unter wegs sein: Kurzgeschichten und Gedichte
Von Ulmer Autoren
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Buchvorschau
unter wegs sein - Ulmer Autoren
Vorwort
Liebe Lesende,
kurze Geschichten die viel erzählen, Gedichte die unsere Gefühle ansprechen, Erzählungen die uns mit auf die Reise nehmen. Das vorliegende E-Book zeigt die Vielfalt der Möglichkeiten, sich mit dem Thema »unterwegs sein« zu befassen.
Unterwegs sind die Autorinnen und Autoren mit ihren Texten nicht nur in fernen Ländern wie Griechenland, der Türkei oder Italien, die Reise führt auch immer wieder hinein in das Innere der beschriebenen Figuren. Gereist wird mit Sehnsüchten, Gedanken und Erinnerungen, aber auch mit den verschiedensten Verkehrsmitteln, per Schiff, Auto, Flugzeug und sogar mit dem Heißluftballon. Auf all diesen Reisen sind die Protagonisten der Geschichten nicht nur unterwegs, um unbekannte Länder zu entdecken, sondern vor allem auch, um andere Menschen kennenzulernen, um sich vergangener Erlebnisse zu erinnern oder um bewegende und humorvolle Geschichten zu erzählen.
Schon kurz nach der Ausschreibung des Themas »unterwegs sein« wurden von den Mitgliedern des Vereins zahlreiche Manuskripte eingereicht. Die Auswahl der jetzt vorliegenden Texte traf eine vereinsexterne Jury. Dafür danken wir herzlich Frau DrPh. Alice Boldis und Herrn Thomas Kuhnert. Durch die gelungene Arbeit der Lektorin Frau Gabriele Betz aus Tübingen wurden die Texte weiter verfeinert.
Das Buch zeigt ein buntes Bild unterschiedlicher Ideen und verschiedener Textformen, vom Gedicht bis zur langen Kurzgeschichte. Nehmen Sie es doch einfach mit, wenn Sie einmal unterwegs sind!
Herzlichst
Adi Hübel,
Vorsitzende Ulmer Autoren 81 e.V.
Blind Date • Marco Kerler
Landkarten
wanderung
der Finger
Augen geschlossen
dabei egal
was kommen mag
Überfahren
die Autobahn
Kirche den Fluss
dann Innehalten
Augenaufschlag
Hier
werden wir uns
begegnen
Endlich • Christa Konrad
Es muss hier irgendwo sein.
Die Hälfte des Stadthügels liegt hinter mir, es geht weiter steil bergauf. Gut, dass die hier nie Glatteis haben, kein Auto würde im Winter da hochkommen.
Es ist der erste November, ich schwitze, mein Kleid klebt feucht am Körper, ich drücke mich in den Schatten der Hausmauern, schaue zum wiederholten Male in den Stadtplan. Wenn ich ihn richtig gelesen habe, bin ich fast da. Im Moment sehe ich nur Häuser mit grauen Fassaden, bröckelndem Putz, Farbe, die abblättert, Fenster ohne Scheiben, rostige Türangeln, verwittert von Sonne, Sturm und der salzhaltigen Luft des Meeres. Wenige Geschäfte entlang der Straße, alle geschlossen. Ob heute Sonntag ist? Ich kann mich nicht entscheiden, gehe ich nach rechts, links oder weiter geradeaus?
Ein Mann kommt den Hügel herauf, ich lächle ihm entgegen, halte ihm den Stadtplan unter die Nase. Hebe ratsuchend die Schultern, ich spreche kein Griechisch. Er zeigt mit ausgestrecktem Arm nach oben, weiter den Berg hinauf. Für einen Moment bin ich beruhigt, auch wenn mich die zurückgeworfene Hitze des Asphalts erschöpft. Meine Schritte bleischwer, werden immer langsamer.
In der nächsten Querstraße eine bröckelnde, dicke Mauer, überwuchert von Bougainvilleen in unglaublichem Rosa. Dahinter eine kleine Kapelle mit einem Kreuz auf dem Dach. Ich gehe an dieser Mauer entlang, Sand und bröckelnde Steinchen knirschen unter meinen Sandalen. Mein Herz klopft zum Zerspringen, mein Kopf glüht, als ich um die Ecke biege und das flügeltürige, schmiedeeiserne, rostige Tor sehe.
Ich fasse nach der Klinke, lehne mich gegen das Tor, rüttele, nichts bewegt sich. Verschlossen, ich komme nicht hinein. Es dauert, bis die Tatsache in mein Bewusstsein vordringt. Ich kann nicht mehr, meine Knie geben nach, Trauer überrollt mich wie eine Lawine. Zornige Tränen laufen über mein Gesicht, ich schaue flehend zum Himmel hinauf: Bitte Peter, wenn du mich hörst, hilf mir. Fünf Jahre und einen Tag habe ich auf diesen Augenblick gewartet!
Ich raffe mich auf und entdecke das Schild. Zum Glück kann ich den Hinweis, wo der Schlüssel für dieses Tor zu bekommen ist, entziffern: in einer Kirche in der Unterstadt. Da war ich heute Morgen schon einmal und bat Gott um Hilfe, dass ich dein Grab finde. Nun also den Berg wieder hinab, ich klingle am Tor neben der Kirche, ein Pater öffnet. Mit einer Mischung aus Englisch, Deutsch und dem Stadtplan versuche ich ihm mein Anliegen verständlich zu machen. Er verschwindet im Inneren des Hauses und kommt mit einem alten Schlüssel zurück. Mein Blick fällt auf den Anhänger: Groß steht dort die Zahl 18:00 Uhr.
Panik steigt in mir hoch, dann habe ich nur noch eine Stunde, sage ich verzweifelt und deute auf die Zahl. Der Pater versteht, nickt und lächelt. Er zeigt auf einen Briefkasten, seine Hand bedeutet mir, wirf ihn einfach da hinein, egal wann. Erleichtert und dankbar nehme ich Abschied, sein Blick umhüllt mich warm.
Nochmals nehme ich den Berg in Angriff, meine Gedanken gehen dabei weit zurück, in eine Zeit, in der wir spielten, stritten und weinten. Peter und ich wollten nicht alleine sein mit der Angst um sie, es ging ihr sehr schlecht. Wir waren elf und zwölf, niemand erklärte uns etwas. Keiner mehr, der lachte, sang oder den Plattenspieler anmachte, seit Mutter krank war.
Weißt du noch Peter, wir gingen auf Zehenspitzen, trotzdem schrie sie vor Schmerzen, nicht weil wir zu laut waren, sondern weil die Medikamente wohl nicht mehr wirkten. Es war gut, einander zu haben, es schweißte uns zusammen. Wenn die Angst zu groß wurde, schlüpften wir am Abend in mein Bett und hielten uns fest, bis wir einschliefen. Später habe ich dieses Festhalten sehr vermisst. Du hast dieses Elend nicht länger ausgehalten und bist weggelaufen, immer länger und weiter weg, einmal dann bis zur Fremdenlegion.
Meine Erinnerungen haben mich den Berg hinaufgezogen. Dort ist das Tor, ich stecke den schweren, langen Schlüssel ins