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Die Wandlung
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eBook205 Seiten2 Stunden

Die Wandlung

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Über dieses E-Book

Lena Landmann steht im Zenit ihrer beruflichen Karriere, als sie für eine PR-Kampagne einen Künstler aufsucht, dessen Leben scheinbar genau dem entspricht, was Lena sich als junge Frau erträumt hat.
Jetzt, in Anwesenheit dieses Mannes, meldet sich das Verdrängte zurück. Instinktsicher traut sie ihrer Erinnerung, selbstbewusst fällt sie eine Entscheidung, die Gewinnzonnen der Emanzipation zu verlassen und ihrer inneren Gewissheit zu folgen. Entschlossen und gnadenlos gegen sich selbst beschreitet sie den einsamen, von Zweifeln geprägten Weg der künstlerischen Selbständigkeit.
Angekommen auf dem internationalen Künstlerparkett, wird sie die einsame Luft der langersehnten Freiheit atmen und als Frau einen ungeheuren Schritt tun. Männer: Unbedingt lesen!
SpracheDeutsch
HerausgeberSecession Verlag
Erscheinungsdatum22. Nov. 2012
ISBN9783905951561
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    Buchvorschau

    Die Wandlung - Veronika Schenk

    GING

    Sie hört nur noch ihr Atmen. Ein rhythmisch präzis getaktetes Laufwerk ihrer Lungen, kurz ein, lang aus. Die Luft geht bis tief in den Bauch, ins Becken, die Füße, die Fingerspitzen. Mit der Steigerung des Tempos wurden ihre anfangs schweren Bewegungen leichter, jetzt fließen sie. Ihr Körper vibriert, einige Muskelpartien zucken unwillkürlich. Sie denkt nicht mehr nach. Etwas in ihr denkt. Kontrolle verlieren, mehr und mehr. Rausch.

    Aber sie ist ganz klar. Sie läuft, läuft immer weiter.

    Es ist ein wunderbarer Frühlingsmorgen. Die Flora grünt frisch, es duftet erdig, alles riecht nach Anfang, nach Neubeginn. Schweiß tritt ihr aus der Haut, Röte steigt ihr ins Gesicht. Feuer. Es gibt keinen Grund für eine Entscheidung, dies oder jenes zu tun. Sie folgt allein einem Impuls. Sie versteht, was passiert, aus der Kraft des Impulses heraus. Sie läuft.

    Wenn sie zurückdenkt, weiß sie nicht, wie es dazu gekommen ist. Etwas veränderte sich. Ihr Blick auf die Welt erscheint in einem anderen Licht, jetzt, im Licht der Morgenröte, vielleicht, sie mochte es immer schon, dies zartfarbene Licht, an dem sich die Nacht scheidet zum Tag hin. Morgens um fünf, wenn alle im Hause schliefen, sah sie es aufsteigen, häufig, es ist ihr Licht gewesen, immer in allein erlebten Stunden, jetzt, es ist ihre Zeit der Träumenden zwischen Tag und Nacht. In diesem Licht spürt sie, wo ihr Zuhause liegt.

    Sie spürte den Zugriff der Angst, loszugehen. Sie fragte nach ihren Eltern und erhielt keine Antwort, nach den Mutigen fragte sie, die einfach aufbrechen, um der Freiheit willen, dieser abstrakten Dame, deren körperliches Pendant Leichtigkeit heißen mag oder Fluss, wo waren die? Sie erhielt keine Antwort, sie fragte nach denen, die nicht nach Genehmigungen, Verträgen und Versicherungen fragen, bevor sie einen Schritt vor den anderen setzen, sie erhielt keine Antwort, sie stieg auf unsicheren Füßen ins eigene Leben.

    Lena hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, morgens durch den an ihre Wohnung angrenzenden Park zu laufen. Danach ins Büro, dort dann die Aufträge: bearbeiten, erledigen, neue entgegennehmen und weiter. Bearbeiten, erledigen und weiter. Irgendwann konnte sie nicht mehr weiter.

    Sie blieb zu Hause, sagte sämtliche Termine ab, blieb in ihrer Wohnung, starrte aus dem Fenster.

    Sie spürte etwas vor sich stehen, sie atmete wie beim Laufen, es wurde immer rhythmischer, schneller, sie verlor den Kontakt unter den Füßen, spürte eine unendliche Tiefe, die sie immer weiter nach unten zog.

    Lenas Bauch krampfte sich zusammen. Sie erhielt mehrere Schläge auf die Wange, ihr Kopf fiel wie ein loses Ei hin und her. Eine Nachbarin hatte die Tür angelehnt gefunden und war hereingekommen. Lena erwachte, ein Achterbahn-Gefühl im Bauch – sie spürte eine dunkle Angst im ganzen Körper. Sie kam von weit her, sie wusste, dass sie sehr weit hinabgestiegen war. Sie spürte jeden einzelnen Sonnenstrahl auf ihrer Wange. Ihr war schwindelig. Sie kannte dieses Gefühl. Jemand streichelte sie jetzt, befeuchtete ihre Wangen mit einem kühlen Tuch, dann Hals, dann Nacken. Erst allmählich konnte sie ihre Bilder an der Wand erkennen, ihre Nachbarin, ihre kleine Katze, die ihr den Bauch wärmte. Sie atmete tief ein, als finge jetzt alles noch einmal an. Weiter.

    Lena schüttelte die Ohnmacht von sich ab, als sei nichts gewesen, machte sich noch etwas zurecht, hetzte dann ins Büro. Auf dem Weg in ihrem kleinen, dunkelgrünen Cabriolet ließ sie die Reste des Traumes zurück. Sie spürte Fahrtwind auf ihrem Gesicht. Sie war zu spät.

    Man wartete bereits auf sie. Ein Meeting zu einem neuen Projekt. Die Diskussion war im Gang. Es ging um eine PR-Aktion, die im Auftrag der Frankfurter Messeleitung durchgeführt werden sollte, in Zusammenarbeit mit einem international anerkannten Künstler. Sabine Scholz, ihre Mitarbeiterin, klärte sie kurz flüsternd über die ersten Ideen auf. Ihr Chef ignorierte sie, ein deutliches Zeichen seiner Missbilligung.

    Das Thema lautete: Kunst im öffentlichen Raum, als Zugpferd für höhere Besucherzahlen der jährlich stattfindenden Kunstmesse Art Frankfurt.

    Man überlegte, wen man als Sponsor mit ins Boot holen könnte. Es stellte sich heraus, dass Lena das Projekt leiten sollte, was sie erstaunte, da sie sich bisher geweigert hatte, das Management im kulturellen Sektor zu übernehmen. In gewisser Weise war sie diesem Thema aus dem Weg gegangen, wollte nicht in Berührung kommen mit dem, was sie anzog und schmerzte.

    Photos der Arbeiten eines der an diesem Projekt beteiligten Künstler wurden gezeigt. Bild-Installationen, dreidimensionale Bilder waren das, einige Arbeiten erinnerten an Designer-Raumobjekte. Sehr durchkonstruiert. Sehr exakt gearbeitet. Auffallende Materialien wie Glas, Kupfer, Leder. Kombinationen von Malerei und Photographie, immer wieder abstrakte Schwarz-Weiß-Aufnahmen dazwischen. Wie Bezugspunkte, Bild-Orte, die Anfang und Ende des Themas markieren. Lena gefielen die Arbeiten, obwohl sie manche etwas zu clean fand, zu technisch. Zu einem figurativen Bild, Mann sich auf die Arme stemmend, kritzelte sie auf ihren Notizblock: Headline Plakat: Kunst verleiht Flügel.

    Man könnte eine der führenden Firmen aus der Photographie-Branche ansprechen. Und Unternehmen am Standort Frankfurt. Lena hatte einige gute alte Kontakte. Eine Location mit DJ wurde angedacht, jüngeres Publikum brauchte die Sache. Lena hatte Feuer gefangen. Ihr Chef war zufrieden. Das Projekt versprach aufregend zu werden. Mal was anderes als Produkt-Marketing und Promotion-Aktionen für irgendwelche Duschgels. Lena fühlte sich wohl, wenn diese Wärme in ihr aufstieg, wenn sie spürte, dass sie kompetent ist, dass sie neuen Herausforderungen gegenübersteht. Sie arrangierte ein Treffen mit dem Künstler, einem Griechen, der sein Atelier in Köln hatte. Köln, wo es viele ihrer Freunde nach dem Studium hingezogen hatte. Manilo Santos hieß er, er konnte nicht nach Frankfurt kommen, man telefonierte, tauschte Höflichkeiten aus, einigte sich auf einen Termin. Lena fuhr einige Tage später in die Domstadt.

    Sie hatte Köln nie als besonders schön empfunden, jedenfalls nicht schöner als Frankfurt. Sie hatten sich am Telefon auf Englisch unterhalten. Man hörte seinen griechischen Akzent sehr stark durch. Ob der für eine PR-Veranstaltung überhaupt zu gebrauchen war? Lena war skeptisch.

    Sein Atelier befand sich in der Innenstadt, im belgischen Viertel, in einem Hinterhof. Lena klingelte. Der Summer öffnete automatisch die Tür. Es gab nur einen langen, schmalen Weg, geradeaus bis zum Ende, wo sich ein halb geöffnetes Tor befand, der Eingang zu seinem Atelier.

    Ihre Schritte auf dem Asphalt hallten wider, einsam und selbstbewusst. Sie klopfte an das große Eisentor, hörte undeutlich eine Stimme antworten. Sie öffnete das Tor. Ein stämmig wirkender Mann stand an einem Waschbecken, das Wasser lief, er drehte sich um mit zwei Kaffeetassen in den Händen, ob sie auch einen griechischen Kaffee trinken wolle. Automatisch ging sie auf ihn zu.

    »Landmann«, sagte sie, »Lena Landmann, von MS Communications.« Santos lachte sie aus großen Augen breit an. »Ich weiß, wir sind verabredet, Missis Landmann.«

    »Miss«, korrigierte Lena.

    Er bemühte sich, deutsch zu sprechen, Lena bot ihm das Englische an, um ihm die Gesprächssituation so angenehm wie möglich zu machen. Der Gesprächspartner sollte sich von Anfang an zu Hause fühlen, sich in Sicherheit wiegen, eines bestmöglichen Resultats wegen. So hatte sie es vor Jahren auf der Kommunikationsakademie gelernt und so hatte es sich vor allem bei Erstgesprächen bewährt.

    Er arrangierte einen kleinen Tisch und servierte einen griechischen Kaffee. Im Atelier roch es nach Farbe. Nach Zigarette. Er rauchte eine leichte griechische Marke, aus einer einfachen weißen Packung, die man ganz aufklappen konnte. Ein quadratisches Format, das man in Deutschland kaum sah. Lena erinnerte sich an das Meer, als sie das letzte Mal in Griechenland war. Es war kurz nach ihrem Studium. Sie hatte selbst noch geraucht, genau diese Marke. Mit dem Duft des Rauches waren die Bilder der Landschaft mit ihren wilden Gerüchen verknüpft. Lena konnte nicht widerstehen, sie nahm eine griechische Zigarette, als Santos ihr die Packung hinhielt. Sie roch an ihr, genoss den Duft des würzighellen Tabaks und legte sie behutsam auf den kleinen Holztisch.

    Santos wirkte gelassen. Er war ein charmanter Mann. Erfolgreicher Künstler. Gut gebaut. Grieche in Deutschland. Der Reiz des Fremden. Sein griechischer Akzent. Die Frauen lagen ihm wahrscheinlich zu Füßen. Obwohl er nicht unbedingt gut aussah. Eher ein weiches Gesicht. Tiefbraune Augen und ein Bart in der gleichen Farbe. Lena mochte keine Bärte.

    Man blieb beim höflichen Sie, glaubte Lena, war sich aber nicht ganz sicher. Im Englischen bleibt es ungewiss. Erst als er wiederholt ihren Nachnamen nannte, war es klar. Lena war einverstanden. Sie brauchte Distanz, um bei sich zu bleiben, bei ihrem beruflichen Anliegen, hier in der spätsommerlichen Nachmittagssonne, in irgendeinem Hinterhof in der Kölner Innenstadt. Im Tageslicht sah sie seine Falten, seine Sorgen, die Jahre, die ihn geprägt hatten. Er war nicht mehr ganz jung, obwohl er manchmal aufsprang in der Leichtigkeit eines jungen Mannes, um ein Bild näher ranzuho- len, einen Katalog seiner Arbeiten zu zeigen. Er drängte sich nicht auf, er blieb zurückhaltend bei allem. Athen, Heraklion, Chania. Er war auf Kreta geboren worden, aber in Athen bei der Tante aufgewachsen. Im Atelier standen frische Arbeiten, angefangene Bilder. Sie streiften daran vorüber wie auf einem Spaziergang. Die Titel waren Städtenamen aus Griechenland. Sie erzählten von Orten in Farben, abstrakten Formen, Sand, Dreck und Kaffeeresten. Sie dufteten nach den Städten.

    Lena war erstaunt. Es waren viel sinnlichere Bilder als im Katalog. Er probierte aus. Eine Zwischenphase. Zurück zur Farbe.

    Ob er auch zeichne? Nein, manchmal, um eine Skizze anzufertigen. Aber er war kein Zeichner mit dem Bleistift, früher ja, auf der Akademie in Athen, später in Madrid.

    Er war herumgekommen in der Welt. Rastlos, wie es Lena schien. Lena überkam Fernweh, ihre alte Sehnsucht, zu reisen und zu arbeiten, beides miteinander verbinden zu können.

    Er erzählte von den langen Durststrecken, den Hungerzeiten, wenig Geld zu haben, aber seiner Kunst trotzdem treu zu bleiben. Seinem Instinkt zu folgen bei allem. Der Nachmittag verging wie im Flug. Die Kunstaktion sollte an einem Freitag zur Eröffnung der Messe stattfinden. Bis dahin waren noch drei Monate Zeit. Wie so oft waren die ersten Ideen die besten. Kunst verleiht Flügel war bei allen Beteiligten gut angekommen. Sogar ein Getränkehersteller hatte seine Kooperation zugesagt.

    Dazwischen – die Stille des Ateliers, das Leben der Bilder, das Licht, das sich sanft auf Tisch und Stühle legte, bevor es den Raum durchquerte. Schweigen. Sie schwiegen zwischendurch. Nur wenige Sekunden. Lag es an der Sprache, die doch beiden fremd war? Lena spürte, dass in diesen Sekunden sich ein Faden spann, etwas Unsichtbares zwischen ihnen entstand. Sie tauchte auf wie aus einer Trance. Santos erwartete noch jemanden. Lena schaute auf die Uhr, wann sie den nächsten Zug nach Frankfurt erwischen konnte.

    An der Tür dann lud er sie zum Abendessen ein, gemeinsam mit ein paar Freunden, am selben Abend, falls sie noch in Köln sei. Lena zögerte. Immerhin war Santos Kunde. Aber sie erinnerte sich, dass ihr Chef sie immer wieder einmal ermahnt hatte, ein Abendessen auf Kosten der Agentur, das mache sich gut fürs Geschäft. Sie hatte keine zweite Garderobe dabei. Sagte aber zu. Sie probierte ein paar Telefonnummern, alte Freunde, Bekannte aus dem Studium. Aber dann entschied sie sich doch für ein Hotel, ganz in der Nähe des Ateliers. Sie hatte noch einige Stunden. Sie hatte sich erstaunlich wohlgefühlt in seinem Atelier. Sie mochte die Stimmung, die sich zwischen ihnen entfaltet hatte. Sie hörte ihn gern reden, vom ersten Augenblick an. Sie spürte eine grundlegende Ernsthaftigkeit, wenn er redete. Seine Stimme gefiel ihr, seine Verbindlichkeit. Die Sicherheit seiner Gesten, wenn er sich durch den Raum bewegte. Santos hatte es verstanden, sie aus ihrer professionellen Schutzhaltung zu lösen. Sie hatte schon lange nicht mehr so aufrichtig von sich selbst gesprochen. Die Bilder wiederholten sich noch einmal, in Ausschnitten, blitzartig.

    Lena streunte durch die Kölner Ladenstadt und probierte hier und da ein Kleid an. In einem teuren Geschäft fand sie ein smaragdgrünes Kleid, knielang mit tiefem Ausschnitt, das ihr zusagte. Schlicht, elegant, feminin. Als Lena das Kleid anprobierte, bemerkte sie neben dem Spiegel eine Bronzeskulptur mit weiblich runden Formen, die dem Laden offenbar als Dekoration diente und wohl einen Henry Moore zur Grundlage hatte. Sie schloss die Augen und ertastete mit ihren Händen das Objekt. Die Verkäuferinnen beobachteten sie angespannt, ohne sich ihre Verblüffung anmerken zu lassen. Dafür war der Laden zu edel und Lena offensichtlich die Kundschaft, die man sich wünschte. Lena öffnete die Augen, atmete einmal kräftig durch, rieb sich die Hände und kaufte das Kleid, das sie auch gleich anbehielt. An der Kasse sagte sie: »Sie haben einen Riss!«

    Die Geschäftsführerin schaute erschrocken an ihrem Kleid herunter. »Wo?«

    »Ich meine Ihre junge Dame dort drüben.«

    »Vielen Dank, wir werden uns gleich darum kümmern.«

    Als Lena das Geschäft verließ, umrundete die Verkäuferin prüfend die Skulptur, konnte nichts finden und machte zu ihrer Kollegin ein Zeichen, dass die Kundin wohl verrückt sei. Lena hatte die Szene aus den Augenwinkeln beobachtet und gab ein Zeichen durchs Fenster, wo genau der Riss entlanglief. Die Verkäuferin wurde seiner gewahr und bedankte sich unbeholfen höflich.

    Lena rief ihre Assistentin an, sie werde heute nicht mehr ins Büro kommen. Dass ihr Chef sie noch unbedingt sprechen wollte, ignorierte sie provokativ: »Schön für ihn.« Sie bat Sabine, ihm auszurichten, dass sie den Abend noch in Köln bleiben werde und geschäftlich mit Herrn Santos weitere Einzelheiten zu klären habe. Sie ertappte sich, wie sie auf offener Straße lachte, und sah, wie andere, wildfremde Menschen ihr Lachen erwiderten. Köln gefiel ihr diesmal gut.

    Als sie etwas zu früh vor der Tür stand, drehte sie noch mal eine Runde. Sie wollte auf keinen Fall die Erste sein. In einem türkischen Gemüseladen kaufte sie eine riesige Wassermelone, die sie kunstvoll auf einer Handfläche balancierte. Sie bemerkte, dass sie aufgeregt war, als sie klingelte. Es war Viertel nach acht. Eine blonde Frau in Jeans und schwarzem T-Shirt öffnete die Tür. Maria, ein Gast oder seine Freundin? Sie war Halbgriechin, wie Lena später erfuhr, und sprach sehr gut Deutsch. Manilo Santos stand am Herd. Er duzte Lena jetzt, nannte sie bei ihrem Vornamen und stellte sie vor. Sie war die Zweite. Oder vielleicht doch die Erste? Lena schaute sich um. Sie trat ein in einen kleinen, charmanten Wohnbereich, der mit Papyruswänden vom Atelier abgetrennt war und ihr am Morgen nicht aufgefallen war. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Paar zusammenwohnte.

    Lena fühlte sich leicht unbehaglich. Maria versorgte sie freundlich mit einem Cocktail zur Begrüßung. Lena kam sich in ihrem grünen, engen Kleid und den hohen Pumps etwas overdressed vor. Maria wirkte still und geheimnisvoll, sie schien sich sehr gut in dem Wohnatelier auszukennen. Sie wusste, wo was stand, öffnete die Schränke, ohne nachzudenken. Lena bemerkte, dass sie den Tisch deckte, als täte sie dies täglich. Sie wirkten wie ein Paar, harmonisch, bescheiden, ganz selbstverständlich. Lena bemühte sich, ihre Verlegenheit zu überspielen. Sie sprach professionell. Sagte, dass sie noch einen späteren Termin habe, den sie so schnell nicht habe absagen können. Santos reagierte, sagte, Maria sei gerade aus Italien zurückgekommen, früher als geplant, von einer Ausstellung ihrer Arbeiten, die sie dort aufgebaut hatte. Maria war ebenfalls Künstlerin, sie hatte ihr Atelier ganz in der Nähe. Lena spürte, dass sie und Manilo mehr als bloß ihr Künstler-Dasein verband. Sie bereute, gekommen zu sein. Was hatte sie erwartet?

    Als es klingelte und zwei weitere Freunde kamen, war sie erleichtert. Die Spannung lockerte sich. Manilo trat aus seiner Kochecke heraus und servierte das Essen. Er setzte sich neben

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