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Emma oder Das Ende der Welt: Roman
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eBook309 Seiten2 Stunden

Emma oder Das Ende der Welt: Roman

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Über dieses E-Book

Wie lebt man weiter, wenn das Schlimmste geschehen ist? Diese Frage stellt sich der bekannte norwegische Autor und Musiker Ketil Bjørnstad.

Jede Existenz hängt an einem seidenen Faden, und man kann nie wissen, wann er vom Schicksal durchtrennt wird. Das müssen auch Aslak Timbereid und seine Frau Hanne erfahren, als ihre Tochter Emma mit nur neun Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommt. Sollte die Pilotin des Fluges schuld an dem Unglück sein? Hätte sie den Flug aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse canceln müssen? Die Ehe der beiden war schon kurz nach Emmas Geburt gescheitert, doch nun droht Hanne an der Tragödie zu zerbrechen. In ihrer Hilflosigkeit kehrt sie zurück nach Oslo in die alte gemeinsame Wohnung. Doch in Aslaks Leben hat sich vieles verändert, in der Zwischenzeit gibt es eine neue Frau an seiner Seite. Hanne beginnt, sich in die Schuldzuweisungen gegen die Pilotin des Fluges hineinzusteigern, und die Suche nach Schuld und Vergeltung nimmt immer chaotischere Formen an. Und so ist das Buch dramatisch, manchmal unsagbar traurig, aber dann auch wieder von leisem Humor durchzogen.
SpracheDeutsch
HerausgeberOsburg Verlag
Erscheinungsdatum1. Feb. 2017
ISBN9783955101367
Emma oder Das Ende der Welt: Roman

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    Buchvorschau

    Emma oder Das Ende der Welt - Ketil Bjornstad

    Schuld.

    TEIL 1

    In der Woche, als Emma im Krankenhaus lag, war Hanne Tag und Nacht bei ihr. Wie um ihre viele Abwesenheit auszugleichen. Ich ließ sie. Ich konnte sie nicht daran hindern und wollte es auch nicht. Auf eine seltsame Weise war es wie eine Wiederaufnahme unseres Zusammenlebens, nur eben ganz anders als früher. Damals, als wir zusammen wohnten, als die Probleme weniger sichtbar waren, kämpften wir gegeneinander, machten uns gegenseitig klein, mit dem gefühlsmäßigen Geiz und der Kleinlichkeit, die so viele überkommen, wenn die Trennungspapiere ausgefüllt sind. Es war, als ob einige der Gefühle, die ich in der allerersten Zeit für Hanne gehabt hatte, wieder zum Leben erwachten. Damals …

    Wir hatten uns, wie das Autoren und Verlagsleute ja oft tun, bei einem Literaturseminar kennengelernt. Und zwar auf Hamarøy, in Verbindung mit den Hamsun-Tagen, vor fünfzehn Jahren. Hanne war erst zweiundzwanzig, und ich, der zehn Jahre Ältere, verliebte mich in ihr junges Ungestüm. Sie sprang zwischen den Vorlesungen herum und beeindruckte uns alle mit ihren kurzgeschnittenen Haaren und dem temperamentvollen Blick aus ihren grünblauen Augen, mit dem sie uns durchbohrte. Sie hatte soeben ihr erstes Buch veröffentlicht, »Helgeland«, eine Novellensammlung, die Øystein Rottem dazu gebracht hatte, eine seiner seltenen, aber begehrten ganzen Seiten in Dagbladet für sie zu verwenden. Ein Kritiker vom Parnass, der ihr Gold und Ehre versprach. Wir waren beide draußen auf Tranøy untergebracht, gleich bei der Handelsstation, wo der junge Hamsun gearbeitet hatte. Es war Anfang August und gleißender Nordlandsommer. Unmöglich, schlafen zu gehen. Möwengeschrei die ganze Nacht. Lange Gespräche mit Autoren und Literaturforschern. Herbjørg Wassmo und Per Thomas Andersen in intensiver Diskussion über das spezifisch Nordnorwegische. Jan Kjærstad und Per Buvik mit einem enthusiastischen Seminar über die Möglichkeiten des Romans in der neuen Medienwirklichkeit. Susanne Lundeng spielte auf ihrer Geige eine besonders schöne Pols aus Beiarn.

    Alles Einzelheiten, die man sich für den Rest des Lebens merkt. Der Geschmack des Biers, der Geschmack der geräucherten Hammelkeule, mit der Irene Iversen Georg Johannesen fast auf den Kopf geschlagen hätte. Halfdan Sivertsen sang sein »Liebeslied«. Betrunkene Professoren, die mit den jüngsten Mädchen tanzten, die freiwillig hier aushalfen. Ich sah nur Hanne, war total fasziniert von Hanne, wusste nicht ganz, ob ich mich in sie verliebt hatte oder in ihre Novellensammlung. Ich war eben erst im Verlag am Sehesteds plass eingestellt worden. Nach all den Jahren der Studien und der Aushilfsarbeiten hatte ich die viele Reiserei satt. Ich war Roadie für die Band Di Derre gewesen. Ich hatte alle möglichen »Mädchen, die kommen, und Mädchen, die gehen,« gesehen. Ich glaube, jeden Winkel von Norwegen zu kennen, aber keiner war wie Helgeland, und Hanne schrieb über Helgeland. Nicht einmal Hamsuns Hamarøy konnte sich mit Helgeland messen, und als ich ihr das sagte und mit tastenden Worten versuchte, ihr etwas von der Begeisterung zu vermitteln, die ich beim Lesen ihrer Novellen verspürt hatte, die vor allem von Zugehörigkeit handelten, davon, das Leben hinnehmen und sich damit versöhnen zu können, küsste sie mich plötzlich auf den Mund, aber nicht mit der Heftigkeit, derer sie sich in den Begegnungen mit allen anderen fähig gezeigt hatte. Ihre Lippen berührten meine nur hauchzart. Aber gerade diese Geste, diese spürbare Behutsamkeit, die wie ein Staunen darüber war, dass sie es wirklich tat, war wie ein Versprechen, ein Treuegelöbnis für immer und ewig, stärker als jede Umarmung.

    Wieder Nordland. Aber diesmal war es das Krankenhaus in Bodø. Die grelle Oktobersonne vor den Krankenhausfenstern. So war Nordnorwegen, wenn die dunkle Zeit näherrückte. Das Licht wurde immer zudringlicher. Es erinnerte uns daran, dass es dort draußen ein Leben gab. Die vielen Möwen. Die unaufhörlichen Klageschreie. Die Not in der Natur. Wie in einem griechischen Drama. Die letzte Woche, in der Emma lebte. Und niemand von uns wusste es. Hanne kämpfte jede einzelne Sekunde, um Emma gesünder und stärker zu machen. Die Ärzte waren unsicher. Sie hatte sich beim Zusammenstoß mit der Sitzlehne den Nacken gebrochen. Ich hatte nicht gewusst, dass der Sicherheitsgurt nicht richtig geschlossen war. Natürlich hätte ich mich vergewissern müssen, aber davon wollte Hanne kein Wort hören. Natürlich sei der Purser schuld! Wie hieß der doch noch gleich? Richtig, Jon Arne. Der in der Gegenrichtung gesessen hatte und mit dem Kopf so hart gegen die Wand zum Cockpit geknallt war, dass er ohnmächtig wurde und bei der Evakuierung des Flugzeugs nicht helfen konnte. Stattdessen hatte der Kaufmann das Kommando auf eine Weise übernommen, die mich nicht mehr an einen Kaufmann oder Fischer denken ließ, sondern an einen Berufsmilitär, ausgebildet, um zu töten und Leben zu retten. Im Laufe dieser Tage bei Emma, wenn ich neben ihr im Bett lag oder auf einem Stuhl saß, während Hanne dort lag, wenn ich Hanne in meinen Armen wiegte, wenn ich mit den Ärzten sprach, ohne auch nur ein Wort davon zu verstehen, was gesagt wurde, durchlebte ich die Minuten in Stokka wieder und wieder. Das Gefühl, neben mich selbst zu treten, den Klang meiner eigenen Stimme zu hören, die Autorität zu akzeptieren, die ich plötzlich besaß, während ich schrie: »Rührt sie nicht an!« Alle gehorchten, zuerst der Kaufmann, dann Cecilie Nesflaten, danach sogar der Kapitän, als sie Emma auf dem Boden liegen sahen, nicht bewusstlos, aber den Kopf zu sehr zur Seite verdreht, wie ein Bild von Gehängten aus den Weltkriegen. Bilder aus dem Iran. Bilder des toten Saddam Hussein. Die mathematischen und medizinischen Konsequenzen eines gebrochenen Genicks. Emma, die in der Schule bald mit Figuren beginnen würde. Mit Dreiecken, Bögen, Rechtecken, Quadraten. Jetzt lag ihr Kopf in einem Winkel von sechzig Grad zu ihrem Körper. So sollte es nicht sein. Der Mathematiklehrer konnte kommen und sagen, sie habe die Aufgabe falsch gelöst. Aber Emma konnte nichts zu ihrer Verteidigung erwidern. Ihr hing die Zunge aus dem Mund und sie schien im Sterben zu liegen. Wenn da nicht die Augen gewesen wären. Die quicklebendigen, suchenden und forschenden Augen, die mich dazu bringen, mich über sie zu beugen und zu sagen, sie solle keine Angst haben, gleich werde ein Krankenwagen kommen, bald würden sich die besten Ärzte der Welt um sie kümmern. In diesen Sekunden gab es nur sie und mich, während die anderen das Flugzeug durch den Notausgang verließen. Dann Schaum. Angst vor Feuer. Hysterisches Geschrei. Sogar der Kaufmann weinte. Und zugleich: das Fehlen von Geräuschen, von Sirenen. Die begrenzten Mittel eines

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