in deutscher Sprache: Thomas Auer

    Übersetzung: Kirsten Borchardt

    Deutsches Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

    Hinweis für den Leser:

    Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

    Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

    Es wurden alle Anstrengungen unternommen, die Urheber der in diesem Buch reproduzierten rechtlich geschützten Materialien ausfindig zu machen. Sollten dennoch Urheberrechtshinweise fehlen, bittet der Verlag um eine entsprechende Meldung, um sie in kommenden Auflagen zu berücksichtigen.

    Einige in diesem Buch enthaltene Passagen erschienen in frühen Versionen bei The Quietus.

    Inhalt

    Superfans

    Widmung

    Zitate

    Einleitung

    Bessere Pläne

    1

    Der Sumpf

    2

    Cat People

    3

    Under The Jungle Sky

    4

    Slow, Slow,

    Quick, Quick, Slow

    5

    Hexenrituale

    6

    Body Electric

    7

    Metallic K.O.

    8

    Alice

    9

    Heartland

    10

    Alter Ego

    11

    Die Schlangengrube

    12

    Die sieben Samurai

    Bilderstrecke

    13

    Neue Bündnisse

    14

    Verträge

    15

    Brother Wayne

    16

    Auf Pilgerfahrt

    17

    Some Kind Of Stranger

    18

    Too Dark To See

    19

    Düster ziehen die Wolken

    20

    Waiting For The Summer Rain

    21

    Wechselnde Bündnisse

    22

    Heldendämmerung

    23

    Leben aus dem Gleichgewicht

    24

    Eldritch, der Zorn Gottes

    25

    Gift

    Epilog

    Ozymandias/Songs Of The Free

    Afterhours

    Quellennachweise

    Danksagungen

    Über den Autor

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    Superfans

    Rohan Edward Baboolal

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    Keith Barton

    Mark Bartrum

    Paul Bates-Shuker

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    Steve Burnett

    Moric Butstraen

    Helen Campbell

    Ian Campbell (Version)

    Eugene Carey

    George Carless

    Neil Cross

    Paul Cuska

    Clive Davies

    Lothar Dittmann

    Oliver Fahl

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    Aldo Framingo

    Jochen Friedrichs

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    Gabriel Husek

    Matt Jutras

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    Aaron Quinton & Noah Quinton

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    Mark Robertson

    David Brent Roundsley

    James Ryan

    Dirk S.

    René Schraven

    Andrew William Small

    Chris Smith

    Juha Sorva

    Stadium Anthems (Feature Film)

    Nicholas P. Stathoulopoulos

    Alexandra Superbonita Tolksdorf

    Ariock Van de Voorde

    Stan Verbeken

    Phil Verne

    Ingo Wennemaring

    Chris York

    Widmung

    Für Richard M. Holtom

    (1968–2019)

    Zitate

    „Ich will es niemals vergessen. Ich will niemals vergessen. Und dann war mir, als würde ich durchbohrt, durchbohrt von einer diamantenen … einer diamantenen Kugel, direkt durch die Stirn, und ich dachte: Mein Gott, diese Schöpferkraft, dieses Genie, dieser Wille, das zu vollbringen. Vollkommen, unverfälscht, vollendet, kristallin, makellos."

    Apocalypse Now, 1979

    „Bei Swann lässt man eine Menge durchgehen, wissen Sie."

    Ein Draufgänger in New York, 1982

    Einleitung

    Bessere Pläne

    An einem Sonntagnachmittag im Spätsommer 1980 erschien Craig Adams zum Vorspielen in der St. John’s Terrace Nummer 12 im Hyde-Park-Viertel von Leeds. Adams war achtzehn, hatte aber bereits in zahlreichen lokalen Bands Erfahrungen gesammelt – zuletzt bei dem kurzlebigen Electropop-Duo Exchange, bei dem Adams und Jim Bates, der exaltierte Manager des Faversham Hotels, Synthesizer gespielt hatten. Bates war der Sänger. Sie waren bei einem Sit-in an der Universität aufgetreten, hatten aber keine anderen großen Taten vorzuweisen. Wie Adams selbst bereitwillig zugab, waren Exchange ziemlich grässlich gewesen.

    Nach diesem Experiment hatte er endgültig keine Lust mehr auf Keyboards, obwohl er seit dem siebten Lebensjahr irgendwelche Tasteninstrumente gespielt hatte. Zu diesem Vorspielen brachte er einen E-Bass und eine Fuzzbox mit. Die Fuzzbox gehörte ihm selbst, der E-Bass nicht; Adams besaß kein eigenes Instrument. Er hatte es sich von Ken Brown geliehen, der in einer Band namens YOU spielte. Brown war Linkshänder, daher hatte Adams die Saiten neu aufziehen müssen, bevor er sich auf den Weg machte.

    Die St. John’s Terrace wurde auf einer Seite von einer Reihe zwei- oder dreistöckiger Altbauten gesäumt, und Haus Nummer 12 hatte man zu mehreren kleinen Einzimmerwohnungen umgebaut. In der engen Wohnung oben unterm Dach warteten Mark Pearman und Andy Taylor auf Adams. Die beiden hatten eine Band, die sie The Sisters Of Mercy getauft hatten. Pearman spielte Gitarre, Taylor saß am Schlagzeug. Den Gesang übernahmen sie beide.

    Bisher hatten die Sisters Of Mercy weder live gespielt noch Studioaufnahmen gemacht. Ihr Repertoire umfasste vier eigene Songs: „The Damage Done, „Home Of The Hitmen, „Miser Rate und „Watch. Sie klangen alle nicht besonders gut.

    Taylor spielte sein Instrument – ein gebrauchtes Schlagzeug, das er schwarz angemalt hatte – seit noch nicht einmal einem Jahr. Sein Stil war primitiv, pochend dumpf schamanisch und nutzte nur einen winzigen Teil der Becken und Trommeln, was sowohl auf seine beschränkten Fähigkeiten als auch auf seine Begeisterung für die Glitter Band zurückzuführen war. Er war einundzwanzig.

    Pearman war im gleichen Alter. Er hatte früher in Hull gewohnt und dort erfolglos versucht, eine Band zu gründen; Anfang 1979 war er dann nach Leeds gezogen, wo er der Umsetzung seiner Träume zunächst auch nicht nennenswert näherkam. Eine Weile hatte er bei Naked Voices gesungen, aber die Band hatte kaum Auftritte absolviert, konnte sich weder auf eine feste Besetzung noch auf einen Stil einigen und endete schließlich als wenig attraktives Mischmasch aus Wire, The Jam und Elvis Costello. Diese Erfahrung war so niederschmetternd gewesen, dass Pearman beschlossen hatte, sich das Gitarrespielen beizubringen. Damit war er immer noch beschäftigt, als Adams zum Vorspielen erschien: Pearman kannte nur ein paar Akkorde, und seine Versuche als Leadgitarrist waren so beliebig wie rudimentär.

    Aber die Sisters Of Mercy hatten ein großartiges Logo: Über einem fünfzackigen Stern prangte die Zeichnung eines gehäuteten Kopfs, die einem Schaubild aus dem medizinischen Standardwerk Grey’s Anatomy nachempfunden war. Taylor und Pearman fanden, es sei ein spannendes Motiv, das sich perfekt für T-Shirts eignen würde – oder für das Etikett einer Single, die sich auf einem Plattenteller dreht.

    Adams, Taylor und Pearman kannten sich aus dem F Club, der angesagten Punk-Clubnacht in Leeds. Sie fand in verschiedenen Örtlichkeiten statt und war damals gerade im Brannigan’s zu Hause, einem Kellerlokal in der Call Lane. Taylors Freundin Claire Shearsby, mit der er die kleine Wohnung in der St. John’s Terrace teilte, sorgte als DJane für die Musik, seit der F Club im Sommer 1977 ins Leben gerufen worden war. Sie spielte in der Musikszene von Leeds eine große Rolle und war in der Stadt recht bekannt. Taylor saß meistens neben ihr am DJ-Pult, weil er da auch die beste Sicht auf die Bühne hatte, wenn Bands auftraten.

    Für Adams war es objektiv betrachtet ein Rückschritt, sich bei Taylor und Pearman vorzustellen. Vor Exchange hatte er – ebenfalls als Keyboarder – in einer anderen, bekannteren lokalen Band gespielt, bei den Expelaires, die immerhin einen Plattenvertrag bei Zoo Records gehabt hatten, neben Teardrop Explodes und Echo & The Bunnymen. Die Expelaires hatten eine Peel Session aufgenommen, ein paar Singles veröffentlicht und waren einige Male außerhalb von Leeds aufgetreten. Von allen Bands, die sich im Dunstkreis des F Clubs gründeten, waren die Explelaires zweifelsohne die größte. Adams war bei ihnen ausgestiegen, nachdem sie einen Deal mit einem Major Label ausgeschlagen hatten. (Außerdem hatten sie ihm gesagt, dass ein Riff, das er für sie geschrieben hatte, „Heavy-Metal-Kacke" sei.)

    Damals war Adams mehr mit Shearsby befreundet als mit Taylor, und er kannte die Wohnung der beiden gut: Den meisten Platz nahmen ein Bett und Taylors Schlagzeug ein, ansonsten gab es noch zwei abgewetzte Sessel, die auf einen kleinen Schwarzweißfernseher ausgerichtet waren. Das Tischchen dazwischen war aus leeren Marlboro-Schachteln zusammengeklebt worden. Poster schmückten die Wände: Albumcover von Devos Are We Not Men? und Bowies Low sowie ein selbstgestaltetes, das völlig leer war, abgesehen von einem kleinen Punkt nahe der Mitte, unter dem „There Have Been Better Plans" stand. Dann waren da noch Taylors Fechtmaske und Säbel sowie ein Modellbausatz des Angel Interceptor Jets aus der britischen Fernsehserie Captain Scarlet und die Rache der Mysterons, den Taylor zusammengesetzt hatte.

    Das mickrige musikalische Equipment der Sisters, größtenteils Schrott, verteilte sich über die ganze Wohnung. Adams war auch nicht verwöhnt, was Anlagen betraf. Pearman spielte über einen billigen, tragbaren Plattenspieler, den er zum Verstärker umgerüstet hatte und der nur funktionierte, wenn sich auch der Plattenteller drehte. Das Gerät stand neben dem Bett. Der einzige andere Verstärker gehörte Taylor: ein abgewetztes 3-Watt-Übungsmodell von Woolworth, das er für seine Billiggitarre benutzte.

    In der kleinen Wohnung stand außerdem ein Katzenklo, denn die dritte Seele, die Zeuge von Adams’ Vorspieltermin wurde, war Spiggy, Taylors und Shearsbys schwarze Katze. Shearsby war an dem Nachmittag nicht zuhause.

    Unter diesen eher ungünstigen Umständen und in diesem Raum begab es sich also, dass die Sisters Of Mercy – die richtigen Sisters Of Mercy – erstmals zusammenkamen. Craig Adams stöpselte seinen geliehenen, frisch bespannten Bass – und vor allem seine Fuzzbox – in Andy Taylors winzigen Woolworth-Verstärker und spielte sein Heavy-Metal-Kacke-Riff.

    Das besagte Riff war nichts weiter als die billige Punk-Interpretation eines Motörhead-Motivs. Es war aggressiv, verzerrt und ließ jegliche Finesse oder Stil vermissen. Es klang, als würde es von einem ungebärdigen Teenager herausgehauen, dessen musikalische Ambitionen darin gipfelten, genau wie Lemmy Bass zu spielen.

    Taylor und Pearman waren überwältigt von der Lautstärke und der Wildheit des Sounds, den Adams ihrem schwachbrüstigen Equipment entlockte.

    Sie zögerten keine Sekunde: „Du bist dabei."

    Im Gegensatz zu den Expelaires liebten Taylor und Pearman Motörhead und Hawkwind, Taylor war sogar ein großer Fan beider Bands. Sie hatten das Glück, dass Adams bei jeder Band eingestiegen wäre, die ihm erlaubte, super-harten Fuzz-Bass zu spielen – sogar, wenn es sich dabei um eine noch so unausgeformte Truppe wie die Sisters Of Mercy handelte.

    Das Kerntrio der Sisters war beisammen.

    Das, was Adams gespielt hatte, sollte schon bald zum zentralen Riff von „Floorshow werden. Damals war es das einzige, was er beherrschte. Es war das erste herausragende Stück Musik, das die Sisters in dieser kleinen Dachwohnung hervorbrachten. Später entstanden anderswo in Leeds in ähnlich beengten Verhältnissen eine Reihe weitere. Mark Pearman legte sich schon bald den Namen „Gary Marx zu, während aus Andy Taylor „Andrew Eldritch wurde. Craig Adams hatte man in der Schule zwar „Lerch gerufen, aber er beschloss, sich ohne Künstlernamen in den Rock’n’Roll zu stürzen.

    Wenig später erweiterte sich das Trio, das bei diesem Vorspieltermin zusammengefunden hatte, um ein weiteres Mitglied. Es wartete bereits bei Kitchens, der altehrwürdigen Musikalienhandlung in Leeds’ Victoria Arcade, nachdem er zuvor im japanischen Hamamatsu bei Roland zusammengebaut worden war: ein BOSS DR-55 Dr Rhythm. Die Drum Machine erhielt – genau wie all ihre Nachfolger – den Namen „Doktor Avalanche".

    Die Sisters wurden später um weitere menschliche Mitglieder ergänzt. Als Adams in der St. John’s Terrace vorspielte, war Ben Matthews noch ein fünfzehnjähriger Schuljunge, der bei seinen Eltern in Otley wohnte, einer Kleinstadt fünfzehn Kilometer nordwestlich von Leeds. Von Ende 1981 bis Spätsommer 1983 sollte er unter dem Namen „Ben Gunn" bei den Sisters Gitarre spielen. Als Adams zu den Sisters stieß, war Wayne Hussey zweiundzwanzig, wohnte in Liverpool und stand im Begriff, mit Hambi & The Dance das nächste einer Reihe gescheiterter Bandprojekte zu verlassen. Er trat Gunns Erbe an und blieb zwei Jahre, bis zum September 1985, bei den Sisters.

    In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens entwickelten sich die Sisters von den Nullnummern aus der Einzimmerwohnung in der St. John’s Terrace erst zu Lokalgrößen und dann zu einer der wichtigsten Alternative-Bands Großbritanniens und schließlich auch Europas, bevor sie sich kurz vor dem Durchbruch zur großen Rockstar-Karriere selbst zerlegten. Herausragende Singles, phänomenale EPs, außergewöhnliche Albumtracks und legendäre Live-Shows pflasterten ihren Weg – bis sie nicht etwa leise verpufften, sondern mit großem Knall abtraten.

    Es waren die reine Willenskraft und jede Menge Talent, die ihnen den Weg ebneten, aber dazu kamen noch die Unterstützung wohlmeinender Freunde und einige glückliche Zufälle. Wichtige Verbündete fanden sie in Bridlington, Brüssel, New York, London, York, Los Angeles, Rom, Wakefield – und vor allem in Leeds selbst. Die Band und ihr innerer Kreis aus Crewmitgliedern und Fans wirkte oft wie eine nordenglische Großfamilie, die immer fest zusammenhielt. Während ihres gesamten Aufstiegs blieben die Sisters ihrer Heimatstadt tief verbunden. Leeds, dessen Straßen von Gewalt und Verfall gezeichnet waren, hatte eine der lebendigsten Punkszenen Großbritanniens. Das war der Nährboden der Sisters: Sisters- Songs sind Leeds-Songs.

    Im Laufe ihrer Karriere gewannen die Sisters eine große Zahl leidenschaftlicher Fans, die eine ungewöhnlich dauerhafte und intensive Beziehung zu der Band aufbauten. Wen die Sisters einmal gepackt hatten, den ließen sie in den meisten Fällen nicht wieder los. Daher ist ihre Geschichte stark geprägt von der Begeisterung für das gemeinsame Erleben von Performance und Musik, das jede zeitliche und räumliche Distanz überwand. Die Band selbst hatte einen Riesenspaß dabei, sämtliche Rockstar-Klischees auszuleben – Trockeneisnebel, Lederhosen, Blut, Kotze, Speed sowie Autofahrten und Sex ohne Rücksicht auf Verluste.

    Dennoch war die Geschichte der Sisters Of Mercy zweifelsohne über lange Strecken auch schwer erträglich für die Protagonisten und geprägt durch Wut, Krankheit, Elend und Bitterkeit. Die Band, die an jenem Tag in der St. John’s Terrace Gestalt annahm, sollte in dieser Form nur fünf Jahre bestehen. Und auch der Freundschaft zwischen Taylor, Pearman und Adams war keine längere Lebensdauer beschieden. Taylors und Shearsbys Beziehung fand alsbald ein Ende, ebenso wie Kater Spiggy. Sie alle sollten auf verschiedene Weise unauslöschliche Spuren auf den Platten der Sisters hinterlassen.

    Am Ende dieser Erzählung steht Eldritch als letzter noch aufrecht: verwundet, beinahe vom eigenen Mythos verschlungen, aber drauf und dran, die Sisters zu neuen Höhenflügen zu führen. Er war das eigenwilligste und beeindruckendste Mitglied der Band, ein einzigartiges und faszinierendes Amalgam aus T. S. Eliot, David Bowie und den zahllosen Informationsbruchstücken, die er eichhörnchengleich in geheime Verstecke schleppte, um sie irgendwann in verarbeiteter Form wieder auf die Welt loszulassen. Als Andrew Eldritch kann Andy Taylor Anspruch darauf erheben, der größte Rockstar seiner Generation zu sein. Aller Wahrscheinlichkeit und aller Vernunft zum Trotz sollten er und die anderen Sisters Of Mercy tatsächlich geradezu überweltliche, lebensverändernde Musik erschaffen.

    1

    Der Sumpf

    In erster Linie waren die Sisters Kinder des F Clubs, auch wenn sie in der kleinen Wohnung in der St. John’s Terrace 12 zur Welt gekommen waren. Der F Club war ein Oberbegriff für eine Reihe von Clubnächten, die zwischen 1977 und 1982 in Leeds an verschiedenen Orten stattfanden und in deren Rahmen fast jede namhafte Punk- und Postpunk-Band einmal auftrat.

    Der Club war ein Projekt von John Keenan, der dank dieser außergewöhnlichen Veranstaltungsreihe eine ganz entscheidende Rolle für die Entwicklung der Musikszene von Leeds spielte. Ohne ihn hätte es die Sisters Of Mercy sicher nicht gegeben.

    „Ich erschuf den Sumpf, aus dem sie hervorkriechen konnten, erklärt Keenan nicht ohne Stolz. „Und es war ein richtig herrlicher, stinkender Sumpf, ergänzte Eldritch und bemerkte: „Ohne die Unterstützung, die wir von ihm erhielten, wären wir keinen Schritt vorangekommen."

    Als Keenan Anfang 1977 in Leeds als Promoter aktiv wurde, war Punkrock bereits in vollem Gange. Die Sex Pistols waren schon zweimal in Leeds aufgetreten, am 12. September 1976 im Fforde Grene und im Dezember desselben Jahres im Rahmen ihrer Anarchy Tour in der Leeds Polytechnic, als er seinen ersten Gig in der Stadt organisierte – ein höchst unpunkiges Konzert von Alan Price im Grand Theatre And Opera House. Seitdem hatte sich in den Cellar Bars unter dem Corn Exchange, der altehrwürdigen, inzwischen aber stark heruntergekommenen Getreidebörse der Stadt, eine veritable Punkszene entwickelt. Gang Of Four gaben dort mit den Mekons im Vorprogramm im April 1977 ihr erstes Konzert. SOS, die erste Leeds-stämmige Punkband, existierte damals ebenfalls schon. Nach dem Gig der Pistols fanden in der Leeds Polytechnic in der ersten Jahreshälfte 1977 eine ganze Reihe von Punkkonzerten statt, unter anderem mit The Jam, den Stranglers, den Ramones und den Clash.

    Zur Blütezeit des Punk, im Sommer 1977, begann Keenan, der von ebenso viel Geschäftssinn wie Fan-Begeisterung getrieben war, die ersten Bands im Gemeinschaftsraum der Polytechnic auftreten zu lassen. Die Veranstaltungen trugen den Titel Stars Of Today. Die Musik war „größtenteils Punk – die Slits, Slaughter & The Dogs, XTC", wie er sagt.

    Keenan bewarb Stars Of Today gemeinsam mit Graham Cardy, der, genau wie er selbst, der Generation vor Punk angehörte. Cardy war im Grunde genommen ein Hippie. Er hatte die Mirror Boys, eine ursprünglich von Beefheart und Zappa beeinflusste Band vom Art College in Harrogate, als eine „kompakte New-Wave-Band in Leeds wieder zum Leben erweckt. Außerdem spielte Cardy Schlagzeug bei SOS, die er „schrecklich fand.

    Keenan arbeitete, während er den F Club veranstaltete, bei Yorkshire Tele­vision (YTV) an der Kirkstall Road in Leeds. Er war eigentlich ein ausgebildeter Film-Editor, arbeitete aber bei YTV als Assistent der Aufnahmeleitung und als Kostümbildner. Dabei hatte er Gelegenheit, „einige der großen Stars zu treffen und mit ihnen zu sprechen, zum Beispiel mit Ringo Starr, Spike Milligan oder Les Dawson, und er „arbeitete sogar mit Harold Wilson und David Frost an einer Sendereihe über Premierminister.

    Die Zusammenarbeit von Keenan und Cardy währte nicht allzu lange, und Keenans Zeit an der Polytechnic war ebenfalls schnell vorüber. „Als die Semesterferien vorbei waren, wollte mich die neue studentische Selbstverwaltung die Räumlichkeiten nicht mehr einmal die Woche nutzen lassen. Also sagte ich mir: Fuck the Poly. Daher kam das F im F Club. Später münzte Keenan seine Wortschöpfung um in „FAN Club. F Club ist jedoch noch heute ein geläufiger Ausdruck für alle Punk- und New-Wave-Clubnächte, die Keenan von 1977 bis 1982 veranstaltete.

    Die regelmäßigen Besucher des F Clubs bildeten „eine sehr gute Gruppe, erinnert sich Keenan. „Da kamen die ganzen intelligenten Kids zusammen, was nicht zwingend hieß, dass sie an der Uni waren. Es waren auch viele Leute aus den Sozialbausiedlungen dabei, die den frischen Wind gespürt hatten und sich zum Club zugehörig fühlten. Als ich von der Polytechnic wegging, fragte ich mich: Wie kann ich diese Leute zusammenhalten?

    Keenan gründete einen Club. „Die Leute konnten für ein Pfund eine Clubkarte bekommen, die ihnen in den Punkläden in Leeds Rabatt gewährte, zum Beispiel bei X Clothes. Die hatten richtig künstlerische Ideen, nicht dieses Zeug mit Sicherheitsnadeln und Plastiktüten, es gab ganz innovative Köpfe. Eine Frau tauchte mit Schmuck auf, den sie aus Tortenverzierungen gemacht hatte. Und da war auch mal ein Typ, der ganz bunte, laminierte Ausweise bei sich hatte. Als ich mir die genauer ansah, stellte ich fest, dass es sich um Mösen handelte, die er aus Pornoheften ausgeschnitten hatte. Es war nicht nur eine musikalische Strömung, es war eine komplette Jugendbewegung – künstlerisch und kreativ."

    Craig Adams war von Anfang an Stammgast bei Keenans Veranstaltungen. Er war als „Hippie-Craig bekannt. „Es gab einen schwulen Craig und noch einen anderen Craig. Ich wurde Hippie-Craig genannt, weil ich noch immer lange Haare hatte, berichtet er.

    Adams zählte ganz sicher nicht zu den Leuten aus den Sozialbausiedlungen, von denen Keenan gesprochen hatte. Er stammte aus der Mittelschicht, war in der Kleinstadt Otley geboren und dann in Horsforth und Rawdon, nordwestlich von Leeds, aufgewachsen. Seine Familie hatte sogar einmal kurz in Haworth gelebt, einem Städtchen, das vor allem durch die Schriftstellerschwestern Brontë bekannt geworden ist; seine Mutter führte dort ein Antiquitätengeschäft, das „The Eye" hieß. Adams’ Vater war Verlagsleiter der Kataloge des Versandhändlers Grattan.

    „Viele der ersten Punks stammten aus dem Norden und Osten der Stadt, sagt Adams. „Aus meiner Gegend waren es nicht so viele. Die meisten kamen aus Seacroft oder Crossgates. Die Leute, die mit mir nach Leeds fuhren, waren eher so Oberschichtsbälger.

    Obwohl die Sisters Of Mercy zu einer der prägendsten Bands der Stadt wurden, war Craig Adams der einzige des ursprünglichen Dreigestirns, dessen Wurzeln wirklich in Leeds und in West-Yorkshire lagen.

    Der F Club bezog zuerst das Ace OF Clubs, einen heruntergekommenen Cabaret-Schuppen, fand dort aber auch nur vom September bis Dezember 1977 statt. „Ich brachte eine wirklich gute Auswahl auf die Bühne – Wilko Johnson, Siouxsie, erinnert sich Keenan. „Der bemerkenswerteste Abend im Ace Of Clubs war der mit X-Ray Spex, an dem die Bühne zusammenbrach, weiß Adams zu berichten. Keenan hat das aber anders in Erinnerung: „Die Bühne brach nicht zusammen. Nur Poly Styrene, die Sängerin, kippte nach ein paar Songs um. Wir mussten sie in die Garderobe tragen."

    Keenans Veranstaltungen im Ace Of Clubs fanden ein Ende, weil „es ein Feuer gab und die Versicherung nicht zahlen wollte". Anschließend zog der F Club in den Roots Club im Chapeltown-Viertel um, eine ehemalige Synagoge, in der sonst vor allem Veranstaltungen für Einwanderer aus der Karibik stattfanden und die bereits die verschiedensten Namen gehabt hatte: International Club, Cosmopolitan Club oder Glass Bucket. Im Rahmen des F Clubs traten dort unter anderem Suicide, Magazine, Wayne County & The Electric Chairs oder Joy Division auf.

    Im Oktober 1978 residierte der F Club im Brannigans, das sich in einem Gewölbekomplex unter dem Bahnhof von Leeds befand. „Damals organisierte ich mindestens zweimal wöchentlich dort einen Gig, erinnert sich Keenan. „Der Manager des Brannigans dachte weit voraus: oben zwei Discos, unten der Punk-Club.

    Im Brannigans war der F Club am längsten zuhause. Die Liste der Bands, die hier spielten, ist beeindruckend: Ultravox (mit John Foxx), Wire, The Damned, The Only Ones, Penetration, Generation X, Cabaret Voltaire und Joy Division sowie Pere Ubu und The Human League. Und das war nur ein kleiner Ausschnitt aus den ersten drei Monaten des Clubprogramms an diesem Ort. Anfang 1979 folgten unter anderem Adam And The Ants, The Cure mit The Teardrop Explodes, The Cramps, The Psychedelic Furs, The Raincoats und noch einmal Joy Division (diesmal mit OMD).

    Danny Horigan, der später als Roadie für die Sisters arbeitete (und unter dem Namen Daniel Mass bei Salvation sang), erinnert sich an den F Club zur Brannigans-Zeit: „Wenn man die Treppe hinunterkam, war da als erstes ein Billardzimmer, und wenn man um die Ecke bog, kam man in den Raum mit der Musik – an einer Schmalseite war die Bühne für die Bands, das DJ-Pult befand sich an der einen Längswand. Die Decke war sehr niedrig, es war ein richtig schön dreckiger, verschwitzter Punkclub."

    Es gab keine Möglichkeit, Jacken oder Mäntel aufzuhängen, was zu der Feuchtigkeit erheblich beitrug, und aufgrund der geringen Raumhöhe war die Bühne ebenfalls entsprechend niedrig. Die Bands – ob es sich nun um großartige oder grottenschlechte Truppen handelte, aufstrebende Legenden oder längst vergessene Formationen – standen dem Publikum beinahe Auge in Auge gegenüber. Der Schweiß spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Horigan beeindruckte damals besonders – abgesehen von den Tattoos des Cramps-Gitarristen Bryan Gregory –, wie dicke Tropfen von John Foxx’ vorspringendem Kinn fielen.

    „Konzerte im Brannigans waren eine intensive und anstrengende Erfahrung", sagt Stephen Barber, ein regelmäßiger F-Club-Besucher aus dem Stadtteil Crossgates. Ein anderer Stammgast, John Lee, der auch das Fanzine Damaged Goods herausgab, erinnert sich an den F Club als „ein echtes Loch, mit unverputzten Wänden und grässlichem, echt grässlichem Bier. Der Sound war ziemlich scheiße – aber es war unser Club. Es waren meist ziemlich viele Leute da, die Klebstoff schnüffelten, und in ein paar Ecken von dem Laden stank es entsprechend."

    Ohne den F Club romantisieren zu wollen – für Außenseiter, Unangepasste und Musikfans war er ein echtes Refugium. „Der etwas vorhersehbare Nihilismus, der dort herrschte, konnte allerdings manchmal auch gefährlich werden, meint Lee. „Aber es gab nur selten richtigen Ärger. Hin und wieder mal eine kleine Schlägerei, aber das war’s dann auch. Natürlich gab es auch Leute, die absolute Arschlöcher waren, aber sie waren denen, die für die Musik brannten, immer zahlenmäßig unterlegen.

    Verglichen mit dem Ausmaß an Gewalt, das auf den Straßen von Leeds zu dieser Zeit herrschte, war es im F Club bemerkenswert friedlich. Ende der Siebziger waren große Teile der Stadt stark heruntergekommen. „Heute ist es eine kosmopolitische Metropole, aber damals war es ein abgewirtschaftetes Industriekaff in Reinkultur, sagt Paul Gregory, der Sänger der Expelaires. „Für einen Punkrocker war es ein hartes Pflaster. Adams erinnert sich: „Es war eine scheußliche Zeit. Gefährlich. Man hatte immer das Gefühl: Sei auf der Hut. Pass auf, wo du hingehst."

    Die Teddy Boys rotteten sich gern in ihrem Lieblingsclub, The Whip, zusammen, und fielen dann mit besonderer Bösartigkeit über Punks her. Eine noch größere Bedrohung – allein, weil es von ihnen so viele gab – stellten die Flickheads dar, eine Gruppierung von Fußball-Hooligans. Leeds United, damals ein echter Erfolgsverein, war für die Härte seiner Spieler auf dem Platz ebenso berühmt-berüchtigt wie für die Gewaltbereitschaft seiner Fans.

    Die größte Gefahr lag jedoch nicht in der Auseinandersetzung zwischen bestimmten Subkulturgruppen, sondern in der ganz alltäglichen, durch Alkohol befeuerten und fast psychotischen Feindseligkeit, die in vielen britischen Groß- und Kleinstädten an der Tagesordnung war. In Leeds waren jede Menge hartgesottener Kneipengänger unterwegs, die nach ein paar Pint Bitter zur Abrundung eines gelungenen Abends auf der Suche nach einer kleinen Prügelei waren. „Es war ein Dreckloch und wirklich scheußlich, aber wir waren dort zuhause", sagt Adams rückblickend über seine Heimatstadt.

    Die weiblichen Stammgäste des F Club waren zwar in der Minderheit, aber dennoch relativ zahlreich, und es gab sogar eine DJane – im Großbritannien der späten Siebziger eine große Seltenheit. Claire Shearsby hatte in allen Locations aufgelegt, in denen der F Club je stattfand, sogar schon bei Keenans Stars Of Today-Nacht in der Polytechnic, aber ihre Verbindungen zur Musikszene von Leeds reichten noch weiter zurück. Sie war beim ersten Sex-Pistols-Gig in der Stadt im Fforde Grene unter den wenigen Zuschauern gewesen: „Der Eintritt kostete 35 Pence, und Johnny Rotten stand nur auf der Bühne und starrte die Leute nieder, während er Honig aus einem kleinen Glas löffelte, weil seine Stimme angeblich so angegriffen war", erinnert sich Shearsby. Sie ließ sich damals Autogramme auf dem Poster von der Clubtür geben (weswegen sie auch heute noch sagen kann, wie viel das Konzert damals kostete), und Rotten rückte widerwillig eine Sicherheitsnadel von seinem Jackenaufschlag als Souvenir heraus.

    Shearsbys Musikgeschmack war stark von Glam und Punk geprägt, wobei es gar nicht so leicht war, an echte Punkplatten heranzukommen, als sie mit dem Auflegen begann. Die MC5, die Stooges, Velvet Underground und die New York Dolls überbrückten die Kluft zwischen beiden Genres, aber für eine garantiert volle Tanzfläche im Brannigans sorgten bei ihr stets „Another Girl, Another Planet von den Only Ones und „Electricity von OMD.

    Shearsby fiel im F Club durch ihre außergewöhnliche Präsenz auf. Sie sah mehr als nur gut aus, und mit ihren blond gefärbten Haaren forderte sie Vergleiche mit Debbie Harry unweigerlich heraus. Zudem war sie groß („einszweiundsiebzig auf Socken, einsachtzig in ihren Cowboystiefeln), fit und durchtrainiert. Während sie im Brannigans auflegte, studierte sie Sport für’s Lehramt; während ihrer eigenen Schulzeit war sie eine hervorragende Sprinterin und Weitspringerin gewesen. „Sie hätte jeden von uns mit Leichtigkeit ausknocken können, erinnert sich Craig Adams. „Ich war kein aggressiver Typ, aber die Leute nahmen sich trotzdem vor mir in acht, meint Shearsby. „Wenn es Prügeleien gab, versuchte ich durchaus, dazwischenzugehen.

    Während der F-Club-Zeit im Brannigans lernte Shearsby dort ihren Freund kennen: Andy Taylor, der insgeheim auf Deep Purple stand und sich an der Uni für ein Chinesisch-Studium eingeschrieben hatte. „Andrew beeindruckte mich einfach, wie er so mit Lederjacke und Ramones-T-Shirt im Club erschien und zum DJ-Pult kam. Er wünschte sich immer nur Stooges-Songs. Ich fand ihn ziemlich gutaussehend, und nach einer Weile kamen wir zusammen."

    „Andrew sorgte schon kurz nach seiner Ankunft für ganz schön viel Aufruhr in Leeds, meint Stuart Green, der damals als Bassist bei der Band Problemz spielte. „Er war kaum angekommen, da ging er schon mit Claire. Jeder kannte Claire, und plötzlich war da dieser neue Typ, und sie war mit ihm zusammen.

    Mark Johnson, der später das Fanzine Whippings & Apologies herausgab, dachte damals: „‚Was ist das für ein Typ mit diesen silberglänzenden Lurex-Hosen, wie Iggy sie immer trägt?‘ Er entfernte sich nie mehr als zwei Meter vom DJ-Pult. Dennoch wurde er gelegentlich auch anderswo im F Club gesehen. Der Expelaires-Gitarrist Dave Wolfenden erinnert sich, „dass Andrew am Billardtisch stand, und ich fragte mich: Was ist das für’n Arsch, der wie Lenny Kaye aussieht und nie mit irgendwem redet?

    Dabei hätte Andy Taylor zu dieser Zeit – 1978 – eigentlich weder im F Club noch überhaupt in Leeds sein sollen, sondern brav in Oxford, um sich in das zweite Jahr seines Sprachstudiums zu stürzen. Was er aber nicht tat, weil er nach dem ersten Jahr die Vorprüfung versiebt hatte und daraufhin aus dem St. John’s College geflogen war. Boyd Steemson, der damals am St. John’s Philosophie, Politik und Wirtschaft studierte, fasst Taylors Interessen in Oxford zusammen: „Bowie, Zigaretten, Bowie, Zigaretten, Iggy, Zigaretten, Bowie. Dass er den Studienplatz verlor, „lag halt daran, dass er mit beeindruckender Entschlossenheit alles verweigerte, was nicht mit Bowie oder Zigaretten zu tun hatte. Er machte gar nichts, er arbeitete kein bisschen. Als Taylor schließlich einen Antrag auf einen Studienfachwechsel stellte und sich für Chinesisch einschreiben wollte, lehnte das College das mit Nachdruck ab.

    Dabei war es Ende der Siebziger gar nicht mal so leicht, aus Oxford rauszufliegen – man musste sich schon ein bisschen Mühe geben. Taylor mochte Französisch als Sprache nicht und verabscheute den Kurs für deutsche Literatur, in dem er, wie er später mit blumiger Ausschmückung zu berichten wusste, hauptsächlich Theaterstücke in Wiener Dialekt hätte studieren sollen.

    Dabei war Oxford in vielerlei Hinsicht Taylors natürliche Umgebung. Er hatte die höheren Klassen seiner Schullaufbahn im Merchant Taylors’ hinter sich gebracht, einer Privatschule in Northwood, Middlesex, die regelmäßig Oxford- oder Cambridge-Absolventen hervorbrachte. Taylor war ein Sprachtalent, hochintelligent, mit einem eigenwilligen Verstand und einem sardonischen Blick auf die Welt, der die Menschen, die ihn besser kennenlernten, sehr beeindruckte. Seinen Tutoren ging es nicht anders, und sie hätten ihn gern in Oxford behalten, aber Taylor ließ ihnen keine Möglichkeit. Während seiner Zeit am St. John’s sahen sie ebenso wenig von ihm wie seine Kommilitonen.

    Steemson war eine der wenigen Ausnahmen. Sein Zimmer lag im North Quadrangle des Colleges, „in dem hässlichen bienenstockartigen Ding, wie er den Anbau aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg beschrieb. Taylor hingegen war im Canterbury Quadrangle untergebracht, einem Collegegebäude, das aus dem 17. Jahrhundert stammte. Steemson, nach eigenem Bekunden selbst ein „schrecklicher Student, berichtet: „Einmal stand ich mitten in der Nacht auf, um ein Essay zu schreiben … und eine halbe Stunde später klopfte es an der Tür. Draußen stand Andrew, der durchs College geschlichen war, in der Hoffnung, irgendwo ein Zimmer zu finden, in dem noch Licht brannte."

    Trotz Taylors Bowie-Besessenheit fanden er und Steemson durchaus Gemeinsamkeiten in ihrem Musikgeschmack, beispielsweise The Velvet Underground oder Père Ubu. So steif die Studienanfänger des St. John’s auf dem Immatrikulationsfoto mit ihren dunklen Anzügen, weißen Hemden, kurzem Commoner-Talar und viereckigem Doktorhut auch aussehen mochten – die beiden waren nicht die einzigen, die sich für einen Musikstil interessierten, den man in Ermangelung eines treffenderen Ausdrucks „Punk" nennen konnte. Und mit dem Bus kam man schnell nach Aylesbury, wo es mit dem Friars einen der besten Veranstaltungsorte für Live-Musik gab. Oxford war, was Musik anging, gar kein so übles Pflaster, aber Taylor unternahm dort dennoch keinerlei Anstrengungen, eine Band zu gründen, und er spielte auch kein Instrument. Es war von daher ein Segen, dass er das St. John’s verlassen musste – zum einen, weil es so irgendwann zur Gründung der Sisters Of Mercy kam, und zum anderen, weil er die altehrwürdige Universitätsstadt absolut ätzend fand.

    Taylor kam im Oktober 1978 nach Leeds, um dort ein Chinesisch-Studium zu beginnen. Er war so spät im Studienjahr aus dem St. John’s ausgeschieden, dass es jetzt nur noch wenige freie Zimmer gab, und er kam zunächst weiter außerhalb in der Nähe des Elland Road Stadions von Leeds United unter. Die Umgebung beschrieb er später als „fürchterlich heruntergekommenes Sozialbauviertel, das man inzwischen, weil es als unbewohnbar eingestuft wurde, abgerissen hat. Hunslet Grange, auch als Leek Street Flats bekannt, war eine der größten Bausünden Großbritanniens. Die Gebäude waren schlecht beheizbar, an den Innenwänden lief das Kondenswasser herunter, die Fassaden zeigten außen schwarze Verfärbungen, und die Kriminalität in dem Viertel war hoch. Zwar waren die Blocks erst 1968 gebaut worden, aber bereits 1978, als Taylor dort einzog, völlig heruntergewirtschaftet. Auf Steemson, der ihn in Leeds mehrere Male besuchte, wirkte die Wohnung in Hunslet Grange „wie ein echtes Loch, ein fürchterlicher Ort … niedrige Decken, dunkel und scheißkalt. Außerdem war es von dort bis in die Innenstadt eine echte Weltreise, das Viertel schien mitten im Nichts zu liegen. Nach dem Canterbury Quadrangle war Hunslet Grange ein echter Kulturschock.

    Jedenfalls rief die neue Umgebung Taylor jeden Tag aufs Neue deutlich in Erinnerung, dass in Leeds ein neues Leben anfing. Er befand sich in einer ihm völlig fremden Stadt. Bisher hatte sich seine Erfahrung mit dem Norden Englands auf die Fernsehserie Coronation Street beschränkt („Ich musste feststellen, dass es sich dabei um eine Dokumentation handelte, bemerkte er einmal). Aber trotz der tristen Unterkunft entdeckte er sofort seine Liebe zu Leeds, den Menschen und der dortigen Musikszene. Die Ramones spielten in der Woche seines Einzugs an der Universität. „Bei der Gelegenheit, entweder durch Flugblätter oder durch Gespräche mit irgendwelchen Leuten, bekam ich mit, dass es diesen F Club gab. Das Brannigans erinnerte Taylor an „eine überdimensionale Toilette, aber es hatte gleichzeitig etwas Heimisches. Und „die glamouröse DJane, wie er sie später bezeichnete, übte natürlich auch eine enorme Anziehungskraft aus.

    Der Umzug nach Leeds war sicherlich ein enormer Umbruch in seinem Leben – einerseits stressig, andererseits aber auch befreiend und angenehm. Steemson vermutet: „Es war, als ob Andrew dort neu anfangen konnte. Er war an einem ganz fremden Ort, und niemand kannte ihn. Ich glaube, indem er dieses Alter Ego erschuf, bot ihm das die Möglichkeit, damit umzugehen." Leeds schüttelte ihn gründlich durch und holte dabei etwas an die Oberfläche, das zuvor verschüttet gewesen war. Taylor hatte in der beschaulichen Kleinstadt Ely das Licht der Welt erblickt, Eldritch hingegen wurde in Leeds geboren.

    Steemson unternahm einige Male „die scheußliche Busfahrt nach Leeds. Auf ihn wirkte die Stadt „dunkel, versifft und geheimnisvoll, kalt und feucht. Überall an der Autobahn waren Kohlebergwerke. Bei seinem ersten Besuch ging er zu einem F-Club-Konzert: Pere Ubu mit The Human League im Vorprogramm. Beide, Taylor und Steemson, hielten es für den besten Gig, den sie je gesehen hatten. „Die doppelte Genialität dieses Auftritts hat mich bis heute nicht losgelassen, erklärte Eldritch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas woanders hätte stattfinden können, jedenfalls nicht mit derselben Intensität. Steemson war davon „sehr fasziniert, wie sie eine wirklich aufregende Rock-Atmosphäre schufen, obwohl sie sich nur minimal – oder, im Fall von Human League, gar nicht – auf das verfügbare Equipment verlassen konnten: zwei wirklich interessante Bands in absoluter Hochform in einem winzigen Provinz-Club."

    Zu der Zeit des besagten Konzerts steckte Großbritannien in einer tiefen Krise, und der so genannte Winter of Discontent stand vor der Tür, in dem Massenstreiks das Ende der bisherigen Labour-Regierung einläuteten. Margaret Thatchers Wahlsieg im folgenden Jahr war bereits abzusehen. Der Winter 1978/79 war vor allem in Leeds sehr hart. Der ganze Innenstadtbereich war von Verfall gezeichnet, die Gewalt rechtsgerichteter Gruppen erreichte ihren Höhepunkt, und der Yorkshire Ripper ging um. „In diesem Winter, berichtet Stephen Barber, „durchlief auch die Punkrock-Clubkultur in Leeds eine ausgesprochen intensive Phase. Die äußeren Umstände mochten, objektiv betrachtet, wirklich scheußlich sein, aber „gleichzeitig war es sehr aufregend, in einer solchen urbanen Umgebung zu leben". Der pyroklastische Strom des Thatcherismus, der später durch die Stadt fegte, zerstörte die wirtschaftliche Struktur weiter und fügte der Musikkultur schwere Schäden zu, aber Taylor war im richtigen Augenblick in Leeds eingetroffen: Trotz des Verfalls, der allerorten herrschte, war die Stadt quicklebendig.

    Das pochende Herz der Szene lag in einem klammen, stinkenden und brüllend lauten Kellerclub in der Call Lane. „Ich lebte praktisch im F Club, berichtete Eldritch, und es gab eine Band, die er dort öfter sah als alle anderen. „Die Expelaires waren sozusagen die Hausband. Ihre Tentakel reichten so ziemlich in alles hinein. Adams erklärt: „Leeds und die Expelaires waren sozusagen untrennbar miteinander verbunden."

    2

    Cat People

    Die Expelaires hatten sich direkt im Zentrum von Leeds gegründet, im Guildford Hotel, das ebenso wie das Rathaus und viele Geschäfte an der Hauptverkehrsstraße The Headrow lag. „Wir alle gingen im Guildford was trinken, erzählt Craig Adams, „wobei das in meinem Fall hieß, dass ich im Billardzimmer hockte und irgendwelche Leute fragen musste, ob sie mir an der Bar einen Drink holten, weil ich so aussah, als sei ich erst zehn.

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