Von Hand zu Hand
Von Helen Weinzweig und James Polk
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Über dieses E-Book
Vieles an dieser Hochzeit ist ungewöhnlich. Das Brautpaar trägt denselben Haarschnitt und Anzug. Der Bräutigam ist schwul, die Braut promiskuitiv, der Pfarrer unecht, der Trauzeuge sturzbetrunken, die jeweiligen Ex- beziehungsweise aktuellen Lover sind anwesend, und bei der Aufforderung zum Einspruch verlassen einige Gäste die Kirche.
Die geladenen Frauen sind mehrheitlich wütend, frustriert von schlechtem Sex, unzurechnungsfähigen Männern und zu vielen Abtreibungen. Das frisch getraute Paar stiehlt sich davon, um lieber im Auto Fast Food zu essen. Bei der heimlichen Rückkehr ist die Hochzeitssuite indes schon vergeben. "Ready? Ready." Denn für diese beiden ist die Hochzeit nicht das Ende, sondern der Anfang ihrer Freiheit.
Helen Weinzweig ist eine Meisterin des bitterbösen jiddischen Witzes und schreibt Sätze voller Wucht und Absurdität. Sie kreiert kuriose, lebendige Szenen, schaut in mannigfaltige Abgründe und spielt leichthändig auf der Klaviatur der Ironie in all ihren Facetten.
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Buchvorschau
Von Hand zu Hand - Helen Weinzweig
Die kanadische Originalausgabe erschien 1973 unter dem Titel Passing Ceremony bei House of Anansi Press in Toronto.
We acknowledge the support of the Canada Council for the Arts. Nous remercions le Conseil des arts du Canada de son soutien. Wir danken dem Canada Council for the Arts für die Unterstützung der Übersetzung.
E-Book-Ausgabe 2020
© 1973 Helen Weinzweig, 2017 Daniel and Paul Weinzweig
© 2020 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
www.wagenbach.de
Covergestaltung: Julie August
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 9783803142863
Auch in gedruckter Form erhältlich: 9783803133281
www.wagenbach.de
Für Paul und Daniel
»Es ist doch ein seltsames Ding, ein solcher Hochzeitsgottesdienst!«, sagte Miles in fast vertraulichem Ton und lehnte sich zurück. »Ich habe die Worte gelesen. Und ich kann es kaum glauben, dass ich sie in Bezug auf mich selbst habe aussprechen hören. Ich meine, diesen Teil der Angelegenheit hatte ich ganz vergessen. Es ist nur eine vorüberziehende Zeremonie.«
Ivy Compton-Burnett,
A Father and His Fate
…Die Kapelle ist feucht, und es fröstelt mich. Es riecht nach grünem Schimmel, trotz der Blumen, trotz ihres Parfüms. Sie lehnt sich an mich, genau wie du, als wir so beieinander standen, vor vielen Toden. Sieh nur, was du verpasst hast, Maggie, indem du dich umgebracht hast: Jetzt nimmt dein Bruder doch noch eine Frau zu seiner rechtmäßigen Gattin: Eine Trauung ist immer noch möglich: Du hast nicht abgewartet, um herauszufinden, was möglich ist. Wenn du mich jetzt hören könntest: Mit diesem Ring vermähle ich mich dir und werde dich nicht enttäuschen in Krankheit und Gesundheit, so wie all die anderen es getan haben. Von euch allen fallen gelassen und zugleich von euch allen verfolgt, jede Nacht ein Albtraum entschwundener Gesichter, nehme ich sie, nehme ich dich, ein kleines Leben, dich zu haben und zu halten entgegen meiner verbotenen Begierde. Der Pastor sagt, ich darf deine trockenen Lippen küssen …
…Ja, ja, ich nehme dich, ja, lauter, ich nehme dich, ich nehme dich, denn du bist bereit, dich halten zu lassen von diesem Reif, hast zugestimmt, dass wir uns mit goldenen Ringen aneinander binden … Ein Ritus, den schon die Götter der Antike billigten, vorausgesetzt, wir schauen uns nicht um … Ich spüre sie, meine Höllenkomplizen, wie sie mir ihre satanischen Gedanken in den Rücken schleudern, hinter mir, wo die Nachzügler sitzen, die sich in letzter Minute umentschieden haben, und wo die Dünste der Gehässigkeit zum Gewölbe aufsteigen; nicht einmal das Kreuz kann die Teufel noch schrecken … Ich muss mich an dich lehnen, deine Schulter an meiner spüren, denn getrennt von dir wird ihr Feuer mich verzehren … Warum wollen sie nicht glauben, dass ich dir treu sein werde …
–Was für ein edles Paar.
– Edel ist, wer edel handelt.
– Man kann nie wissen, vielleicht handeln sie ja edel. Anders womöglich, aber es kann –
– Natürlich. Aber wozu dieses Brimborium? Sie sollten die Kirche aus dem Spiel lassen.
– Läuterung. Die universelle Art der Liebe, auf heilige, nicht auf die schweißtreibende Weise.
– Reine Liebe bedarf keiner kirchlichen Trauung. Geistigen Verkehr können sie jederzeit, an jedem Ort haben. Sie könnten einander lange Briefe schreiben.
– Was das angeht – niemand braucht eine Lizenz zum Lieben.
– Liebe ist nicht genug.
– Nichts ist genug.
– Man kann nicht alles haben.
– Dann haben sie das Richtige getan.
– Was?
– Etwas.
In die Züge des Pastors mischt sich immer wieder Leons Gesicht mit der großen Nase. Der Bräutigam konzentriert sich auf den Mund des Pastors, der wiederum ganz anders ist als Leons; jener hat schmale, Leon dagegen volle Lippen. Indem er den Mund beobachtet, kann er der Eheschließung folgen. Sein Kopf ist voller Geräusche, sodass er die Worte nicht deutlich hört. In der Brusttasche des Bräutigams steckt eine Postkarte, die den Strand von Málaga zeigt. Der Gruß auf der Vorderseite lautet: Denke an Dich und versuche zu verstehen. In Liebe, Leon. Auf dem kolorierten Foto nicht zu sehen ist der Strandabschnitt, wo Leon im Sand liegt und die olivfarbene Haut eines schlanken Jungen streichelt.
Die Braut ist ähnlich aufmerksam. Sie kennt die Litanei in- und auswendig und kann jedes Wort voraussagen. Dennoch ist sie nervös: Im hinteren Teil der Kapelle ist ein Rascheln zu hören: Nachzügler versuchen leise Platz zu nehmen. Sie spürt eine gewisse Unruhe. Ist es die Anwesenheit ihres Vaters, wurde er erkannt? Hat er seine mexikanische Frau mitgebracht? Im Rücken eine Unruhe, wie von Mäusen in der Nacht. Ja, ja, ich will, sagt sie, als es an ihr ist, zu antworten.
…Alle meine Kleinen sind fort, dort steht das letzte meiner Babys in jungfräulichem Weiß und macht Versprechungen, die sie nie halten wird, genau wie ihr Vater … Ich verstehe nicht, wozu die langen Monate mit dickem Bauch gut waren, die finsteren Schmerzen, nun, da sie fort sind, da alle fort sind … Es ist nicht fair, es ist nicht fair …
Da sitzt du nun, Vater der Braut, sitzt aufrecht da und In der Mitte einer mittleren Reihe rechts vom stolz. Gang. Wie kommt es, dass du dich nicht an deinem rechtmäßigen Platz befindest, in der zweiten Kirchenbank zur Linken, neben der Mutter der Braut? Es ist dein Sohn Thomas, der dort statt deiner sitzt.
Du wirst begutachtet: Mehr Augen sind auf dich gerichtet als auf deine Tochter, die ihr Gelübde wiederholt.
Spekulationen. Mit deiner Anwesenheit gehst du ein furchtbares Risiko ein. Und wenn du schon deine kleine dunkelhäutige Frau mitbringen musstest, das arme Kind, so jung, weshalb hast du sie dann nicht angemessen eingekleidet?
Als einfühlsame Beobachter sollten wir deine zutiefst bewegenden Gefühle, zumindest deine sentimentalen Betrachtungen zur Kenntnis nehmen. Du bist verstockt. Wir können dich nicht lesen. Gib uns Anhaltspunkte: ein paar Erinnerungen, etwas, was du bereust. Ersatzweise stichhaltige Theorien über die Ehe, wie sie sich in deinen umfassenden Studien finden lassen: Verweise auf Stammesbräuche wären akzeptabel. Doch nichts von literarischem Interesse lässt sich entnehmen. Keine Philosophien? Wir haben dich als einen Philosophen in Erinnerung, der dazu neigt, banale Vorkommnisse in eine historische, meist altgriechische Perspektive zu rücken. Gewiss ist dies der passende Moment … ah … ein flüchtiger Gedanke: Der Bräutigam wirkt auf dich wie ein Mann ohne Knochen, von der Sorte, deren Fleisch so nachgiebig ist wie das einer Frau; und die Vorstellung, dass dieses doppelt Nachgiebige kopuliert, ist dir widerwärtig. Zu hart ausgedrückt? Dann ist es eben nur anstößig. Das wird vorerst reichen müssen. Vielleicht kommen wir später, beim Empfang, nach ein paar Drinks, auf dich zurück.
In jedem Fall haftet dem Vater der Braut etwas Rastloses an. Während sein Kopf und seine Schultern, leicht vornübergeneigt, ungeteilte Aufmerksamkeit vermuten lassen, krümmt er sich weiter unten, wo niemand es sehen kann, auf seinem Sitz. Seine Knie sind zusammengepresst, die Füße zur Seite gestellt, als wolle er einer Pfütze ausweichen. Natürlich. Der Vater der Braut verspürt Symptome einer vergrößerten Prostata.
Die ganze Zeit hat er versucht, sich daran zu erinnern, ob er in den unterirdischen Gängen vor der Kapelle irgendwo das Schild einer Herrentoilette erblickt hat. All die massiven Eichentüren mit schwerem schmiedeeisernem Zierrat sahen gleich aus. Kein Hinweis auf die Beschaffenheit der Zuflucht, die sie bieten. Seine Konzentration gilt dem Bemühen, den Harndrang zu kontrollieren.
Frederick Gainsborough Smith.
Fred.
Während der langen Fahrt auf dem Freeway 401 hast du an deinen Geburtstag gedacht, deinen fünfzigsten. Die Hälfte eines Centenniums, ein halbes Hundert, fünfzig, eine Fünf mit einer Null. Du hast versucht, die Obsession mit deinem Alter abzuschütteln, weil man bezüglich Geburt oder Tod ohnehin keine Wahl hat – um ehrlich zu sein, hat man überhaupt recht wenig Wahl. Ehrlichkeit ist keine Hilfe: Die Zahl 50 nimmt allen Raum in deinem Kopf ein. Du kannst an nichts anderes denken. Dennoch, wie du so mit hundertdreißig Sachen dahingebraust bist, hast du dich damit getröstet, dass du nach wie vor geistig rege und motorisch geschickt bist, das