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Das letzte Gefecht - Tatsachenroman
Das letzte Gefecht - Tatsachenroman
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eBook424 Seiten5 Stunden

Das letzte Gefecht - Tatsachenroman

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Über dieses E-Book

Als Roman verpackt, aber dennoch historisch so präzise wie ein Sachbuch: In diesem Tatsachenroman werden die Kriegsereignisse vom Untergang der 6. Armee in Stalingrad zwischen Herbst 1942 und dem blutigen Ende im Mai 1945 so hautnah wie erschreckend geschildert. Die Tatsache, dass das Buch auf Augenzeugenberichten, Divisions- und Regimentschroniken, privaten Tagebüchern sowie historischen Quellen basiert, führen dem Leser die Geschehnisse noch einmal ganz vor Augen.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum16. März 2020
ISBN9788726444766
Das letzte Gefecht - Tatsachenroman

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    Buchvorschau

    Das letzte Gefecht - Tatsachenroman - Will Berthold

    www.egmont.com

    Tunisgrad

    Nordafrika, Ende Oktober 1942: Die noble Gesellschaft tanzt im Ballsaal des ersten Hauses im französischen Algier, und sie tanzt auf einem Vulkan. Die Nacht hat heiße Hände, sie ist feuchtfröhlich und stürmisch. Trotz der vielen Uniformen ignoriert man den Krieg, obwohl er langsam von Osten nach Westen sich Frankreichs nordafrikanischem Besitz nähert. Das Publikum ist erlesen, doch gemischt: schwitzende US-Diplomaten im Frack, erfolgreiche Geschäftemacher beim Flirt, schöne Frauen und Gentleman-Typen dubioser Herkunft, eine Atmosphäre, wie sie der Kultfilm »Casablanca« meisterlich festhielt.

    Eine arabische Band peitscht die Gäste mit wilden Rhythmen. Die Damen, Französinnen und Hängengebliebene aus vielen europäischen Ländern, wirken elegant und verführerisch. Sie tragen Roben, wie sie nur Paris zaubern kann – dabei ist Paris längst von den Deutschen besetzt.

    »Permettez-vous, Madame?« fragt US-Vizekonsul Miller die ungekrönte Ballkönigin des Abends.

    »You’re welcome«, entgegnet Nicole Lemaire höflich. Die Französin ist an die achtundzwanzig, reich und unabhängig. Meergrüne Augen. Blauschwarze Haare. Ein Dekolleté, das so viel Haut zeigt, daß man Appetit auf die ganze Nicole bekommt.

    »Sie sind hier die Schönste«, raunt ihr der Amerikaner zu.

    »Und Sie der größte Schmeichler«, entgegnet die junge Frau lachend. »Wußte gar nicht, daß ihr Yankees das fertigbringt.«

    Rings um das Parkett sitzen Gäste und verfolgen die beiden mit ihren Blicken. Wo sich zwei Menschen treffen, sind in diesem heißen Oktober mindestens drei Geheimdienste vertreten, aber man tanzt, lacht und parliert. Ein langer, ausgelassener Monat voller Feste und voller Gerüchte geht zu Ende. In einem Winkel, den der Zweite Weltkrieg noch ausgespart hat, denn die Kanonen donnern auf der anderen Seite Nordafrikas. Sehr weit ostwärts: bei El Alamein.

    Seit ein paar Tagen, seit dem 24. Oktober, drehte sich das Wüstenkarussell wieder. Die »Operation Lightfoot« des neuen englischen Oberbefehlshabers Montgomery, eine gewaltige Offensivanstrengung, war angelaufen. Der Durchbruch soll gelungen sein, aber das ist nur Hörensagen, und wer wird schon an einem so festlichen Abend darüber nachgrübeln? Man scheint sich vielmehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wer bei Nicole Lemaire das Rennen machen wird, als wer die blutige Wüsten-Samba gewinnt.

    Man lebt im französischen Kolonialreich trotz des Krieges wie Gott in Frankreich: flotte Feste, dicke Geschäfte. Und wer sich Sorgen macht, hat auch Likör. Der Alkohol fließt in Strömen auf diesem turbulenten Schauplatz.

    Frankreichs nordafrikanische Kolonien werden von Generalresidenten verwaltet. Sie sind neutralisiert, ihre Verwaltung ist der Vichy-Regierung loyal ergeben, und der Oberkommandierende, General Alphonse Juin, hat sein Wort gegeben, daß er die Neutralität der französischen Truppen wahren und nicht gegen die Deutschen arbeiten wird. In London hält General Charles de Gaulle als Vertreter des Freien Frankreichs flammende Appelle vor dem Mikrophon; sie finden zunächst keinen großen Anklang, denn die Militärs – immer geneigt, Befehlen zu gehorchen – betrachten den Abgefallenen als Verräter.

    Einig sind sich die Kolonialfranzosen nur in ihrem Haß gegen die Deutschen, die ihr Mutterland überrollt und besetzt haben. Auch ihre Verachtung gegen die Italiener ist einstimmig. Man bewertet Mussolini, der in Frankreich eingefallen war, als es sich, von den Deutschen besiegt, nicht mehr wehren konnte, als einen Leichenfledderer. Haß und Abneigung treiben aber die Franzosen – die sich für gute Patrioten halten – noch lange nicht in die Arme der Engländer, die gegen die Deutschen und Italiener kämpfen.

    Die Franzosen halten den früheren Bundesgenossen vor, daß sie sich in Dünkirchen zurückgezogen hatten, ohne die französischen Waffenbrüder zu verständigen, daß ihnen die Briten die »Spitfires« vorenthalten hatten und daß schließlich die englische Flotte nach dem Waffenstillstand die französische im Hafen von Mers El Kébir, in der Nähe von Oran, im Schlaf überfallen und sie – um sie nicht den Deutschen in die Hände fallen zu lassen – erbarmungslos zusammengeschossen hatte, wobei 1297 französische Matrosen gefallen waren.

    Man lebt in Algier, in Tunis und in Marokko in den Tag hinein und feiert die Feste, wie sie fallen. Amerika liegt zwar mit Deutschland im Krieg, ist aber gegenüber Frankreich neutral. Wenn die Franzosen die Yankees auch weit höher einschätzen als der Reichsmarschall Göring, der spöttelnd immer wieder feststellt, sie könnten nur »Rasierklingen herstellen«, so haben sie doch zunächst einmal in Fernost im Kampf gegen die Japaner eine Schlappe nach der anderen hinnehmen müssen. Die USA haben den abwartenden Franzosen erst einmal zu zeigen, was sie zu leisten vermögen. Man hängt in Algier wie in Vichy der Beurteilung an, die in ihrem Sachbuch »Unternehmen Sonnenaufgang« die Autoren Bradley F. Smith und Elena Agarossi mit den Worten wiedergeben: »Mit dem größten wirtschaftlichen Kriegspotential der Welt, mit einer Armee von der Größe der schwedischen und mit einer Marine, die zum großen Teil auf dem Meeresgrund von Pearl Harbor lag, trat Amerika in den Zweiten Weltkrieg ein ...«

    Einstweilen beschränken sich die Yankees im Umgang mit den Franzosen auf eine lebhafte diplomatische Tätigkeit. An Nordafrika scheint ihnen besonders zu liegen, denn hierher haben sie gleich elf Vizekonsuln entsandt. Einer von ihnen nennt sich Miller und absolviert sonst ganz andere Tänze, aber er bewegt sich geschickt und rhythmisch. Es ist auch nicht schwer bei einer Frau wie Nicole, die jede Schwingung des Partners auffängt, in deren Armen Herren zu Männern werden.

    Links herum, rechts herum.

    Ihre Haare streifen sein Gesicht, und der Yankee spitzt die Lippen. »Kennen Sie den Offizier an der Bar?« fragt er unvermittelt.

    »Monsieur Prenelle?«

    »Er ist Ordonnanzoffizier bei General Mast.«

    »Und?« fragte Nicole.

    »Scheint heute Liebeskummer zu haben«, entgegnet der Amerikaner. Er lächelt knapp: »Vielleicht könnten Sie ihn aufheitern.«

    »Und warum sollte ich das tun?« fragt die Französin halblaut.

    »Er ist amüsant«, erwidert der Diplomat. »Außerdem gehört er zu den Vertrauten des Generals Mast – und ich muß mit ihm sprechen. Unauffällig.« Er geleitet seine Tänzerin zurück zum Tisch. »Es ist brandeilig – Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«

    Der Amerikaner entfernt sich, fast gleichzeitig kommt der deutsche Attaché Melzer: schlank, glatt, kalt. Für Unbeteiligte sind diese Feste in Algier von unfreiwilliger Komik: Da stehen sich Feinde als Diplomaten auf neutralem Boden stocksteif gegenüber, reden kein Wort miteinander, intrigieren: um Frauen, um Nachrichten.

    Ihre Uniform ist der Frack, das Sektglas ihre Waffe.

    »Würden Sie auch mir einen Tanz schenken, Gnädigste?« fragt der deutsche Diplomat.

    »Ich tanze mit allen«, antwortet Nicole, »so sie tanzen können.«

    »Ich hoffe es zu können«, erwidert der Attaché steif. Die junge Frau weiß, daß er etwas ganz anderes von ihr will als einen Tango.

    »Ich habe Nachricht – von Ihrem Bruder«, sagt er während einer eleganten Wendung.

    »Von Pierre?« fragt die Französin eine Spur zu rasch.

    »Er heißt jetzt Peter«, versetzt der Diplomat mit trockenem Hohn. »Er wurde soeben zum Leutnant befördert.«

    »So –«, erwidert Nicole erschrocken.

    »Ja. Besondere Auszeichnung – in einem Fallschirmjägerregiment.«

    »Und wo – wo ist Pierre jetzt?«

    »In Italien. Vielleicht bald auf dem Sprung nach Nordafrika.«

    »Tun Sie mir einen Gefallen?« fragt Nicole, eine Elsässerin, geborene Molitor, verwitwete Lemaire, seit ihr Mann, ein Weingutsbesitzer, vor eineinhalb Jahren bei Sedan gefallen ist.

    »Zwei, Madame«, verspricht der Diplomat mit einem anzüglichen Lächeln.

    »Würden Sie bitte«, antwortete Nicole hastig, »Ihr Wissen für sich behalten?«

    »Sie möchten keinen Mann in der Familie, der für uns kämpft?« erwidert ihr Tanzpartner ironisch. »Obwohl Ihr Bruder natürlich nach unserer Auffassung Deutscher ist – wie Sie ja eigentlich auch. Vielleicht werden Sie sich nach unserem Endsieg daran erinnern.«

    »Vielleicht«, spöttelt Nicole. »Aber bis dahin bleibe ich Französin.«

    »Dann fällt es Ihnen um so leichter«, erklärt Attaché Melzer kalt, »festzustellen, welche Offiziere im Stab der Generäle Mast und Juin im Falle eines Falles zu den Anglo-Amerikanern überlaufen würden –« Der Deutsche lächelt, als ob er Nicole bei seiner Werbung nähergekommen wäre.

    »Ich bin kein Spitzel«, erwidert die Französin süffisant. »Und was heißt im Falle eines Falles?« Sie bleibt während des Tanzes stehen. »Rechnen Sie damit, Monsieur Melzer«, fragt sie halblaut, »daß die Anglo-Amerikaner bei uns landen werden?«

    »Ich rechne nicht damit«, versetzt der Deutsche, »aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen. Aber«, fährt er fort, »kann ich mit Ihnen rechnen?« und beginnt zu drohen: »Andernfalls –«

    Die Französin schüttelt den Kopf.

    »Morgen?« drängt Melzer.

    »So bald wie möglich«, entgegnet Nicole.

    Melzer reicht Nicole den Arm und führt sie an die Bar. Er hilft ihr auf den langen, schmalen Hocker neben Hauptmann Prenelle, bestellt etwas zu trinken, macht Nicole Komplimente und entschuldigt sich, weil er telefonieren muß.

    Auch US-Vizekonsul Miller telefoniert. Von einem anderen Apparat aus. Er heißt so wenig Miller von Geburt an wie Melzer etwa Melzer. Im Grunde haben sie beiden den gleichen Auftraggeber: den Untergrund.

    Nur auf verschiedenen Seiten.

    Dieses Algier – oder besser ganz Französisch-Nordafrika – ist ein offenes Benzinfaß.

    Ein Funke genügt, um es hochzujagen.

    Und jeder spielt mit dem Feuer. Vizekonsul Miller feiert Erfolge als Salonlöwe, doch nur so nebenbei. Sein Chef ist Generalkonsul Robert Murphy, Spitzenagent des Office of Strategic Services (OSS), der US-Spionageorganisation, vor kurzem noch US-Statthalter in Vichy.

    Zu diesem Zeitpunkt hat Frankreich als einziges von Hitler überfallenes Land eine Sonderbehandlung: Nur ein Teil seines Gebietes ist besetzt; der andere wird von Vichy aus regiert.

    Vichy ist ein berühmter Leberkurort, aber den meisten Franzosen kommt die Galle hoch, wenn man diesen Namen nennt. Hier sitzt General Philippe Pétain, der französische Hindenburg; hier sind Männer wie Laval und Admiral Darlan, Halbfaschisten.

    Die Franzosen verfügen über eine intakte Flotte. Und über eine Armee. In Nordafrika stehen 200000 Mann unter Waffen – schlecht ausgerüstet, aber hervorragend ausgebildet. Erstklassige Offiziere.

    Auf welcher Seite sie stehen?

    Der Gesandte Murphy und seine elf »Vizekonsuln« haben die französischen Streitkräfte durchsiebt. Sie können sich durchaus ein Bild von der Lage machen, obwohl sie mehr als verworren ist. Fast alle Franzosen – bis auf wenige Kollaborateure – hassen die Deutschen und warten auf den Tag der Befreiung. Trotzdem möchten sie sich, zumindest in Nordafrika, aus dem Krieg noch heraushalten. Sie haben in ihren Kolonien genügend Scherereien mit den Arabern. Sie sagen sich ganz richtig, daß hier ein Kampf mit Sicherheit das Ende ihrer Kolonialherrschaft mit sich brächte, daß aus einem Kriegsschauplatz in Nordwestafrika letztlich die selbständigen Staaten Algerien, Tunesien und Marokko hervorgehen könnten.

    Dazu kommt die mehr als gefühlsmäßige Abneigung gegen die Briten, von denen sich die Franzosen verraten glauben. Werden diese kämpfen? Werden sie schlafen? Werden sie den Einmarsch dulden? Oder werden sie für Pétain ihre Haut zu Markte tragen? Auf zwei Seiten weiß man keine Antwort auf diese Fragen.

    Hauptmann Prenelle, Ordonnanzoffizier bei General Mast, betrachtet die Französin an seiner Seite mit verzogenen Lippen. »Schade –«, sagt er.

    »Was ist schade?« fragt sie.

    »Daß Sie mit einem Boche reden.«

    »Ich hasse sie«, versetzt die hübsche Witwe leise.

    »Oh«, antwortet der Offizier. »Pardon, Madame.« Seine schlechte Laune desertiert auf der Stelle. »Allein?« fragt er dann.

    »Im Moment –«

    »Ich liebe Momente«, erwidert der Offizier, »vor allem, wenn sie länger andauern.«

    »Das liegt an Ihnen«, entgegnet Nicole keß.

    »Dann will ich tun, was ich kann«, antwortet der Hauptmann, klettert lächelnd vom Hocker und entführt die junge Frau auf das Parkett.

    Ein neuer Tanz. Ein anderer Mann. Nichts Besonderes bei Nicole. Sie ist verliebt in das Leben, und sie zeigt es, sie spielt die lustige Witwe überzeugend. Vielleicht ist es nur Tarnung. Fast alle tarnen sich in Algier. Aber die junge Französin ist keine Agentin, sie ist eine Patriotin.

    Hauptmann Prenelle: Das ist keine Aufgabe für Nicole oder eine, die ihr Spaß macht, denn der Offizier gefällt ihr. Er küßt ihr galant die Hand, doch seine Augen sind schon viel weiter: hübsche, dunkle Augen, groß und werbend.

    Der Offizier bringt sie in einem alten Citroën nach Hause. Er macht Umwege, Nicole merkt es und lächelt. Prenelle steigt aus, geleitet sie an die Tür. »Bis morgen, Nicole?« fragt er.

    »Warum bis morgen?« entgegnet die Französin kokett. »Wollen Sie nicht noch eine Tasse Kaffee –«

    »Wenn ich darf«, erwidert der Offizier überrascht.

    »Sie dürfen viel mehr, als Sie annehmen«, versetzt Nicole frivol. Vielleicht bin ich zu plump, überlegt sie sich, aber was soll’s. Die Zeit drängt – und Miller wartet.

    Es ist keine Kunst, einen Verliebten auszufragen.

    Hauptmann Prenelle steht neben ihr in der Küche, zieht die junge Frau an sich, streichelt sie.

    »So kommst du nie zu deinem Kaffee«, sagt Nicole.

    »Ich will keinen Kaffee«, antwortet er.

    »Sondern?«

    »Dich –«

    »Geduld, mon chéri –«, versetzt sie.

    »Geduld erfordert Zeit, und Zeit ist knapp.«

    »Warum?«

    »Der Dienst –«

    »Ist General Mast denn so eifrig?« wagt sich Nicole vor. Sie geht zurück in den Salon, setzt sich auf eine tiefe Couch, legt die Beine übereinander. »Na, kommt schon«, fordert sie den Zögernden auf, der sich dann ein wenig zu schnell neben ihr niederläßt.

    Prenelle küßt sie. Die Französin läßt es sich gefallen. Seine Hände wandern vom Nacken abwärts.

    Sie schlägt ihm spielerisch auf die Finger. »Lentement, mon ami«, sagt sie, als sie der Hauptmann um die Taille faßt und an sich zieht.

    Zeitweilig vergißt Nicole, was sie erfahren möchte, aber als der Offizier ein paar Stunden später direkt von ihrer Wohnung in seine Garnison geht, ist sich die junge Französin ziemlich sicher, daß ihr neuer Freund bald vor ihr keine Geheimnisse mehr haben wird, auch keine militärischen.

    Die »Operation Lightfoot« war schon vorbereitet worden, als Rommels Marsch nach Ägypten unaufhaltsam schien. In der Etappenstadt Kairo hatten längst junge ägyptische Offiziere unter Anführung des Obristen Abd el Nasser den Aufstand geprobt, aber Rommel, seinem Nachschub wieder einmal davongelaufen, war gezwungen, die Offensive 100 Kilometer vor Alexandria abzubrechen. »Gäbe man mir nur drei Schiffe mit Benzin für meine Panzer – ich wäre in achtundvierzig Stunden in Kairo«, stellte der Wüstenfuchs fest.

    Nunmehr lagen sich in der El-Alamein-Stellung die Deutschen und die Engländer schon fast zwei Monate scheinbar tatenlos gegenüber. Rommel nutzte die Zeit, seinen »Teufelsgarten«, das Vorgelände seiner Stellung, mit 249 849 Panzer- und 14500 Tretminen zu bestücken.

    Aber auch die Briten versäumten keine Zeit. In den ägyptischen Häfen, nach meist langwieriger Umschiffung ganz Afrikas, liefen die Schiffe mit fabrikneuen Sherman- und Grant-Kampfwagen, made in USA, ein. Geschütze, Munition, Proviant wurden entladen, in Mengen, wie man sie noch nie gesehen hatte. Die »Wüstenratten« – so nannte sich das britische Expeditionskorps in Nordafrika selbst – erhielten neue Panzer, neue Flugzeuge, neue Geschütze – und einen neuen Oberbefehlshaber. Die Truppenverstärkungen aus fast allen Teilen der Welt und die modernen Waffen waren ihnen nur zu willkommen – auf den General Montgomery hätten sie am liebsten verzichtet; es eilte ihm der Ruf voraus, ein sturer Kommißkopf zu sein, der streng auf die Einhaltung des militärischen Brimboriums achtete. Auf Afrikas heißem Boden jedoch hatten sich die Soldaten mit den flachen Stahlhelmen – Schotten, Engländer, Südafrikaner, Australier, Neuseeländer, Inder und andere Kolonialtruppen – längst hitzebedingte Erleichterungen verschafft. Von Ehrenbezeigungen, auch Vorgesetzten gegenüber, war man weitgehend abgekommen; was die Uniformvorschriften anbelangte, begnügten sich die meisten damit, sich ihre Rangabzeichen mit Heftpflaster auf die nackte Haut zu kleben.

    Es herrschte eine ungute, gereizte Stimmung, als der neue Oberbefehlshaber der 8. britischen Armee seine Kommandeure in Kairo in das Amaryia-Kino befohlen hatte, um ihnen sein strategisches Konzept für die »Operation Lightfoot« darzulegen. Es war umfassend, pedantisch bis in alle Einzelheiten vorbereitet. Die versammelten Offiziere zeigten sich überrascht, wie ein Neuling auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz die Besonderheiten des Wüstenkrieges vom grünen Tisch aus so exakt analysieren konnte. Sonst schien Auchinlecks Nachfolger, der seit der Katastrophe von Dünkirchen vor zwei Jahren kein Frontkommando mehr erhalten hatte, die Gerüchte zu bestätigen, die ihm vorausgeeilt waren. »Bernard Montgomery ist klein, drahtig, hat ein Vogelgesicht und spricht durch die Nase, mit hoher, unangenehmer Stimme«, schildert ihn in seinem Buch »The trail of the fox« der britische Autor David Irving. »Seine Knie sind weiß, sein Gesicht ist rosig. Trotzdem haben er und Rommel vieles gemeinsam. Beide sind sie einsam und haben unter gleichgestellten Offizieren mehr Feinde als Freunde; beide sind sie anmaßend und überheblich; beide sind gehemmt und im normalen Dienst unbequeme Offiziere, entwickeln sich aber, sobald sie Handlungsfreiheit erhalten, zu großartigen, erfindungsreichen Truppenführern; beide rauchen nicht und trinken sehr mäßig Alkohol; beide teilen die Liebe zum Wintersport und legen großen Wert auf erstklassige körperliche Verfassung.«

    Und beide lagen sich an der Pforte Ägyptens, in der El-Alamein-Stellung, gegenüber wie zwei Boxer im Clinch, unfähig, sich voneinander zu lösen. Beide wußten, daß sie die einzige Verteidigungslinie in der westlichen Wüste hielten, deren Südflanke nicht umgangen werden konnte. 65 Kilometer südlich der Küste zog sich die Qattara-Senke, eine unter dem Meeresspiegel liegende Salzniederung am Fuße einer Felsenlandschaft, dahin. »Panzer können Felsen nicht überwinden«, analysiert der englische Autor Mark Arnold-Forster die Situation, »und in Salzniederungen sacken sie ein. Vom Juli 1942 an standen die Gegner sich auf einem im Norden durch das Mittelmeer und im Süden durch die Qattara-Senke begrenzten Schlachtfeld gegenüber. Es war wie ein tödlicher Boxring, aus dem es kein Entrinnen gab. Die erste Julihälfte hindurch hielten Auchinlecks Streitkräfte die Linien gegen Rommels entschlossene und geschickte Angriffe. Rommel verausgabte seine Kräfte. Einmal wurden seine Mittel durch den Nachschub aufgefüllt, dann gingen sie wieder zur Neige ...«

    Montgomery war entschlossen, den ersten Stoß frontal zu führen und mit Hilfe seiner stärkeren und moderneren Panzer Rommels Front zu durchbrechen. Er hatte seinem Gegner einiges abgesehen: Er ließ zum Beispiel eine falsche Ölleitung in den Südabschnitt seiner Front verlegen. Die Panzerarmee Afrika sollte annehmen, der Hauptstoß der Großoffensive werde am Rande der Qattara-Senke geführt. Die britischen Panzer, die deutsche Vorposten sichteten, waren Attrappen, die tatsächlichen Kampfwagen wurden im Nordteil der Front als Lastwagen getarnt.

    Der Wüstenkrieg war ein Abnützungskrieg; wer am meisten Nachschub hatte, würde ihn gewinnen, ein wenig heldisches, dafür aber logisches Kalkül. Während Montgomery noch abwartete, bis seine Besatzungen mit den neuen Sherman-Panzern zurechtkamen, bis Munition in unübersehbarer Menge herangeschafft war, verstärkte er – als Vorbereitung zur Offensive – die geheimdienstliche Tätigkeit im Rücken Rommels, der in ständiger Nachschubsorge lebte. Während die Briten – zwar umständlich, doch risikolos – ihren Bedarf meistens um das Kap der Guten Hoffnung heranschafften, blieb dem Wüstenfuchs kaum die Hoffnung, durch italienische Konvois über das Mittelmeer versorgt zu werden.

    Am dringendsten benötigte er Sprit für seine Panzer, aber immer seltener kamen Tanker durch, und in letzter Zeit wurden ‒ es war die Handschrift der unter dem englischen Major Chapman im Hintergrund operierenden Long Range Desert Group – mit und ohne Erfolg Anschläge auf Tanker, die U-Boot- und Luftsperren durchbrachen und sich an Malta vorbeigemogelt hatten, verübt. Deshalb begann der Morgenappell der Soldaten an den Nachschubsträngen in der Etappe jeweils mit Warnungen und Belehrungen über die Tätigkeit feindlicher Agenten.

    Der Fahnenjunker-Unteroffizier Gerwegh, der in der Bomba-Bucht bei Benghasi – die bereits in der Antike ein klassisches Erholungszentrum gewesen war – eine leichtere Verwundung ausheilte, stand unter den Genesenden, die sich den Sermon des Hauptfeldwebels anhören mußten. Immer der gleiche Seich: »Achtung! Feind hört mit!«

    Gleich vorbei, tröstete sich der Rekonvaleszent, bald beginnt die Freizeit wieder, und das hieß für die meisten Besuch im zweistöckigen Nachtbums »Oasis«. Das wuchtige Steinhaus, fernab vom Schuß, gehörte dem Ägypter Ali Husseini, und seine Attraktion bildeten zwölf tanzende Künstlerinnen, deren Begabung vorwiegend darin bestand, ihren Körper meistbietend an den Mann beziehungsweise an die Männer zu bringen.

    Jedenfalls war die Bomba-Bucht das riesige Erholungsheim der Panzerarmee Afrika, und man zahlte mit Beutezigaretten, mit Corned beef und was sich sonst noch organisieren ließ, denn der pfiffige Ägypter nahm keine müde Mark in Zahlung, solange sie aus Papier bestand.

    Doch seit einiger Zeit mied Fahnenjunker-Unteroffizier Gerwegh den fetten Ägypter nebst seiner hüpfenden Dutzendware. Er hatte die rassige Italienerin Manuela, Tochter eines Siedlers aus Tripolis, kennengelernt, die sich nicht früh genug in ihr Heimatland zurückgezogen hatte und von der italienischen Armee als Stabshelferin verpflichtet worden war, ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren und braunen Glutaugen.

    Zuerst lachten seine Kumpels, dann begannen sie, ihn zu beneiden, und jetzt war der Junge so verliebt, daß er schon fast auf sich selbst eifersüchtig wurde. Wenn er ergriffen in Manuelas große Iris starrte, sah er nur sich darin gespiegelt – wenigstens solange er da war.

    »Wie lange wirst du noch im Lazarett bleiben?« fragte die Italienerin. »Quanto tempo? Quanti giorni?«

    »Mindestens eine Woche«, antwortete Gerwegh mit großartiger Geste und sah in Manuelas bekümmertes Gesicht. »Vielleicht sogar noch zehn Tage«, setzte er tröstend hinzu. »Mir pressiert es wirklich nicht!«

    »E poi?« fragte Manuela. Wie es dann weitergehen würde?

    »– muß ich wieder zu meinem Haufen zurück. Aber denk dir nichts, Unkraut vergeht nicht.« Er zündete zwei Zigaretten an und schob Manuela eine in den Mund. »Aber was wird aus dir?«

    »Ich hör’ hier auf«, entgegnete das Mädchen, »verlaß dich drauf. Ich will versuchen, nach Italien zu kommen.«

    »Wirklich?« rief der Junge begeistert.

    »He, Professor«, sprach ihn ein anderer Verwundeter vom Nebentisch aus mit seinem Spitznamen an. »Hältst du wieder Vorträge? Halt lieber Händchen, das ist vernünftiger.«

    »Schnauze«, versetzte Gerwegh.

    »Genießt den Krieg«, rief ein Betrunkener albern, »der Friede wird furchtbar.« Sie ließen den Kumpel und Manuela sitzen und suchten die »Oasis« auf.

    So behütet, wie sich die uniformierten Gäste des Hauses vorkamen, waren sie nicht, denn sie wurden von spionierenden Arabern umlauert. Sie betrachteten die Italiener, die ihnen die guten Landstücke weggenommen hatten, als ihre natürlichen Feinde, und zudem handelten die Tommies nach der Devise: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

    Sie kauften die Araber mit Baumwolle, Zucker, Schokolade, Zigaretten und Kosmetika.

    Sozusagen mit Blumen für den Harem.

    Besonders die Dursas, ein Stamm der Senussis, half den englischen Agenten dabei. Die Kommandounternehmen der Long Range Desert Group starteten von den Stammesverstecken aus. Straßen und Brücken flogen in die Luft; das ohnedies knappe Benzin ging in Flammen auf, und nächtens brannten abgestellte Flugzeuge lichterloh.

    In der Höhle des Commando Group Headquarter im Wadi Gherna hockte ein Funker hinter seinem Gerät und rief das versteckte Headquarter der Commando Group in der Oase Siwa.

    »Hier Jack five«, tastete der Funker durch. »22 Panzer 3, 15 Panzer 4, in den Werkstätten in Tobruk instand gesetzt, auf dem Weg zur Front ... Eintrifft morgen Benzindampfer für Afrika-Armee ... E-Hafen Derna Konzentration von Stukas und Ju 88. Luftangriff auf Alexandria zu erwarten ...«

    Solche und ähnliche Meldungen gingen täglich von den deutschen Linien auf die andere Seite.

    Der britische Nachrichtendienst funktionierte ausgezeichnet.

    Auf dem Djebel Akhdar – den Grünen Hügeln, die sich von Derna bis Bengasi parallel zur Küste hinziehen –, hockten als Araber getarnte Tommies und lauerten auf ihre Chance; wenn es nach Major Chapman ginge, würden sie eine solche nunmehr in der Bomba-Bucht nutzen.

    »Caldo, Rolando?« fragte Manuela ihren neuen Freund. »Ist dir heiß?«

    Gerwegh nickte und zog die Italienerin in den Garten nach draußen. Sie tanzten sich zum Hinterausgang durch und verschwanden dann zwischen Palmen, Oleanderbüschen und Agaven.

    Gleich neben dem Pavillon war ihr Lieblingsplatz.

    Es war frisch geworden, aber die beiden konnten eine Abkühlung brauchen.

    Schritte.

    Manuela wollte hochspringen, aber der Unteroffizier hielt sie fest, legte ihr warnend die Hand auf den Mund.

    Ganz in der Nähe, im Schatten des Pavillons, trafen sich zwei Männer.

    Einer von ihnen war Ali Husseini, der Liebeswirt.

    Der andere trug die Tracht eines Arabers, aber er sprach Englisch. Kein Pidgin, kein Radebrechen. Es mußte sich um einen echten Engländer handeln.

    »Wir müssen den Spritdampfer in die Luft jagen«, sagte der Verkleidete.

    »Das wird schwer sein«, antwortete Ali Husseini, »aber wenn Sie Selbstmord verüben wollen ...«

    »Wir kommen übermorgen. Sechs Mann. Eine Stunde vor Mitternacht. Du läßt uns ein.«

    »Und das U-Boot?« fragte der Ägypter.

    »– landet um die gleiche Zeit und setzt Schlauchboote aus.«

    »Aber da ist doch die deutsche Wache.«

    »Darum sollst du uns ja hinführen«, entgegnete der angebliche Beduine. »Hast du die deutschen Uniformen bekommen?«

    »– in Zahlung genommen«, sagte der »Oasis«-Wirt, und Gerwegh glaubte noch im Dunkeln sein schmieriges Lächeln zu sehen.

    »Okay«, erwiderte der Engländer. Er war Fachmann; er verschwand geräuschlos. Nicht einmal sein Schatten war zu sehen.

    »Che cosa?« fragte die Italienerin. »Was ist los?«

    »Niente«, erwiderte der Freund. »Io ti amo.« Er zog Manuela an sich, streichelte ihre Haare, küßte sie

    Dann betraten sie durch den Hintereingang wieder den Raum.

    »Vor der Kaserne«, tönte wieder einmal Lili Marleen, »vor dem großen Tor.« Gerwegh stürzte sich in das Gewühl der Tanzenden, trank und lachte. Ein Genesender des Panzergrenadierregiments 115, erneut verwundet, doch diesmal von der Liebe.

    Am Morgen erwachte er mit Kopfschmerzen und versuchte den Abend aus den Nebeln des Alkohols zu schälen.

    Das Gespräch im Garten?

    Der Fahnenjunker-Unteroffizier fragte sich, ob er den Zwischenfall geträumt hatte, oder ob er besoffen gewesen war.

    Gerwegh fürchtete, sich lächerlich zu machen.

    Aber dann hörte er, daß tatsächlich ein Spritdampfer erwartet wurde – und auf einmal sah ein kleiner Statist des Krieges eine Chance, vorübergehend als Star aufzutreten.

    Major Chapman ging an der Spitze seiner Leute. Sie waren bewaffnet bis an die Zähne und gewöhnt, leise aufzutreten. Sie pirschten sich querbeet durch das sandige Gelände hinter der Ansiedlung in Richtung Bucht.

    Kurz vor dem Ziel stießen sie auf Ali Husseini.

    »Wie sieht’s aus?« fragte der Major hastig.

    »Everything allright«, entgegnete der Ägypter. »Die Germans kümmern sich mehr ums Bett als um den Sprit.« Er schob einen Packen Geld ein. »Muß zurück«, sagte er dann und hatte es eilig.

    Die sechs Tommies erreichten den Pfad, der zum Strand führte.

    Die Konturen des Tankers waren auch in der Nacht zu sehen. Auch das kleine Wachgebäude in der Nähe der Pier.

    Die Engländer wußten, daß sich hier zwei Posten aufhielten und zwei weitere die Runde machten.

    Das erleichterte ihren Plan.

    Zwei Tommies arbeiteten sich von rückwärts an das Wachhaus heran und drangen in den kleinen, mit Schilfmatten abgedeckten Hof ein.

    Die anderen warteten draußen auf die zurückkehrende Streife.

    Als sie sich auf die beiden Posten stürzen wollten, ging schlagartig das Licht an, die überrumpelten Eindringlinge starrten in die Läufe deutscher Maschinenpistolen.

    Ihre Arme hoben sich wie von selbst.

    In der Nähe fielen Schüsse.

    Die restlichen vier Tommies versuchten zu entkommen.

    Fahnenjunker-Unteroffizier Gerwegh schoß den vorderen der Gruppe nieder, sprang hoch, wollte sich auf den nächsten stürzen und lief dabei direkt in den Feuerstoß; er überschlug sich wie ein Kartoffelsack.

    Er bekam nicht mehr mit, wie seine Kumpels die Engländer schnappten.

    Bis auf einen, den Wichtigsten: Major Chapman. Er konnte entkommen.

    Die zweite Falle war im Hafen aufgestellt: Flak und Feldgendarmerie erwarteten den zweiten Kommandotrupp, der vom U-Boot aus mit den Schlauchbooten anlanden sollte.

    Drei Schnellboote sollten sich auf das U-Boot stürzen.

    Schon hoben sich die Schlauchboote ab, man hörte die Schläge der mit Lumpen umwickelten Ruder.

    200 Meter noch.

    Der Mann am MG verlor die Nerven und schoß zu früh.

    Gleichzeitig preschten die drei Schnellboote heran.

    Das englische U-Boot ging im Alarmtauchen auf Tiefe, schlug sich mit äußerster Kraft nach Nordosten durch.

    Die Feuerstöße des MGs hatten die Schlauchboote durchlöchert.

    Einige der Engländer versuchten, auf See zurückzuschwimmen.

    Die meisten von ihnen ertranken und wurden von da an in den Mannschaftslisten der Long Range Desert Group als vermißt geführt.

    Nur vier von ihnen erreichten ein paar Stunden später, völlig erschöpft, die Küste 2 Kilometer weiter westlich.

    Später gelang es ihnen, sich zu ihrem Versteck in den »Grünen Bergen« durchzuschlagen.

    Die anderen wurden am Strand von den Deutschen in Empfang genommen.

    »Mensch, Mann, dufte, Gerwegh«, sagte Oberst Baade am nächsten Morgen zu dem von drei Schüssen verletzten Fahnenjunker-Unteroffizier. »Sie werden mit einer Ju nach Italien geflogen und können dort bei vino und amore ihre Wunden pflegen.« Der Offizier lachte trocken. »Aber das nächste Mal sind Sie besser nicht so voreilig.« Er wollte weitergehen, blieb aber, gutgelaunt wegen des Scheiterns des britischen Commando Raid, stehen. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er Gerwegh.

    »Jawohl, Herr Oberst«, antwortete der Verwundete. »Kann ich Manuela nicht mitnehmen?«

    »Wer ist das?« fragte der Offizier, mehr abweisend als interessiert.

    »Meine Verlobte«, erwiderte Gerwegh stolz. »Eine Italienerin.«

    »Mann, das ist doch gegen die Vorschriften«, versetzte Oberst Baade. »Mal sehen, ob sich ein Ausweg finden läßt.«

    Ein paar Tage später ernannte man die Italienerin einfach zur Hilfskrankenschwester, die in der Ju die Verwundeten betreute: einen davon natürlich ganz besonders. So kam Manuela nach Hause – auf der Flucht vor dem Wüstenkrieg und in Gesellschaft ihres deutschen Freundes, der für ein paar Monate aus der Schußlinie war, statt an der El-Alamein-Linie zu liegen, wo in der Vollmondnacht vom 24. auf den 25. Oktober die Feuerhölle ausbrach wie nie zuvor, zwei Tage, nachdem Erwin Rommel zur Kur in die Heimat geflogen war und das Kommando dem General Georg Stumme übergeben hatte, einem hochgewachsenen Panzeroffizier, der Afrika nur aus dem Schulunterricht kannte.

    Er hatte keine andere Möglichkeit, als sich auf die Analyse von »Fremde Heere West« zu verlassen, in der vorhergesagt wurde, daß der Feind frühestens im November angreifen könnte, und auf den Nachschub zu warten.

    Montgomery hielt sich nicht an diese Prognose, und der Nachschub blieb aus. Einmal mehr rächte sich, daß man versäumt hatte, die Insel Malta zu erobern, als sie noch schwach gewesen war. In rollenden Einsätzen hatten deutsche und italienische Verbände den Flugplatz von La Valetta von 9 Uhr morgens bis Sonnenuntergang bombardiert; der Aufwand war riesig gewesen, die Wirkung bescheiden.

    »Nach diesem Fehlschlag bestand für den deutsch-italienischen Nachschub wenig Aussicht auf Besserung«, berichtet Hellmuth Günther Dahms. »Das britische

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