Ein Befund, der ihm die Hoffnung nahm: Der Arzt vom Tegernsee 47 – Arztroman
Von Laura Martens
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Über dieses E-Book
Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen.
Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird.
»Manchmal glaube ich, es wäre besser, unser Herr würde mich endlich zu sich nehmen«, meinte Erna Epple resignierend. »Ehrlich, Doktor Baumann, ich frage mich, warum ich neunzig Jahre alt geworden bin, wenn ich nun fast rund um die Uhr die Hilfe anderer Leute brauche. Nein, das ist kein Leben mehr.« Dr. Eric Baumann konnte die alte Frau sehr gut verstehen. Erna Epple war Zeit ihres Lebens eine sehr rührige, tatkräftige Frau gewesen. Noch am letzten Weihnachtsfest hatte sie selbst ihre Gäste bewirtet. Im Januar hatte sie einen kleineren Schlaganfall erlitten, sich davon jedoch wieder erholt, aber seit vier Monaten konnte sie kaum noch aufstehen, und wurde von einem privaten Pflegedienst betreut. »Sie sollten etwas Mut fassen, Frau Epple«, erwiderte Eric und legte beschwichtigend eine Hand auf den Arm der alten Frau. »Auch für Sie wird das Leben noch einiges an Schönem bereithalten.« Ernas Lippen umzog ein spöttisches Lächeln. »Doktor Baumann, Sie kennen mich lange genug, um zu wissen, daß man mir nichts vormachen muß. Erinnern Sie sich? Ich bin schon bei Ihrem Vater in Behandlung gewesen, als Sie noch ein ganz kleiner Bub waren.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß genau, wie es um mich steht. Wenn ich meine Nachbarinnen und die Pflegerinnen nicht hätte, wäre ich hoffnungslos verloren.« »Meinen Sie nicht, daß Sie besser in einem Pflegeheim aufgehoben wären?
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Buchvorschau
Ein Befund, der ihm die Hoffnung nahm - Laura Martens
Der Arzt vom Tegernsee
– 47 –
Ein Befund, der ihm die Hoffnung nahm
Laura Martens
»Manchmal glaube ich, es wäre besser, unser Herr würde mich endlich zu sich nehmen«, meinte Erna Epple resignierend. »Ehrlich, Doktor Baumann, ich frage mich, warum ich neunzig Jahre alt geworden bin, wenn ich nun fast rund um die Uhr die Hilfe anderer Leute brauche. Nein, das ist kein Leben mehr.«
Dr. Eric Baumann konnte die alte Frau sehr gut verstehen. Erna Epple war Zeit ihres Lebens eine sehr rührige, tatkräftige Frau gewesen. Noch am letzten Weihnachtsfest hatte sie selbst ihre Gäste bewirtet. Im Januar hatte sie einen kleineren Schlaganfall erlitten, sich davon jedoch wieder erholt, aber seit vier Monaten konnte sie kaum noch aufstehen, und wurde von einem privaten Pflegedienst betreut.
»Sie sollten etwas Mut fassen, Frau Epple«, erwiderte Eric und legte beschwichtigend eine Hand auf den Arm der alten Frau. »Auch für Sie wird das Leben noch einiges an Schönem bereithalten.«
Ernas Lippen umzog ein spöttisches Lächeln. »Doktor Baumann, Sie kennen mich lange genug, um zu wissen, daß man mir nichts vormachen muß. Erinnern Sie sich? Ich bin schon bei Ihrem Vater in Behandlung gewesen, als Sie noch ein ganz kleiner Bub waren.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß genau, wie es um mich steht. Wenn ich meine Nachbarinnen und die Pflegerinnen nicht hätte, wäre ich hoffnungslos verloren.«
»Meinen Sie nicht, daß Sie besser in einem Pflegeheim aufgehoben wären? In der Pflegeabteilung des Sankt-Agnes-Stifts…«
»Ich gehe in kein Pflegeheim, Doktor Baumann. Ich bin achtzehn gewesen, als ich meinen ersten Mann geheiratet habe und in dieses Haus zog. Hier habe ich meine Kinder geboren und großgezogen. Hier habe ich mit meinem zweiten Mann und meiner Stieftochter gelebt. Nein, ich verlasse dieses Haus nicht und ich habe auch nicht vor, in einem Krankenhaus zu sterben. Hier ist der Platz, wo ich hingehöre, und hier werde ich auch meine Augen schließen.«
»Kein Mensch kann Sie zwingen, in ein Pflegeheim zu gehen. Es war nur ein Vorschlag, Frau Epple.« Der Arzt drehte sich Emily Wolfram zu, die mit einem Becher Tee aus der Küche kam.
Die junge Frau stellte den Teebecher auf dem Nachttisch ab und kurbelte den Kopfteil des Krankenbettes höher, so daß die alte Frau sitzen konnte.
»Danke.« Erna Epple ergriff den Teebecher mit beiden Händen. Er besaß einen Deckel und eine so kleine Öffnung, daß sie ohne fremde Hilfe trinken konnte.
»Ich werde dann gehen.« Dr. Baumann stand auf. »Morgen früh sehen wir uns wieder.«
»Wenn unser lieber Herrgott ein Einsehen hätte, wäre ich morgen früh schon nicht mehr hier«, bemerkte die alte Frau. Sie warf einen Blick zur Decke hinauf. »Leider scheint er zu denken, daß ich noch einige Zeit hier unten aushalten soll.«
Dr. Baumann verabschiedete sich von der alten Frau und verließ mit Schwester Emily das Schlafzimmer. »Was bedrückt Sie?« fragte er die Pflegerin. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Nein, mit mir ist alles in Ordnung«, erwiderte Emily, während sie zu seinem Wagen ging. »Ich mache mir nur solche Sorgen um Frau Epple. Sie hat heute morgen mit einer ihrer Schwiegertöchter telefoniert und sich schrecklich dabei aufgeregt.« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Da hat sie vier Söhne großgezogen, sie einen guten Beruf erlernen lassen, und dann sind sie alle vor ihr gegangen. Es muß schrecklich für eine Mutter sein, ihre Kinder zu überleben.«
»Allerdings«, meinte Eric. »Ein Glück, daß sich Frau Epple wenigstens auf Sie und Ihre Kolleginnen verlassen kann. Ich muß zugeben, von ihren Schwiegertöchtern halte ich nicht viel.«
»Da ist eine wie die andere. Am liebsten würden sie die alte Frau aus dem Haus werfen und sie in ein Pflegeheim abschieben. Ich kann so etwas nicht verstehen. Wenn die vier Frauen es nötig hätten, aber jede von ihnen lebt in gesicherten Verhältnissen und hat mehr Geld, als sie jemals brauchen wird. Sie wissen ganz genau, daß Frau Epple bald nicht mehr für ihre Pflegekosten aufkommen kann. Es…« Emily winkte ab. »Sie kennen ja ohnehin diese Geschichte, Doktor Baumann«, meinte sie. »Das Leben ist nun einmal nicht gerecht.«
»In Ihrem Alter sollten Sie noch nicht resignieren, Schwester Emily«, bemerkte der Arzt.
»Wenn man mit so viel Ungerechtigkeit konfrontiert wird, tut man das automatisch.« Emily zwang sich zu einem Lächeln. »Ich muß nach Frau Epple sehen. Sie wird sich schon fragen, wo ich bleibe.« Sie reichte dem Arzt die Hand. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Schwester Emily«, antwortete Eric. »Grüßen Sie Ihre Schwester von mir.«
»Ja, das werde ich tun«, versprach die junge Frau.
Dr. Baumann machte noch zwei weitere Krankenbesuche, dann kehrte er nach Hause zurück, um in aller Ruhe vor der Nachmittagssprechstunde eine Tasse Kaffee zu trinken. Kaum war er ausgestiegen, rannte ihm auch schon sein Hund mit wedelnder Rute und einem Ball in der Schnauze entgegen. »Was soll denn das heißen?« fragte er. »Du willst doch nicht, daß ich jetzt noch einen Spaziergang mit dir mache?«
Franzl ließ den Ball fallen. »Wuff!« machte er und blickte unternehmungslustig zu ihm auf.
»Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Eric«, sagte Katharina Wittenberg, die Haushälterin des Arztes. »Der Bursche ist heute voller Energie und weiß nicht, wohin damit. Und dabei hat er den Garten zum Herumtoben, aber nein, das reicht ihm nicht.«
»Da werde ich mich wohl opfern müssen.«
Eric trug seine Arzttasche ins Haus, zog sich rasch um ud ging mit Franzl zum See hinunter.
Eine Stunde später betrat Dr. Baumann, gestärkt mit einer Tasse Kaffee und einem Stück von Katharinas wunderbarem Bienenstich, die Praxis. Tina Martens stand am Aufnahmetresen und sortierte die Karteikarten der Patienten, die an diesem Nachmittag erwartet wurden.
»Mal sehen, was wir da alles haben«, meinte Eric und schaute flüchtig die Krankenkarteien durch. Als er auf die Karte von Lina Becker stieß, seufzte er unwillkürlich auf. Frau Becker kam gewöhnlich vom Hundertsten ins Tausendste und war stets überzeugt, daß er an sämtlichem Klatsch von Tegernsee interessiert war. Er mochte sie nicht besonders, weil sie mit ihrer Klatschsucht schon sehr viel angerichtet hatte. Andererseits wußte er auch, daß sie sehr hilfsbereit sein konnte.
Frau Dr. Bertram traf nur wenige Minuten später in der Praxis ein. Sie rief Tina einen Gruß zu und ging in Erics Sprechzimmer, um mit ihm über einen Patienten zu sprechen, den sie für den Nachmittag bestellt hatte.
»Wie geht es Frau Epple?« erkundigte sie sich, als sie sich ihrem Kollegen gegenüber an den Schreibtisch setzte.
»Man kann es regelrecht sehen, wie sie von Tag zu Tag weniger wird«, antwortete Eric. »Allerdings kann dieser Zustand noch Jahre dauern, und das weiß sie auch. Sie hat heute wieder davon gesprochen, daß sie am liebsten sterben würde.«
»Wer kann es ihr verdenken?« fragte Mara. »Wenn sich wenigstens ihre Familie um sie kümmern würde. Soviel ich weiß, hat sie vier Schwiegertöchter.«
»Und drei Enkel«, fügte Dr. Baumann hinzu. »Gegen Harald Sanders will ich ja nichts sagen. Der junge Mann wohnt in Kassel. Er schreibt ihr regelmäßig, sie telefonieren sehr oft miteinander, und er besucht sie ein, zweimal im Jahr. Ihre leiblichen Enkel dagegen.«
»Ist Herr Sanders nicht ihr leiblicher Enkel?«
»Nein, der Sohn ihrer verstorbenen Stieftochter.« Eric drehte einen Kugelschreiber zwischen den Fingern. »Frau Epple würde