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Rhythmen des Lebens: Die erste Genesis-Autobiografie
Rhythmen des Lebens: Die erste Genesis-Autobiografie
Rhythmen des Lebens: Die erste Genesis-Autobiografie
eBook379 Seiten4 Stunden

Rhythmen des Lebens: Die erste Genesis-Autobiografie

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Über dieses E-Book

Mike Rutherford hat mit Genesis Meisterwerke des Progressive Rock eingespielt. Alben wie Foxtrot oder The Lamb Lies Down On Broadway prägten das Genre und haben einen festen Platz in der Musikgeschichte. Die Karriere von Genesis ist geradezu legendär: Vier schüchterne und bescheidene Schuljungen gründeten eine Band und wurden zu weltweiten Superstars. Mit ihrem radiotauglichen Mainstream-Rock wurde Genesis mit Sanger Phil Collins und Keyborder Tony Banks zu einer der kommerziell erfolgreichsten Musikgruppen der 1980er und frühen 1990er Jahre. In ihrem Zentrum stand Mike Rutherford, der die Musik vom innovativen Progressive Rock, damals noch in der Besetzung mit Peter Gabriel und Steve Hacket, bis hin zu globalen Riesenhits vorantrieb. Jetzt erzählt er erstmalig die erstaunliche Geschichte von Genesis und seiner eigenen Band Mike + The Mechanics.
SpracheDeutsch
HerausgeberHannibal
Erscheinungsdatum21. Juli 2014
ISBN9783854454588
Rhythmen des Lebens: Die erste Genesis-Autobiografie

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    Buchvorschau

    Rhythmen des Lebens - Mike Rutherford

    titel.pdf

    Aus dem Englischen von

    Alan Tepper

    Logo_Hannibal_s/w.JPG

    www.hannibal-verlag.de

    Widmung

    Für Angie, Kate, Tom und Harry

    Impressum

    Der Autor: Mike Rutherford

    Deutsche Erstausgabe 2014

    Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „The Living Years – The First Genesis Memoir" bei Constable & Robinson Ltd., UK

    © Mike Rutherford, 2014

    Coverabbildung und -design: Andy Vella, www.velladesign.com

    Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

    Übersetzung: Alan Tepper

    Lektorat & Korrektorat: Dr. Matthias Auer

    © by Hannibal

    Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

    www.hannibal-verlag.de

    ISBN 978-3-85445-458-8

    Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-457-1

    Hinweis für den Leser:

    Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

    Inhalt

    Vorwort

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Bildstrecke 1

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Bildstrecke 2

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Danksagungen

    vorwort.pdf

    3 Uhr morgens. Ich hielt mich in einem Hotelzimmer in Chicago auf, als das Telefon schrillte. Es war Angie: „Ich habe schlechte Nachrichten – Dad ist gestorben. In solchen Momenten scheint die Zeit stillzustehen und das Herz auszusetzen. Mum hatte sie angerufen: „Angie, mein Liebes. Dad ist tot. Ich habe ihn mit meinem Stock angestoßen, und er bewegt sich nicht. Er hat uns verlassen. Mum war an einen Rollstuhl gefesselt und konnte sich kaum mehr bewegen. Die beiden schliefen in Einzelbetten, und die Formulierung, die Angie benutzte, entsprach exakt ihrer Wortwahl. Ich konnte beinahe ihre Stimme hören.

    In dem Moment fehlten mir die Worte, ganz zu schweigen von der Kraft, Vorbereitungen zu treffen. Ich stand zu sehr unter Schock. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, stellte ich mich ans Hotelfenster und schaute auf das Scheinwerferlicht der Autos hinab. Mein Zimmer lag im 35. Stock. Plötzlich war alles still, und ich fühlte mich so unglaublich einsam – getrennt von den Ereignissen unten auf der Straße, abgeschnitten vom Rest der Welt.

    Wir befanden uns mitten in einer Serie von sechs Konzerten in Chicago, bei denen wir jeden Abend vor 20.000 Zuschauern auftraten. Weniger als ein Monat war seit dem Auftakt der einjährigen Tournee vergangen. Ich wusste, dass mich die Band und unser Manager Tony Smith unterstützen würden, falls ich nach Großbritannien zurückfliegen wollte. Man konnte es mit der Musik vergleichen, bei der wir uns immer gegenseitig bestärkten. Doch ich wusste auch, dass ich in Farnham wirklich nichts ausrichten konnte. Angie und meine Schwester Nicky standen Mum zur Seite, und mein Vater hatte sich schon selbst frühzeitig um die Begräbnisvorkehrungen gekümmert. So setzten sich Tony Smith und ich also hin und arbeiteten einen Plan aus. In zwei Wochen würde ich über Nacht nach Großbritannien fliegen, um an der Beerdigung teilzunehmen. Danach sollte es mit der Concorde direkt nach Kalifornien zurückgehen, um eine Show im LA-Forum zu spielen.

    Die nächsten zwei Wochen wirkten surreal, wie ein Traum. Ich ging auf die Bühne, verlor mich für zweieinhalb Stunden in der Musik, doch nach dem Ende des Auftritts traf mich die Erkenntnis des Geschehenen mit voller Wucht. Mit Tony und Phil zu spielen vermittelte mir ein Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit, aber wir unterhielten uns nie über meine Emotionen und den Tod meines Vaters.

    In meinem Leben gab es Phasen, in denen ich mich schuldig fühlte, wenn ich nicht über meine Gefühle sprach, aber so wurde ich nun mal erzogen. Der Grund dafür liegt größtenteils bei der Privatschule, die ich besuchte, aber auch in der Generationenzugehörigkeit: Mein Vater und ich stammten aus einer Zeit, in der Söhne ihren Vätern niemals sagten, dass sie sie lieben. Ich habe gegenüber Dad niemals meine Liebe und Zuneigung ausgedrückt. Es tut mir unendlich leid, ihm niemals erklärt zu haben, was für ein wunderbarer Mann er für mich gewesen ist.

    Ich kam am 13. Oktober 1986 in Großbritannien an und eilte kurz nach Hause, um die Kinder zu sehen. Dann fuhr ich mit Angie zur Beerdigung in Aldershot. Noch am Abend zuvor stand ich vor Tausenden auf einer Bühne, und nun saß ich in einem Wagen auf dem Weg zu einer englischen Kirche, um meinem Vater ein letztes Lebewohl zu sagen. Danach plante ich, direkt nach LA zurückzufliegen.

    Ich brauchte dringend Beistand, und so fragte ich Angie, ob sie mich für nur eine Nacht begleite. Während wir in der Kirche trauerten, machte sich deshalb irgendjemand auf den Weg zu unserem Haus, um ihren Pass zu holen. Danach ging es direkt nach Heathrow, wo wir uns zum ersten Reiseabschnitt in die Concorde setzen. Angie trug noch immer ihre Trauerkleidung und führte nur eine Handtasche mit sich.

    Nach der Ankunft in New York wartete auf uns ein Wagen auf dem Rollfeld, der uns zu einem Privatjet brachte, mit dem wir nach LA fliegen sollten. Ich glaube, dass mir in diesem Moment das ganze Ausmaß der Geschehnisse bewusst wurde. Wir flogen mit der Sonne Richtung Westen, und der Tag zog sich endlos in die Länge. Während sich die Maschine LA näherte, rückte die Kirche in Aldershot immer weiter in den Hintergrund. Nur wir und einige Mitglieder der Crew hielten sich im Flieger auf. Es war sehr, sehr ruhig, und die Sonne ging einfach nicht unter. Mich beschlich das Gefühl, den Orientierungspunkt im Leben verloren zu haben.

    Später fand ich heraus, dass sich Elton John und sein Promoter Gary Farrow unter das Publikum in LA gemischt hatten. Die beiden wussten, was geschehen war, und verbrachten die Zeit vor der Show mit Spekulationen, ob ich es rechtzeitig zum Auftritt schaffen würde. Die Band versuchte sich schon auf Songs zu einigen, die sie ohne mich spielen konnte. Auch eine Absage des Konzerts stand zur Diskussion. Dank einer Polizeieskorte, die mich vom Flughafen zum Auftrittsort geleitete, kam ich jedoch 20 Minuten vor der Show an.

    Die Behauptung, dass ich das Konzert meinem Vater gewidmet hätte, mag vielleicht ein wenig übertrieben klingen, aber als ich die beklemmenden Akkorde von „Mama" hörte, diesen ursprünglichen, simplen Beat, empfand ich es so. Vater lehrte mir, dass man seine Verpflichtungen erfüllt – eine einfache, unumstößliche Regel. An dem Abend brachte ich exakt diese Grundhaltung in das Konzert ein. Ich schätze, er hätte das mit Wohlwollen honoriert.

    Ich ging mit Angie zu Bett, und als sie schließlich eingeschlafen war, drehten sich meine Gedanken im Kreis. Wie bizarr war das doch alles. Ich hatte meinen Vater am Morgen beerdigt, flog in der Zeit rückwärts und war gerade noch rechtzeitig für den Gig angekommen. Auch mein Vater befand sich auf einer Reise, und ich war mir nicht sicher, wie ich das alles einordnen sollte.

    Nach dem Ableben von Mum 1992, also sechs Jahre später, war ich erneut mit dem Tod Dads konfrontiert. Nicky hatte das Haus ausgeräumt und mir drei abgenutzte, mit Leder bezogene Schrankkoffer Dads geschickt. Einer davon hatte Großvater gehört.

    Mutters Tod belastete mich damals gerade sehr, genauso wie die Tatsache, dass wir das erste und einzige Zuhause meiner Eltern in Farnham verkaufen mussten. Es war das Ende eines Lebensabschnitts, und ich fühlte mich noch nicht bereit, in die Koffer zu schauen, da dadurch vielleicht Gefühle ausgelöst würden, denen ich mich noch nicht stellen konnte. Ich gehörte schon immer zu den Menschen, die ihre Emotionen gut verstecken. So landeten die Koffer auf dem Dachboden über meinem Studio, wo sie einige Jahre unberührt lagerten.

    Ich weiß nicht, wann ein Zeitpunkt ideal ist, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es war denn auch nicht beabsichtigt, aber eines Tages – ich litt an einer Schreibblockade – dachte ich plötzlich an die Koffer. Kurze Zeit später stand ich auf dem Speicher. Welchen sollte ich zuerst öffnen? Ich entschied mich dafür, gleichzeitig einen Koffer von Dad und den von Opa zu inspizieren. Als ich die Deckel geöffnet hatte, verblüffte mich am meisten die militärische Präzision, mit der alles penibel und sauber verstaut worden war. Großvaters Papiere und Akten waren mit elastischen Bändern zusammengeschnürt, während Dads Unterlagen sorgfältig in Plastikordnern steckten. Letzteres schockierte und verblüffte mich, da ich mich selbst mit solchen Ordnern umgab – und ich bin niemals beim Militär gewesen.

    Ich fand dort Papiere, Geschichtsbücher zur Marine aus Dartmouth, Memorabilia aus dem Krieg, die Medaillen, den Orden „Commander of the order of the British Empire", Auszeichnungen für besondere Leistungen und seine Krankenakte. Sogar sein Schwert lag in der Truhe. In Großvaters Koffer befanden sich ähnliche Unterlagen, aber ich fand auch zwei Bücher, die er geschrieben hatte: Soldiering with a Stethoscope und Memoirs of an Army Doctor. Unter den Papieren fand ich ausgezeichnete Kritiken zu den Büchern, in denen Colonel Rutherford in höchsten Tönen gelobt wurde. Der Koffer von Dad enthielt ein Manuskript seiner Memoiren sowie einen unterstützenden und wohlwollenden Brief von David Niven, dessen Meinung er offensichtlich eingeholt hatte. (Vater war ein Fan von Nivens Vielleicht ist der Mond nur ein bunter Luftballon gewesen.) Dennoch fiel mir die Absage eines Verlegers in die Hände, der meinte: „Heutzutage werden Lebensläufe von Angehörigen des Militärs nicht sonderlich nachgefragt. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir den Titel nicht akzeptieren können."

    Ich konnte in diesem Moment Dads Enttäuschung förmlich spüren.

    Letztes Jahr schnappten sich meine Söhne Vaters Manuskript und ließen daraus ein in Leder eingeschlagenes Buch binden. Sie schenkten es mir zu Weihnachten, was mich vollkommen überwältigte. Generell vermag ich meine Gefühle, wie gesagt, sehr gut zu verbergen, doch an diesem Tag fiel es mir schwer. Ich setzte mich hin, las das Buch von vorne bis hinten und begann das Leben meines Vaters wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Nicht nur seine Laufbahn in der Marine erfüllte mich mit Stolz, sondern auch das Erbe, das er mir hinterlassen hatte …

    kapitel.pdf

    Ich erblickte im Mai 1906 in einer Londoner Entbindungsklinik das Licht der Welt. Mein Vater war damals als Stabsarzt in den Chelsea Barracks stationiert. Er führte zuerst eine Privatpraxis, trat dann dem Royal Army Medical Corps bei und wurde zum Krieg in Südafrika abberufen, nach dessen Ende er meine Mutter ehelichte. Sie gehörte zu den Cloetes, einer der alten Familien am Kap, die 1652 nach Südafrika übergesiedelt waren und keine Zeit verloren hatten, die Anzahl der Familienmitglieder drastisch zu erhöhen.

    Mein Vater wurde im Zeitalter des Empire geboren, einer Ära, charakterisiert durch Erzherzöge, Kaiser und eine vielversprechende Karte der Welt. Die Marine von Edward VII beherrschte die Meere. Sie hatte seit der Schlacht von Trafalgar keinen Gegner mehr gesehen, der ihr die Stirn bieten konnte. Haushalte wie der meines Vaters wurden meist von Kindermädchen mit Unerbittlichkeit und eiserner Faust regiert.

    Die Reisen von Dad begannen im Alter von zehn Jahren, als Opa nach Südafrika zurückkehrte – mit der Nanny im Schlepptau, obwohl ich an ihrer Freude an dem Umzug zweifle.

    Wir erreichten Durban. Nachdem wir von Bord gegangen waren, konnte ich mich an der ersten Fahrt in einer Rikscha erfreuen, einem zweirädrigen Gefährt, von einem Zulu gezogen, der zwischen den beiden Holzholmen lief. Der eher spärlich bekleidete Mann trug dekorative Kleidung und einen Kopfschmuck aus Hörnern. Von Zeit zu Zeit hüpfte er mit einem das Blut gefrieren lassenden Schrei in die Luft, wobei die Fahrgäste beinahe aus den Sitzen fielen. Ich konnte mich köstlich über Nanny amüsieren, eine Anhängerin der damals allgemein verbreiteten Ansicht, dass schon in Calais das Land der schwarzen Rasse begann. Diese Erlebnisse raubten ihr den Atem und ließen sie verstummen.

    Drei Jahrzehnte später hielt sich Vater erneut in Durban auf, wo er meiner Mutter Anne begegnete. Zu der Zeit absolvierte er seinen Dienst als stellvertretender Captain des schweren Kreuzers „Suffolk, der dort für eine Überholung vor Anker gegangen war. Er traf Mum bei einer Wohltätigkeits-Tanzveranstaltung, und die beiden heirateten nur sechs Wochen später. Trotz des eher impulsiven Charakters meiner Mutter erscheint mir das dennoch als sehr schnell. Egal, das glückliche Brautpaar genoss sechstätige „Flitterwochen, wonach Dad wieder in See stach, diesmal nach Trincomalee in Sri Lanka. Die beiden sahen sich erst nach einer Trennungszeit von zehn Monaten wieder.

    Meine Eltern fielen sich in England am VE-Day erneut in die Arme, an dem die Alliierten den Sieg in Europa feierten. Mum war mit einem Truppentransporter nach Großbritannien gereist, und Dad hatte man einen Posten bei der Admiralität angeboten. Das Dienststellengebäude lag an dem Paradeplatz der berittenen Garde nahe Whitehall. Als Mum 1947 die Geburt meiner Schwester Nicolette erwartete, hatte das Militär Dad bereits zum Stabschef der Marinevertretung der Joint Chiefs of Staff in Australien berufen. Man entschloss sich, dass Mum zu Nickys Geburt nach Durban reisen und danach die Schifffahrt nach Australien antreten sollte, um Dad zu treffen. Das bedeutete Folgendes: Dad erfuhr erst von der Geburt seiner Tochter, als man ihm auf der Gangway seines Schiffs in Adelaide eiligst ein Telegramm überreichte.

    Nach dem Ende seiner Dienstzeit zogen meine Eltern und Nicky nach Großbritannien. Dad trat wieder den Dienst bei der Admiralität an und fand ein Mietshaus in Chertsey, Surrey, wo ich am 2. Oktober 1950 geboren wurde. Bei der Suche nach einem passenden Namen entschieden sich die beiden für möglichst viele Optionen, und so taufte man mich Michael John Cloete Crawford Rutherford. Weniger als zwei Jahre nach meiner Geburt musste Dad uns dann neuerlich verlassen, diesmal eilte er in den Koreakrieg.

    Vater war erst acht Jahre alt, als er Opa dabei beobachtete, wie dieser – mit Fernglas, einem Schwert und einem Revolver bewaffnet – in den Ersten Weltkrieg zog. Im Alter von nur 18 Monaten konnte ich zwar noch nicht wahrnehmen, was Dad bei sich trug, als er sich in den Fernen Osten aufmachte, aber ich erinnere mich genau an den Tag seiner Rückkehr zwei Jahre später. Er fragte mich, wie viele Zähne ich schon hätte, und dann ließ er mich über das ganze Auto klettern – meiner Meinung nach sympathische Begrüßungsgesten.

    Bis ich ins Bett musste, lief alles ganz gut, doch dann wunderte ich mich ein wenig: Was machte der fremde Mann in unserem Haus? Der hatte doch sicher nichts mit uns zu tun?

    Offensichtlich aber doch!

    Ich kann das Bild meines Vaters immer noch klar vor mir sehen, der in der Abenddämmerung in meinem Zimmer auftauchte, um mir eine gute Nacht zu wünschen. Er war ein großer, stämmiger Mann – nicht so groß allerdings, wie ich mal werden sollte –, erschien mir aber trotzdem nicht furchteinflößend.

    Ich hegte immer noch den Gedanken, ob er nicht im Laufe der Nacht wieder verschwinden würde, und so stand ich mehrmals auf, um nachzuschauen, wo er steckte. Schließlich gaben meine Eltern nach und stellten mein Bett in ihr Schlafzimmer, damit sie endlich in Ruhe die Augen schließen konnten.

    Vater war stets ein standesgemäß gekleideter Mann mit einer verblüffenden Grundhaltung. Sogar ohne Uniform bewahrte er Haltung und strahlte eine Präsenz aus, die andere Menschen beeindruckte. Wo auch immer er hinging – in ein Restaurant, ein Geschäft oder in einen Schreibwarenladen –, er zwang den Leuten förmlich Respekt ab, die sich daraufhin höflich und zuvorkommend verhielten. Darüber hinaus würde ich ihn als pünktlich, in allen Belangen methodisch vorgehend und gründlich charakterisieren.

    Als kleiner Junge richtete ich mich jedoch eher nach meiner Mutter.

    Sie wollte in ihrer Jugend die Kunsthochschule besuchen, was jungen Mädchen damals jedoch versagt blieb. Auch schwebte ihr eine Laufbahn als Balletttänzerin vor, doch dafür war sie zu groß. Mum nahm Klänge und Energie mit hoher Sensibilität wahr. Ein Sonnenuntergang oder ein kräftig blauer Himmel begeisterten sie jedes Mal: „Liebling! Schau dir diese Farben an!"

    Ich möchte sie als eine wunderbare, auf eine bestimmte Art faszinierend verschrobene Frau beschreiben. Ich glaube, dass Dad ihre Persönlichkeit schätzte und genoss, was ihm jedoch einige Probleme einbrachte. Als die beiden in Melbourne lebten, verlor sich Mum ganz und gar im Sammeln von Gold-Akazien, die sie wegen der kräftig gelben Farbe liebte und die sie an Südafrika erinnerten. Allerdings wusste Mutter nicht, dass die Pflanzen in Australien – ganz im Gegensatz zu Südafrika – unter Naturschutz stehen. Eines Tages belud sie Dads Wagen mit Gold-Akazien, die ihr eine Strafe von 200 Pfund eingebracht hätten. Dad musste daraufhin mitten in der Nacht an den Strand fahren, ein Loch buddeln und das Grünzeug darin verschwinden lassen.

    Mum war die Ehe mit Dad als Witwe eingegangen. Ihre vorhergehende Beziehung zählte zu den Tabuthemen der beiden. Erst im Alter von 13 Jahren, während eines Familienurlaubs in Italien, dachte ich laut darüber nach, warum jedes silberne Besteckstück im Schrank des Esszimmers die Gravur „Captain Woods trug. Die beiden schreckten hoch. Mum war kreidebleich. Damals stigmatisierte man noch eine zweite Ehe. Hinzu kam, dass „Captain Woods an Krebs gestorben war, worüber man erst recht nicht sprach. Ich schätze, es muss Mums Idee gewesen sein, ihre persönliche Geschichte unter den Teppich zu kehren, denn mein Vater war viel zu direkt, um etwas zu verbergen.

    Vielleicht bewahrten die beiden Stillschweigen darüber, weil sie sich ernsthafte Sorgen machten, dass sich dieses Wissen auf mich auswirken könnte. Na ja, wenn sie wirklich von solchen Bedenken geplagt wurden, hätten sie nicht das gravierte Tafelsilber rumliegen lassen dürfen. Wie dem auch sei, Mums erste Ehe berührte mich nicht.

    Als ich fünf Jahre alt war, ernannte man meinen Vater zum Kommandierenden Offizier der kleinen Insel Whale Island im Hafen von Portsmouth. Dad hatte dort vor 20 Jahren seine Ausbildung als Leitschütze der Marineartillerie absolviert und kehrte nun, 1955, zurück, um das Kommando zu übernehmen.

    Es stellte den Höhepunkt seiner Laufbahn in der Marine dar. Schon bald bezog unsere Familie das Haus des Captains. Dieses Arrangement mutete ein wenig ungewöhnlich an, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war die Unterbringung alleinig Männern vorbehalten. Von den Familien erwartete man, dass sie in ihrer Wohnung an Land blieben. Hinzu kam noch, dass die Kinder der meisten Offiziere beim Erreichen des Captain-Rangs schon erwachsen waren und eine Universität besuchten. Mein Vater hingegen hatte im Alter von 49 Jahren eine siebenjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. Doch Nicky und ich lernten schnell, uns in die Abläufe einzufügen:

    In der Militäreinrichtung bezogen beide Kinder die ihnen zugewiesenen Plätze. Es gab keine Kinderpsychologie oder etwas Vergleichbares. Wenn sie die Dreiräder nicht benutzten, wurden sie exakt zwischen die weißen Linien ihres Fahrradparkplatzes außerhalb des Hauses gestellt. Nach jeder Freizeit wurde ihr Spielzeug auf Seemannsart eingezogen. Falls sie fragten: „Ist das ein Befehl?, lautete die gewohnte Antwort: „Ja – rechts um – im Eilschritt Marsch! Mehr lässt sich darüber nicht berichten.

    Ebenso wie Dad hatte ich in der Kindheit eine Nanny, zumindest während der Zeit auf Whale Island. Sie war die Tochter eines Lieutenants, die wie der Wind rennen konnte, was sich als nützlich erwies, wenn ich mal wieder mit dem Dreirad davonbrauste. Mein Ziel lag immer beim Strand, denn Gerüchten nach waren dort 50-Pence-Stücke vergraben. Doch ich kam niemals so weit. Wenn es mir mal gelang, meiner Nanny zu entwischen, wurde die Flucht mittels des Lautsprechersystems vereitelt, worüber man die Nachricht meines Ausbüchsens verlas: „Jeder, der den Sohn des Captains sieht, wird aufgefordert, Position, Zielrichtung und Geschwindigkeit mitzuteilen, einzugreifen und ihn zur Basis zurückzubringen."

    Leider befolgten sie immer den Befehl.

    Trotzdem konnte das Leben auf Whaley für ein Kind aufregend sein. Ich brachte die Essensreste gemeinsam mit dem ersten Stallknecht Mr. Brown zu den Pferden, wobei immer eine leere Tonne auf der Ladefläche des Fuhrwerks stand. Falls es mal regnete, konnte ich da hineinkrabbeln, und der Deckel wurde einfach draufgelegt. Im zweiten Jahr auf der Insel trat ich den Jungkadetten der HMS „Excellent bei. Natürlich hatte ich das dafür nötige Alter noch nicht erreicht, doch niemand beschwerte sich darüber angesichts der Tatsache, dass Dad der Commander war. Dem Buch meines Vaters nach fiel ich vor einer Parade in einen Goldfischteich und weinte mir die Augen wund, da mir untersagt wurde, die nassen Hosen anzubehalten. Dad beschrieb das als „eines Seemanns unwürdiges Verhalten. Bereute er es, die Dienstvorschriften ein wenig abgeändert zu haben?

    Einmal wurde eine der Kanonen auf der Insel versehentlich abgefeuert.

    Michael ritt auf der unteren Rasenfläche auf Joey, dem Pony, beaufsichtigt von Mr. Brown. Beim Knall des Schusses bockte das Pferd und warf Mike aus dem Sattel, der sich aber mit einem Fuß im [linken] Steigbügel verfangen hatte und sich kopfüber an Joeys [rechte Seite] klammerte. Als man ihn aus der Position befreite, schien seine Moral ungebrochen, da er annahm, dass es zum Reittraining gehörte und so eine verdrehte Körperhaltung – die der eines Kosaken glich – völlig normal war.

    Zu den Höhepunkten auf Whaley zählte der Besuch einer russischen Marineschwadron in Portsmouth. Mein Vater erhielt den Befehl, sich um den Kreuzer der Swerdlow-Klasse und seine Crew zu kümmern. Nachdem der Kapitän unser Haus zum Tee besucht hatte, lud man mich im Gegenzug ein, am nächsten Tag auf das Schiff zu kommen. Ich kehrte mit einer wahren Wagenladung an Geschenken zurück, was aus meiner Perspektive als ein großer Erfolg zu werten war. Allerdings glaube ich, dass Dad sich ein wenig enttäuscht zeigte, da ich während des Aufenthalts auf dem Schiff keine Geheiminformationen in Erfahrung bringen konnte. Wir befanden uns mitten in der Zeit des Kalten Krieges! Die einzigen Informationen, die ich erhielt, waren die russischen Vokabeln für „Danke schön". Ich merkte schnell, dass die Anzahl der Schokoladen rapide in die Höhe stieg, je öfter ich die Worte sagte. Die russischen Schokoladen waren ungefähr so groß wie meine Hand, und ich bedankte mich tapfer, bis ich sechs erbeutet hatte. Dann ging ich nach Hause und wurde krank.

    Wenn ich an Whaley zurückdenke, muss ich immer an die Größe der Militäranlagen denken: Überall gab es riesige Gebäude zum Herumrennen. Der Paradeplatz schien sich ins Endlose zu erstrecken, und natürlich wurde damals alles mit Prunk und Pomp zelebriert – und mein Vater bildete das Zentrum der Aktivitäten. Jede Feier drehte sich um ihn, und egal wo wir auch hingingen – alle salutierten ihm. (Ich liebte das militärische Grüßen, denn es wirkte so erwachsen: Es war eine Geste, die nur Männern zustand. Ich versuchte ständig vor der Nanny und meiner Schwester auszubüchsen, da sie niemand grüßte.)

    Bei den Inselrundgängen mit Dad streckte ich immer meine Brust heraus, um so groß wie möglich zu erscheinen. Ich spürte die Bedeutung, an seiner Seite zu gehen.

    Ein Brief der Admiralität veränderte dann das Leben meines Vaters. Statt der erhofften Beförderung zum Konteradmiral enthielt der Brief die Nachricht, dass er in zwei Monaten aus der Navy ausscheiden solle.

    Zum dem Zeitpunkt hatte Dad bereits 36 Jahre gedient, zwei Mal das Silberne Eichenlaub mit Urkunde für außergewöhnliche Leistungen im Zweiten Weltkrieg erhalten sowie einen Orden für hervorragenden Dienst vor der Küste Koreas in den Fünfzigern. Und plötzlich war er ohne Arbeit. Mit einer Frau und zwei kleinen Kinder stand eine Pensionierung außer Frage. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er sich auf Jobsuche begeben, trotz schlechter Aussichten.

    Man überreichte mir ein offizielles Handbuch mit Ratschlägen für den Übergang ins Zivilleben. Ich las es eines Abends. Es war der wohl deprimierendste Text, den ich mir je zu Gemüte führte. Um meine Moral wiederherzustellen, brauchte ich danach einige harte Whiskeys. Offensichtlich war ich für den Arbeitsmarkt praktisch wertlos. Ich musste eine demutsvolle und bescheidene Haltung einnehmen, bereit sein, einen durchschnittlichen Job anzunehmen, in der Hoffnung, die Karriereleiter erneut hinaufzusteigen – falls ich überhaupt das Glück hatte, die erste Sprosse zu betreten.

    Die Jugendlichen heutzutage würden das wohl als „voll düster" bezeichnen.

    Nach einigen Absagen bewarb sich Dad für einen Job beim Blue-Steel-Raketenabwehrsystem, entwickelt von Hawker Siddeley (die man später in die British Aerospace eingliederte). Die Bewerbung war erfolgreich, doch seine zukünftige Arbeit bedeutete einen Umzug nach Cheshire, also zur anderen Seite Großbritanniens, wo die Firmenzentrale von Hawker Siddeley lag. Mein Vater achtete immer auf für den Anlass angemessene Kleidung. Als er sich nach Wilmslow aufmachte, trug er seine neue Uniform: Einen Bowler, einen zusammengerollten Regenschirm und Handschuhe aus Schweinsleder.

    Mum, Nicky und ich folgten ihm kurz darauf und zogen in das Dean Water, ein Hotel in Manchester. Daraufhin schauten sich meine Eltern nach einem Haus um. In dem Hotel fanden jeden Samstag Tanzveranstaltungen statt. Meine Schwester und ich – wir trugen zu der fortgeschrittenen Stunde schon Schlafanzüge – beobachteten zwischen den Streben des Treppengeländers hindurch die ankommenden Tanzgäste in ihrer schicken Abendgarderobe. Es war ein kurzer Einblick in eine neue Welt und sehr aufregend.

    Far Hills, ein aus Ziegeln gebautes freistehendes Haus, für das sich meine Eltern letztendlich entschieden, lag ungefähr vier Meilen von Hawker Siddeley entfernt. Wenn einer der dreieckig wirkenden schwarzen Vulcan-Bomber über unser Heim flog, brachte die Turbulenz das ganze Gemäuer zum Beben, was eventuelle Gäste mehr als erschreckte. Mich hingegen beeindruckte die Tatsache, dass ich die Landebahn der Basis als Gokart-Strecke benutzen durfte.

    Ich besaß einen gelben Gokart 30 cc – sehr cool –, den wir in den großen rotweißen Austin luden und damit zur Basis fuhren.

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