Schlüssel der Zeit - Band 3: Das Geheimnis der Kommende: Lokale Histo-Fantasy-Serie
Von Tanja Bruske
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Über dieses E-Book
Da erscheint es Keyra fast als willkommene Fluchtmöglichkeit, als sie wieder ein Schloss singen hört und sich kurz darauf in einem mittelalterlichen Johanniterkloster wiederfindet. Doch die Zukunft der Kommende und ihrer Bewohner ist bedroht, denn der rücksichtslose Ritter Johann von Rüdigheim fordert sein Recht. Keyra muss eine verschwundene Urkunde finden. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...
Ein Abenteuer durch Zeit und Raum im Neuberg-Rüdigheim des 15. Jahrhunderts.
Band 1 "Der Ruf der Schlösser" und Band 2 "Der Hexer von Bergheim" der Serie "Schlüssel der Zeit" liegen ebenfalls als E-Books bei mainbook vor. Die Serie wird fortgesetzt.
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Schlüssel der Zeit - Band 3 - Tanja Bruske
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1. Bibliotheksgespräche
„Tut nichts! der Jude wird verbrannt! Denn besser, es wäre hier im Elend umgekommen, als dass zu seinem ewigen Verderben es so gerettet ward. Zudem, was hat der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott kann, wen er retten will, schon ohn‘ ihn retten."
Die Worte tanzten vor Keyras Augen. Sie blinzelte müde und stützte den Kopf in die Hände. Vielleicht wäre sie wacher, wenn sie sich in den Lesegarten setzen könnte. Doch es nieselte und war ein ungemütlicher, grauer Mai-Tag. Vom Frühling, der Ende April pompös Einzug gehalten hatte, keine Spur mehr.
Normalerweise arbeitete sie aber auch gerne im Leseraum der Schulbibliothek der Hanauer Otto-Hahn-Schule – hier war es ruhig und gemütlich, und die netten Mitarbeiterinnen sahen darüber hinweg, dass Keyra einen Schokoriegel nach dem anderen vernichtete und schon den dritten Becher Kakao vor sich stehen hatte. Sie brauchte dringend Nervennahrung – und mal wieder ein paar Stunden ungestörten Schlaf.
Leider war das, was ihr den Schlaf raubte, auch schuld daran, dass sie sich nicht auf „Nathan der Weise" konzentrieren konnte – obwohl das für die anstehende Deutscharbeit bitter nötig gewesen wäre. Zehn Tage war es jetzt her, dass ihre Großmutter in ihrem Garten zusammengebrochen und ins Krankenhaus gebracht worden war. Seitdem hatte Clara Schlosser das Bewusstsein nicht wieder erlangt. Und nach dem, was Keyra aus den Worten der Ärzte geschlossen hatte, war nicht sicher, ob sie überhaupt noch einmal aufwachen würde.
Keyra machte sich schreckliche Vorwürfe. Ihr Streit war für den Zusammenbruch ihrer Großmutter verantwortlich. Ich hätte sie nicht so unter Druck setzen sollen. Und alles war nur die Schuld dieses blöden Schlüssels.
Unwillkürlich wanderte ihre Hand zu der Kette um ihren Hals. Sie spielte damit und hatte nach kurzer Zeit den kleinen Kristallschlüssel zwischen den Fingern, drehte ihn hin und her und befühlte die glatte Oberfläche – so, wie sie es in den vergangenen drei Wochen schon so oft getan hatte.
Hätte Oma mir dieses Ding doch nie geschenkt, dachte sie bitter. Gleichzeitig fühlte sie dabei ein unerklärliches Schuldbewusstsein. So, als würde sie dem Schlüssel unrecht tun. Einerseits hatte sie furchtbare Angst vor dem hübschen, gar nicht gefährlich wirkenden Anhänger. Anderseits wollte sie ihn auch nicht ablegen. Sie spürte, dass das falsch gewesen wäre; dieser Schlüssel gehörte zu ihr, so wie die Nase in ihrem Gesicht.
Seit ihrer Rückkehr aus dem Jahr 1632 befürchtete Keyra, dass irgendwo wieder ein Schloss zu leuchten und zu singen beginnen würde, dass es sie wieder in eine andere Zeit riss, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie hatte den Tick entwickelt, das kleine ledergebundene Buch, das sie von ihrer Großmutter bekommen hatte, immer bei sich zu führen – nicht in ihrem Rucksack oder einer Handtasche, sondern in der Hosentasche ihrer Jeans. Sie wollte es dicht am Körper haben, damit es bei ihr sein würde, falls sie erneut unfreiwillig auf die Reise ging.
Ihr Vater und Lou machten sich Sorgen um Keyra, dachten aber, dass sie wegen ihrer Großmutter neben der Spur war. Keyra ließ sie in diesem Glauben – sie konnte ihnen schlecht erklären, was sie außerdem noch bedrückte. Die traurige Wahrheit sah so aus, dass der einzige Mensch, mit dem sie darüber hätte reden können, ihre Großmutter war.
Wie soll ich mich denn bei diesem ganzen Chaos auf den blöden Lessing konzentrieren?
Keyra ließ ihre flache Hand frustriert auf die Seiten des gelben Reclam-Heftes klatschen. Der Text erinnerte sie zudem an ihre jüngsten Abenteuer in der Vergangenheit. Tut nichts, der Jude wird verbrannt. Noch so ein religiöser Eiferer, der Unschuldige töten wollte – von denen hatte sie vorerst die Nase voll. Auch das Zitat: „Gott kann, wen er retten will, schon ohn‘ ihn retten" machte ihr zu schaffen: Sie hatte ihre Freunde nicht retten können, und weder Gott noch sonst jemand hatte es an ihrer Stelle getan.
„Das ist nicht deine Aufgabe", hatte Clara Schlosser zu ihr gesagt.
Keyra schnaubte wütend. Könnte bitte endlich mal jemand kommen und mir ganz genau erklären, was bitte meine Aufgabe ist?
Keyra fühlte sich allein und im Stich gelassen, und wieder einmal war sie den Tränen nahe.
„Oh je – ist das Buch wirklich so schlimm? Die Müller hat angekündigt, dass wir es im nächsten Halbjahr im Grundkurs lesen, aber wenn selbst Leistungskurs-Schüler daran verzweifeln …"
Keyra sah erschrocken auf. Neben ihrem Tisch stand Ben – ausgerechnet Ben! – und musterte sie belustigt. Als er ihre Miene sah, wurde er schlagartig ernst.
„Tut mir leid, sagte er zerknirscht. Seine hochgegelten blonden Haare saßen tadellos und er sah wie immer umwerfend aus. „Ich habe gesehen, wie du auf das Buch geschlagen hast und dachte, du bist wegen irgend einer Aufgabe frustriert und wollte dich etwas aufziehen. Aber jetzt …
„Du hast mich beobachtet?", platzte Keyra heraus. Sie wurde rot und hoffte, dass Ben das für Entrüstung hielt. Eigentlich wusste sie nicht, ob sie sich geschmeichelt oder beschämt fühlen sollte. Ben Hartmann hat mich beobachtet. Keyra war konsterniert. Er weiß nicht nur, dass ich existiere, er beobachtet mich sogar heimlich. Wenn ich das Lou erzähle …
„Naja, ich war dort hinten und habe für den Geschichtsaufsatz recherchiert, sagte Ben und zeigte entschuldigend auf einen dicken Wälzer, den er unter den Arm geklemmt hatte. Keyra schielte auf den Titel. Irgendwas über die amerikanische Besatzungszeit. „Als ich zurückkam, habe ich dich gesehen und mich etwas gewundert. Du bist doch sonst so gut in Deutsch, oder?
Keyra zuckte mit den Schultern, konnte aber nicht umhin, sich schon wieder geschmeichelt zu fühlen. Sie waren seit zwei Jahren nicht mehr im gleichen Deutschkurs und Ben wusste immer noch, dass sie gut in Deutsch war. Yippie!
„Schon, sagte sie, da Ben sie gespannt ansah. „Es liegt auch nicht an dem Buch. Ich habe momentan einfach so viel um die Ohren, dass ich mich nicht richtig darauf konzentrieren kann.
Bens Blick wurde mitfühlend. „Ach so. Stimmt, ich habe gehört, dass es deiner Oma nicht gut geht."
„Woher weißt du das?", fragte Keyra verblüfft.
Ben zuckte die Schultern. „Hab es irgendwo mitbekommen. Was hat sie denn?"
Keyra seufzte und betastete wieder ihren Anhänger. „Sie ist vor ein paar Tagen zusammengebrochen und liegt seitdem im Krankenhaus und ist nicht mehr ansprechbar. Ich denke, die Ärzte glauben nicht, dass sie nochmal richtig aufwacht."
„Shit."
„Du sagst es. Heute wird sie in die Seniorendependance nach Marköbel verlegt. So heißt bei uns das Seniorenheim. Mein Vater meint, die brauchen im Krankenhaus die Betten."
„Das ist aber doch besser. Ich hasse Krankenhäuser." Bens Gesicht verdüsterte sich. Keyra ahnte warum: Bens Mutter war, soweit sie wusste, in einem Krankenhaus gestorben, kurz bevor Keyras eigene Mutter verschwunden war. Sie wusste nicht, welche Krankheit sie gehabt hatte. Vielleicht fühlte sich Keyra Ben auch deswegen verbunden.
„Stimmt schon. Keyra atmete durch. „Und ich habe es nicht so weit, wenn ich sie besuchen will.
Sie registrierte, dass Ben interessiert den Schlüssel betrachtete, den sie zwischen ihren Fingern drehte. Das, oder er starrte ihr auf die Brüste.
„Das ist ein interessanter Anhänger. Wo hast du den denn her?", fragte er schließlich.
„Die Kette war ein Geschenk." Keyra hielt den Schlüssel perplex fest. Seit wann interessiert sich Ben für Schmuck?
Er bemerkte ihre Irritation und lachte verlegen. „Ich bin auch gerade auf der Suche nach einem Geschenk und dachte …"
„Ein Geschenk – etwa zu meinem Geburtstag?, flötete eine Mädchenstimme hinter Keyra. Greta trat an Bens Seite und hakte sich besitzergreifend bei ihm ein. Wie immer war sie perfekt gestylt, wenn auch für Keyras Geschmack mit dem rückenfreien Top etwas zu sommerlich für Mai angezogen. „Du brauchst mir doch nichts Großartiges zu schenken, Süßer – es reicht vollkommen, wenn du zu meiner Party kommst
, fuhr sie fort.
Ben wirkte ertappt. Aber er machte nicht den Eindruck, als ob es ihn störte, dass Greta ihm so auf die Pelle rückte. Keyra ließ schnell den Schlüssel zurück unter ihr Shirt gleiten. Sie war etwas enttäuscht, dass Ben nur Interesse an dem Schlüssel gezeigt hatte, weil er ein Geschenk für Greta suchte.
„Klar komme ich, sagte Ben. „Du hast schließlich den ganzen Jahrgang eingeladen, da würde ich doch was verpassen.
„Das würdest du wirklich – denn ich habe nicht nur den Jahrgang, sondern die ganze Oberstufe eingeladen", schnurrte Greta zuckersüß und drängte sich näher an Ben. Das war ihm dann wohl doch zu viel, denn er wandte sich wieder an Keyra.
„Du kommst doch bestimmt auch zur Party am übernächsten Wochenende, oder?, fragte er. Greta wirkte überrascht und warf einen Blick auf Keyra, als hätte sie sie gerade erst bemerkt. „Ach so? Na, die kann von mir aus auch kommen.
Keyra spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie sprang auf und packte das Buch in ihren Rucksack. „Sorry, an dem Wochenende kann ich nicht."
„Zu schade. Ist da die Jahresversammlung der Loser?" Greta neigte spöttisch den Kopf zur Seite.
„Mein Vater hat einen Kurz-Auftrag in Kairo. Und vielleicht fahre ich das Wochenende über mit ihm dorthin", sagte Keyra kühl.
Es hätte so ein eleganter Abgang sein können. Leider erwischte sie, als sie ihren Rucksack schwungvoll vom Tisch nahm, mit einem Riemen den halbvollen Kakaobecher und warf ihn um. Die erkaltete Milch spritzte ihr über die Jeans.
Greta lachte los wie eine Hyäne. „Du bist echt so was von dämlich, du Opfer!"
Keyra betrachtete die Sauerei auf ihrer Hose und fühlte das Blut in ihren Wangen pulsieren. Sie drehte sich herum und verließ fluchtartig die Bibliothek.
2. Der Pfleger
Zum Glück musste Keyra nur noch zwei Stunden Kunst überstehen, in denen sie weder mit Greta noch mit Ben im gleichen Kurs war. Sie kritzelte lustlos an einer Kohlezeichnung und war mit ihren Gedanken die meiste Zeit woanders.
Kaum ertönte der Schulgong, der den Beginn des Wochenendes einläutete, sprang Keyra auf und eilte hinaus.
Am liebsten wäre sie im Höchsttempo mit ihrer lila Vespa nach Hammersbach gebraust. Doch angesichts der Wetterlage hielt sie eine vorsichtigere Fahrweise für angemessen. Sie war im vergangenen Jahr schon einmal auf nasser Fahrbahn gestürzt und konnte darauf verzichten, sich wieder Arme und Beine aufzuschürfen. Außerdem war sie nicht sicher, ob der Krankentransport ihre Großmutter wirklich schon in die Seniorendependance gebracht hatte. Vielleicht kam sie auch erst später am Nachmittag dort an. Keyra wollte aber auf jeden Fall dort sein, um Claras Sachen einzuräumen und das Zimmer etwas persönlich zu gestalten, auch wenn ihre Großmutter das gar nicht mitbekam. Vorerst, sagte sich Keyra trotzig. Sie wacht bestimmt bald wieder auf.
Die Seniorendependance lag mitten im historischen Ortskern von Marköbel, direkt am Obertor und neben dem alten Friedhof. Keyra fuhr vorsichtig auf den Hof und stellte ihre Vespa ab. Bevor sie ihren Rucksack aufsetzte, nahm sie das ledergebundene Buch heraus. Sie steckte das Wächterbuch in die hintere Hosentasche ihrer Jeans. Nach wie vor wusste sie nicht, wie das Reisen in die Vergangenheit funktionierte. Aber sie fühlte sich einfach sicherer, wenn sie das Buch so dicht wie möglich am Körper trug.
„Guten Tag, Frau Bender", begrüßte sie eine Mitarbeiterin, die sie am Eingang traf. Sie und ihr Vater Rory hatten