Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tanz ums Licht
Tanz ums Licht
Tanz ums Licht
eBook307 Seiten4 Stunden

Tanz ums Licht

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die große Filmschauspielerin Lydia Keriël ist eine wahre Diva. Regisseur Josef Dareen und sein Kameramann haben folglich ihre liebe Not mit ihr. Mal soll man "ihr nicht so von unten in die Nasenlöcher drehen", mal "nicht so von oben herunter in den Ausschnitt" … Gut, dass es da noch die gute Seele des Filmteams gibt, Isabel Gynthenburg, die als "Kleberin" für den Schnitt verantwortlich ist, aber auch sonst für den nötigen Kitt zwischen all den exzentrischen Künstlerpersönlichkeiten sorgt. Sicher hätte sie noch in anderer Hinsicht größere Aufmerksamkeit vonseiten des Regisseurs verdient, doch von Josef Dareen gilt leider der Satz der Diva Lydia Keriël: "Im Atelier der Liebe sind Sie ein Dilettant." Der geheimnisvolle Zauber dieses Tanzes um die Scheinwerfer des Filmlichts, der auch ein Tanz um die Liebe ist, legt sich bald auch über den Leser, nimmt ihn gefangen. Bloems Roman gibt einen faszinierenden Einblick in die Frühzeit des Films in Deutschland.
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum8. Okt. 2015
ISBN9788711461242
Tanz ums Licht

Mehr von Walter Julius Bloem lesen

Ähnlich wie Tanz ums Licht

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Tanz ums Licht

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tanz ums Licht - Walter Julius Bloem

    Mutter

    I

    Isabel von Gynthenberg zog die elektrische Schnur aus dem Steckkontakt und goss das leise summende Wasser ins silberne Kaffeemaschinchen. Es war unglaublich, wie Dareen wieder mit seinen Nerven umging!

    Der Regisseur stäubte unmutig die Asche seiner Zigarette über den blanken Linoleumboden. „Was machen Sie denn nur immer mit den Grossaufnahmen von Frau Keriël, Michel? Alle Bilder sind tadellos, Sie bringen das Licht wunderbar weich — bloss die Nahaufnahmen von der Keriël sind einfach scheusslich."

    Der Operateur klimperte verdriesslich auf dem reichlich verstimmten Klavier — „Zigeuner, spielt mir den Csardas auf! Es war längst tiefe Nacht! Michel gähnte, wobei es ihm trotzdem gelang, den zwischen den Lippen baumelnden Glimmstengel im Mund zu behalten, und hob geringschätzig die Schultern: „Was kann ich dafür, Meister, wenn die grosse Lydia in die Jahre kommt?

    Voller Ironie betrachtete Dareen seinen buckligen Arbeitsgefährten. Der liess sich im Spiel nicht stören, mit dem- er sich in den Pausen zwischen den Vorführungen den Schlaf vertrieb. Jetzt aber schnüffelte Michel den Kaffeeduft, klappte ermuntert den Klavierdeckel zu und schob sich neben dem Regisseur in einen Sessel.

    Josef Dareen musste wider Willen lächeln. Der Kampf zwischen der anspruchsvollen Diva und seinem Chefoperateur nahm zuweilen lebhaftere Formen an. „Reden Sie doch keinen Unsinn, Michel. Sie haben von Frau Keriël einfach schlechte Bilder gemacht, das sieht ein Blinder!"

    Der Bucklige blinzelte müde und listig ins gelbe Licht, das von der Decke des kleinen, behaglichen Vorführungsraumes niederströmte: „Machen Sie Schluss, Herr Dareen — Sie sind nicht in Stimmung. Übrigens ist es jetzt zwei Uhr, und ich möchte endlich in die Klappe!"

    „Was Sie möchten, ist mir ganz gleich. Sie können bis Montag durchschlafen. Also, bitte: warum hapert es immer mit Lydia Keriëls Bildern?"

    „Das wissen Sie ganz genau, Freund und Meister: weil mich die Dame verrückt macht mit ihren ewigen Quängeleien. Man soll ihr nicht so von unten in die Nasenlöcher drehen und nicht so von oben herunter in den Ausschnitt — —"

    „Frau Keriël ist manchmal etwas unduldsam, sagte Dareen. „Sie ist eben eine Künstlerin ...

    Aber der Operateur trumpfte auf: „Bin ich etwa kein Künstler? — Oho! Meinen Sie — —"

    „Das weiss ich! Meinetwegen können Sie der liebe Gott sein. Sie sehen aber doch wohl ein, dass Ihre Abneigung nicht zu derartigen Bildern — —"

    Isabel hielt es für geraten, den Wortwechsel der beiden ungleichen Freunde zu unterbrechen. Sie stellte ihnen die Tassen mit dem schwarzen, starken Kaffee hin. Dareen liess den Blick gedankenlos über ihre ruhigen, von keinem Ring gestörten Finger gleiten.

    „Ah — danke sehr, Fräulein Gynthenburg. Na, Michel, wir wollen nicht streiten. Ich muss Sie aber dringend bitten, bei den Atelieraufnahmen erheblich liebenswürdiger zu sein. Auch wenn unsere Diva mal etwas ungnädig ist." Er schob dem Buckel die Tasse hin, und sie tranken. Ah — wie gut! Man war doch müde, so eine Reise ging elend in die Knochen, auch wenn Kilian Koll, der Hilfsregisseur, alles am Schnürchen erledigte.

    „Wollen Sie so gut sein, Fräulein Gynthenburg, und auch dem kleinen Köppke einen Kaffee bringen — er schläft uns sonst noch ein. Soll dann mit der letzten Rolle anfangen."

    Isabel ging in das Kämmerchen des Vorführers. Der junge Mann schlief auf seinem Schemel, die blonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Das Mädchen musste ihn wachrütteln, er schaute unwillig um sich, brummte etwas Unverständliches vor sich hin, das kaum eine Schmeichelei für Herrn Dareen sein mochte — trank aber dann zufrieden seinen heissen Trank.

    Das Licht erlosch. Isabel drehte ihre abgeblendete Lampe an und legte den Stenogrammblock zurecht. Auf der Leinwand erschienen, noch ungeschnitten und mit den szenischen Nummern bedeckt, die letzten Aussenaufnahmen des jüngsten Lydia-Keriël-Films „Roulette". Dareen sass zurückgelehnt, seine Hand spielte gelassen mit dem Klingelknopf, seine Augen gingen gleichgültig und müde über die strahlenden Bilder der ligurischen Ebene. Wirklich — Michael Grczegorczewicz verstand sein Handwerk! Unter seinen Händen funkelte die Sonnenflut der Riviera, ein sprühendes Lichtmeer. Er liess sich seine Kunst mit Gold aufwiegen — das war sein gutes Recht, Josef Dareen machte es auch nicht anders.

    „Fräulein Gynthenburg! Bild 377 a Anfang sechs Meter weg."

    Das Mädchen schrieb. Der Regisseur liess mit einem innerlichen Entzücken, das nicht bis zu seinem Gesicht vordrang, die Bilder an sich vorüberziehen. Ein Druck auf den Klingelknopf — der Film stand.

    „Haben Sie eben gesehen? Frau Keriël hebt zornig die Hand — sehen Sie: so. Von da ab einen Meter, dann wegschneiden — na, lassen Sie vorsichtshalber anderthalb Meter dran, wegnehmen kann man immer noch. Weiter." Ein Klingeldruck — die Bilder bewegten sich wieder über die weisse Wand.

    Isabels Blick streifte Dareen, der mit bohrender Ruhe dem Gang der Bilder folgte. „Famos! sagte er mit einer kleinen Kopfbewegung gegen den Buckligen hin. „Das ist ganz wundervoll. Übrigens — Teufel noch mal: schon wieder! Na, halt! — Fräulein Gynthenburg, notieren Sie besonders: Handzettel an Frau Kiesering: ‚Falls Sie bei den kommenden Atelieraufnahmen noch ein einziges Mal in den Apparat sehen, so muss ich zu meinem Bedauern auf Ihre fernere Mitwirkung verzichten.’ Montag früh mit Unterschrift an mich zurück. — Übrigens: notieren Sie, bitte, noch: ‚Herr Paulsen soll gelegentlich einen zerlumpten Alten bekommen.’ Scheint seine Type zu sein, der Mann sieht im Gehrock ja geradezu blöd aus. — Weiter, Köppke.

    Nichts rührte sich. „Weiter!" rief Dareen und klingelte. Isabel erhob sich und schaute, auf den Zehenspitzen stehend, in die Vorführerzelle. Der arme Kerl war schon wieder eingeschlafen. Dareen sprang auf und klopfte wütend an das Fensterchen:

    „Nehmen Sie sich ein bisschen zusammen! Ich möchte heute noch fertig werden mit den Aussenaufnahmen. Na, Fräulein — hoben Sie noch etwas Kaffee? Dann geben Sie dem Mann noch eine Tasse. Mir auch."

    „Mir auch! rief der Operateur und grinste. „Sie müssen nämlich wissen, Herr Dareen: Fräulein Gynthenburgs Kaffee ist berühmt im ganzen Haus.

    Wie hübsch sie dies improvisierte Frühstück zu reichen verstand! Es schmeckte noch einmal so gut bei dieser freundlichen und zierlichen Spendung — denn von Bedienung war schwer zu reden, seltsamerweise. „Frühstück ist gut, maestro — aber vollkommen richtig! Wenn hier ein Fenster wäre, dann könnte Aurore Ihnen mit dem bewussten Finger sicherlich schon einen zarten Wink geben — na, aber bei Ihnen muss man schon eine Latte vom Zaun reissen. Möchte wissen, Dareen, wann Sie müde werden! Der Bucklige prüfte den Kaffee mit der Zunge, als ob es ein edler Wein sei. „Oh, Fräulein Gynthenburg! rief er ermuntert. „Ich stifte Ihnen ein Paket Zichorie, einen rechten Schlummertrank. Bei diesem Kaffee muss Herr Dareen ja denken, der Tag finge gerade eben erst an ..."

    Das Fräulein lächelte. Isabel von Gynthenburg — Klebedame ... Warum nicht? Sie hob den feinen Kopf ein wenig stolzer. Warum nicht! Dareen bot ihr freundlich und erheitert eine Zigarette an, reichte ihr das Zündholz — freute sich über die leisen, ungezierten Bewegungen ihrer Hände. Das Mädchen hatte eine unaufdringliche Sicherheit, die er selten fand — am wenigsten bei denen, die es nötig hatten: bei den Filmspielerinnen.

    Während der Film weiterrollte, sprach Dareen halblaut seine Wünsche vor sich hin, und Isabel stenographierte. Nach ein paar Bildern schlug der Regisseur wütend mit dem Manuskript auf den vor ihm stehenden Tisch, dass es knallte.

    „Halt! Was ist denn das wieder für eine elende Aufnahme von Frau Keriël mitten zwischen absolut einwandfreien anderen? Also, Michel, das geht nicht! Notieren Sie: Grossaufnahme 413 c raus."

    Der Operateur bekam einen roten Kopf: „Sie erinnern sich, Herr Dareen, diese Aufnahme wurde an dem Tage gemacht, als ich Frau Keriëls Sonnenschirm zum Abblenden brauchte, worüber sie so wütend war. Was kann ich denn dafür? Dareen wusste noch: Es war in den Bergen von San Remo, und die Sonne schien prall in den Apparat. „Entschuldigen Sie, dass ich existiere, meine Gnädigste ..., hatte der Bucklige gesagt.

    „Ich weiss schon, Michel, Sie haben immer eine Ausrede. Aber man sieht es dem Bild an, dass Sie mit offener Blende gedreht haben. Sehen Sie bloss diese harten Schatten. Wie sieht die Dame denn darauf aus? Also das Bild muss weg. Ich sage Ihnen aber, Michel, wenn Sie derartig launenhaft arbeiten, fliegen Sie!"

    Der kleine Mann grinste von einem Ohr zum andern. „Hihi! — Ich — und fliegen! Haha! Famoser Witz, Herr Dareen! Isabel lachte schallend auf, es klirrte hell und fröhlich an den Wänden des kleinen Raumes. Dareen hörte es und schmunzelte. Michel war unersetzlich, und er wusste es. „Lachen Sie nur nicht zu früh, Michel! Also weiter.

    Er überlegte sich, dass man wirklich etwas versuchen musste, um die Diva und den Meisteroperateur miteinander auszusöhnen. Wohin käme man denn —

    Lydia Keriël ... Er sah ihre Bilder, die stumme Schwermut ihrer Bewegungen — und eine unbezähmbare Sehnssucht ergriff ihn, bei ihr zu sein. Dies Gesicht war unverwelklich schön, in der letzten Zeit wehte ein heimlicher Schatten darüber hin.

    Sie hatte sich lange geweigert, die Doppelrolle anzunehmen: ein strahlendes Kind und die leise verblühende Mutter. Dareen freute sich jetzt, dass er’s bei ihr durchgebogen hatte; vielleicht liess sie sich doch noch überzeugen. Ihr Spiel der Jugend war blendend konventionell, das konnten andere auch — aber über der Alternden lag eine flatternde Unruhe, ein rastloser Lebenshunger, der sich nicht verdrängen lassen wollte. Sie machte viel mehr aus der Gestalt, als der gute Doktor Florian sich in seinem zahmen Manuskript hatte träumen lassen. Das war eine ganz reife Leistung, Dareen hatte nie etwas Ähnliches gesehen, obwohl er alle bedeutenden Filmwerke kannte. Hier spielte Lydia Keriël sich selbst — aber sie wollte es nicht wahrhaben.

    Er liess den Film anhalten und grübelte eine Weile vor sich hin. „Fabelhaft — einfach fabelhaft! sagte er halb zu Michel hinüber. „Wenn sie doch nur Vernunft annehmen wollte! Diese Frau ahnt ja gar nicht, wie begabt sie ist. Aber es müssen immer grüne Dinger sein, Lachweiberchen, die sie spielen will. Das kann sie nicht mehr — hat es übrigens nie gekonnt, dafür hat sie zu viel Talent.

    „Sie können sich den Mund fusselig reden, Herr Dareen — die Dame wird es doch nicht einsehen. Talent — na, meinethalben! Aber Eitelkeit — um zwanzig Diven damit lebenslänglich auszurüsten."

    Michel durfte sich allerlei erlauben. Seit ihm die selig fusionierten Goldwyn ein glänzendes Angebot gemacht hatten, wusste er erst, wieviel seine Arbeit wert war. Sich selber so hoch einzuschätzen, wäre ihm nie eingefallen. Er hielt sich immer im Hintergrund, war bei keinem der Filmbälle zu sehen, denn er schämte sich seiner Missgestalt. Das verstand niemand — denn wenn einer Michael Grczegorczewicz war, so stand ihm der Frack — und wenn ihm der Höcker da hinten noch dreimal so dick herumturmte. Zum letzten Frühlingsfest, das die Keriël-Film-A.-G. ihren Künstlern und Angestellten bereitete, musste Dareen — der grosse Dareen! — seinen Operateur eigenhändig im Auto abholen, weil Michel nicht kommen wollte. Jedermann liebte das Buckelchen — bloss mit Lydia Keriël stichelte er sich überall herum, aber die vertrug sich mit keinem. Es sei denn, dass man ihr die Zähne zu zeigen verstand — und das konnte wiederum nur der eine einzige. Lieber Gott, behüte mich vor hysterischen Filmdiven!

    Isabel von Gynthenburg spürte, wie die Augen des Operateurs auf ihrer Schläfe brannten. Michel kannte die Bilder schon, war eine halbe Woche früher als die anderen heimgereist. Unter dem ruhig abweisenden Blick der Kleberin wurde der Bucklige unsicher, er drehte den Hals hin und her, als ob ihm der Kragen zu eng wäre. Nein — nein — — man soll keine Frauen ansehen, wenn man einen Buckel hat.

    In der Vorführerzelle schnarrte das Filmband aus der Maschine, und Köppke drehte das Licht an. Josef Dareen sah auf die Uhr. Teufel — schon drei vorüber! Morgen war Sonntag — will sagen: heute. Er faltete das dicke Manuskript, schob es in die Brusttasche. „Also, Fräulein Gynthenburg: Montag fangen Sie an, die Sache muss bis Mittwoch geschnitten sein. Dann seh’ ich mir’s wieder an."

    „Nummern weg?" fragte Isabel.

    „Ja. Sie haben ja alles schon prachtvoll ordentlich gemacht. Mir fällt noch ein — notieren Sie! Er zog das Manuskript abermals hervor und suchte in den Blättern: „Aha — Koll soll die Regenspritzer auf Lydia Keriëls Mantel, Szene 165, genau nach Aussenaufnahme 164 kopieren. Michel liefert ein Photo. Sagen Sie ihm: wenn’s nachher nicht stimmt, holt ihn der Teufel.

    Der junge Vorführer kam, den Arm voll Filmrollen, herein. Dareen zog sein Etui, bot es dem gähnenden Operateur an und schob auch Köppke eine Zigarette zwischen die Zähne. „Aber erst unten anstecken. Danke, danke, lieber Michel, gehen wir?"

    Unten trommelte der Bucklige den verschlafenen Portier heraus, der im Nachthemd, mit schlecht zugeknöpfter Hose, erschien. Seine Plattfüsse steckten in zerschlürften Filzpantoffeln. Er empfing brummend die Filmrollen und schloss das Tor auf. Sie mussten noch auf Dareen warten, der sein Auto aus der Garage holte.

    Michel gab dem Vorführer fünf Mark. „Ist von ‚ihm’ — und tat noch zwei Pfennige dazu: „— die sind von mir. Gut’ Nacht. Als Köppkes Schritte verklangen, sagte der Bucklige leise und stockend zu Isabel: „Verzeihen Sie, Fräulein — darf ich Ihnen etwas sagen? Sie haben nämlich ein gutes Filmgesicht. Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin beobachtete. Tamaroff meint es auch."

    So? Dmitri Tamaroff, der jugendliche Stern des Keriëlfilms, der sie immer so anstarrte? „Herrn Tamaroffs Meinung ist mir recht unmassgeblich", antwortete sie stillvergnügt.

    „Oh — das ist gut, liebes Fräulein! beeilte sich der Bucklige zu versichern. „Tamaroff hat gewiss einen sehr guten Blick — zugegeben —, aber man muss vor ihm warnen — — Er stockte unter dem Blick der Kleberin, bat stotternd um Entschuldigung und schwieg. Die „Warnung jedes anderen hätte Isabel sehr kühl abgelehnt — aber in die schweigende Angst dieser dunklen, gedemütigten Menschenaugen konnte sie nur freundlich und mitleidig hineinlächeln: „Beunruhigen Sie sich nicht, lieber Herr Grzgrez — Teufel, ich kriege Ihren Namen nicht heraus —

    Wie wohl es ihm tat, dies liebliche Gesicht. Sicher wusste sie, dass er sie liebte ... Dieser Dareen hatte keine Augen im Kopf! Aber wenn Michel den Regisseur aufmerksam gemacht hätte — dann wäre sie vielleicht — —

    Bald rollte Dareens blanker, starker Wagen die Einfahrt daher, die kleinen Lichter blinkten. Dareen steuerte selbst. Er grüsste nachlässig den Portier — konnte ihn nicht leiden, seit der Kerl einmal den Riesenmuff der ihm unbekannten Frau Dareen für diebesverdächtig gehalten hatte. Auf der Strasse drehte er den Wagen quer und hielt an.

    Draussen lag die kühle, reine Nacht. Ein paar Sterne flimmerten durch den sommerlichen Dunst des Himmels, an dem schon der ferne Tag heraufglomm. Isabel hatte keinen Mantel mit, sie fror in dem dünnen Kleid. Dareen zog seine Handschuhe an: „Einsteigen, Herrschaften!"

    „Lieber Meister, wehrte der Bucklige ab, „ich gehe zu Fuss nach Haus. Denn siehe, diese Nacht ist lau wie die Jugend unserer Diva.

    „Machen Sie keine schlechten Witze. Rein! Bitte einsteigen, Fräulein."

    Michel tanzte auf seinen dünnen Beinen, machte siebenundzwanzig Sprüche, lüftete endlich den Hut und ging mit einem spöttischen „Salaam! davon. Dareen sah ihm misstrauisch nach. Der Tag kam schon ... „So, meine Verehrte, wohin, bitte?

    Isabel wohnte in einer sehr östlichen Strasse. „Ich halte Sie aber viel zu lange auf. Sie sind müde, Herr Dareen."

    „Müde — Dareen! lachte er und tippte sich an die Stirn. „Haben Sie das schon einmal erlebt? Es war richtig, Dareen arbeitete schonungslos, aber er prahlte gern ein wenig mit seiner Widerstandsfähigkeit. „Aber wo sind Sie zu Hause? — Ach, verehrtes Fräulein, in der Gegend habe ich auch angefangen. Er beugte sich rückwärts und holte aus dem Innern des offenen Wagens eine Lederjacke heraus. „Das ist weit, ziehen Sie, bitte, an.

    Am Potsdamer Platz, den sie überqueren wollten, wurden sie eine knappe Viertelstunde angehalten, da der Platz von Arbeiterkolonnen überschwemmt war. Elektrische Lampen gleissten. Pechfunzeln flackerten. Es wurde wieder einmal gebuddelt, gehackt; der Asphalt wurde weggerissen und durch solide Pflastersteine ersetzt; der alte Verkehrsturm wurde abgebrochen, einige Meter zur Seite entstand ein neuer, doppelt so grosser. Der ganze Platz wurde im Viereck und über Kreuz untertunnelt — und oben in der Luft wurden quer vor jeder der vier Hauptstrassen riesige Signalanlagen aufgebaut und ausprobiert: sie zeigten fünf verschiedene Lichtzeichen, die einzeln, paarweis oder alle zusammen verschiedene Bedeutungen hatten. Darunter hingen schon über die ganze Strassenbreite ungeheure Schilder, welche Warnungen und Befehle ausschrien: „Fahren Sie vorsichtig! „Beeilen Sie sich! „Für Fussgänger sicherer Tod! „Höchstgeschwindigkeit 60 Kilometer!

    So wollte es die neue Ordnung des Verkehrs ...

    „Sie bemerken: Berlin ist noch nicht fertig", meinte Isabel mit einer munteren Geste.

    Dareen sah sie von der Seite an. Bei diesem mal schweigsamen, mal übermütigen Mädchen wusste man nie, was dahintersteckte. „Wohnen Sie schon lange in der Gegend?" fragte er vorsichtig.

    „Schon ziemlich lange, gab sie ausweichend zurück, und er merkte wohl, dass sie sich nicht ausfragen lassen wollte. Aber er hatte den Wunsch, ihr etwas Freundliches zu sagen. „Ich muss mich noch bedanken, Fräulein Gynthenburg. Kaum bin ich von der Reise zurück, da sind die Aufnahmen schon sauber geklebt. Sie haben sich kein einziges Mal vergriffen, und der Film ist auch nie gerissen. Also schönen Dank.

    „Es freut mich, wenn Sie mit mir zufrieden sind, Herr Dareen. Man hört es manchmal gerne. Das war ein: Merk’s! Denn Dareen lobte fast nie, hatte aber immerfort etwas auszusetzen. Fast keine Klebedame hatte es bei ihm ausgehalten, weil er so oft bis in die frühen Morgenstunden arbeiten liess — und sie war die erste, die ihm die schwierige Arbeit recht machte. Die anderen hatten sich immer geziert, einmal war sogar eine besorgte Mütterlichkeit zu ihm gekommen — es hatte sich aber unglücklicherweise herausgestellt, dass Dareen damals seit vierzehn Tagen von jener Klebedame keine Nachtarbeit gefordert hatte. Fräulein Gynthenburg hatte noch nie nach ihrer Mutter gewimmert, wenn es spät wurde. „Haben Sie Angehörige, die Sie unterstützen müssen? fragte er mit einem Blick über ihre ungeschützten Hände, die in der Morgenkühle froren.

    „Nein — Das klang etwas gedehnt, und Isabel errötete dabei. Er sah, dass sie nicht lügen konnte. Ein Verhältnis? Das hatte er bei ihr am wenigsten erwartet. Sie spürte seine Gedanken. „Ich bin verlobt, sagte sie kurz, mit einer kleinen Unentschlossenheit.

    Es wurde jetzt heller. Dareen entschuldigte sich: „Wurst wider Wurst. Haben Sie irgendwelche Wünsche, bei denen ich Ihnen behilflich sein könnte? Sie verneinte. „Was bekommen Sie eigentlich für ein Gehalt, Fräulein?

    „Ich hatte mit meiner Bemerkung vorhin nicht die Absicht, Sie für mein Einkommen zu interessieren."

    „Aber, liebes Fräulein! So meinte ich es auch nicht. — Aber wenn Sie es mir nicht sagen wollen, dann frag’ ich einfach beim Sekretariat an!"

    „Achtzig Mark", lachte sie, schnell gefangen.

    „Wöchentlich?"

    „O nein — im Monat natürlich."

    Er biss sich auf die Lippen. Und dafür bis vier Uhr nachts im Dienst ... „Das ist ja allerhand, zwang er beschämt heraus. „Sie sind aber sehr eifrig. Ich werde also mit der Personalabteilung sprechen, dass Sie zwanzig Mark Zulage bekommen, damit die Sache rund wird. Und in Gedanken notierte er sich: Nicht vergessen, Fräulein Gynthenburg zwanzig Mark Aufbesserung.

    „Das wird Herr Generaldirektor Keriël verbieten!" spottete Isabel. Er sah sie überrascht und belustigt an, aber sie zeigte schon mit der Hand auf ein entwaffnend hässliches Haus und bat ihn, zu halten.

    Die schmutzigen, verkommenen Mauern der Häuser schienen bis in die Wolken zu steigen. Jedes einzelne Haus ein anderer Stil — aber alle geeinigt durch die gleiche gemeine Erfindungslosigkeit der Architektur. „Hier wohnen Sie ...", sagte Dareen schaudernd und umfing ihre selbst in dem verwaschenen Sommerkleidchen zierliche Gestalt mit seinen Blicken. Es schien ihm heute ganz unwahrscheinlich, dass man hier leben konnte. Im Asphalt zeichnete sich versteinerter Pferdemist ab, und vor den fast überall verschlossenen Fenstern hing grobe Wäsche zum Trocknen. Die stickige Luft der Stuben dahinter glaubte man bis hierhin zu atmen.

    „Ein paar Strassen weiter habe ich als kleiner Kunstmaler gelebt —, flüsterte Dareen mit träumenden Gedanken, so dass sie ihn kaum verstand. „Ich war einer der ersten Expressionisten — darum habe ich eine Villa in Halensee, haha! Aber schliesslich ist mir die Sache zu dumm geworden, und ich sah, dass es eine Lüge war; denn alle konnten es.

    Isabel legte mit einem kühlen Dank die Lederjacke ins Auto zurück und ging ins Haus. Als Dareen zurückfuhr, überlegte er sich eine Weile, was wohl mit dieser kleinen Klebedame los sein könnte. Verlobt? Äh — wohl irgendein Jüngling von der Portokasse — — dann begann das ärmliche Lied: eine winzige Wohnung und Kindergeschrei aus jeder Ecke. Zu schade dafür? I was — es ist keine zu schade. Jeder liegt, wie er sich bettet — —

    Ja richtig — sie sollte zwanzig Mark mehr bekommen. Er hielt den Wagen an und schrieb sich’s auf. Ulkig und merkwürdig, diese Spöttelei über den Generaldirektor — es war also überall herum, dass Lydiens Bruder seine Polypennase in jede Kleinigkeit hineinsteckte. Ich mache noch Pleite mit Ihnen, Dareen — Pleite! — Aber die kleine Gynthenburg tat ihm leid mit dieser elenden Bezahlung.

    Dann kamen wichtigere Sachen in Dareens Kopf: das neue Manuskript, das W. I. B. Florian gebracht hatte — ein hahnebüchener Quatsch, alles ungelebt und erfunden, ganz „Geist des Films. Der junge Doktor und Hausdichter des Keriëlfilms hatte nämlich kürzlich eine so benannte Filmtheorie von sich getan, welche auf 180 kriegsstarken Seiten „Neue Wege der Filmkunst wies, dass es zum Bauchgrimmen war. Der Poet war aber sehr stolz auf sein Literatenstroh. Er war natürlich der Hauptbezieher seines Buches, welches im übrigen kein Mensch las oder gar kaufte — ausser Lydia Keriël, die den „Geist des Films" bei jeder Gelegenheit verschenkte, vermutlich weil darin eine zwar eigenartige, aber streng wissenschaftliche Verteidigung des Starsystems enthalten war ...

    Und wie immer, wenn er ihren Namen nur dachte, so sah er sie leibhaftig vor sich, sah ihren schnellen, wiegenden Gang. Ob seine gemarterte Vernunft zu jeder Stunde widerstrebte — sein Herz ward wehrlos zu ihr hingerissen. Ah — wenn sie eine Ahnung hätte, wie sehr ihn alles von ihr wegdrängte, wie seine Sinne dennoch zu ihr flatterten!

    Dareen strich sich über die schmerzende Schläfe, die schon ganz grau war. In Gedanken hatte er sich ein paar Strassen verfahren, auf einem Umweg kam er wieder zurecht. Verfahrene Situation — sagte er sich. Ja, so war es. Man müsste Schluss machen.

    Aber allein, wenn er ihre Bilder sah, so gingen Schauder über ihn. Denn mit diesem Körper dichtete er seine stummen Lieder, und in Lydiens Händen tönte die Leidenschaft, die er ihr anbefahl. Dass sie launenhaft war — was kümmerte es ihn? Er wurde schon mit ihr fertig.

    Aber dass das alles so freudlos war, vergiftet Liebe wie Hass — ob das auch sein musste? Man kann in Ehren ergrauen — und bleibt ein Schuljunge in diesen Dingen!

    Josef Dareen fror. Der Morgen warf ihm den frischen Wind ins Gesicht. Jetzt nach Hause? Leise über einen teppichknisternden Flur — an einer Tür vorbei, deren Schwelle er seines Wissens vor zirka drei Jahren zum letzten Mal überschritten hatte? Nee, meine liebe Charlotte — wenn wir bloss auf dich angewiesen wären — —! Vor ihren Zimmern pflegten nachts zwei zierliche Halbschuhe ziemlich sinnlos auf die — Morgenglanz verleihende — Bürste zu warten; denn dass Charlotte Dareen je schmutzige Schuhe angehabt hätte,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1