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Ohne Ziel: Für Dich schieße ich auch auf Menschen
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Ohne Ziel: Für Dich schieße ich auch auf Menschen
eBook265 Seiten3 Stunden

Ohne Ziel: Für Dich schieße ich auch auf Menschen

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Über dieses E-Book

Unschuld verliert man nicht, sie hört einfach irgendwann auf.
Simon ist sechzehn und findet auf einem seiner Streifzüge durch den nahen Wald dort versteckte Gewehre. Eines davon nimmt er mit nach Hause.
Als er durch Zufall auch noch in den Besitz einer einzelnen Patrone gelangt, ändert sich sein ganzes Leben. Fasziniert vom Gefühl der Macht kreisen seine Gedanken nur noch um die Tatsache, damit jederzeit Schicksal spielen zu können.
Als er Blacky kennenlernt, möchte er ihr imponieren und verrät dabei mehr, als gut für ihn ist.
Als sich schließlich die Besitzer des Gewehrs auf die Suche nach ihm machen, muss er sich entscheiden, ob er wirklich auf einen anderen Menschen zielen und abdrücken kann ...
SpracheDeutsch
HerausgeberUBOOKS
Erscheinungsdatum1. Apr. 2013
ISBN9783939239611
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    Buchvorschau

    Ohne Ziel - Andreas Kurz

    Andreas Kurz

    Ohne Ziel

    1. Auflage Juni 2011

    ©opyright 2011 by Andreas Kurz

    Lektorat: Metalexis

    Titelbild von nimatypografik

    unter Verwendung eines Bildes von

    www.fotolia.de | silver bullet von miro kovacevic

    ISBN: 978-3-939239-61-1

    Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

    eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

    Genehmigung des Verlags gestattet.

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    www.ubooks.de

    www.ubooksshop.de

    1

    Jemand hatte diesen Stein unter das Geländer gelegt, einen Pflasterstein, grau und silbrig glänzend, mit schiefen Kanten. Er starrte ihn immer an, wenn er vorüberging, die Brücke überquerte, über die Autos hinweg, die wie Projektile unter ihm hindurchschossen, als hätte sie irgendwo einer abgefeuert. Hinter der Brücke begann die Pampa, da wohnte sonst keiner, nur er musste dort hin, aus dem Linienbus aussteigen, über dieschmale Brücke gehen, die höchstens mal ein Radfahrer benutzte oder ein Traktor. Für den Autoverkehr war sie gesperrt. Julio, die fette Sau, hatte ihm gerade noch auf die Schulter gehauen und gefragt, ob er jetzt wieder seine Schweine hüten ginge? Halt die Fresse, hatte er geantwortet.

    Er hätte sitzen bleiben sollen, als sich die Türen öffneten, besser diese Penner als die Pampa und ein einsamer Nachmittag. Eines der Mädchen hatte ihm Schweinepriester hinterhergerufen und dabei wie blöde gekichert. Die Türen waren zugeklappt, der Luftzug des anfahrenden Busses hatte Staub und Dieselruß in sein Gesicht gewirbelt, jetzt stand er allein vor dem Wartehäuschen mit den Graffitis, ÖSlan du SAU, Fick mir.

    Willkommen zu Hause, Bandido.

    Er zog eine Dose Bier aus seiner Umhängetasche, riss die Lasche auf, es spritze Schaum heraus, es zischte, er trank. Warme Brühe, aber es gefiel ihm, in so einem Moment die Bierdose rauszuholen, sich was reinzukippen, nicht gleich loszulaufen. Schon nach wenigen Schlucken stieg die watteweiche Woge hoch zum Hirn und trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er rülpste, zündete sich eine Zigarette an, wie immer, bevor er auch nur einen Schritt auf diese verdammte Brücke setzte. Sein Kopf fühlte sich an wie ein zum Platzen gespannter Ballon, in dem die Gedanken wie Klumpen trieben. Nichts passte zusammen, überhaupt nichts, er war verkehrt, alles war zum Kotzen verkehrt, er blinzelte in die Sonne, die sich hinter matten Schlieren versteckte, wollte nicht losgehen, wollte eigentlich nirgends hin, fühlte Wut wie in aufsteigenden Blasen, sinnlos und kaum zu ertragen.

    Oben auf der Brücke der Stein. Er lehnte sich an das Geländer, trank weiter, betrachtete die Autos, tippte mit der Fußspitze gegen den Stein. Einen könnte es treffen, hier und jetzt, Stunde des Schicksals, macht euch bereit. Genau in die Windschutzscheibe, quer durch das Wageninnere und zur Heckscheibe heraus.

    POW!

    Der Gedanke war wie ein Flash, als ob er sich einen runterholte. Er trank, schnitt Grimassen, Bandido hasst euch, schüttete etwas Bier von der Brücke hinunter. Der Luftzug verteilte es, noch bevor es die Fahrbahn erreichen konnte. Vollidiot. Man schüttet doch kein Bier weg. Er sollte es lieber hinunterpissen. Sein Ding aus der Hose holen und auf ihre teure Straße pinkeln. Würden sie sicher gleich ne Streife schicken. Nach ihm suchen, ihn jagen, mit Hundestaffeln, Hubschraubern, der ganzen Armee an Pennern. Bandido fickt euch alle.

    Als er weiterging, fühlte er sich wie ein Versager. Mit der Fußspitze gegen den Stein, kick und fertig, nicht mal das brachte er fertig. Hinter der Brücke begann ein Schotterweg, musste er sich an der Gabelung unter den krumm gewachsenen Bäumen rechts halten, parallel zur Autobahn, die hinter einem Damm rauschte und wimmerte und sang. Man hatte sie hier weggesperrt, die paar Arschlöcher, die keiner brauchte, deren flaches Haus mitten in den Feldern stand, als wollte sie keiner in seiner Nähe dulden. Mitten im Gemüse, wie Friedel es nannte, sein Großonkel, der Einzige eigentlich, der ab und zu mal auftauchte.

    Er hasste es, bei seiner Oma leben zu müssen. In einem Museum, einem Haus, in dem die Zeit stillstand. In dem alles so aussah wie sonst nur auf gelblich verfärbten Schwarzweiß-Bildern, die andere wegwarfen. Hasenheide hieß die Gegend, man hätte sie genauso gut Niemandsland nennen können, Asshole-Country. Als ob irgendeine ansteckende Krankheit von ihnen ausgehen würde. Nur der Elektrozaun fehlte noch und die Wärter auf Türmen mit Gewehren und Scheinwerfern: Jagt die Mistkerle, knallt sie ab!

    Er trank aus, warf die Dose in einem weiten Bogen hinaus ins Feld. Sie verschwand im Futtermais. Bald war Erntezeit, dann rollten hier die gewaltigen Maschinen, fraßen alles ab, furzten die Reste aus, danach war alles wieder kahl. Es gefiel ihm so, wie es jetzt war. Könnte immer so sein. Juli war keine schlechte Jahreszeit. Alles stand, quoll heraus, drängte sich um die besten Plätze und leuchtete in einem selbstgerechten, satten Grün.

    Er zog sein Messer heraus, U.S. Army, und warf es gegen den nächsten Baumstamm, es blieb aber nicht wie erhofft in der Rinde stecken, sondern prallte nur ab, fiel zu Boden, lasch und lächerlich. An manchen Tagen war er richtig gut im Zielwerfen, diesmal aber nicht, seine Arme waren Fremdkörper, als hätte er sie sich nur ausgeliehen. Noch bevor das Messer den Boden erreicht hatte, kotzte ihn das Spiel schon wieder an, hätte er alles kurz und klein schlagen können, treten, beißen, kicken. In die Eier.

    Ein Auto kam von hinten, nicht sehr schnell, die Steine sprangen von den Reifen, es knirschte, knackte. Nur kurz drehte er sich um. Ein alter Transit, grau, verrostet, eine Scheißkarre für Loser. Zwei Männer hockten drin, deren kalte Blicke ihn streiften wie Ohrfeigen, keine guten Gesichter. Auf dem Wagen stand Tischlerei Wagner in weißer, abblätternder Schrift. Die werden kaum zu seiner Oma wollen. Die hatte noch nie irgendwelche Handwerker ins Haus gelassen, wäre ja noch schöner, kostet schließlich Geld. Seinen Großvater, der das Haus mit eigenen Händen erbaut hatte, Stein für Stein, über Jahre hinweg, hatte er nie kennengelernt. Der war schon gestorben, als seine Mutter noch ziemlich jung war, voll der Crash mit seinem Wagen, nicht sehr weit von hier, er kannte die Einmündung, war oft dort gewesen. Irgendwelche Spuren gab es aber nicht mehr.

    Der Lieferwagen hoppelte den Weg weiter, bald war nur noch das Knirschen der Steine zu hören, stand der Staub schwerelos in der Luft. Der Weg führte an ihrem Haus vorbei, hinüber in den Wald, irgendwann auch wieder auf eine Straße. Sicher suchten die Typen nur ein ruhiges Plätzchen, an dem sie sich vor der Arbeit drücken können. Er würde es jedenfalls so machen. Lohnte sich doch eh alles nicht. Was macht ein Tischler schon? Tische? Hat eh jeder. Scheiß Tische. Rennmechaniker könnte er sich vorstellen. Zu den großen Rennen in die USA reisen, Stock Cars, Nascars, all diese geilen Autos, die Aufregung, Fans, Topfrauen natürlich, Riesentitten, das alles. Leider aber war er hier gelandet, es gab Sonnenauf- und untergänge, mehr nicht, das war’s, sei zufrieden damit und freu dich, wenn es nicht regnet.

    Ihr Haus verbarg sich fast unsichtbar hinter einem grünen Dickicht aus Haselnusssträuchern, Birken, Efeu und Dornengestrüpp. Der Weg, der von der Schotterstraße zum Haus führte, war zum schmalen Pfad geworden, eingesäumt von hohem Gras, Zweigen, Kraut. Kein Auto konnte hier mehr hinein, kein Traktor, nichts. Wird schwer für den Leichenwagen werden, wenn seine Oma mal nicht mehr aufwacht, das dachte er immer, wenn er hier entlangging. Heute aber war es noch nicht so weit. Sie saß auf der Bank vor dem Haus, die Hände im Schoß und schien ihn zu erwarten. Sie saß oft dort, in völliger Bewegungslosigkeit, mit dem Kiefer mahlend, die alten Augen offen, aber eigentlich wie schlafend. Sie las keine Zeitungen, keine Bücher, sie interessierte sich auch nicht fürs Fernsehen. Sie hörte Radio in der Küche oder hockte strickend im Wohnzimmer, in vollkommener Lautlosigkeit, nur das Ticken einer uralten Uhr im Hintergrund. Er hatte einen Fernseher, aber der stand oben in seinem Zimmer, wo er machen konnte, was er wollte. Sie kam nur ganz selten zu ihm hinauf in den ersten Stock, wo es außer ihm nur Plunder gab, Zeug, Kram, der zurückbleibt, wenn Leute sterben.

    Er murmelte einen Gruß und ließ sich so hart neben ihr auf die Bank fallen, dass die alte Frau einen katapultartigen Hopser machte.

    «Kommst spät, Simon.» Sie wandte sich ihm nicht zu, starrte weiter geradeaus.

    «Ich komm wie immer … Ist schließlich ein Stück zu gehen. Hab ja kein Rad mehr.»

    Man hatte ihm sein Rad gestohlen, obwohl es nichts Besonderes war. Er hoffte, sie würde jetzt sagen, geh und kauf dir eins, in die Tasche greifen und Geld herausholen, bisschen was hatte sie schließlich, aber sie sagte nur: «Du riechst nach Bier. Du hast getrunken.»

    «Und wenn schon», murmelte er genervt.

    «Ist nicht gut, wenn du trinkst. In diesem Haus wird nicht getrunken.»

    «In diesem Haus wird so vieles nicht.»

    Er könnte sie erschlagen. Nichts wäre leichter als das. Ein bestürzender Gedanke und dabei so reizvoll. Wie dieser Scheißstein auf der Brücke. Du kannst es tun, niemand hält dich ab. Ganz allein deine Entscheidung. Er starrte auf das Stück Rasen vor sich: die Beete, in denen seine Großmutter Kräuter, Salat und Gemüse anbaute, auch Kartoffeln, die Ernten waren fast immer gut, sie war geschickt, wusste, wie es geht, sie war auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er half ihr manchmal, aber er konnte sich nichts merken. Im Jahr darauf hatte er alles längst wieder vergessen. Blödes Grünzeug eben, andere kaufen es im Laden und machen sich nicht diese Mühe.

    «Hast sicher Hunger», sagte sie. «Geh rein, gibt gleich was.»

    «Was denn?»

    «Kartoffeln, Kohlrabi …»

    Er lachte müde. Warum nicht nen Big Mac? Sie wusste sicher nicht mal, was das ist.

    «Sei froh, dass es jeden Tag was gibt», sagte sie.

    Sie provozierte ihn mit diesen Sätzen. Wahrscheinlich wollte sie das sogar. «Warum sollte es nicht etwas zu essen geben? Alle fressen sich doch voll.»

    «War nicht immer so.»

    «Vor hundert Jahren vielleicht.»

    «Unsinn.»

    Kann ihm doch scheißegal sein. Sollte er sich vielleicht auch noch dafür entschuldigen, dass er jetzt lebte und nicht beim Hitler oder beim Kaiser Franz oder wie diese ganzen Wichser hießen! Wirklich nicht. Bandido wird nachher noch ein Bierchen zischen. Irgendwo da draußen. Im Sommer war das Leben ganz leicht, brauchte es nicht viel für einen guten Tag.

    «Musst nachher Holz hacken, Friedel hat was gebracht. Es liegt hinterm Haus am Schuppen.»

    «Warum nicht.»

    Es gab Schlimmeres als Holz hacken. Schule zum Beispiel oder Hausaufgaben, oder Mädchen mit geilen Tattoos, die dich nur auslachen und dir im nächsten Augenblick in den Schritt fassen, die dich mit dem Gefühl zurücklassen, gar nichts zu kapieren, nie.

    «Vorher isst du was.» Seine Großmutter beugte sich vor, stellte sich auf die Füße, richtete sich auf. Sie streifte ihren verwaschenen Kittel gerade, ihre weißgrauen Haare hatte sie am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengedreht. Sie war sehr klein, reichte ihm kaum bis an die Brust, Aber ihre Bewegungen waren rasch, zielgenau und sicher. Ein zähes, altes Wiesel.

    «Komm jetzt», sagte sie und mit festen, kurzen Schritten eilte sie hinein.

    Er legte die Hände in den Schoß, wie sie es gerade noch getan hatte, und starrte geradeaus. Kaute mit dem Kiefer. Betrachtete den Garten wie ein Kunstwerk im Museum. Außer ein paar tanzenden Mücken bewegte sich nichts. Er wusste genau, wie lang er sie warten lassen musste, bis sie zornig wurde. So lang wartete er immer.

    2

    Bandido trug eine wilde, in Fetzen hängende Hose und ein Leibchen, mittlerweile etwas eng, er war ziemlich gewachsen, breiter geworden. Alles aus Kaninchenfell, sie hatten noch ganze Kisten von dem Zeug. Stammte vom Alten. Auch die Stallungen standen noch. Windschief und faulig, aber noch da, hinter dem Haus, zwischen Brennnesseln und Holunder. Darin hatten die Mümmelohren gesessen und gewartet, bis man sie an den Ohren herauszog und ihnen eins über den Schädel gab. Genug gelebt, Zeit für den Abgang. Kaninchenfleisch zum Essen, die Felle verkaufen. Damals muss das ein Geschäft gewesen sein, hatte ihm seine Oma jedenfalls erzählt. Nun aber war Bandidos Zeit gekommen, der Waldmensch, der Einzelgänger und Fährtenleser. Seit Jahren schon spielte er dieses Spiel, hatte es nie aufgegeben. Er besaß einen Bogen, einen Köcher und Pfeile. Wichtig war auch das Messer am Gürtel um den Bauch. Ein Stirnband. Zeit für ein wenig Ablenkung. Time for Bandido.

    Er stand zwischen dem Maisfeld und dem Saum des Waldes im Brachland, dort, wo nie einer war, er kannte sich hier aus. Er konnte sich jetzt allein behaupten, war wehrhaft, gefährlich, unberechenbar, wurde zu einem, dem man besser nicht zu nahe kam. Er wollte im Wald überleben können, ohne fremde Hilfe, sich anschleichen, jagen, essen, ruhen. Einfach nehmen, was man braucht. Er hatte seine Routen, seine verschlungenen Pfade, die nur er kannte und nur er benutzte, mit Zeichen an den Baumstämmen, geheimen Codes und Hinweisen, er lief geduckt, warf sich auch mal hin, verharrte minutenlang bewegungslos, lauschte, zog einen Pfeil aus dem Köcher, spannte den Bogen, zielte und schoss.

    Besonders war sein Bogen nicht, ein zufälliger Flohmarktfund, er hatte keine Ahnung, wer ihn gebaut hatte, vielleicht ein paar Wilde aus dem südamerikanischen Amazonasdelta. Von denen hatte er mal gelesen. Sie stopften ihre Pimmel in Rohre und wurden von den Holzlastern überfahren, weil sie noch in der Steinzeit lebten und nicht die größten Checker waren. Der Bogen war eindrucksvoll groß, das schon, auch ließ er sich gut spannen, aber die Pfeile eierten davon, als wüssten sie eigentlich nicht, wohin. Mit ihnen etwas zu treffen, war reiner Zufall. Ein Reh war immer sein Traum, seine Oma könnte ihm zeigen, wie es geht, ausnehmen, Fell abziehen, das alles. Aber sie würde es nicht tun, denn es war verboten, und allein traute er es sich nicht zu. Also war er ganz froh, wenn die Pfeile weit an den Rehen vorbeigingen und sie bestenfalls vertrieben, wenn sie es überhaupt mitbekamen. Die Spitzen taugten nichts, mit dem Taschenmesser grob angespitztes Holz, das war im Grunde Pfusch, selbst die Urmenschen hatten schon Steinsplitter genommen, um die Durchschlagskraft zu erhöhen.

    Heute hatte er auch noch die Keule dabei. Sie war nicht zu schwer, eher wie ein Baseballschläger, etwas dicker, etwas gröber, aber mit sattem Bums. Er stellte Flaschen auf, die er eigens dafür gesammelt hatte und zertrümmerte sie eine nach der anderen. Schrie dabei, lachte. Die Scherben spritzten. Kein schlechtes Gefühl. Er legte sich die Keule über die Schulter und marschierte herum. Bald nahm er das Ding vor sich in beide Hände, duckte sich leicht und fiel in lockeren Trab. Er spürte seinen Pimmel in der Hose rumhüpfen. Er hatte sie sich selbst genäht, wer sonst hätte sie ihm nähen sollen? Seine Oma ganz bestimmt nicht, da musste alles ordentlich sein. Langweilig, billig, aber ordentlich. Wir sind schließlich anständige Leute. Besonders schwer war es nicht gewesen, die Felle aneinanderzunähen, natürlich sah es vor dem Spiegel komisch aus, zottelig, wild. Aber es hatte was. Er lief, sein Ding hüpfte und wurde steif, er änderte die Richtung, zum Versteck an den Teichen. Mitten im Wald, nahe einer Lichtung, war ein sumpfiger Weiher, der mal mehr und mal weniger Wasser führte, aber eigentlich aussah, als wäre hier so etwas wie die Urwelt, ein noch von keinem Menschen berührtes Paradies. Das Wasser war im Sommer überraschend warm und niemals, auch nicht ein einziges Mal, war ihm hier jemand begegnet. Jetzt müsste er ein Weibchen aufstöbern, es jagen und fangen und ficken, ob es ihr passte oder nicht. Das wäre der Lauf der Dinge im Wald.

    Am Teich wichste er. Der Orgasmus rollte über ihn hinweg wie eine heiße, schwere Woge aus Schlamm oder wie eine Walze aus abbrechendem Sand an einer Steilwand, die er hinaufklettern wollte und an der plötzlich alles nachgab, brüchig wurde, ihn mit sich riss und unter sich begrub. Ein Moment, nach dem er sich verzehrte und den er sogleich auch glühend hasste, fühlte er sich danach doch wie Dreck. Wie Auswurf. Ein Getriebener, der sich nicht unter Kontrolle hatte. Er stieg in den Teich und mitten darin ließ er sich umfallen. Nie mehr den Kopf heben und atmen, einfach ertrinken. Im Wasser treiben, bis der Körper sich zersetzt, die Knochen zum Grund sinken, die Seele zum letzten Furz wird, der sich im Wind zwischen den Ästen der Bäume verliert. Das Wasser schmeckte abgestanden, war voller schwebender Teilchen, es rauschte in seinen Ohren, knisterte, kleine Wellen umtanzten ihn. Er drehte sich auf den Rücken, zwischen den zitternden Blättern der Birken hindurch glühten rätselhaft die Lichtsäulen.

    3

    Er hörte Stimmen und duckte sich sofort. Mal glaubte er, sie oben zwischen den Baumwipfeln zu hören, mal weiter unten, mal schienen sie auch aus gar keiner Richtung zu kommen. Er war nicht mehr nass, aber auch noch nicht trocken. Er fror ein wenig, aber das muss man abkönnen im Wald. Wenn du nicht hart zu dir selbst bist, werden es andere zu dir sein. Das hatte er mal irgendwo gelesen. Es gefiel ihm nicht, wenn hier noch andere waren, er hasste es, jemandem zu begegnen. Natürlich war sein Fellanzug peinlich, lief nur ein Vollidiot in etwas Derartigem herum. Aber eine Weile berauschte es ihn, funktionierte das Spiel, bis irgendwann der Moment kam, an dem er ihn am liebsten endgültig fortwerfen wollte. Doch er wusste, schon am nächsten Tag kam der Drang zurück, diese mundtrocknende Lust, dieser lockende Kick. Er überlegte, die Stimmen zu ignorieren, seine Klamotten zu holen und abzuhauen. Aber vielleicht war es ja ein Pärchen und sie machten es.

    Niemand kann einen Waldmenschen entdecken, wenn der es nicht will. Er lief so geduckt wie möglich, blieb immer wieder stehen, um zu lauschen. Nichts war mehr zu hören. Sie machen es, dachte er, sie machen es! Er durfte es nicht verpassen. Würden die beiden auf dem Boden liegen, könnte er plötzlich neben ihnen stehen oder sogar über sie stolpern. Unterholz nahm ihm die Sicht, junge Fichten, Sträucher, stacheliges Kraut, er riss sich die Unterschenkel auf,

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