Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Erbe der Gewitterkiste: Die Familiensaga der Heilgebete
Das Erbe der Gewitterkiste: Die Familiensaga der Heilgebete
Das Erbe der Gewitterkiste: Die Familiensaga der Heilgebete
eBook241 Seiten2 Stunden

Das Erbe der Gewitterkiste: Die Familiensaga der Heilgebete

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Worpswede 2015: Die depressive Svea entdeckt bei einem ihrer Klinikaufenthalte ein altes Familiengeheimnis. Das Erbe der Vergangenheit lässt sie nicht mehr los. Sie bittet ihre Großmutter Frieda und Großtante Karla um Hilfe. Doch eine stellt sich quer und die andere war nie im Besitz einer alten Blechkiste, die Jahrhunderte alte Verse, Briefe und Dokumente versteckt hält. Die Spur führt sie dabei zurück in die Vergangenheit ihrer Ahnen - und zu sich selbst! Noch ahnt Svea nicht, dass ihr Leben, so wie sie es bisher kannte, für immer auf den Kopf gestellt werden wird. Wird Svea das verlorengeglaubte Familiengeheimnis Die Gewitterkiste finden und das Erbe der Vergangenheit retten?
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum30. Dez. 2020
ISBN9783740704285
Das Erbe der Gewitterkiste: Die Familiensaga der Heilgebete
Autor

Stefanie Piechnik

Stefanie Piechnik ist am 30.7.1979 in Bremen geboren. Sie lebt und schreibt in Aurich. Ihr Debütroman Das Erbe der Gewitterkiste (Band 1) erschien im Januar 2021 mit der ISBN: 9-783740772215.

Ähnlich wie Das Erbe der Gewitterkiste

Ähnliche E-Books

Biografien / Autofiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Das Erbe der Gewitterkiste

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Erbe der Gewitterkiste - Stefanie Piechnik

    Gesine

    1

    „Was für die Raupe das Ende der Welt

    bedeutet, ist für den Rest der Welt ein

    Schmetterling."

    Laotse

    Svea – Oldenburg - 2015

    Svea sah immer wieder in den Rückspiegel ihres roten Fiat 500. Obwohl sich der Verkehr in Richtung Oldenburg und Bremen in Grenzen hielt, dauerte ihr die Strecke zum Frauenarzt heute zu lang. Beim Kontrolltermin vor zwei Wochen hörte sie zum ersten Mal den Herzschlag. Nun machte sich ein komisches Gefühl in ihr breit.

    „Schatz, es ist bestimmt alles gut, bleib ruhig. Ihr Ehemann Nick glaubte nicht an ihre Theorie, dass etwas nicht stimmen könnte. Er kaute genüsslich auf einem der Brötchen herum, die sie vor der Fahrt mit Schinken und Käse belegt hatte. Ihr Heißhunger war vor drei Tagen versiegt, gemeinsam mit der Übelkeit - und genau das bereitete ihr Sorgen. Etwas stimmte nicht und sie brauchte das vertraute Lächeln ihres Frauenarztes, der ihr beweisen konnte, dass alles gut werden würde. Dass es nichts zu befürchten gäbe. Die weißen Wände des Behandlungsraumes strahlten sonst hell und freundlich, doch heute wirkten sie trist und grau. Svea sah das als unheilvolles Omen und rutschte nervös auf der Liege herum. „Irgendetwas ist anders, sagte der leicht untersetzte Mediziner leise.

    Die Farbe wich aus Nicks Gesicht und ein Kloß setzte sich in Sveas Hals fest. Das Wort „anders hatte sich so gar nicht gut angehört. Seine sonst sachliche Professionalität wurde von einer Emotionalität abgelöst, die sie frösteln ließ. „Schatz, ist unser Krümel größer geworden? Svea wollte die Hoffnung nicht kampflos aufgeben.

    Acht Jahre lang hatte sie auf ein Wunder gewartet. Das Baby wuchs seit zehn Wochen in ihrem Bauch und Svea weigerte sich, diesen Traum vom Mutterdasein aufzugeben. Ein weiteres Mal das Herz in Stücke gerissen; nochmal würde sich der Scherbenhaufen nicht zusammenkleben lassen.

    „Schatz, was ist los? Sie sah die Blicke zwischen Nick und dem Arzt, das Schließen der Augen und das Absenken des Kopfes. Sie konnte nicht akzeptieren, dass es vorbei war. Warum gönnte das Schicksal ihr diese Rolle im Leben nicht? Was hatte sie falsch gemacht, dass ihr Herzenswunsch verwehrt blieb? „Es tut mir Leid, ihnen das mitteilen zu müssen, aber ich finde keinen Herzschlag mehr. Die Tränen des Frauenarztes wirkten echt und mitfühlend. Eine Tatsache, die es für Svea nicht leichter machte, sich selbst unter Kontrolle zu behalten. Um jetzt nicht zusammenzubrechen, blieb ihr nur eine Möglichkeit: das Abstellen ihrer Gefühle.

    2

    "Man kann nie glücklich werden, wenn sich

    das, woran man glaubt, nicht mit dem deckt,

    was man tut."

    Ralph Waldo Emerson

    Svea - Künstlerdorf Worpswede –

    einige Monate später

    Svea stapfte durch den matschigen Garten ihrer Großtante. Vor der Terrassentür stehend, schaute sie in das hell erleuchtete Wohn- und Esszimmer. Ihre Großtante Karla saß an dem großen Eichentisch, der schon viele Generationen beherbergt hatte und wartete, dass ihr jemand zur Hilfe kam. Svea beobachtete sie wenige Sekunden.

    „Wo sind nur die Jahre geblieben?, fragte sie sich müde. Hinter der Glasscheibe stehend rief sie: „Klopf, klopf. Ich bin es, Svea.

    Vorsichtig erhob sich die alte Dame auf wackeligen Beinen. Sie quälte sich die drei Schritte bis hin zur Terrassentür.

    „Wieso kommst Du denn nicht vorne rein?", entgegnete ihr Karla forsch.

    „Ich muss mich setzen. Mir schmerzen die Füße." Svea setzte ihre Großtante langsam wieder auf ihren Stuhl zurück. Danach zog sie behutsam die selbst gestrickten Wollsocken von deren Füßen.

    „Meine Güte, die sitzen aber fest. Die schnüren dir alles zu. Mühsam schaffte Svea es, Karla die Socken von ihren schrumpeligen Füßen zu ziehen. Sie erschrak bei dem Anblick: „Was sind das für Elefantenstampfer?

    „Meine Hände sehen nicht besser aus, sagte Karla und hielt ihr diese unter die Nase. „Du meine Güte! Ich hoffe, du hast dafür Medikamente verschrieben bekommen.

    „Ja, die liegen dort in der Küche. Die dritte Schublade von unten. Bitte öffne mir die Verpackung, das kann ich nicht mehr. Die Einkaufsliste konnte ich leider auch nicht zu Ende schreiben. Ich habe es versucht, aber das kann ja doch keiner lesen."

    Svea holte die Medikamente aus der Küche und reichte sie laut Packungsbeilage an. Im Anschluss nahm sie sich einen Zettel und einen Stift zur Hand.

    „So, dann sag mal an. Was brauchst du?"

    „Ach ja, die Grabpflege muss bei der Gärtnerei bezahlt werden, fiel Karla ein. „Bitte fahr dort eben vorbei. Morgen ist dort geschlossen. Nach ein paar Minuten war die Einkaufsliste fertig und um ein paar Zusatzpunkte erweitert. Svea setzte sich direkt in Bewegung, doch ihre Großtante hielt sie zurück: „Nun esse doch erst einmal etwas, bevor du losfährst! Du hast doch den ganzen Tag gearbeitet. „Es hat gerade kurz aufgehört zu regnen. Die beste Gelegenheit um aufzubrechen. Ich bin gleich wieder da. Danach machen wir es uns am Kamin gemütlich. Deinen getrockneten Pfefferminztee aus dem Sommergarten hast Du doch noch, oder?

    ***

    Nach einer Stunde Einkauf erreichte Svea wieder die Haustür. Der Feierabendverkehr hatte ihr den letzten Nerv geraubt.

    Erschöpft packte sie alle Sachen aus und kümmerte sich um das gemeinsame Abendbrot.

    Ihre Großtante wuselte in der winzigen Küche um sie herum. Der Stressschweiß lief Svea inzwischen von der Stirn. Sie wischte völlig erledigt den linken Arm darüber und seufzte laut auf.

    „Svea Schatz, hast Du etwas gesagt? „Nein, alles gut, Tantchen. Setz dich bitte. Du stehst mir im Weg, erwiderte Svea genervt. Es war dunkel geworden, sodass sich beide ins anliegende Wohnzimmer zurückzogen.

    „Der Arzt sagt, das kommt von der Psyche", erwähnte Karla nebenbei. Der Duft des Pfefferminztees verbreitete sich im ganzen Haus und verströmte Ruhe und Gelassenheit.

    „Ach Tantchen, ich vermisse Onkel Erich doch auch. Karla schielte betroffen zu ihrer Großnichte: „Wie geht es dir denn überhaupt, Kindchen? Ich jammere Dir den ganzen Nachmittag etwas vor. Was gibt es Neues in Deinem Leben? Du siehst so angespannt aus. Svea schaute durchs Fenster ins dunkle Nichts: „Im Moment habe ich viel Stress im Beruf und die Kinder dort sind für mich nur noch eine Belastung. Ich habe noch immer mit meinen Weinkrämpfen zu tun."

    Karla griff nach Sveas rechter Hand und strich sanft über die junge Haut: „Du musst endlich mit dem Kapitel abschließen. Ich selbst konnte auch keine Kinder bekommen und ich hatte trotzdem ein wunderschönes Leben mit Erich. Du hast Deinen Traummann zum Glück gefunden. Alles im Leben gibt es leider nicht, Kindchen." Sveas Augen füllten sich mit Tränen und ein lautes Schluchzen ertönte:

    „Wie soll ich diesen Verlust jemals vergessen? Alle bekommen gesunde Kinder. In der Schule bin ich ständig von Kindern umgeben. Ich kann mit dem Thema nicht so einfach abschließen." Svea hielt kurz inne und zog zum Bedauern ihrer Großtante ihre Hand zurück.

    „Es war mein Lebenstraum, Mutter zu werden. Es fühlt sich so an, als ob ein Teil von mir fehlt - wie ein Arm oder ein Bein. Ich sehe keine Perspektive mehr in meinem Leben. Wie soll ich da einfach weitermachen? Das ständige Hin und Her zu Dir und dann die viele Arbeit als Lehrerin. Mir wird das alles zu viel. Nick und mein Haushalt sind auch noch da.

    Neulich habe ich noch zusätzlich Deinen Garten mähen müssen." Svea seufzte und verschränkte die Arme.

    „Du musst Dir endlich Hilfe holen! Ich schaffe das nicht mehr neben meiner Vollzeitstelle. Vielleicht wäre es ja besser, wenn ich mich eine Zeitlang um Dich kümmere und die Arbeit an den Nagel hänge. Was meinst Du? Wir könnten regelmäßig einkaufen." Karla schien nicht überzeugt zu sein. Skeptisch zog sie ihre Zehen zusammen.

    „Bitte beantrage die nächste Pflegestufe. Somit wäre ich dann wenigstens rentenversichert."

    „Nein, nein. Fremde kommen mir nicht ins Haus. Basta. Und zu Deinem letzteren Vorschlag, dass Du für ein paar Tage in der Woche hierher ziehen möchtest..."

    Die alte Dame zögerte und suchte den Blick ihrer Großnichte: „Das geht nicht."

    „Wieso?", entgegnete Svea überrascht. „Du bist noch zu jung, um mit dem Arbeiten aufzuhören und außerdem will und kann ich dir nicht zumuten, meine Launen vierundzwanzig Stunden am Tag auszuhalten.

    Und was ist mit Nick? Glaubst Du, der fände es toll, Dich mit mir zu teilen?" Beide lagen sich verzweifelt in den Armen und trösteten sich.

    „So, nun aber genug mit dem Geheule", schmunzelte Karla, während sie sich die letzte Träne von der faltigen Wange wischte. „Auf irgendeine Weise gelingt es uns, damit fertig zu werden. Wie Onkel Erich immer zu sagen pflegte: Das Leben ist eins der Schwersten.

    Mit den schönsten Erinnerungen schwelgten die beiden in der Vergangenheit.

    „Hast Du Fotos aus der Zeit, in der ihr euch kennengelernt habt?"

    „Ja, schau mal dort bei den ganzen Schallplatten unter der Treppe. Das rote Buch im Regal unten links müsste es sein." Svea legte nebenbei einen alten Tonträger von André Rieu auf.

    „Hach, was ist das schön! Die habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gehört", freute sich Karla und erzählte von einem seiner Konzerte in Maastricht. Die beiden tanzten vergnügt zusammen und fielen anschließend lachend auf das Sofa.

    „Die Medikamente scheinen zu wirken", lachte Karla. Svea war aus der Puste und blätterte derweilen in dem alten Fotoalbum herum. Völlig in die Vergangenheit ihrer Vorfahren vertieft, entdeckte sie das Foto einer Frau vor einem Bauernhaus.

    „Wer ist das?"

    „Das ist eine Vorfahrin von uns. Auf jeden Fall muss es mindestens drei Mal Ur vorweg sein. Das muss irgendwann im neunzehnten Jahrhundert gewesen sein, kurz nachdem die Fotografie erfunden wurde." Ehrfürchtig nahm Svea das alte Foto in die Hand.

    „Wo wurde das Bild gemacht?"

    „Das war damals hier im alten Moor in Worpswede. Das Haus ist aber schon lang abgebrannt. Onkel Erich und ich haben vor Jahrzehnten mal mit der Ahnenforschung angefangen. Leider sind wir nur bis 1754 gekommen. Danach verwischte sich jegliche Spur. Die Frau auf dem Bild ist Meta."

    „Wow, ich bin tief beeindruckt. Nicht jeder kann behaupten, schon mal seine Ur-Ur-Urgroßmutter gesehen zu haben", lachte Svea vergnügt.

    Der Novemberregen peitschte gegen die große Panorama-Fensterscheibe und ließ die beiden Frauen zusammenzucken.

    „Oh je, bin ich schreckhaft geworden. Tantchen, ich bin müde und gehe ins Bett. Darf ich morgen weiter blättern?"

    Karla lächelte sanft: „Ja, natürlich. Legst du es aber bitte wieder ins Regal?" Svea erhob sich vom Sessel. Vor dem Gestell hob sie einen Stapel weiterer Fotoalben an, um das rote wieder an Ort und Stelle zu legen. Dabei fiel ein kleiner unscheinbarer Zettel auf den Fußboden.

    „Huch, was ist das denn?, fragte sie. Vorsichtig öffnete Svea das gefaltete Papier. „Tantchen, das ist in altdeutscher Schrift geschrieben. Es ist aber schon reichlich verblasst. „Lass mal sehen, Kind. Ich kann mir das nicht vorstellen. Mir ist der nie aufgefallen", sagte Karla zweifelnd.

    „Das muss aus dem Fotobuch gefallen sein." Svea durchforstete den ganzen Stapel, doch es blieb bei diesem einen Exemplar.

    „Hole mir mal meine Lesebrille!, bat Karla barsch. „Jawohl, Herr Oberfeldwebel!

    Svea holte lachend das alte Gestell mit dem dicken Glas vom Nebentisch, während ihre Großtante mit flattrigen Händen das vergilbte Pergament entfaltete.

    „Nun lies schon! Kannst du schon etwas entziffern?"

    Die alte Dame rückte die Bügel zurecht. „Das ist schwer zu lesen. Meine Augen sind ja nicht mehr die besten." Mit zitternde, rauer Stimme las sie:

    „Was ich sehe, das vergehe, was ich streiche, das erweiche, Warzen vergehen. So soll es sein!"

    Vorsichtig strich sie über die handgeschriebenen Zeilen. Ihre Lippen bebten, als sie leise und stotternd aussprach:

    „Ach, du meine Güte. Das ist ein altes Heilgebet zum Besprechen von Warzen. Das hat meine Mutter Alma vor jeder Behandlung aufgesagt. Sie erzählte meiner Schwester Frieda und mir, dass sie durch Besprechen Wunden heilen konnte. Dabei murmelte sie immer einen Gebetsvers auf die entsprechende Stelle des Kranken. Das soll die Selbstheilungskräfte aktivieren. Regelmäßig ließ sie meine Kopfschmerzen damit verschwinden."

    Karla hielt kurz inne, um ihre Erinnerungen an ihre Jugend wieder zu aktivieren:

    „Sie erzählte uns auch, dass Emma mit Heini, dem Bauersjungen, verheiratet war. Meta war deren Tochter. Zusammen bekamen sie vierzehn Kinder. Ihre Mutter Gesine wurde als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt, obwohl es zu der Zeit nicht mehr üblich war. Das haben wir in den siebziger Jahren tatsächlich bei der Ahnenforschung bestätigt bekommen. Emma und Heini sollen kurz danach auf die andere Weser-Seite nach Blexen gezogen sein."

    Sie ließ den Blick schweifen und setzte gedankenverloren die Brille ab:

    „Er soll diese Gabe für unsere Familie weitergeführt haben", beendete Karla ihre Ausführung. Svea gähnte müde und rieb sich die Augen:

    „Wovon redest Du da?"

    „Mehr kann ich Dir dazu leider auch nicht sagen. Ich selber hatte diese Gabe nie. Es ist schon spät. Lass uns morgen weiter reden. „Du hast Recht. Ich bin völlig erledigt von der Woche, gähnte Svea erneut und streckte dabei ihre müden Glieder.

    „Die Geschichte hört sich interessant an. Morgen möchte ich das genauer wissen." Sie küsste ihre Großtante sanft auf die rosigen Wangen und dackelte müde die Treppe hinauf zum Dachboden, wo ihr Schlafbereich auf sie wartete. Als sie von den Stufen einen Blick zurückwarf, sah sie, wie ihre Großtante geschäftig aufräumte und Unverständliches vor sich hingrummelte.

    Erst dachte sich Svea nichts dabei, doch in der Nacht wachte sie mehrere Male wieder auf. Gegen vier Uhr knipste sie letztendlich das Licht an und huschte auf Zehenspitzen die lange Treppe hinunter bis zum Wohnzimmer. Im Regal fischte sie erneut das rote Fotoalbum heraus. Sie nahm es und blätterte es durch. Erst langsam, dann immer schneller. Hin und zurück. Sie hielt das dicke Buch über Kopf. Doch von dem Gebetsvers fehlte jede Spur.

    3

    „Krankheiten befallen uns nicht aus heiterem

    Himmel, sondern entwickeln sich aus täglichen

    Sünden wider der Natur. Wenn sich diese

    gehäuft haben, brechen sie unvorhersehens

    hervor."

    Hippokrates

    Gesine – Worpswede - 1806

    Die Kühe im Stall blökten die ganze Nacht. Der unterbrochene Schlaf sorgte für Schmerzen in Gesines alternden Gliedern. Im Morgengrauen wurde sie von stöhnenden Geräuschen geweckt. Verschlafen quälte sie sich aus dem Bett und öffnete die quietschenden Fensterläden, deren morscher Rahmen jeden Moment aus den Angeln zu fallen drohte. Weiße Nebelschwaden kamen ihr entgegen. Der Wind zog die Wärme aus dem Schlafzimmer und ließ Gesine frösteln.

    Nur zu gerne schloss sie die Fenster wieder. Womöglich hatte sie sich das Stöhnen bloß eingebildet. Als sie sich erneut ins Bett legen wollte, klopfte es laut an ihrer Tür.

    „Gesine, wach auf! Heini, der Nachbarsjunge, stand mit zitternden Händen vor ihr im Flur. „Mach schnell!, wimmerte er. Seine zu weite Kleidung ließ ihn jünger wirken, als er war. Obwohl er schon fünfzehn Lenze hinter sich hatte, sah Gesine jetzt in ihm den kleinen Buben, der fröhlich jauchzend mit ihren Töchtern spielte.

    „Was ist passiert? Ist etwas mit den Kühen? „Ja, unser Kalb hat seit Stunden Koliken und wir können uns diesen Verlust nicht leisten. Seine verzweifelte Stimme fegte ihr die Müdigkeit aus dem Gesicht.

    „Bitte beeile Dich und nimm Dein Buch mit!" Er vertraute blind auf ihre Hilfsbereitschaft und rannte zurück zu seinem Hof. So schnell es ihre knackenden Gelenke zuließen, zog Gesine das Kleid an, das sie für den morgigen Tag herausgelegt hatte. Darüber schlang sie eine lange graue Decke. Aus

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1