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Villa 13: Kriminalroman aus Münster
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eBook248 Seiten3 Stunden

Villa 13: Kriminalroman aus Münster

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Über dieses E-Book

In der Villa 13, einer Einrichtung für psychisch erkrankte Jugendliche am Rande von Münster, ereignet sich ein tragischer Unfall. Ein Junge stürzt aus dem Dachfenster und verunglückt tödlich.

Nur wenige Wochen später kommt es in der Villa zu einem weiteren schrecklichen Vorfall: Die launische Susu stirbt an einem allergischen Schock, aber diesmal handelt es sich eindeutig um einen Mord.

Katharina Klein, Kommissarin bei der Kripo Münster, und ihre Kollegin Eva Mertens machen sich auf die schwierige Suche nach dem Täter. War es einer der Mitbewohner oder einer der Betreuer? Kommt jemand von außerhalb infrage? Und warum musste die junge Frau sterben?

Katharina und Eva tappen lange im Dunkeln, doch dann tauchen Spuren auf, die plötzlich auch den Tod des verunglückten Jungen in einem anderen Licht erscheinen lassen …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. Aug. 2019
ISBN9783954414864
Villa 13: Kriminalroman aus Münster

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    Buchvorschau

    Villa 13 - Henrike Jütting

    dunkel.

    KAPITEL 1

    Acht Wochen später

    Freitag

    Pia Hengstmann hatte ein Problem. Genaugenommen hatte sie mehrere Probleme. Doch das, was die Sozialpädagogin im Moment beschäftigte, schien ihr das dringendste zu sein. Es hatte mit ihrer Kollegin Hanne Berger zu tun. Pia saß im Büro der Villa 13, einer sozialen Einrichtung, die zum Verein Jugendhilfe in Münster e. V. gehörte. Der Verein bot stationäre Wohnmöglichkeiten für psychisch erkrankte Jugendliche und junge Erwachsene an. Er betrieb mehrere Häuser mit einer unterschiedlichen Anzahl an Wohneinheiten. Bei der Villa 13 handelte es sich um eine Außenwohngruppe mit nur fünf Plätzen, die für junge Erwachsene gedacht waren, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht alleine leben konnten. In der Villa 13 sollte sie, mit Hilfe fachkundiger Unterstützung, auf ein eigenständiges Leben vorbereitet werden.

    Pia las ein zweites Mal die E-Mail, die sie gerade geöffnet hatte. Absender war das Sozialpädagogische Fortbildungszentrum Essen. Der Text war kurz und unmissverständlich.

    Sehr geehrte Frau Hengstmann,

    hiermit teilen wir Ihnen mit, dass uns eine Anmeldung von Frau Berger zu unserer Fortbildungsmaßnahme Gespräche mit Kindern und Jugendlichen – von der Beteiligung zum Dialog bis heute nicht vorliegt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Anne Schneider

    »Wusste ich’s doch«, murmelte Pia vor sich hin. »Das wäre ja auch ein Wunder gewesen.«

    Sie rollte auf ihrem Drehstuhl ein Stück nach hinten und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Was machen wir nur mit dir, Hanne?

    Den ganzen Vormittag war Pia mit administrativen Aufgaben beschäftigt gewesen. Jetzt war es fast vierzehn Uhr, und gleich würde ihr Chef seinen Dienst beginnen. Um 14.30 Uhr erwarteten sie dann Kollegin Hanne zur Teamsitzung. Sie waren zu dritt in der Villa 13, und um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu gewährleisten, arbeiteten sie nach einem flexiblen Zeitmodell.

    Die Tür zum Büro öffnete sich, und Ludo Harms, der Leiter der Einrichtung, trat ein.

    »Die hat sich tatsächlich nicht angemeldet!«, rief Pia ihm entgegen.

    Ludo schälte sich aus seiner Jeansjacke und hängte sie an die Garderobenleiste neben der Tür. »Hallo Pia. So viel Zeit sollte schon sein.« Er warf seiner Kollegin einen genervten Blick zu. Warum machte sie nur immer so einen Stress?

    »Ja, ja. Hallo. Hanne hat die Anmeldung zur Fortbildung nicht abgeschickt. Ich hatte da was für sie herausgesucht. Das grenzt doch schon fast an Arbeitsverweigerung!«

    Ludo seufzte. »Gibt’s Kaffee? Vorher kann ich überhaupt nicht klar denken, das weißt du doch.«

    Pia deutete auf ihren Becher, über dessen Rand das Bändchen eines Teebeutels hing. »Und du weißt doch, dass ich nur Pfefferminztee trinke.«

    »Ach ja.« Ludo seufzte.

    »Ludo«, sagte Pia eindringlich. »Du musst unbedingt mit Hanne sprechen. Das ist bald nicht mehr tragbar mit ihr.«

    »Nur weil sie nicht so auf Fortbildungen steht wie du?«

    »Das Absolvieren von Fort- und Weiterbildungen halte ich tatsächlich für unerlässlich, um qualitativ gute Arbeit zu leisten. Aber das nur am Rande. Nein, es ist nicht nur das. Sie ist in den letzten Wochen noch fahriger und unkonzentrierter geworden, als sie es ohnehin schon immer war. Ihre Büroarbeit bekommt sie gar nicht mehr geregelt. Sie arbeitet nach wie vor nach ihren eigenen Regeln und nicht nach unserer Konzeption.«

    »Nach deiner Konzeption, meinst du«, warf Ludo ein.

    »Wir haben sie zusammen erarbeitet, mein Lieber«, widersprach Pia, »also ist es unsere Konzeption. Aber jetzt im Ernst. Ich weiß wirklich nicht mehr weiter mit Hanne. Trotz dieser Geschichte vor anderthalb Jahren hat sie ihr Verhalten nicht geändert. Und dann der Hund. Bitte sag ihr, sie soll ihn zu Hause lassen. Es ist unerträglich, wie der stinkt.«

    »Ach, komm. So schlimm ist es auch nicht. Trixi mufft ein bisschen, aber ansonsten stört sie doch gar nicht. Sie liegt doch sowieso nur den ganzen Tag in ihrem Körbchen und schläft.«

    »Hanne sollte den Hund einschläfern lassen. Das ist meine Meinung. Man sieht doch, dass der Hund sich nur noch quält.«

    »Das musst du schon ihr überlassen. Lange wird er Hanne sowieso nicht mehr erhalten bleiben. Soweit ich weiß, ist der fast vierzehn.«

    »Wir müssen uns auch was mit Susu und Manon überlegen«, wechselte Pia das Thema. »Gestern war schon wieder riesiges Theater bei denen wegen Susus Schlamperei im Bad.« Pia hielt inne. »Hörst du überhaupt zu?«

    Ludo hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt, der Pias gegenüberstand, und kramte in einer losen Blattsammlung herum. »Ja, ich habe alles gehört«, versicherte er ohne aufzublicken. »Probleme zwischen Susu und Manon. Aber das ist ja eigentlich nichts Neues.«

    »Nein. Aber wir können das nicht länger ignorieren. Es ist gestern sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden gekommen. Susu war außer sich. Hanne meint ja, wir sollten eine von ihnen nach oben ziehen lassen, aber da bin ich überhaupt nicht für.« Pia ließ ihren Chef nicht aus den Augen und fragte sich zum tausendsten Mal, warum sie einfach nicht von ihm loskam. Die Affäre war über drei Jahre her und demütigend für sie zu Ende gegangen. Doch Pia wusste genau, sie würde sich sofort wieder auf ihn einlassen, sollte Ludo auch nur einen Funken Interesse zeigen. Allerdings bestand diese Gefahr gar nicht. Sie hatte inzwischen begriffen, dass er bei ihr nur eine Ausnahme gemacht hatte und sein Frauengeschmack in eine ganz andere Richtung ging.

    Moni, ihre beste Freundin, hatte ihr Verhältnis zu Ludo von Anfang an nicht gutgeheißen, und als nach wenigen Wochen alles vorbei war, riet sie Pia, die Stelle zu wechseln. Aber Pia fühlte sich wohl in der Villa 13. Es war zwar nur ein Miniteam – Ludo, Hanne und sie – aber die Gestaltungsmöglichkeiten waren enorm, und genau so etwas hatte sie gesucht. Und außerdem – aber das sagte sie Moni nicht – fühlte sie sich nach wie vor von Ludo angezogen. In diesem Punkt verstand sie sich allerdings selber nicht.

    Ludo hob den Blick. »Zu Handgreiflichkeiten? Okay, das klingt ernster.«

    »Das meine ich auch, und deshalb müssen wir uns da etwas überlegen. Und auch was Hanne angeht. Im Ernst, Ludo. Wenn du gleich wegen der Fortbildung nichts zu ihr sagst, dann mache ich das.«

    »Nur zu. Du bist die stellvertretende Leiterin dieser Einrichtung. Aber bleib sachlich. Du kennst sie ja.«

    »Ich bin immer sachlich.« Pia machte sich eine Notiz auf ihrem Stichpunktezettel.

    Ein Klappern an der Haustür kündigte Hannes Eintreffen an. Kurz darauf betrat sie das Büro. Eine mittelgroße Promenadenmischung von undefinierbarer Abstammung trottete steifbeinig hinter ihr her. Der Hund ging auf Pia zu, blieb direkt vor ihr stehen und schaute sie aus trüben Augen vorwurfsvoll an.

    Pia konnte den warmen Hundeatem durch ihre Jeans spüren.

    Was wollte dieser Hund nur immer von ihr? Eisern verkniff sie sich jede Bemerkung, schob den Hund aber demonstrativ mit dem Fuß von sich weg.

    Susu steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Haustür. Tom, Manon und Nico betraten hinter ihr das Haus. Von montags bis freitags arbeiteten alle vier Jugendliche bei Youth at Work e. V., einer Qualifizierungsund Arbeitseinrichtung für junge Menschen ohne Schulabschluss oder abgeschlossene Ausbildung. Freitags endete die Arbeit bereits um 14.30 Uhr.

    Susu drehte sich zu den anderen um und legte den Finger auf ihre Lippen. »Pssst! Die sind alle im Büro. Es gibt Stress.«

    Sie lauschten und erkannten Hannes Stimme. »Du hast mich doch schon ewig auf dem Kieker, Pia! Ich kann doch machen, was ich will, nie ist es richtig!« Hannes Stimme schraubte sich mehrere Tonlagen nach oben.

    »Das stimmt so nicht«, antwortete Pia ruhig. »Es geht auch weniger um das, was du machst, sondern mehr um das, was du nicht machst.«

    »Was soll das denn jetzt heißen?«, ereiferte sich Hanne.

    »Warum hast du dich nicht zu der Fortbildung im März angemeldet? Was ist mit dem Termin für Nico bei Dr. Kentrup? Wann schreibst du endlich die längst fällige Stellungnahme, um weitere Therapiemaßnahmen für Nico bewilligt zu bekommen? Und so weiter und so fort.«

    Ludo schaltete sich ein. »Vielleicht klären wir das doch lieber in einem separaten Gespräch. Am besten ist es, wenn wir …«

    Was Ludo für das Beste hielt, hörten die vier nicht mehr. Nachdem sie an der Garderobe Schuhe und Jacken ausgezogen hatten, trieb sie der Hunger auf einen Nachmittagssnack in die Küche.

    Susu öffnete den Kühlschrank und inspizierte den Inhalt. »Ich habe so einen Schmacht. Ich könnte mir ein halbes Schwein reinhauen.«

    »Wie wäre es denn hiermit?« Manon hielt eine große Papiertüte hoch. »Hefehörnchen.«

    Susu schloss die Kühlschranktür. »Ist mir total egal. Hauptsache ich krieg gleich was zwischen die Kiemen.« Sie ließ sich auf einen der Küchenstühle plumpsen und fuhr sich mit den Fingern durch ihr streichholzkurzes, schwarz gefärbtes Haar.

    »Die sind von Ludos Bäcker«, sagte Tom. »Die sind mega lecker.«

    »Ich will auch eins.« Nico setzte sich.

    »Was wollt ihr drauf essen? Ich nehme nichts.« Manon hatte den Inhalt der Tüte in einen Brotkorb geschüttet und sich dem Kühlschrank zugewandt.

    »Ach ja!«, sagte Susu. »Deine Diät. Wie läuft es denn? Schon hundert Gramm weniger?« Sie musterte Manon abschätzend von hinten.

    Tom machte sich an der Verpackung eines Sechserträgers Mineralwasser zu schaffen.

    Manon reagierte nicht auf Susus Sticheleien. »Erdbeermarmelade? Butter? Für dich Pflaumenmus, Susu?«

    »Ist mir egal.«

    Manon stellte Marmelade und Butter auf den Tisch und holte dann ein weiteres Glas mit rot-weiß gewürfeltem Deckel aus dem Kühlschrank. Sie schraubte den Deckel ab und schnupperte daran. »Das Mus ist noch gut. Aber ich glaube, es sollte bald aufgegessen werden. Dieses selbstgemachte Zeug hält ja nicht so lange.« Sie hielt das Glas in die Luft. »Willst du jetzt oder nicht? Wir haben sonst nur Erdbeermarmelade. «

    »Gib her. Hauptsache, ich habe was zum Draufschmieren.«

    Manon stellte Susu das selbstgemachte Pflaumenmus vor die Nase.

    Tom hatte inzwischen Teller, Gläser und Messer gedeckt.

    »Nimm’s mir nicht übel, Manon«, sagte Susu, als sie zu viert um den Tisch herumsaßen, »aber man sieht wirklich gar nicht, dass du abgenommen hast. Dabei machst du das doch schon seit Wochen, oder nicht?«

    Manon trank einen großen Schluck Wasser und sah ihre Mitbewohnerin gleichmütig über den Rand des Glases an. »Seit zwei Wochen, um genau zu sein. Jede Woche ein Kilo. Es fällt nur nicht auf, weil ich so viele davon habe.«

    Susu nahm sich ein zweites Milchhörnchen und bestrich es mit Butter. »Ich bin jedenfalls froh, dass ich keine Gewichtsprobleme habe.«

    »Nee, die hast du wirklich nicht.« Tom betrachtete Susus Profil. Von der Seite fand er sie fast noch schöner als von vorne. »Kleiner Floh.«

    »Kannst du aufhören, so etwas zu mir zu sagen?«, explodierte Susu. »Das klingt so, als wäre ich ein winziges Ding, das man mit einem Fingerschnippen von der Bildfläche verschwinden lassen kann.«

    »Nein, nein.« Tom hob beide Hände. »So war das nicht gemeint.«

    Manon sah aus, als wollte sie dazu etwas sagen, aber sie schwieg. Es würde ihr immer ein Rätsel bleiben, was Tom an Susu fand, an dieser kleinen Gestalt mit Piercing und löchrigen Klamotten.

    »Gott sei Dank ist endlich Freitag«, sagte Nico. »Ich habe so was von keinen Bock mehr auf diese scheiß Anstreicherei von Stuhlbeinen.«

    »Und ich habe überhaupt keinen Bock mehr auf das Grünflächenprojekt«, meinte Tom. »Ich würde viel lieber in die Schreinerei wechseln.« Er ließ Erdbeermarmelade auf die Spitze seines Hörnchens klecksen.

    »Du warst doch schon mal in der Schreinerei und fandest es doof«, sagte Manon.

    »Ja«, räumte Tom ein. »Aber vielleicht ist es ja jetzt besser da.«

    »Es ist immer noch genauso.« Susu massierte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen.

    »Kopfschmerzen?«, fragte Tom.

    »Ja«, antwortete Susu knapp. Die Erinnerung an das Gespräch, das sie kurz vor Feierabend geführt hatte, löste wieder ein mentales Erdbeben in ihrem Kopf aus und verursachte diesen Schmerz in ihrer Stirnhöhle. Das musste alles ein böser Traum sein. Er hatte ihr ja gar nicht richtig zugehört. Hatte sie angeschrien, ob sie noch ganz dicht sei und ob sie nicht langsam mal kapieren könne, dass er einfach nur seine Ruhe haben wollte. Wahrscheinlich würde er bald alles ganz anders sehen. Sie musste ihm nur Zeit geben. Sie nahm sich ein zweites Milchhörnchen und bediente sich vom Pflaumenmus. Auf einmal fiel ihr etwas ein. »Ach, Nico. Hast du mein Handy genommen? Ich suche es seit gestern Abend.«

    »Spinnst du? Was soll ich mit deinem Handy.«

    Susu fixierte ihn. »Ach, komm. Wir wissen alle, dass du diesen Tick hast, wie ein Geist durchs Haus zu schleichen, andere zu belauschen und Dinge zu nehmen, die dir nicht gehören. Also, wo ist mein Handy?« Der Schmerz in ihrem Kopf hatte weiter an Fahrt gewonnen. Sie brauchte sofort eine Tablette, dachte Susu, sonst würde sie hier gleich auf den Tisch kotzen.

    Plötzlich war da noch etwas anderes. Ein unangenehmes Kratzen im Hals. Sie räusperte sich, aber das nützte nichts. Es ging nicht weg. Im Gegenteil. Es wurde immer schlimmer. Susu griff nach ihrem Wasserglas und trank einen Schluck. Der Schmerz verschlimmerte sich. Inzwischen fühlte es sich an, als hätte sie ein Nadelkissen verschluckt. Es stach, juckte und brannte schrecklich in ihrem Hals. Zusätzlich verspürte sie jetzt noch einen Druck auf dem Kehlkopf, als würde jemand mit dem Daumen darauf drücken. Nein, so war es nicht. Der Druck kam nicht von außen, sondern von innen!

    Susu geriet in Panik. Ihre Hände flogen zum Hals. Sie rang nach Luft, aber irgendetwas verhinderte, dass Sauerstoff in ihre Lungen kam. Es fühlte sich an, als steckte ein Tischtennisball in ihrer Luftröhre fest.

    Nico, Manon und Tom rührten sich nicht. Sie saßen da, als wären sie festgetackert und starrten wie paralysiert auf Susus weit aufgerissene Augen, auf ihre Hände, die ihren Hals umklammerten, und ihren Mund, aus dem kehlige Laute drangen und der sich hektisch öffnete und schloss, wie bei einem Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hat.

    Erst als Susu zusammengekrampft vom Stuhl rutschte und hart auf dem Fußboden aufschlug, sprang Tom von seinem Stuhl hoch und stürzte aus der Küche. Nur wenige Augenblicke später kam er mit Ludo im Laufschritt zurück. Hinter ihnen Pia und Hanne.

    Ludo ließ sich auf die Knie niedersinken. Susu lag bewegungslos auf dem Küchenfußboden. Ludo drehte sie behutsam auf den Rücken. Mit geübtem Griff fühlte er nach ihrem Puls am Hals und ging mit dem Ohr ganz dicht an ihren Mund.

    Kurz darauf schaute er mit blassem Gesicht zu den anderen hoch. »Sie atmet nicht mehr.«

    KAPITEL 2

    Katharina stieg aus der Dusche, griff nach dem Handtuch, das ihr Klaas reichte, und trocknete sich ab.

    Klaas betrachtete sich unterdessen kritisch im Badezimmerspiegel, der groß genug war, dass er sich bis zur Hüfte sehen konnte. Er drehte sich zur Seite und zog den Bauch ein. »So geht es einigermaßen.«

    »Es geht auch ohne Baucheinziehen.«

    »Na ja, ich weiß nicht. Seit wir zusammen sind, habe ich bestimmt fünf Kilo zugenommen.«

    »Das ist das Beziehungsbäuchlein. Das ist ganz normal.« Katharina schlüpfte in ihre Unterwäsche.

    Klaas betrachtete sie. »Und warum hast du kein bisschen zugelegt? Das ist ungerecht.«

    Katharina kniff ihn sanft in die Seite. »Dafür habe ich Dellen an den Oberschenkeln, und damit musst du dich nicht herumschlagen.«

    »Hast du nicht.«

    »Doch. Du siehst sie nur nicht, weil du keine Brille aufhast.«

    Klaas seufzte und sah wieder in den Spiegel.

    »Ach, komm«, sagte Katharina, »du bist sechsundvierzig Jahre. Da darf man einen kleinen Bauchansatz haben, eine Lesebrille tragen und das Haar darf sich auch lichten.«

    Sofort griff Klaas sich in sein volles, braunes Haar. »Mit meinem Haar ist alles noch tipptopp. Aber ab sofort lassen wir das mit dem Essengehen und fahren noch mehr Mountainbike.«

    »Noch mehr?« Katharina öffnete das Badezimmerfenster, um den Wasserdampf abziehen zu lassen. Sie zog sich Jeans und einen Kapuzenpulli an und rubbelte sich die Haare trocken. »Wir sind diese Woche vier Mal mit den Rädern unterwegs gewesen. Ab nächster Woche muss ich wieder arbeiten. Dann müssen wir das Radeln wieder aufs Wochenende legen.« Sie sammelte das durchgeschwitzte Sportzeug vom Boden auf und stopfte es zusammen mit dem Handtuch in Klaas’ Waschmaschine. »Aber ich finde, wir können jetzt getrost was essen, schließlich sind wir gerade drei Stunden durch die Baumberge gerast.«

    Sie stellte sich neben Klaas vor den Spiegel und fuhr sich mit einem Kamm durch die braunen, kinnlangen Locken, die sich im nassen Zustand kringelten wie Korkenzieher.

    »Du hast recht«, sagte Klaas versöhnt. »Wir haben so viel Kalorien verbrannt, da muss jetzt Nachschub her.« Er schlang von hinten die Arme um Katharina. »Obwohl … Ich hätte da auch noch eine andere Idee … Soweit ich weiß, verbrennt man dabei auch Kalorien.« Er pustete Katharina in den Nacken. Sie lächelte seinem Spiegelbild zu und wand sich aus seinen Armen. »Das muss warten. Jetzt habe ich erst mal Hunger.«

    Sie saßen sich am Küchentisch gegenüber. Zwischen ihnen standen ein Brett mit Käse, ein Teller mit hauchdünn geschnittener Fenchelsalami und ein Schälchen mit Cocktailtomaten. Katharina schnitt ein Körnerbrötchen auf. Sie hatten am Morgen extra ein paar mehr gekauft.

    Klaas machte sich an seiner funkelnagelneuen Espressomaschine zu schaffen. »Mal sehen, ob es jetzt funktioniert«, sagte er. »Sonst schicke ich das Ding noch heute wieder zurück.«

    Katharina und Klaas wohnten beide im Erphoviertel, nur wenige Radminuten voneinander entfernt. Bislang wechselten sie sich immer damit ab, wer zu wem kam und dort übernachtete. Ein Jahr und knapp vier Monate waren sie nun zusammen. Das Thema Zusammenziehen hatten sie

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