Der kleine Blaue
Von Sven Elvestad
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Über dieses E-Book
Seine Geschichten erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Ein Muss für Liebhaber des historischen Krimi-Vergnügens!
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Der kleine Blaue - Sven Elvestad
Sven Elvestad
Der kleine Blaue
I. - Der Agent
Vor einigen Jahren lag in einer der Straßen in der Nähe des Johannishügels ein kleines zweistöckiges Holzhaus. Das war vor der Zeit des Baubooms. Das Haus ist später abgerissen worden, um einem der großen Mehrfamilienhäuser Platz zu machen. Damals standen noch nicht viele Häuser in der Straße, die schlecht ausgebaut und nur teilweise gepflastert war. Das erwähnte Haus bemerkte man sofort, weil es ein bisschen vorstand, mit rotbrauner Farbe überschmiert war und mitten an der Fassade ein Schild hatte, das stark quietschte, wenn es windig war. Auf dem Schild stand:
A. Jonson,
Lebensmittelladen.
Es war ein Geschäft, das sehr schlicht wirkte; hinter dem Ladentisch stand eine ältere, mollige Frau. Es war die Witwe von »A. Jonson«, der vor mehreren Jahren gestorben war. Sie führte den kleinen Laden jetzt allein und hatte sich durch Sparsamkeit und Tatendrang so viel zurückgelegt, dass sie das Haus kaufen konnte, in dem sie wohnte. An den Laden grenzte eine Wohnung, bestehend aus einem größeren und einem kleineren Zimmer und einer kleinen Küche. Zunächst durch den Laden und dann durch eine Tür verbunden, lag das kleinere Zimmer, das die Witwe bewohnte. Mitten in die Tür war ein rundes Loch ausgeschnitten und eine Glasscheibe eingesetzt, durch die die Witwe, so oft sie nur wollte, den Laden überblicken konnte, und auch die Straße davor.
Um in das erste Stockwerk des Hauses zu gelangen, musste man in den Hof hinausgehen. Von dort führte eine Treppe in die obere Wohnung. Es waren eigentlich zwei Wohnungen im ersten Stock, im ganzen vier Zimmer, aber nur eine Küche. Die Küche lag in der Mitte. Die zwei Zimmer rechts benützte die Witwe als Lagerräume. Hier lagen die Öl-Tonnen und die Fässer mit grüner Seife und ähnliche Dinge, die sie nicht gut unten im Laden unter all den Esswaren aufbewahren konnte. Aber die zwei Zimmer links hatte sie vermietet. Zu dem erwähnten Zeitpunkt bewohnte sie ein älterer graubärtiger Mann. Er hatte eine gelbe Messingplatte an die Tür angebracht, und darauf stand folgendes eingraviert:
Agent Jaerven,
Umsatz von Wertpapieren.
Als dieser Agent Jaerven einzog, ahnte die Witwe nicht, wer er war oder was für eine Art von Geschäft er betrieb. Er bezahlte die Miete im Voraus, aber handelte so viel herunter, wie er nur konnte. Möbel hatte er nicht viele, ein altes massives Sofa, einen großen, runden Tisch, ehemals poliert, aber ziemlich abgenützt, einige wenige Stühle, eine Kommode, ein Bett aus Eisen und vor den Fenstern unscheinbare rotgemusterte Gardinen. Mitten in dieser Szenerie schleppte man eine sehr schwere und klobige eiserne Kasse, die obendrein mit einem eigenen Schließmechanismus versehen war. Sie war so schwer, dass sechs kräftige Helfer die Kasse die Treppe hinauftragen mussten, die unter der Last ächzte. Die Witwe hatte damals den Agenten gefragt, was er denn eigentlich beruflich machte, aber hatte ausweichende Antworten bekommen.
Der alte Mann war ein guter Mieter, er bezahlte die Miete und verhielt sich ordentlich. Einmal die Woche kam eine Frau und wusch seine Wäsche. Er machte sich sein Frühstück selbst, die anderen Mahlzeiten nahm er stets in der Stadt ein. Mit der Genauigkeit eines Uhrwerks verlief sein Tag. Um sieben Uhr morgens stand er auf, und um acht Uhr hörte ihn die Witwe immer die Treppe hinunterlaufen. Er blieb dann drei Stunden weg. Zwischen elf und ein Uhr hielt er sich immer in seiner Wohnung auf, und um diese Zeit konnte es oft vorkommen, dass Besuche zu ihm kamen. Viele merkwürdige Besuche übrigens. Es waren Damen und Herren, die einen gut gekleidet, die anderen weniger gut gekleidet. Hier und da konnte es vorkommen, dass ein Wagen drüben an der Ecke hielt und ein Mann ausstieg, sich vorsichtig umsah und dann die Treppe zu Agent Jaerven hinaufschlich. Es geschah auch, aber sehr selten, dass die Witwe laute Stimmen oder auch laute Schläge aus dem Zimmer des Agenten hörte. Die Witwe merkte bald, dass es sich dabei um Geldgeschäfte des Agenten handelte. Aber was kümmerte sie das, wenn sie ihre Miete pünktlich bekam und er sich auch sonst ordentlich verhielt.
Der Agent zog zu Johanni ein, und etwa zwei Jahre vergingen, bevor das geschah, was nun erzählt werden soll. Es war an einem der ersten Frühlingstage des Jahres, und die Leute, die über die Straße gingen, waren sonnenhungrig und fühlten, wie sie schon wärmte, und sahen wie lange sie schon schien. Der Schnee war während des Tauwetters der letzten Tage geschmolzen. Das Schmelzwasser rieselte durch die Dachrinnen, und die Straßen waren aufgeweicht und schmutzig.
*
Damals war Asbjörn Krag noch aktives Mitglied des Christianiaer Detektivkorps und stand durch die Art, wie er die ihm gestellten Aufgaben löste, hoch in der Gunst seiner Vorgesetzten.
Als er sich eines Morgens im Büro des Chefs einfand, fand er diesen in ungeduldiger Erwartung.
»Ich habe da gerade eine Sache bekommen, die wohl etwas für Sie sein wird,« sagte er. »Diese Dame hier,« – er wies auf eine ältere, korpulente Frau, die auf dem schwarzen Ledersofa des Büros Platz genommen hatte – »diese Dame hat mir eben mitgeteilt, dass einer ihrer Mieter auf ganz merkwürdige Weise verschwunden ist.«
Krag, dessen Interesse augenblicklich erwachte, setzte sich an den grünen Tisch des Chefs.
Er war darauf bedacht, mit dem Rücken gegen das Licht zu sitzen. Es ist seine Gewohnheit geworden, wenn er sich in einem der Vernehmungsräume befand; das Tageslicht fiel dann dem, der verhört wurde, ins Gesicht, und er konnte so jeden kleinen Wechsel in seiner Mimik beobachten.
»Darf ich Sie bitten, Ihre Erzählung zu wiederholen,« sagte der Polizeichef. »Es ist notwendig, dass mein Mitarbeiter sie direkt von Ihnen hört.«
Die Dame erhob sich und trat näher. Die Mantille raschelte um sie. Krag bemerkte, dass sie sehr nervös und erregt