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Veltliner Spritzer: Österreich Krimi
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eBook274 Seiten3 Stunden

Veltliner Spritzer: Österreich Krimi

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Über dieses E-Book

Armer Hakim. Erst musste er mit seiner Familie aus Syrien flüchten. Dann wollte ihm niemand im Weinviertler Dorf Niederfeld Unterkunft gewähren. Nur der Rote Bär, wie die groß- und warmherzige Eigentümerin eines berüchtigten, rotlichtigen Etablissements genannt wurde, erbarmte sich seiner. Und sie war es schließlich auch, die Hakim vor der Polizei versteckte, als seine Frau Jasina plötzlich verschwand und sich im ganzen Dorf das Gerücht eines Ehrenmordes verbreitete. Auch in ihrem 4. Fall schafft es Hemma Thom, die Mesnerin und Organistin von Niederfeld, Licht ins Dunkel zu bringen. Wie immer verlässt sie sich auf ihr treffsicheres Gespür, auf ihre ungewöhnliche Beziehung zur Himmelmutter. Und auf Hubert den Polizeichef, ihren heimlichen Verehrer.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum16. Apr. 2021
ISBN9783990741467
Veltliner Spritzer: Österreich Krimi

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    Buchvorschau

    Veltliner Spritzer - Werner Baumüller

    Eins

    Obwohl Hakim Hasanin mit seiner Familie nun schon seit einiger Zeit in Niederfeld lebte, passierte es ihm nach wie vor, dass er gefragt wurde, warum er hierher ins Weinviertel gezogen ist und nicht in Syrien blieb, um seine Heimat zu verteidigen. Darauf zu antworten fiel ihm immer noch schwer. Nicht weil seine Deutschkenntnisse nicht ausreichten, die waren inzwischen, wenn auch nicht perfekt, so zumindest anwendbar. Nein, es fiel ihm schwer zu verstehen, warum es noch immer so viele Menschen gab, die nicht begreifen wollten, dass es einem wichtiger ist, sein Leben und das von Frau und Kind zu retten, als für eine Sache zu kämpfen, die mit normalem Verstand nicht zu erklären war.

    Wie stellen sich die Leute das vor, dachte er dann bei sich. Für wen hätte er denn kämpfen sollen, als plötzlich die ersten Bomben unweit von seinem Haus in einem Vorort von Damaskus einschlugen und das Leben in seiner Heimatstadt in eine Hölle verwandelten? Es war ja nicht so, dass hier die Guten und da die Bösen standen, da hätte er es sich vielleicht noch überlegt, zur Waffe zu greifen und für seine Überzeugung zu kämpfen. Aber so? Hätte er für die Hisbollah kämpfen sollen? Oder für die Islamische Front? Für die Al-Nusra-Brigaden, die Al-Kaida, den Dschaisch al-Islam oder irgendeine andere jihadistische Gruppe? Hätte er für Assad kämpfen sollen, der mehr seiner Landsleute auf dem Gewissen hatte als alle anderen? Hätte er sich den Kurden anschließen sollen? Oder den Türken oder den Russen, denen es in Wirklichkeit doch nur um Einfluss und um Macht ging? Oder gar den verhassten Amerikanern, die eh schon genug Schaden in der Gegend angerichtet haben und ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgten?

    Nein, als Gift und Bomben fielen, sich immer mehr Terror- und Rebellengruppen bildeten und der Islamische Staat immer näher rückte, da kam für ihn, wie für viele andere, nur eines in Frage. Weg von hier! So schnell wie möglich.

    Hakim hatte das Glück, ein wenig Geld gespart zu haben. Sein kleiner Bäckerladen lief gut. Und wenn es auch eine Plagerei war, jeden Tag lange vor Sonnenaufgang sein Tagwerk zu beginnen, so brachte ihm seine Arbeit doch bescheidenen Wohlstand. Und das Privileg, dass er nicht wie Millionen andere Syrier im eigenen Land immer wieder aufs Neue fliehen und ums nackte Leben rennen musste, weil die Sicherheit im Land nie nachhaltig war und jeder quasi-sichere Ort am nächsten Tag schon Kriegsschauplatz sein konnte. Nein, Hakim war in der glücklichen Situation, große Pläne schmieden zu können. Er wollte nach Deutschland, gemeinsam mit Frau und Sohn, um dort ein völlig neues Leben zu beginnen.

    Insgesamt waren es über zwölf Millionen Syrische Lira, die Hakim im Laufe der Jahre auf sein Konto legen konnte. Das klingt nach sehr viel. In Wirklichkeit waren dies aber gerade einmal zwanzigtausend Euro, die er rechtzeitig, als die Gefahr im Anmarsch war, von seinem Bankkonto abhob und zum Teil in Dollar-, zum Teil in Euro-Scheine umtauschte.

    Bis zuletzt hoffte Hakim, dass sich seine Befürchtungen nicht bewahrheiten würden, dass seine Ängste umsonst wären. Dass der Wahnsinn an ihnen vorbei ziehen würde und er auch in Zukunft seine Brote backen, ein zweites oder drittes Kind zeugen und ein friedliches Leben führen könnte. Aber die Hoffnungen zerschellten. Plötzlich ging es Schlag auf Schlag. Auf einmal gab es nichts mehr zu diskutieren und nichts mehr zu überlegen. Es zählte nur noch das blanke Leben.

    Hakim und seine Frau Jasina konnten gerade noch zwei Reisetaschen und ein Köfferchen für ihren Sohn Zafir packen, die Haustür hinter sich schließen und im Stillen hoffen, dass dieses Haus noch stehen würde, wenn der Krieg eines Tages vorbei ist. Vielleicht würden sie dann noch Geld für das Haus kriegen, vielleicht würden sie sogar eines Tages wieder hierher zurückkehren können, je nachdem, wie sich die Dinge in Deutschland entwickeln würden. Vielleicht würde aber schon morgen eine Bombe drauffallen und ihr Heim, ihr bisheriges Glück, ihre Erinnerungen mit einem Schlag unwiederbringlich zerstören.

    Hakim liebte seine Jasina. Und er vergötterte den kleinen Zafir. Um den beiden die Strapazen der Flucht zu ersparen, überlegte er kurz, sie vorerst bei seiner Schwiegermutter abzusetzen und sie später, wenn er den Asylbescheid bekommen würde, nachfliegen zu lassen. Aber davon ließ er wieder ab. Womöglich hätte er seine Liebsten dann für Jahre nicht mehr gesehen. Außerdem war auch das Haus seiner Schwiegereltern kein Ort, wo seine Familie vor dem Krieg sicher gewesen wäre. So galt es, Abschied zu nehmen von Freunden und Verwandten. Was Jasina sehr schwer fiel, weil sie stark an ihrer Mutter hing. Hakim wusste das und deshalb war er sogar bereit, seine Schwiegereltern auf die lange, anstrengende und gefährliche Reise mitzunehmen. Die aber fühlten sich zu alt für dieses Abenteuer. Weder ihre Beine, noch ihr sturer, alter Kopf hätten es zugelassen, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Auch wenn hier ständig der Tod um sie kreiste.

    Jasina bestand darauf, auf der Landroute zu bleiben, weil in diesem Jahr bereits einige tausend Menschen auf der Mittelmeerroute über Libyen ertrunken waren. So plante Hakim, die Route über die Türkei und durch Exjugoslawien zu nehmen, noch hatte sich niemand damit gebrüstet, die Balkanroute geschlossen zu haben. Dass diese Strecke einiges mehr kostete, nahm er in Kauf.

    Es wäre so einfach gewesen, hätten Hakim und Jasina auf die Deutsche Botschaft gehen, um politisches Asyl ansuchen und nach Frankfurt fliegen können. Aber die Gesetze verlangten anderes. So war neben dem Geld, seinem Handy und ein paar Klamotten zum Wechseln ein Notizbuch mit Telefonnummern die wichtigste Reiseutensilie. Es waren Nummern von Bekannten, denen die Flucht bereits gelungen war, weil sie sich Leuten angeschlossen hatten, die sie zwar für teures Geld, dafür aber lebendig an ihr Ziel gebracht hatten.

    Zuerst ging es mit einem Bus nach Izmir. Allein dieser Abschnitt hatte für Hakim und Jasina je tausend Dollar gekostet. Dort hieß es dann ein paar Tage warten, bis endlich Plätze in einem Schlauchboot nach Griechenland frei waren. Auch auf der Landroute musste eine kurze Strecke zu Wasser hinter sich gebracht werden. Den Preis von zweitausendfünfhundert Dollar mussten sie gleich zahlen, schon deshalb, um überhaupt auf die Warteliste zu kommen.

    Als es endlich so weit war, dass sie mit dem Schlauchboot übersetzen konnten, trauten sie ihren Augen nicht. Das Boot war in einem derart desolaten Zustand, dass Jasina sich erst weigerte, es überhaupt zu betreten. Mit der Drohung der Schlepper, dass sie dann hier bleiben müssten und die Zahlung verfallen würde, überwand sie sich schließlich doch ins Boot zu steigen.

    Aber ihr Instinkt hatte sie nicht getäuscht. Schon nach wenigen hundert Metern begann das Boot immer tiefer ins Wasser einzusinken. Bald schwappten die ersten Wellen über, was zu einem Tumult führte. Schließlich wurde auch dem Bootslenker klar, dass diese Reise kein gutes Ende nehmen würde. Und weil es auch um sein eigenes Leben ging, beschloss er umzukehren. Als sie wieder auf türkischem Boden anlegten, war bereits das halbe Boot mit Wasser gefüllt.

    Erst drei Tage später wurde der nächste Versuch unternommen. Dieses Mal gelang die Überfahrt, obwohl im Laufe der Stunden immer wieder Wasser in das Boot drang.

    Es war Sonnenaufgang, als sie auf Lesbos ankamen. Jasina war gerade am Einnicken, Zafir schlief bereits stundenlang in ihren Armen. Aber Verschnaufpause war nun keine vorgesehen. Kaum hatten sie das Boot verlassen, begann ein dreistündiger Marsch zu einem Auffanglager, in dem sie völlig entkräftet ankamen. Jasina konnte gerade noch Zafirs Köfferchen tragen. Hakim hingegen schleppte die beiden Reisetaschen in einer Hand, in der anderen trug er seinen müden Buben.

    Im Lager konnten sie endlich duschen und ihre Kleider wechseln. Dann hieß es wieder warten. Ganze fünf Tage lang. Schließlich wurden sie per Schiff nach Athen und mit einem Bus weiter an die mazedonische Grenze gebracht. Was folgte war wieder nur warten.

    Eine Unzahl von Menschen aus den verschiedensten Ländern wollte die Grenze passieren. Grenzen sind überhaupt das Schlimmste, wenn man auf der Flucht ist. Sie kommen so mir nichts, dir nichts. Stoppen dich, quälen dich, schließen dich aus. Und keiner weiß eigentlich so recht warum.

    Durch Mazedonien waren Hakim, seine Familie und einige andere Syrer, die sie im Auffanglager auf Lesbos kennen gelernt hatten, hauptsächlich zu Fuß unterwegs. Es gab zwar immer wieder Angebote von Schleppern, sie in einem Transporter bis Serbien oder gar Ungarn zu bringen. Aber die Preise waren der blanke Wucher.

    Irgendwann war Jasina aber derart erschöpft, dass Hakim ihr keinen weiteren Schritt mehr zumuten konnte. Also gab er einen Großteil seines restlichen Geldes dafür aus, dass man sie in einen Transporter pferchte, in dem bereits über fünfzig Personen wie in einer Sardinendose eingeschlichtet waren. Im Stehen, umfallen konnten sie nicht, und mit immer weniger Sauerstoff holperten sie nun stundenlang bis nach Budapest, wo man sie absetzte, ohne ihnen zu sagen, wie es weitergehen könnte.

    Die Menschen in Budapest waren grundsätzlich freundlich. Gerne war man bereit, Hakim jede Art von Auskunft zu geben, und das in einem Englisch, das nur Leute verstanden, deren Muttersprache alles andere als Englisch war. Aber von der Freundlichkeit der Menschen konnte man nicht leben, schon gar nicht wurde man davon satt. So beschlossen die Hasanins, doch wieder ein Lager aufzusuchen. Und als sie endlich eines gefunden hatten, war es mit der Freundlichkeit vorbei. Die ungarischen Behörden hatten offensichtlich nichts für syrische Flüchtlinge über. Was sie hier erlebten, erinnerte eher an ein Tierasyl als an ein humanitäres Quartier.

    Hakim und Jasina verstanden die Welt nicht mehr. Nie hätten sie in Syrien Menschen so behandelt, wie sie hier behandelt wurden. Das sind doch Christen, sprechen die nicht von Nächstenliebe? Heißt es bei denen nicht: klopfet an und es wird euch aufgetan? Und nicht: welcher Schurke hat von meinem Tellerchen gegessen?

    Jasina, die kaum mehr redete und nur noch in ihrer Schicksalsstarre verharrte, bekam immer mehr Angst, dass es ihr überall in Europa so ergehen würde, ganz egal wo sie hinkämen. Hakim versuchte sie zu trösten: »In Deutschland ist das anders. Unsere Freunde in Herne haben gesagt, dass die Leute dort nett sind.« Aber ganz glauben wollte er es selber nicht mehr.

    Jedenfalls war Hakim klar, dass er Jasina diesen Zustand nicht mehr länger zumuten konnte. Er zählte noch einmal sein Geld und erkundigte sich, was Fahrkarten nach München kosten würden. Aber das ging sich nicht mehr aus. Was er sich gerade noch leisten konnte, waren Zugtickets bis nach Wien.

    »Glaubst du, dass die Österreicher nett sind?«, fragte Jasina voller Zweifel.

    »Ich denke schon«, meinte Hakim. »Die reden dort Deutsch, wahrscheinlich sind sie ähnlich wie die Deutschen. Wien soll sehr schön sein.«

    »Dann fahren wir nach Wien. Aber dann kann ich nicht mehr. Suchen wir halt in Österreich um Asyl an.«

    Es war ein kühler Spätsommertag, als Hakim und Jasina Hasanin mit ihrem achtjährigen Sohn Zafir am Wiener Hauptbahnhof ankamen und an Ort und Stelle um Asyl ansuchten. Ein Polizist, der ähnlich gebrochenes Englisch sprach wie die Hasanins, versuchte die Neuankömmlinge über ihre Rechte und erste Maßnahmen aufzuklären. Er füllte die entsprechenden Formulare aus, dann wurden Fotos von den Hasanins gemacht und ihre Fingerabdrücke abgenommen. Schließlich warf der Beamte noch einen Blick in Hakims Portmonee, in dem sich gerade noch zweiundvierzig Euro befanden.

    Im Anschluss wurden Hakim und seine Familie in einem Kleinbus der Polizei ins Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gebracht, wo ihnen im Beisein einer syrischen Übersetzerin, die auf dem Gebiet Asyl auch rechtskundig war, das weitere Prozedere erklärt wurde. Die Dolmetscherin erklärte ihnen, dass sie als syrische Kriegsflüchtlinge gute Chancen hätten, dass das Asylverfahren hier in Österreich aufgenommen werden könne. Natürlich müsse das Bundesamt noch überprüfen, ob auch wirklich Österreich dafür zuständig wäre oder ob die Familie nach dem Dublin-Abkommen in ein anderes europäisches Land gebracht werden müsse. Aber man solle sich erst einmal keine Sorgen machen. Man würde nun ein Quartier für sie suchen, wo sie die weiteren Entscheidungen abwarten könnten.

    Das Verteilerquartier, welches sie nach einer einstündigen Busfahrt erreichten, war von Weingärten umgeben. Den müden Hasanins wurde ein spärlich eingerichtetes Zimmer zugeteilt, das sie allerdings nun ihr Eigen nennen durften. Es war das erste Mal seit Beginn ihrer Flucht, dass die Familie wieder ihren Rückzugsort hatte. Mit eigenem Bad, eigener Toilette, einem Doppel- und einem Kinderbett. Und sogar mit einem kleinen Balkon, von dem man über die Weingärten hinweg bis über die Donau, ja sogar bis zu den Bergen blicken konnte. Allein die Tatsache, irgendwo angekommen zu sein, war eine große Erleichterung.

    Nachdem die Familie nun mit Kleidung, Nahrung und ein wenig Taschengeld versorgt war, gestaltete sich das Leben in dem Verteilerquartier ziemlich eintönig. Weder Hakim, noch Jasina konnten einer Arbeit nachgehen. Um das Zimmer in Schuss zu halten, benötigte Jasina, die inzwischen wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, weniger als eine halbe Stunde pro Tag. So machte man ausgedehnte Spaziergänge, führte Gespräche mit den anderen Flüchtlingen bei einem Glas Tee. Jasina telefonierte zu dieser Zeit fast täglich mit ihrer Mutter, die noch immer inmitten des Bombenhagels lebte. Und alle nutzten die Gelegenheit, sich via Handy erste Deutschkenntnisse anzueignen. Dies sollte schließlich jene Sprache sein, mit der sie in Zukunft ihr Leben gestalten würden.

    Nach einigen Tagen kam endlich der Bescheid, dass das Bundesamt der Einleitung des Asylverfahrens zugestimmt hatte. Dies bedeutete noch nicht, dass das Verfahren auch positiv enden würde. Österreich hatte sich aber somit offiziell als zuständig erklärt und die Familie konnte nun auf jeden Fall bis zum Abschluss des Verfahrens hierbleiben.

    Was sich dadurch aber auch änderte, war die Tatsache, dass Hakim und Jasina nun kleinere Arbeiten annehmen durften. Und da es schließlich Herbst wurde und die Rebstöcke tonnenweise mit prallen Trauben behangen waren, war es naheliegend, die Flüchtlinge als Erntehelfer zu engagieren und sie für die Weinlese einzustellen.

    Für Hakim und Jasina bedeutete dies, dass sie endlich wieder einmal etwas Nützliches tun konnten. Sie atmeten auf, als sie zum ersten Mal gleich nach dem Frühstück von einem PKW abgeholt wurden, der sie zu einem nahegelegen Weingarten brachte. Den kleinen Zafir hatten sie natürlich mit dabei.

    Der Winzer, der sie beschäftigte, begrüßte sie alle drei per Handschlag. »Ich Karl. Lercher Karl. Du sagen Karl.«

    Danach stattete er sie mit Gartenscheren und Körben aus und erklärte ihnen, was nun zu tun war. »Veltliner«, sagte er und deutete auf die Trauben, um den Neuen zu erklären, welche Weinsorte sie hier nun lesen würden. Als wenn ihnen das nicht wurscht gewesen wäre.

    Hakim und Jasina betrachteten die Weinlese als eine angenehme Tätigkeit. Allein deswegen, weil hier die Ernte sichtbare Erfolge zeigte. Während man bei Himbeeren oder Ribisel stundenlang brocken muss, bis man ein einigermaßen passables Ergebnis hat, füllt sich eine Tragebütte oder eine Scheibtruhe mit Trauben im Nu.

    Ab und zu schaute der Winzer vorbei, der in Anbetracht der Leistung der beiden einen zufriedenen Eindruck machte. Zu Mittag tauchte er mit einem Korb voll Brot, Käse und Putenschinken auf. Wobei er seine neuen Mitarbeiter fasst dazu zwingen musste, endlich einmal eine Pause einzulegen, um was zu essen. Und mit Händen und einem »tomorrow«, das er noch aus der Hauptschule kannte, erklärte er den Hasanins, dass ja morgen auch noch ein Tag wäre.

    Der Karl schien überhaupt ein sehr netter Mann zu sein. Dies zeigte sich auch dadurch, dass er den Hasanins nicht nur den vereinbarten und von den Behörden erlaubten Lohn auszahlte, nein, er legte am Abend noch einen Schein drauf. Und mit einem »Pst!« und einem Finger an den Lippen deutete er an, das dies wohl ein Geheimnis wäre. Und so ähnlich war es in der nächsten Zeit jeden Abend.

    Im Weinviertel wurde natürlich auch am Freitag gearbeitet, obwohl dies für Muslime der offizielle Feiertag ist. Hakim und Jasina nahmen dies zur Kenntnis. Es war ihnen klar, dass sie sich den gegebenen Umständen anpassen mussten, was natürlich nicht hieß, dass ihr Glaube an Allah deshalb Schaden nehmen müsste. Das regelmäßige Gebet war somit das Einzige, was Hakim seine Arbeit unterbrechen ließ. Immer wenn er auf die Uhr sah und wusste, dass in Damaskus gerade ein Muezzin zum Gebet aufrief, kniete er nieder, streckte sein Haupt in Richtung Mekka und dankte Allah für sein Leben, für Frau und Kind und dafür, dass es hier so viel Wein gab. Und ein wenig freute er sich auch über die Tatsache, dass, wenn er seinen Kopf in Richtung Mekka wandte, sein Hintern in Richtung Washington schaute. Irgendwie gefiel ihm das.

    An den Wochenenden, vor allem an den Samstagen, an denen die Geschäfte offen hatten, spazierten die Hasanins immer wieder gerne in das nahegelegene Dorf namens Niederfeld. Hier konnten sie ein paar Lebensmittel kaufen, denn das Essen im Verteilerquartier war nicht gerade umwerfend. Hakim und Jasina haben schnell herausgefunden, dass dies nicht an der österreichischen Küche lag, sondern vielmehr an einem miserablen Koch im Quartier, der außerdem gezwungen war, die allerbilligsten Lebensmittel zu verarbeiten.

    Der Sigi, der Dorfgreißler von Niederfeld, hatte zwar nicht die größte Auswahl, aber was er hatte war von guter Qualität. Ganz besonders gefiel den Hasanins die warme Vitrine, in der zwei Sorten Leberkäse, Fleischlaibchen und ein paar Grammelknödel vor sich hindampften. Da ist ihnen schon das Wasser im Mund zusammengeronnen, selbst dem kleinen Zafir. Sie konnten sich aber vorstellen, dass es sich hierbei ausschließlich um Schweinefleisch handelte, weshalb der Genuss dieser Gustostückerl für sie überhaupt nicht infrage kam.

    Ihr erstes wirklich großartiges kulinarisches Erlebnis hatten sie dann, als sie sich endlich einmal getraut hatten, den Dorfheurigen zu besuchen, wo sie Traubensaft bestellten und sich ein Backhendl teilten. Scheiße, schmeckte das gut.

    Warum sich die Familie auch gerne in Niederfeld aufhielt, hatte aber noch einen weiteren Grund. Hakim wusste, dass die Traubenlese bald zu Ende gehen würde. Und dann müsste er wieder von dem bescheidenen Taschengeld leben, das man als Asylwerber erhält. Und davon hätten sie sich keine Lebensmittel und erst recht kein Backhendl leisten können, somit wären sie wieder dem Fraß in ihrem Quartier ausgeliefert gewesen.

    Darum schreckte Hakim auch nicht davor zurück, Leute auf der Straße anzusprechen, ob sie vielleicht Arbeit für ihn hätten. Manche haben nur den Kopf geschüttelt und sind ohne weitere Reaktion weitergegangen. Manche haben sofort begonnen, sie anzuschnauzen. Hakim und Jasina haben zum Glück nicht verstanden, was die gesagt haben. Aber an den Gesten dieser Leute haben sie schon irgendwie mitgekriegt, was gemeint war. Andere haben freundlich, aber doch ihren Kopf geschüttelt oder ihre Schultern gezuckt. Nur eine Frau blieb stehen, griff in das Portmonee, welches sie in ihrem Einkaufskorb liegen hatte und wollte fünf Euro herausziehen. Aber Hakim lehnte dankend ab.

    »Nix Geld. Arbeiten. Alles machen, Frau und ich.«

    »Das tut mir leid«, sagte die Frau, »ich habe leider keine Arbeit für euch. Was könnt ihr denn arbeiten, was macht ihr denn beruflich?«

    Nachdem keine Reaktion kam, versuchte es die Frau auf die Brachiale.

    »Was ihr arbeiten?«

    »Alles.«

    Die Frau überlegte.

    »Keine Ahnung, was ich für euch tun kann. Wir könnten eventuell … wir könnten den Bürgermeister fragen, vielleicht hat die Gemeinde für euch einen Job. Der sitzt um die Zeit

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