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Der Valle-Tote: Mord auf La Gomera
Der Valle-Tote: Mord auf La Gomera
Der Valle-Tote: Mord auf La Gomera
eBook345 Seiten4 Stunden

Der Valle-Tote: Mord auf La Gomera

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Über dieses E-Book

Paula wollte eigentlich nur Urlaub machen im Valle Gran Rey auf La Gomera. Gerne auch mit Anke, Gunnar und Franz – drei ganz unterschiedliche Charaktere, die sie auf der Insel kennenlernt und mit ihnen Meer, gomerische Küche, Fiesta und angeregte Gespräche genießt. Besonders über die im Valle Gran Rey angebotenen Formen spiritueller Heilssuche sind die vier durchaus unterschiedlicher Meinung.
Dann stößt Paula auf die Leiche eines im Valle Gran Rey ansässigen deutschen Psychotherapeuten und im Zuge der Suche nach dem Täter kreuzen die vier Freunde immer wieder die Wege von Inspector Falla und seinem Team, das in einem unübersichtlichen Umfeld von Touristen, Hippies, Esoterikern und Geschäftemachern ermitteln muss. Dass Inspektor Falla dem Tourismus und überhaupt der deutschen Szene im Valle Gran Rey ziemlich missmutig gegenübersteht, macht die Tätersuche nicht unbedingt einfacher ... Auf eigene Faust mischen sich auch Paula, Anke, Gunnar und Franz in die Suche nach dem Mörder ein. Als ein weiterer Mord geschieht, stehen sie nicht nur vor der Frage, wem sie eigentlich vertrauen können, sondern bringen sich auch selbst in Gefahr.


SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum17. Okt. 2020
ISBN9783966337700
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    Buchvorschau

    Der Valle-Tote - Elise Wefer

    Jahre

    1. Tag - Mittwoch

    „Bei dir liegt der Eigenstein auf dem Herzstein. Könnte es sein, dass du deinem Herzen in deinem Leben nicht genug Raum gibst?"

    Der nackte, braun gebrannte Mann strich die blonden Locken aus seinem Gesicht und blickte von den drei auf dem roten Handtuch liegenden Steinen hoch zu Paula, die ihn grinsend ansah. Sie beugte sich ein wenig vor.

    „Steht das etwa in den Steinen?", fragte sie mit Skepsis in der Stimme.

    „Ja, sicher! Sieh dir das doch nur an. Der Herzstein ist ja fast verdeckt vom Eigenstein. So etwas habe ich selten gesehen."

    Kopfschüttelnd starrte der Mann auf die Steine.

    „Liebe, sich mal den schönen Dingen des Lebens widmen, was auf dich zukommt einfach ein bisschen genießen – alles offenbar Fehlanzeige bei dir."

    „Hmm – na, die Steine scheinen ja ganz schön schlau zu sein. Wissen mehr über mein Leben als ich selber. Und du konfrontierst mich mit meinem Wesen ja auch sehr einfühlsam. Wo liegt denn dein Herzstein in der Regel so?"

    Der Steineleger ignorierte die Ironie seines Gegenübers und fuhr begeistert fort.

    „Und guck mal, wie der Eigenstein sich hier präsentiert. In all seiner Pracht! Der Eigenstein hat einige Zacken und Kanten. Siehst du? Da."

    Sein Zeigefinger näherte sich dem dunklen Stein. Paula folgte dem schlanken Finger des Mannes mit ihrem Blick. Sie nickte.

    „Diese Kanten und Zacken zeigen nach oben und werden überhaupt nicht vom Herzstein verdeckt. Die Zacken stehen für deine Eigenheiten, für das Besondere an dir. Das liegt völlig frei. Ein Zeichen für eine ganz stark ausgeprägte Persönlichkeit. Dich vergisst man so schnell nicht."

    Der Mann lächelte gewinnend und stützte einen Arm locker auf seinem angezogenen Bein ab.

    „Na wenigstens etwas, wenn denn schon mein Herzstein bis zur Bedeutungslosigkeit untergebuttert wird."

    „Der ist nur verdeckt. Aber eigentlich will der raus."

    Paula kräuselte ihre Nase und verkniff sich ein Lachen.

    „Ok – was verraten denn die Steine noch über mich? Was bedeutet denn der rote Stein, der ein Stück entfernt von den anderen beiden liegt?"

    „Das ist der Feuerstein. Der zeigt die Lebensenergie an, deine Lebenspläne, wohin du dich entwickelst, mit wieviel Kraft und Energie sozusagen."

    Zufrieden nickte der Mann und kniff die Augen leicht zusammen.

    „Der liegt ja ziemlich weit weg von dem Eigenstein und dem Herzstein."

    Paulas Stirn legte sich in erwartungsvolle Falten.

    „Ja, der liegt ziemlich weit weg. Kannst du dir vorstellen, warum der so weit weg liegt?", fragte der Mann behutsam. Er blickte sie intensiv an.

    „Hm, ich bin ja hier im Urlaub. Viel Energie hab ich tatsächlich gerade nicht."

    „Und zu Hause?", fragte der Mann mit gedämpfter Stimme und treuem Blick.

    „Naja, zu Hause hau ich eigentlich ganz schön rein. Da wäre der Stein bestimmt ganz oben über den anderen Steinen gelandet."

    „Soll ich dir mal was sagen? Er wartete ihre Antwort nicht ab. „Dein Feuer kommt sehr bald zu dir zurück. Und weißt du, woran ich das erkenne?

    Er sah sie erwartungsvoll an. Paula schüttelte den Kopf.

    „Keinen Schimmer. Verrat es mir."

    „Der Feuerstein hat ja so eine Tropfenform und die Spitze des Tropfens zeigt zum Herzstein und zum Eigenstein. Das ist die Richtung deiner Energie."

    Um seine Worte zu unterstreichen, fuhr er mit der Handkante in der Luft vom Feuerstein hin zu den anderen beiden Steinen.

    „La Gomera ist energetisch aufgeladen. Du wirst das merken. Dir wird die Energie nur so zufliegen. Wenn du dein Feuer brauchst, wirst du es haben. Dein Urlaub wird noch ein feuriges Abenteuer. Glaub mir."

    Er nickte nachdrücklich und kniff kurz Augen und Mund zu einer Geste der Ermutigung und Zuversicht zusammen. Dann sammelte er die den Eigenstein, den Feuerstein und den Herzstein ein, legte sie vorsichtig in ein kleines Ledertäschchen, stand auf und blickte sich nach anderen Strandbesuchern um, denen er die Steine legen könnte.

    Paulas Blick schweifte über die braun gebrannten Menschen, die am Strand lagen oder in den hohen Wellen tobten. Einzelne Gesprächsfetzen waren vor dem steten Hintergrundgeräusch der rollenden Wellen zu hören, viele lagen einfach da, lasen oder blickten über die friedvolle Szene. Ihr Blick fiel auf den davonschlendernden Steineleger und sie lächelte. Nach drei Tagen Urlaub im Valle Gran Rey wunderte sie sich über solche Szenen nicht mehr. Die meisten Leute hier schienen hauptsächlich um sich selbst zu kreisen. Und um ihre Träume. Gleich nach ihrer Ankunft hatte Marleen, Besitzerin des Casa Marleen in La Calera, Paula eingestimmt in die besonderen Vibrationen der Insel. Noch bevor Paula wusste, wo die Küche war, hatte Marleen ihr schon eine Erklärung für die überall herum liegenden Wäscheberge kombiniert mit einer spirituellen Momentaufnahme gegeben.

    „Du bist genau im richtigen Moment gekommen. Grayan ist noch ein paar Tage hier auf der Insel. Weißt du, er ist ein spiritueller Meister und die gesamte Energie ist total verändert. Es passiert unheimlich viel. Jeden Abend geh ich zum Meeting mit ihm und das ist total irre, was von dem ausgeht, der hat eine wahnsinnige Ausstrahlung. Deswegen ist hier im Haus auch alles ein bisschen durcheinander. Du solltest auch unbedingt hingehen. Du wirst dich energetisch aufgeladen fühlen und von alten Blockaden befreit."

    Paula fragte sich, ob der Preis der Befreiung von inneren Blockaden nun äußere Blockaden in Gestalt von Wäschebergen sein sollten, hatte dann jedoch etwas vor sich hingemurmelt, das sich hoffentlich irgendwie freundlich angehört hatte. Aber Marleen hatte sowieso nicht hingehört und einfach weiter geplappert.

    „Die Energie hier auf Gomera ist sowieso wahnsinnig intensiv. Das wirst du an deinen Träumen merken. Die Küche ist unten am Ende vom Gang, du kannst alles benutzen, musst es aber hinterher abwaschen."

    Paula ließ ihren Blick weiter schweifen. Ein Stück hinter dem Steineleger entdeckte sie zwei Mittzwanziger, die sie bereits im Bus von dem Hafenort San Sebastian in das Valle Gran Rey gesehen hatte. Betont cool, dunkle Sonnenbrillen, lässig übereinander geschlagene Beine und undurchdringliche Gesichter. Jetzt am Strand konnte jeder - oder wohl doch eher jede - ihre gut trainierten Körper bewundern, die im Gegensatz zu ihrer eigenen ziemlich rosaroten Haut schon die goldene Bräune hatten, durch die Neuankömmlinge sich von den alten Gomera-Hasen unterschieden, die schon seit mindestens einer Woche da waren und Rhythmus und Rituale an die nächste Urlaubergeneration weitergaben. Musste ja alles erstmal gelernt werden: Wo man am besten den Café con leche nach dem Strand trinken konnte, wo die Betrachtung des Sonnenuntergangs stattfand, welches der angesagteste Geheimtipp unter den Restaurants war, welchen touristischen und politischen Gefahren die Bananenplantagen ausgesetzt waren, was ein Scirocco ist ... Die beiden Männer würden perfekt zu den blonden Zwillingen passen, die jetzt ganz hinten an den Felsen lagen, sinnierte Paula - um die zwanzig, blondierte, strubbelige Haare und lange Beine. Dicht am Wasser lag ein älterer Mann mit ledriger, brauner Haut, der ihr bereits dadurch aufgefallen war, dass er unterhalb seines Hinterns helle Stellen hatte - offenbar Resultat seiner schlaffen Pobacken, unter die sich nur selten ein Sonnenstrahl verirrte. Jetzt lachte er selbstvergessen bei der Lektüre des Valle-Boten, der deutschsprachigen, ziemlich amüsanten Inselzeitung. Hinter ihr in den Felsen hatten sich jetzt einige junge Spanier versammelt, die lautstark diskutieren und von ihrem etwas erhobenen Posten den ganzen Strand überblickten.

    Der Strand wurde voller. Eine spanische Familie mit mindestens zwölf Leuten einschließlich einiger plärrender Kinder hatte sich vor Paula niedergelassen; sie grüßte zu einem Paar hinüber, das auch im Casa Marleen wohnte, im flachen Wasser standen mehrere Männer und Frauen, die auf eine günstige Gelegenheit warteten, sich zwischen zwei großen Wellenbrechern ins tiefere Wasser zu stürzen. Paula fühlte sich verschwitzt und ein wenig benommen von der Sonne. Sie stand auf und ging langsam über den heißen, schwarzen Sand zum Meer hin. Die Wellen waren gewaltig und sahen ungeheuer verlockend und erfrischend aus. Alle, die im Wasser waren, in der Brandung oder mitten in den Wellen tobten, juchzten bei jedem neuen Brecher. Paula erwischte den richtigen Moment, um ins Wasser zu springen und kämpfte sich an die Stelle vor, wo die Wellen sie hochtrugen ohne dass sie an den Strand geschleudert wurde. Die Bewegung des Meeres, der blaue Himmel über ihr, die kahlen braunen Felsen des Berges, der friedliche schwarze Strand machten sie glücklich und sie lachte bei jeder neuen Welle vor Freude laut los. Sie fühlte sich wunderbar!

    „Hola, kann ich mich zu dir setzen?"

    Zuerst sah Paula nur rote, lange Haare und dann erst den Rest von Anke, die sich ohne eine Antwort abzuwarten neben Paula fallen ließ. Anke war ein paar Jahre jünger als Paula und strahlte eine lässige, leicht phlegmatische Energie aus. Anke arbeitete in Bremen als Privatdetektivin und war hauptsächlich auf eheliche Untreue angesetzt, hatte aber zufällig auch mal zur Verhaftung eines Diebes beigetragen als der in ein Haus einstieg, in dem Anke ein außereheliches Stelldichein erwartet hatte. Paula konnte sich gar nicht vorstellen, wie Anke ihre Spitzelarbeit machen konnte; mit ihrer roten Lockenmähne war sie eigentlich viel zu auffällig. Auch hätte sie gedacht, eine Privatdetektivin müsse geschmeidig und schnell in ihren Bewegungen sein, Anke aber ging stets mit großen, gemessenen Schritten.

    Sie war bereits das siebte Mal auf Gomera, reiste auch alleine und hatte Paula am Strand angesprochen. Von ihr war Paula auch in die wesentlichsten Urlaubsrituale des Valle Gran Rey eingeweiht worden. In einer Pizzeria in La Playa hatten sie festgestellt, dass beide ähnliche Filme mochten, nicht viel Zuversicht hatten, dass glückliche Beziehungen mit Männern möglich sind und den Süden liebten. Nach dem Essen hatte Anke Paula einen Verdauungsspaziergang am Meer entlang und einen Drink in der „Samoa-Bar" in Vueltas vorgeschlagen. Aus einem Tequila Sunrise wurden schließlich drei und als das Licht anfing zu flackern als Zeichen, dass nun bald Feierabend war, war Paula so aufgedreht, dass sie und Anke mit zahlreichen weiteren Bargästen in den Club weiterzogen und dort bis 4 Uhr früh tanzten. Am Ende des Abends wusste sie, wie sehr sie es vermisst hatte, mal wieder eine Nacht durchzutanzen.

    „Sag mal, ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass man die Gomera-Urlauber so richtig in handliche Gruppen einteilen kann?"

    Anke senkte den Kopf wie eine Lehrerin, die einen Schüler abfragte und schaute Paula an, die ihrerseits erwartungsvoll den Kopf schüttelte.

    „Also, da gibt es erstmal die Freaks und die Hippies - die müssen hier einfach als erste genannt werden; denn sie waren ja die ersten auf der Insel. Zugegeben - sie wollten eher ein bisschen südliches dolce vita und einen ordentlichen Joint durchziehen und wenn sie geahnt hätten, wer hier heutzutage alles rumhängt, hätten die bestimmt jeden gevierteilt, der von diesem Paradies plauderte. Aber trotzdem: Ob sie wollen oder nicht - sie sind unsere touristischen Ahnen."

    „Amen."

    „Spotte du nur. Du kommst auch noch in ´ne Schublade. Die Hippies von damals sind die Lehrer und Sozialpädagogen von heute. Ich weiß nicht wie, aber sie sind erkennbar. Deutlich! Unzweifelhaft! Und hast du die sehnsüchtigen Blicke gesehen, die sie den hiesigen richtigen Hippies zuwerfen?"

    Paula grinste.

    „Lass mich raten - die nächsten sind die Esoteriker. Die Gurus und Jünger und Steineleger und die mit den intensiven Träumen."

    „Ganz richtig, meine Liebe."

    Anke nickte zufrieden.

    "Dann haben wir die alleinerziehenden Mütter, die Wanderer, ...

    „.... die langweiligen Paare, die Pauschaltouristen ..."

    „Wieso langweilig?"

    „Hast du schon andere getroffen?"

    Anke überlegte.

    „Nee."

    „Siehst du, ich auch nicht."

    „Na gut, lassen wir das mal so stehen. Obwohl es mich schon reizen würde, diesen sympathischen Steineleger da drüben mal zu fragen, warum meine neue Urlaubsbekanntschaft Paula Paare eigentlich als grundsätzlich langweilig beschreibt ..."

    „Nur zu - er wird dir bestimmt deine Zacken im Eigenstein erklären können - viele Zacken hatten irgendwas mit viel Zicke zu tun, glaub ich."

    „Zickezacke, zickezacke, ..."

    Beide kicherten und sahen zu dem Steineleger hinüber, der inzwischen gleich zwei Frauen zugleich die Steine legte.

    „Und wann kommt eigentlich meine Schublade?"

    „Du, überlegte Anke, „du gehörst zu der Gruppe derer, die meinen, in keine Schublade zu passen. Zu den Über-den-Dingen-Steher.

    „Oh, vielen Dank, sehr schmeichelhaft, sagte Paula säuerlich. „Dafür bist du eindeutiger. Nachtschwärmer. Die-Nacht-zum-Tag-Macher. Am-nächsten-Tag-mit-dickem-Kopf-am-Strand-Sitzer.

    Beide schwiegen und starrten aufs Meer. Plötzlich guckten Paula und Anke sich gleichzeitig aus den Augenwinkeln an und fingen an zu lachen.

    „Ok. Akzeptiert", meinte Anke schließlich, als sie sich soweit beruhigt hatten, dass der Steineleger sie nicht mehr milde lächelnd anblickte.

    „Du bist aber auch eine getarnte Nachtschwärmerin und ich bin auch Wanderin und im Herzen ein Freak ..."

    „Und natürlich Esoterikerin. Warst du eigentlich beim großen Meister gestern Abend?"

    Anke nahm sich eine Zigarette.

    „Ja, bin jetzt erleuchtet."

    Mit bedeutungsschwangerem Augenaufschlag ließ sie das Feuerzeug aufblitzen und sog den ersten Zug genussvoll ein.

    „Also mal ehrlich - viel Neues hab ich da nicht erfahren. Er sagt, dass wir in Wirklichkeit alle aus Licht bestehen und guckt erst so sphärisch in der Ferne und dann mit seinen Glutaugen in die Schar der Jünger."

    Zur besseren Anschauung riss Anke ihre strahlend blauen Augen weit auf.

    „Er sieht gut aus, aber inhaltlich richtig überzeugend fand ich ihn nicht. Allerdings hab ich sowieso meine Probleme mit Gurus. Also, mein Ding ist das nicht."

    „Na, das scheint es ja fürs erste mit deiner Heilssuche wohl gewesen zu sein", stellte Paula fest.

    „Och, so würde ich das auch wieder nicht sehen. Heute Abend geh ich vielleicht noch mal hin."

    „Gib´s zu, da steckt ein Mann dahinter. Glutauge selbst oder ein anderer?"

    Anke lachte wieder und seufzte.

    „Ein anderer ... Der schönste Mann der Welt. Ich glaube, er lebt auf der Insel. Jedenfalls war er nach dem Meeting auch mit dem Essen beschäftigt für alle, die den Workshop bei Grayan auf der Finca la Luna machen. Ich hab mal ein Auge rübergeworfen, aber er war laufend umringt von drei Frauen, die den Workshop auch mitmachen und dann bin ich abgezogen. Aber heute Abend muss ich wieder hin. Kommst du mit?"

    Paula winkte ab.

    „Nee, für mich ist das nichts. Glutäugige Gurus kann ich nicht ab. Außerdem besteh ich nicht aus Licht, sondern hauptsächlich aus Wasser. Meinst du, mit der Erkenntnis könnte ich auch was werden? Vielleicht eine Schwapptherapie anbieten? ´Reite auf den Wellen deiner Seele und geh ein in das Meer der Ganzheit`", fabulierte Paula.

    Anke drückte ihre Zigarette aus und lachte.

    „Nicht schlecht, aber ich geh erst mal ins Wasser und reite auf den ganz normalen Wellen."

    Paula blickte Anke hinterher und entdeckte eine Mittvierzigerin am Strand, die Eleganz ausstrahlte, obwohl sie nur einen Bikini trug. Sie war Paula bereits vorher in einem Restaurant in La Calera einmal aufgefallen, wo sie mit beneidenswerter Selbstverständlichkeit alleine an einem Tisch saß. Paula selber fühlte sich immer hölzern, wenn sie mal alleine essen musste. Für ihr Alter hatte die eine super Figur fand Paula und hoffte, dass sie in 10 Jahren auch noch so einen festen Körper haben würde. Ich muss mehr Sport machen, nahm sie sich vor. Unbedingt! Neben der Frau saß ein sportlich aussehender Mann ungefähr im selben Alter mit krausen, grauen Haaren. Die beiden unterhielten sich, saßen aber zu weit weg, als dass Paula etwas verstanden hätte oder auch nur die Gesichter genauer hätte sehen können. Die Frau machte jetzt eine energische Bewegung mit dem Arm als würde sie ihrem Begleiter etwas vor die Füße werfen. Jetzt lachte er, sprang auf und rannte zum Meer. Im Laufen winkte er einer Frau zu, die zurückwinkte und ihm nachblickte. Er lief kraftvoll ins Wasser, sprang kopfüber hinein, kam nach einigen Metern wieder hoch und tauchte gleich danach durch eine Welle hindurch. Paula sah, dass er jetzt in der Nähe von Anke war. Die zurückgebliebene Frau starrte auch aufs Wasser, stand dann abrupt auf, stopfte ihre Sachen in ihre Tasche und ging in der Nähe von Paula vorbei über den Strand in Richtung La Playa. Sie sah verärgert aus. Wahrscheinlich enttäuschte Liebe, dachte Paula.

    Einige Minuten später sah sie, wie Anke und der Graugelockte zusammen fröhlich schwatzend aus dem Wasser kamen und noch einen Moment zusammen stehen blieben bevor der Mann zu seinem Handtuch ging und Anke wieder zu Paula kam. Neugierig beobachtete Paula die Reaktion des Mannes. Sie erwartete, dass er sich vielleicht suchend umblicken würde, aber er schien sich nicht zu wundern über die Abwesenheit der Frau. Er ließ sich einfach auf sein Handtuch fallen und blieb auf dem Bauch liegen.

    „Kanntest du den?", fragte Paula Anke, die aus ihren Haaren das Wasser ausdrückte und sich bemühte, dass sich nicht allzu viel schwarzer Sand an ihr kleben blieb. Von ihrem nassen Körper ging ein angenehm kühler Hauch aus. Die Mittagshitze hatte mittlerweile ihren Höhepunkt erreicht.

    „Wen?"

    Paula nickte in Richtung des Mannes.

    „Ach der. Michael. War auch beim Meister gestern. Er ist sogar derjenige, der diese ganze Veranstaltung mit Grayan organisiert. Kennt den Meister wohl schon lange und hat ihn hierher eingeladen. Er fragte, ob ich Lust hätte, nach der Session heute Abend zum Essen zu bleiben."

    Anke schüttelte die roten Haare und ein paar erfrischende Tropfen sprühten zu Paula herüber.

    „Und - nimmst du die Einladung an?"

    „Logo! Wer würde sich schon die Chance entgehen lassen, zusammen mit dem schönsten Mann der Welt ein Tofubällchen zu verspeisen."

    Später saßen Paula und Anke in La Playa vor «Maria« beim Café con leche. Das Restaurant hatte den entscheidenden Vorteil, so zentral zu liegen, dass die Wahrscheinlichkeit, mindestens die Hälfte aller Gomera-Urlauber dort zu treffen oder wenigstens vorbeigehen zu sehen nicht schlecht standen.

    „Ich glaube, der mit den gelben Shorts da hinten tut so, als sei er ein Esoteriker. Guck dir mal den verklärten Blick an? In Wirklichkeit ist er aber ein verkappter Wanderer. Siehst du die Beine? Diese Waden!"

    „Nee, ich glaube, den hab ich schon mal im Club gesehen. Eher ein Nachtschwärmer."

    „Dafür sind die beiden aber eindeutiger: Ein langweiliges Paar."

    Anke nickte in Richtung eines ausgesprochen praktisch gekleideten und noch ziemlich blassen Paares, das Hand in Hand vorbeischlenderte.

    „Oh, guck mal Anke. Ein richtiger Hippie."

    Ein dünner, dunkelbraun gebrannter Mann mit langen, verfilzten Haaren und nur mit einer weiten, weißen Hose bekleidet ging mit wippenden Schritten Richtung Vueltas. Die beiden Frauen blickten dem Hippie neugierig nach und entdeckten dabei Gunnar, den sie vor zwei Tagen im Club kennengelernt hatten und der jetzt gemächlich Richtung «Maria« schlenderte. Gunnar hatte Paulas Sammlung interessanter Anmachen um ein Exemplar bereichert. Er hatte sie gefragt, ob sie auch fände, dass der Barkeeper gut aussähe. Auf Paulas Antwort, sie fände ihn eigentlich ziemlich glatt, hatte er entgegnet: Von interessant hab ich ja auch nichts gesagt. Paula hatte jedenfalls lachen müssen. Sie erfuhr, dass Gunnar Biobauer aus Dithmarschen war, aber eigentlich von Abenteuern auf hoher See träumte.

    „Hallo Gunnar!", rief Anke.

    Gunnar entdeckte sie und kam grinsend auf die beiden Frauen zu.

    „Na, alles im Blick?"

    „Klaro. Wir haben uns gerade gefragt, ob du eher ein Esoteriker oder doch ein Freak bist."

    „Oder eine alleinerziehende Mutter", grinste Anke.

    Paula prustete los.

    „Hä? Zuviel Sonne gekriegt?"

    Gunnar lächelte mitleidig.

    Er setzte sich und bestellte einen Café solo. Mit seinem blonden, zerzausten Haar und den stets etwas geröteten Wangen wirkte er irgendwie so liebenswürdig, fand Paula. Während Gunnar seinen Café trank, weihten ihn die beiden Frauen ihn in ihre Schubladen-Theorie ein. Gunnar bestand nun darauf, im Innersten der Gruppe der alleinerziehenden Mütter anzugehören - immerhin hatte ihn ein Lämmchen auf dem Hof offenbar als eine Art Mutter adoptiert. Anschaulich machte er das „mäh" nach, mit der ihm das Lämmchen überall hinterherlief. Paula konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal an einem Tag so leicht gefühlt hatte.

    Für den Abend hatten Paula und Gunnar sich in einem asiatischen Restaurant in Vueltas verabredet. Während sie köstliches Sesamhühnchen und Fisch in Estragonsoße verspeisten, betrat eine attraktive Frau mit glatten, blonden Haaren in Begleitung einer kleineren Frau das Restaurant. Die Blonde trug ein türkises Kleid, das ihre blauen Augen zum Strahlen brachte. Sie winkte Gunnar zu und der winkte lächelnd zurück.

    „Von der hab ich heute Nachmittag eine Energieflussmassage bekommen", sagte Gunnar.

    „Eine was?"

    Paula verschluckte sich fast. Gunnar sah doch so handfest und irgendwie bieder aus. Alleinerziehende Mutter - das ja, aber doch kein Esoteriker.

    Gunnar lächelte etwas verlegen.

    „Eine Energieflussmassage. War toll. Meine Freundin Friederike war auch mal hier und hat so eine Massage bekommen und die hat gesagt, ich muss das unbedingt machen."

    Paula mochte Gunnars norddeutsch gerolltes r. Es klang nach zu Hause. Außer in dem Namen Friederike.

    Gunnar wies mit dem Kinn auf die Frau, die diese Massagen gab.

    „Sie heißt Shabin und die drückt dann so den Rücken entlang und auf die Beine und Arme und rubbelt so und hinterher fühlst du dich, als hättest du keine Knochen mehr. Total entspannt."

    Zur Demonstration rubbelte er Paulas Unterarm. Es fühlte sich tatsächlich ziemlich gut an.

    „Hm, aber warum heißt das ausgerechnet Energieflussmassage? Aber ist ja auch egal. Dir scheint die Massage gut getan zu haben."

    „Also, das war schon angenehm, bestätigte Gunnar. „Die letzten Monate waren wahnsinnig stressig. Wir haben Land dazugekauft und versanken in Arbeit. Dann haben sich zu meinem Geburtstag Freunde von mir zusammengetan und mir drei Wochen Ferien geschenkt. Die haben sich die Arbeit auf dem Hof und den Verkauf vom Gemüse auf dem Markt aufgeteilt und mich als Überraschung hierher geschickt.

    „Du bist schon ´ne schöne Überraschung. Ich meine, für dich. Hmm. Also, das war ja eine schöne Überraschung für dich. Nette Freunde hast du. Kannst du denn jetzt tatsächlich hier abschalten oder denkst du immer daran, ob die deine Bohnen auch richtig gießen?"

    Gunnar lachte.

    „Ja, manchmal denk ich schon an die Bohnen. Aber jetzt bin ich ja hier und kann sowieso nichts ändern. Und außerdem gibt es ja noch Katarina, Rieke und Jens, mit denen ich den Hof zusammen bewirtschafte. Die werden schon ein Auge auf die Bohnen werfen."

    Als Paula und Gunnar später einen Café solo tranken, gingen Shabin und ihre Begleiterin. Shabin blieb bei Gunnar stehen und sprach ihn an. „Du siehst ja so aus, als ginge es dir immer noch so gut wie heute Nachmittag."

    „Stimmt auch. Seitdem schwebe ich statt zu gehen und griene entspannt vor mich hin, antwortete Gunnar. „Ich komm bestimmt noch mal zu dir zur Massage. Und eine neue Kundin habe ich auch schon für dich geworben.

    Er guckte Paula grinsend an.

    „Ja?, freute sich Shabin und sah Paula an. „Wenn du einen Termin vereinbaren willst, kannst du einfach mal vorbeikommen. Ich wohne in der kleinen Gasse, die gleich hinter dem Angelladen links rein geht. Du erkennst das Haus an der lila Tür und den Rosentöpfen vor dem Fenster.

    „Mal sehen, vielleicht komm ich mal vorbei", erwiderte Paula.

    Sie fand Shabins offenes Lächeln eigentlich nett. Die beiden Frauen verabschiedeten sich und verließen das Restaurant.

    „Wollen wir noch auf einen Drink in die Samoa-Bar?", fragte Gunnar.

    Sie zahlten und gingen durch die Gassen von Vueltas bis sie zur Bar kamen. Die Nacht war sternenklar und warm; Paula legte den leichten Pullover, den sie sicherheitshalber mitgenommen hatte über ihre Schultern. Beide bestellten einen Campari mit Orangensaft. Noch war es angenehm leer und sie setzten sich an ein offenes Fenster und hörten der schwarzen Musik zu.

    Nach einer Weile wurde es voller; Paula sah die blonden Zwillinge, und sie erkannte auch die Sozialpädagogikstudentin vom Strand wieder. Durch die Bar zog der eindeutige Geruch eines Joints und es wurde lauter. Der Gang beim Tresen füllte sich mit Leuten, die sich gegenseitig ins Ohr schrieen, um sich zu verstehen; mit Männern, die jede Frau anstarrten, dazwischen drängten sich Leute an die Bar und versuchten ihre Bestellungen loszuwerden; diejenigen, die ihre Getränke schon hatten, hielten sie hoch über dem Kopf und versuchten, sie heil zu ihrem Platz zu jonglieren. Die Tresenleute nahmen das Tohuwabohu gelassen hin und vergaßen keine Bestellung.

    Paula wurde müde angesichts der Unruhe, die im Raum herrschte. Gerade wollte sie Gunnar, der wieder ziemlich rote Wangen bekommen hatte, vorschlagen zu gehen, da kam Anke in Begleitung eines schlanken, großen Mannes in die Bar. Paula winkte und Anke kam auf sie zu. Sie strahlte und sah ziemlich umwerfend aus mit dem grünen Kleid, das ihre Haare wie einen Feuerball leuchten ließ.

    „Hallo ihr beiden. Das hier ist Franz. Wir haben uns beim Essen nach der session bei Grayan heute Abend kennengelernt."

    War das nun der schönste der Mann der Welt? Schlecht sah er tatsächlich nicht aus mit seinem schmalen, feingeschnittenen Gesicht, den zum Pferdeschwanz zusammengefassten, schon leicht ergrauten dunklen Haaren und seinen klaren, blauen Augen.

    „Und - wie war´s beim Guru?"

    Franz lächelte.

    „Sehr, sehr schön. In seiner Gegenwart wird die Atmosphäre intensiver und dichter. Man bekommt eine Ahnung davon, wie der Zustand jenseits der Dualität ist."

    Paula blickte Anke fragend an. „Und wie gefällt es dir jenseits der Dualität?"

    Anke strahlte zurück und zwinkerte Paula vielsagend zu.

    „Wunderbar!", rief sie und sah zu Franz, der noch immer versonnen lächelte.

    „Leute, ich bin hundemüde. Ich muss ins Bett! Wenn ich an den Weg ganz hoch bis nach La

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