Meine Seele sucht Dich!: Liebesbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg zwischen Heimat und Ostfront
Von Gabriele Zander
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Buchvorschau
Meine Seele sucht Dich! - Gabriele Zander
Meine Seele sucht Dich!
Liebesbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg
zwischen Heimat und Ostfront
zusammengestellt und herausgegeben
von Gabriele Zander
AQUENSIS
Menschen
Impressum
Meine Seele sucht Dich!
Liebesbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg zwischen Heimat und Ostfront. Zusammengestellt und herausgegeben von Gabriele Zander.
Copyright by AQUENSIS Verlag Pressebüro Baden-Baden GmbH 2010
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.
Alle Fotos: Privatarchiv Gabriele Zander
Satz: Schauplatz Verlag & Werbeagentur, Baden-Baden
1. digitale Auflage 2013 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783954570058
www.aquensis-verlag.de
www.baden-baden-shop.de
Widmung
Meinen Eltern, in Liebe!
Besonders meinem Vater, der dieses Jahr seinen
100. Geburtstag gefeiert hätte.
Allen, die mich bei der Entstehung des Buches
unterstützt haben, in Dankbarkeit!
Gabriele Zander, im Mai 2010
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Zu diesem Buch
Übersicht über die Familienverhältnisse
Im Angesicht des Todes
Briefe aus dem Jahr 1942
Kriegsalltag in der Heimat
No 50, (Fautenbach), Donnerstag, den 3. August 1944
No 51, Sonntag, den 6. August 1944
No 52, Dienstag, den 8. August 1944
Den 9. August 1944
No 53, Sonntag, den 13. August 1944
No 54, Dienstag, den 15. August 1944
No 55, Freitag, den 18. August 1944
No 57, Mittwoch, den 23. August 1944
No 59, (Offenburg), Sonntag, den 27. August 1944
No 60, (Fautenbach), Donnerstag, den 31. August 1944
No 62, Sonntag, den 3. September 1944
No 64, Donnerstag, den 7. September 1944
No 65, Freitag, den 8. September 1944
No 68, (Offenburg), Montag, den 18. September 1944
(ohne Nr.), (Fautenbach), Mittwoch, den 20. September 1944
(ohne Nr.), Freitag, den 21. September 1944
(ohne Nr.), Samstagabend, den 23. September 1944
Sonntag, den 24. September 1944
No 73, (Offenburg), Donnerstag, den 28. September 1944
Den 29. September 1944
No 74, Sonntag, den 1. Oktober 1944
No 76, (Fautenbach), Mittwoch, den 4. Oktober 1944
No 77, Sonntag, den 8. Oktober 1944
No 78, Mittwoch, den 11. Oktober 1944
No 79, Donnerstag, den 12. Oktober 1944
No 80, Sonntag, den 15. Oktober 1944
(Undatiere Postkarte, vermutlich zwischen dem 12. und 15. Oktober geschrieben)
No 81, Dienstag, den 17. Oktober 1944
No 83, Sonntag, den 22. Oktober 1944
No 84, (Offenburg), Dienstag, den 24. Oktober 1944
No 85, Freitag, den 27. Oktober 1944
No 86 + 87, (Fautenbach), Sonntag und Dienstag, den 29. Oktober 1944
No 88, Donnerstag, den 2. November 1944
No 89, Sonntag, den 5. November 1944
No 90, Dienstag, den 7. November 1944
No 91, Freitag 10. November 1944
No 92, Sonntag, den 12. November 1944
No. 93, (Offenburg), Mittwoch, den 15. November 1944
No 96, Sonntag, den 19. November 1944
No 97, Dienstag, den 21. November 1944
No 98, Donnerstag, den 23. November 1944
Dem Tod so nah
No 62, Donnerstag, den 31. August 1944
No 63, Freitag, den 1. September 1944
No 69, Sonntag, den 17. September 1944
No 70, Mittwoch, den 20. September 1944
No 71, Donnerstag, den 22. September 1944
No 72, Samstag, den 23. September 1944
No 74, Donnerstag, den 28. September 1944
No 75, Samstag, den 30. September 1944
No 76, Riga, den 2. Oktober 1944
No 77, Mittwoch, den 4. Oktober 1944
No 79, Sonntag, den 8. Oktober 1944
No 80, Montag, den 9. Oktober 1944
No 81, Freitag, den 13. Oktober 1944
No 82, Sonntag, den 15. Oktober 1944
No 83, Mittwoch, den 18. Oktober 1944
No 84, Freitag, den 20. Oktober 1944
No 85, Montag, den 23. Oktober 1944
No 86, Mittwoch, den 25. Oktober 1944
No 87, Samstag, den 28. Oktober 1944
No 88, Sonntag, den 29. Oktober 1944
No 89, Lettland, den 30. Oktober 1944
No 90, Allerheiligen in Lettland 1944
No 91, Freitag, den 3. November 1944
No 92, Sonntag, den 5. November 1944
No 93, Dienstag, den 7. November 1944
No 94, Donnerstag, den 9. November 1944
No 95, Freitag, den 10. November 1944
No 96, Samstag, den 12. November 1944
No 97, Dienstag, den 14. November 19 44
No 98, Freitag, den 17. November 1944
No 99, Sonntag, den 19. November 1944
No 100, Dienstag, den 21. November 1944
No 101, Donnerstag, den 23. November 1944
No 102, Freitag, den 24. November 1944
No 103, Montag, den 27. November 1944
No 104, Dienstag, den 28. November 1944
No 105, Mittwoch, den 29. November 1944
No 106, Donnerstag, den 30. November 1944
No 107, Freitag, den 1. Dezember 1944
No 109, Sonntag, den 3. Dezember 1944
Im Zeichen der Liebe
No 109, 3. Dezember 1944
No 110, Montag, den 4. Dezember 1944
No 111, Dienstag, den 5. Dezember 44
No 112, Nikolaustag 1944 in Kurland
No 113, Donnerstag, den 7. Dezember 1944
No 114, Freitag, den 8. Dezember 1944
No 115, Samstag, den 9. Dezember 1944
No 116, Sonntag, den 10. Dezember 1944
No 117, Montag, den 11. Dezember 1944
No 118, Dienstag, den 12. Dezember 1944
No 119, Mittwoch, den 13. Dezember 1944
Verlust der Heimat
No 99, Sonntag, den 26. November 1944
No 100, Montag, den 27. November 1944
No 111, Tennenbronn, den 22. Dezember 1944
Die letzte Kriegsweihnacht
(ohne Nr.), Kurland, den 14. Dezember 1944
No 121, Samstag, den 16. Dezember 1944
No 122, Sonntag, den 17. Dezember 1944
No 123, Montag, den 18. Dezember 1944
No 124, Dienstag, den 19. Dezember 1944
No 125, Freitag, den 22. Dezember 1944
(ohne Nr.), Kurland, Weihnachten 1944
No 127, Kurland, Mittwoch, den 27. Dezember 1944
No 128, Donnerstag, den 28. Dezember 1944
No 129, Sonntag, den 31. Dezember 1944 in Kurland
No 1, Neujahr, 1945 in Kurland
No 2, Kurland, den 3. Januar 1945
No 4, Samstag, den 6. Januar 1945
No 5, Sonntag, den 7. Januar 1945
No 6, Dienstag, den 9. Januar 1945
No 9, Dienstag, den 16. Januar 1945
No 17, Dienstag, den 30. Januar 1945
No 18, Donnerstag, den 1. Februar 1945
No 19, Freitag, den 2. Februar 1945
No 20, Sonntag, den 4. Februar 1945
No 21, Mittwoch, den 7. Februar 1945
No 24, Sonntag, den 11. Februar 1945
No. 22, Donnerstag, den 8. Februar 1945
Heimkehr ins „Reich"
No 29, Montag, den 26. Februar 1945, DEUTSCHLAND
No 30, Montag, den 26. Februar 1945
No 31, Donnerstag, den 1. März 1945
No 32, Freitag, den 2. März 1945
No 33, Pommern, Sonntag, den 4. März 1945
Das Ende des Krieges
No 19, Tennenbronn, Sonntag, den 11. Februar 1945
No 20, Dienstag, den 13. Februar 1945
No 33, Mittwoch, den 14. März 1945
No 34, Freitag, den 16. März 1945
No 40, Dienstag, den 27. März 1945
Ostermontag, den 2. April 1945
No 43, Sonntag, den 8. April 1945
Anhang
Der Wehrpass von Alois
Zur Person
Verwendete Literatur
Zu diesem Buch
Sommerurlaub in Polen, Litauen und Lettland. Mein Mann und ich waren sogleich fasziniert von der Schönheit der Landschaft, dem Liebreiz dieser Region – und doch hat uns auf unserer Reise auch die Historie immer wieder eingeholt. Die fremd klingenden Namen der Ortschaften und Flüsse wie Darlowo, Kartuzy, Saldus und Wisla wurden sogleich vertrauter, wenn man ihre ehemals deutschen Namen las: Rügenwalde, Karthaus, Frauenburg und Weichsel. Sie ließen etwas anklingen, was mit unserer, der deutschen Geschichte zu tun hat. Und als ich am Ufer des mächtigen Memelstroms – litauisch Nemunas – stand, kam mir der Gedanke, ob unser Vater wohl auch einmal hier in dieser Gegend war, im Krieg, vor mehr als 60 Jahren.
Ich erinnere mich daran, dass ich nie zu fragen wagte, wenn Vater stöhnend und nass geschwitzt aus einem Traum erwachte, und die Mutter mir, ihrem verängstigten Kind, erklärte, dass er „wieder einmal von Russland träumte. „Russland
war ein Tabu, ein Synonym für etwas, über das man nicht sprach – jedenfalls nicht mit kleinen Mädchen. Sprach er, der als Soldat im Ostfeldzug gewesen war, mit anderen, mit Gleichaltrigen, die ebenfalls diese und schlimmere Erlebnisse durchgestanden hatten? Sprachen die Frauen über das, was sie während des Krieges zuhause erlebt hatten?
Unsere Mutter erzählte mir von feindlichen Tieffliegern, von Bombenangriffen, die sie mit ihren Kindern in Luftschutzkellern überlebte, von der Evakuierung, von der Rationierung der Lebensmittel, vom ständigen Hunger. Tief beeindruckend war mir als Kind, dass mein Bruder sich einmal vergeblich einen kleinen Löffel Zucker „nur für sich alleine" zu Weihnachten gewünscht hatte. Und in ihren letzten Lebensjahren erzählte sie auch zunehmend davon, wie schwer es war, in der Zeit des Dritten Reiches ein behindertes Kind zu haben.
Die Generation unserer Eltern hatte keine Selbsthilfegruppen und keine psychologisch geschulten Fachleute, die ihnen halfen, die vielfältig erlebten Traumata zu bewältigen. Sie hatten nach dem verlorenen Krieg kein Ansehen und keine Regierung mehr, sie hatten Millionen von Toten zu beklagen, Millionen von an Leib und Seele verletzten Kriegsopfern zu betreuen, ein von Bomben zerstörtes Land. Und zusätzlich lastete noch die Kriegsschuld auf ihnen.
Als wir von unserer Reise, die uns zu den östlichen Nachbarn Deutschlands geführt hatte, zurückkamen, war meine Neugier geweckt. Ich erinnerte mich, dass ich in einem der vielen Alben Fotos von Vater als Soldat gesehen hatte. Auf meiner Suche wurde ich bald fündig. Vater hatte die Fotos eigenhändig beschriftet. Dadurch erfuhr ich erstmals genauer, wo er im Krieg gewesen war, denn dort stand nicht nur der geografisch so dehnbare Begriff „Russland, sondern genauer „Kurland
. Ein Foto zeigte Vaters Vorgesetzten, Generalfeldmarschall von Küchler. Auch dies war ein erster Hinweis darauf, wo genau mein Vater im Krieg eingesetzt worden war.
In der „berühmten" Kassette, die jahrzehntelang unter dem Ehebett der Eltern ihren festen Platz hatte, und die nach Mutters Tod bei mir blieb, fand ich Vaters Wehrpass, und auf diesen fünfzig (!) Seiten erfuhr ich weitere Einzelheiten über seinen Einsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg (siehe im Anhang des Buches). Und ich bekam Gewissheit darüber, wie nahe ich ihm auf der Reise durch das nordöstliche Polen und das Baltikum gekommen war: Riga, Frauenburg, Gotenhafen, Danzig und schließlich Tucheler Heide sind die Orte, die er mehr als 60 Jahre vor mir gesehen hat – wenn auch unter ganz anderen Bedingungen.
Daraufhin suchte ich in den vielen erhaltenen Briefen die Feldpostbriefe, die unsere Eltern sich während des Krieges geschrieben hatten, zusammen.
„Ich werde einmal alles in viel feinere Form bringen, mit Bildern, alles für sich in einem Buch, wenn Frieden ist, und ich die nötige Zeit dazu habe", schreibt mein Vater im Brief Nr. 117 im Jahr 1944.
Dieser Satz hat mich dazu ermutigt, anstelle meines Vaters die Briefe und die Geschichte der beiden in eine „feine Form" zu bringen und sie heutigen Lesern zugänglich zu machen. Und ich begann, sie mit dem Computer neu zu erfassen.
Ich habe beim Abschreiben der Briefe die Rechtschreibung der heutigen angepasst. Fehlende Satzzeichen und Flüchtigkeitsfehler wurden, wo vorhanden, behutsam ergänzt, fehlende Wörter in Klammer hinzugefügt. Wenn erklärende Ergänzungen bzgl. Namen und Ereignissen nötig schienen, habe ich sie in Klammern eingefügt. Auslassungen sind als solche (…) gekennzeichnet. Alle Namen, die in den Briefen vorkamen, wurden verändert, nur die Namen meiner Eltern und meiner Brüder sind geblieben.
In der Region, wo unsere Eltern lebten, war es damals durchaus üblich, sich gegenseitig mit verkleinernden Kosenamen anzusprechen, nicht nur Eheleute unter sich, sondern vor allem den Kindern, aber auch den anderen wichtigen und geliebten Dingen des täglichen Lebens wurde nur allzu gerne ein „le" angehängt, wie zum Beispiel dem Schätzle, dem Fraule, den Päckle, dem Zimmerle, dem Brötle. Das wirkt heute beim Lesen zu niedlich und süß. Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich mir erlaubt, die Briefe diesbezüglich zu entfachten. So liest sich der Text für heutige Augen flüssiger und ist doch in der Aussage gleich intensiv geblieben.
Es gibt viele Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg; sie sind aus den Schützengräben geschrieben und enthalten unvorstellbares Leid. Von den meisten Briefeschreibern existieren wohl nur noch diese Briefe, weil sie selbst im Krieg ihr Leben verloren. Was alle diese Menschen erlebten, ist unvorstellbar grausam und unmenschlich, und wir begegnen heute noch täglich Ähnlichem, wenn wir die Berichte von Kriegsschauplätzen in aller Welt via Fernsehen anschauen.
Niemals würde ich es wagen, die Briefe meiner Eltern im gleichen Atemzug zu nennen. Mein Vater war vier Jahre in Russland, zunächst als K-Radmelder und nach seinem Motorradunfall im letzten Kriegsjahr beim Stab der Einheit. Auch wenn in jedem seiner Briefe der Atem des Todes spürbar ist, sind die Briefe meiner Eltern keine Feldpostbriefe im üblichen Sinne, vielmehr sind es Liebesbriefe aus einer dunklen Kriegszeit.
Was sie trotzdem exemplarisch macht, ist, dass Hunderttausende von Frauen und Müttern sich und ihre Familien durchbringen mussten, dass auch sie von Angriffen und Übergriffen bedroht waren und großem Leid, vielleicht auch dem Tod begegneten.
Oft beim Arbeiten mit den Briefen fühlte ich mich, als sähe der jeweils Schreibende mir über die Schulter; verschmitzt lächelte mein Vater mir zu beim Erzählen ihrer Liebesgeschichte, lebhaft schilderte meine Mutter den Kriegsalltag im heimatlichen Dorf, manchmal aber wischte jeder von uns sich Tränen aus den Augen, wenn die schwere Zeit allzu bedrückend wurde, und die Angst um den anderen allzu gegenwärtig fühlbar war.
Wie ausweglos musste einem doch das Leben vorkommen, wenn man sich so manches Mal nur noch am gemeinsamen Tod tröstete und aufrecht erhielt!
Bei der Lektüre der Briefe und beim Nachlesen in entsprechenden zeitgenössischen Erinnerungen ist es für mich immer wieder absolut unvorstellbar, was diese Generation unserer Eltern mitgemacht hat. Und dabei wird mehr als deutlich, dass unsere Familie ein ganz besonderes Glück hatte, oder, wie unsere Eltern es immer wieder betonten, dass ihre vielen Gebete vom Herrgott erhört wurden.
Gabriele Zander
Übersicht über die Familienverhältnisse
Alois und Clara stammen beide aus Fautenbach, einem kleinen Ort in der Nähe von Achern im Oberrheintal am Fuße des Schwarzwalds.
Clara kommt aus einer Familie mit insgesamt zehn Kindern; ihre älteste Schwester Martha lebt in Bühl im Kloster, der älteste Bruder Johannes ist ebenso wie die beiden anderen Schwestern Rosemarie und Luise im Dorf verheiratet.
Ihre Brüder Albert und Johannes werden gleich zu Beginn des Krieges eingezogen. Die jüngeren Geschwister Daniel, Viktor und Annemarie leben noch zuhause. Schon vor 1942 verliert Albert seinen Arm. Im Sommer 1944 ist er kurz auf Besuch daheim in Fautenbach.
Alois ist der jüngste Sohn einer kleineren Familie. Sein ältester Bruder ist im Ersten Weltkrieg gefallen, beide älteren Brüder sind im Dorf verheiratet. Seine ältere Schwester ist im Kloster.
Alois hat sein Abitur in Sasbach gemacht und will Arzt werden. Er beginnt sein Medizinstudium in Freiburg im Breisgau, muss es aber abbrechen, weil sein Vater plötzlich stirbt und kein Geld für das Studium zur Verfügung steht. Nach langer Arbeitslosigkeit findet er eine Stelle als Angestellter einer Krankenkasse in Karlsruhe. Clara und Alois heiraten und ziehen nach Karlsruhe. Etwa zwei Jahre später (1938) übernimmt Alois die Geschäftsstelle der Versicherung in Offenburg, und das junge Paar zieht nach Offenburg.
Zu Kriegsbeginn im September 1939 kommt der erste Sohn Werner zur Welt. Schon 1940 folgt der zweite Sohn, Manfred, eine Frühgeburt, die schwere bleibende Schäden nach sich zieht. Das Kind erleidet Fieber- und Krampfanfälle, die zu einer fast kompletten Lähmung führen und ihn zu einem Schwerstbehinderten machen. Kurz vor seinem dritten Geburtstag stirbt Manfred in einem „Kinderheim".
Da es in Offenburg während des Krieges immer gefährlicher wird, auf dem elterlichen Bauernhof daheim aber auch jede helfende Hand gebraucht wird, verbringt Clara große Teile des Sommers und Herbstes „daheim" beim Vater und den jüngeren Geschwistern in Fautenbach, wohl auch, weil die Verpflegung dort noch eher gewährleistet ist und sie Vorräte anlegen kann. Lisbeth Faller, die Nachbarin, kümmert sich während Claras Abwesenheit um die Wohnung und bekommt dafür öfter Lebensmittel. Auf dem Hof ist noch eine Hilfe aus der Pfalz, die Rosel heißt, und ein französischer Zwangsarbeiter namens Stani.
Im Angesicht des Todes
Briefe aus dem Jahr 1942
Briefe aus dem Jahr 1942
Die erhaltenen Feldpostbriefe, die Clara und Alois sich geschrieben haben, beginnen im Jahre 1942. Der erste erhaltene Brief vom 31. März 1942 trägt die Nummer 48 (das heißt, es war der 48. Brief, den Alois in diesem Jahr an Clara geschrieben hat). Alois war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre, seine Frau Clara 29 Jahre alt.
Im Unterschied zu allen anderen Briefen ist dieser mit der Maschine geschrieben und eigentlich als Testament von Alois zu betrachten. Vermutlich hat er die Schreibmaschine gewählt, um sich selbst inhaltlich etwas distanzieren zu können und dem Brief so gewissermaßen die Wichtigkeit eines formellen, amtlichen Schriftstückes, auch vor sich selbst, zu geben.
In diesem damaligen „letzten Willen" gibt er Anweisungen und Ratschläge, was geschehen soll, wenn er den Krieg nicht überleben sollte. Offensichtlich hatte ihn seine Frau gebeten, ihre diesbezüglichen Fragen zu beantworten, weil sie ja beide fortwährend um sich herum erlebten, dass Soldaten fielen und dass dieser Krieg täglich mehr Opfer forderte.
„ (...) Ich verstehe Deine Frage vollkommen, denn letzten Endes muss man auch, wenn kein Krieg wäre, wissen, was geschehen soll, wenn eines stirbt. Ich hab mir natürlich auch schon hin und wieder Gedanken gemacht, und mir die Frage vorgelegt, ob ich Dir etwas Derartiges schreiben soll, bin aber davon abgekommen, weil ich glaubte, dass ich Dir dadurch nur unnötige Angst und Sorge machen würde. Nun, da Du jedoch selbst anfragst, möchte ich Dir natürlich auch antworten.
Wenn mir etwas zustoßen sollte, dann halte ich es am besten, wenn Du die Wohnung in Offenburg zum nächsten Termin kündigst und nach Fautenbach ziehst, entweder zu den Eltern oder zu Luise in den 2. Stock. Die Wohnung in Offenburg wäre für die Dauer zu teuer und würde Dich auch zu viel an mich erinnern. Von Karlsruhe bekämest Du sicherlich diesen Umzug bezahlt. Ferner bekommst Du die nächsten 3 Monatsgehälter noch voll weiter. Was Du von der Arbeitsfront bekommst, ist mir nicht genau bekannt, jedenfalls müsstest Du das Mitgliedsbuch und eine Todesurkunde vorlegen. Über die Höhe Deiner Rente von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und der Rente für die Zusatzversicherung bin ich nicht genau im Bilde, da dies auf die Anzahl der Beiträge ankommt. (...)"
Clara mit Werner und Manfred
In diesem Brief wird auch deutlich, dass er die Lebenserwartung für seinen behinderten Sohn Manfred sehr realistisch und eben entsprechend gering gesehen hat, sodass man schon 1942 mit seinem Tode rechnete.
(...) Fredle soll in Fautenbach beerdigt werden, wenn er nach mir stirbt, und wenn es möglich ist, dann lass mich nach dem Krieg auch überführen, das wäre mein einziger Wunsch, den ich habe. (...) Sofern Du Bedenken hättest, nach Fautenbach zu gehen, dann würde ich Dir raten, wenigstens so lange dorthin zu gehen, als Fredle lebt. Nachher könntest Du ja – sofern Lust vorhanden – eine Stellung in einem Pfarrhaushalt o.ä. annehmen, sofern Du dadurch in der Erziehung von Werner nicht gehindert wärest. Die Erziehung Werners soll Deine einzige Aufgabe sein. (...) Ich glaube dir ja, dass Du Sorge hast, wenn jeden Tag neue Todesnachrichten eintreffen. Sicher ist natürlich keiner, auch nicht in der Heimat, dass er von einer Bombe getroffen wird, aber es soll Dir immerhin Trost sein, dass ich nicht direkt im Kampfe stehe, sondern beim Stab auf der Schreibstube bin."
Alois ahnte zu jenem Zeitpunkt noch nicht, wie hellsichtig er war, als er davon sprach, dass auch Clara daheim in gefährlichen Zeiten lebte und kriegsbedingt durch Bomben oder Ähnliches umkommen könnte. Niemand hielt es damals für möglich, dass die Westfront zweieinhalb Jahre später an den Rhein zurückkommen würde, dass also beide – jeder an einer „Front" – die restlichen Kriegsmonate überleben mussten, einen Krieg, den Alois bis ganz zuletzt noch nicht verloren glaubte.
Es ist und bleibt in diesem Brief während der gesamten erhaltenen Korrespondenz das erste und letzte Mal, dass beide dem möglichen Ende ins Auge sehen, und nur die Ausnahmesituation des Krieges hat Alois wohl bewogen, sich den Fragen zu stellen, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel und seine Bitte am Ende sehr berührend und eindrücklich ist.
„(...) Ich habe gesehen, wie Dir die Tränen auf den Brief gefallen sind, wo Du anfragst, was Du tun solltest, wenn... Ich verstehe das wohl, denn es sind doch Dinge, die das Innerste berühren. Wir wollen nun keine Worte mehr darüber verlieren. Schreibe mir nur, ob Du diesen Brief erhalten hast, und ob Du meine Vorschläge gut heißen kannst. (...)"
Von Clara sind zwei Briefe aus dem Jahr 1942 erhalten. Sie berichten von den Sorgen und Nöten in der Heimat. Vor allem der drohende Tod ihrer Mutter und ihres behinderten Kindes werfen ihre Schatten voraus.
„Ich bin sehr beunruhigt wegen Mutter. Seitdem ich letztes Mal daheim war, habe ich nur die eine Sorge, dass Du Mutter nicht mehr lebend antriffst. Es ist ein Jammer zu sehen, wie das über alles geliebte Leben dahinschwindet, ohne dass man irgendwie helfen kann.
Wenn nur Dein Urlaub nicht noch weiter hinausgeschoben wird, sonst könnte es zu spät sein. Mutter wartet so sehr auf Dich. Vielleicht kannst Du doch etwas früher Deinen Urlaub erhalten, wenn Du an zuständiger Stelle vorsprichst und den Grund angibst. Ich meine, in diesem Fall muss man doch ein Einsehen haben. Zumal es mit unserem Jüngsten auch wieder schlimm geworden ist. Man rät mir, das Kind in Gips legen zu lassen, aber ich möchte doch lieber Dein Kommen abwarten, dass Du noch vorher mit Herrn Professor in der Kinderklinik sprechen könntest. Du weißt ja, was es für unser Kind bedeutet, und ich möchte mich dafür nicht gerne allein entschließen. Heute habe ich Post bekommen, dass dein Bruder Rolf bei den Kämpfen bei Wowonesch verwundet wurde. Er hat einen Schulter- und Oberarmschuss, sowie Granatsplitter in Brust, Oberschenkel und beiden Händen. Wir alle hoffen, dass es nicht lebensgefährlich ist. (...)"
Im zweiten erhaltenen Brief vom 22. Juli 1942 werden ihre Bitten noch flehentlicher. Sie scheint die Belastungen alleine kaum mehr aushalten zu können.
„(...) Komm bald, ehe es für immer zu spät ist. Ich warte dringend auf Dein Kommen, denn der Zustand unseres kleinen Lieblings hat sich sehr verschlimmert. Ich nehme doch an, dass man in diesem Falle ein Einsehen haben muss. Es ist für mich nicht leicht, mit all diesen großen Sorgen allein zu stehen. Ich wäre ja so froh und dankbar, wenn man es Dir möglich machen würde, für einige Zeit in Urlaub zu fahren, wer weiß, ob Du sonst Dein Kindchen noch einmal sehen wirst.
Und unsere geliebte Mutter verlangt so sehr nach Dir. Es ist furchtbar zu sehen, wie sie leiden muss, und ohne helfen zu können mit ansehen muss, wie der unerbittliche Tod immer näher zu ihrem Herzen kommt.
Die große Sorge um die fünf Söhne (sie zählte ihre Schwiegersöhne dazu), die draußen stehen, beschleunigen die Krankheit noch mehr. Die furchtbare Verwundung von ihrem Sohn Albert, der den rechten Arm verloren hat, hat sie ja schon ins Herz getroffen.
Ja, mancher Mutter wird dieser Krieg das Herz brechen. Und manche Mutter vollbringt Heldentaten, wenn ihre Söhne einer nach dem anderen in den Krieg ziehen müssen. (...)
Ich warte jeden Tag auf Dich und hoffe ganz fest, dass Du mir in meinen großen Sorgen bald beistehen kannst."
Die Großmutter starb – 60-jährig – am 25. Januar 1943. Sohn Manfred starb am 29. Juli 1943, drei Tage vor seinem dritten Geburtstag in einem „Kinderheim" unter merkwürdigen Umständen.
Werner und Manfred
Clara und Werner
Kriegsalltag in der Heimat
Briefe von Clara aus der Heimat
August bis November 1944
No 50, (Fautenbach), Donnerstag, den 3. August 1944
Mein Herzliebster!
Ich bin zwar rechtschaffen müde, aber einen Brief an meinen Liebsten werde ich wohl noch fertig bringen. Wir haben heute vier Wagen voll Weizen geholt und einen Acker weggemacht, jetzt ist es schon halb zehn, bis ich endlich hereinkomme. Werner liegt schon seit halb neun Uhr im Bett. Ich hab ihm mein altes Bett, wo ich schon drin gelegen