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Was ist schwule Kultur?
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eBook95 Seiten1 Stunde

Was ist schwule Kultur?

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Über dieses E-Book

Kultur entsteht, »sooft Sprache, Bewegung, Verhalten oder Gegenstände eine gewisse Abweichung von der direktesten, nützlichsten, unengagiertesten Weise des Ausdrucks und des In-der-Welt-Seins zeigen«, wie Susan Sontag definiert. Homosexuelle, denen in einer heterosexuellen Umwelt ein solcher »direkter« Ausdruck verwehrt bleibt, sind deshalb auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, »Kultur« zu erschaffen, und sei es in Form der subkulturellen Umdeutung der heterosexuellen Mehrheitskultur. Ob Trash, Divenkult oder ernsthafte Identitätskunst: Schwule sind die Kulturschaffenden schlechthin, doch Halperin schreibt: »Homosexualität ist an die Schwulen vergeudet«, weil die stattdessen ihr Heil in einer farblosen Homonormativität suchen.
Halperin analysiert die Entwicklungslinien schwuler Kultur und Subkultur und hält ein geistreiches und oft witziges Plädoyer für offen gelebte Diversität, das nicht nur angepasste Schwule aufrütteln soll. Denn: »In gewisser Hinsicht ist Homosexualität Kultur. Deshalb braucht uns die Gesellschaft.«
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Okt. 2021
ISBN9783863003296
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    Buchvorschau

    Was ist schwule Kultur? - David M. Halperin

    Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Wer über Kultur schreiben will, muss über eine Kultur schreiben.

    Kultur existiert nicht abstrakt. Kultur existiert nur in bestimmten historischen und sozialen Formen.

    In How to Be Gay bin ich angetreten, über schwule Kultur zu schreiben. Ich habe nicht versucht, sie als Ganzes zu thematisieren. Ich gab mich damit zufrieden, einige ihrer charakteristischen Aspekte herauszustellen. Mein Hauptanliegen bestand darin, die Unterschiede zwischen schwuler Kultur und der Kultur zu beschreiben, die sie umgibt, mit anderen Worten: der heterosexuellen Kultur (auch wenn diese Kultur es vorzieht, sich nicht als heterosexuell zu identifizieren). Selbst für dieses begrenzte Anliegen musste ich über eine schwule Kultur schreiben. Es wäre sinnlos gewesen, mit Verallgemeinerungen zu arbeiten, mit Klischees, mit Stereotypen. Ich habe keine Angst vor Klischees und Stereotypen; tatsächlich habe ich einige von ihnen sogar übernommen. Aber es ist wichtig offenzulegen, woher diese Stereotype stammen. Um das herauszufinden, muss man konkrete Phänomene betrachten, es kommt auf die Details an. Der einzige Weg, eine Kultur zu verstehen, besteht darin, einzelne ihrer Bestandteile sehr nah und ausführlich zu untersuchen: Texte, Bilder, Ausdrucksweisen, Praktiken. Dort sind aussagekräftige Zeugnisse zu finden, und nur ausgehend von solchen Zeugnissen ist es möglich, sich versuchsweise und spekulativ größeren Verallgemeinerungen zu nähern.

    Da ich Amerikaner bin, in den USA aufgewachsen bin und dort unterrichtet habe, da ich auf Englisch schreibe, habe ich viele meiner Beispiele schwuler Kultur der schwulen amerikanischen Kultur entnommen. Nicht alle Beispiele, aber viele. Die Übersetzung meiner Arbeit in die deutsche Sprache bringt daher einige Schwierigkeiten mit sich.

    Ein Großteil der 550-seitigen Originalausgabe ist der genauen Analyse einer einzigen Szene eines Hollywoodfilms gewidmet: des Films Mildred Pierce aus dem Jahr 1945, für den Joan Crawford mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Die schwule Rezeption dieses Films interessierte mich aus drei Gründen. Zum einen ist die Verehrung des schwulen Publikums für Joan Crawford und diesen Film im Besonderen umfangreich dokumentiert. Ich bin nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist, und ich habe es mir nicht ausgedacht. Zweitens ist der Film recht alt und die Verehrung der Schwulen zwar noch nicht obsolet, jedoch ein Phänomen vergangener Zeiten. Aus Gründen der Objektivität hat es gewisse Vorteile für einen Forscher, das Werk einer fremden und nicht der eigenen Kultur zu untersuchen. (Ich sollte das wissen: Der Großteil meiner Studien bezog sich auf das antike Griechenland.) Indem ich über diese Diven-Verehrung schrieb, habe ich nicht über meine eigene schwule Kultur geschrieben (ich bin sehr alt, aber noch nicht so alt); ebenso wenig habe ich meine persönlichen Gefühle für Joan Crawford auf andere schwule Männer projiziert – im Gegenteil, ich habe herauszufinden versucht, ob ich, der einer späteren Generation angehört, meine eigenen Wahrnehmungsweisen so kalibrieren konnte, um jene queeren Frequenzen zu empfangen, auf denen dieser Film anscheinend die Schwulen einer früheren Zeit erreicht hat. Drittens bestand meine Methode, die Besonderheit der schwulen Kultur herauszuarbeiten, darin, mir anzuschauen, wie schwule Männer auf bestimmte Werke der heterosexuellen Mainstreamkultur reagierten – also nicht die Werke einer schwulen Kultur zu analysieren, die von schwulen Männern explizit zu schwulen Themen geschaffen wurden, sondern nach Formen schwuler Aneignung und Wiederverwendungen von Werken der heterosexuellen Kultur zu suchen, mir anzuschauen, wie sich die Reaktion schwuler Männer auf diese Werke von der des heterosexuellen Publikums unterschied. Ich glaubte, wenn es mir gelang, diese Unterscheide genau zu identifizieren, mit einiger Präzision die Besonderheiten der schwulen Kultur benennen zu können. Dementsprechend versuchte ich zu zeigen, wie schwule Männer die kulturellen Codes, die diesen heterosexuellen Werken bereits anhafteten, aufhoben und sie für schwule Zwecke neu codierten. Und dann versuchte ich zu erklären, weshalb schwule Männer so etwas tun.

    Für das deutsche Publikum dieses Buches besteht das Problem, dass Mildred Pierce in Deutschland weder sehr bekannt noch leicht zugänglich ist, und dasselbe gilt für viele andere Kunstwerke, die ich in meinem Buch diskutiere, wie zum Beispiel Broadway Musicals oder Popsongs. (Marlene Dietrich wird nur beiläufig erwähnt.) Einige der Schlüsselbegriffe und Kategorien sind nicht in der deutschen Kultur beheimatet, wie zum Beispiel Camp, trade oder queer (in der doppelten Bedeutung von schwul und abnorm oder abweichend). Französische und spanische Übersetzungen haben versucht, mit diesen Problemen so gut wie möglich fertigzuwerden: für eine detaillierte Beschreibung dieser Übertragungsprobleme verweise ich auf das Vorwort zur französischen Ausgabe, L’art d’être gai, übersetzt von Marie Ymonet (Paris 2015:11-26). Bei der italienischen Ausgabe handelt es sich um eine gekürzte Fassung. Für die deutsche Ausgabe wurde entschieden, nur die abschließende Zusammenfassung zu veröffentlichen, die eine eigenständige, in sich abgeschlossene Argumentation darstellt, jedoch auf der ausführlichen vorangegangenen Analyse aufbaut. Leser*innen, die tiefer in die Details eindringen wollen, bleiben auf das englischsprachige Original verwiesen.

    Was hat Sexualität mit Kultur zu tun? Das ist die grundlegende Frage, der ich nachgehen wollte. Wie sind die kulturellen Vorlieben schwuler Männer zu erklären? Und warum mögen schwule Männer bestimmte kulturelle Formen, Objekte oder Ikonen, die heterosexuelle Menschen nicht annähernd so sehr oder auf dieselbe Weise mögen? Diese Frage bezieht sich nicht allein auf die Vergangenheit. Es ist noch immer wichtig zu fragen, warum Schwule auch jetzt, heutzutage, einige spezifische Verhaltensmuster im Umgang mit Kultur zeigen, die nicht identisch mit denen der Heterosexuellen sind.

    Ich stelle diese Fragen nicht, weil ich der zeitgenössischen, explizit mit schwulen Themen befassten Kultur feindlich gegenüberstünde, einer Kultur, die von Schwulen handelt oder Erfahrungen des schwulen Lebens direkt anspricht.

    Das Gegenteil ist der Fall: Ich bin ein großer Fan zeitgenössischen schwulen Schreibens. Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, Romane oder Filme über schwule Männer und schwules Leben lesen bzw. anschauen zu können. Doch ich merkte, wie schwer es war, die künstlerischen Errungenschaften der gegenwärtigen schwulen Kultur meinen zwanzigjährigen Student*innen zu vermitteln. Diese Student*innen, von denen viele schwul waren, waren nicht uninteressiert an zeitgenössischen Romanen, Gedichten, Theaterstücken und Filmen von und über schwule Männer, aber ihnen lag weit mehr an nicht-schwulen kulturellen Formen, die dennoch für sie eine schwule Bedeutung hatten: zum Beispiel Fernsehserien über verrückte Frauen und deren zickigen Umgang mit ihren männlichen Liebhabern. Ich wollte verstehen, wie sich die Tatsache erklären ließ, dass die Entstehung einer lebendigen, unverblümten, expliziten, unzensierten und kompromisslosen schwulen Kultur den Reiz, den nicht-schwule Werke auf schwule Männer ausüben, nicht zerstören konnte. Und ich

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