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Madeleine Tel. 136211
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eBook248 Seiten3 Stunden

Madeleine Tel. 136211

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Über dieses E-Book

Madeleine verdient sich ihren Lebensunterhalt als Callgirl. Einen gewissen Lebensstandard will sie sich einfach leisten, sie ist verrückt nach der Anerkennung und dem Luxus, den ihr Job ihr sichert. Sie hat auch keine Skrupel, sogar auf Erpressung zurückzugreifen, um noch ein bisschen mehr Geld einzuheimsen.Das ändert sich jedoch schlagartig, als sie ihr Herz an den jungen Ingenieur Gert verliert. Gert kommt aus einer ganz anderen Welt und kann Madeleine keinen Luxus bieten, doch sie erkennt durch ihn, dass es da noch etwas anderes gibt, wonach sie sich sehnt. Doch als Madeleine ihr altes Leben hinter sich lassen und einen Neuanfang wagen will, machen dunkle Mächte aus ihrer Vergangenheit ihr einen Strich durch die Rechnung. Madeleine gerät immer tiefer in ein Netz aus Lügen, Erpressung und Intrigen.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum14. Aug. 2017
ISBN9788711727034
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    Buchvorschau

    Madeleine Tel. 136211 - Will Berthold

    www.egmont.com

    Der sanfte, laue Frühlingsabend schluckte den Tag. Sein Lärm und seine Hast wichen dem ersten Aperitif. Wo man Zeit, ein wenig Geld und einen breiten Boulevard hatte, traf man sich zum Cocktail: auf den Champs Elysées in Paris, auf der Via Veneto in Rom, oder hier, am Kurfürstendamm von Berlin.

    Der Vorbeimarsch der Eleganz riß nicht ab. Mannequins von Horn. Schauspielschülerinnen der Ufa. Hübsche, gekonnt aufgemachte Mädchen, vom Boulevard zum Schick erzogen.

    Karin Kardell ließ sich im Strom der Passanten treiben. Sie übersah die bewundernden Blicke der Männer. Ihr Selbstbewußtsein stakste unbekümmert auf mittelhohen Stöckelschuhen. Sie war hübsch und blond. Ihre Haare wanden sich wie eine zierliche Girlande um den schmalen Kopf. Der helle, leichte Sommermantel verriet eine Figur, nach der man sich an diesem linden, wogenden Frühlingsabend umdrehte.

    Karin ging langsam weiter, blieb ab und zu vor den üppigen Angeboten der Auslagen stehen. Der Geldmangel bremste ihre Neugier. Der Luxus hatte sich in dieser Straße der zweigeteilten, deutschen Hauptstadt angesiedelt. Das deutsche Wunder. lächelte, lauerte, lockte.

    Karin suchte nicht Luxus, sondern Luft. Sie war Studentin im Examenssemester, und man sah ihr nicht an, daß sie mehr mit Paragraphen als mit Modefragen umging. Sie war bewußt adrett und unbewußt kokett. Wer sie kannte, mochte sie, und wer sie mochte, kannte sie. Sie stand vor der letzten Hürde zu ihrem Beruf. Wenn alles klappte, würde sie bald den schwarzen Talar einer Strafverteidigerin mit der gleichen natürlichen Anmut um ihre schmalen Schultern werfen wie jetzt den hellen Trenchcoat. Aber vorher mußte sie noch ihren Doktor bauen. Heute, an diesem sonnigen Maitag, hatte Karin Kardell erfahren, daß das vorbereitete Thema aus dem strafrechtlich-soziologischen Grenzgebiet schon besetzt war. Sie mußte sich deshalb an eine neue Aufgabe machen. Und so ging sie jetzt zerstreut über den Ku-Damm, als ob sie hier das Ersatz-Thema finden könnte.

    Plötzlich schreckte Karin hoch. Ein Auto bremste am Straßenrand mit lautem, häßlichen Geräusch. Am Gehsteig stoppte ein offener, schwarzer Sportwagen mit einer hübschen jungen Frau am Steuer, die fahrig ausstieg und weiterhastete. Im Vorbeigehen streifte sie die Studentin, drehte sich um, entschuldigte sich flüchtig … und im gleichen Moment erkannte Karin die alte Schulfreundin wieder: Madeleine Petrowitt, deren frühe Schönheit und ausgefallener Name einst ständiges Gesprächsthema des Lyzeums waren.

    »Mein Gott«, sagte Karin lachend, »du?«

    »Ja«, antwortete Madeleine. Ihr blasses Gesicht weitete sich zu einem mechanischen Lächeln. Vier Sekunden übersprangen vier Jahre. Die früheren Freundinnen gaben sich fast verlegen die Hand, standen unschlüssig in der Flut der Passanten.

    Madeleine Petrowitt hielt selbst hier, am verwöhnten Ku-Damm, noch jedem Vergleich stand. Sie war schöner als hübsch, eleganter als notwendig und kühler als erfreut. Bei ihrem direkt auf die Haut geschneiderten Kleid assistierte das Geld dem Geschmack. Ihre kurzgeschnittenen Harre hatten den natürlichen, blauschwarzen Metallschimmer, den der geschickteste Coiffeur nicht künstlich zaubern kann.

    »Du, Madeleine?« wiederholte Karin. »… Und so in Eile?«

    »Ja, leider.«

    »Reicht es wenigstens zu einer Tasse Kaffee?«

    »Ja«, entgegnete die Freundin zögernd.

    Sie gingen ein paar Schritte zum Espresso zurück.

    »Wir haben uns ja völlig aus den Augen verloren«, begann Karin, »du hast dich aber herausgemacht … ich hörte vor langer Zeit, daß du nach dem Westen verzogen bist. Nach Frankfurt.«

    »Das war ich.«

    »Und jetzt?«

    »… bin ich wieder in Berlin.«

    »Für immer?«

    »Ich denke.«

    Sie setzten sich an die hufeisenförmige Theke. Ein ältliches Büfett-Mädchen erhob sich träge, nahm die Bestellung entgegen. Karin betrachtete Madeleine von der Seite. Du bist älter geworden, dachte sie, aber das steht dir gut, und nervöser, das kleidet dich schlecht.

    »Sag mal«, begann Karin, »dein Mann ist wohl Millionär?«

    »Ich bin nicht verheiratet.«

    »Dann gratuliere ich zu deinem Beruf.«

    »Ich hab’ eigentlich … keinen«, versetzte Madeleine unwillig.

    »Im Lotto gewonnen?«

    »Nein«, antwortete Madeleine noch knapper. Sie fuhr sich mit der Hand über die gepflegten Haare, als ob sie die Fragen wegwischen wollte. »Wir haben uns wirklich lange nicht gesehen«, sagte sie dann mit steifem Lächeln.

    »Ja, vier Jahre. Gehört der schwarze Sportwagen dir?«

    »Ja.«

    Karin lächelte.

    »Ich habe immer gewußt, daß du es weit bringen wirst.« Alle an der Schule hatten Madeleine eine große Zukunft vorausgesagt: Filmstar, Schönheitskönigin, Chefstewardeß, Starmannequin, und dann später Frau eines Industriekönigs, eines Bankiers oder eines Großaktionärs. Die jungen Lehrer waren immer rot und die älteren immer unsicher geworden, wenn die Schülerin Petrowitt sie ansah. Schon als Teenager hatte Madeleine die überlangen Beine, den federnden Gang, die kühlen Augen, die sicheren Hände. Und die Gewohnheit, Komplimente so gelassen hinzunehmen wie Zensuren.

    Madeleine kritzelte hastig ihre Adresse auf einen Zettel.

    »Du mußt mich mal besuchen«, sagte sie fahrig. »… aber ruf mich in jedem Fall vorher an, ja?«

    »So viele Gäste?«

    »Viele«, erwiderte Madeleine mit ausdruckslosem Gesicht. »Und was machst du?« fragte sie dann schnell.

    »Ich studiere noch.«

    »Studieren …« Ein paar Sekunden lang schien die Freundin ihrer Stimme nachzuhorchen.

    Das Büfett-Mädchen hielt sich in der Nähe, verfolgte das Gespräch, lächelte bissig. Was hat sie denn, überlegte Karin, kennt sie Madeleine? Warum benimmt sie sich so auffällig?

    »Ich muß gehen«, sagte die Freundin. Sie wandte Karin ihr Gesicht zu. »Also«, setzte sie hinzu, »du kommst bald? Auf Wiedersehen.«

    Karin sah ihr nach, schüttelte den Kopf. Geld allein, dachte sie … und drängte den Gemeinplatz zur Seite. Sie spürte, daß mit Madeleine etwas nicht stimmte. Aber es sah aus, als ob es ihr gut ginge. Liebeskummer? Bestimmt nicht. Geldverlegenheit? Der Solitär an ihrer linken Hand verneinte die Frage. Sicher nur Langeweile, vornehme Migräne oder so etwas Ähnliches.

    »Bitte«, sagte die Kellnerin und schob Karin eine zweite Tasse Espresso zu.

    Die Studentin merkte, daß sie etwas sagen wollte, lächelte ihr zu. Es war nicht ihre Art, sich mit Büfett-Mädchen über ihre Freunde zu unterhalten, aber die seltsame Wiederbegegnung mit Madeleine erzwang eine Ausnahme.

    »Kannten Sie die Dame?« fragte sie.

    »Und ob.«

    »Kommt sie öfter hierher?«

    »Ja«, versetzte das ältliche Mädchen, »und nie alleene.«

    »Mit einem Herrn?«

    »Mit einem?« Die Kellnerin lachte derb und gewöhnlich. »Na hören Se, Fräulein, jeden Tach’n anderer … mir jeht’s ja nischt an … aber mit so wat würd’ ich nich verkehr’n.«

    »Wieso?« fragte Karin, ärgerlich über die eigene Neugier.

    »Wenn Sie wüßten, wat die alles treibt …«

    Die Studentin lächelte über die Erregung des Büfett-Mädchens. Wer unbeschränkt Männergunst erntet, sät reichlich Frauenhaß, überlegte sie belustigt.

    »Det is eine, die den janzen Tach am Telefon hockt und wartet … Call-girl heeßt det!«

    »Was … was sagen Sie da?« fragte Karin erschrocken.

    »Na, so’n Rufmädchen … wissen Se, man wirft ’nen Groschen in den Apparat, und denn kommt se … zu jedem, der blecht für det Vajnüjen …«

    »Erlauben Sie mal!« brauste Karin auf.

    »Mir jeht’s ja nischt an«, antwortete das Büfett-Mädchen hartnäckig, »aber da können Se Jift druf nehmen. Wat meenen Se, wieviel von der Sorte sich hier am Ku-Damm herumtreiben? Und die große Dame spielen … Und nischt dahinter …! Außen hui, und innen pfui!«

    Karin schwieg. Die Kellnerin wertete es als Aufforderung.

    »Ick kenn se alle, diese Dämchen … Da ist ’ne Villa in Grunewald, da sind se zu Hause … da lernen se det Jewerbe von der Pike uff.«

    Karin zahlte und ging. Irgendwie fühlte sie instinktiv, daß die Kellnerin die Wahrheit gesagt hatte. In ihren Ohren dröhnte es nach: Call-girl … Rufmädchen … Villa in Grunewald … Vergnügen … bezahlen … Gewerbe.

    Und dann rekonstruierten Karins Gedanken den schwarzen Sportwagen, das teure Kleid, das müde Gesicht, die schleppenden Worte.

    Mein Gott, dachte sie, Madeleine Petrowitt! Das war also die große Zukunft, der Glanz, der Reichtum, die Karriere?

    Soll ich sie aufsuchen? Kann ich ihr helfen? Lacht sie mich nicht aus, wenn ich es versuche?

    An diesem Abend begann die seltsame Geschichte der Karin Kardell. Das junge, hübsche Mädchen ging ahnungslos, mit sicheren Schritten, der Verwirrung der nächsten Wochen entgegen …


    Madeleine fährt langsam den Ku-Damm auf und ab. Knapp am Randstein. Sieht und wird gesehen, bildet auf der Prachtstraße ein Stück Glanz und tarnt eine Portion Elend. Die Neonlichter huschen über ihr Gesicht, malen es rot, grün, blau an. Sie lächelt pin-up. Ihre Augen tasten sich an den Gesichtern der Passanten entlang. Sie lernte, im Wagen sitzend, im ersten Gang fahrend, aus zehn Schritt Entfernung, sie zu taxieren. Sie lebt davon, daß sie die Brieftaschen richtig einschätzt.

    An der Gedächtniskirche wendet Madeleine. Noch einmal will sie den Ku-Damm entlangfahren. Sie braucht hier keine Bekannten aufzulesen. In der Regel hört Madeleine zuerst ihre seltsamen Freunde, bevor sie sie sieht. Dann, wenn das Telefon anschlägt.

    Sie parkt ihren Wagen auf der Höhe von ›Kempinski‹, zieht die Blicke auf sich. Ihr Lächeln verstärkt sich. Sie betrachtet Auslagen, nimmt einen Cocktail, sieht auf die Uhr. Zeit, daß ich nach Hause komme, denkt sie, geht langsam zu ihrem Wagen zurück, schaltet die Zündung ein, gibt Gas. Der Motor springt nicht an. Sie versucht es wieder und wieder. Die Batterie orgelt sich leer. Die Passanten bleiben stehen und lachen schadenfroh. Madeleine zuckt die Schultern, will aussteigen, eine Werkstatt anrufen.

    Da kommt ein Mann auf sie zu. Er ist groß, hat breite Schultern und schmale Lippen, zieht den Hut, lächelt.

    »Kann ich Ihnen helfen?«

    »Bitte.«

    Er hebt die Kühlerhaube.

    »Treten Sie bitte auf den Anlasser«, ruft er Madeleine zu.

    Sie tut es. Vergeblich.

    »Gleich, wo ist das Werkzeug?« Er nimmt den Schlüssel, schraubt die Zündkerzen heraus, macht sich die Hände schmutzig, kümmert sich nicht um die Neugierigen und arbeitet mit der Sicherheit eines Automechanikers unter der Motorhaube. Die Kerzen sind verölt. Der Helfer schafft es in zehn Minuten.

    Madeleine lächelt ihn an.

    »Vielen Dank.«

    Er nickt und will gehen.

    »Darf ich mich erkenntlich zeigen?« fragt sie.

    »Und wie wollen Sie das?« erwidert der Mann lächelnd.

    »Vielleicht … ein Drink?«

    »Dagegen hätte ich nichts.« Er steigt ein, betrachtet Madeleine von der Seite, spürt auf einmal den Schmutz an seinen Händen.

    »Berliner?« fragt das Mädchen.

    »Ja.«

    »Und was machen Sie?«

    »Ingenieur.«

    »Autos?«

    »Nein … Hochbau.«

    »Es war sehr nett von Ihnen, mir zu helfen.«

    Sie fahren Richtung Halensee.

    »Wohin?« beginnt Madeleine wieder.

    »Wohin Sie wollen«, antwortet der Mann. »Übrigens … ich heiße Klaiber. Gert Klaiber … Aber Sie brauchen den Abend nicht an mich zu verschwenden.«

    »Ich habe nichts vor«, erwidert Madeleine … und gibt einer Laune nach.

    »Ich auch nicht«, entgegnet der junge Ingenieur.

    Madeleine fährt Richtung Wannsee zu einem Terrassenlokal.

    »Waren Sie schon einmal hier?« fragt das Mädchen.

    »Nein«, antwortet Gert Klaiber. Er überlegt angestrengt, wieviel Geld er bei sich hat.

    Das Mädchen durchschaut seine Gedanken und lächelt.

    Der Ingenieur entschuldigt sich und wäscht sich die Hände. Jetzt wäre mir viel wohler, denkt er, wenn ich die Zündkerzen in einem alten Gefährt montiert hätte, statt in einem Luxuskabriolett.

    Die Ober dienern in Linie zu drei Gliedern. Gert Klaiber bestellt etwas anderes, als er will. Seine Augen haben mehr Appetit auf Madeleine als sein Gaumen auf die Krebssuppe. Ein paar Herren grüßen vom Nebentisch. Madeleine dankt reserviert. Nach dem Essen zieht sie ihre Lippen nach, obwohl das Rot auf Taille sitzt. Gert starrt sie an. Sie lacht laut auf.

    »Was haben Sie denn?« fragt sie.

    »Sie sind wohl oft hier?«

    »Manchmal.«

    »Also – sehr reich.«

    »Und Sie – sehr arm?« fragt Madeleine spöttisch.

    Er nickt. Sie streift ihn mit einem Seitenblick.

    »Aber Ihr Schuhwerk ist noch gut?« antwortet sie.

    »Was heißt das?«

    »Es würde den Slowfox überstehen?«

    Der junge Ingenieur steht auf und verbeugt sich. Madeleine läßt ihre Nerzstola lässig auf den Stuhl gleiten und nimmt seinen Arm. Bis zur Tanzfläche laufen sie Spießruten. Man flüstert hinter Madeleine her. Alle kennen sie, denkt Gert. Aber er wird noch lange nicht wissen, warum einige Gäste sie kennen.

    Sie tanzen gut. Trotz ihrer bleistiftdünnen, überhohen Stökkelschuhe ist der Ingenieur noch ein paar Zentimeter größer. Die als Spanier verkleideten Musiker spielen fast pausenlos, Melodien, denen Gert sonst am Radio den Ton abdreht. Heute gehen ihm die Schnulzen unter die Haut.

    Madeleine hat die Augen halb geschlossen.

    »Wenn Sie einmal etwas angefangen haben«, sagt sie, »hören Sie so schnell wohl nicht wieder auf.«

    Gert bleibt lachend stehen. Sie gehen zurück. Der Sekt hat mittlerweile die richtige Temperatur.

    »Ich meine«, beginnt er, »daß Sie Ihre Dankesschuld nun abgetanzt haben.«

    Madeleine lächelt. Weiß gar nicht, was ich von ihm will, denkt sie dabei. Er gehört ganz bestimmt nicht zu den Männern, um die ich mich sonst kümmere. Aber er ist eine Erholung, weil er so offen, so sympathisch und so bescheiden ist. Weil er nicht die sezierenden Blicke, die feuchten Hände und die kurzatmige Wichtigkeit der anderen hat. Warum soll ich mich nicht auch einmal zwei Stunden amüsieren?

    »Warum denn so bescheiden«, erwidert sie.

    »Ich weiß nicht recht«, antwortet der Ingenieur, »ich bin sonst gar nicht so. Aber das hier … die Gäste, die Autos, und diese Verschwendung an Kellnern … und Tellern … und Sie …«

    »Aparte Reihenfolge.«

    »Entschuldigung … wahrscheinlich schon der Sekt … Das Ganze kommt mir vor wie das Märchen von der Prinzessin und dem Schweinehirten.«

    Sie gehen. Der Ingenieur bezahlt die Zeche. Er sah Madeleines zögernden Blick nach der Handtasche und wurde ärgerlich. Dann bemerkt sie, wie sein Blick vom Lenkrad ihres Autos gefangen wird.

    »Wollen Sie fahren?« fragt Madeleine.

    »Darf ich das?«

    »Vielleicht …noch mehr.«

    »So schnell?« fragt er spöttisch.

    »Der Wagen?« antwortet sie ironisch.

    Der junge Ingenieur lacht laut, startet, nimmt sich vor, langsam zu fahren. Dann erobert ihn das Gaspedal. Es siegt die alte Freude des Mannes am Auto, besonders des Mannes, der keinen eigenen Wagen besitzt.

    Madeleine lehnt sich zurück, dreht am Radio. Für Gert Klaiber setzt sich der Reigen plötzlich geschätzter Schlagermelodien fort. Vielleicht kommt er deshalb vom kürzesten Weg ab, fährt quer durch den Grunewald, sieht wenig nach den Bäumen und viel nach seiner Begleiterin. Die Musik, die Frühlingsnacht, der Duft ihres Parfüms fangen ihn ein, streicheln ihn, nehmen seinen Fuß vom Gashebel, schwenken das Steuer nach rechts, lassen ihn anhalten.

    Das Mädchen beobachtet ihn, ein wenig neugierig, ein wenig mitleidig.

    »Was haben Sie denn vor?« fragt Madeleine kokett.

    »Das«, erwidert er, zieht sie an sich, küßt sie.

    Sie wehrt sich nicht, lächelt mit geschlossenen Augen. Ganz hübsch mitunter, ein bißchen Romantik, denkt sie. Und sicher ist er netter als die Männer, in deren Notizbüchern meine Telefonnummer steht. Aber bloß keine Sentimentalität! Damit hättest du es nicht so weit gebracht. Jetzt besitzt du einen Wagen, eine Wohnung, einen Nerz, ein Bankkonto, und kein Gert Klaiber hätte dir das je bieten können.

    Hinter ihnen blinken die Lichter eines Polizeiwagens auf und ab. Das Auto stoppt. Ein Polizist mit weißer Mütze geht auf den Sportwagen zu.

    »Wissen Se, wo Sie stehen, Mann?« fragt er.

    »Im Grünen«, antwortet Gert.

    »Denkste«, erwidert der Polizist. »Mitten auf dem Radfahrweg … zahlen Se zehn Mark und jeben Se Jas … Nach dreihundert Meter kommt ’n Parkplatz.« Er kassiert, tippt an seine Mütze und geht lachend zu seinem Wagen zurück.

    »Schade«, sagt der junge Ingenieur.

    »Um die zehn Mark?«

    »Um die Stimmung«, entgegnet er lächelnd.

    Dann gibt er Gas, übersieht ihren verwunderten Blick und fährt zurück in die Stadt. Der Abend war schön, denkt er. Sehr schön sogar. Und er wird sich nicht wiederholen. Soll er auch gar nicht … denn du, Gert Klaiber, Diplomingenieur für Hochbau, mit dem ersten großen Auslandsauftrag in Sicht, stehst mit beiden Beinen auf dem Boden … auch wenn du mitunter gern in einem fremden Auto sitzt.

    Unvermittelt stoppt er den Wagen.

    »Ich steige hier aus«, sagt er knapp.

    »Warum denn?« fragt das Mädchen lockend.

    Gert zuckt die Schultern, lächelt. Es soll flott aussehen und wirkt doch ein wenig wehmütig.

    Madeleine wechselt zum Lenkrad hinüber.

    »Sehen wir uns wieder?« ruft sie ihm nach und ärgert sich, daß sie ihm nachruft.

    »Vielleicht«, versetzt er knapp.

    »Wo?«

    »Am Ku-Damm.«

    Sie tritt so ärgerlich auf das Gaspedal, daß sie den Motor abwürgt. Madeleine wölbt die Unterlippe nach vorne. Arm aber ehrlich, denkt sie. Aber verdammt noch mal, ich will reich sein.


    Der Professor sprach wie immer frei. Seine Studenten schrieben wie immer mit. In der zweiten Reihe Karin Kardell, mit ungewohnter Zerstreutheit. Sie saß unter den Worten des Professors wie unter einer Glasglocke, und sah hindurch auf ein Leben, das Madeleine führte. Die ehemalige Freundin hatte auf einmal zwei Gesichter: das vertraute von früher und das

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