Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Was geschah im Hotel California?
Was geschah im Hotel California?
Was geschah im Hotel California?
eBook262 Seiten3 Stunden

Was geschah im Hotel California?

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Willkommen im Hotel California. Ein Song hat sich in unserem Kopf eingenistet. Eine Melodie schickt uns auf die Reise. Der Text gibt Rätsel auf: Wer ist wer? Und wer ist was? Die Mercedes-Benz-Lady, der Captain, das Biest? Wer sind die anderen Gäste? Und was wird mir geschehen, wenn ich einchecke?
Eine traumhafte Reise – auch wenn sie in manchen Nächten in einen Albtraum mündet. 
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum8. Nov. 2016
ISBN9783957659682
Was geschah im Hotel California?

Ähnlich wie Was geschah im Hotel California?

Ähnliche E-Books

Kurzgeschichten für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Was geschah im Hotel California?

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Was geschah im Hotel California? - p.machinery

    2

    Vorwort

    Musik hat für nahezu jeden Künstler eine ganz besondere Bedeutung. Schon länger spukte mir der Gedanke im Kopf herum, Geschichten, Musik, Lyrik und Bilder in einem einzigen Werk zu verbinden. Als ich dann eines Tages im Radio einen älteren, aber zeitlosen Song hörte, stand fest: Dieses Werk konnte nur von diesem Hotel handeln, indem es sehr seltsam zuging. Es wurde Champagner gereicht, es gab ein Biest, und man konnte nie wieder auschecken.

    Was hatte all das zu bedeuten?

    Der Liedtext deutet viel an, erklärt nichts. Interpretationen dagegen gibt es viele. Manche mögen nahe an der Wirklichkeit sein, andere fand ich an den Haaren herbeigezogen.

    Gab es vor diesem Hintergrund nicht unendlich viel zu erzählen? Was käme mit dem Liedtext als Grundlage heraus? Wäre ein Buch mit vielen solcher Geschichten nicht eine lohnende Lektüre? Nun, das ließ sich herausfinden.

    Ich warf die Idee in den Raum des Geschichtenweber-Forums und sie wurde sofort begeistert aufgenommen, aber es geschah weit mehr. Ich glaube, es war Magie im Spiel.

    Es fand sich eine Gruppe Gleichgesinnter, die Genehmigung, das Vorhaben als Geschichtenweber-Projekt laufen zu lassen, wurde erteilt, ein Verlag – aber nicht nur irgendeiner, sondern mein Wunschkandidat: der p.machinery-Verlag – sagte zu und meine Wunschillustratorin, Antonia Sanker, ebenfalls, und Gerd Scherm übernahm mit mir die Herausgeberrolle.

    Die Geschichten gehen sehr unterschiedlich an das Thema heran, dennoch ist allen Storys eines gemein: Das Hotel California ist stets ein außergewöhnlicher Ort. Die Besucher sollten es sich gut überlegen, ob sie hier wirklich eine Nacht verbringen möchten.

    Gerds lyrische Verbindungen krönten das ganze Projekt und sorgten bei mir für eine Gänsehaut.

    Wir verzichten hier auf den Abdruck des Liedtextes, weil es heutzutage immer schwieriger wird, Texte abzudrucken, ohne dafür zahlen zu müssen, weisen aber darauf hin, dass der Songtext im Internet einfach zu finden ist.

    Ich wünsche den Lesern viele schön-schaurige Momente mit diesem Buch.

    Willkommen im Hotel California!

    Marianne Labisch

    Das Gitarrensolo von »Hotel California« zählt zu den besten aller Zeiten und der Text des Songs hat bis heute nichts von seiner rätselhaften Magie eingebüßt. »Hotel California« gehört zu den mythischen Orten der Rockmusik, und das, obwohl es dieses Hotel nicht gab, es ein Produkt der Fantasie der Band »The Eagles« war.

    So wie die Storys dieser Anthologie Fantasie sind. Angeregt vom Lied erzählen die Autorinnen und Autoren, was im Hotel California geschehen sein könnte, in ihrem ganz eigenen Hotel California. An jenem Ort, der losgelöst von Raum und Zeit in einer Melodie immer weiter existiert. Ein Song, der fasziniert, der Ängste auslöst, Erinnerungen provoziert und Sehnsüchte weckt. Ein Song, der auch zum Soundtrack meines Lebens gehört.

    Gerd Scherm

    Gerd Scherm: Hotel California Soundtrack

    oder

    Du kannst die Musik in deinem Kopf nicht ausschalten

    Intro & Soul

    Hüte dich vor den Nächten!

    In ihnen triumphieren die Erinnerungen

    und die Schatten beginnen zu tanzen.

    Musikfetzen in deinem Ohr

    reißen dich aus deiner vertrauten Welt,

    du Blatt im Wind,

    du verklingender Ton,

    du Schemen im Spiegel

    deiner Seele.

    Anke Höhl-Kayser: Soul

    Der Gast war noch nicht lange hier. Er hatte gestern bei ihr eingecheckt und seine erste Nacht im Hotel verbracht. Der silbrige Schleier vor seinen Augen war schon da. Bei manchen dauerte es Tage. Andere waren empfänglicher dafür. Dieser hier besonders. Sie war zufrieden.

    Er stand vor der Rezeption und hatte jenen selbstverlorenen Ausdruck auf dem Gesicht, den sie so liebte.

    »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte sie. Professionell. Jede andere Bezeichnung für ihr Können wäre eine Beleidigung gewesen. Sie hob die Augen ein wenig, um im Deckenspiegel über der Rezeption ihr Lächeln zu überprüfen. Es blendete, sendete Reflexionen wie die Mittagssonne über dem Meer.

    Sie sah es in seinen silbrigen Augen gespiegelt. Perfekt.

    Unbeholfen lächelte er zurück, er fasste sich an die Schläfen. Natürlich hatte er Kopfschmerzen, das hatten sie alle. Nach der ersten Nacht. Und sie wussten nicht, dass diese Kopfschmerzen mit jeder Nacht schlimmer wurden. Sie hätte es erklären können, aber niemand hatte sie jemals danach gefragt.

    Irgendwann störten die Kopfschmerzen nicht mehr. Man merkte gar nicht, dass man welche hatte.

    »Ja – äh –« Er schien vergessen zu haben, warum er sich an sie wandte. Sie sah ihr Gesicht in seinen Augen: ein ebenmäßiges Oval, sehr hell, die keck-verspielte Nase, geheimnisvolle Augen, die die Farbe wechselten wie das Meer im Sonnenlicht. Ihr Lächeln auf den Lippen, mit diesem Satinschimmer. Die Grübchen, die sich in den Wangen bildeten, sobald sie ihre Mundwinkel nur wenige Millimeter hob. Sie spürte, dass er sie unbedingt küssen wollte. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen und lächelte ihn an, und er begann zu schielen. Sein Mund stand offen.

    »Habe ich Sie das schon gefragt? Ich glaube – ich habe vorhin schon hier gestanden –«

    Zu viel. Sie ließ das Lächeln verlöschen, und er fing sich wieder. Er stotterte: »Es tut mir leid, dass ich Sie damit behelligen muss. Aber ich – ich habe vergangene Nacht nicht gut geschlafen. Es war – ein – ein fürchterlicher Lärm draußen auf dem Korridor.«

    Er befeuchtete seine trockenen Lippen mit einer kindlich rosafarbenen Zungenspitze.

    »Menschen, draußen auf dem Flur. Sie haben geschrien und gejohlt. Ich habe aus der Tür geschaut, nur einen Moment, und sie hatten Messer – und dann hat jemand um Hilfe gerufen. Ich weiß nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, ich weiß nicht, ob es überhaupt ein Mensch war, das macht mir Angst –«

    Er holte tief Luft, er hatte seinen Atem verbraucht.

    »Habe ich Sie das schon gefragt? Ich glaube – ich habe vorhin schon hier gestanden –«

    Sie lächelte wieder, nur ein ganz kleines Bisschen, sodass ihre Lippen nicht mehr als einen Schimmer ihrer weißen Zähne enthüllten. Sein Blick, eben noch voller Panik, verschleierte sich.

    Natürlich wusste sie Bescheid. Natürlich würde sie es ihm nicht sagen. Jeder Gast machte diese Erfahrung selbst.

    Er war schnell, bald würde er beim Fest dabei sein. Sein Messer lag schon bereit, sie war selbstverständlich wie immer auf alles vorbereitet.

    »Ich entschuldige mich herzlich für Ihre Unannehmlichkeiten«, sagte sie, immer noch lächelnd, und hielt ihre Augen geradewegs auf seinen Mund gerichtet, »manchmal feiern unsere Gäste bis spät in die Nacht hinein, und manchmal geraten sie ein wenig außer Kontrolle. Ich verspreche Ihnen: Sie werden in der kommenden Nacht viel besser schlafen.«

    Er nickte. Seine Augen waren silbrig.

    »Danke«, murmelte er. Als er sich umwandte, stolperte er über seine eigenen Füße.

    Sie betrachtete sich im Deckenspiegel über dem Rezeptionstresen. Perfekt. Ihr Strahlen, umrahmt von weichen, goldblonden Locken. Die Haut mit einem samtenen Schimmer. Kein Make-up, kein Lidstrich, kein Lippenstift. Sie lächelte ihrem Geheimnis zu. Sie hatte sie, jene Klarheit, die Menschen in einem bestimmten Alter umgab, ausgelöst von der Gewissheit um die Unendlichkeit. Alle wollten sich diese Klarheit bewahren, und doch verblasste sie früher oder später. Nur bei ihr hielt sie – ewig.

    Jeder Gast, jeder, nicht nur die männlichen, verspürte beim Anblick ihrer Lippen den Wunsch, einen Hauch dieser Unendlichkeit für sich zu gewinnen. Sie sah die bewundernden Blicke im Vorübergehen auf sich gerichtet und hätte beinahe gelacht. Sie gestattete sich einen Moment der Zerstreuung, in dem sie sich ausmalte, wie sie jedem von ihnen ihr Geheimnis enthüllte. Was für ein köstlicher Gedanke.

    Ihre Augen wechselten wieder die Farbe, während sie in den Spiegel schaute. Von Hellgrau zu Sommerhimmelblau. Sie lächelte sich selber zu.

    Draußen vom Pool drang laute Rockmusik zu ihr. Sie warf einen Blick durch die Halle zum Panoramafenster. Sie wusste schon, wer den Lärm machte, noch bevor sie die Feiernden sah.

    Party people.

    Auch sie waren gestern auf dem Fest gewesen. Sie unterdrückte den Anflug von Hochmut nicht – dachte das Mädchen da draußen wirklich, es sei hübsch? Dieses junge Ding, mit seinen blondierten Haaren, dem Rougegeschmier auf den Wangen und dem Lächeln wie aus Plastik? Sie schaute dem Mädchen eine Weile zu, wie es tanzte, mit seinen rot lackierten Zehennägeln und den Kettchen an den Fußgelenken, sah die schwingenden Hüften, sah die gierigen Blicke der jungen Männer, die für den Moment nichts anderes wollten, als dem Mädchen eine Hand auf die Schulter zu legen, sein Handtuch zu halten – für den Moment. Bald würden sie mehr wollen.

    Das Mädchen konnte damit nicht umgehen. Das konnte keins dieser Mädchen. Es gab keine Ausnahmen. Früher oder später war es so weit. Sie waren alle gleich – eins wie das andere. Das Mädchen würde zum Meister gehen, mitsamt seiner gierigen jungen Männer. Dorthin, wohin schließlich jeder ging, wenn er lange genug vergeblich den Weg nach draußen gesucht hatte. Und das war gut so.

    Befriedigt strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht und beobachtete ein junges Paar, das gedankenverloren Hand in Hand durch die Lobby schritt, als suche es etwas und habe vergessen, was das war. Sie wusste es. Als die beiden der Tür zu nahe kamen, schenkte sie ihnen ein Lächeln. Sie sah ihr eigenes Strahlen auf den jungen Gesichtern gespiegelt – sie brauchten nichts mehr als das. Sie setzten sich weit weg von der Tür auf eine der saffianledernen Sitzgruppen und blätterten müßig in Zeitschriften.

    »Hallo! Sie da! Miss!«

    Wie hatte ihr das passieren können? Sie war einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen. Der Tonfall jagte ihr ein Kribbeln über die Wirbelsäule. Ihr Atem beschleunigte sich. Sie spürte warme Feuchtigkeit auf ihrer Stirn.

    Sie zwang sich zur Ruhe. Keine Zeit mehr für den Blick in den Spiegel. Vor dem Tresen stand ein Mann. Er hatte das magische Alter schon hinter sich. Mit der Erkenntnis von Endlichkeit hatten sich Falten in seine Haut eingegraben, man sah sie unter den Augen und in den Mundwinkeln. Dort, in den Mundwinkeln, hatte sich auch bereits der Zynismus eingenistet. Der Mann war gefährlich.

    Er hatte schütteres Haar und einen Bauchansatz. Sie mochte seinen Gesichtsausdruck noch weniger als seinen Tonfall: Jenes arrogante Augenbrauenhochziehen, mit dem sich hier manche am Anfang ihres Besuchs aufspielten, zum Glück hielt das nie lange an. Sie verabscheute seinen selbstgefälligen Glauben an die Berechtigung seiner Existenz.

    Seine Augen waren hellbraun, mit goldenen Sprenkeln um die Pupille, und sie waren klar.

    »Sagen Sie mal«, sprach er sie an. Wieder mit diesem Tonfall. Sarkasmus kräuselte seine Lippen. Erneut lief ihr ein Schauer über den Rücken.

    Sie fixierte ihn, er unterbrach sich für einen Moment lang, dann fing er sich wieder.

    Er starrte zurück.

    »Sind Sie eigentlich immer im Dienst?«, wollte er wissen. Seine Neugierde bohrte sich wie Nadeln in ihre Haut.

    Er grinste und sah dabei aus wie ein Mörder.

    Sie wünschte sich, er würde den Mund halten. Wenn sie ihn nur zum Schweigen bringen könnte. Sie sah in das Fach mit den Messern – seins hatte sie noch nicht bereitgelegt. Sie begriff nicht, wie ihr das hatte passieren können.

    »Ich meine, Sie stehen hier den ganzen Tag am Tresen«, fuhr er fort. »Ich beobachte das seit fünf Tagen. Wie machen Sie das, sechzehn Stunden am Stück? Das kann doch nicht normal sein. Müssen Sie nicht auch mal essen und Pause machen? Irgendwas stimmt hier nicht.«

    Was hatte er gesagt? Wie lange war er schon hier? Fünf Tage?

    Das war unmöglich. Sie versuchte sich hektisch an den Tag zu erinnern, an dem er eingecheckt hatte. Es fiel ihr nicht ein. Sie konnte sich nicht an seine Augen und die Spiegelung ihres Gesichtes darin erinnern. Sie musste sich zwingen, ruhig zu atmen. Sie fixierte ihn wieder, diesmal härter, aber er hielt ihrem Blick stand. Sie begann zu lächeln, die erste, zweite und schließlich sogar die dritte Stufe, aber er reagierte nicht. Er lächelte nicht zurück, und seine Augen blieben kalt.

    Ihr brach der Schweiß aus.

    »Haben Sie manchmal Kopfschmerzen?«, fragte sie ihn.

    Er sah nur eine Sekunde lang irritiert aus.

    »Ja, anfangs«, antwortete er. »Aber dann nicht mehr. Das ist auch gut so, denn bei mir wirken Medikamente nicht. Wissen Sie, ich bin resistent dagegen. Schmerztabletten kann ich vergessen. War schon immer so. Ich kann auch Alkohol trinken, soviel ich will, und werde trotzdem nicht betrunken. Das ist manchmal echt desillusionierend, immer nüchtern sein zu müssen.«

    Er schlug mit der Hand auf den Tresen, zwei Millimeter neben der Hotelglocke – er hatte den Knopf nicht berührt, unausdenkbar, was geschehen wäre –, und lachte gellend.

    Ihr Trommelfell drohte zu zerspringen. Sie wollte ihn anschreien, dass er endlich still sein solle, dass er endlich seinen dummen Mund halten solle, sie wollte die Hände um seinen Hals legen und ihn schütteln –

    Andere Gäste wurden aufmerksam. Augenpaare schauten herüber, wie Scheinwerfer, groß, wach und leuchtend, keine silbrigen Schleier mehr.

    Sie musste Ruhe bewahren.

    Sie rang sich ein Lächeln ab.

    Sie sah sich um, sah in die Scheinwerferaugen. Sie wusste, dass sie es bereuen würde, aber ihr blieb keine Wahl.

    »Das tut mir leid für Sie«, sagte sie und drückte die Hotelglocke.

    Der Ton war hell und rein wie ein brandneuer Tag. Er klang auf, umwob sie und den Mann wie feine weiße Spinnweben, schwebte durch die Halle. Sie sah die Gäste aufblicken und dem Ton nachlauschen, die meisten lächelten geistesabwesend. Die Scheinwerferaugen waren fort. Nur silbriges Leuchten in den Blicken.

    Der Mann starrte sie an. Er war völlig reglos.

    Sie beobachtete die Uhr an der Wand: Die Zeiger drehten sich zurück.

    Noch ein Stück. Gut. Sie drückte erneut den Klingelknopf. Diesmal klang der Ton anders, eine Nuance tiefer. Sie wusste aber, dass nur sie imstande war, den Unterschied wahrzunehmen.

    Die Uhr lief los.

    »Hallo! Sie da! Miss!«

    Sie war vorbereitet.

    Sie lächelte schon, noch bevor er seine Augen in ihre senken konnte. Er war irritiert. Kein Problem, sie war professionell, auch bei Härtefällen.

    Er mochte gegen Alkohol und Drogen immun sein. Aber es gab etwas, wogegen niemand immun war.

    Sie legte ihren Zeigefinger auf seine Hand, die gefährlich nah an der Klingel positioniert war. Er schaute sie an, er war verwirrt, viel stärker als beim ersten Mal.

    »Fünf Tage sind Sie jetzt schon hier«, sagte sie leise. »Und immer noch traurig. Nicht wahr?«

    Er senkte den Blick. Endlich. War da der Anflug eines Silberschleiers?

    »Es hat alles keinen Sinn«, murmelte er. »Ich wollte hier zur Ruhe kommen, aber ich kann sie nicht vergessen. Es geht einfach nicht.«

    Sie rieb mit dem Zeigefingernagel über eine bläulich hervortretende Ader auf seinem Handrücken. Er starrte ihre Nägel an, wie sich das Licht der Lampen darin spiegelte.

    »Sie irren sich«, erwiderte sie ruhig. Sie war in ihrem Element. »Schauen Sie nur einmal.«

    Sie lenkte seinen Blick durch das Panoramafenster auf das tanzende Mädchen. Es bedurfte nur eines Tropfens ihrer Konzentration, dass das Mädchen herübersah und ihr Lächeln erwiderte.

    »Es ist Zeit zum Tanzen«, sagte sie zu dem Mann. Er schaute sie an, und sie sah ihr Lächeln wie einen Sonnenaufgang auf seinem Gesicht gespiegelt. Seine Augen waren silbern.

    »Oh – ja – das würde ich gern«, murmelte er. »Ja, ich habe so lange nicht mehr getanzt.«

    Er wandte sich ab und ging nach draußen. Das Mädchen leckte sich die Lippen, als es ihn sah, wahrscheinlich zählte es – wieder einer mehr, eine gute Bilanz – und winkte ihn mit albernen Kleinmädchengesten zu sich.

    Sie hätte erleichtert sein müssen, aber sie fühlte, dass es dazu keinen Grund gab. Es war zu knapp gewesen.

    Sie hatte Angst gehabt, sie hatte geschwitzt. Sie war müde, und hinter ihren Schläfen zog ein Sturm auf.

    Sie musste wissen, ob es Spuren hinterlassen hatte.

    Sie schaute mit dem geübten leichten Augenaufschlag hinauf in den Deckenspiegel.

    Der Schrei ließ sich nur dadurch ersticken, dass sie beide Hände vor den Mund presste.

    Sie sah sich hektisch um: Noch hatte niemand etwas bemerkt.

    Sie schaute wieder in den Spiegel, in der verzweifelten Hoffnung, sich beim ersten Mal geirrt zu haben.

    Nein, die Wahrheit war unbarmherzig und barst in ihre Hoffnung wie eine Faust in einen Spiegel.

    Die Makellosigkeit war fort. Das Leuchten war erloschen. Falten um die Mundpartie, dunkle Augenringe. Die Haut wie Pergament.

    Sie versuchte, sich selbst im Spiegel zuzulächeln: Es war nichts weiter als eine Grimasse.

    Sie spürte etwas Warmes auf ihren Wangen, und erst als ihre Finger es berührten, erkannte sie, dass es Tränen waren.

    Die Gäste in der Lobby saßen da, mit ihren silbrigen Blicken, und tranken ihren Pink Champagne on Ice. Sie wandte sich zum Hauptschalter um und kippte den Hebel. Sein sattes Klacken jagte ihr einen Schauer der Erleichterung über den Rücken. Das Lampenlicht in der Lobby erlosch. Einige Gäste sahen auf, aber nur kurz, und niemand schaute sie an.

    Draußen färbte sich das Licht golden: Der Nachmittag war

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1