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Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen
Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen
Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen
eBook312 Seiten4 Stunden

Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen

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Über dieses E-Book

Eine abenteuerliche Reise durch die Landschaft von Dänemark!Getrieben von Erinnerungen an seine spannenden Erlebnisse auf seiner Schiffsreise nach Schweden, entscheidet Nonni sich für eine neue Reise, diesmal über Land. Die Entscheidung fällt auf Dänemark, wo er viele Ecken erkundet und diese mal mit dem Fahrrad, mal zu Fuß erreicht. Dabei sorgt sein Beruf als Seelsorger dafür, dass er immer wieder hinaus in sehr entlegene Gegenden gerufen wird. Nonni erlebt viel, er trifft hilfreiche Menschen, muss sich aber auch gegen böse Hunde zur Wehr setzen, bevor sein Weg ihn in ein neues Land führt.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Aug. 2019
ISBN9788711446119
Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen

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    Buchvorschau

    Abenteuer auf den Inseln - Jón Svensson

    www.egmont.com

    1. Neuen Abenteuern entgegen

    Meine Kahnfahrt mit dem kleinen Valdemar über das große, herrliche Meer bis zur fernen schwedischen Küste, unsere seltsamen Abenteuer auf dem Saltholm, das „tote Schiff", die Möwen, die Seeräuber, die nächtliche Wanderung drüben im dunklen Walde, die Eule, der große Hund und die Waldhütte . . ., wie war all das doch wundervoll schön gewesen! ¹

    Ich konnte es nicht vergessen, und das Sehnen nach neuen, ähnlichen Abenteuern wurde immer stärker in meiner jungen Brust. Inzwischen hatte bei Dr. Niehaus in der König-Knud-Schule das fröhliche Schulleben wieder begonnen. Ich lernte und schrieb meine Aufgaben mit Lust und Freude, ohne deshalb die gewohnten Knabenstreiche und die munteren Abenteuer zu vernachlässigen.

    „Diese Mischung von Ernst und Spaß braucht eben ein rechter Schulbub — meinte ich —, „und wenn man es nicht zu wild treibt, läßt sich beides ganz gut vereinigen. Unartig wollte ich beileibe nicht sein — ein Kopfhänger aber erst recht nicht! Nun war der warme Sommer da. Jetzt mußte ich wieder hinaus!

    Ein neuer, großer Ausflug mußte bald gemacht werden. Aber wohin? Ich wußte es noch nicht.

    Da kam mir auf einmal der Gedanke, einen Besuch bei meinem kleinen Freund Valdemar zu machen. Ihn mußte ich um Rat fragen.

    Ich begab mich zu ihm und lud ihn zu einem Spaziergang ein.

    Wir gingen nach der Meeresküste, zu derselben Stelle, wo wir im Frühjahr die Einzelheiten unserer Kahnfahrt nach Schweden besprochen und festgelegt hatten. Dort fanden wir die nämliche Bank wieder und setzten uns darauf.

    „Valdemar, fing ich an, „weißt du, warum ich dich zu diesem Spaziergang eingeladen habe?

    „Nein, Nonni."

    „Ich habe es getan, weil ich dir etwas sehr Wichtiges zu sagen habe."

    Valdemar schaute mich mit seinen großen Augen an und erwiderte: „Und was ist das, Nonni?"

    „Wir müssen wieder einen Ausflug machen."

    Voll Freude rief Valdemar aus: „Einen Ausflug! Wie damals . . . nach Schweden!"

    „Ja, Valdemar, wie damals —."

    „Aber wohin, Nonni?"

    „Das ist es gerade, was ich noch nicht weiß, und deshalb wollte ich jetzt darüber mit dir reden."

    Valdemar warf einen prüfenden Blick über die gewaltig große Meeresfläche, die sich vor uns bis zum Horizont hin ausdehnte. — Dann deutete er mit der Hand geradeaus und sagte:

    „Dort liegt Malmö. Da waren wir das letzte Mal. Dann wandte er sich nach links, zeigte schräg nach Schweden hinüber und fuhr fort: „Dort aber liegt die schöne kleine schwedische Stadt Helsingborg, der dänischen Stadt Helsingör gegenüber, da wo Hamlet gelebt hat, und auf dem Wege dorthin liegt die kleine schwedische Insel Hven, wo der große dänische Astronom Tycho Brahe sein Schloß Uranienborg gebaut hat. — Sollten wir nicht vielleicht dorthin fahren?

    Ich sprang auf die Bank und suchte in der gewiesenen Richtung die Insel Hven. Sie lag ganz richtig mitten im Sund wie der Saltholm, nur viel nördlicher. Die Stadt Helsingborg konnte ich aber nicht sehen. Sie lag wohl zu weit entfernt.

    „Das wäre ganz gewiß eine schöne Fahrt, sagte ich zu Valdemar. „Aber ich habe doch an etwas anderes gedacht. Wir sprangen wieder von der Bank herunter und setzten uns nebeneinander. Valdemar schaute mich fragend an.

    „Ich will es dir sagen, Valdemar, fuhr ich nach einer kleinen Weile fort. „Ich glaube, daß es besser wäre, wenn wir diesmal zur Abwechslung einen Ausflug ins Land hinein machen würden.

    „Das glaube ich auch, unterbrach mich sofort der Kleine. „Das wäre auch weniger gefährlich als auf dem Meere. — Aber wohin, Nonni?

    „Ich habe mir einen Ausflug gedacht durch die großen Wälder der Insel Seeland."

    „Das ist ein feiner Plan, Nonni. Aber nach welcher Richtung möchtest du gehen?"

    „Ich habe noch kein bestimmtes Ziel, Valdemar. Ich möchte nur, wenn möglich, die ganze Insel durchqueren."

    „Das würde aber ein weiter Weg werden, Nonni! Er wäre noch viel länger als von hier über den Sund nach Schweden."

    „Das weiß ich, Valdemar. Es würde uns mehrere Tage kosten, wenn wir zu Fuß gehen müßten. Aber vielleicht könnten wir irgendwo ein Pferd einfangen und einen Teil des Weges reiten. Dann ginge es ja viel schneller."

    „Das ist wahr. Aber wie könnten wir uns ein Pferd verschaffen?" frug mein kleiner Freund.

    „Das weiß ich nicht. Ich glaube aber, daß wir irgendwo auf dem Wege eines finden werden. Gibt es nicht wilde Pferde in den Wäldern hier herum?"

    „O nein, das glaube ich nicht, Nonni. Und fremde Pferde auf dem Wege zu nehmen, das wäre doch etwas gefährlich."

    „Man muß nicht zu bange sein, Valdemar. Etwas muß man doch wagen. Sonst kommt man niemals an ein Ziel. Auf Island bin ich oft auf wilden Pferden herumgeritten mit meinem Bruder Manni. Wir haben nie dabei Unglück gehabt."

    „Auf Island . . . das will ich dir schon glauben, aber hier ist es anders, Nonni! Hier laufen die Pferde nicht wild herum wie auf Island."

    „Nun, wenn keine Pferde zu finden sind, dann werden wir wohl was anderes entdecken, vielleicht einen Esel."

    „Einen Esel! O nein, Nonni, einen Esel finden wir noch viel weniger. Hier gibt es keine Esel. Die gibt es nur im Süden."

    „Nun gut, dann tun wir es ohne Pferd und ohne Esel, so wie es eben geht. — Jedenfalls müssen wir den Ausflug machen."

    Wir sprachen noch eine Weile hin und her über unsern Plan. — Dann notierten wir verschiedene Sachen, die wir mitnehmen sollten: ein wenig Mundvorrat, eine Spirituslampe mit Kessel, den Revolver von früher mit den Platzpatronen und einen kleinen Kompaß.

    Aus Vorsicht machten wir schließlich unter uns ab, die ganze Sache geheimzuhalten. Wer zuviel plaudert, schafft sich nur Schwierigkeiten. Ein bißchen Klugheit schadet ja nichts, dachten wir.

    Dann standen wir auf und begaben uns nach Hause.

    Es vergingen nun mehrere Wochen. Der Sommer war wunderschön. Fast jeden Tag war die Stadt in hellsten Sonnenschein gebadet. — Die herrlichen Buchenwälder draußen lockten und winkten. Man sagte, es seien die schönsten Buchenwälder der ganzen Welt. — Sie waren voll von Wundern, Märchen und Geheimnissen aller Art.

    Valdemar und ich spähten fortwährend nach einer Gelegenheit, unser Vorhaben ins Werk zu setzen. Die Schule aber hielt uns fest. Wir mußten Geduld üben.

    Die Hitze stieg mit jedem Tage. In der Schule war es kaum mehr auszuhalten. Trotzdem wurde uns kein freier Tag gegeben. Wir empfanden das als eine übertriebene Härte, mußten es aber über uns ergehen lassen.

    Schließlich ging das Schuljahr doch zu Ende. Da wir trotz Wärme und Müdigkeit fleißig gewesen waren, bestanden alle die Schulprüfungen mehr oder weniger glänzend und machten dann zuletzt mit frisch-fröhlichem Herzen den Sprung in die so lang ersehnten Sommerferien hinein.

    Welche Befreiung! Jetzt konnte es losgehen.

    2. Der Brief aus Avignon

    Schon am ersten Tage nach der Schulprüfung wollte ich zu Valdemar hin, um mit ihm die letzten Vorbereitungen für unsern Ausflug zu treffen.

    Als ich eben im Begriffe stand, das Grüdersche Haus zu verlassen, hörte ich, daß ein Fenster im zweiten Stock aufgemacht wurde. Gleich darauf ertönte eine kräftige Frauenstimme:

    „Nonni, komm schnell zurück! Dr. Grüder will mit dir sprechen. . . ."

    Es war Madame Valentin, die Haushälterin des Herrn Doktors.

    „Ich komme sofort, Madame Valentin", rief ich zurück.

    Etwas betroffen wandte ich mich also um, lief schnell nach der Eingangstür zurück, schlüpfte ins Haus hinein und flog in wenigen Sätzen die Treppe hinauf. Im nächsten Augenblick stand ich vor der Tür des Herrn Doktors.

    „Was hat der Herr Doktor mir wohl zu sagen? fragte ich mich — nicht ohne eine gewisse Angst. — „Sollte ich was verbrochen haben? Es wurde mir ein wenig schwül. . . .

    Ich hielt es nicht für ratsam, sofort anzuklopfen. Es wird wohl sicherer sein, dachte ich, zuerst zu Madame Valentin zu gehen, vielleicht weiß die Bescheid.

    Madame Valentin mußte wohl gerade jetzt in der Küche sein. — Ich lief rasch dorthin, klopfte an und fand sie mit der jungen deutschen Küchenmagd am Herde stehen.

    „Nicht zu mir solltest du kommen, fuhr sie mich lebhaft an, „sondern zum Herrn Doktor. Mache, daß du schnell zu ihm kommst. Er wartet auf dich und hat schon mehrere Male nach dir gefragt.

    „Was hat er mir wohl zu sagen, Madame Valentin?"

    „Wie könnte ich das wissen, Nonni? — Ich weiß nur, daß er ein sehr ernstes Gesicht machte, als er mich bat, dich zu rufen."

    „Ein ernstes Gesicht? Wirklich, Madame Valentin? Glauben Sie, daß er böse ist?"

    „Ob er böse ist, das weiß ich gerade nicht. Daß er aber sehr ernst ist, das weiß ich ganz bestimmt. — Hast du vielleicht etwas angestellt, Junge?" fragte sie dann, indem sie näher zu mir herkam und mich fest anschaute.

    „Ich weiß von nichts. — Wenigstens fällt mir augenblicklich nichts Besonderes ein. Haben Sie vielleicht etwas Unrechtes an mir gemerkt, Madame Valentin?"

    Jetzt kam auch die Küchenmagd näher zu mir her, und beide warfen mir forschende Blicke zu.

    „Jungens in deinem Alter, Nonni, sind oft sehr leichtsinnig. Ich will aber damit nicht sagen, daß ich jetzt gerade so etwas an dir gemerkt habe. Jedenfalls habe ich nicht über dich geklagt", sagte Madame Valentin zu mir.

    Dann wandte sie sich an das junge Mädchen und fragte: „Maria, ist dir in seinem Betragen etwas aufgefallen?"

    Maria schaute mich schelmisch-teilnehmend an und dachte einen Augenblick nach. Dann sagte sie: „Ich habe nur gemerkt, daß er sich etwas stark mit den Schuljungen herumbalgt, wenn sie ihn auf seinem Zimmer besuchen, und das hat der Herr Doktor nicht gern."

    „Wenn das alles ist . . ., dachte ich, und mein Mut wuchs beträchtlich. „Wir Jungen, begann ich der Magd dann zu erklären, „können nicht immer so ruhig und artig sein wie ihr Mädchen. Wir spielen hie und da ein wenig laut miteinander, wenn wir oben auf dem Zimmer beisammen sind. Ich hätte nicht gedacht, daß etwas Böses dabei sei."

    Das junge Mädchen lächelte. Madame Valentin aber sagte in strengem Tone: „An anständigem Spielen ist nichts Böses. Das wilde Lärmen und Spektakeln aber, das ihr zuweilen droben macht, das will mir weniger gefallen."

    „Ich wußte nicht, daß man es im Hause hören konnte, Madame Valentin. Ich werde aber dafür sorgen, daß wir in Zukunft ruhiger sind."

    Dann verließ ich die Küche und kehrte ein wenig erleichtert nach dem Zimmer des Herrn Doktors zurück.

    Ich klopfte:

    „Herein!" dröhnte es wie aus weiter Ferne vom hinteren Zimmer des Herrn Doktors her.

    Ich öffnete leise die Tür und ging in das Vorzimmer hinein. Ich legte meine Mütze auf einen Stuhl und trat zur Tür des zweiten Zimmers vor. Sie stand halb offen. Ich schlüpfte deshalb ganz leise und ohne zu klopfen in das innere Zimmer hinein.

    Herr Grüder saß vornübergebeugt an seinem Schreibtisch in emsiger Arbeit. Er schaute auf, warf mir einen raschen Blick zu, zeigte hastig nach einem Stuhle, ohne ein Wort zu sagen, und schrieb weiter.

    Ich setzte mich und wartete.

    Herr Grüder fuhr in seiner Arbeit fort. Die Feder lief hüpfend und springend über das Papier. „Er schreibt wohl einen Eilbrief", dachte ich, während ich ihm schweigend und geduldig abwartend zusah.

    Endlich richtete sich der Herr Doktor auf, legte den Federhalter langsam auf den Tisch, schaute einige Augenblicke sinnend vor sich hin, griff dann, indem er mir einen raschen Blick zuwarf, nach einigen Papieren, die rechts auf der Tischplatte vor ihm lagen, und entnahm dem kleinen Haufen einen Brief.

    Dann drehte er sich auf dem Stuhle nach mir hin, schaute mich diesmal ernst an und sagte:

    „Heute morgen ist dieser Brief angekommen, Nonni. Er wird dich interessieren, denn es ist darin die Rede von dir."

    Ich machte gewaltig große Augen und richtete mich auf, um den Brief wenigstens von außen etwas genauer anzusehen. Eine französische Freimarke klebte auf dem Umschlag. . . .

    Blitzschnell schossen mir allerlei Gedanken durch den Kopf. . . .

    „Das ist ein französischer Brief, Herr Doktor!" rief ich voll Begeisterung aus.

    „Bist du aber schlau, kleiner Schelm! Er kommt tatsächlich aus Frankreich."

    „Und ich weiß noch mehr, Herr Doktor: ich weiß auch, aus welcher Stadt in Frankreich er kommt", fuhr ich in meiner Begeisterung fort.

    „Weißt du auch das! lachte Herr Grüder laut auf. „Dann bist du ja ein kleiner Hellseher. — Wo kommt er denn her?

    „Er kommt aus Avignon, gab ich sofort zur Antwort. „Und ich kann Ihnen auch noch sagen, Herr Doktor, wer ihn geschrieben hat.

    „Wie, auch das noch! lachte der Herr Doktor herzlich weiter. „Das wird ja geradezu unheimlich. — Nun, wer hat ihn denn geschrieben?

    „Er kommt vom Herrn Grafen de Foresta, jubilierte ich, „von dem feinen Herrn, der mich nach Frankreich eingeladen hat.

    „Auch darin hast du recht, Nonni. Er kommt von dem Grafen de Foresta. — Was er aber darin schreibt, das wirst du wohl nicht so leicht erraten können."

    „Doch, Herr Doktor. Ich glaube, ich werde es erraten können. Soll ich es sagen?"

    „Ja, ja! Sage es nur!"

    „Er schreibt, daß Sie mich gleich nach Frankreich schikken sollen, in die große Schule in Avignon."

    Noch einmal lachte der Herr Doktor laut auf und sagte: „Nonni, du hast fast wieder das Richtige getroffen, du kleiner Wicht. Doch, wie kommst du denn dazu, alles das so zu erraten?"

    „Ich habe gehört, daß der Krieg zwischen den Deutschen und den Franzosen jetzt zu Ende ist. Dann kann ich ja auch bald meine Reise nach Frankreich fortsetzen. Deshalb habe ich mir gedacht, daß der Herr Graf Ihnen darüber geschrieben habe."

    „Da hast du ganz richtig gedacht, Nonni, sagte nun der Herr Doktor in ernsterem Tone. „Es scheint, daß der Krieg nun wirklich zu Ende ist und der Weg nach Frankreich bald wieder frei werden soll. — Willst du aber, daß ich dir den Brief vorlese?

    „O ja, Herr Doktor, das möchte ich sehr gern."

    „Gut, so höre denn."

    Herr Grüder nahm den Brief aus dem Umschlag, entfaltete ihn und sagte: „Der Brief ist französisch geschrieben. Ich will ihn aber für dich ins Dänische übersetzen. Der Graf de Foresta schreibt:

    „Wie Sie wohl erfahren haben, geht der Krieg zu Ende. Es wird also bald möglich werden, meinen kleinen Isländer, den Sie nun fast ein Jahr in Ihrem Hause so liebevoll beherbergt haben, nach Frankreich reisen zu lassen. Den Zeitpunkt der Abreise aus Kopenhagen bitte ich Sie selber bestimmen zu wollen. Da aber der Weg von Kopenhagen bis Avignon recht lang und der Klimaunterschied zwischen den beiden Städten groß ist, habe ich die Reise so eingerichtet, daß der kleine Junge auf dem Wege ein paar Wochen wenigstens haltmachen kann, damit er sich sowohl ausruhen als auch an die größere Wärme in Frankreich allmählich gewöhnen kann. Als Haltestelle habe ich mir die Stadt Amiens in Nordfrankreich gedacht. — Es gibt dort eine große Studien- und Erziehungsanstalt für Gymnasiasten, die den Namen ,Ecole libre de la Providence‘ führt. Ich habe mich schon mit dem Direktor der Anstalt verständigt. Der kleine Isländer wird dort die freundlichste Aufnahme finden. Die einfachste Reisestrecke von Kopenhagen nach Amiens würde wohl die folgende sein: Von Kopenhagen nach Dünkirchen mit einem Dampfer. Von Dünkirchen gibt es eine sehr angenehme direkte Eisenbahnverbindnug nach Amiens. Von Amiens wird er dann später über Paris nach Avignon in einem Tage mit der Bahn auf das bequemste fahren können. Für diesen letzten Teil der Reise wird der Direktor der Anstalt ,La Providence‘ in Amiens Sorge tragen. . . ."

    Hier machte Herr Grüder eine Pause, legte den Brief auf den Tisch und sagte:

    „Und nun, Nonni, was meinst du dazu?"

    Es war mir im Augenblick so eigentümlich zumute, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte.

    Da unterbrach Herr Grüder das Schweigen:

    „Also, mein kleiner Nonni, wenn du den Brief des französischen Grafen verstanden hast, so wird es dir nun wohl klar sein, daß die Tage deines Weilens hier in meinem Hause zu Ende gehen."

    Der Doktor sprach diese Worte in einem so freundlichväterlichen Tone, daß ich tief gerührt wurde.

    Ohne ein Wort sagen zu können, warf ich einen flüchtigen Blick auf das Gesicht des Herrn Doktors und sah zu meiner nicht geringen Überraschung, daß seine Augen feucht waren. . . .

    Jetzt konnte ich meine Bewegung nicht mehr zurückhalten. Ich drückte meine beiden Hände gegen mein Gesicht und brach in Tränen aus.

    Fast ein Jahr hatte ich im Grüderschen Hause schon zugebracht und war immer von dem Hausherrn mit der größten Güte behandelt worden. Jetzt fühlte ich plötzlich, wie schwer es mir sein werde, diese Stätte, wo ich so glücklich gewesen war, nun bald auf immer verlassen zu müssen.

    Nachdem ich ein paar Augenblicke so dagesessen hatte, schämte ich mich meiner Weichherzigkeit — ich nahm mich zusammen, wischte rasch meine Tränen ab, faßte die Hand des Herrn Grüder und sagte zu ihm:

    „Sie sind immer so gut gegen mich gewesen, Herr Doktor, deshalb tut es mir leid, daß ich Sie nun verlassen muß. Ich werde Sie aber nie vergessen, Herr Doktor."

    Herr Grüder drückte zärtlich meine Hand und sagte, nun auch selber tief bewegt:

    „Mein lieber, kleiner Nonni, ich wußte schon, daß du ein gutes Herz hast, ich hätte aber nicht gedacht, daß du so anhänglich und dankbar seiest für das wenige, das ich während dieses Jahres für dich tun konnte."

    „O Herr Doktor, Sie haben nicht wenig, sondern viel für mich getan", stammelte ich, während ich kräftig gegen die Tränen ankämpfte.

    „Auch ich habe dich immer gern gehabt, mein kleiner Nonni, sagte Herr Grüder, „und auch mir tut die Trennung recht leid. Doch es muß nun einmal sein. . . . Wann möchtest du eigentlich nach Frankreich abreisen?

    Ich schaute den Doktor an und wußte zuerst nicht, was ich antworten sollte. — Andere Gedanken flogen plötzlich heran. . . . Mein Ausflug mit Valdemar schoß mir durch den Kopf. . . . Den mußte ich doch zuerst unbedingt hinter mir haben. . . . Darüber sprechen durfte ich aber nicht. Das hatten wir ja unter uns abgemacht. . . . Nicht einmal dem lieben, guten Doktor durfte ich unsern Plan verraten. Schließlich erwiderte ich:

    „Herr Doktor, ich muß darüber noch etwas nachdenken. . . . Meinen Sie nicht, daß der Krieg wieder losbrechen könne? Ich glaube, es wäre gut, noch ein klein wenig zu warten."

    „Du hast recht, mein Lieber. Wir wollen noch ein klein wenig warten. Genieße deine Ferien und ruhe dich von den Mühen und Arbeiten des Schuljahres aus. Später wollen wir dann auf die Sache wieder zurückkommen."

    Ich stand auf, gab dem Herrn Doktor die Hand und verließ das Zimmer.

    Noch immer tief bewegt, ging ich diesmal — gegen meine Gewohnheit — ganz langsam die Treppe hinauf. Ich trat in mein Stübchen und schloß die Tür von innen ab.

    Seit einigen Tagen war ich der alleinige Bewohner hier, denn mein lieber Landsmann, Gunnar Einarsson, der etwas ältere isländische Junge, der mit mir im Grüderschen Hause geweilt hatte, war nicht mehr da. Er war auf Wunsch seiner Eltern nach Island zurückgekehrt.

    Ich setzte mich an meinen Tisch, dachte nach und fühlte, daß ich an einen Wendepunkt meines Lebens gekommen war. Alles hier sollte ich verlassen: Kopenhagen, die glänzende Hauptstadt Dänemarks, das Grüdersche Haus, die König-Knud-Schule, die frisch-fröhlichen dänischen Jungen, meine lieben Schulkameraden, Valdemar und auch Karl, gegen den ich in der Marmorkirche zwar einmal ernstlich gekämpft hatte, der mir inzwischen aber ein Kamerad geworden war. Verlassen sollte ich nun auch den isländischen Professor, Herrn Gisli Brynjúlfsson, das prachtvolle, reizendschöne Land, die großen, geheimnisvollen Buchenwälder, den azurblauen Sund — alles das sollte für mich bald nur noch eine schöne Erinnerung sein . . .! „Wie traurig", seufzte es in meinem Innern.

    Vor einem Jahr hatte ich meine inniggeliebte Heimatinsel Island verlassen müssen, mein trautes Familienhaus, meine Mutter, meine Geschwister, Manni und Bogga, und alle meine Freunde, — o wie hatte ich damals gelitten . . .! Dann war ich hierher nach der Großstadt Kopenhagen gekommen, ganz allein und verlassen. Alles war mir damals hier fremd und neu.

    Jetzt war ich aber eingelebt und wie festgewurzelt, und überall um mich herum hatte ich lauter liebe und gute Freunde. . . . Und nun sollte ich wieder von ihnen scheiden; wie schwer und wie hart war doch das!

    So saß ich da und weinte. Gerade so wie ich vor einem Jahre in Island auf der stillen Bergeshalde und in der Kajüte des kleinen „Valdemar von Rönne" beim damaligen Abschied geweint hatte.

    Ich war sonst immer so frisch und fröhlich, jetzt aber war ich wie in ein Meer von Schmerz und Trauer versenkt. . . .

    Ich schämte mich vor mir selber. . . . Aber es war mir für den Augenblick nicht möglich, mich von diesen tieftraurigen Empfindungen loszureißen.

    Da auf einmal flogen meine Gedanken, wie so oft schon, in einem Nu den langen Weg über den Atlantischen Ozean nach Island; dort sammelten sie sich alle im Hause meiner

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