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Lord of War: Schwarzer Engel
Lord of War: Schwarzer Engel
Lord of War: Schwarzer Engel
eBook554 Seiten7 Stunden

Lord of War: Schwarzer Engel

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Über dieses E-Book

Im Kampf ist er allen überlegen

A.D. 1356 – Es sind kriegerische Zeiten in England, als der Schwarze Prinz sich seinen Weg durch Frankreich bahnt und dabei einen schmutzigen Krieg gegen die Bevölkerung führt. Der führende Kopf dieser brutalen Strategie ist jener Ritter, den sie den Schwarzen Engel nennen. Brandt de Russe, der gleichermaßen schlaue wie furchterregende Herzog von Exeter ist verantwortlich für die Kriegsmaschinerie des Prinzen und ein Koloss von einem Mann. Im Kampf ist ihm kein Mann gewachsen.

Lady Ellowyn de Nerra, Enkelin des Söldners Braxton de Nerra, wurde von ihrem verkrüppelten Vater nach London entsandt, um für ihn die Männer abzuholen, die er dem Schwarzen Prinzen für seine Kriege in Frankreich zur Verfügung gestellt hatte. Die Männer De Nerras befinden sich unter jenen des Herzogs von Exeter, daher geht Ellowyn zum Hafen, als der Herzog seine Armee ausschifft. Bei ihrem Versuch, sich Brandt vorzustellen und ihren Auftrag zu erläutern, erübrigt der Herzog nur wenig Zeit für die schöne junge Frau und verwechselt sie noch dazu mit einer Hure. Zutiefst beleidigt findet Ellowyn daraufhin nur drohende Worte für diesem Mann, den alle vernünftigen Männer fürchten.  

Und so beginnt die feurige, leidenschaftliche und innige Liebesgeschichte, die Familien, Könige und zwei Kontinente umspannt und ihren Höhepunkt in der Schlacht von Poitiers findet, bei der Brandt in der ersten Reihe kämpft. Im Kampf ist ihm zwar kein Mann gewachsen, doch selbst die mächtigsten Männer sind Gefangene ihrer Herzen.

Genre: FIKTION / Liebesroman / Allgemein

SpracheDeutsch
HerausgeberBadPress
Erscheinungsdatum7. Jan. 2021
ISBN9781071583203
Lord of War: Schwarzer Engel

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    Buchvorschau

    Lord of War - Kathryn Le Veque

    LORD OF WAR: SCHWARZER ENGEL

    Ein Mittelalter-Liebesroman

    Kathryn Le Veque

    Copyright 2013, 2014 Kathryn Le Veque

    Copyright der deutschsprachigen Ausgabe 2020 Kathry Le Veque

    Übersetzung aus dem Amerikanischen: A. Hirsch

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden, es sei denn es handelt sich um kurze Passagen und eine Werkbesprechung.

    Text-Copyright 2013, 2014, 2020 Kathryn Le Veque

    Umschlag-Copyright 2013, 2014, 2020 Kathryn Le Veque

    Der Stammbaum der Familie de Russe (Die Generationen A.D. 1313 bis 1457)

    Erbfolge der männlichen Linie (Mannesstamm) de Russe:

    Brandt geb. 1313 (Genannt der Schwarze Engel, geboren in Exeter, einziger Sohn von Aramis de Russe)

    Aramis geb. 1357 (Mutter eine de Nerra, die die Blutlinien des großen Söldners Braxton de Nerra in die De-Russe-Blutlinie einbrachte)

    Trenton geb. 1390

    Brandt geb. 1428 (Zweiter Sohn von Trenton, der jüngere Bruder ist Martin de Russe, Vater von Patrick und Nicolas – der älteste Bruder, der in The Dark One: Dark Knight nicht erwähnt wird, ist Erbe und Nachfolger des Herzogtums Exeter)

    Gaston* geb. 1457 (Sohn von Brandt, genannt The Dark One)

    Trenton geb. 1487

    ––––––––

    *  Der Ur-Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits war Braxton de Nerra, Söldnerkommandant.

    ENGLAND

    Im Traum greifen wir nach Ausschnitten der Realität, Vorahnungen von dem, was sich ereignen wird. In Träumen sind wir alle Hexen und erstreben einen Blick auf das, was die Zukunft bereithält.

    ~ Anonymer Dichter, circa 13. Jahrhundert

    KAPITEL EINS

    A.D.1356 im Januar

    London, England

    ––––––––

    Sie kannte den Traum. Sie stand am Rande einer Wiese und blickte auf ein riesiges Schloss in der Ferne, teilweise verdeckt durch den in Strömen peitschenden Regen. Trotz des Wetters wehten dünne Rauchfahnen über den beschädigten Zinnen.

    Über ihr hatte der Himmel die Farbe von Zinn und war mit dicken, bedrohlichen Wolken verhangen, wogegen auf der Erde der nicht nachlassende Regen, der seit Tagen, vielleicht Wochen fiel, es mochten auch Monate sein, das Feld überflutet hatte. So genau konnte man es nicht wissen. Es schien jedenfalls so, als regnete es bereits seit Ewigkeiten. 

    Eine große Schlacht war auf dem Feld geschlagen worden und es lagen überall Leichen herum, wie Treibholzstücke auf einem endlosen, schlammigen Meer. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie die Szene betrachtete, und ihre Atmung kam in kurzen, panischen Zügen. Irgendetwas gab es hier für sie, etwas, das sie so verzweifelt liebte, dass sie an nichts anderes denken konnte. Die Gefühle waren so stark, dass sie sie überwältigten, sie blind machten für ihre eigene Sicherheit, als sie in das Meer des Todes eintauchte, Ausschau haltend, etwas ihr noch nicht sicher Erscheinendes suchend, etwas, das sie in ihrem Herzen jedoch mehr als alles andere spürte.

    ... in ihrem Herzen....

    In Angstschweiß gebadet erwachte sie.

    ***

    London, A.D.1356

    Unter der Herrschaft Edwards III.

    Es roch nach Tod.

    Schlachtrösser, die große, blutbefleckte Ritter trugen, klipp-klapperten müde die Straße hinunter, die von dem großen Kai aus entlang der Themse führte, gefolgt von genauso müden Waffenknechten, die wohl schon zu viele Schlachten erlebt hatten. Sie waren erschöpft, geschlagen, blutbefleckt und zu jener Schwermütigkeit verurteilt, die oftmals jene befiel, die viele Konflikte miterlebt hatten.

    Zusammen verströmten sie einen Gestank, der nach Tod roch. Lady Ellowyn de Nerra ignorierte den Gestank so weit wie möglich, als sie der großen Armee des Duke of Exeter dabei zusah, wie sie von Bord ihrer von der See ramponierten Koggen gingen. In Reih und Glied kamen sie von den Kais entlang der Themse hoch, eine große wogende Flut der Menschheit, welche die Realität und das Gemetzel des Krieges des Schwarzen Prinzen nach England brachte.

    Ellowyn beobachtete die geknechtete Armee aber nicht, weil sie neugierig war. Sie suchte jemanden. Den großen Herzog, der achthundert Untertanen ihres Vaters unter sein Kommando genommen hatte. Sie hatte den Mann, dessen kriegerisches Können legendär war, zwar noch nie in der Realität zu Gesicht bekommen, aber sie hatte viel über ihn gehört, von ihrem Vater wie auch von anderen. Er war ein Krieger, dessen Name sowohl den Engländern als auch den Franzosen Angst einflößte, ein Name, der so ehrfurchtgebietend war, dass es war, als würde man den Teufel selbst erwähnen, wenn man ihn auch nur flüsterte. Männer nahmen den Namen Brandt De Russe nicht leichtfertig in den Mund. Die Franzosen hatten sogar eine Bezeichnung für ihn; L’ange noir flüsterten sie ängstlich. Der Schwarze Engel. Der mächtigste Ritter im Arsenal des Schwarzen Prinzen, der Schwarze Engel brachte die Apokalypse mit, wohin er auch ging.

    Die Armee des Herzogs wirbelte Staubwolken in der ohnehin schmutzigen Stadt London auf. Sie waren zu den Übungsplätzen unterwegs, die ungefähr eine Meile westlich des Tower of London lagen, jenem kolossalen Gebilde, das sich von der Stelle, an der Ellowyn stand, nach Osten ausdehnte. Sie konnte gerade noch die schwarzen Turmspitzen des White Tower sehen, wie sie in den Himmel ragten. Jedoch galt ihre Aufmerksamkeit der Armee, als sie vorbei rumpelte, und sie wandte sich zu der Eskorte Soldaten um, die sie vom Sitz ihres Vaters in Erith Castle mitgebracht hatte. Diese Männer waren zurückgeblieben, während andere mit dem Schwarzen Prinzen in den Kampf gezogen waren, kannten De Russe jedoch vom Sehen.

    »Siehst du ihn schon?«, fragte Ellowyn den Soldaten, der rechts neben ihr stand.

    Der Mann, kampfgestählt und auf einem Auge blind, schüttelte den Kopf, während sein eines, gutes Auge die heimkehrenden Truppen überflog. »Noch nicht, Mylady«, erwiderte er, »aber lasst Euch nicht täuschen. Ihr werdet De Russe erkennen, wenn Ihr ihn seht.«

    Ellowyn sah ihn eigenartig an. »Wie kann das sein, wenn ich den Mann doch noch nie getroffen habe?«

    Der Soldat ließ die Augenbrauen spielen. »Weil er der größte lebende Mann ist und er eine Rüstung trägt, aus deren Schultern riesige Stacheln wachsen. Manche sagen, er trinkt das Blut seiner Opfer und hängt sich ihre Eingeweide über die Schultern. Deshalb nennen sie ihn den Lord of War. In der Schlacht hat der Mann keinen, der seinesgleichen ist.«

    Ellowyn dachte einen Moment lang darüber nach, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Männern, die an ihr vorbei schlurften. Es waren so viele und sie wurde langsam ungeduldig.

    »Also«, seufzte sie, »ich wünschte, der Mann würde sich beeilen. Wir müssen bald nach Hause zurück, sonst schleppt Vater sich aus seinem Krankenbett wie Lazarus, der von den Toten aufersteht, und stöbert uns auf.«

    Der alte blinde Sergeant unterdrückte ein Lächeln. »Euer Vater ist ein entschlossener Mann, Mylady«, sagte er und dachte sich dabei, das Deston de Nerras eigensinnige Tochter noch viel entschlossener war, als ihr Vater es jemals gewesen ist. »Aber ich bezweifle, dass er ... Heiliger Jesus und Maria, da ist er. Seht Ihr ihn, Mylady?«

    Der aufgeregte Tonfall des Sergeanten ließ Ellowyn den Kopf in alle Richtungen strecken, um einen Blick zu erhaschen, obwohl sie sich nicht vollkommen sicher war, von wem genau sie versuchte einen Blick zu erhaschen.

    »Wen?«, wollte sie wissen. »Ist es De Russe?«

    Der Sergeant nahm sie bei der Schulter und drehte sie sanft in Richtung des Kais, wo die ruhigen Wasser flossen und die Boote auf und ab schaukelten wie Korken. Er zeigte auf das Ufer des Flusses in der Ferne.

    »Dort«, sagte er, mit ein wenig Genugtuung in der Stimme. »Er steht an der Schiffskante und hat ein großes schwarzes Streitross hinter sich. Seht Ihr ihn jetzt?«

    Das tat Ellowyn. Sogar aus der Ferne konnte sie einen enorm großen Mann in schwerem Harnisch erkennen, Plattenpanzer vermischt mit Kettenrüstung. Der Mann stand am Eingang der Landungsbrücke, als der letzte Soldat von Bord der Kogge ging, und sie fing an, in seine Richtung zu gehen.

    Das Kontingent der Eskorte-Soldaten setzte sich in Bewegung, um ihr zu folgen, doch die Tatsache, dass Ellowyn eine kleine Frau war und viel leichter zwischen den Menschen durchschlüpfen konnte, als ein Trupp gut bewaffneter Männer, erschwerte ihr Vorhaben. Dem Sergeant fiel es nicht leicht, die zarte kleine Frau mit der appetitlich kurvigen Figur im Auge zu behalten, dieses Wunder einer Frau, das Verehrer aus allen Ecken des Königreichs kommen ließ, weil sie einen kurzen Blick auf ihre Herrlichkeit erhaschen wollten. Mit ihrem rotblonden Haar, das ihr bis zum Gesäß reichte, und ihren mandelförmigen grünen Augen war sie eine überirdische Schönheit. Aber sie war auch stur, rechthaberisch, intelligent und handelte entschlossen, was in dieser Kombination selbst den standhaftesten Bewunderer zweifeln ließ.

    »Mylady?«, rief der Sergeant ihr zu, als sie in der Menge unterzugehen schien. »Ihr müsst auf uns warten, Mylady!«

    Ellowyn hörte seine Worte, aber sie ignorierte sie. Sie näherte sich den Schiffen und beschloss, mit De Russe zu reden, wie ihr Vater es ihr aufgetragen hatte. Sie hatte eine Botschaft zu überbringen und war fest entschlossen, den Auftrag zu erledigen, damit sie zu den kühlen grünen Wiesen Cumbrias zurückkehren konnte. Sie war wochenlang unterwegs gewesen und sehnte sich nach ihrem Zuhause.

    Sie wand sich durch die Menge, die entlang des übelriechenden Kais stand, wich Soldaten und Wagen aus, die gerade abgeladen wurden, bis sie endlich das Ufer erreichte. Da sie ziemlich kleingewachsen war, musste sie sich auf einen der zahlreichen geteerten Pfähle stellen, die tief in das Ufer versenkt worden waren, Holzstämme, an denen die großen Schiffe ankerten, damit sie nicht zurück in den Fluss hinausdrifteten.

    Über die Köpfe der anderen hinweg konnte sie einen enorm großen Krieger sehen, der dort mit seinem ebenso enormen Schlachtross stand und noch vereinzelt übriggebliebenen Männern dabei zusah, wie sie das Schiff verließen. Sie sprang vom Ankerpfahl, als ihre Eskorte sich gerade damit abmühte, sie einzuholen, und eilte zu dem Ritter mit der abgetragenen Rüstung.

    »Mylord?«, rief sie und hob ihre schweren Röcke, um sie nicht durch eine Pfütze Pferde-Urin zu schleifen. »Mylord, seid Ihr De Russe?«

    Der Krieger unterhielt sich mit einem anderen Mann in abgewetzter und verbeulter Rüstung. Er hörte, wie Ellowyn sich näherte, und drehte sich um, um sie anzusehen. Er trug keinen Helm, sein kurzgeschnittenes Haar war so schwarz wie die Nacht und sein kantiges Kinn und seine gemeißelten Züge waren von dauerhaft markanter Schönheit. Das Auffälligste jedoch waren seinen Augen. Rauchfarben und stechend unter einer intelligent gewölbten Stirn. Sein Blick blieb kurz an Ellowyn hängen, bevor er, ohne ihr zu antworten, sich wieder dem bereits stattfindenden Gespräch zuwandte.

    Der Mann hatte sie vollkommen ignoriert. Ellowyn, die sich beherrschen musste, um nicht wütend zu werden, stellte sich neben ihn und versuchte es noch einmal.

    »Mylord?«, sagte sie höflich. »Seid Ihr der Herzog?«

    Der Mann tat so, als hätte er sie nicht gehört. Er redete weiter mit dem Ritter neben ihm. Ellowyn, die nun begriff, dass er sie absichtlich ignorierte, riss der Geduldsfaden.

    »Mylord De Russe?«. Sie klang nun nicht mehr so höflich. »Wenn Ihr freundlicherweise mit mir reden würdet, wäre ich Euch dankbar.«

    Der Ritter tat nichts weiter, als ihr bewusst den Rücken zuzuwenden. Nun starrte Ellowyn auf das Hinterteil des größten Mannes, den sie je gesehen hatte. Sie war vielleicht etwas über einen Meter fünfzig groß, der Ritter mit dem Rücken zu ihr war gut dreimal so breit wie sie und mehr als einen Fuß größer. Als sie neben ihm stand, reichte sie mit dem Kopf bestenfalls bis zu seinem Brustbein, und die Fäuste, die an seinen Hüften ruhten, waren vom Umfang her fast so groß wie ihr Kopf. Sie nahm sich einen Augenblick Zeit, um den Mann zu begutachten, doch seine riesige Größe trug nicht dazu bei, die in ihr aufkommende Verärgerung zu unterbinden.

    »Mylord«, sagte sie barsch und streckte die Hand aus, um ihm auf seinen ringgepanzerten Arm zu klopfen. »Ich benötige Eure Aufmerksamkeit.«

    Er reagierte nicht. Er konzentrierte sich weiterhin auf den Mann neben ihm. Wütend ging Ellowyn um ihn herum und drängte sich zwischen die beiden Männer. Ihr zorniges Gesicht war seinen dunklen Augen zugewandt.

    »Ihr werdet mich nicht ignorieren«, befahl sie ihm. »Ich komme im Auftrag von ...«

    Der riesige Ritter schnitt ihr das Wort ab. »Hinweg mit dir, Frauenzimmer«, knurrte er. »Du bist zwar ein recht netter Anblick, aber ich habe keine Verwendung für dich.«

    Ellowyn blieb vor Entrüstung der Mund offenstehen. »Ihr werdet mit mir nicht sprechen, als wäre ich ein leichtes Mädchen!«, schoss sie zurück. »Ich habe Geschäftliches mit Euch zu regeln.«

    Der Ritter tat nichts weiter, als die Hand auszustrecken und sie wegzustoßen. Er hatte eigentlich nur vorgehabt, sie zur Seite zu schieben, aber durch seine Stärke und ihre winzige Größe stieß er sie stattdessen so, dass sie auf den Arsch fiel.

    Ellowyn landete in der Urinpfütze, die sie sich so bemüht hatte zu umgehen, und schoss hoch, schlammverschmiert und schmutzig, um sich noch entschlossener als zuvor zwischen die beiden Männer zu zwängen. Als der Ritter sie nicht ansah, hämmerte sie mit der Faust an seinen verbeulten Brustharnisch.

    »Fasst mich noch einmal an und Ihr werdet es büßen«, zischte sie. »Ich heiße Ellowyn de Nerra und Ihr habt achthundert Männer meines Vaters unter Eurem Befehl. Mein Vater hat mich mit einer Botschaft zu Euch entsandt.«

    So bekam sie seine Aufmerksamkeit. Der Krieger schaute sie an, vielleicht etwas genauer dieses Mal, obwohl sein versteinerter Gesichtsausdruck kein Anzeichen dafür gab. 

    »Ihr seid de Nerras Tochter?«, fragte er.

    Ellowyn war so verärgert, dass sie zitterte. »Das bin ich.« Sie kochte. »Und wenn ich meinem Vater erzähle, mit welcher Respektlosigkeit Ihr mich behandelt habt, wird er alle Verbindungen zu Euch abbrechen. Davon bin ich überzeugt.«

    Der Krieger konnte erkennen, wie wütend sie war. »Lady Ellowyn, hättet Ihr mir gleich gesagt, wer Ihr seid, ich hätte keinen Grund gehabt, Euch wegzustoßen«, sagte er mit tiefer, grollender Stimme. »Ihr habt Euch nicht zu erkennen gegeben.«

    »Und so behandelt Ihr jede Frau, die sich nicht zu erkennen gibt? Seid ihr so vornehm und glorreich, dass Ihr Euch Herz und Kopf über den Rest der Welt erhaben fühlt?«

    Er wehrte sich nicht gegen ihre Wut, obwohl er zugeben musste, dass es lange her war, dass er sich einer solchen Rage gegenübergesehen hatte. Niemand wagte es, ihm irgendwelche Gefühle außer blinden Gehorsam zu zeigen. Doch diese kleine und ziemlich schöne Frau war anders. Sie hatte viel Mut. Ihr Zorn drohte ein Lächeln auf seine gelassenen Lippen zu zaubern, obwohl er dagegen ankämpfte.

    »Ich dachte, Ihr wärt eine Hure«, sagte er freiheraus. »Welche Nachricht hat Euer Vater für mich?«

    Wenn sie vorhin empört gewesen war, so ließ seine unverblümte Antwort sie nun vor Wut kochen. Ihre sanft geschwungenen Augenbrauen schossen nach oben.

    »Sehe ich denn aus wie eine Hure?«, sagte sie, fast schreiend.

    Er verspürte abermals den ungewöhnlichen Drang zu lächeln. »Nein, Mylady, das tut Ihr nicht.« Er dachte sich, vielleicht sollte er lieber einen Versuch machen, sie zu beruhigen, bevor sie in alle Richtungen explodierte. »Wie ich schon sagte, Ihr habt Euch nicht zu erkennen gegeben und ...«

    Sie winkte scharf ab. »Beißt Euch auf die Zunge«, bellte sie. »Hört mir zu und hört mir gut zu. Mein Vater will alle seine Männer ausgeruht und sofort bereit für die Rückkehr nach Erith Castle sehen. Er erwartet auch einen genauen Bericht darüber, wie viele Männer er verloren hat und eine Prognose, wann er mit einer monetären oder personellen Entschädigung für diese Verluste rechnen kann. Ich wohne im Grey’s Inn in der Holborn Road, und Ihr werdet alle Männer meines Vaters morgen bei Dämmerung bei mir abliefern lassen. Wenn Ihr es aufschiebt, werde ich heimkehren und ihm von Eurer völligen Respektlosigkeit ihm und seinen Anweisungen gegenüber erzählen. Ist das irgendwie unverständlich?«

    Seit Jahren war er nicht mehr eingeschüchtert worden oder ängstlich gewesen, doch als er in dieses schöne, errötete Gesicht schaute, wurde ihm klar, dass er nicht nur eingeschüchtert war, sondern auch reuig. Das war er tatsächlich. Schockiert und ein wenig über sich selbst amüsiert, nickte er lediglich mit dem Kopf.

    »Ist es nicht, Mylady.«

    »Habt Ihr mir noch irgendetwas Verleumderisches oder Beleidigendes zu sagen?«

    »Nein, Mylady.«

    »Dann wünsche ich Euch noch einen schönen Tag.«

    Sprach es, drehte sich um und eilte davon, Soldaten und Lastentieren ausweichend, die ihr entgegenkamen. Der Krieger stand einfach nur da und sah zu, wie sie davonstürmte, bis sie wieder umgeben war von den Männern ihrer Eskorte, die während des Wortgefechts lediglich schockiert danebengestanden und zugesehen hatten, wie ihre Herrin einen Mann wütend anfuhr, der dreimal so groß war wie sie. 

    Mehr als das, hatte sie doch Brandt de Russe, den mordsgefährlichen und legendären Herzog von Exeter, angeherrscht. Niemand aus der jüngeren Vergangenheit hatte etwas Derartiges gewagt und war ungeschoren davongekommen. Brandt hob die Hand und kratzte sich am Kopf, als hätte ihn der ganze Vorfall verwirrt.

    »Das war De Nerras Tochter?«, wandte er sich an den Ritter, der neben ihm stand. »Ich wusste nicht mal, dass er eine hatte.«

    Sir Dylan de Lara zog seine dunklen Augenbrauen hoch und konnte einen flüchtigen Blick auf die gut gekleidete Frau werfen, als sie die Allee hinunter verschwand.

    »Das hat er in der Tat«, erwiderte er. »Sein Sohn und Erbe ist vor einiger Zeit den Benediktinern beigetreten. Sehr schade, was ich so gehört habe. Der Mann hatte das Zeug zu einem großen Ritter. Aber er lebt in einem Kloster irgendwo in Lincolnshire, während das einzige Kind, das Nerra sonst noch hat, jene Lady ist, die du gerade kennengelernt hast.«

    Brandt verdaute diese Informationen. »Mit diesem Mut würde sie einen guten Ritter abgeben«, murmelte er und kratzte sich am Hals, weil sein Kettenhemd ihn ziemlich juckte. »Ich glaube fast, ich wurde soeben bedroht.«

    »Dem pflichte ich bei.«

    »Dann sollte ich vermutlich tun, was mir aufgetragen wurde, und dafür sorgen, dass die fünfhundertzweiundsechzig Mann ihres Vaters bei Sonnenaufgang vor dem Grey’s Inn auf sie warten.«

    »Das wäre vielleicht klug.«

    Er hörte auf, sich am Kopf zu kratzen, und zog gereizt an seinem Kettenhemd. »Vielleicht sollte ich sie heute Abend schon zum Gasthaus bringen, dann wäre die Sache erledigt. Dann soll sie sich um die Unterbringung und Versorgung von knapp sechshundert erschöpften Männern kümmern.«

    »Ich bin mir nicht vollkommen sicher, ob das den Männern gegenüber fair wäre.«

    De Russe war am Ende seines Beitrags zur Diskussion angekommen. Er stieg auf sein riesiges vernarbtes und muskulöses Schlachtross und gab dem Tier die Sporen, damit es die Allee hochrannte, auf der die Horden von Männern marschiert waren. 

    De Lara sah ihm nach und dachte, dass er ihm vielleicht folgen sollte. Immerhin war er der Stellvertreter dieses Mannes und somit in einer Position, die wenige Männer innehaben konnten, einfach weil De Russe nicht jedem gestattete, egal ob Mann oder Frau, ihm nahezukommen. Er kannte Dylan und Alex, seinen Zwilling, seit ein paar Jahren und sie hatten alle die gleiche grüblerische, ernste und mutige Persönlichkeit. Somit konnten sie einander tolerieren. Das genügte für eine dauerhafte Bindung.  

    Dylan stieg auf seinen großen braunen Hengst und gab dem nervösen Pferd die Sporen auf seinem Weg herunter von der Kogge, dann folgte er der Spur De Russes hinein in das Herz Londons.

    KAPITEL ZWEI

    Das Grey’s Inn war ein beliebtes Lokal am nördlichen Stadtrand Londons, ein gut besuchter Betrieb mit einem sehr großen Hauptraum und einer ordentlichen Auslastung. Nun, nachdem die Sonne untergegangen war, drängte sich darin der Pöbel der Stadt auf der nächtlichen Suche nach einem bequemen Dach über dem Kopf.

    Ellowyn saß vor dem großen Fenster bei der Eingangstür. Ihre Eskorte saß an umliegenden Tischen, denn sie ließ sie nicht bei sich sitzen. Sie wollte allein dort sitzen und ihre Mahlzeit ungestört genießen. Aus dem gekochten Rindfleisch mit Steckrüben und Möhren, das man ihr vorgesetzt hatte, machte sie sich ein richtig schönes Festmahl.

    Eingehüllt, um sich vor der kühlen Luft zu schützen, die zwischen den Lamellen der Fenster hereinzog, wurde sie unwillentlich trotz ihres Wunsches, allein zu bleiben, in ein Gespräch verwickelt. Der Anführer ihrer Eskorte, der am Nebentisch saß, hatte vor seinen Kollegen etwas über De Russe erwähnt, einen Kommentar abgegeben, der Ellowyn entfacht hatte. Nun musste der Soldat eine Frau beruhigen, die ziemlich schnell in Rage geriet. Er hatte eine seiner Meinung nach recht harmlose Bemerkung gemacht, und sie war sofort entbrannt.

    »Nein«, schnauzte Ellowyn ihn an. »Du kapierst es nicht. Mir ist der Mann oder sein Ruf egal. Was er getan hat ... war unverzeihlich.« 

    »Das soll ja keine Entschuldigung für ihn sein, Mylady«, betonte er gelassen. »Aber fairerweise muss man sagen, dass De Russe ein reicher und mächtiger Mann ist. Ich bin mir sicher, dass ihn die Frauen in Dutzenden ansprechen. Er hat Euch einfach für eine aus dem Pöbel gehalten.«

    Ellowyn machte ein Gesicht, mit verzogenen Lippen und gerümpfter Nase, eines, das ihr Vater die „Saure-Gurken-Schnute" nannte. Sie tat das seit ihrer frühen Kindheit und es war ein Mienenspiel, dem sie nie entwachsen war. Es war ulkig und animiert und es zeigte an, dass ihr etwas äußerst missfiel.

    »Das ist eine beleidigende Annahme«, sagte sie kategorisch. »Du deutest an, dass ich aussehe wie eine ... wie ein leichtes Mädchen.«

    »Tue ich nicht, Mylady.«

    Sie drehte ihm den Rücken zu, ostentativ. »Ich rede nicht mehr mit dir«, sagte sie naserümpfend und wandte sich wieder ihrem Essen zu. »Du verteidigst De Russe.«

    Der alte Soldat versuchte, nicht zu lächeln, denn Lady Ellowyn war so temperamentvoll und resolut, dass es schon wieder komisch war.

    »Tue ich nicht, Mylady«, sagte er ruhig und warf einen Blick zu seinen grinsenden Kameraden. »Ich habe nur versucht, Euren Zorn zu besänftigen.«

    »Du hast ihn überhaupt nicht besänftigt«, sagte sie, noch immer von ihm abgewandt. »Du hast ihn nur noch verschlimmert. Jetzt zwingst du mich, mit dir zu reden, wo ich mir doch geschworen habe, es nicht zu tun. Geh weg und lass mich in Ruhe.«

    Der alte Soldat erhob sich vom Tisch und biss sich auf die Lippe, um nicht grinsen zu müssen. »Wir werden nicht weit weg sein, falls Ihr uns braucht, Mylady.«

    »Geh weit weg«, sagte sie naserümpfend. »Geh und schlaf in den Stallungen. Ich will dich bis zum Morgen nicht mehr sehen. Siehst du jetzt, wozu du mich gezwungen hast? Ich rede schon wieder mit dir, obwohl ich mir geschworen habe, es nicht zu tun. Entferne dich von mir – sofort

    Sie knurrte und schlug wütend auf den Tisch. Der alte Soldat und seine drei Kameraden entfernten sich aus ihrem Umkreis, damit sie nicht sehen konnte, wie sie alle über sie lachten. Sie schlängelten sich zwischen den Tischen und Menschen des mit lauten Männern überfüllten, rauchverhangenen Raumes hindurch. Allzu weit würden sie sich nicht entfernen, denn sie würden ihre Herrin nicht ohne Schutz zurücklassen. Doch bei der Stimmung, in der sie sich an diesem Abend befand, hatte der alte Soldat wahrlich Mitleid, und zwar mit jedem Mann, der sie vielleicht belästigen wollte, weil dem danach nämlich ein Auge fehlen würde.

    Sie hingen also bei der Treppe herum, die in den zweiten Stock des Gasthauses führte und ein wackeliger Bretterhaufen war, der einer Reparatur bedurfte. Die De-Nerra-Eskorte versuchte, sich vor ihr zu verstecken. Sie entdeckte sie jedoch nach wenigen Minuten, wie sie dort in der Dunkelheit herumhingen, und ihre Augen wurden groß vor Empörung. Sie zeigte mit dem Messer auf sie, das sie für ihr Brot verwendete; stumme Worte der Drohung. Also duckten sie sich allesamt weg und verließen den Betrieb. Sie hatten vor, zur Vorderseite zu wechseln, um sie von der Straße aus beobachten zu können.

    Ellowyn sah zu, wie ihre Eskorte in den hinteren Teil des Gasthauses verschwand, und war zufrieden, dass man sie endlich in Ruhe ließ. Allzu viel Zeit hatte sie schon mit ihnen verbracht, und sie gingen ihr auf die Nerven. Wie Hunde folgten sie ihr bereitwillig überall hin, aber sie wollte das ganz und gar nicht. Zumindest nicht an diesem Abend. An diesem Abend wollte sie einfach alleine gelassen werden, um essen und sich ausruhen zu können, ehe sie morgen gemeinsam ihre Heimreise antreten würden.

    Doch die Einsamkeit war ihr nicht vergönnt. Kaum hatte ihre Eskorte den lauten Betrieb geräumt, und schon tauchte ein unliebsamer Gast auf. Ellowyn roch ihn, noch bevor sie ihn sah, der Geruch von Blut und Schweiß wie Nebelschwaden, die sie umhüllten.

    »Meine holde und liebreizende Dame«, sagte ein Mann in abgetragenem Kettenpanzer, der sich ihr gegenüber auf den Stuhl plumpsen ließ. »Wenn ich mir die Frage gestatten darf, reist Ihr alleine?«

    Ellowyn runzelte die Stirn und schob sich vom Tisch zurück, um den Mann zu mustern. Er war Ritter, nicht gerade jung, hatte einen stümperhaften Haarschnitt und einen zottigen Bart. Er war unattraktiv und ziemlich groß. Sie versuchte, ihre Verärgerung nicht zu Angst werden zu lassen.

    »Ich habe Euch nicht um Eure Gesellschaft gebeten, Sir«, sagte sie. »Wenn Ihr mich bitte allein lassen würdet. Ich wäre Euch dankbar.«

    Der Mann lächelte nur und zeigte dabei grünlich verfärbte Zähne. »Ihr solltet nicht alleine sein«, sagte er. »Ihr seid viel zu schön. Man kann nie wissen, was für ein Pöbel versuchen könnte, Euch zu belästigen. Ihr benötigt Schutz.«

    »Ich habe Schutz«, sagte sie und wedelte in einer abweisenden Geste mit dem Messer, das sie in der Hand hielt. »Hinfort mit Euch, bevor meine Garde zurückkehrt und Ihr ernste Schwierigkeiten bekommt!«

    Der Mann lachte. »Eure Eskorte ist nach draußen gegangen.« Lässig deutete er zur Rückseite der Herberge. »Ich habe sie selbst gesehen. ... Ich habe dich beobachtet, Schätzchen. Du bist eine Prachtfrau.«

    Er tippte sich an den Schädel, als wäre er sehr schlau, und Ellowyn fing langsam an, sich Sorgen zu machen. Sie konnte seine widerlichen Absichten erahnen und versuchte, einen Ausweg aus der Situation zu finden, der nicht mit ihrem Hilfeschrei enden würde. Es tat ihr zusehend leid, dass sie ihre Eskorte fortgeschickt hatte. 

    »Ich spreche nicht von meiner Eskorte«, versuchte sie zu bluffen. »Sie sind nicht der einzige Schutz, den ich habe, und Ihr tätet gut daran, sofort zu gehen.«

    »Ist das so?« Der Ritter schien interessiert. »Wo ist dann der Rest deiner Beschützer?«

    Das solltest du jetzt lieber gut hinkriegen, sagte sie sich. Ihr Bluff wurde immer kühner. »Mein Ehemann sollte jeden Augenblick hier erscheinen«, sagte sie. Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam. »Gehst du sofort, werde ich ihm nicht erzählen, dass du mich ernsthaft belästigt hast. Bleibst du auch nur einen Moment länger, werde ich dafür sorgen, dass er dich bestraft.« 

    Der Ritter lachte abermals, griff dreist nach ihrem Weinbecher und nahm einen großen Schluck daraus. »Wenn du tatsächlich verheiratet bist, dann ist dein Ehemann ein Narr. Weil er dich hier alleine lässt. Er hat dich nicht verdient.«

    Ellowyn tat das Einzige, was sie tun konnte. Sie stand auf und entfernte sich vom Tisch. Der Ritter sprang auf und packte sie am Arm, woraufhin sie das Messer nahm, dass sie den Großteil des Abends in der Hand gehalten hatte, und ihm damit in die Hand stach. Es war ein reiner Reflex gewesen, ausgelöst und erfüllt von Angst und Wut. So wie sie es sah, verteidigte sie sich gegen einen Angriff. Und sie hatte keine Bedenken, eine Waffe zu gebrauchen. Soll heißen, so lange, bis sie den Ausdruck im Gesicht des Ritters sah. 

    Langsam dämmerte es ihr, dass es eine sehr, sehr schlechte Idee gewesen war, auf ihn einzustechen.

    KAPITEL DREI

    »Ich habe keine besonderen Wünsche bezüglich des Ortes, an dem du sie unterbringst.« De Russe stieg von seinem großen Streitross, setzte seinen Helm ab und legte ihn auf seinen Sattel. Er war müde, und seine Müdigkeit äußerte sich in ungehaltenem Benehmen. »Lass sie von mir aus auf der Straße schlafen. Das sind De Nerras Männer und nicht mehr mein Problem. Soll sich seine Tochter um sie kümmern.«

    Dylan de Lara hob im Gegenzug listig eine Augenbraue, während er zur Eingangstür des Grey’s Inn ging. »Ich dachte, wir hätten entschieden, dass das den Männern gegenüber nicht fair wäre.«

    »Ich habe es mir anders überlegt.«

    Dylan zuckte nur mit den Schultern. Am Eingang des Gasthauses standen dicht gedrängt diejenigen, die auf Platz zum Einlass warteten, doch sie gingen auseinander, als De Russe sich näherte. Selbst wenn sie nicht wussten, wer De Russe war, spielte es keine Rolle, denn es gab in England keinen Mann, der so groß war und auf ein solches Temperament schließen ließ wie De Russe. In zwei Worten ausgedrückt: Er konnte einem das Gefühl geben, die leibhaftige Hölle näherte sich. In zwei Worten ausgedrückt: Er konnte jedem in Hörweite gehörig Angst einjagen. 

    Die meisten Menschen im mehr oder weniger näheren Umkreis von Grey’s Inn hatten hören können, wie er De Lara mit seinem dunklen Bariton, der die Luft wie ein Donnergrollen durchfuhr, angeschnauzt hatte. Brandt fummelte an seinen schweren Kettenhandschuhen herum, als er die Tür zum Gasthaus erreichte und sie mit einem gepanzerten Ellenbogen aufstieß. Er suchte eine bestimmte junge Frau, denn er war fest entschlossen, fünfhundertzweiundsechzig ausgelaugte und müde Männer auf ihrer Schwelle zu deponieren. Er wollte sich nicht mehr um sie scheren, und mehr noch, er wollte sich nicht mehr um sie scheren. Rückblickend hatte ihm nicht gefallen, wie sie ihn vorhin herumkommandiert hatte. Sie hatte ihn beleidigt, und er wollte die ganze schmutzige Angelegenheit hinter sich lassen.

    Die warme, abgestandene Luft traf ihn beim Betreten des Gasthauses wie ein Schlag ins Gesicht. Es roch nach verbranntem Fleisch und ungewaschenen Körpern. Von seinem Standplatz aus hatte er den perfekten Überblick über den gesamten Raum, und seine Adleraugen überflogen den Bereich auf der Suche nach dem Kneipenwirt oder der betreffenden Frau. 

    Es war ein volles Lokal und schlecht beleuchtet. Er hatte keine fünf Schritte in das Gasthaus gesetzt, als jemand ihn am Handgelenk packte. Mit einer so abweisenden Miene, wie sie nur Brandt de Russe aufsetzen konnte, sah er nach links und stellte überrascht fest, dass just jene Frau, die er suchte, sich an seinen Arm klammerte. Es war Ellowyn de Nerra höchstpersönlich, und für einen Bruchteil einer Sekunde gestattete Brandt sich, den Anblick einer wahrhaft schönen Frau zu genießen. Er konnte einfach nicht anders, denn es wurde ihm klar, dass sie bei der zweiten Begegnung noch schöner war. Doch seine momentane Bewunderung verschwand und Ellowyn fing an zu sprechen, bevor er den Mund aufmachen konnte. 

    »Liebling, ich bin so froh, dass du da bist«, sagte sie. Durch zusammengepresste Zähne hindurch, da war er sich sicher. »Dieser ... dieser Ritter hat mich belästigt und will mich nicht in Ruhe lassen. Vielleicht genügt deine Anwesenheit, damit er’s mit der Angst zu tun kriegt und endlich abhaut.«

    Sie sagte es ziemlich theatralisch, und einen Augenblick lang war Brandt sowohl verwirrt als auch überwältigt. Doch dann riss er seinen fragenden Blick los von den ein wenig verzweifelten Zügen der Dame und bemerkte einen schwer gepanzerten Mann, der ein paar Fuß entfernt von ihnen stand und eine blutige Hand hatte. Der Ritter zeigte vorwurfsvoll mit dem Finger auf Ellowyn.

    »Ist das Eure Frau?«, wollte er wissen. »Sie hat mich gestochen, die kleine Kuh. Sie hat mich verletzt.«

    »Ich habe Euch gesagt, Ihr sollt verschwinden«, feuerte Ellowyn zurück. »Hättet Ihr mich nicht gepackt, hätte ich mich nicht verteidigen müssen.«

    »Ich habe Euch nicht wehgetan!«

    »Aber Ihr habt mich gepackt!«, warf Ellowyn ihm vor. »Ich habe Euch niemals, zu keinem Zeitpunkt die Erlaubnis gegeben, mich anzufassen. Nun, da mein Mann da ist, solltet Ihr lieber um Euer Leben rennen. Geht, sofort, bevor er ausrastet.«

    Es wurde wie wild diskutiert, und Brandt kam in dem Wortwechsel vor, wurde aber nicht direkt einbezogen. Er stand einfach nur da, während Lady Ellowyn und irgend so ein verrückter Ritter einander anschrien. Lady Ellowyn hatte ihn also in etwas hineingezogen, mit dem er nichts zu tun hatte. So, wie sie ihm zuvor gedroht hatte, befand sie sich nun in einer weiteren Konfrontation mit irgendeinem anderen Krieger. Vielleicht war das so eine Angewohnheit von ihr: aggressiv gegenüber Männern zu sein, die sie nicht kannte. Brandt fand das alles ziemlich seltsam und reichlich lächerlich. 

    Der Ritter, der vielleicht zurecht Angst hatte vor dem wirklich riesigen Ehemann der Lady, trat ein paar Schritte zurück. Aber er ging nicht. Er hielt seine blutige Hand hoch, damit alle sie sehen konnten.

    »Eure Frau hat meine Hand verletzt!«, brüllte er Brandt beinahe an. »Ich verlange eine Entschädigung.«

    Das schien Brandt aus seinem verdutzen Schweigen zu reißen. »Entschädigung?«, wiederholte er in verächtlichem Ton. »Eine Entschädigung wofür?«

    Der Ritter stach mit dem Finger auf Ellowyn ein. »Wegen ... der da ... werde ich vielleicht nie wieder ein Schwert halten können. Das ist meine Schwerthand.«

    Brandt hob eine dunkle Augenbraue. »Ich verstehe«, sagte er und spürte Ellowyn, wie sie sich an sein Handgelenk klammerte. »Was schwebt Euch vor?«

    Der Ritter schien ein wenig von seiner Aggression zu verlieren und sah von Ellowyn zu Brandt. »Nun«, sagte er kurz darauf. »Einhundert Kronen sollten genügen, glaube ich. Damit käme ich während der Heilung über die Runden.«

    Brandts Augenbrauen schossen nach oben. »Einhundert Kronen?«, wiederholte er. Dann entfernte er Ellowyns Hände von seinem Handgelenk und streckte sie dem Ritter entgegen. »Nehmt sie stattdessen. Ihr könnt sie an den Meistbietenden verkaufen und so Eure Entschädigung bekommen. Oder Ihr könnt sie es einfach abarbeiten lassen. Denn ich werde Euch keine einhundert Kronen zahlen.«

    Der Ritter und Ellowyn sahen ihn beide an; sie waren schockiert. Bevor der Ritter antworten konnte, entriss Ellowyn ihre Hände dem Griff Brandts. 

    »Er kann mich nicht verkaufen«, tobte sie. »Wie kannst du es wagen, so etwas vorzuschlagen?«

    Brandt bemerkte, dass er ein Grinsen unterdrückte, als er wieder einmal einer sehr wütenden Ellowyn de Nerra gegenüberstand. Er hatte sie noch nie in einem anderen Zustand gesehen. Und eigentlich musste er zugeben, dass er es unterhaltsam fand.

    »Ich kann tun und lassen, was ich will«, sagte er zu ihr. »Ich bin doch dein Ehemann, oder etwa nicht? Ich werde diesem Mann keine hundert güldenen Kronen zahlen, also kann er stattdessen dich nehmen. Das nächste Mal wirst du es dir vielleicht zweimal überlegen, bevor du einen Mann angreifst.«

    Ellowyns hübsches Gesicht verfärbte sich in Rottönen. »Du ...«, kochte sie und entfernte sich rückwärst sowohl von Brandt als auch dem Ritter. »Du ... Barbar. Du Ekel! Ich werde dir das nicht gestatten, hörst du? Du hast kein Recht dazu.«

    Brandt biss sich auf die Lippe, um nicht grinsen zu müssen, denn noch nie in seinem Leben hatte er jemanden derart wütend gesehen. »Ich habe sehr wohl das Recht dazu. Wenn ich dich verkaufen will, werde ich es tun. Du hast mir viel zu viele Schwierigkeiten gemacht, von dem Augenblick an, als ich dich kennengelernt habe, also vielleicht wird dir das eine Lehre sein. Du wirst jetzt sein Problem sein, nicht meins.«

    Ellowyn war rückwärts an den Tisch angestoßen, auf dem die Überreste ihres Mahles standen. Wütend und jenseits der Vernunft, schnappte sie sich den erstbesten Gegenstand, den sie finden konnte, und schleuderte ihn Brandt an den Kopf. Der hölzerne Weinbecher flog durch die Luft und verfehlte ihn nur knapp. Als er sich aus dem Weg duckte, nahm Ellowyn den fast leeren Weinkrug und schmiss ihn nach dem Ritter. Sie traf ihn direkt auf die Brust. Wein spritze überall hin, doch es blieb keine Zeit, ihn wegzuwischen, denn nun kamen die Gabel auf ihn zugeflogen und auch die Brotreste. Was auch immer Ellowyn in die Hände bekam, flog Brandt entgegen und, wenn sie daran dachte, auch dem blutverschmierten Ritter. Aber überwiegend Brandt. Er war es, der in diesem Augenblick ihren besonderen Hass spüren sollte. Und er würde auch ihren Zorn noch zu spüren bekommen.

    Brandt konnte sich das Grinsen auf den Lippen nun nicht mehr verkneifen. Lady Ellowyn hatte einen ausgewachsenen Tobsuchtsanfall und er wich einer Platte aus, als er sich zu ihr hinüber begab. Je näher er ihr kam, desto wütender wurde sie. Als er sie erreichte, versuchte sie gerade, einen Hocker zu werfen, doch er riss ihn ihr aus den Händen. Er knickte sie an der Taille ein, warf sie sich über die Schulter und steuerte die Tür an.

    »Nenne meine Frau noch einmal eine Kuh und du büßt dein Leben ein.« Er achtete darauf, Blickkontakt mit dem törichten Ritter zu machen. »Betrachte die Tatsache, dass du dein Leben heute Abend behältst, als die einzige Wiedergutmachung, die du von mir erhalten wirst.«

    Der Ritter sagte kein Wort und beobachtete mit ziemlich großen Augen, wie Brandt die knurrende Dame aus dem Wirtshaus schleppte. Das Letzte, was er sah, war, dass der große Mann eine tellergroße Hand auf ihr Hinterteil schlug, woraufhin sie aufschrie. Er konnte sie noch ein oder zwei weitere Male draußen schreien hören.

    Ellowyn schrie, weil sein Schlag verdammt noch mal wehtat. Sie war nicht nur im Wutanfallmodus, sie war auch im Panikmodus. Brandt hatte sie auf die Straße hinausgebracht und mutete ihr zu, über den matschigen Weg zu marschieren, während er sie ordentlich versohlte, nicht einmal, sondern mindestens viermal. Sie konnte das Anfeuern und Lachen von Männern hören, und das heizte ihre Erregung noch weiter an.

    Endlich machte Brandt Anstalten, sie auf die Beine zu stellen. Als ihr bewusst wurde, dass er sie loslassen würde, fing Ellowyn an, ihm eine zu knallen, als er sie absetzte, und schlug ihn auf sein verletzliches Ohr und an den Hals. Doch Brandt reagierte nicht. Er stellte sie einfach auf die Beine, während sie noch ein paar Mal wütend nach ihm ausholte.

    »Du Wüstling!«, zischte sie. »Du ... du unzivilisierter Teufel! Ich werde dir das niemals verzeihen, hörst du? Niemals

    Brandt holte tief Luft, denn er kämpfte immer noch gegen das Grinsen an, das er die vergangenen paar Minuten mühsam verborgen hatte. Ruhig verschränkte er seine gewaltigen Arme.

    »Ist das nicht erschöpfend, ständig so aggressiv zu sein?«, fragte er.

    Die Bemerkung schien sie nur noch weiter zu erzürnen. »Biest! Monster! Schweinehu...!«

    Er unterbrach sie, ungerührt, und verlor den Kampf gegen das Grinsen. »Seid Ihr fertig?«

    Ellowyn verzog das Gesicht. »Beim besten Willen nicht.« Sie stach mit dem Finger auf ihn ein. »Ich habe schon genug herzlose Männer kennengelernt, die einen zur Raserei bringen, aber du bist der schlimmste von allen. Was hat dich dazu gebracht, das zu tun, was du eben getan hast?« 

    »Was denn?«

    Sie warf die Hände in die Höhe. »Mich über die Schulter zu werfen wie eine ... eine ...«

    »Gewöhnliche Magd?«

    Nun schossen ihre Augenbrauen vor Empörung nach oben. »Gewöhnlich?« Sie wurde rot im Gesicht. Sogar im Mondlicht konnte er das erkennen. »Jetzt bin ich auch noch gewöhnlich

    »Angesichts des Benehmens, das ich bei Euch seit dem Beginn unserer gemeinsamen Bekanntschaft gesehen habe, habt Ihr mir sonst nicht viel geboten, wonach ich mich richten kann«, erwiderte er ruhig. »Daher habe ich als Reaktion auf Eure Forderungen von vorhin die Männer Eures Vaters wie befohlen abgeliefert. Ihr werdet sie dort drüben links finden, bei den Mietställen, und keiner von ihnen hat seit heute Morgen etwas zu essen bekommen. Ich hoffe, Ihr habt Vorkehrungen getroffen, um sie bis morgen zu ernähren und zu beherbergen, denn sie sind sehr müde und werden den Marsch zurück nach Erith Castle in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht schaffen. Sie brauchen Nahrung und Erholung, für die nun Ihr sorgen werdet. Einen guten Abend Euch, Lady Ellowyn.«

    Ellowyns Empörung verwandelte sich in echtes Überraschtsein und, wäre sie bereit gewesen, es zuzugeben, in Besorgnis. Sie hätte wahnsinnig wütend sein sollen über seine Beleidigung, doch sie schien sich nur auf die Tatsache konzentrieren zu können, dass er buchstäblich fast sechshundert müde Soldaten auf ihrer Türschwelle deponierte.

    »Wartet«, stoppte sie ihn, als er sich von ihr abwandte. Jegliche Erregung war aus ihrem Ton verschwunden. »Ich habe keine Mittel, um mehr als fünfhundert Männer heute Nacht zu beherbergen und ernähren. Ihr solltet sie mir morgen bringen.«

    »Ihr wart nicht deutlich, was die Tageszeit betrifft, zu der ich sie Euch bringen sollte«, sagte er. »Ich hatte angenommen, Ihr würdet sie so bald wie möglich haben wollen. Jetzt habt Ihr sie. Euch einen guten Abend.«

    Ellowyns Mund öffnete sich weit, als sie dem riesigen Mann dabei zusah, wie er auf der Ferse kehrtmachte und von ihr wegging. Sie war sprachlos, aber sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, es ihn wissen zu lassen. Er hatte klargestellt, dass er mit ihr nichts mehr zu tun haben wollte, ihn um seine Hilfe zu ersuchen kam also nicht infrage.

    Sie hatte sich vor dem Mann bereits zur Närrin gemacht, und er hatte sie prompt beleidigt. Vielleicht sogar zurecht. Sie war immer schon ein Hitzkopf gewesen, hatte auch eine ziemlich große Klappe, also

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