Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Getrennte Wege: Emily & Amelie
Getrennte Wege: Emily & Amelie
Getrennte Wege: Emily & Amelie
eBook259 Seiten3 Stunden

Getrennte Wege: Emily & Amelie

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Emily & Amelie - Getrennte Wege" ist der zweite Band einer spannenden Tetralogie, die im 19. Jahrhundert spielt und von der geheimen Freundschaft zweier unterschiedlicher Mädchen handelt.

September 1878 Emily arbeitet nun als Küchenmädchen in der Stadt und muss sich dort neuen Herausforderungen stellen. Zum Glück findet sie in dem Internatsschüler Thomas einen guten Freund. Währenddessen versucht Amelie zuhause dem Geheimnis ihres Bruders Fridolin auf die Spur zu kommen. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf ein altes Tagebuch, das ein düsteres Geheimnis birgt. Beide Mädchen erleben jede Menge Aufregungen und hoffen, einander eines Tages wiederzusehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum15. Dez. 2020
ISBN9783752672312
Getrennte Wege: Emily & Amelie
Autor

Anni Tag

Anni Tag wurde 1991 in Wels geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und ist seither als Schriftstellerin, Lektorin und Historikerin tätig.

Mehr von Anni Tag lesen

Ähnlich wie Getrennte Wege

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Getrennte Wege

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Getrennte Wege - Anni Tag

    Getrennte Wege

    Titelseite

    Inhaltsverzeichnis

    Ein außergewöhnlicher Geburtstag

    Ein anderes Leben

    Herbsttage

    Ein Junge namens Jakob

    Eine ereignisreiche Nacht

    Die lang ersehnte Heimkehr

    Impressum

    Klappentext:

    September 1878 Emily arbeitet nun als Küchenmädchen in der Stadt und muss sich dort neuen Herausforderungen stellen. Zum Glück findet sie in dem Internatsschüler Thomas einen guten Freund. Währenddessen versucht Amelie zuhause dem Geheimnis ihres Bruders Fridolin auf die Spur zu kommen. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf ein altes Tagebuch, das ein düsteres Geheimnis birgt. Beide Mädchen erleben jede Menge Aufregungen und hoffen, einander eines Tages wiederzusehen.

    Über die Autorin:

    Anni Tag wurde 1991 in Wels geboren. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und ist seither als Schriftstellerin, Lektorin und Historikerin tätig.

    In dieser Reihe gibt es vier Teile:

    „Emily & Amelie – Gefährliche Freundschaft"

    „Emily & Amelie – Getrennte Wege"

    „Emily & Amelie – Verborgene Abgründe"

    „Emily & Amelie – Dunkle Geheimnisse"

    Weitere Bücher der Autorin:

    Die Kinder vom Silbertal und der verborgene Schatz

    Die Kinder vom Silbertal und die geheimnisvolle Ruine

    Die Kinder vom Silbertal und der rätselhafte Fremde

    „Die Kinder vom Silbertal und das geheime Versteck"

    „Die Kinder vom Silbertal und der verschwundene Junge"

    Liste der vorkommenden Personen:

    Familie Stones:

    Emily: ein Bauernmädchen

    Tony: Emilys älterer Bruder

    Willi: Vetter von Emily und Tony

    Frau Stones: Mutter von Emily und Tony

    Herr Stones: Vater von Emily und Tony

    Familie Amalsberger:

    Amelie: Tochter des Gutsherrn

    Josef: ältester Sohn des Gutsherrn

    Fridolin: mittlerer Sohn des Gutsherrn

    Alexander: jüngster Sohn des Gutsherrn

    Herr Amalsberger: Gutsherr

    Eva: Schwester des Gutsherrn

    Rosalia: ältere Tochter von Eva

    Ida: jüngere Tochter von Eva

    Regina: Amelies Zofe

    Karoline: Hausmädchen

    Konrad: Hausdiener

    Frau Mehl: Köchin auf dem Gutshof

    Isolde: Küchenmädchen

    Johann: Kutscher des Gutes

    Fräulein Elsbeth: Amelies Hauslehrerin

    Max: Knecht auf dem Gutshof

    Knabenschule:

    Thomas: Schüler der Oberstufe

    Matthias: Thomas‘ bester Freund

    Jonathan: Schüler der Oberstufe

    Daniel: Erstklässler

    Dagmar: Köchin

    Familie Gerntaurer:

    Frau Gerntaurer: Mutter von Thomas

    Herr Gerntaurer: Vater von Thomas

    Helene & Josephine: Thomas‘ ältere Schwestern

    Annette: jüngere Schwester von Thomas

    David: Thomas‘ Bruder

    Katharina: Nesthäkchen der Familie

    Sonstige Personen:

    Henrietta & Therese: Kellnerinnen in einem Gasthaus

    Herr Blauberger: Dorfschullehrer

    Victoria: Emilys beste Freundin

    Erika & Magdalene: Freundinnen von Emily

    Barbara & Bertha: Zwillinge, leben auf dem Nachbarhof der Stones

    Stephan: Willis bester Freund, Bruder der Zwillinge

    Andreas: Bauernjunge

    Sämtliche Personen und Schauplätze in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten und Namensgleichheiten mit realen Personen und Orten sind reiner Zufall.

    Inhaltsverzeichnis

    Ein außergewöhnlicher Geburtstag

    Ein anderes Leben

    Herbsttage

    Ein Junge namens Jakob

    Eine ereignisreiche Nacht

    Die lang ersehnte Heimkehr

    Ein außergewöhnlicher Geburtstag

    Montag, 23. September 1878

    Amelie! Alles Gute zum Geburtstag!", rief eine fröhliche Frauenstimme.

     Amelie blinzelte verschlafen, drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke über den Kopf. Sie war noch hundemüde, denn gestern Abend hatte sie lange nicht einschlafen können.

    Fridolin hatte am Vortag das ganze Haus durchsucht, aber es war nichts gestohlen worden, wie er scheinbar angenommen hatte, und auch sonst war nichts Auffälliges zu bemerken gewesen. Amelie hatte irgendwie das Gefühl verspürt, dass ihn diese Erkenntnis enttäuscht hatte. Fridolin war nach seiner Durchsuchung in seinem Zimmer verschwunden und hatte sich den ganzen restlichen Tag über nicht mehr blicken lassen; er hatte nicht einmal zu Abend gegessen, sondern behauptet, er habe Kopfschmerzen. Doch Amelie glaubte nicht an diese angeblichen Kopfschmerzen, sie vermutete eher, dass ihr Bruder über irgendwelchen sonderbaren Plänen brütete. Die ganze Nacht hatte sie sich darüber den Kopf zerbrochen und war zu keiner Lösung gelangt. Schließlich war sie in einen unruhigen Schlaf gefallen, und jetzt, wo sie gerade einmal seit den frühen Morgenstunden geschlafen hatte, wurde sie gleich von dieser lauten, rücksichtslosen Stimme geweckt!

    „Amelie! Du willst doch wohl nicht etwa deinen Geburtstag verschlafen?", fragte die laute, überschwängliche Stimme, und jemand setzte sich mit Schwung auf ihr Bett und zog ihr brutal die Decke weg.

    Amelie setzte sich mühsam auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte und streckte sich. „Weshalb hast du mich denn schon geweckt?", murmelte sie schlaftrunken und strich sich die zerzausten Locken aus dem Gesicht.

    Doch Regina überging ihre Frage einfach; sie war wie immer, auch am frühen Morgen, voller Tatendrang. „Wie fühlst du dich mit fünfzehn Jahren?", fragte sie munter.

    „Eigentlich nicht anders als gestern", gestand Amelie müde, stand langsam auf und tappte ins Badezimmer. Nachdem sie sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser gewaschen hatte, war ihre Schläfrigkeit endlich verflogen. Sie nahm erst einmal ein heißes Bad, das Regina bereits für sie vorbereitet hatte, und überlegte, was sie nachher anziehen sollte.

    „Ich würde das rote Musslinkleid mit den Puffärmeln tragen", schlug Regina vor, während sie die Kopfkissen und die Bettdecke geschäftig aufschüttelte.

    „Aber es ist mein bestes Kleid. Meinst du nicht, dass das etwas zu aufgeputzt wäre?", gab Amelie zu bedenken. Sie stieg aus der Wanne und rubbelte sich mit dem flauschigen weißen Badetuch ab, bis ihre Haut ganz rot wurde.

    „Amelie, heute ist dein Geburtstag! Wann bitte willst du sonst dein bestes Kleid tragen, wenn nicht heute?!", rief Regina verständnislos und strich die letzte Falte aus der hellblauen Tagesdecke, die sie makellos über das Bett gebreitet hatte.

    Amelie willigte schließlich ein. Als sie fertig angekleidet war und Regina ihr die Haare, die am Morgen immer besonders widerspenstig waren, zu einer hübschen, aber nicht sehr aufwändigen Frisur aufgesteckt hatte, begab sie sich auf den Weg in den Speisesaal.

    Es gab ein köstliches Frühstück. Frau Mehl, die Köchin, und Isolde, das Küchenmädchen, hatten sich wirklich alle Mühe gegeben, ihr Können wieder einmal unter Beweis zu stellen.

    Herr Amalsberger trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und räusperte sich. „Wir werden dir erst zu Mittag gratulieren, Amelie, wenn meine Schwester und ihre Töchter auch anwesend sind", verkündete er und tupfte sich vorsichtig mit der Serviette den Mund ab.

    „Wie bitte? Tante Eva, Rosalia und Ida kommen zu Besuch?", fragte Amelie fassungslos und ließ die Gabel sinken. Sie starrte ihren Vater entsetzt an und überlegte, ob ihr eigentlich etwas noch Schlimmeres hätte passieren können, als dass ihre Cousinen zu Besuch kamen.

    „Ja, natürlich, sie sind schließlich noch jedes Jahr einmal zu Besuch gekommen", erwiderte Herr Amalsberger scheinbar gleichgültig und widmete sich weiter seinem Frühstück.

    „Aber sie waren noch nie an meinem Geburtstag zu Besuch", empörte sich Amelie.

    „Was macht das schon für einen Unterschied?", fragte ihr Vater gelassen und köpfte sein Frühstücksei.

    „Ich finde, Rosalia und Ida sind wirklich zwei reizende kleine Mädchen", bemerkte Alexander und nahm sich noch eine Scheibe von dem frischgebackenen Brot.

    „Du hast recht, vor allem Rosalia hat eine Menge Charme entwickelt", stimmte ihm Josef zu.

    „Ich glaube, ich sollte meine Schwester und ihre Töchter öfter einladen, es ist wirklich zu schade, dass wir so wenig Kontakt haben", bedauerte Herr Amalsberger, während er Konrad, dem Hausdiener, der schweigend im Hintergrund stand, deutete, ihm noch Kaffee nachzuschenken.

    „Ja, das wäre eine nette Abwechslung", gab Alexander zu.

    Ihr könnt es ohne weiteres gutheißen, wenn sie öfter zu Besuch sind, denn euch belästigen die beiden auch nicht den ganzen Tag lang, dachte Amelie bitter und drehte den Löffel in der Hand. Sie konnte sich nur mit Mühe beherrschen.

    „Warum haben wir überhaupt so wenig Kontakt mit Tante Eva?", wollte Josef wissen.

    „Nun, wir hatten nie viel Kontakt miteinander, immerhin ist meine Schwester zwölf Jahre jünger als ich, hat mit achtzehn geheiratet und ist in die Stadt gezogen. Ich jedoch bin hier auf dem Gut geblieben und habe das Anwesen nach dem Tod meines Vaters weitergeführt. Eva und ich haben uns oft lange Zeit nicht gesehen, doch nun will ich das ändern, denn ich glaube, dass es sich nicht gerade positiv auf Amelies Entwicklung auswirkt, wenn sie so selten mit gleichaltrigen wohlerzogenen Mädchen beisammen ist. Darum finde ich es gut, wenn Amelie ihre Cousinen besser kennenlernt", berichtete Herr Amalsberger ungewohnt redselig.

    Alexander und Josef nickten zustimmend, nur Fridolin saß nach wie vor schweigend auf seinem Platz und hatte die Stirn tief in Falten gelegt, als würde er angestrengt über etwas nachdenken. Doch niemand schenkte ihm Beachtung, denn sie alle waren bereits an seine Launen gewöhnt.

    Ich glaube, dass es sich nicht gerade positiv auf Amelies Entwicklung auswirkt, wenn sie so selten mit gleichaltrigen wohlerzogenen Mädchen beisammen ist. Diese Worte machten Amelie innerlich rasend. Was konnte sie schließlich dafür, dass sie keine Schwestern in ihrem Alter hatte und dass sie zu Hause unterrichtet worden war? Sie biss sich fest auf die Lippen und versuchte sich zu beruhigen, so gut es ging. Was wussten ihr Vater und ihre Brüder denn schon? Sie waren alle auf das zuckersüße gewinnende Lächeln, das Rosalia und Ida immer aufsetzten, hereingefallen. Wenn die beiden zu Besuch waren, versuchten sie ständig, ihr das Leben so schwer wie möglich zu machen, und meistens war sie es dann, die für irgendetwas, was sie gar nicht getan hatte, büßen musste.

    Schließlich hielt Amelie es nicht mehr aus, wie ihr Vater, Josef und Alexander ihre beiden Cousinen über den grünen Klee lobten.

    „Entschuldigt mich bitte", sagte sie brüsk, stand auf und verließ den Speisesaal.

    Ihr Vater und ihre Brüder erhoben sich kurz, als sie aufstand, setzten sich dann jedoch wieder und führten ihr Gespräch fort. Ob sie anwesend war oder nicht, war nicht weiter von Belang für sie.

    Als Amelie oben in ihrem Zimmer war, setzte sie sich aufs Fensterbrett und blickte in den Hof hinunter.

    Ich werde überhaupt keine Zeit mehr für mich haben, Rosalia und Ida werden mir auf Schritt und Tritt folgen, dachte sie und stöhnte bei der Aussicht, wie die folgenden Tage höchstwahrscheinlich verlaufen würden. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie Emily ja versprochen hatte, herauszufinden, was es mit ihrem Bruder, dem verschwundenen Buch und dem Unfall auf sich hatte.

    Emily wird bald in die Stadt aufbrechen, sie hat ihre Bürde auf sich genommen, also werde ich das Gleiche tun, dachte sie entschlossen und stand vom Fensterbrett auf.

    Amelie ging aus dem Zimmer und blieb schließlich unschlüssig vor Reginas Kammer stehen. Es stand ihr nicht zu, die Kammer ohne Reginas Einwilligung zu betreten, doch irgendwo musste sie schließlich mit ihren Nachforschungen beginnen. Warum also nicht bei Regina? Vielleicht fand sie in ihrem Zimmer Hinweise über jenen seltsamen Liebesroman oder Fridolins merkwürdiges Verhalten ihr gegenüber.

    Amelie lauschte einen Moment, um sicherzugehen, dass niemand die Treppe hinaufkam, dann öffnete sie vorsichtig die Tür und schlich sich in das Zimmer ihrer Zofe. Die Kammer war nicht besonders üppig ausgestattet, aber gemütlich, und vor allem gab es nichts Aufsehenerregendes. Amelie schlich zu Reginas Schrank und öffnete vorsichtig die quietschenden Schranktüren. Auf den Kleiderbügeln baumelten Reginas Röcke und Blusen, und in den Fächern lagen ihre Schürzen und ihre Unterwäsche. Amelie wollte sich bereits enttäuscht abwenden, als ihr Blick auf den Schrankboden fiel. In der hintersten Ecke lag ein Buch. Amelie kniete nieder und holte es hervor. Ihr stockte der Atem, denn es war dasselbe Buch, das sie damals in ihrem Zimmer gefunden hatte! Hastig schlug sie es auf und begann darin herumzublättern. Amelie las ein paar Stellen, doch es schien sich nur um einen gewöhnlichen Liebesroman zu handeln. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, weshalb Regina so ein Geheimnis wegen eines scheinbar normalen Buches gemacht hatte. Amelie wollte es schon wieder irritiert zuschlagen, als sie plötzlich bemerkte, dass das Papier auf der hinteren Seite des Buchdeckels aufgerissen war. Neugierig fuhr sie mit dem Finger in den schmalen Zwischenraum und fühlte plötzlich Papier. Vorsichtig zog sie es heraus. Es war nur ein Blatt, das auf einer Seite dicht mit einer kleinen, fast unleserlichen Handschrift beschrieben war. Amelies Herz pochte rasend schnell, immerhin hatte sie gerade eine tolle Entdeckung gemacht; doch sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, mehr herauszufinden, da Regina jeden Moment die Treppe hinaufkommen konnte. Amelie versuchte trotzdem, das Geschriebene zu entziffern. Es war nicht gerade leicht, da die Schrift ohnehin schon sehr schwer zu lesen war und außerdem ihre Hand vor Aufregung zitterte. Doch schließlich schaffte sie es, einige Zeilen zu enträtseln.

    Enttäuscht ließ Amelie das Blatt sinken, es handelte sich schlichtweg um einen Liebesbrief, einen Liebesbrief, den Regina dem Datum zufolge vor mehreren Jahren bekommen hatte.

    Sie hatte erwartet, dass sie auf diesem Zettel irgendwelche Hinweise über Fridolin finden würde, dabei war das Buch eine völlig falsche Spur gewesen; Regina hatte bloß nicht gewollt, dass sie etwas darin las, weil sie Angst davor hatte, dass sie den Brief finden könnte.

    Plötzlich vernahm Amelie die Stimmen von Regina und Karoline, die näher kamen. Mit fliegenden Händen faltete sie den Zettel zusammen, schob ihn wieder in sein Versteck, klappte das Buch zu, legte es in den Schrank zurück, machte die Schranktüren so leise wie möglich zu, eilte aus dem Zimmer und schloss rasch die Tür hinter sich. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig in ihrem eigenen Zimmer zu verschwinden, bevor Regina die Wendeltreppe hinaufkam.

    Aufatmend ließ sie sich in ihren Schaukelstuhl fallen und griff nach ihrer Stickerei. Ein paar Sekunden später ging die Tür auf, und Regina betrat das Zimmer.

    „Ich habe von Konrad gehört, dass du plötzlich vom Frühstückstisch aufgestanden bist. Was war denn los? Hat es dir etwa nicht geschmeckt?", fragte sie besorgt und setzte sich ihr gegenüber, wobei sie ihr beiläufig die Stickerei aus der Hand nahm, um sie sich anzusehen.

    „Nein, nein, ich hatte bloß keinen Hunger mehr", erklärte Amelie rasch, und Regina gab sich mit dieser Antwort zufrieden und verschwand in Amelies Kleiderkammer, um ihre Blusen zu plätten.

    Amelie legte ihre Stickerei beiseite und nahm sich vor, die Suche nach dem verschwundenen Buch jetzt gleich fortzusetzen, solange ihre Cousinen noch nicht da waren, denn sie wollte ihr Versprechen Emily gegenüber halten und keine Zeit vergeuden. Also machte sie sich auf den Weg in die Bibliothek, die im ersten Stock lag, und stand schließlich unentschlossen vor den vielen Bücherregalen.

    „Was tue ich eigentlich hier? Ich will ein Buch suchen, von dem ich nicht einmal eine Ahnung habe, wie es aussieht. Das ist doch verrückt!", sagte sie schließlich zu sich selbst und seufzte angesichts dieser schier unlösbaren Aufgabe. Doch sie hatte sich nun einmal vorgenommen, dieses Rätsel zu lösen, also würde sie es auch tun oder zumindest versuchen.

    „Ich muss systematisch vorgehen", murmelte sie und beschloss instinktiv, zuerst die Regale im hintersten Bücherschrank, wo verschiedene Chroniken und Bücher über ihre Familie und den Gutshof aufbewahrt wurden, in Augenschein zu nehmen. Sie studierte die verschiedenen Titel auf den Buchrücken, doch sie entdeckte nichts, was ihre Aufmerksamkeit auch nur im Geringsten erregt hätte. Amelie seufzte und ließ ihren Blick resigniert aus dem Fenster gleiten. Die schiere Unsinnigkeit ihres Unterfangens trat ihr erneut vor Augen.

    „So komme ich nicht weiter", seufzte sie und ließ ihren Blick über das unterste Regal schweifen. Weil sie allerdings nicht wusste, was sie sonst tun sollte, kniete sie nieder und begann, die Bücher ganz unten in Augenschein zu nehmen. Ihre Finger glitten über die Buchrücken, und plötzlich entdeckte sie etwas Merkwürdiges. Zwischen zwei dicken verstaubten Büchern war achtlos ein dünnes Heftchen eingeklemmt. Amelie griff neugierig in das Regal und zog es unter einigen Anstrengungen heraus. Das Heftchen war bereits so alt, dass die Seiten beinahe auseinander fielen und die Blätter vergilbt waren. Vorsichtig blätterte Amelie darin herum; die altmodische, verschnörkelte, gleichmäßige Handschrift war an manchen Stellen derart verblasst, dass es fast unmöglich war, sie zu entziffern. Auf der ersten Seite entdeckte sie jedoch eine Inschrift, die ihr den Atem stocken ließ:

    Das geheime Tagebuch

    von

    Adalbert Amalsberger

    Adalbert Amalsberger, das war ihr Großvater, der Vater ihres Vaters. Er war bereits gestorben, als sie vier Jahre alt gewesen war, und sie hatte deshalb keinerlei Erinnerungen an ihn. Doch sie wusste, dass ihr Großvater ein hartherziger und eigenbrötlerischer Mann gewesen war, der so gut wie niemals gelacht hatte.

    Vielleicht erfahre ich jetzt endlich etwas mehr über meinen Großvater, dachte sie aufgeregt und stand auf.

    Amelie schlug das alte dünne Tagebuch zu, presste es behutsam an sich und wollte gerade mit ihrem ungewöhnlichen Fund die Bibliothek verlassen, als Alexander plötzlich unmittelbar vor ihr stand.

    „Was machst du denn hier?", fragte er erstaunt, als er seine Schwester erblickte.

    Amelie versteckte das Heftchen rasch in den Falten ihres Kleides und spürte, wie eine leichte Röte ihr Gesicht überzog.

    „Was hast du da?", wollte Alexander wissen, als er keine Antwort erhielt, und deutete auf eine Ecke des Heftchens, die zwischen den Kleiderfalten hervorlugte.

    „Das…das ist…, Amelie räusperte sich verlegen und zwirbelte mit der freien Hand eine ihrer Haarlocken, während sie fieberhaft nach einer glaubwürdigen Antwort suchte. „Das ist bloß ein Brief, erklärte sie schließlich, woraufhin ein amüsantes Lächeln die Lippen ihres Bruders umspielte.

    „Soso", machte er anzüglich.

    „Er ist von meiner Klavierlehrerin, schwindelte Amelie rasch, unendlich dankbar über ihre rettende Idee, mit der sie nun gleich ein weiteres Problem aus dem Weg schaffen konnte. „Sie schreibt, dass sie sich zur Ruhe setzen und den Unterricht deshalb nicht mehr aufnehmen möchte.

    Alexander nickte gelangweilt, derlei Dinge interessierten ihn nicht.

    „Könntest du das Vater bitte ausrichten?", bat Amelie.

    „Ich werde es ihm sagen."

    „Gut, danke."

    Erleichtert huschte Amelie an ihm vorbei aus der Bibliothek. Als sie in ihrem Zimmer war, versteckte sie das Tagebuch vorsichtig in ihrem Kopfkissenbezug. Sie hatte vor, es erst in der Nacht zu lesen, wenn sie ungestört sein würde. Die restliche Zeit, die ihr noch blieb, bis der Besuch kam und sie ihren Geburtstag feiern würden, wollte sie noch nützen, um dem verschwundenen Buch auf die Spur zu kommen. Sie hatte auch schon einen weiteren Plan, wie sie das anstellen würde.

    Amelie kam sich allmählich wie eine Detektivin vor, während sie die schmale Wendeltreppe in den zweiten Stock hinunterstieg und zu Josefs Zimmer ging. Sie klopfte rasch an die Tür, bevor sie noch der Mut verließ und sie wieder umkehrte.

    „Herein."

    Mit pochendem Herzen öffnete Amelie die Tür und betrat scheu das Zimmer, in dem sie sich so selten aufhielt.

    Ihr Bruder saß hinter seinem Schreibtisch und war über einen Stapel von Papieren gebeugt. „Amelie, brauchst du etwas?", fragte er ungewohnt freundlich und sah von seiner Arbeit auf.

    „Ich wollte dich etwas fragen", begann sie, nachdem sie die Tür vorsichtig hinter sich geschlossen hatte.

    „Ja, bitte?"

    „Also, ähm, ja, also, ich…", Amelie stotterte verlegen herum und nestelte mit den Fingern an ihrem Kleid.

    „Ja?" Josef sah sie mit erwartungsvoller Miene an.

    Amelie holte tief Luft und beschloss, einfach geradeheraus das zu sagen, was sie sich vorgenommen hatte. Sie musste ihre Scheu überwinden und einen direkten Weg wählen, wenn sie wirklich etwas in Erfahrung bringen wollte; das war ihr inzwischen klar geworden.

    „Es ist zwar schon beinahe drei Monate aus, aber du hast einmal etwas über ein Buch gesagt, das verschwunden ist. Was hast du damit gemeint?", fragte sie und wäre gleichzeitig am liebsten vom Erdboden verschluckt worden, denn sie wusste genau, dass ihre Worte lächerlich klangen und Josef sie höchstwahrscheinlich für verrückt erklären würde.

    „Von welchem Buch sprichst du bitte?", fragte ihr Bruder verdutzt, legte

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1