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Exil in der Welt: Wie ich den USA den Rücken kehrte und überall ein Zuhause fand
Exil in der Welt: Wie ich den USA den Rücken kehrte und überall ein Zuhause fand
Exil in der Welt: Wie ich den USA den Rücken kehrte und überall ein Zuhause fand
eBook193 Seiten2 Stunden

Exil in der Welt: Wie ich den USA den Rücken kehrte und überall ein Zuhause fand

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Über dieses E-Book

Belén Fernández hat als junge, gut ausgebildete Journalistin aus Protest den USA den Rücken gekehrt und reist seither, wohin es sie treibt. Allein und abseits von den üblichen Pfaden denkt sie darüber nach, was es heißt, Amerikanerin zu sein in einem weitgehend von den USA angerichteten Chaos in der Welt. Mit den Jahren ihres Berichtens aus Ländern wie Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Mexiko, Libanon, ­Syrien, der Türkei, Serbien, Italien hat sie sich einen Namen als eine der schärfsten Beobachterinnen amerikanischer Interventionen rund um den Erdball gemacht.
Über Monate bleibt sie an politischen Brandherden, lernt die Menschen, ihr Leben, wenn nicht Überleben und ihre Sicht der Dinge kennen, benennt konkret, wie es zu politisch fatalen Entwicklungen und haltlosen Zuständen gekommen ist und wer in höchsten Positionen dafür verantwortlich ist. Ob sie über Erdogans Kurdenverfolgung oder Trumps Pläne einer Mauer gegen Mexiko schreibt, immer hat sie auch die Berichterstattung im Blick und deckt Gefälligkeiten, Unterlassungen und Schlamperei auf.
Ein höchst unterhaltsames Buch, intelligent, geistreich, zornig und mit beißendem Humor.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum24. Feb. 2020
ISBN9783858698766
Exil in der Welt: Wie ich den USA den Rücken kehrte und überall ein Zuhause fand

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    Buchvorschau

    Exil in der Welt - Belén Fernández

    Die englische Originalausgabe ist 2019 unter dem Titel Exile. Rejecting America and Finding the World bei OR Books, New York und London, erschienen.

    © 2019 Belén Fernández

    © 2020 Rotpunktverlag, Zürich, für die deutschsprachige Ausgabe

    www.rotpunktverlag.ch

    Umschlagfoto: Belén Fernández in Akkar, Libanon

    Das gedruckte Buch enthält 8 Seiten Bildteil.

    eISBN 978-3-85869-876-6

    1. Auflage 2020

    Für meine Eltern, wie immer

    INHALT

    VORWORT

    ANFÄNGE

    LIBANON

    HONDURAS

    TÜRKEI

    ITALIEN UND ANDERSWO

    WEITER

    ANMERKUNGEN

    BELÉN FERNÁNDEZ’ REISEN

    VORWORT

    Zu Hause sei vielleicht »gar kein Ort, sondern ein unwiderruflicher Zustand«, schrieb James Baldwin einmal.¹ Mir gefällt dieser Gedanke, weil er mir allzu intensives Nachdenken darüber erspart, wo nach mehr als fünfzehn Jahren ständigen Herumreisens eigentlich mein Zuhause, meine Heimat ist. Er entbindet mich auch endgültig von der Verpflichtung, warme und kuschelige Gefühle für das Land meiner Geburt und Erziehung, die Vereinigten Staaten von Amerika, aufzubringen, die sich als globale Supermacht darauf spezialisiert haben, weite Teile des Planeten unbewohnbar zu machen, indem sie die dort lebenden Menschen durch eine Kombination aus immer neuen Kriegen, ökologischer Plünderung und wirtschaftlicher Ausbeutung massenhaft in die Flucht treiben.

    Wenn man mich an den internationalen Einwanderungs- und Passkontrollen nach meinem Wohnort fragt, kommt die Antwort »nirgends« allerdings nicht sonderlich gut an. Ich könnte auch sagen »überall«, aber das wäre recht anstößig, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Weltbevölkerung durch Grenzen deutlich stärker beeinträchtigt wird als die Inhaberin eines US-Passes.

    Auch Menschen, die grundsätzlich bezweifeln, dass man ohne festen Wohnsitz überhaupt existieren kann, können meinem Lebensstil nicht viel abgewinnen. Trotzdem fühlen sich oft dieselben Leute berufen, Migranten und Geflüchtete aufzufordern, »nach Hause« zu gehen, auch wenn dieses Zuhause als physischer Heimatort eine Existenz und damit auch jenen »unwiderruflichen Zustand« von vornherein ausschließt.

    Wie es der Zufall will, begegnete mir ein ähnlich baldwinesker Gedanke im Winter 2018 in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo, in der ich mich für zwei trostlose Monate eingenistet hatte und wo ich täglich am Ufer der Miljacka joggte, dick eingepackt in unansehnliche Lagen Sweatshirts, Schals und Socken. Auf diesen Trabrunden, die schmerzhafte Begegnungen mit tückischem Glatteis und betagten Fußgängern mit sich brachten, wurde ich von heftigem Selbstmitleid und abgrundtiefer Einsamkeit heimgesucht. Granatnarben aus der Zeit der Belagerung Sarajewos Mitte der neunziger Jahre riefen mir allerdings eindringlich in Erinnerung, dass mein vermeintliches Unglück demgegenüber wahrlich ein Witz war.

    Auf einem dieser Joggingausflüge entdeckte ich auf dem Asphalt einen Spruch, der sinngemäß lautete: »Heimat ist, wo du bist.« Der Graffiti-Künstler mochte den Spruch einer geliebten Person zugedacht haben, doch ich interpretierte ihn als persönliche Bestärkung, zumindest so lange, bis Sarajewo komplett unter Schneebergen verschwand und ich ihn durch das Motto ersetzte: »Heimat ist, wo der Weinvorrat ist.«

    Ein Stockwerk unter meiner Mietwohnung – einen Steinwurf von der Brücke, an der 1914 die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand den Ersten Weltkrieg auslöste –, lebte eine bosnische Familie. Die Eltern, die in den neunziger Jahren die Belagerung ihrer Stadt miterlebt hatten, achteten streng darauf, dass ich konstant bis oben hin mit Spinatkäsetaschen gefüllt war. Die jüngere Tochter Uma brachte mir nicht nur wichtige bosnische Wörter wie »Wein«, »Spinatkäsetasche« und »Katastrophe« bei, sondern auch ein kurzweiliges Michael-Jackson-Videotanzspiel.

    Mein unwiderruflicher Zustand ist zwar offenbar der migrantische – und mein Exil aus den USA endgültig –, doch die Großzügigkeit, mit der die Welt mich aufnimmt, lässt vermuten, dass Heimat da ist, wo die Menschen sind.

    Belén Fernández

    Sarajewo, Dezember 2018

    ANFÄNGE

    Im Jahr 1993 kam ich im Alter von elf Jahren in die siebte Klasse der St. Louis Catholic School in Austin, Texas. Es war meine dritte katholische Schule in Folge, obwohl meine Eltern beide nicht erkennbar gläubig waren. In der ersten, Our Lady of Lourdes in Bethesda in Maryland, hatte ich gelernt, »Our Lady of Lourdes« zu schreiben, und schon bald begonnen, Kurzgeschichten über eine pupsende Fledermaus namens Blaster zu verfassen. Die zweite war St. Theresa’s in der texanischen Hauptstadt Austin, in die wir zogen, weil mein Vater seinen beruflichen Pflichten als Journalist fortan lieber weit weg von der Redaktion in Washington, D. C., nachkommen wollte, damit niemand überprüfen konnte, ob er auch wirklich arbeitete, oder ihm bei seiner spontanen Wandlung zum Cowboy in die Quere kam.

    St. Louis, die dritte und letzte meiner katholischen Lehranstalten, schmiegte sich in eine pittoreske Einkaufsmeile im Norden Austins und unterwarf uns einem totalitären Regime, dessen göttlicher Weisheit zufolge mein Hund nicht in den Himmel kam, das Tönen der Lippen eine lässliche Sünde war und das fehlerhafte Aufsagen des US-Treuegelöbnisses Pledge of Allegiance an Gotteslästerung grenzte. Die Eintönigkeit des irdischen Daseins wurde gelegentlich von einem Free Dress Day unterbrochen, an dem wir keine Schuluniform tragen mussten, ich aber durch öffentliche Demütigung und einen Ausflug ins Rektorat lernte, dass sich die Freiheit lediglich auf die Uniformfarben Grün und Weiß bezog.

    Abgesehen von den Methoden der geistlichen Indoktrination, illustrierte St. Louis beispielhaft die Prinzipien der US-amerikanischen Schulbildung, die das Auswendiglernen für Prüfungen in den Mittelpunkt rückt und eine integrative Weltsicht weitgehend ausschließt. Meine Geschichtslehrerin Mrs. Conway verteilte gar vor jeder Klassenarbeit ein Übungsexemplar, sodass ich die Jahre auf der Junior High damit verbrachte, die Abfolge der Multiple-Choice-Antworten (B, A, C, D, B, E und so weiter) auswendig zu lernen und wieder auszuspucken, statt beispielsweise darüber nachzudenken, warum die geheiligten amerikanischen Gründerväter Sklaven hielten.

    Wie überall schreibt auch in den USA die herrschende Klasse die Geschichte so, dass sie ihren Interessen nützt. Anders als in anderen Ländern aber gründen die USA zwar auf Sklaverei und dem Völkermord an den Indianern, präsentieren sich aber als leuchtendes Vorbild und stellen sich so eine Blankovollmacht dafür aus, den Rest der Welt nach eigenem Ermessen zu bombardieren, zu besetzen und sonstwie zu erleuchten. Die US-Mythologie behandelt die Erfahrungen der Gründeropfer als isolierte Tragödien, die nie und nimmer darauf schließen lassen, dass das US-amerikanische Projekt im Kern faul wäre, während die Schlachtfeste jüngerer Zeit in Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, im Irak und anderswo in die Kategorie »Musste sein« fallen.

    Lange, bevor ich all das auch nur ansatzweise begriff, verlebte ich eine angenehme Kindheit, die geprägt war von prätechnologischen Beschäftigungen wie dem Ausgraben von Würmern im Garten oder dem Hundeweitwurf vom Treppenabsatz im ersten Stock (unsere Hündin wurde trotzdem vierzehn Jahre alt). Allerdings litt ich schon in früher Kindheit unter einer Listenneurose, höchstwahrscheinlich ein genetisches Erbe meines Vaters und Großvaters, die mit großem Eifer Listen erstellten, um das Universum zumindest sinnbildlich in den Griff zu bekommen. Ich besaß einen Stapel mit Zetteln, auf denen in meiner krakeligen Handschrift die täglichen Pflichten verzeichnet waren, die ich eine nach der anderen abhakte, aufwachen, Zähne putzen, zur Schule gehen, von der Schule nach Hause kommen, Eis essen und so weiter. Als ich von der Existenz des Amazonas erfuhr, erstellte ich für eine spätere Reise dorthin schon mal eine Checkliste, unter anderem mit dem Vermerk, vorab zu recherchieren, wie viele Portionen Kentucky Fried Chicken ich einpacken musste.

    Hin und wieder kümmerte ich mich auch um typisch amerikanische Projekte. Mit sechs modellierte ich einen Glücksbringer aus Lehm, mit dem ich mich während des Super Bowl 1988 in den Keller setzte und betete, was dazu führte, dass die Washington Redskins die Denver Broncos besiegten. Meine magischen Rituale zugunsten der Präsidentschaftskampagne Dukakis-Benson im selben Jahr verliefen weniger erfolgreich und endeten in der Präsidentschaft George H. W. Bushs.

    Auch mein drei Jahre jüngerer Bruder war ein dankbares Versuchsobjekt. Nachdem ich ihm sehr zum Entsetzen meiner Eltern beigebracht hatte, aus dem Gitterbettchen zu klettern, dachte ich mir immer neue Experimente aus und plante unter anderem, ihm einen Finger zu brechen, um einmal das erhebende Gefühl zu erleben, wie es ist, einen Krankenwagen zu rufen. Der Finger ließ sich nicht brechen; den Krankenwagen rief ich trotzdem. Sollten Zweifel daran aufkommen, dass die spätere Zerrüttung unseres geschwisterlichen Verhältnisses allein meine Schuld ist, findet sich der Beweis auf einem alten Betamax-Film, der zeigt, wie ich meinem Bruder tyrannisch durch den Garten folge und mit schriller Stimme rufe: »Wie macht das Schweinchen, Joey? Wie macht das Schweinchen?!«

    Mit dem Eintritt in die St. Louis Catholic School hatte die kindliche Spielerei ein Ende, zumal, als mich meine Mitschülerinnen darüber aufklärten, dass ich nicht nur behaarte Beine hätte, sondern auch einen Schnurrbart und zu wenig Busen. Trotzdem war meine Schulzeit dort nicht völlig verschwendet. Kurz vor meinem zwölften Geburtstag angelte ich mir einen Freund namens Rómulo, mit dem ich nach der Schule stundenlang in der Stadtteilbücherei auf dem Boden saß und unter quälendem Schweigen Händchen hielt. Wenn ich abgeholt wurde, verabschiedeten wir uns mit einem Liebesschwur und dem obligatorischen Kuss auf den Mund, ehe ich hinausflitzte.

    Bei einem dieser leidenschaftlichen Tête-à-Têtes wurden wir von einem Mitschüler namens Meléndez gestört, der sich nach der Herkunft meines Nachnamens Fernández erkundigte. Mein Blick fiel auf die Wandkarte der Bibliothek, und ich weiß nicht, warum, aber ich fand, der mexikanische Bundesstaat Coahuila eigne sich als Antwort auf diese Frage so gut wie jeder andere Ort.

    Zugegeben, eine so dröge Erinnerung lohnt sich wahrlich nicht jahrzehntelang zu konservieren. Sie fiel mir auch erst Jahre, nachdem ich 2003 die USA verlassen hatte, wieder ein, als ich mir den Kopf darüber zerbrach, ob ich jemals eine Identität über die Person hinaus besessen hatte, die Lebenszeit mit einem Buch über Thomas Friedman vergeudete (Schlussfolgerung: eigentlich nicht). Jedenfalls hatte die Familie Fernández mit Coahuila nichts zu tun, und das wusste ich auch schon im Alter von elf Jahren, denn da hatte ich mir bereits einen bis ins dreizehnte Jahrhundert zurückreichenden Familienstammbaum unter den Nagel gerissen und einen Verwandten namens Luis Centurión zu unserem offiziellen Hausgeist ernannt.

    Mein Vater Joseph Fernández, der älteste lebende Vertreter unserer modernen Familiengeschichte, kam als Sohn von Joseph und Jeanette Fernández zur Welt, die beide im Viertel Ybor City in Tampa, Florida, geboren worden waren und auch beide einen Vater namens José Fernández hatten. Ihre Familien stammten aus verschiedenen Gegenden Spaniens und Kubas.

    Dass einige dieser Vorfahren schillernder waren als andere, erfuhr ich, als mein Dad 2017 in seinem Rentneralltag, der von der wiederholten Lektüre des Don Quijote beherrscht wurde, ein wenig Zeit freischaufelte, um seine Lebenserinnerungen fertigzustellen, die er siebzehn Jahre zuvor begonnen hatte. Dieses Projekt hatte ihm einen Vorwand geliefert, als Korrespondent für The Bureau of National Affairs Inc. (später von Bloomberg aufgekauft) ein ausgedehntes Sabbatical zu nehmen. Wie er in in seinen Erinnerungen schrieb, war sein abuelo José väterlicherseits der festen Überzeugung gewesen, »dass die Benutzung der Toilette nicht gut für die Rohrleitungen ist«, und habe daher seine Frau angewiesen, stets in eine Café-Bustelo-Dose zu pieseln. Derselbe José hatte offenbar auch den College-Abschluss meines Vaters kleingeredet: »Dann doch lieber wie Don Quijote und Sancho herumstromern und vom Leben lernen«, soll er gesagt haben. So könnte sich die spätere Lektürewahl meines Vaters erklären.

    Der andere abuelo José meines Vaters, bekannt als El Boy, hatte in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in Ybor City einen Kollegen in der Zigarrenfabrik niedergestochen, nachdem dieser seine Familie beleidigt hatte, und war von seinen Schwestern eilig nach Kuba verschifft worden, wo er bei der Centurión-Verwandtschaft in Jiguaní im Osten der Insel Zuflucht fand, bis die Anklage gegen ihn fallengelassen wurde, er nach Tampa zurückkehren konnte und eine Anstellung bei dem Mafiaboss Santo Trafficante fand. Fast ein Jahrhundert später, 2006, besuchte ich mit Freunden die heutige Verwandtschaft in Jiguaní, die uns bei sich zu Hause aufnahm und uns mit Bergen gegrillter Schweineschwarte und Familiengeschichten überhäufte, etwa der tragischen Mär, »warum wir wegen Fidel Castro seit 1962 das Badezimmer nicht renovieren konnten«.

    Meine Großeltern gaben sich alle Mühe, ihre Nachkommen zu enthispanisieren, und mein Großvater vollzog die patriotische Assimilierung durch seinen Eintritt in die Streitkräfte, was dazu führte, dass er nicht nur an der D-Day-Landung in der Normandie teilnahm, sondern auch an den Kriegen in Korea und Vietnam. Zu den weiteren Glanzpunkten seiner Karriere zählten

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